Die vier Phasen von JinShin ================================================================================ Kapitel 4: Rekonvaleszenz ------------------------- Noch nie in meinem Leben ist es mir so schlecht gegangen. Und der einzige Mensch, der bei mir ist, ist ausgerechnet der, dem ich das zu verdanken habe. Ich kann die Tränen einfach nicht mehr zurückhalten. Ich weine und heule und schreie, als er mir diesen erneuten Schmerz zufügt, und kann nicht mehr damit aufhören. Schlimmer als der Schmerz ist das, was er da tut – sich in mich einbrennen. Mich als sein Eigentum brandmarken. Als wäre ich nur ein Stück Vieh. Der ekelhafte Gestank von verbranntem Fleisch steigt mir in die Nase, und Pascal zieht meinen Kopf auf seinen Schoß und streichelt mir über die Haare und murmelt tröstende Worte. Der ist doch wirklich total verrückt! Erst fügt er mir diese Qualen zu, und dann tut er plötzlich so liebevoll? Ich will das nicht. Seine Berührung ist mir zuwider. Aber was soll ich tun? Meine Arme sind noch immer an meine Füße gebunden. Ich kann ihm nicht einmal in die Hand beißen. Ich kann gar nichts tun. Nur weinen, weinen, weinen, bis ich so erschöpft bin, dass ich nicht mal mehr das kann. Und selbst jetzt lässt er mich nicht in Ruhe. „Toshio, so kannst du hier nicht liegen bleiben.“ Ach? „Du hast dich beschmutzt...“ Wer hat hier wen beschmutzt! „… und ich muss deine Wunden versorgen.“ Seine freundliche Stimme kann er sich auch schenken. Seine Fürsorge kauf ich ihm sowieso nicht ab. Er löst die Fesseln, und das wäre vielleicht meine Chance gewesen, mich endlich gegen ihn zur Wehr zu setzen, aber ich kann einfach nicht mehr. Außerdem explodieren meine Finger, als er meinen Arm nach oben streckt. Und dann ist es schon vorbei, und er macht meine Hände irgendwie oben an meinem Nacken fest. Ich ziehe probehalber und merke ein leichtes Würgen am Hals. Ist das ein Halsband? Ich bin doch nicht sein Haustier! Es kommt aber noch schlimmer. Er hakt eine Kette an das Halsband und erwartet allen Ernstes von mir, dass ich aufstehe, um mit ihm ins Bad zu gehen. Wie soll ich das denn schaffen? Ich komme nicht mal ohne seine Hilfe hoch! Und meine Füße zucken schon zurück, als sie nur den Boden berühren, wie sollen die mich denn tragen? Gar nicht, stelle ich gleich fest, als er mich gnadenlos hochzieht und mir sofort vor Schmerz die Beine unter mir wegknicken. Er greift mir unter die Arme und verhindert, dass ich umkippe. Ich gebe schon wieder diese winselnden Töne von mir, die ich noch nie zuvor gehört habe. Aber die Schmerzen sind einfach unerträglich! Seine Stimme passt gar nicht zu dem, was er tut. „Ist ja gut, Toshio, ich weiß, das tut weh, aber ich muss dich sauber machen, und es ist ja nicht weit…“, sagt er aufmunternd. Und schleift mich auf Knien über den harten Boden mit sich, weil ich mich freiwillig nicht in Bewegung setze. Danke auch. Die Knie hatten bislang noch nicht wehgetan. …ist ja nicht weit… Gestern fand ich das auch noch. Die paar Schritte über den Flur habe ich mit Leichtigkeit geschafft. Jetzt jedoch ist es eine endlose Tortur, und im Bad angekommen gerate ich plötzlich in Panik, keine Ahnung warum. Meine Sachen liegen da gar nicht mehr, dieser achtlos dahin geworfene Haufen Stoff, dessen Anblick mir jedoch irgendwie Sicherheit gegeben hätte. Meine Sachen sind weg! Ich flippe total aus, und Pascal hat Mühe, mich in die Duschwanne zu zerren. Irgendwie bin ich mit einem Mal überzeugt davon, dass er mich nur ins Badezimmer gebracht hat, um mich hier abzuschlachten, dieser Psychopath, schön in der Duschwanne, damit das Blut ordentlich und sauber abfließen kann und seine schicke Wohnungseinrichtung nicht ruiniert. Er schlingt die Kette um den Wasserhahn, und dann zieht er mich an sich und sagt Worte, die ich nicht verstehe, als würde er auf einmal Suaheli sprechen. Dann weiß ich nichts mehr. Als ich wieder wahrnehme, liege ich schon wieder in dem Bett. Die Hände sind mir über Kopf zusammengebunden, und als ich mich bewege, höre ich eine Kette leise klirren. Sogleich hat der Schmerz mich wieder im Griff, fließt in heißen Wellen durch meine Glieder, lässt mich unkontrolliert zittern und stöhnen. Anders ist es einfach nicht auszuhalten. Eigentlich ist es gar nicht auszuhalten. Am schlimmsten ist die Hand. Und die Füße. Ich habe das Gefühl, jeden Moment verrückt zu werden. Pascal ist schon wieder an mir zugange. Wann hat er endlich genug? Er schiebt seinen Finger in meinen Po, und der helle Schmerz, den das macht, fährt wie ein Ruck durch meinen gesamten Körper. Ich schreie auf. „Scht, schon gut, schon gut.“ Sein Tonfall ist immer noch sanft und liebevoll. Ich werde aus dem nicht schlau. „Das ist nur ein Zäpfchen gegen die Schmerzen, gleich geht es dir besser. Das tut nur so weh, weil dein Schließmuskel ein wenig eingerissen ist. Aber das ist bald wieder in Ordnung.“ Er fingert noch ein wenig da unten rum, aber diesmal ist es nicht so schlimm, sondern angenehm kühl. Dann streichelt er über meinen Rücken. Ich zucke zusammen und versuche, der Berührung auszuweichen. Er soll das lassen! Er packt mein Haar und zieht meinen Kopf herum zu sich. Au, das tut weh! Aber er sieht auch ein wenig mitgenommen aus. Seine vorher so tadellose Kleidung zeigt dunkle Wasserflecken und ein paar Haare haben sich aus seinem Zopf gelöst und hängen ihm nun wirr ins Gesicht. „Jetzt hör mir mal gut zu, mein Süßer.“ Jetzt klingt er nicht mehr ganz so freundlich. „Mit deiner kleinen Aufführung da gerade in der Dusche hast du dir schon ganz schön was geleistet, aber dafür werde ich dich später bestrafen, genauso wie dafür, dass du hier ins Bett gepinkelt hast.“ Davon hab ich gar nichts mitbekommen. Da kann ich doch gar nichts für! Diese Ungerechtigkeit und die Angst, die das Wort „bestrafen“ in mir auslöst, treiben mir schon wieder Tränen in die Augen. „Aber ich lasse mir von dir nicht gefallen, dass du vor meinen Berührungen zurück zuckst, als fändest du mich Ekel erregend. Falls du das bis jetzt noch nicht verstanden hast, sage ich dir das noch einmal in aller Deutlichkeit: Dein Körper gehört jetzt mir, und ich darf dich anfassen und mit dir machen, was ich will. Dein Wille zählt hier gar nichts mehr, du bist ein Nichts, und dein einziger Daseinszweck ist es von nun an, mir zu dienen und mir Freude zu bereiten. Je schneller du das begreifst und dich fügst, umso besser für dich.“ Seine Worte machen mich schon wieder wütend. Ich bin kein Nichts, und ich werde mich ihm niemals fügen, denke ich. Niemals werde ich dir gehören! Niemals! Obwohl ich noch die Tränen in meinen Augen spüre, sehe ich ihn standhaft an und lege alle Verachtung, die ich für ihn empfinde, all die Wut über das, was er mir angetan hat, und alle Arroganz, die ich noch aufbringen kann, in diesen Blick. Wenn er wüsste, wie oft ich diesen Blick schon als Kind geübt habe! Und es funktioniert. Selbst jetzt. Ich sehe, wie sich seine Augen zornig verschmälern. Und dann bereue ich zutiefst, was ich getan habe. Denn er greift nach der Augenbinde, die noch seit der Nacht auf dem Tischchen neben dem Bett liegt. Nein… „Dein Körper gehört jetzt mir“, wiederholt er eiskalt. „Und zu sehen ist ein Privileg, das du dir von nun an erst wieder verdienen musst.“ Es wird dunkel. Irgendwann muss ich tatsächlich eingeschlafen sein. Das Zäpfchen hat die Schmerzen zwar nicht genommen, aber sie auf ein einigermaßen erträgliches Maß reduziert, und es hat mich schläfrig gemacht. Pascal hat meinen bebenden Körper an sich gezogen, und ich habe mich nicht mehr getraut, mich gegen ihn zu sträuben. Jetzt spüre ich ihn nicht mehr. Bin ich allein? „Hm-hm?“ Keine Reaktion. Steht er am Bett und amüsiert sich über mich? Oder geilt sich an mir auf? Angestrengt lausche ich nach leisen Atemzügen oder raschelndem Stoff, aber ich höre nichts. Also wage ich es und versuche die verflixte Augenbinde abzustreifen, aber die sitzt bombenfest. Dann probiere ich, ob ich den Knebel irgendwie ab bekomme. Auch Fehlanzeige. Die Fesseln halten ebenso jedem Befreiungsversuch stand; das einzige, was ich erreiche, ist ein Heidenlärm von den Ketten, mit denen meine Hände und Füße am Bett befestigt sind. Zumindest hört es sich für mich total laut an. Ich möchte ja nicht Pascal auf mich aufmerksam machen. Ich bin froh, dass er weg ist! Also liege ich erstmal wieder still und warte ab, dass das wilde Pochen in den Fingern und den Füßen wieder aufhört, das durch mein Gezappel wieder heftiger geworden ist. Nicht nur der Schmerz wütet durch meinen Körper, auch der glühendheiße Hass, den ich empfinde, wenn ich an Pascal denke. Doch ich weiß, der kann sich jederzeit in kalte Angst verwandeln, und die ist tausendmal schlimmer. Ich versuche lieber, an etwas anderes zu denken. Wie spät mag es wohl sein? Patrick wird sauer sein, dass ich unsere Verabredung nicht einhalte. Wie lange wird es dauern, bis sein Unmut zu Sorge wird? Wie lange wird er warten, bis er zur Polizei geht? Und dann? Ich denke daran, was ich aus dem Fernsehen weiß: achtundvierzig Stunden warten sie, bis sie mich überhaupt als vermisst annehmen. Achtundvierzig Stunden, das sind zwei Tage. Zwei lange Tage. Und dann? Wie sollen sie mich hier überhaupt finden? Niemand weiß, dass ich mit diesem Mann mitgegangen bin. Kein Mensch hat uns gesehen. Oder doch? Vielleicht habe ich nur niemanden bemerkt. Aber wie es aussieht, muss ich mich besser selbst befreien. Aber wie? Mein Handy ist unerreichbar. Mein Handy! Sie können mich über mein Handy orten! Aber den Gedanken kann ich schnell wieder verwerfen. Pascal ist bestimmt nicht so dumm, mein Handy eingeschaltet in seiner Wohnung liegen zu lassen. Die Aussichtslosigkeit meiner Lage raubt mir fast den Atem. Schluchzend ringe ich um jeden Atemzug. Mein Vater kommt mir in den Sinn. Immer hat er sich über mich lustig gemacht. „Was strengst du dich so an?“ hat er mich gefragt. Als ich die Schule zu Ende machen wollte. Als ich studieren wollte. „Du hast keine Chance. Du bringst es sowieso zu nichts.“ Wie habe ich ihn verabscheut für diese Worte. Und wie sehr war er mir Ansporn, ihm das Gegenteil zu beweisen! Ich habe sogar Japan verlassen, um nicht so zu enden wie er. In einer Alkoholwolke, ohne Hoffnung. Und jetzt? Hatte er recht? Hätte ich mir alles sparen können? Wie gern wäre ich jetzt bei ihm… Wäre ich zu Hause geblieben… in dem Mief, in der Trostlosigkeit… aber dann wäre ich jetzt nicht hier… Ach, Papa! Dann würde ich jetzt vielleicht mit dir in einer Pachinko-Halle sitzen mit einem Bier neben mir… Eine plötzliche Berührung an meiner Schulter lässt mich erschrocken aufheulen. Ich hab ihn gar nicht herein kommen hören! Mein Herz setzt fast aus vor Schreck. Aber Pascal macht jetzt wieder einen auf nett: „Du weinst ja schon wieder… du wirst noch an deinem eigenen Schnodder ersticken. Hier, putz dir mal die Nase.“ Zögernd schnäuze ich in das weiche Tuch, das er mir vor das Gesicht hält. Und er wischt mir tatsächlich nur die Nase sauber, ohne mir die Luft abzudrücken. „Willst du was trinken? Du hast bestimmt Durst.“ Ich nicke vorsichtig und höre zu, wie er Flüssigkeit in ein Glas laufen lässt. Mein Mund ist wirklich wie ausgedörrt, und mein Hals kratzt bei jedem Schluckreflex, den mein Körper trotz der Trockenheit ausführt. „Dann mache ich dir jetzt kurz den Knebel ab. Aber nur zum Trinken!“ Es tut weh, als er das Klebeband abzieht, aber das ist nicht so schlimm. Sobald mein Mund frei ist, sprudeln die Worte nur so aus mir heraus: „Bitte, bitte, lass mich gehen, was willst du denn noch, bitte, ich sag auch keinem was, versprochen, aber lass mich gehen, biiiiitte…“ Meine Stimme klingt heiser und dünn und fremd in meinen Ohren. „… ich will auch das Geld gar nicht, ich will nur nach Hause, ich kann nicht mehr…“ Ich fange schon wieder an zu heulen. Zärtlich streichen seine Finger über meine Wange. „Irgendwann werde ich dich vielleicht gehen lassen, kleiner Toshio. Irgendwann, wenn du ohne Strafen bist. Wenn ich weiß, dass du zurück kommst…“ „Ich komme zurück“, beeile ich mich zu versichern. „Ich versprech’s! Ich muss nur kurz nach Hause…“ „Jetzt noch nicht, Toshio. Du bist noch nicht so weit.“ Seine Stimme ist so sanft. Wie kann er nur so sein? „Du kannst dich ja nicht mal an dein Redeverbot halten. Oder habe ich dir erlaubt, zu sprechen?“ „Nein, aber…“ „Das war’s jetzt. Die Strafe hierfür bekommst du, wenn du dich erholt hast.“ Er drückt mir das Band wieder über den Mund. Bestürzt quieke ich auf. Und das Trinken? „Trinken gibt es erst, wenn du Schweigen kannst. Gehorsam, Toshio. Mehr verlange ich nicht von dir.“ Ich höre, wie er das Glas irgendwo neben dem Bett abstellt. Unerreichbar für mich. Die nächsten Stunden sind schlimm. Er hat mir noch ein Zäpfchen gegeben. Die Schmerzen gehen also. Mein Bewusstsein dämmert immer wieder weg. Aber ich zucke bei jeder Bewegung von ihm zusammen. Die Blindheit macht mich so schreckhaft. Obwohl er sanftmütig bleibt. Jedesmal nimmt er mich in den Arm und streichelt mich beruhigend, wenn ich zitternd und weinend wieder zu mir komme. Geduldig flüstert er mir besänftigende Worte zu und lässt mich die Nase frei schnauben. Er hat mich sogar zugedeckt. Und ich lasse mir das gefallen. Ich versuche, mir meinen Widerwillen gegen seine Fürsorglichkeit nicht anmerken zu lassen. Es geht, wenn ich mir vorstelle, es sei Patrick, der mich hält, Patricks Hände, die mich berühren… Patrick, hilf mir! Finde mich, rette mich! Aber immer wieder ist es doch Pascal, der bei mir liegt. Dieses Monster… Ich bin froh, als er endlich aufsteht und mich allein lässt. Ich kann ihn unten im Haus werkeln hören und versuche, mich ein wenig zu entspannen. Das ist gar nicht so einfach, wenn einem fast alles weh tut! Liegen kann ich eigentlich nur auf der Seite, aber das wird mit der Zeit auch unbequem. Vor allem, weil ich meine Arme die ganze Zeit hoch halten muss. Dann ist da der Durst. Meine Gedanken driften immer öfter zu dem Glas, das da noch ganz in der Nähe stehen muss. Ich wusste noch gar nicht, dass Durst so quälend sein kann. Durchhalten, durchhalten, mache ich mir zur Devise. Durchhalten, bis sich die Möglichkeit zur Flucht ergibt. Etwas anderes bleibt mir wohl nicht übrig. Plötzlich höre ich etwas, das mein Herz wild klopfen lässt: Es klingelt! Es hat geklingelt und jemand ist gekommen; ich kann hören, wie Pascal mit jemandem spricht! Eine Männerstimme. Ich drehe mich auf den Rücken, auch wenn sich dadurch das Brandmal auf meiner Pobacke meldet. Ich zerre an den Ketten und brülle um Hilfe, so laut ich kann. Laut ist das freilich nicht. Mehr als „HMM! HMM!“ kommt einfach nicht raus. Trotzdem kann ich nicht anders. Und tatsächlich! Jemand kommt die Treppe herauf! Hoffnung purzelt durch meine Brust und vor Erleichterung kommen mir schon wieder die Tränen, als sich die Tür zu meinem Gefängnis öffnet. Im Rahmen meiner Möglichkeiten versuche ich deutlich zu machen, dass ich nicht freiwillig hier so liege! Ich kann kaum fassen, dass meine Bitten erhört worden sind, dass meine Rettung schon da ist! Ist sie auch nicht. Es ist Pascal. „Tohio, Toshio…“ Seine gefällige Stimme. Die mir so verhasst ist. Ich versinke wieder in meinem Meer aus Verzweiflung. „Möchtest du jetzt etwas trinken?“ Natürlich, du Arsch! Du weißt doch genau, wie lange ich nichts mehr gehabt habe! Ich schlucke meinen Hass hinunter und nicke. Vielleicht ist der andere Mann noch irgendwo im Haus… Oder vor dem Haus, noch in Rufweite. Ich kann es kaum abwarten, bis der Knebel herunter ist. Dann brülle ich, so laut ich kann: „HILFE! HILF-mpf!“ „Du sammelst Strafen, mein Lieber.“ Viel schlimmer ist, was danach kommt. Eine fremde Stimme. Der andere Mann. Meine Rettung. Er ist hier im Zimmer! Er sagt: „Er braucht Flüssigkeit. Soll ich ihm eine Infusion legen?“ Da ist keine Bestürzung in seiner Stimme. Kein Mitleid. Nur diese nüchterne Feststellung. Er ist keine Rettung. Die Hoffnung zerplatzt wie eine Seifenblase. „Nein, verdammt.“ Pascals Stimme klingt verärgert. Ich ziehe verängstigt den Kopf ein. „Er muss das lernen.“ „Aber auf die Art…?“ Der andere lässt sich nicht einschüchtern. Vielleicht doch…? „Ich habe meine Methoden. Ich mache das schließlich nicht zum ersten Mal. Ich habe dich gerufen, damit du ihn mir auf ansteckende Krankheiten untersuchst, und nicht, um mich von dir belehren zu lassen.“ „Ist ja schon gut.“ Nein. Der andere gibt viel zu schnell auf. Der ist überhaupt keine Hilfe. Vor Enttäuschung fange ich jetzt richtig an zu weinen. Ich habe früher nie geweint. Als Kind vielleicht. Jetzt breche ich wegen jeder Kleinigkeit in Tränen aus. Ungerührt führen die beiden das Gespräch weiter, während mir die Decke weggenommen wird und die Verbände abgenommen werden. Er untersucht meine Wunden. Das tut weh! „Hübsch ist er ja. Wo hast du ihn denn her?“ „Aus einem Nachtclub. Er ist Tänzer.“ „Nett. Aber konntest du dir keinen von den Domestizierten nehmen?“ „Er war so schön. Ich musste ihn einfach haben. Du musst ihn dir ansehen, wenn er tanzt. Später dann.“ „Du bringst dich noch in Teufels Küche.“ „Da bringe ich lieber andere hin.“ Die Männer lachen. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Die reden über mich, als sei ich nur ein streunender Kater, den man einfach mit nach Hause nehmen kann. Und was sind „Domestizierte“? „Hier werden Narben bleiben. Ist er gegen Tetanus geimpft?“ „Woher soll ich das wissen? Er hatte keinen Impfpass dabei.“ „Dann mach ich das gleich mit. Ich gebe ihm auch ein Antibiotikum, damit sich nichts infiziert. Hat er was gegen die Schmerzen?“ „Natürlich. Ich bin doch kein Unmensch.“ „Bist du sicher?“ Wieder lachen sie. Widerlich. Ich versuche, nicht mehr zuzuhören. Das ist mir zu entwürdigend. Keine Ahnung, was er mir alles gespritzt hat. Aber nachdem er weg ist, kann ich endlich richtig schlafen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist. Ich unterscheide Tag und Nacht lediglich daran, ob Pascal bei mir liegt. Dann ist es wohl Nacht. Mir sind die Tage lieber, wenn er nur ab und zu vorbei kommt, den Knebel und die Augenbinde kontrolliert und die Fesselung verändert, damit ich nicht immer in der selben Position liege. Trotzdem ist es unbequem, so lange unbewegt zu liegen. Manchmal verpasst er mir eine Spritze in den Bauch. Er wechselt die Verbände und wäscht mich mit einem feuchten Tuch. Aber ansonsten lässt er mich in Ruhe. …ich bin noch gar nicht auf meine Kosten gekommen… Immer wieder versuche ich zu rekonstruieren, wie lange er mich schon gefangen hält. Zehn Tage müssen es schon sein, aber ich bin nicht sicher. Ich zähle die vermeintlichen Nächte, aber manchmal kann ich mich nicht mehr genau an die Zahl vom Vortag erinnern. Außerdem sind die Erinnerungen an die erste Zeit oft sehr verschwommen. Ich muss ganz schön unter Schock gestanden haben. Oder es lag an den Medikamenten. Jedenfalls sind meine Gedanken erst in der letzten Zeit wieder klarer geworden. Die Schmerzen sind viel besser. Langsam habe ich auch nicht mehr das Gefühl, meine linke Hand und meine Füße wären dick wie ein Ballon. Ich kann die Finger schon wieder vorsichtig bewegen. …du hast Glück, dass du an mich geraten bist… Ich bin jetzt auch schön leise und halte den Mund, wenn er mir den Knebel zum Trinken abnimmt und mich füttert. Der Durst hat mich einfach mürbe gemacht. Mein Körper verlangt sein Recht. Aber das bringt neue Probleme mit sich. Denn was ich zu mir nehme, muss ich auch wieder loswerden. …dein einziger Daseinszweck ist es von nun an, mir zu dienen… Er zwingt mich, mich im Liegen zu entleeren, in eine Art Bettpfanne. Am Anfang habe ich mich unglaublich geschämt, und jedes Mal geheult dabei. Inzwischen habe ich mich etwas daran gewöhnt. Schlimmer wäre es, wieder ins Bett zu machen. Ich habe riesige Angst, Pascal zu verärgern. …es hängt von dir ab, wie es dir ergeht… Genauso riesig ist mein Hass. Wenn er nicht da ist und ich mich relativ sicher fühle, werde ich unglaublich wütend auf ihn. Ich vertreibe mir die Zeit damit, ihm alle Schimpfwörter in allen Sprachen zu geben, die ich kenne. …ich verspreche dir, ich mache nichts, was du nicht willst… Lügner! Ich schwanke zwischen Angst und Wut und Hass und Scham und Verzweiflung und habe das Gefühl, dass mich diese Gefühle innerlich zerfressen. …du wirst mich hassen, mich fürchten, aber du wirst mich auch lieben… Dazu kommt diese unglaubliche Langeweile. Ich kann ja nichts tun außer denken, ich kann nicht mal was sehen. Ich liege die ganze Zeit nur herum – meinen Gefühlen, meinen Gedanken, meinem Folterer wehrlos ausgeliefert. …du wirst dich danach sehnen, mich zu sehen… Also versuche ich mich irgendwie abzulenken. Ich zähle bis hundert, auf Japanisch, auf Chinesisch, auf Englisch, auf Deutsch. Dann bis tausend. Und wieder zurück. …dein Körper gehört jetzt mir… Ich gehe die Texte meiner Lieblingslieder durch und übersetze sie in die anderen Sprachen. Im Geiste tanze ich nach ihnen und denke mir neue Choreographien aus. …es scheint dir zu gefallen… Aber immer wieder geistern Pascals Worte durch meinen Geist, verfolgen mich bis in meine Träume. Ich schlafe schlecht. Immer wieder schrecke ich aus Alpträumen hoch. Nur um festzustellen, dass es mit dem Aufwachen noch nicht vorbei ist. …von nun an bist du mein… In dieser Nacht ist es besonders schlimm. Schon zum dritten Mal habe ich Pascal wach gemacht. Mein Rücken tut weh und meine Schultern, obwohl er so regelmäßig meine Stellung verändert. Seine Hände, sein warmer Atem an meiner Haut, alles ist mir zuwider. Und es will mir einfach nicht gelingen, mir meinen Freund Patrick an seine Stelle zu denken. Außerdem muss ich pinkeln. Er hat es vergessen, als er sich zu mir gelegt hat. Ich kann es ihm nicht sagen, also was soll ich tun? Ich bin zappelig und kann nicht ruhig liegen. Immer, wenn ich eindöse, schrecke ich kurz danach wieder auf. „Verdammt, Toshio! Ich bin müde, lass mich schlafen!“ herrscht er mich an, nachdem ich gerade wieder schweißgebadet aufgewacht bin. Seine Geduld mit mir ist langsam zu Ende. Sein barscher Ton ängstigt mich. Ich fange an zu zittern. Die Ketten geben meiner Furcht einen leisen Klang. Pascal seufzt genervt. „Hör auf damit.“ Ich kann nicht… Im Gegenteil: Seine Gereiztheit macht alles noch schlimmer. „Mir reicht es jetzt!“ Er steht auf, und ich höre mit Schrecken, wie er an diesen verhassten Schrank geht! Erschrocken fiepe ich auf, als er mich grob packt, meine Fesseln löst und mich vom Bett zerrt. Ich falle auf den Fußboden, und er drückt mich nieder, schnürt mir die Arme auf den Rücken, bindet die Beine zusammen und zieht die Füße hoch, bis ich mich nicht mehr rühren kann. Das Halsband macht er am Bettpfosten fest. Der Boden ist kalt und hart. Das Seil schneidet ein. Ich liege auf dem Bauch und meine Blase drückt. Mein Zittern ist jetzt lautlos. Aber ich fange schon wieder an zu flennen. Ich weiß, dass ich leise sein soll, aber ich bin dazu nicht in der Lage. Ich versuche, so geräuscharm wie möglich zu schluchzen. Eine Weile geht es gut. Dann höre ich ihn unwillig knurren. Das Bett vibriert, als er wieder aufsteht. Ich atme vor Entsetzen ganz flach. Warum ist er heute so gereizt? Jetzt tut er mir wieder weh, denke ich, und mein ganzer Körper versteift sich vor Angst. Aber er geht nur an mir vorbei und aus dem Zimmer. Was hat er vor? Seit der ersten Nacht hat er mich nicht mehr gequält – wenn man davon absieht, dass er mich seit Tagen gefangen hält. Sein Tonfall jedoch ist zum ersten Mal deutlich aggressiv. Und ich bin seinen Launen völlig hilflos ausgeliefert! Ich spüre, wie die Angst zur Panik werden will und versuche, mich wieder zu beruhigen. Ich soll ihm dienen und ihm Freude bereiten, hat er gesagt. Ich erinnere mich deutlich an seine Worte. Also wird er mich nicht umbringen. Hoffe ich. Was er wohl mit Dienen meint? Und es könnte ihm durchaus Freude bereiten, mich langsam und qualvoll zu Tode zu foltern… Den Tod fürchte ich gar nicht. Das „qualvoll“ dabei macht mir Angst. Einen Vorgeschmack hat er mir ja schon geboten. Ich muss so schnell wie möglich hier weg! Irgendwann wird sich die Gelegenheit zur Flucht bieten, und bis dahin… Bis dahin muss ich versuchen, ihn so wenig wie möglich zu verärgern. So wenig wie möglich „Strafen“ zu erhalten. Das Ganze hier so erträglich wie möglich zu gestalten. In der Theorie klingt das ganz gut. Aber mir stockt der Atem und meine Haut wird ganz kalt, als er zurückkommt. Er sagt kein Wort. Er kniet sich neben mich. Er löst den Knoten, der mich an den Bettpfosten bindet, und das Seil, das meine Füße oben hält. Er zieht mich hoch und wirft sich meinen Oberkörper über seine Schulter. Wo bringt er mich hin? Mir ist ganz schlecht vor Angst. Der Harndrang wird unerträglich, mein Unterleib stößt mit jedem Schritt an seinen Körper und drückt auf meine volle Blase. Ihr Götter! Ich möchte nicht wissen, was er mit mir anstellt, wenn ich mich jetzt auf ihm entleere! Zum Glück geschieht das nicht. Er geht nur ein paar Schritte mit mir. Dann werde ich abgelegt. Auf eine weiche Unterlage. Er deckt mich zu. Und dann wird etwas herunter gedrückt, auf mich drauf, und es wird eigenartig still um mich herum. Nur meine Atemzüge klingen jetzt unnatürlich laut. Ich versuche, den Kopf zu heben und stoße gegen etwas Festes. Was ist das? Wo bin ich? Es ist furchtbar eng, und ich liege unbequem auf meinen Armen. Ist das… ein Sarg? Das kann er doch nicht machen! Er kann mich doch nicht einfach so hier liegen lassen! Wie lange wird die Luft reichen? Ich werde hier ersticken! Die Luft… ist jetzt schon stickig! Augenblicklich bekomme ich doch Panik und versuche mit aller Kraft, mich aufzurichten. Es geht nicht. Ich zerre an den Fesseln und schlage mit dem Kopf gegen den Sargdeckel. Ich erreiche gar nichts. Ich muss mich beruhigen! Ich zwinge mich dazu. Mein Atem geht hektisch und das Blut rauscht durch meine Ohren. Ich konzentriere mich darauf, ruhiger zu atmen. Mit der Zeit geht es, und die Panik ebbt wieder ab. Dieses beschissene Arschloch! Steckt mich hier in diese Kiste und lässt mich hier elendig verrecken, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen! Die Wut hilft mir im Moment, mich wieder zu fangen. Aber während ich so da liege, meine Arme erst schmerzen und dann gefühllos werden, verändert sich allmählich etwas in mir. Die Wut richtet sich allmählich gegen mich. Warum konnte ich nicht einfach ruhig sein? Warum war ich so blöd, ihn zu provozieren? Ich bin selbst Schuld, dass ich jetzt hier bin! Und wo ich gerade dabei bin: Warum hab ich nicht auf meinen Vater gehört? Warum hab ich mich nicht mit meinem Schicksal abgefunden, warum die ganzen Schikanen ertragen, warum mich abgeschuftet für das Schulgeld, die Studiengebühr, den Flug nach Europa? Ich will nicht sterben! Pascal muss kommen und mich hier wieder raus holen! Er wird doch kommen…? Ich hoffe, ich bete, dass er bald kommt! Ich halte das nicht mehr lange aus. Ich habe das Gefühl, zu ersticken. Und meine Blase ist so voll, dass ich schon Krämpfe im Bauch habe. Einmal Strafe wegen ins Bett pinkeln steht mir schon bevor. Und wenn ich überlege, was geschehen ist, bloß weil ich beim Sex ohne Erlaubnis abgespritzt habe… Bitte, bitte, komm, bevor ich mich nass machen muss! Komm, bevor ich hier drin ersticke! …du wirst dich danach sehnen, mich zu sehen… …ich bin es, der dich wieder erlöst… Nie hätte ich gedacht, dass seine Worte Wirklichkeit werden könnten. Nie. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)