Die letzten Tage des Sommers von Alaiya (Draco Malfoy) ================================================================================ Kapitel 1: September 1999 ------------------------- Die letzten Tage des Sommers Es war bereits der erste September und so heiß, wie selten ein erster September in Großbritannien gewesen war. Und an die vergangenen ersten Tage dieses Monats erinnerte sich Draco ziemlich genau. Immerhin brachte dieser Tag für jeden Zauberer etwas Nostalgisches mit sich, war er doch der Tag, an dem das Schuljahr in Hogswarts begann. Nicht, dass solche Gefühle für Draco irgendeine Bedeutung gehabt hatte, doch da das Ministerium in der früh recht leer gewesen war, hatten doch viele Angestellte ihre Sprösslinge nach Kings Cross gebracht, war er nicht darum herum gekommen, den Tag als Schulanfang zu notieren. Einen Vorteil hatte die Arbeit im Ministerium: Es war dank der Atmosphärezauber immer ausgeglichen temperiert. So war es im Winter angenehm warm, jetzt aber besser gekühlt, als jedes Muggelamt in London. Das machte die an sich recht langweilige Arbeit auch erträglicher, die einmal wieder im Lesen von Berichten bestand. Marcus Napkins hatte vor zwei Wochen auf einem irischen Jahrmarkt sich als Straßenkünstler ausgeben und ein paar einfache Zauber vor den so leicht zu beeindruckenden, naiven Muggeln vorgeführt. Diese hatten alles für einfache Tricks gehalten, was jedoch nichts daran änderte, dass sich der Zauberer nun wegen Zauberei vor Muggeln zu verantworten hatte. Aliza Gowings hingegen hatte sich zu verantworten, da sie ein Animagus war und sich in Tierform nun beinahe zwei Jahre versteckt hatte, aber unregistriert war. Dies war allerdings, dank dem vergangenen Chaos, ein reines Büroverfahren. Draco ließ ein leises Seufzen hören – leise genug, dass es niemand hörte, der mit ihm im Büro arbeitete. Die meisten Fälle, die Auszubildende wie er zu lesen bekamen, waren derart lapidar, auch wenn sie alle wussten, dass es noch immer einige Todesser gab, die sich dort draußen herumtrieben und ganz andere Arten von verbotenen Zaubern anwandten. Aber dafür war seine Abteilung nicht zuständig, denn sobald jemand einen unverzeihlichen Fluch angewendet hatte, kümmerten sich die Auroren darum. Irgendwie schien es schon ironisch. Ausgerechnet er, Draco Malfoy, arbeitete in der Abteilung für unbefugte Zauberei. Er, der er vor zwei Jahren noch selbst ein Todesser gewesen war und seine Zeit nur deshalb nicht in Askaban verbrachte, weil seine Mutter Potter im Kampf um Hogwarts gerettet hatte und zudem das Familienerbe problemlos für ein paar nette Bestechungen hier und da ausgereicht hatte. Denn auch, wenn sich das neue Ministerium rühmte, die alten Zeiten hinter sich gebracht zu haben: Bestechung würde wohl auch in hundert Jahren noch funktionieren. Und nun arbeitete er hier, um zu demonstrieren, wie aufrichtig die Familie Malfoy die neugewonnene Ordnung begrüßte und Unterstützte. Niemand sollte auf die Idee kommen, das Urteil anzuzweifeln und zumindest seine Mutter schien die letzte Schlacht genug erweicht zu haben, als dass sie es wenigstens teilweise ernst meinte. Sein Vater... Nun, das war wieder eine andere Sache. Seine Familie erneut aus der Affäre zu ziehen und so Askaban zu entkommen, schien das letzte gewesen zu sein, das sein Vater mit alter Gerissenheit getan hatte. Denn je mehr Zeit verging und je klarer es wurde, dass die alten Zeiten endgültig vorbei waren und es keine Rückkehr des dunklen Lords geben würde, desto mehr zog sich sein Vater zurück. Den meisten Tag verbrachte er in seinem Arbeitszimmer hinter irgendwelchen Büchern, reagierte schnippisch, wenn man ihn ansprach und dabei störte. Den Stolz, den Lucius Malfoy früher ausgestrahlt hatte, seinen aufrechten Gang, den Draco an seinem Vater bewundert hatte, hatte er verloren und auch wenn er es sich nicht anmerken ließ, wusste der mittlerweile Neunzehnjährige nicht, wie er darüber denken sollte. Sein Vater war einmal sein Vorbild gewesen, doch jetzt war er sich in dieser Hinsicht nicht mehr so sicher. Allgemein war seid Voldemorts endgültigen Tod vieles anders geworden für seine Familie, wie auch für einige anderen der reinblütigen Familien, die mit dem Lord sympathisiert hatten. Innerhalb von nur eineinhalb Jahren hatten viele von ihnen sowohl Ansehen, als auch teilweise ihr Reichtum verloren. Draco atmete leise aus und hob den Blick von den Pergamenten, um zur großen Standuhr am Rand des Büros aufzusehen. In wenigen Minuten würde sein Arbeitstag zu Ende gehen und er würde über das Flohnetzwerk zum Malfoyschen Anwesen zurückkehren. Langsam begann er die Pergamente auf seinem Schreibtisch zu ordnen. Als er schließlich um Punkt sechs das Büro verließ, wie auch viele andere der Angestellten (natürlich gab es auch welche, die erst jetzt kamen, denn es gab mittlerweile auch eine „Nachtschicht“ im Ministerium), erhaschte er einen Blick auf Harry Potter und dessen Privat-Weasley. Die Helden der Zauberwelt... Bevor sie ihn im Gedrängel entdeckten und irgendwelche Bemerkungen machten, beschleunigte er seinen Schritt und verschwand in Richtung der Kamine. Seltsam, früher war es so oft anders herum gewesen. Tricksereien mit Zaubertränken waren Häufig, stellte Draco fest, während er drei Tage später Berichte über solche sortierte. Vor ihm lag – um genau zu sein – ein ziemlicher Stapel Ordner und Pergamentrollen mit Berichten über Zauberer, die alles Mögliche mit Zaubertränken zu beeinflussen versucht hatten. Gernat Guiwers hatte sogar mit einem Trank versucht, seine Lieblings-Muggel-Fußballmannschaft zu dopen. Sämtliche Spieler waren noch am Abend des Spiels mit Ausschlag im Krankenhaus gelandet. Was fand man überhaupt an diesem Muggel-Sport? Ein Ball und das auf einem einfachen Feld – langweilig. Nicht zu zählen waren all diese Zauberer und Hexen, die mit diesem oder jenen Liebestrank versucht hatten ihren Angebeteten für sich zu gewinnen. Doch auch hier waren die Ergebnisse selten wie gewünscht. Wussten denn so viele nicht, dass Liebestränke meist zu Besessenheit führten, anstatt zu Liebe. Allgemein gab es keinen Zauber und keinen Trank, der richtige Liebe hervorrief, das wurden die Professoren Hogwarts’ zu erzählen nie leid. Er legte das Pergament auf den Stapel für „Delikte bezüglich gefühlszustandsverändernder Tränke“ und sah einmal wieder kurz auf die Uhr. Hätte er gewusst, dass seine Arbeit im Ministerium fast nur als Aktenlesen bestand, er hätte nie... Doch er hätte, denn seine Mutter hatte ihn drum gebeten und es war das Beste für das Ansehen der Familie. Grimmig dachte er daran, dass Ronald Weasley und Harry Potter mit buchstäblichem Handkuss als Auroren angenommen worden waren. Ja, alle waren begeistert von den großen Rettern der Zaubererwelt. Harry Potter, der große Held. Fast jeden Tag hörte er noch immer von den großen Taten seines vermeidlichen Erzfeindes. Auch jetzt, wo er half die verbliebenen Todesser zu fangen. In jedem Krieg gab es Gewinner und Verlierer. Harry und seine „Gefolgschaft“ waren eindeutig die Gewinner, Voldemort und all die Todesser, die – wenn sie überhaupt noch lebten – nun ihre Zeit in Askaban zubrachten, waren die Verlierer. Und die Malfoys? Sie waren diejenigen, die ihr Überleben dem Feind verdankten. Er hing an seinem Leben, doch das ausgerechnet Potter dieses gerettet hatte knabberte an seinem Stolz. Das Wochenende verging ereignislos auf Malfoy Manor. Seine Mutter fragte ihn nach der Arbeit, er antwortete und versuchte alles gut klingen zu lassen, damit sie sich keine Sorgen machte. Sein Vater verließ das Arbeitszimmer nur zum Essen und ansonsten wurde wenig gesprochen. Insgeheim sehnte sich Draco nach Hogwarts zurück. Dort war es zumindest nicht so beängstigend still gewesen und viele der anderen Slytherins hatten zu ihm aufgesehen. Außerdem hatte die Schule auch, wenn er es nie offen zugegeben hatte und dies auch nie tun würde, ihm, wie auch den anderen Schülern, ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Schnell vertrieb er diese Gedanken der Nostalgie aus seinem Kopf und wandte sich wieder der Gegenwart zu. Dieser Montag – der im Übrigen nicht kühler war, als die vergangenen Tage – würde zumindest etwas interessanter werden, als die vergangenen, denn er sollte als Schriftführer einigen Prozessen bewohnen. Richtigen Prozessen, wie sich schnell herausstellte, und keine Verhandlungen über Liebestränke und Tricks vor Muggeln. Der Prozess ging gegen die Hexe Ephidelie Mothsmith, eine ehemalige Todesserin, die nach dem ersten Krieg dank ihrer Animagusform – eine schwarze Katze – entkommen war und während der Kämpfe gegen Lord Voldemort gesamt mehr als dreißig Morde begangen hatte. Sowohl den Cruciatus-, als auch den Imperio-Fluch hatte sie einige Male angewendet, sowohl auf Muggel, als auch auf andere Hexen und Zauberer. Die Verhandlung lief so ab, wie Draco es schon in einigen Berichten gelesen hatte. Die Anklage wurde vom Richter vorgetragen, dann durfte sich Madame Mothsmith dazu äußern. Was sie sagte hätte aus irgendeiner der von Draco sortierten Akten stammen können. „Sie wissen nicht wie er ist“, jammerte sie. „Er hat mich gezwungen, der dunkle Lord.“ Natürlich wollte sie nicht nach Askaban. Doch es gab mehrere Zeugen – unter anderem auch einige der Verräter unter den Todessern. Es war ein Verfahren, dass schon vor dem Beginn entschieden war. Die Beweislast war einfach zu erdrückend und als schließlich ein muggelgeborener Zauberer, der ihr vor drei Jahren knapp aus der Folter entkam, gegen sie aussagte blitzte der unverhohlene Hass in ihren Augen auf – zusammen mit Verachtung. „Du hast kein Recht über mich zu richten, Schlammblut“, zischte sie. „Ihr alle habt kein Recht, ihr Verräter!“ Doch viel mehr konnte sie nicht mehr sagen, ehe sie abgeführt wurde für den Transport nach Askaban. Einige der Geschworenen blieben noch im Raum, um sich über den Fall oder auch den neusten Tratsch zu unterhalten. Die meisten aber verließen den Raum in kleinen Grüppchen durch den Korridor. Draco blieb alleine auf der Bank neben dem Richter sitzen und starrte auf sein Protokoll. Waren alle Todesser so verrückt gewesen? Ja. Hatte man ihn deswegen zu dieser Verhandlung geholt? Wahrscheinlich. Traute man ihm noch nicht ganz? Das war ziemlich sicher. Aber er konnte sich nicht helfen. Irgendwie hatte ihn Madame Mothsmith an seine Tante Bellatrix erinnert. War es wegen dem verrückten Glühen in ihren Augen? Wegen der Art wie sie sprach? Bellatrix Lestrange war ebenso verrückt gewesen. Aber sie hatte ihm einiges beigebracht – einiges, das ein Hogwartsschüler nicht einmal hätte lernen dürfen. Er schüttelte den Kopf und stand auf, als ihn Mister Hombee, sein Vorgesetzter, ansprach: „Und Mr. Malfoy, was sagen Sie zu dem Fall?“ Er wollte ihn prüfen, das war sicher. Trotzdem war das einzige, das Draco zustande brachte, ein heiseres „Ich weiß es nicht.“ Der ältere Zauberer runzelte die Stirn. „Das ist keine Antwort.“ Daraufhin sah der junge Mann zu Boden. „Nun“, murmelte er schließlich. „Sie war... Ziemlich verrückt.“ „Und das sind die meisten von ihnen“, erwiderte Mister Hombee. „Ich weiß“, nuschelte Draco. „Ich weiß.“ Er hatte lange genug unter ihnen gelebt. Er war selbst verrückt genug gewesen. Wirklich verrückt? Während die Woche verging, wurde es wieder heißer in London und seiner Umgebung. Die Luftfeuchtigkeit nahm zu und es schien eine drückende Glocke über der Stadt zu hängen, unter der sich Draco Tag für Tag hindurchquälen durfte. Und genau so drückend wie das Wetter, war die Stimmung, wenn er nach Hause kam. Still, schweigsam und selbst mit seiner Mutter wollte er nicht reden, denn noch immer dachte er über die Verhandlung vom Montag nach. Schließlich kam das Wochenende und mit ihm auch der heißeste Tag der Woche. Die Luft schien so gedrückt, dass es schwer fiel, sie zu atmen. Doch das hielt Draco nicht davon ab Malfoy Manor bereits sehr früh – es war erst kurz nach sieben und zumindest seine Mutter war noch nicht auf – das Haus durch den Kamin verließ und sich vom Flohnetzwerk in den tropfenden Kessel bringen ließ. Von diesem aus, machte er sich auf den Weg nach King’s Cross. Ein Zug, wenngleich nicht der Hogwartsexpress, fuhr – natürlich, immerhin war Hogsmead ein Touristenort der magischen Welt – auch während des Schuljahres, allerdings nur zwei Mal am Tag – das erste Mal um halb neun. Warum er nach Hogwarts wollte? Er wusste es selbst nicht, aber wahrscheinlich war es der Wunsch, dem Schweigen daheim zu entfliehen. In Hogwarts war es nie ruhig. Über welchen Ort, an dem es viele Kinder gab, hätte man das auch behaupten können? Außerdem, selbst jetzt, nachdem Dumbledore tot war, verband er, wie alle anderen Schüler auch, ein Gefühl von Sicherheit mit der Schule. Obwohl sich der Zug immer weiter in Richtung Norden bewegte, wurde es keines Falls kühler. Nein, die Luft blieb stehend und einige Male wischte sich Draco den Schweiß von der Stirn, während der Tag voranschritt. Schließlich – kurz nach Mittag – fuhr die Lok in Hogsmeade ein. Auch hier war die Luft drückend, wenngleich eine Wolkenfront im Westen versprach, gegen Abend vielleicht endlich etwas Abkühlung zu bringen. Das half Draco jedoch wenig, als er sich zu Fuß auf dem Weg zum alten Schloss machte. Obwohl er nun hier war, fühlte er sich noch immer seltsam – seltsam unsicher. Dasselbe Gefühl, wie in den letzten Wochen. Doch wirklich zuordnen konnte er es noch immer nicht. War es vielleicht nur ein Produkt der Hitze und des daraus resultierenden Schlafmangels? Wieso war er überhaupt hier? Es dauerte noch ein wenig, bis er vom Schlosstor zum Schloss selbst gekommen war und sich bei Professor McGonagall angemeldet hatte – die natürlich schon vorher gewusst hatte, dass er kam, jedenfalls, seit er in Hogsmeade angekommen war. Und auch wenn ihr Empfang recht freundlich ausfiel, konnte er nicht umher zu meinen, etwas Abfälliges in ihrem Blick zu erkennen. Nun, immerhin waren Slytherins allgemein nicht beliebt bei Gryffindors und immerhin war die Direktorin die ehemalige Hauslehrerin des rot-goldenen Hauses. „Wenn ich mir dir Frage erlauben darf, Mr. Malfoy“, meinte sie, während sie ihn durch die Eingangshalle begleitete. „Was führt Sie heute hierher?“ Ihre Stimme klang misstrauisch, fand er, aber vielleicht bildete er sich das nur ein. „Vielleicht etwas, das Heimweh nicht unähnlich ist“, erwiderte er relativ ehrlich. „Ich war schon länger nicht mehr hier, Professor. Es ist nicht üblich, dass ehemalige Schüler hierherkommen.“ „Gewiss nicht“, erwiderte McGonagall. „Es ist nur seltsam, dass Sie am selben Tag hier – wohlgemerkt unangekündigt – auftauchen, wie Potter, finden Sie nicht?“ Draco horchte auf. „Potter ist hier?“, fragte er und er konnte nicht umher etwas Abscheu in seiner Stimme aufklingen zu lassen. „Ja, er ist schon in der früh vor das Schloss appariert“, erwiderte die Direktorin mit gelinder Überraschung in der Stimme. Daraufhin schwieg Draco. Wenn es einen Menschen gab, den er wirklich nicht sehen wollte, war es Potter. Immerhin durfte er sich bereits auf der Arbeit anhören, wie toll der große Harry Potter war und jetzt einen Haufen Kinder dabei zu zusehen wie sie den Helden der Zeit anhimmelten – nun, darauf konnte er verzichten. Trotzdem sah er nicht ein, wieso er gehen sollte, nachdem er gerade gekommen war. Immerhin hatte die Fahrt lang gedauert und zumindest etwas mochte er sich noch umsehen, ehe er sich zurück nach Hause apparierte. „Wenn sie es erlauben, werde ich mich etwas umsehen“, meinte er daher schließlich und sah die Lehrerin und Direktorin von der Seite an. „Machen sie das, Mr. Malfoy.“ Ihr Blick war streng. „Aber ich würde sie bitten...“ Kurz pausierte sie. „Nicht für Unruhen zu sorgen.“ Während der Nachmittag verging zogen die Wolken weiter auf, so dass sie am frühen Abend beinahe den gesamten Himmel verdeckten. Draco fühlte sich nicht besser als vorher. Hier war es zwar laut und lebhaft wie immer, doch seine Unruhe, seine Unsicherheit, blieb. Zudem hatte er versucht am Tag Harry Potter aus dem weg zu gehen, was allerdings nicht sonderlich schwer gewesen war, denn der angehende Auror war meist von einer Traube Bewunderer umringt gewesen. Ekelhaft! Harry Potter half den Schülern beim Quidditschtraining, Harry Potter erzählte von seinem Kampf gegen die Todesser... Harry Potter war nicht mehr als ein eingebildeter Schmalzsack! Und wäre seine – Dracos – Mutter nicht gewesen wäre er tot und die Welt würde weiterhin vor Voldemort erzittern. Nun war Draco den Weg von London aus gekommen, aber den meisten Tag hatte er sich nur über den vermeidlichen Helden der Zaubererwelt aufgeregt. So lief er nun, die Hände in den Taschen versenkt, über die Wiesen nicht weit vom verbotenen Wald entfernt. Immer wieder – er konnte sich nicht helfen – wandte er seinen Blick zum wahrscheinlich leeren Astronomieturm hoch und immer wieder machte sich ein flaues Gefühl in seinem Magen breit. Er wischte sich etwas Schweiß von der Stirn und bemühte sich auf seine Füße zu schauen, doch trotzdem wandte sich sein Blick immer wieder nach Westen. Schließlich, er wusste nicht wirklich wie er hierher gekommen war oder wieso, stand er vor dem weißen Marmorgrab Dumbledors am See. Wie aus einem Reflex heraus wollte er auf dem Absatz kehrt machen, doch etwas hielt ihn zurück. Etwas sagte ihm, dass er dem ehemaligen Direktor zumindest jetzt etwas Respekt zollen sollte. In der Ferne war ein Donnergrollen zu hören, während er abwesend auf den weißen Marmor starrte. In gewisser Weise war es seine Schuld, dass Dumbledore tot war. Immerhin war es sein Auftrag gewesen, seine Mission, seine Schuld. Professor Snape hatte den Direktor getötet, um ihn vor Voldemort zu schützen. Wegen ihm, obwohl Dumbledore an ihn geglaubt hatte, so wie er wahrscheinlich an jeden seiner Schüler geglaubt hatte. Aber was hätte es denn geändert, wäre es nicht so gewesen? Hätte es was geändert? Natürlich hätte es das. Dumbledore war schon immer so mächtig gewesen, dass selbst Voldemort ihn gefürchtet hatte. Aber hätte er selbst etwas ändern können? Nicht ohne seine Familie zu gefährden. Seine Mutter... Seinen Vater... „Was machst du hier, Malfoy?“, schnarrte auf einmal eine Stimme hinter ihm. „Geht es dich was an, Potter?“, erwiderte er tonlos ohne sich herum zu drehen. Harry machte einen Schritt in seine Richtung. „Ich wundere mich ja, dass du sich überhaupt auf das Schulgelände traust, nach allem, was du getan hast.“ „Nach allem was ich getan habe?“ Draco drehte sich halb zu ihm herum. „Wäre meine Mutter nicht gewesen, wärst du tot. Dann wärst du heldenhaft gestorben.“ „Oh, deine Mutter, ja“, entgegnete Harry mit einem überheblichen Blick. „Aber du? Das einzige, was ich von dir in Erinnerung hab, war wie ich dir erst den Arsch retten durfte, weil dein Freund Crabbe den Raum der Wünsche angezündet hatte.“ „Und ich bin Crabbe?“, zischte Draco, doch Harry beachtete ihn nicht einmal. „Und damit nicht genug, kaum waren wir draußen, hast du wieder versucht uns anzugreifen. Du und deine Familie hätten es verdient in Askaban zu schmoren.“ Draco machte ein verächtliches Geräusch. „Und du bist vom Schloss hier herunter gekommen, um mir das zu sagen?“ „Nein, ich bin hierher gekommen, um Dumbledore Respekt zu zollen“, erwiderte der junge Auror und warf ihm einen giftigen Blick zu. „Hätte ich damit gerechnet, dich hier zu finden, nachdem du dich den Nachmittag wie eine Ratte verkrochen hast? Wohl kaum.“ Für einen Moment wollte Draco etwas Giftiges erwidern, doch dann ließ er es sein. Ihm fiel nichts ein, was angemessen war. Stattdessen wandte er sich wieder ab und schwieg. „Seit wann bist du so verschwiegen?“, schnarrte Harry. „Seit wann bist du so vorlaut ohne deinen Privatweasley?“, erwiderte Draco mit trockenem Ton. „Seid du keine Scharr von Todesser Freunden mehr um dich hast, bist du ziemlich feige geworden, eh?“ „Was auch immer du meinst, Potter.“ Damit wandte sich Draco dem Schloss zu. Es war nicht klug, einen weiteren Streit zu provozieren – nicht mehr jetzt, in der Situation wo er stand – und wenn er so darüber nachdachte hatte er nicht einmal mehr Lust zu streiten. Doch als er den ersten Schritt in Richtung Schloss machte, setzte Harry erneut zu einer Bemerkung an: „Du bist feige, wenn du niemanden hast, der dich beschützen kann, eh? Aber deine Todesser-Freunde sind nicht mehr und auch Professor Snape ist nicht mehr da. Und dein Papi verkriecht sich auch daheim, nicht war? Eine Familie voller Feiglinge“, feixte er. Da fuhr Draco herum. „Nimm das zurück!“ „Wieso sollte ich?“ Die ersten Regentropfen fielen auf das Schloss und seine Umgebung herab. Herausfordernd blickte Harry Draco an. „Und was ist aus deinen Idealen geworden, Potter?“, fragte er. „Voldemort ist tot, aber dein Dumbledore auch. Und das einzige, was du tun kannst, ist es dich als den großen Helden feiern zu lassen?!“ „Eifersüchtig?“, erwiderte Harry. „Wieso sollte ich auf jemanden eifersüchtig sein, der tiefer nicht mehr sinken kann? Sich auf seinen Lorbeeren ausruhen, die einem die Freunde geerntet haben? Ein Held zu sein, obwohl man beinahe gestorben wäre?“ „Hätte ich nicht für deine Mutter ausgesagt, säßest du jetzt mit deiner ganzen feigen Familie in Askaban.“ „Und wenn schon. Zumindest arbeite ich für meinen Platz – für meine Familie. Du hast ja nicht mal mehr eine“, meinte er zischend und sah am Gesicht des anderen, dass dies wie ein Schlag in den Magen gewirkt hatte. „Du lässt dich feiern, seit über einem Jahr. Pah, Dumbledore wäre enttäuscht von dir, seinem kleinen Lieblings-Potter.“ „Und das sagt sein Mörder?“, knurrte Harry und funkelte ihn mit gezogenem Zauberstab an. „Ich habe ihn nicht getötet“, schrie Draco. Dann dämpfte er seine Stimme. „Ich habe ihn nicht getötet, dass weißt du genau so gut wie ich.“ „Und doch ist er wegen dir gestorben, Muttersöhnchen.“ Draco verzog das Gesicht. „Geht es dir so nahe, dass es meine Mutter war, die dir das Leben gerettet hat? Ohne beneidest du mich darum, dass ich noch eine Mutter habe?“ „Ich bereue nur, dass ich dich vor Askaban gerettet hab – wo du hingehörst, du und dein Vater!“ Er hob den Zauberstab. „Stupe...“ Doch Draco war schneller. „Expelliarmus!“ Einen Moment schien es, als wäre die Zeit angehalten, doch dann flog Harrys Zauberstab unter einem Knall, der jedoch vom Donner übertönt wurde, davon, während Harry selbst rücklings auf dem Boden landete. Für einen Augenblick blieb Draco vor ihm im Regen stehen, die Spitze des eigenen Zauberstabs noch immer auf ihn gerichtet. Dann wandte er sich jedoch ab und ging zum Schloss zurück. Was war es schon wert – Rache, für im Eifer oder in Hass ausgesprochene Worte? Was war es schon wert? Ein Blitz zuckte über den Himmel, ehe das Grollen des Donners über das Schloss hinweg rollte. Abkühlung, nach der Hitze des Sommers. Was war Rache schon wert? Was war seine Wut schon wert? Es würde nichts ändern. Nicht zum besseren. Die Zeiten waren vorbei. Das Wochenende verging im Regen, doch es wurde endlich wieder kühler. Der Sommer schien endgültig vorbei zu sein und wurde nun vom stürmisch, nebeligem Herbst abgelöst. Und so kam der nächste Montag, der nächste Arbeitstag, an dem Draco in eine Gasse nahe dem Ministeriumshaupteinganges apparierte. Doch Potter hatte er hier noch nie gesehen. Unwillkürlich griff er seinen Zauberstab fester, als er den Auror an eine Wand gelehnt warten sah – erneut, ohne seinen rothaarigen Anhang. „Was willst du?“, fragte Draco kühl. „Dumbledore wäre auch gestorben, wenn Snape ihn nicht getötet hätte“, erwiderte Harry. „Sie hatten es abgesprochen. Es war geplant. Dumbledore war von einem Zauber Voldemorts schon seit Beginn des Schuljahres verletzt. Es war nur eine Frage der Zeit.“ Kurz sah er Malfoy an. „Snape hat ihn auf seinen eigenen Wunsch getötet, nicht wegen dir.“ Mehr sagte er nicht mehr. Stattdessen wandte er sich ab und ging in Richtung Ministerium davon. Doch vorher sah Draco noch, dass eine dünne Schramme seinen Haaransatz zierte. Von ihrem vermeidlichen Duell? Wieso hatte ihm Harry gesagt, was er gesagt hatte? Wieso hatte er ihn nicht angeklagt, dafür, dass er ihn angegriffen hatte? Doch dann wurde ihm klar, dass es aus demselben Grund war, warum er es dabei belassen hatte: Der Krieg war vorbei. Die Zeiten hatten sich geändert. Und wer sich nicht mit der Zeit änderte, würde untergehen. Voldemorts Zeit war vorbei und so würde auch sein Hass Stück für Stück verschwinden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)