Nullpunkt von Memphis ================================================================================ Kapitel 27: Alles klar für die Evakuierung der Seele. ----------------------------------------------------- „So, du gehst wieder auf eine Mappenberatung?“ Und plötzlich ging Nico wieder neben mir her, als wäre nie etwas gewesen. Einfach so. Es war Freitagnachmittag und ich war erstmal viel zu perplex von seiner Anwesenheit, um darauf zu reagieren. „Ja“, antwortete ich verspätet und mit einem verwirrten Ton. Warum redete er wieder mit mir? Sollte ich irgendwas tun, damit er es auch weiterhin tat? Was intelligentes sagen oder ihm zumindest Sex anbieten? Ich war mir aber nicht sicher, ob dafür nicht der Zug schon abgefahren war. „Cool, freut mich. Dir scheint es auch sonst wieder besser zu gehen.“ Mit schlurfenden Schritten ging er neben mir her, starrte auf den dreckigen Boden, als wäre es Zufall, dass er gerade mit mir sprach. „Geht so.“ Ich zuckte unbestimmt mit den Schultern. „Naja, gut, ich werd dann mal wieder.“ Er hob die Hand zur Verabschiedung. Nicht mal ein Lächeln im Gesicht für mich. Ich schaute ihm zu, wie er ging. Seine Hände in den Hosentaschen, die Haare verstruppelt kurz und der Gang entnervend langsam. „Hey, Nico, warte mal.“ Er drehte sich um, einen fragenden Blick im Gesicht. War er überrascht, das ich ihn zurückhielt, wollte er nicht genau das provozieren? Wir standen uns gegenüber und schwiegen. Ich müsste ihm jetzt alles sagen. Ich kaute auf meinen Nägeln und er starrte mich ungeduldig an. „Schau mich nicht so an! Du weißt genau, dass mich das schwach macht.“, stieß er plötzlich aus. Er seufzte und fuhr sich durch die Haare. Ich grinste ihn an. Er stand nach wie vor auf Elend, also folglich auch auf mich. „Willst du noch mit zu mir?“, fragte ich schließlich. War mir der Antwort sicher. „Nee, sorry. Toby wartet schon auf mich.“ Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Er konnte doch nicht im einem Moment sagen, dass er noch immer eine Schwäche für mich hatte und im nächsten einfach alle Hoffnungen zerschmettern. „Okay, kein Ding.“ Lüge, schrie es. Gott, scheiß verdammte Lüge. Aber was blieb mir übrig? Ich sollte das bisschen Würde, das ich noch hatte, zusammen kratzen und jetzt einfach gehen. Tat ich auch. „Vielleicht demnächst?“, hörte ich noch in meinem Rücken. „Nee, lass mal.“ Chance für uns vorbei, verkocht, nicht mehr genießbar. Das Leben war Scheiße und warum musste ich so ein Idiot sein, der immer erst alles zu spät registriert? Ich machte auf den Weg nach Hause noch einen Umweg über den Baumarkt. Es gab da Dinge, die ich schon zulange aufgeschoben hatte. Bewaffnet mit einem Kübel weißer Farbe, einem Spachtel für die kaputte Tapete und einer Farbrolle betrat ich die Wohnung. Es brachte nichts, sich noch etwas vorzumachen. Das mit Nico war Geschichte und je schneller ich ihn aus meinem Leben radierte, desto besser. Außerdem brauchte der Raum schon seit langem eine Renovierung. Ich sollte es als einen Art Neustart sehen. Alles raus. Alles neu. So wie es Nico mit mir gemacht. Gott verdammt, die ganze Scheiße ist gerade mal ein paar Tage her und er hatte schon wieder einen neuen Idioten gefunden? War wahrscheinlich der gleiche Typ, mit dem ich am Telefon gesprochen hatte. Toby? Ich kannte den Kerl nicht mal, Nico hatte ihn nie erwähnt. Wäre auch schön blöd von ihm gewesen. Anderseits haben Nico und ich uns selten über irgendwas unterhalten. Die meiste Zeit haben wir eh nur gevögelt. Perfekte Grundlage. Für was? Ich sollte definitiv dieses Wochenende weggehen. Ich stellte den Farbkübel in das abgefuckte Zimmer und ging dann wieder in Flur um Eddy anzurufen. Müsste auch schon Feierabend haben. Am Mittwoch hatte er gemeint, dass wir am Wochenende eventuell was machen könnten und es wäre eine gute Gelegenheit sich gepflegt mit ihm zu besaufen. Routiniert tippte ich seine Telefonnummer ein und lauschte schlecht gelaunt dem Freizeichen. Ich hoffte wirklich, dass er das Wochenende Zeit hatte. Ich wäre so unendlich genervt, wenn ich mich die ganze Zeit mit Scheiß Gedanken an Nico quälen müsste. Musste definitiv nicht sein. „Neufelder, hallo?“ Eddy klang verplant. Kam sowieso selten vor, dass er mal selbst ans Telefon ging. „Ich bin´s. Wie siehst aus mit Party dieses Wochenende?“, kam ich gleich zum Punkt. „Wäre cool. Im Dexter ist heute Happy Hour.“ „Cool. Holst du mich ab?“ Ich lag sowieso auf dem Weg ins Dexter. War auch schon länger her, das ich dort war. Coole Studentenbar, viele ältere Mädels und gute Preise. Was wollte man mehr? „Joh, bis dann.“ „Bis dann.“ Ich mochte Telefongespräche mit Eddy, die waren einfach und nicht entnervend. Jetzt müsste ich nur noch das Zimmer bis dahin gestrichen bekommen. Naja, Eddy würde frühstens um neun vorbei kommen, also hatte ich noch ein paar Stunden Zeit. Auch wenn das Tapeteabschaben etwas langwierig werden könnten. Aber wenn man sich schon mal die Arbeit machte, sollte es schon gründlich sein. Erstmal umziehen. Ich hatte schon genug Klamotten, die voll mit Farbflecken waren, ich brauchte nicht noch mehr davon. Außerdem fühlte man sich erst in abgeranzten Klamotten so richtig arbeitswürdig. Mit gemischten Gefühlen machte ich mich an die Aktion Zimmerrenovierung. Ich hatte noch von meinem Zimmer in Erinnerung, dass es höllennervige Arbeit war, die Tapete ordentlich von der Wand zu schaben und irgendwie hatte ich darauf gerade nicht wirklich Bock. Allerdings wollte ich das etwas voran ging und das funktionierte nur, wenn man etwas tat. In Bewegung bleiben, Alter. Ich hatte gerade mal ein paar Fetzen von der Wand bekommen, als mich schon wieder die Lust verließ. Es war einfach langweilig. Ich spielte mit dem Gedanken, mir den Fernseher anzumachen und ganz laut zu drehen, um ihn hier zu hören. Allerdings war die Idee auch nicht so der Hit. Frau Kammerer musste nicht wissen, dass ich mir tatsächlich Nachmittagsfernsehprogramm reinzog. Am Ende sprach sie mich wieder auf irgendwelche Probleme an, die ich ganz offensichtlich hatte, aber nicht zugeben wollte. Ich puhlte etwas unmotiviert an einem Tapetefetzen herum, der dafür sorgte, dass ich plötzlich ein ordentliches Stück von dem gemalten Nico abriss, quer über den Schritt. Ich hatte ihn kastratiert. Irgendwie verstörte mich der Gedanke gewaltig. Wer hätte gedacht, dass das so nervenaufreibend werden würde? Vielleicht sollte ich mir erstmal einen Joghurt holen. Nahrung war wichtig. Das hatte mittlerweile selbst ich verstanden und besonders viel hatte ich heute nicht gegessen, außer den Pommes auf dem Weg nach hause. Ich löffelte den Becher in der Küche leer und spülte sogar noch den Löffel ab, einfach um mich noch ein bisschen vor der Arbeit zu drücken. Mittlerweile kam ich sogar besser zurecht mit den basischen Lebensmitteln. Ich kaufte einfach nur das, was Nico immer für mich besorgt hatte und wenn nichts anderes da war, konnte man auch keinen Scheiß essen, der einen ständig kotzen ließ. Die Tabletten hatten auch ganz gut angeschlagen und mittlerweile vermisste ich den Kaffee auch kaum noch. Nur manchmal erwischte ich mich noch, wie ich im Supermarkt vor dem Löskaffee stand und mit mir haderte. Kaffee und Kotzen? Kein Kaffee, dafür aber keinen Kaffee haben? War nie eine besonders leichte Entscheidung und ich musste gestehen, dass ich mir ein Instant-Milchkaffee-Pulver gekauft hatte, nur so für den Notfall. Eigentlich konnte ich mir doch einen anrühren, oder? Es war ja sowas wie Notfall. Naja, zumindest hatte ich den Kaffee als Motivationsschub nötig. Während ich mir das Getränk anrührte, fiel mein Blick auf das kleine Radio, das meine Oma immer beim Kochen angehabt hatte. Den hatte ich längst vergessen, was wohl auch daran lag, dass ich selten Musik hörte. Aber jetzt war es eine gute Alternative, als sich in der Stille mit der Arbeit rumzuquälen. Mit dem Milchkaffee in der linken und dem Radio in der rechten Hand begab ich mich dann wieder zum Raum des Grauens. Ehrlich, es war ein eigentlich ein Wunder, das ich das Zimmer ohne irgendwelche totalen Psychosen betreten konnte. Ich stellte den Milchkaffee auf das Fensterbrett, das Radio daneben und steckte ihn ein. Ich hoffte nur, es kam irgendein Sender rein, der nicht nur Volksmusik spielte. Tatsächlich fand ich etwas, das Musik abspielte, die einem nicht permanent auf den Zeiger ging. Das tat es in jedem Fall. Ich drehte das Radio auf eine angenehme Lautstärke und hoffte, dass ich dadurch mehr Bock hatte, tatsächlich etwas zu machen. Hm, ich könnte die Arbeit ja mit meiner Mappe verbinden. Von der Wand alle zehn Minuten ein Bild machen, um den Fortschritt zu zeigen und das Ganze würde ich dann unter „Renovierung Leben“ nennen. Genial. Ich ging die Spiegelreflexkamera und einen Stuhl holen, um sie darauf zu legen. War ein trauriger Stativ-Ersatz, aber etwas besseres hatte ich leider nicht. Noch ein Foto von der Wand in ihrem aktuellen Status und dann konnte mich eigentlich nichts mehr aufhalten, außer ich mich selbst. Naja, mit der Musik lief es dann tatsächlich um einiges besser. Und die Werbesendungen machten mich so aggressiv, dass es nur förderlich für das Abschaben von Retro-Tapete sein konnte. Das mit den alle zehn Minuten fotografieren vergaß ich irgendwie und beschloss, es müsste schon reichen, wenn die Bilderreihe nur aus fünf Bilder bestehen würde. Man verstand ja, um was es ging. Und Hauptsache ich machte ein paar Fotos. Langsam fand ich das Fotografieren auch gar nicht mehr so schlimm und es war einfach auch wichtig für meine Mappe. Man hatte wenig Chancen, wenn man sich in seiner Bewerbungsmappe nur mit einem Medium auseinandersetze. Idealerweise sollte ich am besten noch einen abgedrehten Film drehen, in dem ich nackt und schreiend durch die Gegend rannte, einen sozialkritischen Comic zeichnen, Müll schmelzen, einfach weil sowas toll aussehen musste und keine Ahnung, was für die alles Kunst war. Ich begnügte mich momentan noch mit den etwas konventionelleren Sachen wie Malerei – auf Handtüchern! - Fotografieren von meinem erbärmlichen Leben und einen Menge an Zeichnungen und Skizzenbücher. Aber noch hatte ich Zeit, es waren immer noch fünf Monate bis zum Abgabetermin. Anderseits würde ich in der Zeit auch mal mein Abitur schreiben, mit dem ich mich vielleicht auch mal auseinander setzen sollte. Immerhin sorgte das erst dafür, dass ich überhaupt studieren konnte. Zum Glück war der Schnitt egal. Was besseres als eine 3,2 würde ich in meinem Abizeugnis nämlich nicht schaffen. Egal, Hauptsache Abi. Eigentlich überraschend, dass mein Leben gerade gar keine riesige Katastrophe war. Vielleicht kam es mir immer noch ein bisschen so vor. Ich war nicht unbedingt super glücklich. Aber das Leben fühlte sich anders an, wenn man plötzlich wieder Perspektiven sah. Demnächst müsste Eddy vorbei kommen. Wir würden weggehen, vermutlich noch ein oder zwei Kumpels von ihm dort treffen, so dass es egal war, wenn ich dann irgendwann mit einem Mädchen verschwinden würde. Vielleicht war Angelika dort, ich wusste noch, das sie gerne im Dexter rumhing, zumindest hatten wir da mal miteinander rumgeknutscht. Angelika war ganz sympathisch gewesen, der Sex befriedigend. Mehr brauchte ich im Moment nicht. Hoffte ich. Kurz dachte ich an das Gespräch von heute Mittag mit Nico. Vielleicht demnächst? War das ein Angebot gewesen, das ich abgelehnt hatte? Ja, war es. Aber er hatte schon einen Kerl, auf den er mich unbedingt hinweisen musste. Toby. Was das schon für einen Namen war! Ich war mir jedenfalls zu schade, um als irgendein Notnagel herzuhalten, wenn der aktuelle Lover von ihm mal keinen Bock auf ihn hatte. Wahrscheinlich war der auch genervt von Nicos Bissen, wenn sie... Gott, Enno, reiß dich zusammen und mach dich nicht so fertig! Tu nicht so, als wäre dir nicht klar gewesen, dass er auch mal mit anderen Kerlen Sex hatte! Ich schabte den letzten Rest der Tapete weg. Hatte von mir eine häßliche, abgerissene Wand in frustrierend braun. Ganz entzückend. Nicos Gesicht war noch zu sehen, das hatte ich auf die bloße Wand gemalt. Noch immer war sein Blick auf die Tür gerichtet. Zum Glück würde das Weißeln schnell gehen. Vielleicht eine halbe Stunde, dann hatte ich noch Zeit genug zu duschen, auch wenn die Mädchen bestimmt total auf meinen animalische, männlichen Schweißgeruch standen. Naja, wie auch immer. Ich legte den Boden behelfsmäßig mit Zeitungspapier aus dem Altpapier aus. Ha, genau deshalb ich das schon seit Wochen nicht runter gebracht. Genau deswegen und aus keinem anderen Grund. Ich öffnete den Farbkübel und erinnerte mich wieder daran, dass ich den Geruch von Farbe nicht mochte. Naja, egal, was sein musste, musste sein. Ich tunkte die Rolle in die weiße Farbe, streifte etwas von der überschüssigen Farbe ab und strich dann mit einer großzügigen Bewegung über Nicos Gesicht. Es war kein Gefühl der Erleichterung, wie ich es mir erhofft hatte, aber auch kein Bedauern. Zumindest war es keine Kastration! Allerdings sah man Nico immer noch leicht durch die Farbe schimmern. Verdammt, ich hatte keinen Bock, mehrere Schichten zu streichen! Nicht mehr heute. Aber darauf würde es hinauslaufen, als ich weiter strich stellte ich fest, dass das Braun der Wand fast überall noch durchleuchtete. So ein Mist aber auch! Eigentlich hätte ich mir das denken können. Es war immer mehr Arbeit sein Leben auf Vordermann zu bringen, als man zunächst dachte. Wäre ja zu schön, wenn etwas ganz leicht funktionieren würde. Das Türklingen riss mich aus meinen Gedanken. Verdammt, Eddy war zu früh! Ich war noch nicht mal ganz mit der ersten Wand fertig. Ich hatte gerade mal Nico leidlich überstrichen. Noch voll mit Farbe auf Klamotten und Hände rannte ich in den Gang, drückte das Schlüsselsymbol, öffnete die Wohnungstür und ging wieder zurück in den Raum. Ich wollte zumindest noch die eine Wand fertig kriegen, bevor wir los gingen. Solange musste Eddy einfach warten. Außerdem müsste er es ganz toll finden, wenn ich irgendwelche gruseligen Gemälde von Exlover übermalte. Und er hatte diesmal sogar Musik! Zwar nur Radiomusik, aber immerhin. Ich strich weiter verbissen die Wand, hörte die Tür knarren, als er die Wohnung betrat. Er würde schon von alleine rausfinden, in welchem Raum ich war. Ich schaute auf, als er dann das Zimmer betrat. Weiße Farbe tropften auf meine Socken, als ich wie erstarrt zur Türe starrte. Aber ehrlich, das war mir im Moment so egal. „Äh... hey“, stammelte ich unbeholfen, fühlte mich rundweg unattraktiv und voller Farbe. „Hey.“ Nico grinste mich an, musterte mich von oben bis unten. Ich wusste nicht was ich sagen oder tun sollte. Ich mein, Nico stand hier einfach da, als wäre er nie weg gewesen. „Du renovierst?“ „Ja, war nötig.“ Wir schauten beide auf die Wand, die immer noch aussah wie das Vergewaltigungsopfer eines verrückten Künstlers, was in dem Fall wohl ich war. Warum redeten wir gerade darüber? Und was zur Hölle wollte er hier? Würde er wieder gehen, wenn ich ihn das fragte? „Hätte nicht gedacht, dass du mich so schnell überstreichst.“ „Du hast dich also erkannt?“ Irgendwie war ich schon etwas überrascht darüber, da ich ihn doch auf eine etwas expressionistische Art dargestellt hatte, wenn man von seinem Gesicht absah. „Klar, fand ich verdammt gruselig“, erklärte er mir ehrlich. Noch immer schauten wir die Wand an, nicht uns. „Verständlich.“ War es so gesehen auch irgendwie. Aber ich hatte zu dem Zeitpunkt Fieber und war allgemein geistig nicht zurechnungsfähig. Ich hätte bestimmt weitaus schlimmere Dinge tun können, wie zum Beispiel mein Ohr abschneiden und ihm zu schicken. Aber wer wollte schon van Gogh sein? Außerdem sah ich mit Ohren bedeutend besser aus. „Aber irgendwie sexy. Eigentlich schade, dass du es überstrichen hast.“ Plötzlich tauchte dieses dreckige Grinsen auf seinem Gesicht auf und traf mich mit voller Wucht. Seine Augen blitzen in meine Richtung. Immer wenn er mich so ansah, lief es auf Sex hinaus. Ich fühlte mich wie ein pawlowscher Hund, der allein bei seinem Blick scharf wurde. Verdammt. „Ich könnte dir mein Ohr geben!“ Oh Gott, Ennoah, was redest du da?! Ich musste den Impuls unterdrücken mir die Farbrolle gegen den Kopf zu schlagen, vor lauter Dummheit. Ohren, wer wollte hier über Ohren reden? Aber das war das einzige, was mir dazu eingefallen war und nichts damit zu tun hatte, ihm die Klamotten vom Leib zu reißen. Dafür war gerade definitiv nicht der richtige Zeitpunkt. Wir sollten reden. „Weiß nich, ich hatte es nie so mit van Gogh. Zu viele Sonnenblumen und so.“ Er zuckte mit den Schultern, lächelte aber leicht. So sah ein Besitzer seinen Welpen an, der ihm gerade begeistert einen ekligen, vermoderten Ast vor die Füße legte und begeistert mit dem Schwanz wedelte. Ich wusste nicht, ob ich mich von diesem Blick geschmeichelt fühlen sollte. Eher nicht. „Und er war verrückt“, fügte ich noch hinzu. Wobei verrückt vielleicht auch manchmal auf mich zu traf, auf eine sehr negative Ohr abschneidende Art. „Naja, der Untergang vieler großer Männer waren Frauen.“ Nico lehnte sich lässig gegen den Türrahmen. Noch immer trennten uns gefühlte tausend Kilometer, auch wenn es nur ein paar unüberwindbare Schritte waren. „Ach, deswegen bist du schwul?“ Würde zu ihm passen. Er hatte sich eine Rechnung gemacht und festgestellt, dass er mit Männern besser dran war, weil die nicht plötzlich schwanger wurden und sowieso von der Geschäftswelt bevorteilt wurden und später mehr verdienen würden, als eine Frau. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass ich in diese Rechnung nicht mit einkalkuliert war. Ich kostete mehr Nerven als es eine schwangere Frau jemals könnte und irgendwie hatte ich meine Zweifel, dass ich als Künstler jemals zu großen Reichtum kommen würde. Trotzdem stand er hier. „Jub. Und naja, schau dich an. Du bist so mit Abstand der kaputteste Mensch, den ich kenne und auch der, der mit den meisten Frauen was hatte.“ Er sah selbstgefällig aus, weil seine Argumentation schlüssig klang. „Dann bist du jetzt also mein Retter?“ Kurz schlug mein Herz schulmädchen-like schneller. Er hatte mich zwar gerade irgendwie beleidigt, aber es war Nico. „So sieht´s aus.“ Er lächelte wieder, stieß sich vom Türrahmen ab und kam auf mich zu. Ich stand immer noch mit der Farbrolle da, hatte mir die Socken versaut und wusste im ersten Moment nicht, wohin mit diesem dummen Ding in meiner Hand, damit es mir nicht im Weg war, mich retten zu lassen. Ich fand, dass der Boden mit den Zeitungspapier okay war und pfefferte das Ding einfach hin. Nico lachte über diese Aktion. Ich verdrehte nur die Augen. Er konnte so nervig sein. Ich packte ihn an seiner Jacke, die er noch nicht abgelegt hatte und zog ihn grob zu mir. Ich hatte mich schon genug zum Affen gemacht, jetzt wollte ich, was mir zustand. Er erwiderte meinen stürmischen Kuss, in dem er mich leicht in meiner Unterlippe biss, daran saugte. Etwas, was normalerweise ich machte, weil seine Piercings einfach dazu einluden. Ich überzeugte ihn aber davon, dass meine Lippen nur halb so interessant waren, wie meine Zunge und konnte spüren, wie er in den Kuss hinein grinste. Egal, durfte er sich eben selbstgefällig und triumphal fühlen. Meine Hand fuhr durch seine kurzen Haare, sorgte dafür, dass er den Kuss nicht so schnell abbrechen würde und das sich weiße Farbe darin verteilte. Egal. Alles egal. Gott, war ich happy, dass er hier war. Schließlich löste ich den Kuss vorsichtig. Verwundert schaute er mich an, schien sich zu fragen, was das jetzt sollte. „Ich muss Eddy anrufen!“, erklärte ich wenig hilfreich. „Äh, also das wollte ich jetzt definitiv nich hören.“ Er verschränkte die Arme und ich verdrehte die Augen. „Gott, ich muss ihm nur erklären, dass ich heute doch keine Zeit habe.“ Ich konnte mir was besseres vorstellen, als mit Nico in flagranti erwischt zu werden. Darauf würde es nämlich hinauslaufen, weil ich Nico jetzt definitiv flach legen wollte, sowas von. Und danach war ich bereit ihm alles zu geben, was er haben wollte. Ohren, Arme, Beine... Hm, naja, vielleicht nicht gerade meine rechten Arm, den brauchte ich noch zum Zeichnen, so mit der Hand dran und allem. Aber so vom Prinzip her, alles. Auch das Zugeständnis, das er wollte, das mit der Beziehungführen und allem. Ich wählte schnell Eddys Nummer. Nico beobachtete mich, wie ich da im Flur stand und auf das verdammte Freizeichen wartete. „Neufelder, hallo.“ Eddys Mutter hob ab. „Hey, hier ist Enni. Ist Eddy noch da?“, fragte ich etwas gehetzt. Nico grinste mich schon wieder so an, und machte gerade seine Jacke auf. Nicht das sich darunter irgendwas attraktives verbarg, außer einem abgewetzen T-Shirt. Aber Nico mit weniger Klamotten war definitiv besser, als mit mehr. „Ja, soll ich ihn rufen?“ „Nein, ist nicht nötig. Können Sie ihm einfach sagen, dass ich heute doch keine Zeit habe? Danke.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten und im vollen Bewusstsein, dass das schlichtweg unhöflich war, legte ich wieder auf. Sie würde das schon weiter leiten. Mit einem Nicken in Richtung des Schlafzimmers machte ich klar, wohin Nico und ich jetzt definitiv verschwinden würden. Mit einer befriedigenden Müdigkeit betrachtete ich Nico, der neben mir auf dem Rücken lag und eine rauchte. Nur das eine Mal durfte er das. Heute war einfach Ausnahmetag für alles. Mit einem Grinsen stellte ich fest, dass er weiße Streifen von Farbe auf sich hatte. Vielleicht hätte ich vor der ganzen Sache noch duschen sollen, aber an so etwas dachte man auch nicht mehr im Hormonrausch. „Was is?“, fragte er mich, schaute zu mir herüber. Ich lag auf dem Bauch, stützte mich aber dann mit die Ellenbogen ab, um ihn besser ansehen zu können. Verdammt, ich war gerade richtig glücklich. Ich grinste ihn breit an. „Sag mal, wie bist du eigentlich auf die Idee gekommen, Chancen bei mir zu haben? Wenn ich doch mit so vielen Mädchen was hatte...“ Das hatte ich mich schon ein paar Mal gefragt. Wie war Nico eigentlich auf mich gekommen, von all den Menschen? „Keine Ahnung, ich dachte einfach du hast keinen hohen Standard, wenn es darum geht, was zu nageln.“ Er zuckte nur mit den Schultern und zog an der Zigarette. Ich sah ihm aber an, dass er sich freute mir einen Seitenhieb unter der Gürtellinie verpasst zu haben. „Hey, ich hatte nur Sex mit wunderschönen Frauen! Naja, meistens.“, protestierte ich. Tz, keine hohen Standards! Ich würde nicht jede oder jeden nehmen! Eigentlich sollte sich Nico geehrt fühlen, dass ich überhaupt bereit war mit ihm Sex zu haben! „Naja, aber für dich war es doch offensichtlich kein emotionales Ding, oder?“ „Klar, aber ich hätte auch hetero sein können, oder nicht?“, wand ich ein. Nico zuckt nur mit den Schultern. „Bei dir waren die Chancen besser, als bei dem Typ aus dem SportLK.“ „Wen meinst du?“ Ich hatte keine Ahnung, von wem er sprach. „Der Typ, der immer so abgefuckt aussieht.“ „Da gab es viele. Warte, halt mal. Ich war nur zweite Wahl?!“ Erst jetzt sickerte die Erkenntnis zu mir durch. „Tja...“ Er grinste mich breit an und blies mir dann Zigarettenrauch entgegen. Mit einem gezielten Tritt beförderte ich ihn aus dem Bett. Er brauchte sich gar nicht soviel darauf einzubilden, dass ich ihn auf seine arrogante, selbstgefällige Art total scharf fand und ihn irgendwie echt mochte. Gar nichts. Aber eigentlich eine ganze Menge, weil er der einzige Mensch war, dem ich so nah sein wollte, dass ich ihn aus meinem Bett schmeißen konnte. Ende ----- So, das wars vorerst. Ich hoffe, ihr seid jetzt glücklich! XD Das Nachwort mit ein paar Infos, die euch vielleicht interessieren könnten, findet ihr in meinem Weblog. XD Übrigens werden noch ein bis drei Kapitel als Epilog hochgeladen, die sich aber mehr auf die einzelnen Charaktere beziehen, die nicht Enno sind, und ihr Leben bis Nullpunkt. Und dann wird es hoffentlich ab Herbst eine Fortsetzung geben. xD So, Danke fürs Lesen. Ihr habt mich mit eurem Interesse an meiner Story, sehr, sehr glücklich gemacht. Ehrlich Leute. *_* Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)