Gazetto Inn von Nizi-chan (Ein Tag wie jeder andere. Oder ...?) ================================================================================ Kapitel 1: Ein ganz normaler Tag (?) ------------------------------------ The GazettE GazettE. Meine Gedanken wanderten immer wieder zu meiner Lieblingsband. Endlich war es so weit, endlich würde ich diese Band live sehen. In meinem Bauch kribbelte es, als ich daran dachte. Ich nahm meinen Bleistift und schrieb den Namen meines Angebeteten auf meinem Collegeblock auf. Dabei schloss ich die Augen und stellte mir vor, wie ich mit den Bandmembern redete, Kai mich mit seinem Grinsen dahinschmelzen ließ und Ruki sich mit mir unterhielt. Mir kam es so vor, als ob ich seine Stimme in meinem Kopf hörte. „Kar-san, was gibt’s?“ Abrupt öffnete ich die Augen und stellte fest, dass mein Englischlehrer Negi-sensei vor mir stand und mich mit strenger Miene ansah. Aus dem Augenwinkel sah ich Yumi grinsen. Ich schaute den Lehrer entschuldigend an. „Es tut mir Leid, sensei.“ Es schien, als wollte er etwas sagen, ließ es aber sein. „Ok. Dann übersetz uns mal diesen Abschnitt“, sagte er und ging wieder an seinen Pult. Mit Englisch hatte ich keine Probleme. In den Abschlussprüfungen hatte ich sogar die höchste Punktzahl von der ganzen Jahrgangsstufe; naja genauso wie in den anderen Fächern außer Physik. Ich nahm mein Buch und übersetzte einen Abschnitt, von dem ich annahm, dass wir da waren. „Prima“, war alles, was er sagte. Yumi meldete sich und wollte wahrscheinlich weiterlesen. Negi-sensei nahm sie dran und sie legte los. Ich verfolgte die einzelne Wörter mit den Augen und versuchte verzweifelt alle miteinander zu kombinieren, damit es einen Sinn ergab. Leider konnte mein Gehirn aus den einzelnen Wörtern keine Sätze mehr bilden. Ich gab auf und wandte mich zu meinem Collegeblock. Zum Glück hatte der Lehrer nicht gesehen, dass ich die ganze Zeit mit etwas anderem beschäftigt war. Mir fiel auf, dass ich sehr oft seinen Namen geschrieben hatte. Ruki. Dieses Mal überraschte ich mich selbst, denn sein Name war bestimmt fünfzigmal geschrieben worden. Neugier überkam mich. Eins, zwei, drei… Was machst du da?, schimpfte ich mit mir selbst, konzentriere dich und mach im Unterricht mit! Meine Wille und mein Gewissen fingen einen Streit an. Eine Stimme ließ mich herumfahren. Ich schaute nach vorne und mit einem Mal war es still im Klassenzimmer. Yumis Lippen formten Wörter, die ich nicht verstand. Ich schaute wieder in mein Buch und wusste nicht, was los war. „Kar-san, was ist heute nur los mit dir?“, fragte Negi-sensei auf Englisch. In seiner Stimme konnte ich Ärger heraushören. Ich wusste, wenn ich ihm die Antwort auf Englisch geben würde, wäre er weniger gereizt. „Ich weiß nicht was Sie haben, Mr. Negi.“ Ich wartete einen kurzen Augenblick und überlegte, ob ich mein Glück herausfordern sollte. Die Chancen standen auf fifty fifty und was hatte ich zu verlieren? „Ein solcher Abschnitt lässt sich nicht so einfach übersetzten. Man braucht auch seine Zeit.“, sagt ich mit ruhiger Stimme auf Englisch. „Wir warten“, sagte er und schnaubte. Noch mal Glück gehabt. Ich seufzte und ohne zu wissen, was ich da eigentlich sagte, übersetzte ich das Englische ins Japanische. Als ich die ganze halbe Seite übersetzt hatte, schaute ich wieder auf. „Mach weiter!“ Jetzt nur nicht anmerken lassen, dass du wütend bist. Du weißt, dass er das macht, um dich zu ärgern! Ich übersetzte gut eine Seite, ehe ich eine wieder aufschaute. Meine Aufgabe war erledigt. Yumi zeigte mit dem Daumen nach oben. Ich war erleichtert; obwohl ich nichts von dem, was ich da übersetzte, verstanden hatte, war es mir wohl gelungen. Ich unterdrückte ein Grinsen, als der Lehrer selbst weiterlas. Mein Blick blieb wieder auf meinem Block hängen. Diesmal zählte ich den Namen. Eins, zwei, drei…sechsundvierzig! Wow! Ich hatte allein heute sechsundvierzig Mal seinen Namen geschrieben. Damit ich die Zahl später noch wusste, schrieb ich sie unter die Wörter hin. Ein Glücksgefühl stieg in mir auf. Ruki… Ich lächelte. Die Schulklingel läutete. Ich war froh, dass die Englischstunde ohne Probleme vergangen war. Naja fast ohne Probleme. Ich lachte und packte meine Bücher in meinen Ranzen. „War ja echt knapp, was, Yasumi?“ Yumi half mir dabei. „Knapper als knapp“, sagte ich mit einem Lächeln. Yumi nahm meine Hand und zog mich aus dem Klassenzimmer. „Ey, wohin entführst du mich?“ „Dummerchen, wir haben Sport. Wenn wir zu spät kommen, müssen wir die Extrarunden laufen. Hast du das vergessen?“ Und ob ich das vergessen hatte! Yumi ließ mich los und wir flitzten durch das Schulgebäude in die Mädchenumkleidekabine. Nach dem Umziehen, rannten wir raus. Yumi war schneller als ich und lief wie immer vor. Ich blieb zurück und schon konnte ich sie nicht mehr sehen. „Schneller, Yasumi!“ Eine große Gestalt lief neben mir her. „Hi, Ryu-kun.“ Ryu lächelte. „Beeil dich, sonst musst du die Extrarunden laufen.“ Der Sportplatz streckte sich weit aus, die Wiese wie immer grün und die Laufbahn…Oh Gott, so rotbraun- mein Alptraum. Ryu und ich liefen zu unserer Klasse. Der Lehrer war gerade dabei, die Anwesenheitsliste durchzugehen. „Yeah, du bist ja rechtzeitig da. Du hast es geschafft!“ Yumi fiel mir in die Arme. „Hast du mich vermisst?“, fragte ich aber sie wandte sich von mir ab. „Hey, Ryu-kun!“ Sie grinste nahezu, als sie mich und dann ihn ansah. „Was grinst du so? „Sie denkt wahrscheinlich, dass wir beide sehr gut zusammenpassen“, sagte Ryu grinsend „Du kannst Gedanken lesen, Ryu“ „Yumi, wir sind einfach nur gute Freunde! Behaupte ich, dass du mit ihm zusammen bist oder…?“- „Yasumi-san,“, ich hielt die Luft an, „zwei Runden extra. Yumi-san, zwei Runden extra. Ryu-san, zwei Runden extra.“ Wahrscheinlich war unser kurzes Gespräch zu laut gewesen. Ich verdrehte die Augen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich hasste Ausdauerlaufen! „Komm, sind nur zwei Runden. Wir laufen auch zusammen, versprochen.“ Ryu legte den Arm um meine Schulter. Er wusste, dass ich körperliche Nähe- insbesondere mit ihm- nicht mochte, weil sie mich verwirrte. Verwirrt schaute ich ihn an. „Was ist? Ich bin nicht wie Yumi und renne einfach vor. Versprochen.“ Er machte eine Pause und fügte hinzu: „Du bist echt klein.“ Ich spürte, dass sich meine Miene änderte. „Danke für deine Bemerkung. Jetzt fällt es mir auch auf!“, sagte ich mit zusammengekniffenem Augen und löste mich von seinem Arm. „Ok, es tut mir ja Leid. Schau mich nicht so böse an“, sagte er grinsend aber auch flehend. Unsere Klasse machte sich auf dem Weg zum Rasen. Der Lehrer jedoch behielt uns drei im Auge. „Also…Ihr Drei werdet für das Geschwätz zwei Runden in drei Minuten laufen. Schafft einer das nicht, “ er schaute mich an, „muss er noch eine Runde laufen.“ Seine Blicke bohrten sich in meine. Ich wusste ganz genau, dass er mich damit meinte. Ich schaute ihn genauso an wie er mich anschaute; direkt in die Augen, ohne den Blick abzuwenden. Er sollte zuerst den Blick abwenden, erst dann würde ich wegschauen. „Ehm…“ Es war Yumis Stimme, die Nawasaki-sensei herumfahren ließ. Der Mann schaute jetzt Ryu an und im gleichen Augenblick wanderten meine Augen zur Laufbahn. Ich werde bestimmt keine zwei Runden in dieser beschränkten Zeit schaffen. Ich seufzte. Immer wenn ich zu schnell oder zu lang lief, bekam ich entweder Seitenstechen oder war außer Atem. „Los, fangt an! Ich werde die Runden zählen“ „Sensei, was werden wir denn ab heute machen?“, fragte Yumi. Mein Blick war immer noch auf die Laufbahn gerichtet. „Da das Schuljahr bald zu Ende ist, wollte ich nichts Großes mit euch anfangen. Das Thema ab dem heutigen Sportunterricht wird Hochsprung sein.“ „Was? Echt, sensei? Hochsprung?“ Ich riss die Augen weit auf und schaute ihn an. Hochsprung… „Ehm…ja…Fangt jetzt an.“ Ich merkte, dass ich ihn verwirrt hatte und musste ein Lächeln unterdrücken. Auf das Zeichen des Lehrers liefen wir los. Wir liefen gleich schnell. „Yasumi, warum hast du so reagiert, als du gehört hast, dass wir Hochsprung machen werden?“ Ein Adrenalinstoß durchlief meinen Körper und ich lief schneller als meine Freunde. „Hochsprung, Yumi-chan, “ Ich drehte mich zu meinen Freunden um und lief rückwärts, „ ist meine Lieblingssportart. Oh Gott, ich habe das schon seit Jahren nicht mehr gemacht. Und alles wegen der blöden Lehrerin in Deutschland.“ Ich breitete meine Arme kurz aus und schaute hoch zu der Sonne, die mir ins Gesicht schien. Ich schloss die Augen und genoss die Wärme. „Mädchen, dreh dich wieder um. Du fällst noch runter.“ Ich schaute Yumi an und kaum drehte ich mich wieder um, stolperte ich über meine eigenen Füße. „Oh!“ Ich erwartete den Schmerz der Aufprallen auf die Erde. Aber statt dem steinernem Laufbahn - wie erwartet -, landete ich auf etwas Weiches. Ich öffnete die Augen, die ich aus Reflex geschlossen hatte. „Geht’s dir gut?“, flüsterte eine tiefe Stimme in mein Ohr. „Ich…ja. Mir geht es gut. Danke Ryu-kun…“ Er löste die Arme, die er um mich geschlungen hatte. Abrupt richtete ich mich auf und half ihm auch hoch. Schweigend liefen wir los. „Leute, tut mir Leid, aber ich laufe schon mal vor.“ Ist auch gut so, dachte ich. Yumis Grinsen verriet mir schon alles. Sie würde bestimmt auf dieses Ereignis zurückkommen. Sie wollte nicht in Ryus Anwesenheit ihre Gedanken in Worte fassen. Da war ich mir hundert Prozent sicher. „Geht es dir wirklich gut? Du siehst blass aus“, sagte Ryu, nachdem Yumi weg war. Ich nickte nur. Die erste Runde waren wir bereits gelaufen. Uns blieben jetzt – ich schätzte - zweihundert Meter. Ich spürte ein leichtes Seitenstechen und drückte die Stelle sofort mit der Hand. Meine Atmung wurde unregelmäßig und meine Lungen fühlten sich kalt an. Ich wurde langsamer. Ryu blieb einen Moment stehen und ich lief an ihm vorbei. Was hat er denn? Bestimmt kein Seitenstechen oder so, ging es mir durch den Kopf. Schon spürte ich zwei Hände an meinem Rücken, die mich voranschubsten. „Was…?“ „Lauf einfach. Mit deinem Schneckentempo kommen wir nicht rechtzeitig an.“ Er hatte Recht. Ich lief wie mir befohlen wurde. Als wir am Lehrer vorbeiliefen und stehen blieben, sah ich, dass der Lehrer die Arme vor der Brust verschränkte und uns – eher gesagt mich – ungläubig – warum auch immer – beobachtete. Keuchend stützte ich die Hände auf die Knie, was mir aber nicht weiterhalf. Mir war übel. Mein Magen fühlte sich leer an. Ok, mein Magen war leer. Ich hatte heute nicht gefrühstückt und in der Cafeteria nichts gegessen- und das vor Aufregung auf das heutige Tag. „Yasumi-san, das war aber keine selbstständige Leistung, oder etwa doch?“ Ich konnte nicht antworten. Mein Herz hämmerte langsam aber fest gegen meine Rippen. „Sensei, vielleicht haben sie es nicht mitbekommen, Yasumi ist am Ende der ersten Runde über ihre Füße gestolpert und hingefallen. Sie wissen ja, sie ist eine lahme Schnecke, wenn es ums Laufen geht. Wir mussten die Zeit ja irgendwie einholen.“ Ryu sprach mir aus der Seele. Obwohl er mich indirekt beleidigt hatte, lächelte ich, denn es stimmte. Lachend ging der Lehrer zu unserer Gruppe und gab uns mit einem Handzeichen zu wissen, dass wir ihm folgen sollten. Yumi winkte mich zu sich. Sie sah mich forschend an. Nein, bitte nicht hier und jetzt, flehte ich innerlich. „ Geht’s dir gut? Du siehst blass aus“, sagte sie nach einer Weile. Ich seufzte erleichtert. Meine Atmung war wieder regelmäßig. Ich nickte nur, aber spürte, dass sie mir keinen Glauben schenkte. „Danke, dass du dir Sorgen um mich machst, Yumi-chan. Mir geht es gut.“ Mein Lächeln sollte auch der Beweis dafür sein, dass es mir gut ging. Ihr sorgenvolles Gesicht veränderte sich nicht. „Wenn du dich erkältet haben solltest, ruf mich an. Ich werde vorbeikommen und dich abholen.“ „Ach was! So schnell erkälte ich mich schon nicht.“ „Aber behalte es im Hinterkopf“ Ich nickte. Inzwischen hatten sich zwei große Gruppen gebildet – Mädchen und Jungen. Eine Klassenkameradin winkte uns zu sich. Der Lehrer war gerade dabei, uns die Drei-Schritte-Regel zu erklären. Ich wusste das alles schon, hörte aber gut zu. Nach dem ganzen Erzählen, fragte der Lehrer nach einem Freiwilligen, der das vorführen sollte. Keiner meldete sich. Sofort ging mein Finger hoch und obwohl ich ganz hinten war, nahm er mich dran. Hatte er mich wirklich gesehen? „Wenn keiner will, macht das eben…Yasumi-san!“ Er hatte mich doch nicht gesehen! Ich ging zu ihm. „Sensei, Ich habe mich gemeldet“, murmelte ich vor mich hin und verzog das Gesicht. Er hatte es - zum Glück – nicht gehört. Ich merkte aber, dass er sich über meinem Gesichtsausdruck amüsierte. Er macht das nur, um mich zu ärgern!, dachte ich. „So.“ Er ging zu dem Balken, „Wie groß bist du?“ Wie sehr ich diese Frage hasste! Es gab bei mir zwei Tabufragen und das war die erste! „ 1.61 Meter“, antwortete ich und hörte Gelächter hinter mir. Ich drehte mich zu meiner Klasse um und sah vielen ins Gesicht, mich fragend, wer von ihnen sich über mich lustig gemacht hatte. Diejenigen, die ich ansah, schauten weg. „So. Ich habe das auf 1.25 Meter eingestellt. Viel Glück!“ Das Letztere kam vom Herzen, das spürte ich. Ich ging auf die markierte Stelle auf dem Rasen zu und beobachtete die Stange. Ich schaffe es, ich schaffe es. Nur Mut! Ich lief mit einem schnellen Tempo schief über dem Rasen und kurz vor der Stange machte ich die drei Schritte- der letzte kürzer als die anderen- drehte ich mich um und sprang mit dem rechten Bein ab. Ich spürte die Matte unter meinem Rücken, blinzelte gegen die Sonne über mir und richtete mich auf. Der Lehrer applaudierte. Ich sah, dass die Stange, über die ich gesprungen war, noch da stand. Ich hatte es geschafft. „Gut gemacht!“ Wow. Sensei lobt mich. Ich staunte innerlich und ging zu meinen Freundinnen. Sie lächelten mich an. „Das von eben war voll gemein von euch“, sagte ich und verzog übertrieben die Miene. „Das waren nicht wir.“ Meine Klassenkameradin Mizuki hob sich verteidigend die Arme und fuhr weiter: „Das waren die Jungs. Wir selbst sind ja kaum größer als du. Und außerdem, warum sollten wir über dich lachen? Du bist unser Sonnenschein in der Klasse.“ Ich lächelte, ließ die Frage aber unbeantwortet. Ich schaute zu den Jungs. Ryu und Izumi, ein Klassenkamerad, waren in einer Diskussion vertieft. Zwar konnte ich von der Diskussion nichts mitbekommen, konnte mir aber vorstellen wovon sie sprachen, denn ich hörte ein paar Mal meinen Namen vorkommen und Izumi schaute mich flüchtig an. Ich wollte zu ihnen gehen und fragen über was sie redeten, tat das aber nicht. Als sich unsere Blicke trafen, lächelte er mich an. Dann wandte er sich zu Ryu. Der Rest der Sportstunde verlief ganz gut. Der Lehrer teilte die Klasse in Jungen und Mädchen. Wie erwartet sprangen die Jungen höher als die Mädchen. Ich wurde zu den Jungen geschickt und war sogar über 1.43 Meter gesprungen – naja aber erst beim zweiten Versuch. Als es zur Mittagspause klingelte, gingen wir in unseren Umkleideraum. Ruki…. Mein Bauch fühlte sich an, als wären darin tausende von Schmetterlingen gefangen. Von dem, was mir meine Klassenkameradinnen sagten, bekam ich nichts mit. Sie scherzten und lachten diesmal ohne mich, denn meine Gedanken waren auf die Zukunft gerichtet. Das Konzert würde bestimmt super werden. Und noch dazu hatte ich einen Backstagepass! Ich würde the GazettE auch hinter den Kulissen sehen! Eine Stimme riss mich zurück in die Gegenwart. „Schlaf nicht, sonder zieh dich um! Du bist die Letzte und ich habe keinen Bock darauf, auf dich zu warten.“ Yumi, völlig angezogen, sah mich mit einem schrägen Lächeln an. „ Okay, okay. Mach ich ja. Kaufst du mir auch ein mit Käse belegtes Brötchen?“ Ich wusste, dass sie mir das eben gesagt hatte, weil sie hungrig war. Nachdem Yumi gegangen war, zog ich mich um. Meine Sportkleider fühlten sich kalt an. Hatte ich geschwitzt? Wenn ja, dann würde ich schon sehr bald eine Erkältung holen. Ich betrat die Schulkantine und hielt Ausschau nach Yumi. Meine Augen wanderten über die vollen Tische. Dann in der vordersten Ecke der Kantine sah ich eine Hand mich zu sich winken. Ich ging zu Yumi, die zusammen mit Ryu und Izumi am Tisch saß. „Hi.“ Ich lächelte. „Danke auch, dass ich mich zu euch gesellen darf.“ Ich nahm vor Izumi platz. „Klar Mann. Wir halten gern für euch Platz“, sagte Izumi. „Ihr könnt ja nichts dafür, dass ihr beim Umziehen länger braucht als wir.“ Er grinste und steckte Ryu auch an. Yumi verdrehte die Augen. „Oh Mann. Das hat nichts damit zu tun! Yasumi-chan, hier dein Brot. Ich habe dir auch eine Flasche Wasser gekauft.“ Sie reichte mir das belegte Brot und eine Flasche. Ich bedankte mich und biss in mein Brot. Gemütlich kaute ich, bis ich Izumis Blick auf mir bemerkte. „Was ist?“, fragte ich. „Hast du kein Hunger? Warum isst du nur ein Brot?“ Izumi gabelte in seiner Spaghetti. „Schon…aber irgendwie auch nicht.“ Ryu und Izumi hoben gleichzeitig eine Augenbraue, worüber Yumi lachen musste. „Wie wäre es, wenn ich dich heute nach der Schule zum Essen einlade?“ Ich schaute Izumi fragend an. Dachte er, ich hätte kein Geld? „Sorry, aber, ich habe diese Woche überhaupt keine Zeit“, sagte ich und lächelte verträumt. Bevor Ryu fragen konnte, warum ich keine Zeit hätte, deutete Yumi mit dem Zeigefinger auf mich und sprach laut und stolz: „Sie muss sich für das heutige Konzert von the GazettE vorbereiten.“ „Was, echt? Freust du dich?“ Ryu sah mich lächelnd an. „Ob ich mich freue? Ich strahle nahezu vor Freude. Siehst du?“ Ich grinste ihn breit an und Izumi schirmte die Hand vor die Augen, als sei er geblendet. Yumi konnte nichts anderes als zu lachen. Ich konnte schon seit ein paar Tagen nicht mehr richtig essen und schlafen schon gar nicht. Deswegen lernte ich abends oder las ein Buch. Müde war ich erstaunlicher Weise nicht. Aber das würde noch kommen… „Aber warum hast du diese Woche keine Zeit?“ „Ryu-kun“, ich biss in mein Brot, „ wenn ich schon eine Woche vorher anfange nervös zu werden, bin ich bestimmt eine Woche nachher immer noch abgedreht.“ „Wieso weiß ich dann nichts von deinem Konzertbesuch?“ „Gute Frage.“ Ich holte Luft um sie zu beantworten, als Yumi mich unterbrach und selbst sprach: „ Weißt du, sie hat den Ticket, für den sie eine Woche gewartet hat, gestern Abend grad noch so bekommen. Allerdings teurer als es geplant war, weil er andauernd gesteigert wurde. Yasumi-chan, echt schade, dass du alleine gehst.“ Yumi legte mir ein Arm um die Schulter und zog ihn wieder ein, als sie merkte, dass ich sie kitzeln wollte. „Ich freue mich für dich“, sagte Ryu. „Ich hoffe du bekommst ganz vorne einen Platzt, damit du die Gruppe anstarren kannst. Es wäre doch schade, wenn du sie überhaupt net zu Gesicht bekommen würdest.“ Ich schaute ihn ungläubig an. „ Ich habe einen Backstagepass. Ich werde sie also sehen. Und: Anstarren? Ich starre keinen an!“ ich machte eine Pause und sah in die Gesichter meiner Freunde. „ Oder etwa doch?“ „Hmm…Vielleicht bist du es dir noch nicht bewusst, aber das machst du. Du schaust einen so lange an, bis derjenige sein Blick von dir abwendet.“ Ich erinnerte mich an die Sportstunde und wusste, was Yumi meinte. „Und…“ Izumi beugte sich zu mir herüber. Sein Gesicht kam meinem immer näher. Seine schwarzen Augen musterten mein Gesicht und blieben an meinen Lippen stehen. Ich wusste, was jetzt kommen würde. Ich war wütend auf ihn und konnte mich nicht zurückhalten. Schließlich tat ich es. „Was soll das, du Idiot?“, schrie ich nahezu. Das Wasser, das ich über seinem Kopf geschüttet hatte, tropfte. Sauer schaute ich mich um. Ryu saß mit verschränkten Armen emotionslos neben Izumi und Yumis Gesichtsausdruck konnte ich nicht deuten: eine Mischung aus Besorgnis und Vergnügung. Schüler aus unserem Umkreis drehten sich um, ehe sich unsere Blicke begegneten. „Wenn blicke töten könnten…“ Ich schaute Izumi wütend an. „Dann weißt du wahrscheinlich wer der erste Tote wäre!“ „Beruhige dich. Ich wollte nur, dass du dir eingestehst, dass du einen anstarrst.“ Ganz klar. Ohne ein Wort stand ich auf und verließ die Cafeteria. Der Wind peitschte mir seine frische Luft in mein Gesicht. Ich blieb stehen uns sah mich um. Meine Augen wanderten von den neugierigen Blicken, die an mich gerichtet waren, zu den Sitzplätzen. Leider waren alle schon besetzt, weshalb ich mich entschloss zu meinem Spint zu gehen. Ich drehte mich um - und lief in jemanden rein. Er drückte mich zu sich. „Was zum…“ Mehr brachte ich nicht raus. „Ich bin so froh, dass du seinen Kuss nicht erwidert hast.“ Ryus Stimme kitzelte mein Ohr. „Natürlich. Was dachtest du? Dass ich mir so etwas gefallen lasse? Und lass mich los!“ Ich versuchte mich von seiner Umarmung zu befreien. Er ließ mich los und schaute mir tief in die Augen. Ich tat es ihm nach. „Er hat mich in Sport gefragt, ob wir beide zusammen wären. Er wollte dich fragen, ob du mit ihm ausgehst.“ Er machte eine Pause. „Aber ich bin so froh darüber…“ „Warum denk er, wir wären zusammen? Und warum willst du nicht, dass ich mir ihm ausgehe?“, unterbrach ich ihn. „Ich weiß es nicht. Vielleicht weil wir öfters zusammen rumhängen und…Izumi ist ein netter Kerl, aber er versucht sich immer an die schwierigen ranzumachen. Wenn er dann das bekommt, was er will, lässt er sie einfach fallen.“ Ich dachte darüber nach. „>Schwierig< sagst du…“ In diesem Moment läutete die Schulklingel zu meiner letzten Stunde. Vor dem Konzert so etwas zu erleben war nicht gerade positiv. „Ich gehe zur Musik. Wenn ich zu spät komme, bekomme ich mehr auf als ihr.“ Ryu lachte. „Weißt du, du tust mir Leid. Japanische Lehrer sind nun mal sadistisch.“ „Aber wie!“ „Es macht ihnen Spaß, dich zu quälen, aber sie mögen dich, Yasumi-chan.“ Im Unterricht bestätigte sich die Tatsache, dass die japanischen Lehrer sadistisch waren. Ich bekam als einzige einen Gitarren-Referat, den ich übers Wochenende bis Montag zur ersten Stunde machen musste. Nach der Schule fuhr ich mit der Bahn nach Hause. Ich wohnte nur zwei Kilometer von der Schule entfernt. Widerwillig öffnete ich die Tür und betrat das Wohnzimmer. Überall lagen meine Schulbücher- auf den schwarzen Tisch, auf den beiden Sofas, sogar auf den Boden. Ich muss mal wieder aufräumen. Ich seufzte und sprintete in die Küche. Vor der Vorratskammer blieb ich allerdings stehen und unterdrückte jegliche Erinnerungen, die in mir hochkamen. Ich schüttelte den Kopf. Nach dem Essen ging ich mich duschen und danach umziehen. Es war erst Nachmittag und das Konzert fing um 19 Uhr an. Ich musste mich beeilen, um früh genug da zu sein. Meine Sachen, die ich anzog, hatten auf dem Bett gelegen. Um nicht auffällig zu sein, hatte ich mich für die Farbe schwarz entschieden. Ein T-Shirt und eine Cargohose und daneben lag die Kuriertasche, die ich mir jetzt über die rechte Schulter warf. Nachdem ich mir ein wenig Kayal aufgetragen hatte, föhnte ich die Haare, bis sie mir wellig bis zur Brust runterhingen. Ich schaute mich im Spiegel zufrieden an und zauberte mir ein Lächeln auf das Gesicht und flitzte los. Vor der Haustür blieb ich stehen und kontrollierte meine Tasche. Das Nötige hatte ich dabei: Fotoapparat, Handy, Schlüssel und Wasser. Ich zog die Tür hinter mir zu und ging die Paar Verandatreppen runter. Bis ich in der Stadt war, würde prima Daumen eine halbe Stunde dauern. Ich kämpfte mir den Weg nach draußen frei, stieg aus der Straßenbahn aus und atmete die frische Luft tief ein. Ich wusste nicht, wo sich die Konzerthalle befand. Das hieß ich musste jemanden nach dem Weg fragen. Die Sonne war bereit, unter zu gehen; es war noch hell. Meine Augen durchsuchten die Gegend nach sympathischen Mensche. Leute kamen aus Geschäften, hier und da waren Pärchen, die sich amüsierten. Mein Blick blieb bei einem Jungen mit einer Sonnenbrille und einer Mütze auf dem Kopf heften. Er stand allein auf der anderen Straßenseite – fünf, sechs Meter von mir entfernt. Ich erkannte, dass er einen schwarzen Schal um den Hals hatte und eine dazu passende Hose. Als ich die Straße überquerte, schaute ich nach links, dann nach recht- und schrie kurz auf. Ich blieb stehen und holte das klingelnde Handy aus meiner Tasche. Mein Klingelton war anscheinend nicht zu überhören gewesen, denn viele schauten mich mit entsetzen Gesichtern an; darunter auch der Junge. Ich erwiderte seinen Blick und erst als ich eine Hupe aus der Ferne hörte wurde es mir klar: Ich stand mitten auf der Straße! Vor Schreck konnte ich mich einen Sekundenbruchteil nicht bewegen. Als ich sah, wie ein BMW näher kam, schaffte ich es. Ein Adrenalinstoß durchlief meinen Körper und ich lief auf meinen Ziel zu- direkt in die Arme des unbekannten Jungen. „Geht’s dir gut?“, fragte mich eine tiefe Stimme. Meine Arme sanken auf seinem Rücken und ich ging einen Schritt zurück. Mir war das peinlich. Verlegen schaute ich auf den Boden und verbeugte mich wie es hier in Japan angehörigte, wenn man sich entschuldigte. „Tut mir wahnsinnig Leid. E-entschuldigung!“ Ich hörte ein Kichern und richtete mich wieder auf. „Schon gut.“ Als er meinen fragenden Blick bemerkte, fuhr er weiter: „Es ist gefährlich auf der Straße stehen zu bleiben. Man kann leicht überfahren werden. Es wäre ja schade, wenn solch ein schönes Wesen aufhören würde zu existieren.“ Ich errötete und wusste nicht mehr, was ich sagen wollte. Er ging an mir vorbei. „Hey, …“ Was sollte das? Warum ging er jetzt weg? Nach einigen Schritten blieb er stehen und hob etwas vom Boden auf. „Hier. Das hast du fallen lassen“, sagte er und überreichte mir mein Handy. „O-nein!“ Durch die Displaymitte ging ein langer Riss. „Es tut mir Leid.“ Ich sah ihm zum ersten Mal ins Gesicht und irgendetwas rührte sich in mir. Viel konnte ich nicht sehen; zum Beispiel seine Augen. Seine Haare waren hellbraun gefärbt – so nahm ich an – und er war nur ein Tick größer als ich. „Ist es… Ist es tot?“ Mit gespielter Übertreibung nahm ich mein Handy in die Hände. „Ich kann es dir nicht sagen. Es gibt zwei Möglichkeiten das zu erfahren. Erstens: Wir könnten ein Handykrankenhaus suchen.“ Ich lachte. Es war mir schon schade, dass der Bildschirm kaputt war, aber dass er mitmachte war lustig. „ Und zweitens?“ auf seine Antwort war ich gespannt. Er setzte fort: „ Wie wäre es, wenn du dich von irgendjemanden anrufen lässt? Wenn es nicht klappt bekommst du ein neues Handy.“ Ich konnte es nicht fassen. Er hatte indirekt nach meiner Nummer gefragt! „Ehm…Das ist nicht nötig. Danke.“ Er lächelte schief. „ Nur weil wir uns eben getroffen haben?“ Er verstand mich falsch. Ich winkte ab. „ Nein. Mit dem, was ich eben sagte, meinte ich, dass ich kein neues Handy brauche.“ Ich beobachtete ihn. „ Kennen wir uns?“ Wieder ein schiefes Lächeln. Irgendwoher kenn ich ihn, nur woher…? „Ich glaube nicht.“ Er machte eine Pause. „ An so ein süßes Mädchen würde ich mich nämlich erinnern.“ Er deutete dabei auf mich. Ich winkte sofort ab. „ Nicht doch, nicht doch! Ich bin zum ersten Mal hier in der Stadt und … AH! “ Ich schnappte nach Luft. Stadt! Sofort schauten ich auf die Displayuhr. Er schaute ebenfalls auf die Uhr – auf seine Armbanduhr. Ich sah seine beringten Finger. „Coole Ringe.“ „Ich weiß.“ Grinsend verschränkte er die Arme vor der Brust. „Darf ich dich etwas fragen? Weißt du, wo sich hier die Konzerthalle befindet?“ Ich schaute mich um. „Gazetto?“ „ Ja!“ Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen. „Freust du dich?“ „Ja!“ „Ich gehe auch zum Konzert.“ „Ja?“ „Ja.“ „Ja!“ Ich beruhigte mich wieder und er lachte kurz. „Ich freue mich sehr. Ich habe lange auf das Konzert gewartet.“ Und den Ticktet so kurz davor bekommen, fügte ich in Gedanken hinzu. „Musstest wohl selbst dein Ticket bezahlen, was?“ „Natürlich. War auch nicht so billig! All meine Ersparnisse habe ich ausgegeben, nur für die Konzertkarte und den Backstagepass. Oh…“ Ich hielt meine Hand vor meinem Mund. Ich hatte unüberlegt gesprochen. „Stehst du auf die Band?“ Ich nickte. „Wer ist dein Favorit?“ „Oh Gott, soll ich dich wirklich zutexten?“ Er nickte. „Ruki…“ Weiter konnte ich nicht mehr sprechen. Stille trat ein. Nur die Getuschel von Leuten und vorbeifahrende Autos waren zu hören. Ich lehnte mich an die Straßenlaterne zu meiner linken und schaute zu der nächsten hoch. Ein Gefühl von Einsamkeit stieg in mir hoch. Ein Haufen von Erinnerungen waren bereit mich zu bombardieren. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und unterdrückte ein Schaudern. „So was nennst du also zutexten?“ Ich erschrak. Ich hatte ihn völlig vergessen! „Weißt du, ich habe da was, was ich Ruki auf dem Backstage fragen will. Aber wahrscheinlich werde ich ihn nur ansehen, ohne mit ihm zu reden...“ Ich wurde traurig. Ich würde bestimmt den ganzen Abend schmollen, weil ich es ihm nicht sagen konnte. Ganz allein im Zimmer, allein im Haus. Keiner mit dem ich reden würde… Alleine… „Was willst du ihm denn fragen?“ Erst jetzt merkte ich, dass er näher gekommen war. Ich schaute an ihm vorbei. „Ich will ihn fragen, ob er … mit mir… Singstar spielen würde.“ Er prustete los. Mein Gesicht fühlte sich warm vor Scham an. „Was gibt es da zu lachen?!“ Ich wartete kurz bis er sich beruhigte. So witzig war das doch nicht! „Ich habe für einen Moment gedacht, du willst, dass er dich küsst oder so was in der Art. Singstar… an so was würde ich nicht mal im Traum drauf kommen. Oh! Habe ich dich verletzt?“ Seine Schultern bebten. Er versuchte wahrscheinlich, nicht loszulachen. Was sollte ich darauf antworten? Ich entschied für die klare Antwort. „Ja!“ „Entschuldige bitte. Ich bin mir sicher, dass er sowohl das erste, als auch das zweite machen würde.“ Das Letztere sagte er betonend. Der junge Mann verwirrte mich. Stotternd brachte ich hervor: „Wer…bist du?“ In diesem Moment wehte der Wind. Er schob sein Kinn hoch und nahm die Sonnenbrille ab. Ich erstarrte. Die Haare, die mit dem Wind wehten, entblößten seine Ohren. Fünf Ohrringe zählte ich auf dem rechten Ohr. Die Augenbrauen halb rasiert und ein Muttermal auf dem Kinn. Sein Muttermal. Mir wurde bewusst: Ruki stand vor mir! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)