Aequilibrium von Schilly (Das Jadependel) ================================================================================ Kapitel 4: Unverhoffte Rettung ------------------------------ Lasse stolperte zurück, als vor ihm immer mehr Naknaks aus dem Boden stiegen. Immer mehr Löcher taten sich im weichen Waldboden aus und kleine, hässliche Körper wanden sich heraus. Ein Konzert aus schrillen Rufen ertönte und wurde immer lauter. Die kleinen Wesen sahen sich alle sehr ähnlich. Zwar waren einige etwas größer als andere, doch alle hatten sie das gleiche borstige Fell und die großen schwarzen Augen, die Lasse inzwischen gar nicht mehr so niedlich fand. Eine primitive Boshaftigkeit spiegelte sich jetzt darin und sie war natürlich gegen ihn gerichtet. Jedes der Wesen trug eine andere Waffe in den krallenbesetzten Pfoten. Auch hier handelte es sich um alte Gebrauchsgegenstände von Menschen. Alte Löffel, Gabeln, Messer, Stacheldrahtreste, Scheren, Nadeln, Kronkorken, Streichhölzer und einige trugen sogar spitze Bleistifte und hielten diese wie Kampfstäbe vor ihre kleinen Körper. Lasse verließ langsam der Mut. Zwar begnügten die Naknaks sich immer noch damit ihn zu umzingeln und laut und schrill zu rufen, aber er bezweifelte, dass das noch sehr lange so bleiben würde. Und sie sammelten sich immer noch. Viele weitere ihrer Art bohrten sich durch den Boden und grinsten dem Jungen breit entgegen. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Lasse richtig Angst. Seine Gegner waren ihm körperlich zwar mehr als unterlegen. Dafür waren sie inzwischen Eins zu Einhundert in der Überzahl. Er wagte es sich nicht zu bewegen in der Angst, das seine Gegner das zum Anlass nahmen zum Angriff überzugehen. Er atmete flach und möglichst leise und starrte sie entsetzt an. Er spürte wie eine Schweißperle seine Stirn herunterlief. Weitere Exemplare schoben sich aus der Erde. Sie alle trugen neue Waffen. Entsetzt erkannte Lasse, dass einige Naknaks tatsächlich gefährliche Dinge bei sich trugen. In den immer größer werdenen Reihen erkannte er aufgeklappte Taschenmesser oder zebrochene Glasstücke mit scharfem Rand. Lasse stellte sich vor wie der Kampf ausgehen würde und sah sich nach dieser Überlegung leblos am Boden liegen. Er schluckte nervös. Vor ihm stand eine ganze Armee dieser hässlichen Viecher. Mehr als zweihundert Exemplare, schätzte er. Und alle waren sie sowohl flink als auch gerissen. Lasses Beine zitterten. Und das nicht wegen dem zurücklegenden Sprint hinter der Katze, die er inzwischen völlig aus seinen Gedanken verbannt hatte. Das Konzert verstummte nun langsam und die Armee wurde nicht mehr größer. Irgendwann war es fast völlig still. Man hörte nicht einmal mehr irgendwelche Vögel oder Insekten. Das einzige Geräusch war das leise Atmen von hunderten von kleinen Nüstern, die Wesen gehörten, die Lasse neugierig beobachteten. Lasse verfluchte sich inzwischen selbst. Warum war er nicht losgerannt? Er hätte schon längst über alle Berge gewesen sein. Vielleicht hätten diese Biester ihn trotzdem eingeholt. Aber die Chancen zu entkommen wären vermutlich sehr viel höher gewesen. Jetzt starrten ihn mehrere hundert schwarze Augen an. Und Lasse kannte diesen Blick. Philipp schaute auch so, wenn er eine Portion Pommes und zwei Hamburger bestellte. Die Faszination und die Angst hatten ihn gelähmt. Deswegen war er nicht losgelaufen. Er biss die Zähne zusammen. Jetzt hatte er keine Wahl mehr. Jetzt war die Armee da und er war alleine. Er zuckte unwillkürlich zusammen, als das vorderste Naknak langsam auf ihn zukam. Lasse erkannte es als das Exemplar, das ihn in den Finger gebissen hatte. Der rostiger Löffel kennzeichnet es. Es schnüffelte und das unheimliche Grinsen wurde breiter. „Du Freund, ja?“, krächzte es dann. Lasse starrte es entsetzt an. „Wie bitte?“, sagte er und merkte dabei das seine Stimme vor Fassungslosigkeit absurd piepsig geworden war. „Du Freund, ja?“, wiederholte das Naknak gierig und fügte ein Nak Nak hinzu. War Lasse im falschen Film gelandet? Was wollte dieses Vieh von ihm? War diese Armee aus hässlichen Monstern etwa doch kein Feind, sondern Freund? Und warum konnte das Tier sprechen? Lasse schüttelte diese Gedanken ab. Gesundes Misstrauen war angesagt. Das Naknak klopfte mit dem Löffel auf den Boden und wiederholte das Wort „Freund“ ein weiteres Mal. In diesem Moment verstand Lasse das Verhalten und eine Sekunde später fasste er einen Entschluß. Das kleine Biest wiederholte die Situation von vor wenigen Minuten, als die beiden noch alleine im Wald standen. Es verlangte, dass Lasse sich zu ihm herunterkniete. Der Junge wußte, dass das sein sicherer Tod sein würde. Zwei große, erwartende Augen blickte ihn an. Lasse zögerte kurz, dann ging er langsam in die Hocke. Das Naknak sprang vor Freude auf und klopfte wie wild auf den Boden, denn sein Trick schien zu funktionieren. Der Menschenjunge fiel auf ihn herein. Lasse konnte es zwar nicht sehen, aber er hörte wie mehrere dutzend kleiner Mäuler vor Vorfreude schmatzten und hunderte Augen erwartend auf seiner Gestalt lagen. Gleich würden sie losspringen. Jetzt oder nie. Er holte aus und erwischte das kleine Monster mit der flachen Hand. Der kleine Körper war noch leichter als erwartet. Das Naknak verschwand mit einem überraschten Laut und einer irrwitzigen Geschwindigkeit in einem nahen Gebüsch. Lasse zögerte nicht und seine Beine taten ihm den Gefallen, einen perfekten Start hinzulegen. Er drehte sich um und rannte los. Er übersprang eine Reihe der Naknaks, die völlig verdutzt waren und gar nicht reagierten. Eines der Biester trat er brutal zur Seite. Dann beschleunigte er, bevor die Armee aus hässlichen Kreaturen überhaupt verstand, was gerade passiert war. Zum zweiten Mal an diesem Tage musste Lasses Körper einen Gewaltsprint hinlegen. Nur diesmal war es sehr viel schwieriger für ihn. Über einen flachen Bürgersteig zu rennen war die eine Sache. Über unebenen Waldboden zu hasten ohne dabei in das Unterholz einzubrechen oder einen Baum zu rammen war die andere Sache. Er konzentrierte sich zwar auf den Weg vor sich, aber das, was hinter ihm vorging, konnte er nicht einfach ignorieren. Das laute Konzert der Naknaks schwoll hinter ihm wieder an und kam näher. Die kleinen Biester hatten die Situation neu eingeschätzt und verfolgten ihn. Und sie waren eindeutig im Heimvorteil. Mit ihren kleinen Füßen sackten sie nicht in den Boden ein und ihre leichten Körper schienen es ihnen zu ermöglichen fast schon zu fliegen. Lasse biss die Zähne zusammen und versuchte noch schneller zu laufen. Seine Beine dankten es ihm mit zuckenden Schmerzen, die er einfach ignorierte. Schmerzen waren im Moment ein Luxus, den er sich nicht leisten konnte. Umso erstaunlicher war es wie geschickt er im Slalon durch den Wald hetzte, liegende Baumstämme übersprang und Haken schlug. Seine Lunge brannte. In seiner Brust wurde es heiß. Der Körper schien zu überhitzen. Die Seiten stachen, weil er in der Hektik falsch atmete. In seine Mund dachte er Blut zu schmecken, obwohl dort kein Blut war. Er hatte noch nie derartig schnell gelaufen. So mussten sich die Leute in Horrorfilmen fühlen. Sü fühlte es sich an, wenn man um sein Leben rannte. Und trotz all dieser Bemühungen und der aberwitzigen Geschwindigkeit, die er erreichte. Seine Verfolger waren schneller und holten auf. Und die ersten Exemplare überholten ihn nun. Ein halbes dutzend Naknaks sprangen seitlich an ihm vorbei und dann auf ihn zu. Lasse schrie auf, als winzige Krallen sich durch den dünnen Stoff in seine Haut bohrten. Das zusätzliche Gewicht war nicht der Rede wert und Lasse dachte nicht im Traum daran abzubremsen. Und erst als die Viecher damit begannen mit ihren seltsamen Waffen zuzuschlagen, versuchte er sich zu wehen. Ein Biest rammte ihm eine überraschend spitze Gabel in den Unterarm. Lasse dankte es ihm mit einem gezielten Fausthieb, so dass der Naknak mit einem Quieken davonflog. Dann schlug Lasse wahllos um sich und versuchte die anderen Viecher zu erwischen, doch das bremste ab. Neue Naknaks waren schon heran und besprangen ihn ebenfalls. Einige fingen an mit ihren seltsamen Waffen seinen Oberkörper zu maltretieren, andere hingen an seinen Beinen und zupften so stark an seiner dreckigen Jeans, dass es seinen Lauf weiter abbremste. Eines der gackernden Wesen nutzt sein Messer den Jeansstoff zu zerschneiden. Als es die blanke Haut sah holte es aus. Lasse reagierte gerade noch rechzeitig und kickte das kleine Monster mit dem anderen Fuß davon. Er hörte die Armee hinter sich und das laute Gegacker auf ihm. Er schlug zwar wild um sich, aber er traf nicht immer. Und für jedes Naknak das er abschüttelte schienen zwei neue auf ihn zu springen, die laut quieckend mit ihren Waffen auf ihn eindroschen. Lasse schrie vor Schmerz auf, als irgendein Biest seine Nadelzähne in seinen Nacken bohrte wie ein kleiner Vampir. Es fühlte sich für einen Moment an, als ob ein Arzt ihm zehn Spritzen gleichzeitig gegeben hatte. Seine Beine funktionierten nur noch mit der Kraft der Verzweiflung. Die kleinen Giftzwerge kamen noch ein Stückchen näher. Wenn er jetzt nicht etwas unternahm war er verloren. Lasse schlug einen scharfen Haken und verlor damit drei seiner unfreiwilligen Begleiter. Er beschleunigte noch einmal. Und plötzlich war vor ihm ein Graben. Er schrie als sein Fuß leere Luft traf und die Schwerkraft seinen Körper nach unten riss. Er schlug einige Purzelbäume den steilen Abgrund herunter und zerquetschte damit die Naknaks, die sich an ihn geklammert hatten. Dann landete er reichlich schmerzhaft auf dem Bauch am Grund des Grabens. In seinem Kopf drehte sich alles, aber Lasse wußte das er sich keine Pause gönnen durfte. Stattdessen packte er einen nahen Ast und sprang auf die Beine. Mit lautem Gegacker sprangen die ersten Naknaks heran und zwar direkt auf ihn zu. Lasse holte mit seiner neuen Waffe aus und knüppelte gleich zwei der heranfliegenden Biester zu Boden. Drei andere verkrallten sich wieder in seinem T-Shirt, doch mit einer schnellen Armbewegung konnte er sie fortwischen. Die anderen verfehlten ihn und landeten quieckend auf dem Boden des Grabens. Für einen Moment dachte Lasse er könnte vielleicht einfach gegen die kleine Armee kämpfen. So stark waren die Naknaks nichts. Doch dann schwabte eine Welle aus gackerndem, grauen Fell über den Rand des Grabens und flutete auf ihn zu. Er schmiss den dicken Ast davon und rannte los. Der Graben schien nicht nur hoch zu sein, sondern auch lang. Er schlängelte sich vor Lasse weit in den Wald hinein. Ein Ende war nicht in Sicht. Wenigstens waren hier keine Bäume im Weg. Hinter ihm schnatterte die Armee der kleinen Biester. Als er einen Blick nach hinten riskierte sah es aus, als würde der Graben mit lebendigem Wasser geflutet. Bösartigem Wasser, das es auf sein Blut abgesehen hatte. Lasse fragte sich wie lange er es noch aushalten würde. Sein Körper war schon längst über seine Grenzen hinaus. Sollte er diesen Wahnsinn überleben, dann konnte er sich schon auf einen schönen Muskelkater freuen. Er keuchte und sog die Luft so gierig und schnell ein, wie er konnte. Seine Lungen schienen ihre Kapazität auf einen Bruchteil reduziert zu haben. Er fühlte sich, als würde er jeden Moment ersticken. Er war so auf die Flucht konzentriert dass er nicht bemerkte, wie der Boden unter ihm immer weicher wurde. Seine Füße versackten schon ein paar Zentimeter im Schlamm, doch er rannte weiter. Dann war da plötzlich ein Bach, der den Graben wie eine zweite Straße kreuzte. Lasse schrie erschrocken auf, aber Bremsen war unmöglich. Sein Fuß trat in das grüne Wasser und sein Körper folgte ihm. Der Boden unter dem Wasser schien nicht auf seiner Seite zu sein. Er war dermaßen aufgeweicht, dass Lasse bis zu den Knien einsackte. Er steckte fest. Lasse versuchte aus dieser Falle zu entkommen, indem er seinen Körper hin und herwand, aber nichts löste sich. Seine Beine nahmen es außerdem zum Anlass entgültig den Geist aufzugeben. Mit einem Mal fühlte er sie nicht mehr. Er nahm weder Schmerzen noch das kalte Wasser war, das durch seine Jeans sickerte. Schließlich versuchte er sich auszugraben, indem er mit den Händen unter Wasser Schlamm wegschaufelte. Doch seine Bemühungen waren viel zu spät. Die ersten Naknaks waren heran und stürzten sich auf ihn. Sie krallten sich in seine nackte Haut und den nassen Stoff seines T-Shirts. Sie schlugen mit ihren Waffen auf ihn ein und hinterließen damit winzige Stich-, Kratz- und Schnittwunden. Ihre winzigen nadelartigen Zähne bohrten sich an zahlreiche Stellen seines Körpers. Und die ganze Zeit gackerten sie mit ihren widerlichen Stimmen. In Lasses Ohren hörte es sich an wie blanker Hohn. Er wehrte sich zwar mit aller Kraft und er erwischte auch immer wieder einen, doch sie waren viel zu viele. Bald war keine Stelle mehr an seinem Körper, an dem nicht mindestens zwei der Biester hingen. Lasse verteidigte nur noch sein Gesicht und ertrug die vielen kleinen Schmerzen, die zu einem unerträglichen Gesamtschmerz wurden. Das war es. Das war sein früher Tod. Sein unerwarteter Tod. Lasse hatte nur eine Katze in einen scheinbar harmlosen Wald verfolgt und wurde nun bei lebendigen Leib von kleinen Rattendämonen gefressen. Vielleicht hatte Philipp damals Recht gehabt. Vielleicht waren die Naknaks diejenigen, die Kinder entführten. Und zwar als Mahlzeit. Lasse gab auf. Kaum hörte er auf mit seine Hand vor seinem Gesicht herumzuschlagen, waren ein paar der kleinen Biester heran und sprangen ihn an. Er konnte nichts mehr sehen, weil einige kleine Körper ihm die Sicht raubten und er konnte nichts mehr hören, weil das schreckliche Konzert direkt auf ihm stattfand. Doch das laute Brüllen hörte er. Er spürte das irgendetwas heransauste. Dann wurden die Naknaks mit einer solchen Wucht aus seinem Gesicht gefegt, dass er den Windstoß fühlte. Eine Sekunde später kreischten alle anderen Naknaks auf und sprangen von seinem Körper ab. Lasse war so überrascht, das er einen Moment lang nicht atmete. Dann fiel ihm wieder ein wie seine Lungen funktionierten und er nahm einen großen Zug Luft. Die Naknaks sprangen und schwammen derweil weiter zurück und bildeten einen Kreis um Lasse und seinen unverhofften Retter. Im ersten Moment dachte Lasse die ungeheure Anstrengung und der Schmerz hatte zu Halluzinationen geführt. Doch dann begriff er das das Wesen vor ihm realistisch war. Vor ihm stand ein Panther. Zumindest sah das Tier einem Panther sehr ähnlich. Es war eine riesige Raubkatze mit einem glatten, dunkelbraunen Fell. Die mächtigen Muskeln des Tieres waren angespannt und traten unter der Haut hervor. Die riesigen Pranken schienen fest auf dem schlammigen Boden unter dem Wasser zu stehen. Der kräftige Körper war bereit zum Angriff, wie Lasse an der Haltung ablas. Eine Reihe messerscharfer Zähne lag im großen Maul des Panthers und ein leises Knurren erklang. Lasse war sich nicht sicher ob das Auftauchen eines noch größeren Tieres gut war, aber dieser Panther mit braunem Fell schien auf seiner Seite zu sein. Und dieser Gedanke war mehr als tröstend. Die Naknaks waren inzwischen ziemlich kleinlaut geworden und standen unsicher am Rand herum. Der plötzliche Gegner schien ihnen eine gehörige Portion Respekt einzuflößen, wie Lasse erleichtert feststelle. Wenn der Panther nicht plötzlich die Seite wechselte, dann war er vielleicht in Sicherheit. Dann wagten die kleinen Biester es doch. Einige von ihnen sprangen kreischend vor und stürzten sich auf den Panther. Sie landeten in seinem Fell und wollten gerade anfangen ihn zu peinigen, als das große Tier eine für seine Größe unerwartete Gewandtheit an den Tag legte. Seine Pranken schoßen aus dem Wasser und pflückten die Naknaks ohne erkennbare Anstrengung von seinem Körper. Noch in der Luft zerriss er sie. Und zum ersten Mal sah Lasse, wie eines der Biester starb. Kurz nachdem sie von den Pranken getroffen worden waren lösten sie sich in ein Material auf, das er sofort erkannte: Braune Erde. Es griffen keine weiteren Naknaks mehr an. Sie standen nur noch unentschloßem im Kreis und machten leise Geräusche. Der Panther setzte dem ganzen ein Ende, indem er sein beeindruckendes Gebrüll ertönen ließ. Die kleinen Biester zuckten zusammen und traten dann den Rückzug an. Der Ring löste sich auf und zahlreiche kleine Körper verschwanden spurlos im Wald. Lasses Anspannung legte sich allerdings noch nicht. Noch stand der Panther vor ihm im Wasser. Wenn dieser sich jetzt entschied ihn zu Fressen, dann war sein Tod so sicher wie das Amen in der Kirche. Das beeindruckende Tier knurrte immer noch leise. Es drehte seinen breiten Kopf zur Seite und blickte Lasse an. Dieser schnappte unwillkürlich nach Luft. Diese Augen erkannte er sofort. Der muskulöse Leib des Panthers erbebte. Das Tier war seinen Kopf in den Nacken und zitterte aufeinmal, als ob ihn Krämpfe befallen hätten. Dann began er zu schrumpfen. Fell zog sich rauschend zusammen und Knochen knackten hörbar, als sich der Panther in ein anderes Tier verwandelte: In eine große braune Katze mit zotteligen Fell. Endlich fiel alle Anspannung von Lasses Körper ab. Er glaubte nicht das die Katze ihm etwas Böses wollte. Ganz im Gegenteil. Irgendetwas wollte sie von ihm. Oder besser gesagt er. Jetzt, wo er die Katze aus der Nähe sehen konnte, erkannte er sie als Kater. Sein Retter sprang an das trockene Ufer und schüttelte das Wasser aus dem Fell. Mit einem Kopfnicken bedeute er dann ihm zu folgen. Leichter gesagt als getan. Noch steckte Lasse fest. Außerdem war von der Flucht geschwächt. Seine Kleider waren völlig verdreckt und seine Haut war mit Blut verschmiert. Zahlreiche winzige Wunden hatten die Naknaks hinterlassen, aus denen feine Rinnsäle seines Lebenssaftes floßen. Alles im allen schienen seine Verletzungen aber noch nicht sonderlich gefährlich zu sein. Er brauchte sehr lange, bis er keuchend am Ufer das Waldbaches lag. Seine Beine hatten sehr tief im Schlamm gesteckt und er musste Kräfte einsetzen, die sein Körper kaum noch aufbringen konnte, um sie herauszuziehen. Irgendwie hatte er es schließlich doch geschafft. Der Kater kam heran und stupste ihn freundschaftlich an. Ein leises Schnurren erklang. Lasse fasste das als eine Art Lob auf. „Danke.“, murmelte er müde und strich dem Tier über den Rücken. Das Fell des Katers war zwar zottelig, aber zwischen seinen Fingern fühlte es sich sehr weich an. Lasse fühlte die ungewöhnliche Muskulatur dieses Exemplars. Ein normaler Kater war das wirklich nicht. Die blauen Augen ruhten geduldig auf ihm und signalisierten das Lasse sich in aller Ruhe eine kleine Pause gönnen konnte. Ein Weilchen saßen die beiden einfach am Rande des kleinen Baches. Lasse hatte begonnen seine Beine zu massieren um die fürchterliche Taubheit darin zu vertreiben. Nach einigen Minuten wich sie einem unangenehmen Schmerz. Trotzdem schaffte er es schließlich aufzustehen um dem Kater zurück durch den Graben zu folgen. Zu Lasses Erleichterung schien es das Tier nicht eilig zu haben. Zwar sprang es immer wieder einige Meter vor, aber bevor der Abstand zu groß wurde blieb es stehen und blickte sich nach Lasse um. Seine Beine bewegten sich fast automatisch. Sie knickten bei jedem Schritt etwas ein, aber Lasse ignorierte den dumpfen Schmerz, der dabei entstand, und schlurfte mutig weiter. Er wußte nicht wohin der Kater ihn führen würde, aber das war ihm inzwischen egal. Er vertraute seinem ungewöhnlichen Retter. Innerlich freute Lasse sich. Er hatte Recht gehabt. Der Kater war kein gewöhnliches Tier. Immerhin konnte er sich in einen riesigen Panther verwandeln und Lasse war sich ziemlich sicher, dass eine normale Hauskatze diese Fähigkeit nicht besaß. Es wunderte ihn nur ein wenig, denn er hatte schon mit etwas Ungewöhnlichem gerechnet. Auch die Naknaks waren keine normalen Tiere gewesen. Sie hatten sprechen können und trugen alte Gegenstände als Waffen. Sie mussten intelligente Wesen sein, wenn sie auch nur eine primitive Intelligenz besaßen. Pfiffig genug um Lasse hereinzulegen waren sie allemal. Ein leises Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Er fühlte sich, als hätte er mit diesem Wald eine andere Welt betreten. Plötzlich erschienen ihm die ganzen Geschichten über Feen, Kobolde und Einhörner gar nicht mehr so unglaubwürdig. Der Kater führte ihn weiter durch den Wald. Er schien sich auszukennen. Wo Lasse nichts weiter als Bäume und braunen Waldboden sah erkannte das Tier anscheinend Wege und Richtungen. Zielsicher zeigte es ihm den Weg. Erst nach vielen Minuten traute Lasse sich etwas zu sagen. „Was bist du?“ Der Kater stoppte und blickte ihn mit seinen großen Augen an. Lasse erkannte sofort, dass er seine Worte verstanden hatte. Aber anscheinend konnte er nicht reden. Stattdessen schüttelte er sachte seinen Kopf. Dann drehte er sich um und ging weiter. Lasse verzog enttäuscht das Gesicht. Dann fiel ihm ein das er immerhin Ja- und Neinfragen stellen konnte. „Du bist kein normaler Kater, oder?“ Das Tier zögerte und schien darüber nachzudenken. Dann kam es wohl zu dem Entschluß das es sowieso offensichtlich war das es nicht normal war. Es schüttelte leicht den Kopf. „Bist du so etwas wie eine magische Kreatur?“ Nicken. „Wirklich? Ich meine: Wow! Also gibt es euch wirklich?“, fragte Lasse mit funkelnden Augen. Vielleicht war das nur ein Traum? Er stand in Versuchung sich selbst zu zwicken. Dann erinnerte er sich an den Angriff der Naknaks und die Schmerzen in seinen Beinen und entschloß dass das Beweis genug war, das er nicht träumte. Der Kater nickte nicht, aber das war auch nicht nötig. Die Antwort war ihm so oder so völlig klar. Es gab sie wirklich. Und Lasse hatte dieses Geheimnis entdeckt. „Und was genau bist du? Eine Art Werwolf? Ich meine... Ein Werpanther oder so?“ Keine Reaktion. „Also nicht? Einfach eine Art magische Katze?“ Wieder blickte der Kater stumm gerade aus und ging langsam weiter. Er stellte seinem neuen Begleiter noch mehr Fragen, aber der Kater antwortete Lasse plötzlich nicht mehr. Er zuckte mit den Schultern. Vielleicht ging er mit dieser Fragerei zu weit. Er wollte den Kater auf keinen Fall damit verscheuchen. Lasse wußte nicht, wie lange sie durch den Wald gegangen waren. Es kam ihm wie Stunden vor und jeder Moment schien magisch zu sein. Der Wald war so normal wie eh und je. Nicht einmal ein Naknak hatte sich mehr blicken lassen. Aber hinter einem intelligenten Kater herzulaufen, der sich in eine riesige Raubkatze verwandeln konnte, war magisch genug. Schließlich erkannte Lasse in der Ferne den Lichtstreifen, den er vor einer Weile verloren hatte. Der Rand des Waldes. Sie gingen direkt auf ihn zu und schließlich stand er wieder vor dem Feld. Das Sonnenlicht blendete ihn im ersten Moment. Hier spendeten die Bäume keinen dunklen Schatten und die Sommersonne stach umbamherzig vom Himmel herab. Vor ihm erkannte er seine tiefen Fußspuren in der feuchten Erde des Ackers. Der Kater musterte ihn wieder und nickte dann mit dem Kopf über das Feld. Das sollte wohl bedeuten, dass Lasse sich wieder auf den Weg machen sollte. Doch er zögerte. Er wollte gar nicht wieder zurück in seinen normalen Alltag. Er wollte bei dem Kater bleiben. Als das Tier merkte das er keine Anstalten machte zurückzugehen nickte es nur noch energischer. „Aber... Ich möchte nicht.“, sagte Lasse bedrückt. Er bückte sich zum Kater runter und wollte ihm über den Kopf streicheln. Doch aufeinmal fauchte er ihn an. Dann drehte sich das Tier blitzschnell um und verschwand mit wenigen Sprüngen wieder im Wald. Lasse schaute ihm hinterher. „Verdammter Mist!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)