Ausgeprinzt von mystique (∼ Das etwas andere Märchen ∼ SetoxJoey) ================================================================================ Kapitel 8: ... zweifelte ... ---------------------------- „Oh holde Maid, ich bitte dich, lass dein prachtvolles Haar hinunter!“ „Wie lange braucht der denn noch?“ Prinz Joey war es leid, zu warten. „Wenn du mich lässt, brülle ich. Dann brauchst du nicht mehr zu warten.“ „Wenn er noch einmal Anstalten macht, zu singen, dann darfst du auch gerne Feuer speien. Die Kleidung von ihm ist ohnehin eine Zumutung.“ „Ich bitte dich, lass dein Haar hinunter!“ „Nein!“, fauchte eine weibliche, gereizte Stimme. „Aber ich bin derjenige, der –“ „Verschwinde!“ Der junge Mann am Fuß des Turmes zuckte zusammen und verzog das Gesicht. Dann wirbelte er herum. Er stapfte leise fluchend zu seinem Pferd und stieg auf. „Mit dem Benehmen wird dich niemand befreien wollen “, rief er hinauf, dann gab er seinem Pferd die Sporen und galoppierte er davon. Joey seufzte erleichtert und trat aus dem Dickicht heraus. Seto machte Anstalten ihm zu folgen, doch er wies ihn zurück. „Bleib hier. Ich kann es nicht gebrauchen, dass diese Frau noch Panik bekommt, wenn sie dich sieht.“ Seto knurrte. „Als ob ich so schlecht aussehen würde. Sie wird vielmehr die Angst ergreifen, wenn sie dich sieht, Mensch. Du hättest dich waschen sollen.“ „Wer konnte denn ahnen, dass mitten im Wald auf einmal ein Loch im Boden ist? Wer gräbt denn auch bitte mitten im Wald ein Loch - da muss man doch zwangsläufig hineinfallen!“ „Rede nicht, sondern beeil dich lieber. Wir müssen weiter.“ Joey murrte und wandte sich ab. Er umrundete den Turm und kam schließlich auf der Vorderseite zum Halt. Dass es die Vorderseite war konnte er lediglich daran erkennen, dass sich dort das Fenster befand. Er spürte Setos drängenden Blick auf sich. „Entschuldigung“, rief er nach oben. Es vergingen einige Momente, dann erschien eine Gestalt am Fenster. Eine junge Frau mit blonden Haaren blickte missgestimmt zu ihm hinab. Als sie Joey musterte verschränkte die Arme. „Und was willst du?“ Wenn das eine Prinzessin ist, dachte Joey, dann hoffe ich, dass nicht alle so sind wie sie. Joey zwang sich zur Freundlichkeit. „Entschuldige, aber hättest du etwas zu Essen für mich? Ich bin schon lange auf der Reise, habe aber leider mein Geld verloren und –“ Er brach ab, da die Frau sich längst abgewandt hatte und nicht mehr zu sehen war. Der Prinz starrte sprachlos zum Fenster hinauf. „He“, rief er empört. „Ich rede mit dir! Du kannst mich nicht einfach so stehen lassen!“ Niemand antwortete. Er konnte Seto bereits feixen hören. „Jetzt hör mir mal zu“, schimpfte er zum Fenster hinauf. „Ich versuche hier nicht, dich mit irgendwelchen albernen Balladen zu bezirzen. Alles was ich möchte, ist eine Kleinigkeit zu Essen. Ist das zuviel verlangt?!“ „Du nervst!“ Joey konnte knapp einem Schuh ausweichen, der aus dem Fenster geworfen wurde. Genug war genug. Diese Frau sollte ihn kennenlernen! Joey griff nach einem Tannenzapfen neben sich, holte aus und warf. Oben im Turm erklang ein schmerzhafter Ausruf. „Was zum –“ Die Frau erschien wieder am Fenster, doch dieses Mal strahlte sie eine Aura der absoluten Rage aus. „Du!“ „Genau, ich.“ Joey starrte sie nicht minder wütend an. „Und jetzt lass mich gefälligst rauf oder ich klettere den verdammten Turm hinauf.“ Lange starrten sie sich an, dann begann die Frau zu lachen. „Du gefällst mir“, sagte sie zwinkernd. „Du bist nicht so eine Jammergestalt wie die anderen Möchtegernretter, die mir schon den letzten Nerv geraubt haben. Kann man sich das vorstellen? Da möchte man seinen Schönheitsschlaf halten und unten beginnt irgendein Taugenichts vollkommen schief irgendwelche Balladen zu singen.“ Sie griff hinter sich und warf es über das Geländer. Erst als das Ende des Zopfes vor Joey hin und herpendelte erkannte er, dass es ihre Haare waren. Skeptisch blickte er zu ihr hinauf, doch sie winkte ab. „Nun mach schon, bevor ich es mir anders überlege.“ Joey griff nach dem Zopf und begann seinen Aufstieg. Als er das Fenster erreichte und in den Turm kletterte fand er sich einer jungen, attraktiven Frau gegenüber wieder. Sie musterte ihn von oben bis unten, dann zuckte sie die Schultern. „Du bist niedlich, aber nicht der, den ich erwarte.“ Auch wenn Joey nicht hier war, um sie zu retten, so fühlte er sich dennoch durch ihre Worte angegriffen. „Niedlich?“, wiederholte er und blickte an sich hinab. „Ich bin vieles, aber nicht niedlich.“ Die Frau lächelte neckisch. „Oh, du hast ja keine Ahnung.“ Sie betrachtete ihre Fingernägel. „Mein Name ist Mai. Du bist der erste, den ich hier herauflasse, aber du besitzt Schneid. Das gefällt mir. Dort hinten steht etwas zu Essen. Bediene dich.“ „Danke.“ Am anderen Ende des Raumes stand ein gedeckter Tisch. Joey, dem bereits seit Stunden der Magen knurrte, setzte sich und nahm sich ein Stück Brot. Seto hatte vorgeschlagen, er sollte sich seine Mahlzeit jagen – so wie der Drache es tat – aber Joey hatte sich geweigert, einen Hasen zu töten. Es war lächerlich von ihm gewesen, vor einigen Tagen noch geglaubt zu haben, einen Drachen erlegen zu können, wenn er nicht einmal einem Hasen etwas tun konnte. Seine Tasche mit Proviant und Geld hatte Joey bei dem Überfall der Soldaten verloren. Er war mittellos und mit Seto an seiner Seite konnte er keine Dörfer aufsuchen. Und alleine ließ der Drache ihn nicht mehr losziehen – als befürchtete, Joey würde sich wieder von jemandem gefangen nehmen lassen. Er übertrieb. „Du hast dich noch nicht vorgestellt.“ Der Prinz schreckte auf und verschluckte sich an dem Brot. Mai beobachtete belustigt, wie er versuchte, wieder Luft zu bekommen. „War meine Frage so unvorhersehbar?“ Joey schüttelte den Kopf. „Mein Name ist Joey.“ „Joey - und weiter?“ „Wie?“ „Na ein Zunahme.“ Sie begann vor ihm auf und ab zu gehen. „Joey, der Tapfere, der Unbestechliche, der Rittersohn, der Drachenbezwinger?“ Unwillkürlich war Joey bei dem letzten Namen zusammengezuckt. Er schüttelte den Kopf. „Nein. Nur Joey.“ Mai verschränkte die Arme. „Nun denn, Nur-Joey, was verschlägt dich hierhin? Um mich zu ‚retten’ bist du ja offensichtlich nicht gekommen.“ „Ich bin auf der Durchreise.“ „Tatsächlich. Wohin?“ Joey kaute langsamer. „Nun ja ...“ Wohin genau, das wusste er selbst nicht. „Zu einem Berg?“ „Wirklich sehr markant. Hoffentlich findest du ihn.“ „Und was ist mit dir?“ „Ich? Ich lebe hier so vor mich hin. Ich stehe auf, durchquere den Turm, schaue aus dem Fenster, durchquere den Turm, bewerfe nervige Trottel mit Schuhe. Nichts Besonderes.“ „Klingt nicht wirklich Abwechslungsreich.“ „Es ist auf seine eigene Art unterhaltsam.“ Joey griff nach einem Apfel. „Möchtest du nicht manchmal raus hier?“ Mai starrte ihn entsetzt an. „Damit mich dann gar nichts mehr von diesen liebestollen Idioten da draußen trennt? Der Turm ist mein Zufluchtsort!“ Joey lachte. „Da scheint was dran zu sein.“ Er biss in den Apfel. „Beeil dich, Mensch.“ Der Prinz ließ den Apfel fallen. Mai blickte überrascht zum Fenster. „Du bist nicht alleine?“ Joey sprang auf und warf den Stuhl um. „Nein, ich habe einen .... Begleiter. Ich dachte, du wolltest Wache halten“, rief er etwas lauter in Richtung Fenster. „Du brauchst zu lange“, sagte der Drache. Der Turm erzitterte und Joey eilte zu Mai, packte sie bei den Schultern und wirbelte sie herum, doch es war zu spät. Vor dem Fenster erschien das Drachengesicht. Seto betrachtete die beiden missbilligend. „Ich störe euch ja nur ungern, aber das ist nicht de richtige Zeitpunkt dafür, Prinz.“ „Hab ich dir nicht gesagt, du sollst warten?“, fuhr Joey Seto wütend an. „Du bist langsam. Und du verschwendest wichtige Zeit.“ Mai löste sich von Joey. „Du bist ein Drache.“ Bevor Seto sich über die Überflüssigkeit ihrer Aussage beschweren konnte, fuhr sie mit einem Lächeln fort: „Ich hatte schon befürchtet, nie einen zu sehen.“ Sie hatte keine Angst vor Seto. Das schien sogar den Drachen zu irritieren. „Du siehst mich jetzt.“ Seto wandte sich ab. „Wir gehen, Mensch.“ „Sind alle Drache so mürrisch?“ Mai hatte eine Hand an ihr Kinn gelegt und musterte Seto. „Ich hatte mir vorgestellt, ihr wärt viel –“ „Viel was?“ Seto blickte über seine Schulter. „Imposanter? Eingebildeter? Dümmer?“ Joey verdrehte die Augen. Mai verschränkte die Arme. „Sanfter.“ Der Prinz begann zu lachen. Mai sah ihn verwundert an und Joey hob die Hand. „Entschuldige, Mai“, sagte er glucksend, als er sich wieder mehr unter Kontrolle hatte. „Aber das ist gerade so überhaupt nicht Seto, dass es komisch ist.“ „Tatsächlich?“ Mai begann auf eine Art zu lächeln, die den Prinzen unweigerlich erschaudern ließ. Das war das Lächeln einer Frau, die mehr wusste, als andere. „Wie interessant.“ „Mai? Gibt es da etwas, dass du mir –“ „Nein, Joey. Das muss der Drache schon selber tun.“ Joey verstand sie nicht, doch als Mai beharrlich schwieg, richtete er seinen fragenden Blick auf Seto. Der Drache erwiderte den Blick einen Moment, dann verzog sich sein Maul zu einem spöttischen Lächeln. „Übersteigt das dein Verständnis?“ Joey verschränkte die Arme. „Was kann ich dafür, dass sie in Rätseln spricht.“ Seto schüttelte den Kopf. „Vergiss es, Mensch. Wir müssen weiter.“ Joey schnaubte. „Was ist los mit euch Frauen und euch Drachen? Hat man euch geschaffen, um Männer wie mich zu verwirren? Das macht euch Spaß oder?“ „Jetzt übertreibst du, Joey.“ Mai strich ihm spielerisch über die Wange. „Es ist amüsant, aber nicht unsere Lebensaufgabe.“ Joey machte einen Schritt zurück. „Und da wunderst du dich, dass der Richtige noch nicht erschienen ist? Du machst es den Männern aber auch nicht leicht!“ Mai zwinkerte ihm zu. „Und derjenige, der sich davon nicht täuschen lässt, ist der Richtige, mein lieber Joey.“ „Was ich nicht bin.“ „Das weiß ich. Keine Sorge, es wird sich schon die richtige Seele zu deiner finden, Prinz.“ Joey schluckte. „Woher weißt du –“ „Ich bin nicht dumm, Joey. Auch ich habe die Geschichten über den Prinzen gehört, der loszog um einen Drachen zu erlegen und das Herz einer Prinzessin für sich zu gewinnen. Allerdings scheint es nicht das Herz der Prinzessin zu sein, das du zu erobern suchst.“ Ihr Blick richtete sich auf Seto, welcher die Augen verdrehte. Joey hob abwehrend die Hände. „Das hast du falsch verstanden. Ich bin nicht mit ihm unterwegs –“ Zu seinem Entsetzen spürte der Prinz, wie seine Wangen sich röteten. „Wir – wir wollen seinem Bruder helfen! Wir haben ein Abkommen und ich werde ihm helfen, seinen Bruder zu retten – das ist alles!“ Joey stockte. „Mai?“ Die Frau hatte bei Joeys Worten den Mund wie zum Protest geöffnet, dann jedoch wieder geschlossen. Nun starrte sie Seto auf eine Art an, die Joey nicht von ihr erwartet hatte: Mit Geringschätzung. „Ist das so?“ Seto wandte sich ab. „Prinz, verlass den Turm. Wir haben schon viel zu viel kostbare Zeit verschwendet.“ Joey, der die plötzliche Kälte, die in der Luft lag, nicht verstand, nickte abwesend, nahm seinen Blick jedoch nach wie vor nicht von Mai. Er durchquerte den Raum, bis er am Fenster stand. „Entschuldige unsere Hektik, aber du siehst: Er hat es eilig.“ „Es verwundert mich nicht“, sagte Mai, die Seto hinterher blickte. Der Prinz zögerte. „Alles in Ordnung?“ Mai zuckte zusammen und löste sich aus der Starre. Joey wollte sich von ihr verabschieden, doch sie griff nach seinem Arm und zog ihn ruckartig zu sich. „Frag ihn, warum ausgerechnet du mit ihm reisen musst“, flüsterte sie ihm ins Ohr. „Aber das weiß ich doch schon –“ „Frag ihn!“, unterbrach sie ihn eindringlicher, dann griff sie neben sich und warf ihr langes Haar zum Fenster hinaus. Sie gab ihm einen Schubs, sodass Joey am Fenster stand. „Frag ihn, Joey.“ Der Prinz, zu überrascht von alldem, folgte ihrem Wink und schwang ein Bein aus dem Fenster. Auf dem Fensterrand sitzend drehte er sich zu Mai herum. „Mai, ich verstehe nicht, was du –“ Ein Blick in ihre Augen ließ ihn verstummen. „Befolge einfach meine Worte, Joey.“ Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Frag ihn und gib nicht locker, bis er es dir gesagt hat. Bis dahin ... lasse ihn nicht vergessen, dass du ein fühlendes Wesen bist. Genau wie er. Hast du das verstanden?“ Der Prinz nickte. Mai lächelte ihn an und dieses Mal lag eine Spur Trauer in ihren Zügen. „Es freut mich, deine Bekanntschaft gemacht zu haben, Joey. Ich verlange, dass wir uns wiedersehen.“ „Aber sicher doch, werte Prinzessin!“, erwiderte Joey grinsend und ließ sich mithilfe des Zopfes an der Turmmauer hinab. Unten angekommen winkte er Mai ein letztes Mal zu, bevor er dem Turm den Rücken kehrte und Seto folgte. Die folgenden Stunden verbrachten sie schweigend. Seto hatte sich wieder in die Lüfte erhoben und sie überflogen Felder und Wälder. Niemand folgte ihnen, das hatte der Drache mehrfach überprüft und bestätigt. Joey saß auf seinem Rücken und dachte über das nach, was Mai ihm gesagt hatte. Bei ihrer nächsten Rast fragte er Seto, wie weit es noch wäre, woraufhin der Drache antwortete, dass sie noch wenige Stunden Flug von ihrem Ziel trennen würde. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto unruhiger wurde Joey. Er war nicht dumm. Seto nannte ihn noch immer Mensch. Er merkte, dass es Setos eigene Art war, sich von ihm zu distanzieren. Er merkte, dass der Drache ihn – wenn er dachte, Joey würde es nicht bemerken – oft musterte. Er nahm wahr, dass Seto unruhiger wurde, auch wenn er versuchte, es zu verbergen. Joey war kein dummer Prinz. Und er wusste, wann man ihn täuschte und wann es besser war, den Zweifeln, die man hatte, zu glauben. Am Ende des Tages erreichten sie die Berge von denen Seto gesprochen hatte. Es waren andere Berge als die, in denen sich Setos und Mokubas Burg befand, denn sie kündigten sich nicht an. Es gab keine Gebirgsausläufer - von einem Moment auf den anderen ragten in der Landschaft steile Felsen vor ihnen in die Höhe. Eine mehrere Meter breite Spalte zwischen den Felsen wies ihnen den Weg den Berg hinauf. Die Spitze des Berges war von diesem Punkt aus nicht zu erkennen, denn sie verschwand zwischen den Wolken. Als Seto nicht umgehend die Spitze des Berges anstrebte, sondern stattdessen vor der Felsspalte landete, waren alle dunklen Vorahnungen für Joey bestätigt. Dartz Worte, Mais Warnung und alle Auffälligkeiten der letzten Stunden wurden nun zuviel. Joey machte keine Anstalten, dem Weg vor ihnen zu folgen, sondern blieb stehen. Seto, der einige Meter vor ihm war und das unvermittelte Ausbleiben der Schritte hinter ihm bemerkte, drehte sich um. „Was ist, Mensch? Brauchst du eine Pause? Es ist nicht mehr weit.“ „Was befindet sich auf der Spitze des Berges?“, fragte Joey, ohne den Drachen anzusehen. Er kämpfte mit dem unbändigen Verlangen, kehrt zu machen und zu rennen, doch er war kein Feigling. Er würde Seto zur Rede stellen und egal, welche Antwort er erhalten würde, er würde nicht eher Ruhe geben bis er die Wahrheit wusste. „Ich habe es dir bereits gesagt“, gab Seto kalt zurück. „Was fragst du also noch?“ „Was ist auf der Spitze des Berges, Drache?“, wiederholte Joey und sah Seto nun direkt an. Der Drache wirkte überrascht angesichts des Zorns, der ihn aus den Augen des Prinzen traf. „Ich will, dass du die Worte wiederholst. Ich will sehen, ob du mich wieder eiskalt belügen kannst, ohne dir auch nur irgendetwas anmerken zu lassen.“ „Was redest du da?“ In Setos Stimme lag eindeutige Irritation. „Was befindet sich am Ende dieses Weges?“ „Unser Ziel, Mensch.“ „Was für ein Ziel, Drache?!“ Seto drehte sich vollständig zu ihm um. Seine Haltung hatte sich verändert, sie war nun nicht mehr gleichmütig sondern sichtlich angespannt. „Mokubas Rettung.“ „Und was bedeutet das für mich?“ Seto verengte die Augen. „Dass du bis zum Ende gehen musst, wenn du dein Versprechen einlösen willst.“ Joey verlor die Geduld. „Und was erwartet mich dort? Wachen mit Schwertern? Vielleicht ein Opferstein, auf dem man mir dann einen Dolch ins Herz rammt, um mein Blut zu vergießen?!“ Seto knurrte. „Red keinen Unsinn.“ Joey starrte ihn wutentbrannt an. So leicht würde Seto ihn nicht täuschen können. Er hatte das kurze Aufflackern in den Augen des Drachen beim erwähnen des Opfersteines deutlich gesehen, auch wenn Seto dachte, es überspielen zu können. „Denkst du ich merke nicht, dass du dich bewusst von mir zu distanzieren versuchst?! Glaubst du wirklich, ich wäre so dumm, nicht zu bemerken, dass du unruhiger wirst, je näher wir diesem Berg kommen? Was geschieht, wenn ich die Spitze des Berges erreiche? Was ist diese angebliche Blume tatsächlich? Ein Opferaltar, auf dem man mich wie ein naives Opferlamm hinrichtet, um Königsblut zu vergießen? Oder braucht ihr etwas anderes von mir? Hast du denn überhaupt keine Skrupel?“ Er war mit jedem Wort lauter geworden. „Ich habe dir angeboten, dich zu begleiten, du hast Tristan versprochen, mich heile zurückzubringen, aber das wird ja offenbar nicht passieren. Du versuchst mich nicht an dich heranzulassen, damit du im Nachhinein keine Schuldgefühle hast. Du bist grausam“, zischte er schließlich und Setos Blick sagte ihm, dass er recht gehabt hatte. Der Drache richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Was hättest du an meiner Stelle gemacht?“, grollte er. „Welche Stelle?!“, rief der Prinz aufgebracht. „Ich weiß ja nicht, in welcher Lage du dich befindest, weil du nicht mit mir sprichst. Vielleicht hätte ich dir helfen können, aber stattdessen fliegst du mich dorthin, wo man mich töten wird! Ich bin kein Objekt – ich bin ein lebendiges Wesen!“ „Es ist die einzige Möglichkeit, Mokuba von dem Fluch zu befreien!“ „Ach, und du willst jetzt meinen Segen haben, um mit reinem Gewissen mein Blut vergießen zu dürfen?!“, erwiderte Joey wutentbrannt. „Vergiss es! Ich habe dir vertraut, Seto, obwohl ich gemerkt habe, dass die ganze Zeit über etwas nicht stimmte. Ich wollte es nicht wahr haben, aber im Nachhinein hatten sie alle recht. Sogar Dartz war ehrlicher zu mir als du.“ Er wirbelte herum. „Wir sind hier fertig.“ Er hatte keine drei Schritte getan, da hörte er ein wütendes Brüllen hinter sich. Ein Blick über die Schulter verriet ihm, dass Seto die Flügel ausgebreitet hatte. „Und du denkst, dass du jetzt einfach so gehen kannst?!“ Joey beschleunigte seine Schritte, bis er rannte. Vor ihm sah er bereits die ersten Bäume des Waldes. Wenn er es in den Wald schaffte, dann könnte er sich dort verstecken. Irgendwo. Hinter sich erklangen schwere Schritte, die ebenfalls an Schnelligkeit gewannen und Joey wusste, dass Seto dicht hinter ihm war. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals, sein Magen verkrampfte sich und er wollte würgen. Er fühlte sich hintergangen und betrogen und wenn er gekonnt hätte, hätte er den Drachen verwünscht. Er stolperte über einen Ast und fiel. Schwer atmend rappelte er sich auf und rannte weiter. „Bleib stehen!“, rief Seto dicht hinter ihm. Joey hatte keine Luft, um etwas zu erwidern, doch er kam nicht weit. Etwas schlang sich um seine Beine und riss ihn zu Boden. Sein Gesicht ladete im Laub und er wollte sich aufrichten, doch ein Luftzug in seinem Nacken ließ ihn erstarren. Seto war genau über ihm. Jegliche Spannung wich aus Joey Körper. Seto hatte ihn. Das war es dann wohl. Er drehte sich auf den Rücken und starrte hasserfüllt in die saphirblauen Augen über sich. Seto hatte ihn mithilfe seines Schwanzes von den Füßen gerissen und stand nun drohend über Joey. Seine Vorderklauen gruben sich links und rechts neben dem Prinzen in den Waldboden. „Sieht aus, als wäre es das für mich“, knurrte Joey. „Glückwunsch, Seto, jetzt hast du, was du wolltest. Du kannst mich zur Bergspitze bringen und das tun, was du schon seit Tagen vorhattest.“ Als wäre er nichts weiter als ein Mittel zum Zweck gewesen. „Wegrennen kann ich dir nicht.“ Nicht mehr als ein Opferlamm. „Du hättest mich auch gleich fressen können, wie deine Beute.“ Er lachte bitter. „Das wäre auf dasselbe hinausgekommen. Wahrscheinlich wäre es sogar weniger grausam gewesen, als mich so lange zu täuschen.“ Er holte mit der Faust aus und schlug Seto mit aller verbliebenen Kraft gegen die Schuppen des Vorderbeines. Ein stechender Schmerz fuhr dabei durch seine Hand doch er ignorierte es. Wahrscheinlich hatte Seto nicht mehr als einen leichten Stoß gespürt. Auch das war Joey egal. „Idiotischer Drache“, flüsterte er und auch wenn seine Augen brannten, schwor er sich, dass er vor Seto nicht zu weinen beginnen würde. Er war zwar verletzt, aber er hatte noch immer seine Würde. Seto würde ihn opfern, aber Joey war nach wie vor ein Prinz. Und Prinzen weinten nicht. Auch, wenn sie verletzt, betrogen und verraten worden waren. Seto seufzte. „Bist du dann fertig?“ Als Antwort erntete er einen weiteren Schlag gegen das Bein. Er zuckte nicht einmal, während Joey sich die Faust rieb. „Sei still!“, fauchte der Prinz wütend. Der Drache verdrehte die Augen, dann hob er eine der Klauen vom Waldboden und presste sie gegen Joeys Brust. Er beugte sich vor, bis sein Gesicht nur wenige Zentimeter über dem des Prinzen am Boden schwebte. „Wenn der Moment der Dramatik dann vorbei ist, kannst du mir ja deine volle Aufmerksamkeit schenken.“ Joey wollte etwas erwidern, doch der Druck auf seiner Brust verstärkte sich für einen Moment so sehr, dass er den Mund, ohne ein Wort gesagt zu haben, wieder schloss. Sofort ließ der Druck nach. Seto zeigte seine Zähne in einem Lächeln voller Genugtuung. Dann wurde er ernst. „Hör mir zu – und ich dulde es nicht, wenn du mich unterbrichst. Ich bin dir gegenüber nicht ehrlich gewesen, da hast du recht - und ich verstehe deine Reaktion. Oder zumindest den Teil der Reaktion, in dem du mich angeschrien hast. Was den Teil angeht, in dem du beinahe geweint hast, so –“ „Nimm das zurück!“, fuhr Joey ihn an. „Ich habe nicht beinahe geweint. Ich bin ein Prinz und Prin-“ Der Rest seiner Worte ging in einem Röcheln unter, als Seto den Druck seiner Klaue verstärkte. „Ich habe dich belogen und behauptet, auf der Spitze des Berges wäre eine Pflanze, die Mokuba retten würde. Ich habe dir verschwiegen, dass dort tatsächlich ein Tempel steht, in dem eine Priesterin lebt, die Mokuba im Austausch für ein anderes Leben retten kann. Ein anderes Leben als mein eigenes“, fügte er hinzu, als habe er die Frage in Joey Augen lesen können. „Mein Leben im Austausch für seins ist nicht möglich – Dartz und Pegasus wussten dies zu verhindern, da ihnen bewusst war, dass ich diese Möglichkeit sonst gewählt hätte. Ihnen war klar, dass sie mich damit mehr bestrafen würden als mit meinem Tod im Austausch für Mokubas Gesundheit. Tatsächlich ist auch nicht jedes Leben eintauschbar. Mokuba hat die Gabe, Menschen erkennen zu können und somit hat er deine adlige Herkunft gesehen. Nur das Leben einer Person mit königlichem Blut kann eingetauscht werden. Weil es am unwahrscheinlichsten ist, dass ein Adliger bereit ist, sein Leben für das eines Drachen zu lassen.“ Setos Blick bohrte sich in Joeys. „Ich habe dich hintergangen, das stimmt. Aber ich frage dich: Was hättest du an meiner Stelle getan.“ Joey öffnete den Mund, doch Seto war schneller und sagte eindringlich: „Was hättest du wirklich getan, Joey?“ Er hatte ihn beim Namen getan. „Wenn du ehrlich zu dir selbst bist.“ Und als Joey in Setos Augen blickte, in denen nun deutliche Reue und der Schmerz der vergangenen Jahre lag, wusste er, dass er – auch wenn er sich wünschte, edler zu sein und moralischer zu handeln als Seto – genau das Gleiche getan hätte, wenn es um das Leben seiner Schwester – das Leben seiner ganzen Familie – gegangen wäre. Das Gewicht verschwand von seiner Brust als Seto die Klaue hob, doch Joey blieb auf dem Boden liegen, einen Arm über die geschlossenen Augen gelegt. Und auch wenn er hoffte, dass es nicht so war, so wusste er doch, dass Seto seine Tränen gesehen hatte. Joey biss sich auf die Lippen und ballte die Fäuste, doch der Tränenstrom brach nicht ab. Heiß und verräterisch tränkte er den Ärmel und bahnte sich trotz des Hindernisses seinen Weg über die Wangen des Prinzen. „Verfluchter Drache“, würgte Joey hervor und war dankbar darüber, dass er zumindest nicht schluchzte. „Elender, verdammter Drache!“ Er schlug mit der anderen Faust auf den Waldboden und wirbelte einige Blätter auf. „Bist bereit mich zu opfern, schaffst es aber trotzdem, dass ich mich im Nachhinein schlecht fühle!“ Seto schnaufte, doch lag dieses Mal keine Genervtheit darin. Joey nahm eine Bewegung des Drachen wahr und als er aus den Augenwinkeln einen verschwommenen Blick zur Seite warf, erkannte er, dass Seto sich neben ihn gelegt hatte. Eine bepanzerte Vorderklaue lag unmittelbar neben Joeys Kopf und der Prinz dachte keinen Moment darüber nach, sondern drehte sich zur Seite und presste das Gesicht gegen die glatten, schneeweißen Drachenschuppen. Seto spottete nicht über sein Verhalten. Er drängte auch nicht zur Eile. Er lag neben Joey und duldete den Gefühlsausbruch des Prinzen. Und Joey glaubte – auch, wenn er es sich vielleicht nur wünschte – dass Seto es tat, weil er den Prinzen verstand. Und weil Joey ihm – auch wenn er eigentlich versucht hatte, es zu verhindern – doch nicht ganz egal war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)