Muscheleffekt von Ur (Die Perle liegt im Innern) ================================================================================ Kapitel 3: Schönheit -------------------- Danke für die lieben Reviews bisher :) Eigentlich sollte das hier das letzte Kapitel werden, aber jetzt habe ich es noch mal in zwei Teile geteilt. Nach der Story hier wird es eine Sidestory zu Mellis erster Liebe geben ;) Wer Interesse hat, kann mir Bescheid sagen, dann verschicke ich eine Info-ENS. Liebe Grüße und viel Spaß beim Lesen! ___________________________ Natürlich ist Hanna lediglich daran interessiert, dass Steffi hübsch ist und lange Beine und einen Metallstab in ihrer Zunge hat. Aber mir ist das alles vollkommen egal und wenn Steffi zur Miss Universe gewählt werden würde, was ich ohnehin schwachsinnig finde, weil all diese Frauen ohne fünf Tonnen Make Up vermutlich nicht ansatzweise hübsch sind. Aber in gewisser Hinsicht ist Hanna genau wie Melli. Sie ist viel zu sehr an den Muscheln interessiert. »Aber sie ist hübsch.« Ja, sicher ist Steffi hübsch. Zumindest, wenn man sie ansieht. Aber sie ist auch eingebildet, hält Lesen für eine Zeitverschwendung und Mahatma Gandhi für ein indisches Reisgericht. Was soll ich denn mit so jemandem? »Hübsch vielleicht. Aber nicht schön«, sage ich und habe das Gefühl, diesen Satz schon tausend Mal gesagt zu haben. Bisher habe ich ihn immer zu Melli gesagt, aber vielleicht ist es an der Zeit, dass Hanna auch endlich lernt, inwiefern ich zwischen diesen beiden Worten unterscheide. Hanna sieht tatsächlich auf und blinzelt verwirrt. Ihre Wangen sehen aus wie der rote Pappkarton, den sie in ihren schlanken Fingern hält. »Wo ist denn da der Unterschied?«, will sie leise wissen. Ich kann ihre Stimme kaum hören. Sie sieht wirklich sehr geknickt aus und ich weiß nicht, ob ich mich unglaublich darüber freuen oder ebenfalls geknickt sein soll. Sie legt die rote Pappe beiseite und greift nach dem Kleber, um scheinbar sehr konzentriert die Öhrchen an ihrem Kastanientier zu befestigen. Ich schnappe mir die Pappe und die Schere und beginne damit, meine Eselsohren auszuschneiden. »Hübsch sind die Leute, die gut aussehen«, sage ich nachdenklich und überlege, wie ich ihr das alles am besten erklären soll. »Aber wer möchte schon jemanden haben, der nur gut aussieht? Schön sind Menschen, die nicht nur gut aussehen, sondern auch von innen schön sind. Menschen, bei denen einfach alles stimmt. Und wenn ich jemanden mag, dann nicht, weil sie lange Beine und ein Zungenpiercing hat, sondern weil sie dieselben Interessen hat wie ich, weil ich mit ihr über alles reden und mit ihr lachen kann. Und weil sie mich fasziniert«, erkläre ich. Noch deutlicher kann ich es wirklich nicht machen. Hanna starrt auf ihr Kastanientierchen. Mittlerweile sind nicht nur ihre Wangen, sondern auch ihre Ohren rot. »Aber wenn jemand gar nicht hübsch ist, dann…«, beginnt sie. Ich seufze. »Hanna? Schaust du mich mal bitte an?«, frage ich behutsam und ich sehe, wie sie schluckt. Aber dann hebt sie wirklich den Kopf und sieht mich an. Ich weiß wirklich nicht, wie ich ihr am besten sagen soll, dass sie für mich der schönste Mensch unter der Sonne ist. Und ich finde sie wirklich hübsch. Wenn es das ist, was sie am wichtigsten findet. Sie ist nun einmal keine dieser standard- hübschen Barbiepuppen. Sie hat keine besonders eindrucksvolle Augenfarbe oder auffallend schöne Haare oder einen Körper, bei dem man ins Schwitzen gerät. Na und? »Ich finde dich sehr, sehr hübsch«, sage ich und sie blinzelt, sieht ungläubig aus, »aber noch viel wichtiger ist, dass ich finde, dass du der schönste Mensch bist, den ich kenne.« Hanna senkt den Blick wieder und stellt ihr Kastanientierchen auf den Tisch. Eine ganze Weile sitzt sie schweigend da und starrt auf ihre verknoteten Hände. Ich sehe sie immer noch an. Ich kann mich gar nicht satt sehen an ihr. Mein Herz ist so voll mit Zärtlichkeit für dieses Mädchen, dass ich gar nicht weiß, wohin damit. Aber sobald ich die Hand ausstrecke, weiß ich, dass sie abhaut und wohlmöglich nicht mehr wieder kommt. Und das will ich auf keinen Fall riskieren. Aber offensichtlich hab ich schon wieder zu viel gesagt. »Ich werd jetzt mal gehen«, murmelt sie. Zu gern würde ich ‚Nein, bleib!’ sagen, aber das ist nicht meine Art und so stehe ich seufzend auf und nicke. Warum macht sie das eigentlich mit mir? Sie weiß, dass ich gern mehr wäre, als ihre Freundin, aber wenn sie wirklich nichts von mir will, wieso hält sie sich dann nicht einfach ganz von mir fern? Da sage ich ihr solche Sachen und sie steht einfach auf und geht. Ich bringe sie zur Tür und sie merkt, dass ich traurig bin. Ich sehe sie auch nicht an, als ich die Tür schließe und ‚Tschüss’ murmele. Das Geräusch der Tür, die zugeht, ist ungewöhnlich laut in meinen Ohren. Ich überlege, ob ich Melli anrufen soll, aber wohlmöglich muss ich mir dann wieder anhören, dass ich es einfach mal mit Sex probieren sollte. Sex ist Mellis Lösung für alles. Ich rufe sie trotzdem an. »Hallo Schönheit. Was kann ich für dich tun?«, meldet sie sich verschmitzt am anderen Ende und gegen meinen Willen muss ich schmunzeln. Allein deswegen lohnt es sich mit schlechter Laune bei Melli anzurufen. »Begrüßt du jedes Mädchen so, das dich anruft?«, erkundige ich mich und lasse mich aufs Sofa sinken. »Nein. Das wäre ja noch schöner. So ein Privileg kann ich nicht jeder zukommen lassen«, sagt Melli und ich höre das breite Grinsen in ihrer Stimme. Ich kann mir ein Schnauben nicht verkneifen. »Die Frauen reißen sich sicherlich darum, so von dir begrüßt zu werden. Vor allem der Teil mit dem ‚Was kann ich für dich tun?’ scheint mir erstrebenswert zu sein«, stichele ich. Sie lacht lauthals in den Hörer und ich weiß wieder, wieso Melli eigentlich meine beste Freundin ist. Manchmal vergesse ich, dass unter der Oberflächlichkeit ein wunderbarer Mensch steckt, der alles für mich tun würde. »Das mag sein. Aber leider kenn ich keine von denen seit Kindergartentagen und bin mit ihnen durch dick und dünn gegangen, meine Liebe. Also, du rufst doch nicht einfach so an. Du hasst Telefonieren«, informiert sie mich. Ich hüstele leise und lehne mich zurück. Mein Blick ruht auf den Kastanientierchen. Ihr Kätzchen ist fertig, mein Esel hat noch keine Ohren. Ich klemme mir den Hörer zwischen Schulter und Ohr und schneide die Ohren fertig aus, während ich Melli von dem Treffen mit Hanna erzähle. Ich weiß sehr wohl, was ihr auf der Zunge liegt, aber sie sagt es nicht. »Das ist doch lächerlich. Sie kommt mit sich selber nicht klar und lässt das an dir aus. Was bist du? Ihr Identitäts- Teststreifen? Lesbisch, positiv oder negativ? Ich fass es nicht…« Einerseits mag ich es nicht, wenn Leute schlecht über Hanna reden, aber andererseits finde ich es niedlich, dass Melli sich so für mich entrüstet und mir nicht gesagt hat, dass ich sie in den Wind schießen und mich einfach ohne Gefühle durch die Stadt vögeln soll. »Na ja, es kann nicht jeder so offen dazu stehen wie wir beide… und Steffi… und Katie…« Ich seufze. »Vielleicht ist sie ja auch gar nicht lesbisch?« Melli grummelt am anderen Ende. »Nicht, dass ich mich mit diesem ganzen Gefühlsscheiß großartig auskennen würde, aber alleine wie sie dich immer anstarrt, wenn du nicht hinsiehst… Ich denke, sie kriegt es einfach nicht gebacken, es sich einzugestehen. Dabei sollte sie sich glücklich schätzen, dass sie bei all ihrer Selbstfindung grad an so einen gutmütigen Hucken wie dich geraten ist und nicht an so ein Arschloch wie mich«, meint sie. Irgendwie hat sie ja Recht. Aber ich hab keine Ahnung, wie ich Hanna dabei helfen soll, sich einzugestehen, dass sie auf Frauen steht. Wenn sie es denn wirklich tut. »Wie nett du von dir selbst redest«, sage ich matt und klebe das zweite Ohr an meinen Esel, ehe ich ihn zum Trocknen neben Hannas Kätzchen stelle. Was für eine komische Mischung. Katze und Esel. Vielleicht passen wir einfach nicht zueinander? Also, im Sinne von einer Beziehung. Vielleicht können wir wirklich nur befreundet sein. »Ich habe nun mal eine gesunde Selbsteinschätzung. Im Gegensatz zu deinem Mauerblümchen. Gehen wir heute Abend einen trinken?«, fragt sie dann. Ich überlege, ob ich nicht absagen soll. In unserer Stammkneipe ist heute Abend mal wieder Gaynight. Die Gelegenheit für Melli, neue Frauen aufzureißen und abzuchecken. Die Gelegenheit für mich, ein bisschen Spaß zu haben und mich von Hanna abzulenken. Natürlich nur mit Tanzen und solchen Dingen. »Ja, ich komm mit. Holst du mich um neun ab?« »Klar mein Schatz«, sagt sie grinsend. Dann fällt ihr wohl noch etwas ein. »Weißt du übrigens wie die Sängerin von dieser Band heißt, die bei den Gaynights öfter spielt?«, fragt sie aus heiterem Himmel. Ich hebe die Augenbrauen und wende den Blick von Kätzchen und Esel. »Wir waren schon so oft da, die Band spielt da schon seit fast einem Jahr und du fragst mich grad jetzt, wie sie heißt? Hab ich was verpasst?«, erkundige ich mich. Sie lacht nur leise. »Mir gehen die Frauen aus, Leo. Ich muss halt mein Sichtfeld erweitern«, erklärt sie mir trocken. »Calla heißt sie, soweit ich weiß. Sei nett zu ihr. Sie macht gute Musik«, mahne ich Melli schmunzelnd. »Ich bin immer nett zu den Frauen«, gibt Melli scheinheilig zurück und wir legen lachend auf. Am Abend sehe ich aus wie immer. Ich trage eine meiner weiten Hosen und ein stinknormales, dunkelgrünes T-Shirt. Meine Armreifensammlung hängt fast komplett an meinen beiden Handgelenken und meine widerspenstigen Locken stecken in einem unförmigen Dutt. Ich frage mich dunkel, ob Melli wieder versuchen wird, mich mit wahllosen – und ausnahmslos unschönen – Frauen zu verkuppeln. Zumindest für eine Nacht. Pünktlich um neun klingelt es an der Tür, ich schnappe mir meine Handtasche und schließe die Wohnungstür hinter mir ab. Melli sieht toll aus. Wie immer. Ihre blonden Haare hängen ihr frech ins Gesicht, das schwarze Trägertop ist schlicht und ihre weiten Army- Pants lassen ihre schlanken Beine nur erahnen. Wir gehen zu Fuß, weil keine von uns Lust hat, auf ein Bier zu verzichten, nur weil wir mit dem Auto da sind. »Ich habe übrigens rausgefunden, wie alt Calla ist. Sie ist zweiundzwanzig. Und sie studiert Tiermedizin. Nur hab ich schon wieder vergessen, wie ihre Band heißt«, sagt Melli und wiegt den Kopf leicht hin und her. Ich hebe eine Augenbraue. »Du hast Leute nach ihr gefragt? Was ist denn mit dir los?«, erkundige ich mich ernsthaft überrascht. Normalerweise ist Melli nicht mal unbedingt erpicht darauf, den Namen ihrer Eroberungen zu kennen. Jetzt weiß sie sogar schon Alter und Studiengang. Ich bin beeindruckt. Melli sieht ein wenig verstimmt aus. Ich runzele die Stirn und sehe sie von der Seite an. »Sag mal… kann es etwa sein, dass du sie schon angebaggert und einen Korb bekommen hast?« Sie dreht den Kopf so schnell zu mir herum, dass ich es Knacken höre. Grummelnd reibt sie sich den Nacken. »Ich habe noch nie einen Korb bekommen!«, entrüstet sie sich bei mir. Also hab ich Recht. Das finde ich ausgesprochen interessant. »Aha. Da ist wohl dein Jagdinstinkt erwacht, wie? Die alles und jeden bekommende Sirene hat ihren gehörlosen Meister gefunden«, stichele ich und sie verschränkt schmollend die Arme vor der Brust. Als wir ankommen, ist es schon ziemlich voll, aber wir müssen nicht lange anstehen, weil Melli eigentlich überall reinkommt, ohne warten zu müssen. Manchmal ist es ein Vorteil, wenn die beste Freundin selbst schon die Einlasskontrolleurinnen der Lesbenbars gevögelt hat. Drinnen läuft noch normale Tanzmusik, Callas Band spielt immer erst ab zehn. Während wir uns an Tischen und Stühlen und lachenden Mädchen und Frauen vorbeischieben, muss Melli geschätzte vierhundert Leute begrüßen, die sie alle mehr oder minder stark anhimmeln. Sie mag es, im Rampenlicht zu stehen. Ich finde das eher lästig und begrüße die drei Leute, die ich von all den Melli- Anhimmlerinnen kenne. An der Bar sehe ich Steffi stehen, die ziemlich unverblümt zu mir herüber starrt und dann winkt. Ich winke zurück, mache mir aber nicht die Mühe, zu ihr zu gehen. Bei Melli stört es mich nicht, dass sie so den Macker heraushängen lässt. Steffi macht das nur bei mir. Vielleicht denkt sie, dass sie mich so rumbekommen kann. Nur leider macht mich das kein bisschen an. Nachdem Melli sich aus der Traube von Bewunderern befreit hat, zieht sie mich zur Bar hinüber. Aber als wüsste sie genau, dass ich keine Lust auf Steffis Anmach- Versuche habe, stellt sie sich zwischen uns und bestellt zwei Tequila als Eröffnungsgetränk für den Abend. Zwei Tequila später und dank einer von Mellis Verehrerinnen stehe ich allein mit Steffi an der Bar, während Melli mit einer mir unbekannten Rothaarigen am Tanzen ist. Dass sie der Rothaarigen dabei ständig an den Hintern fasst, stört das Mädchen wohl gar nicht. Ich kann darüber nur die Augen verdrehen und hoffe, dass Steffi bald ihr Interesse an mir verliert. Aber das scheint nicht der Fall zu sein. »Du bist immer so abweisend zu mir«, schmollt Steffi mich an und rückt ein Stück näher. Sie beugt sich vor und ihre großen, blauen Augen sehen mich herausfordernd an. »Wirklich?«, sage ich abwesend und beobachte Melli, die gerade hemmungslos mit der Rothaarigen knutscht. Ich fasse es nicht. Und das nach zwanzig Minuten! »Ja. Melli hat mir gesteckt, dass du auf dieses Mauerblümchen stehst. Diese… Anna?« Ich sehe sie genervt an. »Hanna. Und ja, das ist richtig.« Dann sollte sie doch wissen, dass ich an ihr nicht interessiert bin. »Aber wieso läufst du so einer nach, wenn du mich auch haben kannst?«, fragt sie und ehe ich es mich versehe, hat sie mich einfach auf den Mund geküsst. Irgendwo hinter mir geht ein Glas zu Bruch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)