Was wäre wenn... von Zion2nd ================================================================================ Kapitel 5: Kapitel 5 -------------------- Kapitel 5 In der folgenden Zeit gewöhnte ich mich an die regelmäßigen Tagesabläufe. Ich lernte nach und nach, wie das Leben hier im Lager vonstatten ging und wie die Dinge funktionierten. Nach einer guten Woche täglichen Trainings schlug ich Mike in jedem unserer Übungskämpfe und fiel abends nicht mehr erschöpft ins Bett, oder eher auf die Pritsche. Außerdem hatte ich begonnen, nicht mehr nur mit ihm zu trainieren, sondern auch mit den anderen aus dem Lager, wenn ich sie auf dem Übungsplatz traf. Ich musste meine Kräfte zurückhalten, sonst wäre schnell klar gewesen, dass ich nicht nur einfach stark und schnell war, sondern eigentlich mit Leichtigkeit jeden von ihnen ungespitzt in den Boden hätte rammen können. Aber eben diese Erfolge brachten mit Respekt ein. Ohne es aktiv zu wollen wurde ich ein Teil des sozialen Gefüges: Abends bekam ich Einladungen, mich zum Essen zu ihnen zu setzen, oder andere erboten sich, statt Mike mit mir den Tag zu verbringen. Langsam aber sicher entstand ein kleiner Kreis von Personen, die ich fast schon als Freunde betrachtete. Das Leben hier entsprach etwa meiner Vorstellung von Normalität. Dieser sich täglich wiederholende Rhythmus, der sich bei mir eingependelt hatte war etwas, dass ich zuvor nur bedingt gehabt hatte. Ich hatte einen festen Wohnsitz, solange man ein Zelt ‚fest’ nennen kann, jeden Tag Essen, dass ich mir nicht zuerst selbst fangen oder sammeln musste und konnte mich jeden Tag waschen. Gut einen Monat war ich jetzt schon hier. Inzwischen hatte ich die Sprache schon recht gut drauf. Zumindest reichte es mir, um mich zu verständigen und dumme Kommentare abzugeben, wie es eben manchmal meine Art war. Meine freie Zeit verbrachte ich jetzt meistens mit meinen Freunden. Sie hatten alle ihre Aufgaben schon gewählt und waren dementsprechend beschäftigt. So hatte ich wiederum immer wieder Zeit für mich, in der ich durch das Lager und den dazugehörigen Wald streifte. Dem See blieb ich dabei jedoch meistens fern. Ich fand den Gedanken, an einem See voller Verdammter Seelen vorbeizugehen, einfach nicht sonderlich prickelnd, auch wenn ich wusste, dass alle Neuen aus dem See kamen, auch ich. Mir war aufgefallen, wie wenig Frauen es hier gab. Entweder sie versteckten sich sobald sie mich sahen, oder sie waren schlicht und einfach nicht vorhanden. Nicht, dass es mich störte. Seit Debbie hatte ich nicht mehr das Bedürfnis gehabt, in Anwesenheit einer Frau zu sein. Es war einfach zu schwierig. Männer waren viel einfacher. Sie stellten keine unnötigen Fragen, sprachen nicht über unangenehme Themen und machten kein Drama, wenn man mal fünf Minuten zu spät zu einem Treffen kam. Sie hielten einem keine moralischen Vorträge und waren nicht so schnell beleidigt. Mit ihnen musste man sich nicht zurückhalten, nicht im Gespräch und auch nicht im Training, zumindest nicht so viel. Im Berg der Vampire hatte es auch kaum Frauen gegeben. Arra Sails war eine der wenigen gewesen. Bei ihr als Vampirin hatte ich mich natürlich auch nicht zurückhalten müssen. Im Gegenteil, sie war genauso derb wie die ganzen Männer um sie herum und oftmals sogar stärker. Ich hielt nicht absichtlich Abstand zu den Frauen im Lager, aber ich beachtete sie auch nicht sonderlich. Es war schlicht und einfach so, dass mich keine von ihnen ansprach, weder äußerlich noch vom Charakter her. Ein anderes Problem, mit dem ich mich in der Zeit oft beschäftigte, war, dass ich bald wieder Blut brauchen würde. Also, eigentlich war es kein Problem, schließlich war es nur eine kleine Menge, die ich benötigte, aber es stellte sich die Frage, wie ich an welches herankommen konnte. Mike wäre naheliegend gewesen, aber er war nach dem Abendessen meistens ziemlich dicht und ich hatte keine Lust, Blut mit 2.5 Promille Alkoholgehalt zu trinken. Bei so viel Stoff würde ich vermutlich selber betrunken und außerdem schmeckte es schlichtweg sch...schlecht. Also stellte sich die Frage, wen ich stattdessen anzapfen konnte. Leise in ein anderes Zelt einzudringen war kein Problem, aber jemanden unbemerkt kratzen und dann auch noch an der Wunde zu saugen war schon ein wenig schwieriger. Sonst hatte ich immer Mr. Crepsley gehabt, der die Leute mit seinem Betäubungsatem kaltgestellt hatte, aber das kam jetzt wohl eher weniger in Frage. Dummerweise fiel mir jedoch keine andere Möglichkeit ein, an frisches Blut zu kommen. Das erste Mal hatte ich noch ein wenig Bammel, dass ich entdeckt werden würde, aber nachdem ich ein paar Nächtelang die Schlafgewohnheiten im Lager beobachtet hatte, wurde mir schnell klar, dass einige hier trotz Training schliefen wie Steine, oder um genau zu sein, wie Gebirgsmassive. Diese Leute stellten dann überraschenderweise immer wieder kleine Schnitte an ihren Beinen fest (ich habe natürlich keine Ahnung, woher sie kommen könnten *pfeif*). *** Nach fast zwei Monaten beschloss Mike, dass mein Training beendet war. Das hieß nicht, dass ich jetzt aufhören sollte, zu üben, aber es war nicht mehr mein Tagesinhalt. In den letzten Wochen hatte ich auch nicht mehr nur gekämpft, sonder war auch in ein paar Strategien eingewiesen worden, die die Ältesten gegen die Drachen entwickelt hatten. Ich hatte mich als Prinz der Vampire oft mit derartigen Dingen beschäftigt und selbst ein paar Feldzüge gegen die Vampyre geplant. Sogar gegen die Drachen hatte ich schon mal gekämpft, wenn auch nur mit drei Mann und mit giftgefüllten Schleimkugeln. Und ich wusste, dass zumindest dieses Lager hier nicht ewig Bestand haben würde, schließlich war in ein paar Jahrhunderten keine Spur mehr davon zu entdecken gewesen. Trotzdem studierte ich die Strategien genau, man konnte ja nie wissen. Es hatte auch Übungen gegeben, die den Ernstfall erprobten, wenn auch eher selten. Es kam nicht oft vor, dass sich hier wirklich ein Drache zeigte. In meiner ganzen Zeit hier hatten ich nur einen gesehen, und da war er noch sehr weit entfernt gewesen. Ein Kleiner war es noch dazu. Ich verstand nicht wirklich, warum die Menschen zu dieser Zeit schon die Drachen als eine solch große Bedrohung ansahen. Natürlich, ich wusste, dass sie sich schnell vermehrten und mit der Zeit auch größer uns stärker wurden, aber jetzt? Nach zwei Monaten jedenfalls brachte mich Mike zu den Ältesten, um ihnen zu berichten, dass mein Training hiermit vollständig abgeschlossen war, und dass sogar in relativ kurzer Zeit für einen Neuen. Jetzt war es an der Zeit, eine Aufgabe für mich zu wählen, der ich für einige Zeit nachgehen sollte. Die meisten Aufgaben kannte ich bereits, wenn auch nur vom sehen, von meinen Streifzügen und aus Gesprächen. Ich war mir nicht sicher, was ich wählen sollte. Klar, ich hatte nicht wirklich Lust, Wäsche zu waschen, oder in der Näherei zu sitzen. Am ehesten würde mich noch ein ‚Beruf’ außerhalb das Lagers ansprechen, wie die Jäger, oder die Leute, die nach anderen Überlebenden suchten. Das war es auch, was der Rat mir nahe legte, allein meiner Stärke wegen: „Du wirst dich gut verteidigen können.“ Und alleine wäre ich auch nicht. Man konnte es schließlich nicht verantworten, wenn eine Einzelperson ohne Schutz war. Also bekäme ich einen Partner. Das einzige, was mich davon abhielt, sofort zuzustimmen, war, dass diese Aufgabe sehr meinem alten Leben glich; dauern unter freiem Himmel sein, selbst für sich sorgen müssen und wenigen Menschen begegnen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an, das alles noch mal zu erleben. Andererseits konnte ich jederzeit abbrechen und mich für eine andere Aufgabe entscheiden... Und dann war da noch das Risiko, dass mit dieser Aufgabe kam und dass einen seltsamen Reiz auf mich ausübte. Es bestand die Möglichkeit, bei einem Auftrag zu sterben, sei es durch ein wildes Tier oder durch andere Menschen. Am Ende entschied ich mich trotzdem dafür. ‚Überlebende’ zu suchen klang doch gar nicht so schlecht. *** Schon am nächsten Tag bekam ich einen neuen Partner zugewiesen, was hieß, dass ich in ein anderes Zelt umziehen musste. Mike war für die Neulinge, deren Eingewöhnung und Ausbildung zuständig. Er würde ebenfalls einen neuen Partner bekommen. Schon bei der Vorstellung, alle paar Monate mit der Arbeit von vorne beginnen zu müssen, gruselte es mich. Seine Aufgabe wäre sicher nichts für mich gewesen. Mein neuer Partner hieß André. Er war vor ein paar Jahren aus dem See gezogen worden. Ursprünglich kam er auch Frankreich, war dann bei der Marine, und wurde schließlich in einem Krieg eingesetzt, dessen Name mir nichts sagte. Wie es im Krieg so war, hatte er einige Leute getötet, und war deshalb, wie ich vermutete, in den See der Seelen gekommen. Erst im Nachhinein wurde mir bewusst, wie viele Seelen es dementsprechend im See geben musste. Kommunikation zwischen uns war kein Problem, da ich sowohl ein wenig Französisch als auch Esperanto inzwischen ganz gut sprach. Auch wenn wir selten miteinander sprachen. Der Kerl war so wortkarg, dass er den Kleinen Leuten Konkurrenz machte. Warum das so war, habe ich bis heute nicht erfahren. Auch sonst wusste ich nicht viel über ihn. Nicht einmal sein Alter, obwohl ich ihn auf knappe dreißig Jahre schätzte. Er war nicht ganz so groß und auch nicht so muskelbepackt wie die meisten Männer im Lager, hatte hellbraune streichholzkurze Haare und er war einer der wenigen, die sich rasierten. Ansonsten hatte er Narben, aber das schien hier normal zu sein. So fiel ich mit meinen wenigstens nicht auf. Alle Wunden, die Steve mir bei unserem letzten Kampf zugefügt hatte, waren verschwunden gewesen, als man mich aus dem See zog, aber alle Narben, die ich jemals im Kampf und auf unseren Reisen bekommen hatte, waren immer noch an ihrem Platz. Und das waren viele! Aber ich halte mich zu lange mit André auf, schließlich war er nicht lange mein Partner. Nur zwei-, dreimal ging ich mit ihm auf Streifzug. Lange zwar, aber eben nur wenige. Es war sehr interessant, zu sehen, wie sehr die Welt sich verändert hatte. Noch waren die Unterschiede nicht übermäßig groß, worüber ich froh war, wenn ich an mein erstes Abenteuer in der Zukunft erinnerte, aber doch gut zu bemerken. Zumindest gab es noch genug Ähnlichkeiten, sodass ich problemlos genug zu Essen für uns beide fand. Wir fanden kaum Überlebende, die wir dann tatsächlich auftragsgemäß zurück ins Lager bringen konnten. Auf Dörfer stießen wir nicht. Entweder es gab erst wieder welche in größerer Entfernung, oder wir hatten sie immer verpasst. Für mein Verständnis jedenfalls war diese Aufgabe sehr brotlos. Das machte mich schon bald ruhelos. Ich mochte es, in freier Natur zu sein, aber das, was wir taten kam mir so ziellos vor. Ich hatte immer ein Ziel gehabt, mein ganzen früheres Leben lang. Und jetzt irrte ich mit jemandem, den ich seit einem Monat kannte, allein durch die Gegend und suchte etwas, von dem wir nicht einmal genau wusste, wo es zu finden war. Außerdem fühlte ich mich ständig daran erinnert, wie es früher gewesen war. Ich könnte mich selbst dafür in den Ar*** beißen, dass ich der Vergangenheit so nachhing, aber es war schwer, es hier nicht zu tun, mit so viel Zeit zum Nachdenken. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn André ein kleines bisschen gesprächiger gewesen wäre, aber es ist sicher nicht seine Schuld. Außerdem war meine Auswahl an verschiedenen Geschmacksrichtungen hier massiv eingeschränkt, was Blut betraf. Und die Franzosen stellen zwar wirklich guten Wein her, aber an ihrem Blut müssen sie noch ein wenig arbeiten. Ich beschloss, mich nach einer anderen Aufgabe umzusehen, die mir eher liegen würde, auch wenn ich eigentlich gedacht hatte, dass so etwas am meisten zu mir passen würde. Man lernt eben nie aus, auch nicht über sich selber^^. Es begann dasselbe Spielchen wie schon vorher. Ich begann, immer mehr ‚Berufe’ auszugrenzen, mit denen ich eindeutig gar nichts anfangen konnte. Dazu zählten erst einmal alle Hauswirtschaftlichen; mit denen hatte ich eindeutig am wenigsten Erfahrung. Im Berg der Vampire hatte es außer unserem Haus- und Hofmeister Seba Nile niemanden gegeben, der sich um derartige Dinge gekümmert hatte. Wirklich Lust, den ganzen Tag Wäsche zu waschen oder die Waschräume zu putzen hatte ich auch nicht so wirklich. Ich hatte auch keine Lust, etwas von ganz vorne lernen zu müssen, was noch mal eine ganze Menge ausmachte. Dann strich ich alle handwerklichen Aufgaben. Klar, ich konnte aus so gut wie allem ein provisorisches Lager aufbauen, was hier mit wesentlich bequemeren Zelten nicht vonnöten war, aber Hammer und Säge kannte ich nur aus Erzählungen von anderen Vampiren. So flogen nach und nach immer mehr Aufgaben aus der Liste. Im Rückblick finde ich erschreckend, dass ich so wenige Dinge konnte, oder dass es mir in dem Moment zumindest so vorkam. Am Ende blieben nur wenige Aufgaben übrig, zwischen denen ich wählen wollte. Das war zum einen Betreuer der Neulinge, was ich ja schon nach Mike für mich ausgeschlossen hatte, Pfleger auf der Krankenstation, was ich beim Gedanken an die ganzen Verletzten, die ich schon in meinem Leben gesehen hatte, ausschloss, dann war da immer noch Jäger, wobei das auf dasselbe herauslief wie meine vorherige Aufgabe, und zum Schluss noch Fischer. Auch wenn ich da nicht nach Fischen angeln würde, so schön es auch wäre. Aber zwischen den ganzen anderen Arbeiten war mir diese immer noch am liebsten. Es war nichts, was mir vollkommen unbekannt war. Der See war mir zwar nicht ganz geheuer, war er doch ein Werk Mr. Tinys, zum anderen war es doch interessant. Ich meine, wie kommen die Seelen in den See und wird es da drin nicht irgendwie eng, nach all der Zeit? Und in Ermangelung besserer Auswahl... Da blieb mir wohl nichts anderes übrig, oder^^? *** Erstaunlicherweise verlief mein Wechsel ganz unproblematisch. Ich hatte angenommen, dass es so etwas wie Wartezeiten gab, oder dass manche Aufgaben überbelegt waren. Dinge solcher Art eben. Aber die Nachzivilisationsbürokratie schien recht einfach zu sein. So ziemlich ohne Büro eben. Ein kurzes Gespräch mit den Alten, das war es. Ich musste nicht einmal das Zelt wechseln. Mit meinem Mitbewohner hatte ich ohnehin noch nicht viel zu tun gehabt. Ich begann den nächsten Tag einfach damit, dass ich, zum ersten Mal seit meiner Ankunft, hinunter zum See ging. Ich war ein wenig später aufgestanden und hatte mit beim Frühstück ein bisschen Zeit gelassen, sodass jetzt schon ein paar der anderen Fischer am Ufer standen und gähnten. Sie empfanden es offensichtlich noch zu früh, um wirklich mit der Arbeit zu beginnen. Nicht, dass es wirklich Arbeit wäre. Man musste die Seelen im See beobachten, wie sie in ihren schimmernden Blasen von den Strömungen durch das Wasser getragen wurden, mal höher, mal tiefer. Die meisten sah man nie wieder, wenn man sie einmal zwischen den anderen verloren hatte. Wieder fragte ich mich, wie viele Seelen wohl hier drin waren. Die Fischer sollten nach bestimmten Merkmalen Ausschau halten. Leute, die robust und stark genug aussahen, um im Lager und in der ‚Wildnis’ überleben zu können. Und natürlich sollten sie kämpfen, aber das sah man den Seelen ja nicht an. So saßen wir in regelmäßigen Abständen auf schmalen Hockern am Ufer um den See herum, unser Netz hinter uns ausgebreitet, und starrten ins Wasser. Oder theoretisch sollten wir das. Meistens führten wir Gespräche, teilweise auch über den ganzen See hinweg, was nicht besonders schwer war; es war ja ein kleiner See, wenn auch ein wenig größer als später in der Zukunft. Auf meine Nachfrage hin, ob niemand bemerken würde, dass wir eher tratschten wie die Waschweiber anstatt trüb ins Wasser zu glotzen, bekam ich laut lachend die Antwort: „Wenn jeder hier wirklich Alle aus dem See ziehen würde, die er für geeignet hält, dann würde das Lager hier bald aus allen Nähten platzen. Stell dir das mal vor!“ Dabei musste ich ihm wirklich recht geben. Täglich wurden im Durchschnitt zwischen einer und vier Seelen herausgefischt. Vier war schon ein wenig viel. Es gab auch Tage, an denen niemand blitzartig aufsprang und mit einigen hektischen, aber routinierten Bewegungen zielsicher das Netz auswarf. Die Netze waren auch nicht besonders groß. Sie dienten nur dazu, die kleineren Blasen höher zu ziehen, sodass man mit den Händen die darin zusammengerollt liegende Person greifen konnte. Die anderen Fischer, die demjenigen am nächsten waren, halfen dann, die meist noch recht bewusstlosen Körper vollends auf den Strand und in die Krankenstation zu tragen. Bei knapp zwanzig Leuten, die diese Aufgabe gewählt hatten, kam ich auch immer wieder zu der Ehre, beim Tragen zu helfen. Die Zeit, in der wir um den See wache halten mussten war auch nicht besonders lang. Alles in allem also ein seeehr entspannter Job. Ich selbst war sparsam, was das Herausziehen von Leuten betraf. Auch wenn ich jetzt wusste, dass wohl die meisten von ihnen durch irgendwelche Kriege verdammt worden waren, gab es hier doch sicher auch die ganzen Mörder und andere Verbrecher. Und wenn ich im See gewesen war, dann gab es sehr wahrscheinlich auch noch andere Vampire. Natürlich war die Wahrscheinlichkeit, einen von ihnen zu erwischen sehr klein, aber doch möglich. Außerdem hatten diese Menschen ihr Leben schon längst gelebt. Aber ich konnte ja schlecht nie jemanden aus dem Wasser ziehen; dann hätte ich eine andere Aufgabe wählen müssen. Mein ‚erstes Mal’ kostete mich ein wenig Überwindung. Ich hatte einen jungen Mann, schätzungsweise um die fünfundzwanzig, im Auge, der so unschuldig aussah, kräftig, aber mit eher schmaler Statur, dass er sicher nur ein Kriegsopfer gewesen war. Es war ein komisches Gefühl, die kleine Blase mit dem Netz näher an die Oberfläche zu holen, wie als wenn man versucht, eine Luftblase zu bewegen. Immer wieder entglitt sie mir, verformte sich um mir auszuweichen. Schlussendlich war jedoch die größte Schwierigkeit, tatsächlich mit der Hand ins Wasser und durch die dünne Haut der Blase zu greifen. Der Rest ging schnell. Sobald ich den Arm des Manns berührte, platzte das schillernde Gebilde um ihn herum in viele glitzernde Teilchen und auf einmal hing mir ein erwachsener Körper am Arm, auch wenn er durch das Wasser leichter war. Ich war eher überrascht als dass ich von dem Gewicht überfordert war. Bald halfen mit andere fleißig beim Ziehen und wenig später lag der ‚Fisch’ auf dem trockenen. Auch die folgenden Mal blieben ein kleiner Nervenkitzel für mich. Dies war etwas, was nicht viele jemals taten. Der Anblick der Blasen, je näher sie einem waren, war einfach faszinierend. Das war es auch, was mir dann den Anstoß gab, bei dieser Arbeit zu bleiben, zusammen mit den Gesprächen und des großen Anteils an Freizeit. Ich fühlte mich wohl mit dem, was ich tat. *** Wieder verging Zeit. Ich hatte meinen Platz hier vollkommen eingenommen. Das einzige, was mich immer noch von den anderen abgrenzte, war meine wirkliche Stärke, die ich zusammen mit meiner Vergangenheit weiterhin geheim hielt, und mein Bedürfnis nach Blut. Alles keine großen Hürden, was das Zusammenleben betraf. Ich hatte meine täglichen Routinen und meine Freunde, zu denen jetzt auch die meisten der Fischer gehörten. An den Berg der Vampire dachte ich nicht mehr so oft, genauso wie an meine alten Freunde. Ich hatte ein neues Leben. In dieser Zeit schreib ich auch nicht oft in mein Tagebuch, dass ich aus Gewohnheit wieder begonnen hatte. Aus das Fischen konnte ich inzwischen im Schlaf. Geübte Handgriffe, ob ich nur den Anderen half oder selbst jemanden entdeckt hatte. Aber ich hatte sonst selten Routine gehabt, also konnte ich das hier wirklich genießen. Aber wie mir schon oft bewiesen wurde können sich die Dinge schnell ändern und sind oft am Ende nicht so, wie sie scheinen. Inzwischen war es tagsüber recht heiß, die Sonne schien oft den ganzen Tag und brannte auf unsere Köpfe. Sonnenbrand und Sonnenstich waren bald normal bei uns, auch wenn ich davon verschont blieb. Alle Reaktionen wurden mit zunehmender Hitze langsamer. Gespräche fanden nur noch morgens und später am Nachmittag statt, wenn es wieder ein wenig kühler wurde und der Wind auffrischte. Sonst war er einfach zu anstrengend, mehr zu tun, als da zu sitzen und seinen Gedanken nachzuhängen, während man die Blasen im Wasser beobachtete. Ich glaube, in Gedanken waren sie alle dabei, sich in voller Montur in den See zu stürzen und das Wasser zu genießen. Ich döste auf meinem Hocker vor mich hin. Am Rande bemerkte ich, wie einer der Fischer neben mir aufstand und die übliche Prozedur begann, um die ausgewählte Blase an die Oberfläche zu bringen. Langsam, gaaanz langsam machte ich mich bereit, beim herausziehen zu helfen. Wie der Mann es geschafft hatte, sich jetzt dazu durchzuringen, irgendetwas zu tun, was mir schleierhaft. Sobald der Körper sich materialisiert hatte, begann ich mit den anderen zu ziehen, ohne wirklich bei der Sache zu sein. Ich wusste auch so, was zu tun war. Mein Gehirn tauchte allmählich wieder aus der Versenkung, beziehungsweise aus dem Backofen, auf. Ohne dem Mann vor mir wirklich Beachtung zu schenken, begann ich seine Körperfunktionen und Eigenschaften zu testen. Alles war in Ordnung; regelmäßiger Puls, keine Verletzungen, einige Narben, gut gebaut, muskulös, ... Die Atmung war ein wenig unregelmäßig, aber das war normal. Das Herausfischen war anstrengend. Ich war schon am aufstehen, als mir bewusst wurde, dass der Mann nicht ohnmächtig war, sondern mich mit klarem Blick beobachtete. Erst als ich sein Gesicht sah, erkannte ich ihn, und diese Erkenntnis ließ mich vor Schreck stocksteif stehen bleiben. Mit einem mal war ich hellwach. Mein Blut gefror. Die Welt kam zum Stillstand. „Steve!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)