Muscheleffekt von Ur (Die Perle liegt im Innern) ================================================================================ Kapitel 1: Argumente -------------------- »Ich verstehe immer noch nicht, was du an ihr findest. Du kannst doch wirklich jede haben«, sagt Melli und kaut ungeduldig auf ihrem Bleistift herum, während sie damit beschäftigt ist, eine Skizze für ihre Hausarbeit anzufertigen. Ich betrachte mäßig interessiert ihre Entwürfe und wiege den Kopf leicht hin und her, wobei mir ab und an einige meiner widerspenstigen Locken ins Gesicht fallen. Gedankenverloren spiele ich an meinem Unterlippenpiercing herum und zeichne unsichtbare Muster auf den Stoff meiner zerrissenen Jeans. »Ich will aber nicht jede haben«, sage ich schließlich und sehe Melli an, die ihre Stirn in Falten gelegt und die Augenbrauen zusammengezogen hat. Die blonden, kurzen Haare stehen ihr vom Hinterkopf ab und ihre Stupsnase ist übersät mit Sommersprossen. »Das weiß ich wohl. Ich kenne keinen gottverdammten Menschen auf dieser Welt, der wählerischer ist als du. Und das ist kein Kompliment«, erklärt sie mir im Brustton der Überzeugung und hebt ihren Kopf, um mich mit immer noch zerfurchter Stirn anzublicken, als sei ich ein überdurchschnittlich großes, wissenschaftliches Problem, das die Welt bewegt. »Es ist nicht schlecht wählerisch zu sein. Du steigst mit jeder ins Bett«, informiere ich sie nur für den Fall, dass sie das vergessen hat. Sie schnaubt. »Ich gehe nicht mit jeder ins Bett. Letztes Wochenende hab ich Katie einen Korb gegeben. Falls du das nicht mitbekommen haben solltest«, entgegnet sie ungehalten. Offensichtlich raubt ihr diese Hausarbeit bald den letzten Nerv. Ich muss lachen. Ich liebe meine beste Freundin. Aber ich kann nicht leugnen, dass sie ein kleines Flittchen ist. Ich meine das nicht böse. Es mangelt mir nur an einem besseren Wort dafür. Denn natürlich nimmt sie kein Geld für das, was sie tut. Am Wochenende. Und an den Tagen zwischen den Wochenenden. Sie hat das auch gar nicht nötig. Ihre Eltern sind nämlich Architekten. »Du hast ihr nur einen Korb erteilt, weil du wusstest, dass sie vorher schon mit Nadja rumgeknutscht hat«, meine ich belustigt. Sie schnaubt. »Das kann ich sowieso nicht verstehen. Wer würde schon mit Nadja knutschen wollen? Niemand! Nadja hat Hasenzähne und Segelohren!« Ich kann darüber nur den Kopf schütteln. »Vielleicht ist sie ja auch einfach nur intelligent und sehr nett?«, frage ich sie beiläufig. Melli verdreht die Augen, als hätte ich etwas komplett Dummes gesagt. »Ehrlich. Nett und intelligent ist ja toll und wünschenswert. Aber im Bett brauche ich keine Intelligenzbestie. Und nett muss sie auch nicht sein. Aber Lecken sollte sie können.« Ich fahre mir mit der Hand über das Gesicht und schüttele den Kopf. Manchmal wünsche ich mir, dass Melli sich so richtig verliebt. In ein Mädchen, das nicht aussieht wie ein aus dem Katalog bestelltes Model, sondern völlig normal. So wie das Mädchen, in das ich mich verliebt habe. Hanna heißt sie. Und sie ist mit Abstand das schönste Mädchen, das ich je in meinem Leben getroffen habe. Wenn ich sie aus Mellis Augen beschreiben müsste, dann würde ich sagen, dass sie lange, hellbraune Haare, grün- braune Augen und ein unscheinbares Gesicht hat. Zugegebener Maßen würde Melli auch sagen, dass Hanna zu wenig Oberweite und zu viel Hüfte hat. Aber ehrlich gesagt, interessiert mich Mellis Meinung zu diesem Thema herzlich wenig. Also sage ich zu dem Kommentar mit dem Lecken lieber nichts und betrachte den Himmel über unseren Köpfen. Es ist Herbst und der Himmel ist azurblau. Der Park, in dem wir sitzen, ist voller Menschen, die lachen und schwatzen und Hunden beim herumtollen zusehen und ich betrachte all diese Menschen ganz anders, als Melli. Melli sieht immer nur die Muschel. Ich interessiere mich lediglich für die Perle. Aber das hat sie noch nie verstanden und ich habe es aufgegeben mich zu erklären. Während sie eifrig auf ihrem Block herumkritzelt, lasse ich mich nach hinten ins Gras sinken und betrachte das bunte Blätterdach über meinem Kopf. Hanna mag den Frühling lieber als den Herbst. Ich mag den Herbst. Ich habe im Frühling versucht, sie zu einem Date einzuladen, aber alles, was sie getan hat, war rot anzulaufen und panisch davon zu hasten, als wäre ich ein blutsaugendes Monster. Nicht, dass sie etwas gegen Lesben hätte. Ich weiß, dass sie sehr tolerant ist. Sie hat nur irgendwie Angst davor, selbst lesbisch zu sein. Auch wenn sie es mir gegenüber schon halb zugegeben hat. Vielleicht hätte ich ihr nicht erzählen sollen, dass ich mich in sie verguckt habe. Das hat alles sehr viel komplizierter gemacht. Wir haben uns witzigerweise beim Blutspenden kennen gelernt. Sie hat A negativ. Also so ziemlich das seltenste, was es gibt. Ich habe stinknormales 0 positiv. Meine Armreifen rasseln, als ich den Arm hebe und mir ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht streiche. Sich mit Hanna zu unterhalten, ist toll. Zwar ist Melli meine beste Freundin, aber über Themen wie Politik, Weltanschauung, Religion und Liebe rede ich lieber mit Hanna. Wobei ich letzteres aufgegeben habe, seit sie so allergisch auf meine Gefühle reagiert. Ich bilde mir immer noch ein, dass sie eigentlich mir gegenüber nicht abgeneigt ist. Immerhin redet sie noch mit mir. Nur hält sie einen Meter Sicherheitsabstand und wird regelmäßig rot, wenn ich sie länger als drei Sekunden ansehe. »Steffi steht übrigens auf dich«, murmelt Melli vertieft in ihre Arbeit und ich sehe mich genötigt, mich wieder hinzusetzen, weil ich meinen Gesprächspartner gern ansehe, während ich mich unterhalte. »Wirklich? Das tut mir Leid«, antworte ich und meine es auch so. Denn wer immer auch auf mich steht hat wirklich Pech gehabt. Ich bin mit Haut Haaren einem Mädchen verfallen, das sich selbst für hässlich und unscheinbar hält. »Wieso tut dir das Leid? Sie ist eine Granate im Bett«, gibt Melli nachdenklich zurück und schnappt sich ihr Radiergummi. Ich verdrehe die Augen. »Allein, weil sie mit dir geschlafen hat, finde ich sie vollkommen uninteressant«, erkläre ich ihr sarkastisch und Melli lacht laut auf, sieht mich mit funkelnden Augen an und ich frage mich, wann endlich der Tag kommen wird, an dem sie mir erzählt, dass es das eine Mädchen gibt, das ihr den Kopf verdreht hat. »Dein Pech. Ich hätte nichts dagegen, sie noch mal zu haben«, meint sie und legt ihren Block beiseite. Dann verschwindet ihr Grinsen und sie beugt sich verschwörerisch vor. »Sie ist hübscher als Hanna«, sagt sie. »Aber nicht so umwerfend«, gebe ich schlicht zurück. »Steffis Brüste sind sehr hübsch«, meint sie. »Hanna kennt sich wunderbar mit Literatur aus«, erkläre ich scheinheilig. »Steffi hat ein Zungenpiercing.« »Hanna spendet für krebskranke Kinder.« »Steffi hat lange Beine.« »Hanna kann Blindenschrift lesen.« Melli stöhnt entnervt auf und schnappt sich erneut ihren Block. »Ich weiß echt nicht, was ich bei dir noch machen kann«, sagt sie. »Aufgeben«, schlage ich grinsend vor. Das wird wohl das Beste sein. Ich bin sowieso unverbesserlich und unrettbar verschossen. Kapitel 2: Kastanien -------------------- Die Blätter sind kunterbunt und rascheln unter meinen Füßen, während ich hindurch spaziere. Ich bin auf dem Weg in den Park, weil ich mich mit Hanna zu einem Spaziergang verabredet habe. Wir haben gestern telefoniert, nachdem ich Alice im Wunderland ausgelesen hatte. Sie hat das Buch schon mit zwölf gelesen und ich brauchte unbedingt jemanden, mit dem ich darüber reden kann. Melli eignet sich dafür leider nicht, sie hat mit Büchern wenig am Hut und wenn sie etwas liest, dann vorzugsweise irgendwelche Wälzer über Architektur. Aber mit Architektur kann ich nicht sonderlich viel anfangen. Die weite Kordhose, die ich trage, passt farblich gut zu den Blättern unter meinen Füßen. Ich summe leise vor mich hin und spiele ab und an mit der Zunge an meinem Unterlippenpiercing herum. Als der Wind mir übers Gesicht streicht und ich dem Treffpunkt mit Hanna langsam näher komme, beginnt in meinem Magen das altbekannte Kribbeln. Wie jedes Mal, wenn ich mich mit ihr treffe, bin ich aufgeregt. Ich freue mich immer wahnsinnig, sie zu sehen, auch wenn sie mir gegenüber so vorsichtig geworden ist, seit ich sie zu diesem Date eingeladen habe. Aber ich bin froh, dass sie unsere Freundschaft nicht einfach über den Haufen geworfen hat, auch wenn sie Angst hat. Ich hab mir fest vorgenommen, ihre Minderwertigkeitskomplexe irgendwann in Schutt und Asche zu zerlegen und ich hoffe wirklich, dass das klappt. Sie hat es verdient, sich selbst zu akzeptieren und zu lieben. Wenn ich ihr dabei helfen kann, dann werde ich das nur zu gerne tun. Unsere Parkbank, an der wir uns schon gefühlte hundert Mal getroffen haben, rückt in mein Blickfeld, nachdem ich um eine Ecke biege. Der Himmel kann sich zwischen wolkig und klar nicht entscheiden und ich muss unwillkürlich lächeln, als ich Hanna bereits auf der Bank sitzen sehe. Ihre langen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, wie immer ist sie ungeschminkt. Sie trägt einen knielangen Jeansrock, darunter eine Strumpfhose. Ihre Füße stecken in halbhohen Stiefeln und ein dicker, dunkelroter Wollschal ist um ihren Hals geschlungen. Ihr unsicheres Lächeln, als sie mich sieht, lässt mir das Herz aufgehen. »Hi«, sage ich ziemlich gut gelaunt und strahle sie liebevoll an. Wie so oft wird sie knallrot und räuspert sich, dann steht sie hastig auf und streicht unnötigerweise ihren Rock glatt. »Hallo«, entgegnet sie und wirft mir einen Blick von der Seite zu, als wollte sie prüfen, ob ich ihr zu nahe komme. Ich kann nicht umhin zu schmunzeln und wende mich dann zum Gehen. Sie folgt mir. Eine ganze Weile lang gehen wir schweigend und ich beobachte sie aufmerksam, während sie den Blick über das bunte Blätterdach schweifen lässt und hin und wieder kaum merklich lächelt, wenn ihre Augen über spielende Kinder oder herum tollende Hunde huschen. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin ein ausgetrockneter Badeschwamm, der jedes bisschen Wasser aufsaugt, das er bekommen kann. Hannas Gegenwart, die Art wie sie lächelt, ihre leuchtenden Augen, ich kann gar nicht genug davon bekommen. »Hast du Dorian Gray fertig gelesen?«, frage ich sie, als wir an einem Spielplatz vorbei gehen. Sie sieht auf und verzieht das Gesicht ein wenig. »Immer noch nicht. Aber ich muss mich wirklich zwingen, weiter zu lesen. Diese frauenfeindlichen Sprüche ruinieren jedes Mal meine Laune«, gibt sie zu und ich nicke leicht. Mir ging es beim Lesen genauso. »Ja, ich erinnere mich. Deswegen hab ich damals beim letzten Drittel schlapp gemacht«, gebe ich zurück und sie lächelt leicht. »Ich schaff das elende Buch noch. Und dann fang ich mit irgendwas Schönem an«, meint sie. Hanna ist genau so eine Leseratte wie ich. Wenn andere den Fernseher anmachen, um sich zu entspannen, nehmen wir ein Buch in die Hand. Ich weiß, dass Hanna auch manchmal eigene Sachen schreibt, aber leider hat sie mir noch nie irgendwas davon zu lesen gegeben. Ich schreibe nur manchmal Gedichte, wenn ich traurig bin. Allerdings bin ich der festen Überzeugung, dass sie nicht sonderlich gut sind. Aber was macht das schon. Es hilft mir einfach, meine Gefühle auf Papier zu bringen. »Was liest du jetzt nach Alice?«, erkundigt sie sich bei mir und bückt sich nach einer Kastanie, die vor ihr auf dem Boden liegt. »Mirjam Müntefering. Unversehrt«, sage ich beiläufig und bücke mich ebenfalls, um nach einer Kastanie zu greifen. Sie blinzelt und ich weiß, dass ihr der Titel vermutlich nichts sagen wird. »Kenn ich gar nicht. Worum geht es da?«, will sie interessiert wissen und ich räuspere mich, nicht sicher, ob ich ihr das wirklich sagen soll. »Die Kurzfassung ist: Um zwei beste Freundinnen, die sich ineinander verlieben…«, sage ich und beschließe, dass ich die Handlung nicht noch weiter ausbreiten muss, weil sie vermutlich ohnehin jeden Moment glühende Wangen bekommt. Und wirklich. Ihr Gesicht färbt sich wie die Blätter um uns her und sie starrt die Kastanie in ihrer Hand an, als sei es das Außergewöhnlichste, das sie jemals im Leben gesehen hat. Ich schnappe noch ein paar weitere Kastanien. »Hast du Lust, Kastanientierchen zu basteln?«, erkundige ich mich. Sie blinzelt verwirrt. »Kastanientierchen?«, sagt sie irritiert. Ich nicke und lächele. »Mit Dosenöffner und Streichhölzern und so.« Melli würde uns als kindisch bezeichnen, wenn sie uns sehen könnte, wie wir über den Boden kriechen und Kastanien zwischen den raschelnden Blättern hervor kramen und sie in unsere Jackentaschen stecken. Es sieht sicher merkwürdig aus, wie wir mir ausgebeulten Taschen durch den Park spazieren und überlegen, ob wir uns eine Pizza vom italienischen Imbiss mitnehmen sollen, wenn wir zu mir gehen. »Was ist deine Lieblingspizza?«, will ich wissen und rieche schon von weitem den Duft nach Käse und Salami. »Hawaii«, entgegnet sie lächelnd, »und du?« Ich muss lachen. »Auch«, sage ich und sie kichert leise. Das Geräusch ist so schön, ich würde sie zu gerne umarmen, aber dann haben sich die Kastanientierchen und die Pizza sicherlich erledigt. Wir beschließen, uns eine große Pizza Hawaii zu teilen und ich zahle für uns beide, weil Hanna es nicht passend hat. Dann gehen wir zügig in Richtung meiner kleinen Wohnung, damit unsere Pizza nicht kalt wird und regen uns unterwegs noch ein wenig über Dorian Gray auf. Meine Wohnung ist wirklich winzig. Ein Zimmer mit Bad und einer Küche, in der eigentlich nur einer stehen kann. Mein Wohn- und Schlafzimmer hat einen dunklen Dielenboden und helle Wände, ein großes, knautschiges Sofa in beige und einen überfüllten Schreibtisch, über dem eine riesige Pinnwand mit Fotos und Eintrittskarten und anderem Kram hängt. Wir lassen uns aufs Sofa fallen – Hanna mit ihrem üblichen Sicherheitsabstand zu mir, auch wenn er diesmal sogar etwas geringer ist – und öffnen den Karton. Der Mann in der Pizzeria hat uns die Pizza in Achtel geschnitten und wir machen uns nicht erst die Mühe, Teller und Besteck zu holen, sondern nehmen jeder ein Stück in die Hand und essen. Eine ganze Weile lang reden wir nicht. Unsere Jacken mit den prallen Taschen hängen über der Lehne meines Schreibtischstuhls und als wir die Pizza vernichtet haben, stehe ich auf und lege den Karton in die Küche, gehe ins Bad und wasche mir die Hände und Hanna kommt mir nach, um ihre Hände ebenfalls abzuspülen. »Und jetzt Kastanientierchen!«, sage ich grinsend und sie lacht leise, trocknet ihre schlanken Hände an meinem Handtuch ab und folgt mir. Während ich einen Dosenöffner und Streichhölzer besorge, entleert Hanna sorgfältig unsere Jackentaschen. Mein alter, hölzerner Tisch ist übersät mit Kastanien jeglicher Größe und Form und ich schnappe mir eine kleine Kastanie und bohre ein Loch hinein. »Wie war die Arbeit heute?«, erkundigt sie sich, während sie konzentriert ein Streichholz in eine Kastanie steckt. Ich hüstele leise. »Ah, der Schnarcher war wieder da«, erzähle ich und sie gluckst heiter. Ich habe ihr schon hundert kleine Geschichten von meinem Job erzählt. Ich mache eine Ausbildung zur Logopädin und es gibt wirklich unheimliche nette Patienten, die zu uns kommen. Aber es gibt auch wirklich mächtige Vollidioten. Wie den Herrn, der zweimal die Woche mit seiner Frau zu uns kommt, um sein Schnarchen in den Griff zu bekommen. Er selbst würde ja gar nicht zu uns in die Praxis kommen. Aber seine Frau zwingt ihn, weil sie nachts nie ruhig schlafen kann. Die beiden sind einer der Gründe, wieso ich ständig daran erinnert werde, dass es irgendwie schön ist, lesbisch zu sein. Auch wenn es vielleicht auch lesbische Ehepaare gibt, die so komisch sind und ständig nur streiten. »Und? Ist es mittlerweile besser geworden?«, will Hanna schmunzelnd wissen und fügt ihrer Kastanie ein viertes Bein hinzu. »Nicht wirklich. Aber er will ja auch eigentlich gar nicht. Ich kann mir vorstellen, dass er sich gar nicht an unsere Anweisungen hält. Es gibt echt anstrengende Leute. Was ist mit dir? Wie geht’s deinem Schützling?«, erkundige ich mich. Der Schnarcher ist eher langweilig. Auch wenn ich meinen Job liebe, höre ich lieber Geschichten über Hannas freiwilliges soziales Jahr. Sie arbeitet mit blinden Kindern zusammen und das Kind, um das sie sich im Moment kümmert, heißt Lina. Hanna vergöttert die Kleine. Und jedes Mal, wenn sie von ihr redet, dann leuchten ihre Augen so schön. »Viel besser. Ich glaube, ich hab sie ein bisschen aufgemuntert. Ich hab ihr aus Alice vorgelesen und ihr den Ausblick aus dem Fenster beschrieben. Sie mag den Herbst, meinte sie, weil er so schön bunt ist und sie sich noch genau an die Farben erinnert«, erzählt Hanna und ich beobachte sie von der Seite, während ich ein Loch in eine Kastanie bohre und dann zwei Kastanien zusammenstecke. »Was ist das?«, will sie wissen und mustert mein Meisterwerk. Ich spiele die Empörte. »Ein Esel! Sieht man das nicht?« Sie starrt mich an, dann starrt sie meinen Esel an, der nicht zu erkennen ist, weil er lediglich Kopf, Rumpf und vier Beine hat, genauso wie ihre Konstruktion. »Nein«, sagt sie perplex. Ich muss lachen und knuffe sie in die Seite, was ihr ein Quietschen entlockt. Sie kichert betrachtet den Esel genauer. Meine Hand kribbelt leicht nach der Berührung mit Hannas Pullover. Ihre Körperwärme entfacht Aufregung in mir. »Ich hole Pappe und bastele ihm Ohren«, sage ich amüsiert und stehe auf. Irgendwo in meinem Schreibtisch ist sicher ein wenig Pappkarton vergraben. Ich höre Hanna hinter mir weiter basteln. »Wie geht’s Melli?«, fragt sie schließlich. Ich habe ihr natürlich von Melli erzählt, auch wenn die beiden sich nur vom Sehen kennen. »Gut. Sie hat mir vorgestern erzählt, dass Steffi auf mich steht. Und dann musste ich mir wieder ein paar Anekdoten von ihren ausschweifenden Wochenenden anhören«, erkläre ich unbedacht und finde ein Stück rote Pappe. Nachdem ich auch eine Schere und Kleber ans Tageslicht befördert habe, drehe ich mich um und mir fällt auf, dass Hanna noch gar nicht geantwortet hat. Sie sieht irgendwie geknickt aus. »Steffi«, sagt sie schließlich langsam und räuspert sich verlegen. Ihre Wangen sind – wie so oft – knallrot. »Ist das nicht… diese Hübsche mit den schwarzen Haaren?« Ich sehe sie verwundert blinzelnd an. Was ist dieser Unterton in ihrer Stimme? »Ja. Genau die. Aber Melli sollte eigentlich wissen, dass mich das nicht interessiert«, sage ich behutsam und lasse mich wieder neben Hanna aufs Sofa sinken. Sie sieht mich nicht an, als sie nach der Pappe greift und sorgfältig beginnt, ein paar spitze Katzenohren auszuschneiden. »Aber sie ist hübsch«, murmelt Hanna leise. Mein Gehirn rastet bei einer schier unglaublichen Erkenntnis ein und ich starre Hanna über die Kastanientierchen hinweg an. Sie ist tatsächlich eifersüchtig. Kapitel 3: Schönheit -------------------- Danke für die lieben Reviews bisher :) Eigentlich sollte das hier das letzte Kapitel werden, aber jetzt habe ich es noch mal in zwei Teile geteilt. Nach der Story hier wird es eine Sidestory zu Mellis erster Liebe geben ;) Wer Interesse hat, kann mir Bescheid sagen, dann verschicke ich eine Info-ENS. Liebe Grüße und viel Spaß beim Lesen! ___________________________ Natürlich ist Hanna lediglich daran interessiert, dass Steffi hübsch ist und lange Beine und einen Metallstab in ihrer Zunge hat. Aber mir ist das alles vollkommen egal und wenn Steffi zur Miss Universe gewählt werden würde, was ich ohnehin schwachsinnig finde, weil all diese Frauen ohne fünf Tonnen Make Up vermutlich nicht ansatzweise hübsch sind. Aber in gewisser Hinsicht ist Hanna genau wie Melli. Sie ist viel zu sehr an den Muscheln interessiert. »Aber sie ist hübsch.« Ja, sicher ist Steffi hübsch. Zumindest, wenn man sie ansieht. Aber sie ist auch eingebildet, hält Lesen für eine Zeitverschwendung und Mahatma Gandhi für ein indisches Reisgericht. Was soll ich denn mit so jemandem? »Hübsch vielleicht. Aber nicht schön«, sage ich und habe das Gefühl, diesen Satz schon tausend Mal gesagt zu haben. Bisher habe ich ihn immer zu Melli gesagt, aber vielleicht ist es an der Zeit, dass Hanna auch endlich lernt, inwiefern ich zwischen diesen beiden Worten unterscheide. Hanna sieht tatsächlich auf und blinzelt verwirrt. Ihre Wangen sehen aus wie der rote Pappkarton, den sie in ihren schlanken Fingern hält. »Wo ist denn da der Unterschied?«, will sie leise wissen. Ich kann ihre Stimme kaum hören. Sie sieht wirklich sehr geknickt aus und ich weiß nicht, ob ich mich unglaublich darüber freuen oder ebenfalls geknickt sein soll. Sie legt die rote Pappe beiseite und greift nach dem Kleber, um scheinbar sehr konzentriert die Öhrchen an ihrem Kastanientier zu befestigen. Ich schnappe mir die Pappe und die Schere und beginne damit, meine Eselsohren auszuschneiden. »Hübsch sind die Leute, die gut aussehen«, sage ich nachdenklich und überlege, wie ich ihr das alles am besten erklären soll. »Aber wer möchte schon jemanden haben, der nur gut aussieht? Schön sind Menschen, die nicht nur gut aussehen, sondern auch von innen schön sind. Menschen, bei denen einfach alles stimmt. Und wenn ich jemanden mag, dann nicht, weil sie lange Beine und ein Zungenpiercing hat, sondern weil sie dieselben Interessen hat wie ich, weil ich mit ihr über alles reden und mit ihr lachen kann. Und weil sie mich fasziniert«, erkläre ich. Noch deutlicher kann ich es wirklich nicht machen. Hanna starrt auf ihr Kastanientierchen. Mittlerweile sind nicht nur ihre Wangen, sondern auch ihre Ohren rot. »Aber wenn jemand gar nicht hübsch ist, dann…«, beginnt sie. Ich seufze. »Hanna? Schaust du mich mal bitte an?«, frage ich behutsam und ich sehe, wie sie schluckt. Aber dann hebt sie wirklich den Kopf und sieht mich an. Ich weiß wirklich nicht, wie ich ihr am besten sagen soll, dass sie für mich der schönste Mensch unter der Sonne ist. Und ich finde sie wirklich hübsch. Wenn es das ist, was sie am wichtigsten findet. Sie ist nun einmal keine dieser standard- hübschen Barbiepuppen. Sie hat keine besonders eindrucksvolle Augenfarbe oder auffallend schöne Haare oder einen Körper, bei dem man ins Schwitzen gerät. Na und? »Ich finde dich sehr, sehr hübsch«, sage ich und sie blinzelt, sieht ungläubig aus, »aber noch viel wichtiger ist, dass ich finde, dass du der schönste Mensch bist, den ich kenne.« Hanna senkt den Blick wieder und stellt ihr Kastanientierchen auf den Tisch. Eine ganze Weile sitzt sie schweigend da und starrt auf ihre verknoteten Hände. Ich sehe sie immer noch an. Ich kann mich gar nicht satt sehen an ihr. Mein Herz ist so voll mit Zärtlichkeit für dieses Mädchen, dass ich gar nicht weiß, wohin damit. Aber sobald ich die Hand ausstrecke, weiß ich, dass sie abhaut und wohlmöglich nicht mehr wieder kommt. Und das will ich auf keinen Fall riskieren. Aber offensichtlich hab ich schon wieder zu viel gesagt. »Ich werd jetzt mal gehen«, murmelt sie. Zu gern würde ich ‚Nein, bleib!’ sagen, aber das ist nicht meine Art und so stehe ich seufzend auf und nicke. Warum macht sie das eigentlich mit mir? Sie weiß, dass ich gern mehr wäre, als ihre Freundin, aber wenn sie wirklich nichts von mir will, wieso hält sie sich dann nicht einfach ganz von mir fern? Da sage ich ihr solche Sachen und sie steht einfach auf und geht. Ich bringe sie zur Tür und sie merkt, dass ich traurig bin. Ich sehe sie auch nicht an, als ich die Tür schließe und ‚Tschüss’ murmele. Das Geräusch der Tür, die zugeht, ist ungewöhnlich laut in meinen Ohren. Ich überlege, ob ich Melli anrufen soll, aber wohlmöglich muss ich mir dann wieder anhören, dass ich es einfach mal mit Sex probieren sollte. Sex ist Mellis Lösung für alles. Ich rufe sie trotzdem an. »Hallo Schönheit. Was kann ich für dich tun?«, meldet sie sich verschmitzt am anderen Ende und gegen meinen Willen muss ich schmunzeln. Allein deswegen lohnt es sich mit schlechter Laune bei Melli anzurufen. »Begrüßt du jedes Mädchen so, das dich anruft?«, erkundige ich mich und lasse mich aufs Sofa sinken. »Nein. Das wäre ja noch schöner. So ein Privileg kann ich nicht jeder zukommen lassen«, sagt Melli und ich höre das breite Grinsen in ihrer Stimme. Ich kann mir ein Schnauben nicht verkneifen. »Die Frauen reißen sich sicherlich darum, so von dir begrüßt zu werden. Vor allem der Teil mit dem ‚Was kann ich für dich tun?’ scheint mir erstrebenswert zu sein«, stichele ich. Sie lacht lauthals in den Hörer und ich weiß wieder, wieso Melli eigentlich meine beste Freundin ist. Manchmal vergesse ich, dass unter der Oberflächlichkeit ein wunderbarer Mensch steckt, der alles für mich tun würde. »Das mag sein. Aber leider kenn ich keine von denen seit Kindergartentagen und bin mit ihnen durch dick und dünn gegangen, meine Liebe. Also, du rufst doch nicht einfach so an. Du hasst Telefonieren«, informiert sie mich. Ich hüstele leise und lehne mich zurück. Mein Blick ruht auf den Kastanientierchen. Ihr Kätzchen ist fertig, mein Esel hat noch keine Ohren. Ich klemme mir den Hörer zwischen Schulter und Ohr und schneide die Ohren fertig aus, während ich Melli von dem Treffen mit Hanna erzähle. Ich weiß sehr wohl, was ihr auf der Zunge liegt, aber sie sagt es nicht. »Das ist doch lächerlich. Sie kommt mit sich selber nicht klar und lässt das an dir aus. Was bist du? Ihr Identitäts- Teststreifen? Lesbisch, positiv oder negativ? Ich fass es nicht…« Einerseits mag ich es nicht, wenn Leute schlecht über Hanna reden, aber andererseits finde ich es niedlich, dass Melli sich so für mich entrüstet und mir nicht gesagt hat, dass ich sie in den Wind schießen und mich einfach ohne Gefühle durch die Stadt vögeln soll. »Na ja, es kann nicht jeder so offen dazu stehen wie wir beide… und Steffi… und Katie…« Ich seufze. »Vielleicht ist sie ja auch gar nicht lesbisch?« Melli grummelt am anderen Ende. »Nicht, dass ich mich mit diesem ganzen Gefühlsscheiß großartig auskennen würde, aber alleine wie sie dich immer anstarrt, wenn du nicht hinsiehst… Ich denke, sie kriegt es einfach nicht gebacken, es sich einzugestehen. Dabei sollte sie sich glücklich schätzen, dass sie bei all ihrer Selbstfindung grad an so einen gutmütigen Hucken wie dich geraten ist und nicht an so ein Arschloch wie mich«, meint sie. Irgendwie hat sie ja Recht. Aber ich hab keine Ahnung, wie ich Hanna dabei helfen soll, sich einzugestehen, dass sie auf Frauen steht. Wenn sie es denn wirklich tut. »Wie nett du von dir selbst redest«, sage ich matt und klebe das zweite Ohr an meinen Esel, ehe ich ihn zum Trocknen neben Hannas Kätzchen stelle. Was für eine komische Mischung. Katze und Esel. Vielleicht passen wir einfach nicht zueinander? Also, im Sinne von einer Beziehung. Vielleicht können wir wirklich nur befreundet sein. »Ich habe nun mal eine gesunde Selbsteinschätzung. Im Gegensatz zu deinem Mauerblümchen. Gehen wir heute Abend einen trinken?«, fragt sie dann. Ich überlege, ob ich nicht absagen soll. In unserer Stammkneipe ist heute Abend mal wieder Gaynight. Die Gelegenheit für Melli, neue Frauen aufzureißen und abzuchecken. Die Gelegenheit für mich, ein bisschen Spaß zu haben und mich von Hanna abzulenken. Natürlich nur mit Tanzen und solchen Dingen. »Ja, ich komm mit. Holst du mich um neun ab?« »Klar mein Schatz«, sagt sie grinsend. Dann fällt ihr wohl noch etwas ein. »Weißt du übrigens wie die Sängerin von dieser Band heißt, die bei den Gaynights öfter spielt?«, fragt sie aus heiterem Himmel. Ich hebe die Augenbrauen und wende den Blick von Kätzchen und Esel. »Wir waren schon so oft da, die Band spielt da schon seit fast einem Jahr und du fragst mich grad jetzt, wie sie heißt? Hab ich was verpasst?«, erkundige ich mich. Sie lacht nur leise. »Mir gehen die Frauen aus, Leo. Ich muss halt mein Sichtfeld erweitern«, erklärt sie mir trocken. »Calla heißt sie, soweit ich weiß. Sei nett zu ihr. Sie macht gute Musik«, mahne ich Melli schmunzelnd. »Ich bin immer nett zu den Frauen«, gibt Melli scheinheilig zurück und wir legen lachend auf. Am Abend sehe ich aus wie immer. Ich trage eine meiner weiten Hosen und ein stinknormales, dunkelgrünes T-Shirt. Meine Armreifensammlung hängt fast komplett an meinen beiden Handgelenken und meine widerspenstigen Locken stecken in einem unförmigen Dutt. Ich frage mich dunkel, ob Melli wieder versuchen wird, mich mit wahllosen – und ausnahmslos unschönen – Frauen zu verkuppeln. Zumindest für eine Nacht. Pünktlich um neun klingelt es an der Tür, ich schnappe mir meine Handtasche und schließe die Wohnungstür hinter mir ab. Melli sieht toll aus. Wie immer. Ihre blonden Haare hängen ihr frech ins Gesicht, das schwarze Trägertop ist schlicht und ihre weiten Army- Pants lassen ihre schlanken Beine nur erahnen. Wir gehen zu Fuß, weil keine von uns Lust hat, auf ein Bier zu verzichten, nur weil wir mit dem Auto da sind. »Ich habe übrigens rausgefunden, wie alt Calla ist. Sie ist zweiundzwanzig. Und sie studiert Tiermedizin. Nur hab ich schon wieder vergessen, wie ihre Band heißt«, sagt Melli und wiegt den Kopf leicht hin und her. Ich hebe eine Augenbraue. »Du hast Leute nach ihr gefragt? Was ist denn mit dir los?«, erkundige ich mich ernsthaft überrascht. Normalerweise ist Melli nicht mal unbedingt erpicht darauf, den Namen ihrer Eroberungen zu kennen. Jetzt weiß sie sogar schon Alter und Studiengang. Ich bin beeindruckt. Melli sieht ein wenig verstimmt aus. Ich runzele die Stirn und sehe sie von der Seite an. »Sag mal… kann es etwa sein, dass du sie schon angebaggert und einen Korb bekommen hast?« Sie dreht den Kopf so schnell zu mir herum, dass ich es Knacken höre. Grummelnd reibt sie sich den Nacken. »Ich habe noch nie einen Korb bekommen!«, entrüstet sie sich bei mir. Also hab ich Recht. Das finde ich ausgesprochen interessant. »Aha. Da ist wohl dein Jagdinstinkt erwacht, wie? Die alles und jeden bekommende Sirene hat ihren gehörlosen Meister gefunden«, stichele ich und sie verschränkt schmollend die Arme vor der Brust. Als wir ankommen, ist es schon ziemlich voll, aber wir müssen nicht lange anstehen, weil Melli eigentlich überall reinkommt, ohne warten zu müssen. Manchmal ist es ein Vorteil, wenn die beste Freundin selbst schon die Einlasskontrolleurinnen der Lesbenbars gevögelt hat. Drinnen läuft noch normale Tanzmusik, Callas Band spielt immer erst ab zehn. Während wir uns an Tischen und Stühlen und lachenden Mädchen und Frauen vorbeischieben, muss Melli geschätzte vierhundert Leute begrüßen, die sie alle mehr oder minder stark anhimmeln. Sie mag es, im Rampenlicht zu stehen. Ich finde das eher lästig und begrüße die drei Leute, die ich von all den Melli- Anhimmlerinnen kenne. An der Bar sehe ich Steffi stehen, die ziemlich unverblümt zu mir herüber starrt und dann winkt. Ich winke zurück, mache mir aber nicht die Mühe, zu ihr zu gehen. Bei Melli stört es mich nicht, dass sie so den Macker heraushängen lässt. Steffi macht das nur bei mir. Vielleicht denkt sie, dass sie mich so rumbekommen kann. Nur leider macht mich das kein bisschen an. Nachdem Melli sich aus der Traube von Bewunderern befreit hat, zieht sie mich zur Bar hinüber. Aber als wüsste sie genau, dass ich keine Lust auf Steffis Anmach- Versuche habe, stellt sie sich zwischen uns und bestellt zwei Tequila als Eröffnungsgetränk für den Abend. Zwei Tequila später und dank einer von Mellis Verehrerinnen stehe ich allein mit Steffi an der Bar, während Melli mit einer mir unbekannten Rothaarigen am Tanzen ist. Dass sie der Rothaarigen dabei ständig an den Hintern fasst, stört das Mädchen wohl gar nicht. Ich kann darüber nur die Augen verdrehen und hoffe, dass Steffi bald ihr Interesse an mir verliert. Aber das scheint nicht der Fall zu sein. »Du bist immer so abweisend zu mir«, schmollt Steffi mich an und rückt ein Stück näher. Sie beugt sich vor und ihre großen, blauen Augen sehen mich herausfordernd an. »Wirklich?«, sage ich abwesend und beobachte Melli, die gerade hemmungslos mit der Rothaarigen knutscht. Ich fasse es nicht. Und das nach zwanzig Minuten! »Ja. Melli hat mir gesteckt, dass du auf dieses Mauerblümchen stehst. Diese… Anna?« Ich sehe sie genervt an. »Hanna. Und ja, das ist richtig.« Dann sollte sie doch wissen, dass ich an ihr nicht interessiert bin. »Aber wieso läufst du so einer nach, wenn du mich auch haben kannst?«, fragt sie und ehe ich es mich versehe, hat sie mich einfach auf den Mund geküsst. Irgendwo hinter mir geht ein Glas zu Bruch. Kapitel 4: Perlenkuss --------------------- Hey :) Hier melde ich mich mit dem letzten Kapitel und hoffe, dass es euch gefällt. Danke für die lieben Reviews und die Favoriteneinträge! Viel Spaß beim Lesen, Vielleicht lesen wir uns ja bei 'Sirenenfang' (Calla x Melli) wieder! Liebe Grüße, __________________ Das Klirren erinnert mich daran, dass ich Steffi nicht mag. Ich löse mich von ihr und schiebe sie säuerlich von mir, wische mir mit dem Handrücken über den Mund und drehe mich um, um mich aus dem Staub zu machen. Mein Blick fällt auf einen Kellner, der sehr bemüht ist, die Scherben so schnell es geht aufzufegen. Steffi grummelt etwas von »verklemmt« und »bescheuert«, aber ich habe keine Lust noch eine Sekunde länger in ihrer Nähe zu bleiben und sehe mich suchend nach Melli um. Aber die ist verschwunden. Zuerst denke ich, dass sie mit der Rothaarigen abgehauen ist, aber die steht auf der Tanzfläche und sieht irgendwie verdrießlich aus. Ich frage mich, ob Melli sie hat stehen lassen, was an sich ziemlich ungewöhnlich wäre. Ich spüre Steffis Blick in meinem Nacken und schiebe mich die Bar entlang an einen freien Platz, wobei ich vier Frauen zwischen mich und sie bringe. Ich kann es immer noch nicht wirklich fassen, dass sie mich wirklich einfach so geküsst hat. Und dann sagt sie mir auch noch, dass ich Hanna fallen lassen soll für jemanden wie sie. Grauenhaft. Ich bestelle noch einen Tequila, auch wenn ich eigentlich nicht sonderlich erpicht darauf bin, mich zu betrinken. Aber auf den Steffi- Schock hin brauche ich einen kleinen Beruhigungs- Schnaps. Als ich das Glas in die Hand nehme, um anzusetzen und es auszutrinken, da klopft mir jemand von hinten auf die Schulter. Ich drehe mich um und sehe in Mellis empörtes Gesicht. »Ähm… wo warst du?»«, erkundige ich mich und hebe das Glas zum Mund, doch Melli greift danach und trinkt es selbst. Ich sehe sie ein wenig perplex an. »Ich habe dich gerettet«, sagt sie und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich runzele die Stirn. »Hä?«, ist alles, was mir dazu einfällt. Sie verdreht die Augen und ruckt mit dem Kopf hinüber zu Steffi, die immer noch zu mir herüber starrt, als würde sie glauben, dass sie mich mit ihren Blicken zu sich ziehen – oder wohlmöglich ausziehen – könnte. »Was knutscht du auch mit Steffi rum«, sagt Melli entrüstet. Ich verstehe nur noch Bahnhof. »Melli, könntest du mir vielleicht mal erklären, was du von mir willst? Ich hab nicht mit ihr geknutscht, sie hat mich überfallen!«, sage ich entnervt und bestelle noch einen Tequila, fest entschlossen, ihn diesmal selbst zu trinken. »Hanna steht draußen und wartet auf dich«, sagt sie dann und sieht mich eindringlich an. Ich runzele die Stirn. Soll das ein Witz sein? »Ähm…«, setze ich an, doch sie zerrt mich schon in Richtung Ausgang. Ich drehe mich sehnsüchtig nach meinem Tequila um, während mein Herz ziemlich laut in meiner Brust hämmert, passend zum Beat der Musik, die in meinen Ohren schallt. Was soll das heißen, Hanna wartet draußen auf mich? Wieso ist sie denn hier und wieso sagt Melli, sie hätte mich gerettet? Warum kann sie mir nicht einfach erklären, was eigentlich Sache ist? Stattdessen muss ich jetzt ins kalte Wasser springen. Ich schlucke, als der Ausgang in Sicht kommt. Melli strahlt die Einlasskontrolle an, dann schiebt sie mich daran vorbei nach draußen. »Und wehe du versaust es! Ich hab sie extra eingeladen!«, zischt Melli, dann dreht sie sich um und schiebt sich zurück in den Innenraum, sicherlich um die Rothaarige zu trösten, die sie ganze zehn Minuten allein hat rumstehen lassen. Ich sehe Hanna drei Meter vom Eingang entfernt an der Hauswand lehnen. Sie sieht aus, als wäre ihr kalt. Ihr Kopf steckt zwischen den Schultern und sie hat die Arme um sich geschlungen. Sie trägt einen wollweißen Pullover und eine helle Jeans, ihre Haare hat sie zu einem Zopf geflochten. Als sie meine Schritte hört, schreckt sie auf und sieht mich mit großen Augen an. Je näher ich komme, desto sicherer bin ich mir, dass sie gleichzeitig todunglücklich und sehr aufgeregt aussieht. Ich bringe ein Lächeln zustande. »Hey«, sage ich und sie sieht zu mir auf, offenbar nicht im Stande, mir mit einem »Hallo« zu antworten. Ich räuspere mich. »Was…ähm… machst du hier?«, erkundige ich mich beiläufig. Irgendwo da drin steht Steffi und denkt sich, dass ich bekloppt bin, weil ich ‚Anna’ ihr vorziehe. Gott, Steffi ist so scheiße… »Melli hat mich eingeladen«, sagt sie kleinlaut und ihre Stimme klingt so heiser, als hätte sie sie seit Wochen nicht mehr benutzt. Ich runzele die Stirn. »Wieso das denn?«, will ich verwirrt wissen. Sie schluckt schwer und zwirbelt sich nervös an den Haaren herum. »Na ja… sie hat angerufen… weiß nicht, woher sie meine Nummer hatte… und dann hat sie mich zur Schnecke gemacht und… ähm… Eigentlich war ihre Einladung mehr eine Drohung als alles andere, aber ich dachte mir… na ja…« Ihre Stimme verblasst und sie senkt den Blick, jetzt knallrot im Gesicht. Ich blinzele erstaunt. »Sie hat dich zur Schnecke gemacht? Wieso das denn?« Melli ist so unberechenbar wie der Kurs eines Drachen bei Sturmwarnung. »Sie… meinte, dass sie es… unter aller Sau findet, dass ich dich so… ausnutze und dass sie mir den Hals umdreht, wenn ich mich nicht endlich entscheide und meine Identitätskrise überwinde und… dann hat sie gesagt, ich soll herkommen und das mit ihr klären, sonst bricht sie mir die Nase… und sie meinte, wenn ich nicht langsam aus dem… aus dem Arsch komme, dann kriegt Steffi dich bestimmt doch noch rum…« Ich weiß nicht, ob ich Melli verfluchen oder küssen will. Das ist die Art meiner besten Freundin, mich vor allem Übel der Welt bewahren zu wollen. Ich glaube, ich möchte sie eher küssen, auch wenn ich die Drohung mit der gebrochenen Nase nicht so prickelnd finde. Hanna kaut nervös auf ihrer Unterlippe herum und mein Herz bricht mir sicher gleich die Rippen. »Und dann kam ich rein… Melli hat mich abgeholt und an der Einlasskontrolle vorbei geschoben… und dann hab ich dich gesehen… mit Steffi…« Ihre Stimme erstirbt wieder und ich schließe einen Moment die Augen. Das darf doch wohl nicht wahr sein, wieso muss sie gerade dann in den blöden Laden schneien, wenn Steffi ihre Vergewaltigungskampagne startet? Ich könnte heulen, echt. »Ich wollte eigentlich wieder gehen, ich hab den Kellner angerempelt und der hat ein Glas fallen lassen… hat mir wirklich Leid getan, aber ich wollte schnell wieder raus, draußen hat Melli mich abgefangen und sie meinte, dass sie dich rausholt und dass ich hier warten soll, weil ich sonst tot bin…« Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen will. Melli verteilt gern mal Morddrohungen, aber Hanna sieht wirklich verängstigt aus, so als würde sie denken, dass Melli es über sich bringt, sie zu verprügeln. Einige vorbeigehende Passanten werfen uns neugierige Blicke zu, doch ich beachte sie nicht. »Ich wollte dich nicht ausnutzen, ehrlich«, sagt sie plötzlich heftig und starrt mich aus ihren großen Augen an. Ich blinzele perplex. »Das hab ich auch nicht gedacht«, sage ich leise. Sie sieht halb gequält, halb hoffnungsvoll aus. »Es war gemein, dass ich… ich wollte mit dir befreundet sein, obwohl du mir gesagt hast, dass du mich mehr magst als eine Freundin und ich hab einfach nicht verstanden, wie sehr ich dir damit eigentlich wehtue und du warst trotzdem immer so lieb zu mir und ich wollte… ich dachte…« Sie bricht ab und senkt den Blick wieder, kaut weiter auf ihrer Unterlippe herum und verschlingt ihre Hände im Schoß. Mein Herz verlangsamt sich und bleibt dann ganz stehen. Wenn jetzt die Offenbarung kommt, dass sie nur Freundschaft für mich empfindet und es deswegen für besser hält, dass wir uns nicht mehr sehen, dann fange ich wirklich an zu heulen. Ich schlucke und sehe sie an, aber ihr scheint kein Wort mehr über die Lippen kommen zu wollen. Also räuspere ich mich und schaue kurz hinauf zur Straßenlaterne, die milchiges Licht auf den Gehweg wirft. »Gehen wir ein Stück?«, frage ich leise und sie nickt zögerlich. Wir drehen uns um und gehen schweigend die Straße hinunter. Melli steht sicher auf der Tanzfläche und fummelt an der Rothaarigen herum. Nach einem Blick auf die Uhr fällt mir auf, dass es schon zehn ist. Das heißt, dass Callas Band schon angefangen hat zu spielen und vielleicht sieht Melli ja zu. Als wir um zwei Ecken gebogen sind, denke ich, dass ich vielleicht einfach mal aufs Ganze gehen sollte, sonst kommen wir wohl nie zu einer Lösung. Und auch eine Abfuhr wäre mir letztendlich lieber, als dieses ständige Hin und Her. »Stehst du auf Frauen?«, frage ich leise. Ich sehe aus dem Augenwinkel, dass sie zusammen zuckt, als wäre neben ihr eine Bombe eingeschlagen. »I…ich weiß nicht so genau…«, sagt sie. Wir hatten so ein ähnliches Gespräch schon mal, damals meinte sie, dass sie es sich nicht vorstellen kann, mit einem Mann zusammen zu sein. Auf die Frage, ob sie es sich mit einer Frau vorstellen kann, hat sie nicht wirklich geantwortet. Ich hab das damals als ‚Ja’ interpretiert. Ich seufze leise. Mit einem »Ich weiß nicht« kann ich nicht wirklich etwas anfangen. Also sage ich nichts mehr. Meine Gedanken fühlen sich an, als hätte jemand sie mit Steinen beschwert. Ich kann es nicht so ganz fassen, dass wir dieses Gespräch wirklich führen. Wenn man es denn überhaupt als Gespräch betiteln kann. Ich überlege schon, wieder umzudrehen und mich von ihr zu verabschieden, da bleibt sie stehen. »Als ich gesehen hab, dass Steffi dich küsst, da hatte ich das Gefühl, dass die Welt gleich untergeht«, murmelte sie kaum hörbar und mit erneut gesenktem Kopf. Auch ich bleibe wie angewurzelt stehen, drehe mich zu ihr um und starre sie an. War mein Eindruck vielleicht doch nicht falsch, dass sie eifersüchtig war, als ich ihr erzählt habe, dass Steffi auf mich steht? Mein Herz klopft wie verrückt. »Sie hat mich überfallen. Ich finde sie schrecklich«, erkläre ich ihr und beobachte ihre Reaktion ganz genau. Ihre Augen flackern kurz hinauf zu mir, aber als sie merkt, dass ich sie beobachte, schaut sie sofort wieder weg. »Ich weiß nicht… ob ich generell auf Frauen stehe…«, flüstert sie, dann zögert sie einen Moment und sie sieht aus, als müsste sie sich für das wappnen, was sie als nächstes sagt, »aber ich… ich… mag dich…« Es ist kaum mehr als ein Hauch, aber mein Herz plustert sich auf und ich hab das Gefühl, dass die Sonne mitten in der Nacht aufgeht. »Ich war eifersüchtig auf Steffi… und… immer, wenn wir uns sehen, dann… dreht mein Herz vollkommen durch«, fährt sie immer noch flüsternd fort. Ich mache einen Schritt auf sie zu und strecke die Hand aus, lege ihr zwei Finger unters Kinn und zwinge sie mit sanfter Gewalt dazu, mich anzusehen. Schon wieder kaut sie auf ihrer Unterlippe herum. »Ich weiß, dass du dich selbst für schrecklich hältst und dich hässlich findest… aber wenn du… wenn du es mir erlaubst, dann möchte ich gern versuchen dir zu zeigen, wie wunder-, wunderschön du bist«, murmele ich. Ich kann es nicht mehr mit ansehen, wie sie ihre Unterlippe malträtiert und beuge mich vor. Sie hält geräuschvoll die Luft an und gibt ein Geräusch, das halb nach Wimmern und halb nach Seufzen klingt, als ich sie küsse. Ihre Finger krallen sich leicht in meine Arme, als müsste sie sich irgendwo festhalten. Mein Körper kribbelt, mein Herz zerfleddert sich beinahe vor Glück und Aufregung. Hannas Lippen sind unglaublich weich. Ich ziehe sie behutsam in meine Arme und spüre, dass sie leicht zittert. Allerdings bin ich mir sehr sicher, dass das nicht an der niedrigen Temperatur. Am liebsten würde ich sie stundenlang innig küssen, aber ich sollte es besser nicht übertreiben. Also löse ich mich von ihr und schaue in ihre glasig verhangenen Augen. »Möchtest du mit mir zusammen sein?«, frage ich und meine Stimme zittert leicht. Ich muss das fragen, ich muss sichergehen, dass ich das nicht nur träume und dass sie jetzt nicht schon wieder einen Rückzieher macht. Ganz langsam nickt sie, während sie mich immer noch wie hypnotisiert anstarrt. »Aber du musst… also… wenn du genug Geduld dafür hast«, wispert sie kaum hörbar. Ich lache leise. »Für meine Perle nehme ich alle Geduld der Welt«, sage ich zärtlich und dann küsse ich sie gleich noch mal. Beizeiten werde ich mich bei Melli bedanken. Aber das muss warten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)