Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil von Izaya-kun (Das Tagebuch eines Gesuchten) ================================================================================ Kapitel 33: Bewunderung und Begehren ------------------------------------ Die Nacht über war ich sehr melancholisch gewesen und hatte mich in die Gedankenwelt zurückgezogen. Die Schleifen in meinem Kopf nahmen einfach kein Ende. Mich beschäftigten Black, Mary-Ann und auch der Priester. Ich verfluchte mich für diese Schwäche und fühlte mich wie ein Weib. Zwischendrin packte mich die Verzweiflung und ich begann auf und ab zu laufen, wie ein Verrückter. Wie lange war es her, dass ich mich hatte frei bewegen können? Ein halbes Jahr? Während meiner Zeit im Tollhaus konnte ich gehen, wohin ich wollte, aber ich hatte lediglich die Auswahl zwischen dem Gebäude und dem Hof gehabt. Wie sehr wünschte ich mir eine Wiese, einen Wald, ein Feld, oder die Stadt. Der Gedanke zu sterben, ohne jemals wirklich frei gewesen zu sein, trieb mich fast in den Wahnsinn. Ich fluchte immer wieder und schlug gegen die Wand, bis meine Handflächen schmerzten. „Reiß dich zusammen…!“, zischte dann eine Stimme in meinem Kopf. „Wenn du dir die Hände aufscheuerst, hast du noch mehr Wunden, die hätten heilen müssen!“ Ich wollte die Freiheit spüren… Deswegen war ich aus dem Kloster geflohen. Stattdessen war ich von einem Käfig in den nächsten gerannt, von einem Problem zum nächsten. Ich war auf der Caroline gefangen gewesen, dann auf einer Insel, dann auf dem Schiff von O’Hagan, im Tollhaus und nun in einer winzigen, stinkenden Zelle. Konnte denn nie etwas gut verlaufen? Konnte mir denn nie etwas gelingen? Und wie mich dieser O’Hagan mit Wut erfüllte! Er hatte den Auftrag Black zu hängen nur gegeben, um mich zu demütigen und ich war völlig machtlos. Ich konnte nichts dagegen tun und Black nicht einmal retten. Ich war die Wände auf und ab gelaufen, aber sie waren aus hartem Stein. Mit den Fingern konnte ich wenig kratzen und schon gar nicht ein Loch durch die Wand hindurch. Das Fenster war gerade mal so groß wie zwei Hände breit sind und an der Tür hörte ich immer wieder Stimmen, Husten, Schnarchen oder Räuspern: Wachen, zwei Stück, ohne Frage bewaffnet. Im Halbschlaf malte ich mir aus, wie ein Komplize, vielleicht Black oder Pitt, Käse oder der alte Esel ans Fenster kam und mir ein Messer hinunter warf. Aber wieso sollte das jemand tun? Keinem war ich so wichtig und wenn, dann war er irgendwo eingesperrt oder wusste nicht einmal, wo ich mich befand. Mir kam der bittere Gedanke, dass ich mir scheinbar die falschen Freunde gesucht hatte. Zum Sonnenaufgang dann ging die Tür auf und ein bewaffneter Soldat brachte mir etwas zu essen. Er war erstaunlich jung, vielleicht um die sechzehn Jahre und ohne Frage sehr unglücklich mit seiner Arbeit. Ich saß auf dem Boden, in der Ecke und starrte ihn an. Durch die Müdigkeit und den Schmutz musste ich unheimlich düster gewirkt haben, denn mein Blick schien ihn noch mehr zu verunsichern. Der Junge wollte bereits wieder hinaus, da erblickte er die kaputte Pritsche. Verwundert blieb er stehen. Der junge Rotrock schien zu überlegen, ob ich sie kaputt gemacht hatte. „Sie ist zusammen gebrochen.“, erklärte ich, bevor es zu Missverständnissen kam. Er fuhr zusammen und starrte mich an, noch immer die Holzschüssel mit dem Brei in der Hand. „Scheint morsch zu sein.“ „Ich verstehe.“, nun räusperte er sich, dann kam er zu mir uns stellte die Schüssel in etwas Abstand auf den Boden und mit einem leisen „Euer Essen.“ Richtete er sich wieder auf. Ich wollte wissen: „Was für Essen?“, er blieb stehen und sah mich aufmerksam an. Etwas in seinem Blick faszinierte mich. Seine Augen waren neugierig, aber beherrscht. Intelligent. „Sir?“ „Was für Essen? Abendessen? Mittag? Frühstück? Alles zusammen?“ „Alle zusammen, Sir.“ „Na wunderbar…“, der junge Kerl musste schmunzeln, als ich mich beschwerte und bewegte sich kein Stück von mir weg. Stattdessen wollte er wissen: „Seid Ihr Sullivan O’Neil?“ „Wieso fragst du?“, verwundert sah ich ihn an. Er grinste und deutete auf den Hocker in der hintersten Ecke. „Darf ich?“, da ein Schulternzucken die einzige Antwort war und ich nur den Brei griff, zog der Junge den Schemel etwas näher und ließ sich sinken. Meine Aufmerksamkeit galt nur meiner ‚Mahlzeit’. Es schmeckte, wie ich es aus dem Kloster gewohnt war, nach Getreide und Salz. Nach einigen Bissen dann warf ich dem Fremden einen Blick zu. Er wirkte auf mich wie ein Frischling. Er schob sein Schwert umständlich beiseite und fummelte immer wieder an seiner roten Mütze herum. Es amüsierte mich ein wenig und zugleich fühlte ich mich unheimlich alt. Gleichzeitig fragte ich mich, seit wann man in so jungen Jahren in die Armee gezogen wurde. Damals, zu meiner Zeit, hatte man mindestens achtzehn oder zwanzig sein müssen. Der Blondschopf vor mir wirkte nicht so, als hätte er dieses Alter, geschweigedenn die Reife dafür. „Also…“, begann er unsicher. „Wegen der Feuerprobe…“ „Hm?“, ich sah erneut auf. „Was ist damit?“ „Das fand ich wirklich…Wahnsinn. Beeindruckend, wirklich.“ Seine Augen strahlten vor Bewunderung für mich. Für mich, einen Gefangenen! Ich zog eine Augenbraue hoch, mehr als skeptisch. Machte der Kerl sich über mich lustig? „Ach ja?“ Doch scheinbar nicht, denn das Strahlen wuchs. „Ja, Sir. Ich denke, ich hätte mich das nicht getraut.“, ich tat desinteressiert und aß weiter meinen Brei. Fast ein wenig gierig. Innerlich jedoch freute mich dieses Lob. Scheinbar hatte ich einen gewissen Eindruck hinterlassen – trotz nasser Hose - und vielleicht nicht nur bei ihm. Er rückte ein Stück näher, der Schemel schabte laut über den Boden. „Hattet Ihr keine Angst, Sir?“ „Angst? Vor dem Feuer?“ „Ja.“ Ich lachte, gekonnt: „Ich bin unschuldig, also wieso sollte ich Angst haben?“ „Ich glaube, ich hätte dennoch Angst.“, der junge Soldat nahm mir die Schüssel ab, nachdem ich fertig war. Die ganze Zeit hatte er mich beobachtet, fast ein wenig penetrant. Nun sah er mich anerkennend an. „Ihr seid wirklich mutig. Ich habe noch nie eine Feuerprobe gesehen, bei der jemand so mutig war.“ Ein spöttisches Schnauben. „Hast du denn welche gesehen?“ Hatte er denn nicht registriert, dass sie mich förmlich gestoßen hatten? „Fünf oder sechs bestimmt, Sir. Aber ich denke es kommt immer auf den Wind an und den Ablauf… Und auf viel Glück. Sehr viel Glück.“ Kurz herrschte Stille. Irgendjemand ging oberhalb der Straße entlang und würde man sich auf die Zehenspitzen stellen, könnte man wohl einen Fuß durchs Fenster sehen. Dann war es erneut still. Ich erhob mich und streckte mich ausgiebig. Sofort stand auch er auf, mich nicht aus den Augen lassend. Ich merkte, würde ich auch nur die Andeutung machen ihn anzugreifen, wäre er darauf gefasst. Der Junge war auf alles vorbereitet. Ob er mich wirklich überwältigen könnte, war eine andere Frage. „Du bist nicht dumm, Kleiner. Jedenfalls wirkst du nicht so.“, stellte ich fest. „Ich danke, Sir.“, er lächelte und verbeugte sich leicht. „Ihr auch nicht, denke ich.“ „So?“, ich zog abermals eine Augenbraue hoch. „Und wie kommst du darauf?“ Es freute ihn, dass ich das fragte, das sah man. Er schob sein Schwert etwas gerade, ehe er erklärte: „Nur, wegen der Verhandlung. Ich war bei den Wachen dabei. Ihr habt den Richter gegen O’Hagan ausgespielt, Sir.“ „Habe ich?“, fragte ich leicht grinsend, ich konnte nicht anders. Auch er begann zu grinsen. „Ihr wärt schuldig gewesen, hätte der Richter nichts gesagt, Sir. Es stand vier zu drei.“ „Wäre ich?“, mein Grinsen wurde breiter. Damit es nicht zu sehr auffiel, sah ich nach unten und begann, meine dreckige Hose ein wenig abzuklopfen. Sie war voller Ruß und Dreck. „Ganz sicher sogar, Sir. Und der alte Pirat hat sicherlich auch gelogen. “ „Dann habe ich das wohl.“, nachdenklich kratzte ich mir den Kopf. „Und du wirst es jetzt weiter sagen, was?“ Der Bengel schüttelte den blonden Kopf, fast so stark, dass seine Mütze fast davon hüpfte. Schnell hielt er sie fest, ein wenig verlegen. „Nein, Sir. Selbstverständlich nicht, Sir.“ „So selbstverständlich ist das gar nicht, Kleiner. Ich bin mir sicher, du kannst dir einiges dazu verdienen, wenn du plaudern gehst.“ „Und ich denke, Ihr schuldet mir jetzt etwas, Sir.“, er grinste mir dreist entgegen. Ich kam nicht ohnehin zu schmunzeln. „Du bist ganz schön frech. So etwas kann übel enden.“ „Es muss ja nichts großes sein…“, als ich aufsah, wich er automatisch einen Schritt zurück. Ich tat einen nach vorn und griff mir seinen Schemel. In aller Ruhe setzte ich mich hin. Viel Auswahl hatte ich aufgrund der zusammen gekrachten Pritsche ja nicht mehr. „Nichts großes, so, so.“, murmelte ich dann und machte es mir so bequem, wie es eben ging. Die Brandwunde in meinem Nacken spannte etwas und ich spürte, dass Haare mit eingetrocknet waren. Wie sehr sehnte ich mich nach einem warmen, weichen Bett mit Decke und Kissen, einem guten Arzt, einer netten Kräutermixtur und vielleicht ein, zwei Gläschen Rum? „An was dachtest du?“, wollte ich nun wissen und musterte seine Augen. „Geld?“ „Ach… Wir werden sehen.“, er sah kurz zum Fenster. Ich folgte seinem Blick. Was hatte er da gesehen? Doch erblicken tat ich nichts. Als ich ihn wieder ansah, grinste er mir entgegen. Ich hätte es mir einbilden können, aber spielte er mit mir? Wahrscheinlich war ich einfach nur paranoid, aber es wirkte fast, als würde ein Ebenbild vor mir stehen. Nur jünger, dreister, mutiger. Ich gruselte mich vor mir selbst, vor diesem Gedanken, dieser verrückten Idee. Wenn ich leicht verrückt gewesen war, so hatte ich nun wohl vollends den Verstand verloren. Bemüht ruhig zu bleiben trotz dem innerlich, sich scheinbar nähernden Wahnsinns, fragte ich, ihm direkt in die hellblauen Augen sehend: „Wie heißt du?“ „Jack, Sir.“ „Wie alt bist du?“ Er antwortete ohne zu zögern. „Siebzehn, Sir.“, nach einigem Zögern fügte er stolz hinzu: „Seit einundzwanzig Tagen.“ „Du kannst zählen.“, ein anerkennendes Nicken meinerseits. „Und lesen, Sir.“ Ich fragte: „Schreiben?“ Doch er sah zu Boden. „Nur sehr schwer, Sir…“, mit schief gelegtem Kopf überlegte ich, ob er das in der Armee lernte oder von woher er stammen könnte und fast sofort sah er mich wieder an. Als hätte er es sich angeeignet, zu reagieren, sobald ich mich bewegte. Als würde er jede Bewegung wahrnehmen, wie ein aufmerksames Tier. „Und wieso unterhältst du dich mit Gefangenen?“, ich lachte ein wenig. „Ist das neuerdings auch Aufgabe von Euch Rotröcken, uns vor Vereinsamung zu schützen? Wenn ja, schlag ruhig mal Prostituierte vor. Es ist teurer, aber effektiver.“ Seine Ohren liefen rot an. „Nein, Sir, natürlich nicht, Sir.“ „Dann geh lieber wieder an die Arbeit, ehe ich dir die Kehle durchschneide.“, meine Stimme verfiel einem leichten Singsang, amüsiert und ganz nebenbei. „Schon vergessen? Ich bin schuldig und Pirat. Ich bin gefährlich, Kleiner.“ Er starrte mich mit großen Augen an, jedoch anders, als erwartet. Sie zeigten keine Angst oder Entsetzen, sondern Faszination und Bewunderung. Dann nickte Jack grinsend und ging hinaus. „Ich bringe Euch morgen wieder etwas.“, verkündete er dabei gut gelaunt. Ich brummte nur und sah ihm zu, wie er verschwand. Dann wurde die Tür geschlossen. Seufzend sah ich zur ehemaligen Pritsche. Mir wäre es lieber gewesen, wenn er mir ein neues Bett brächte, statt Brei. Aber seine Bewunderung für mich gefiel mir und sicherlich konnte ich sie irgendwie nutzen, auch, wenn ich sie nicht ganz verstand. Wahrscheinlich war er einer dieser typischen Abenteurer-Jungen, die Piratengeschichten liebten, Räuber und Diebe. Jene, die die Realität vergaßen und nur noch wilde Fantasien und Geschichten sahen, mit Schätzen und geheimen Inseln. Als ich mir durch die Haare fuhr erschrak ich etwas. Ich hatte kurze Haare gehabt, mittlerweile waren sie etwas nachgewachsen, aber der kleine Zopf an meinem Hinterkopf war weg. Der kleine Rest war zerfranst und um einiges kürzer. Scheinbar hatte die Feuerprobe mehr Spuren hinterlassen, als leichte Verbrennungen und Albträume. Ich fand immer mehr Punkte, die mich störten und aggressiv machten. Das einzige positive war, dass sich mein Bettproblem löste. Gegen Mittag kamen mehrere Rotröcke hinein und reparierten die Pritsche. Sie schlugen gekonnt die Ketten zurück in die Wand und stellten mir sogar einen neuen Topf hin. „Mit netten Grüßen von Pater Johannes.“, teilte mir eine der Wachen freundlich grinsend mit. Ich war mir nicht sicher, wie ich den Blick deuten sollte und noch unsicherer, wie die Geste des Priesters. Ich empfand Unbehagen, als ich mich auf das Holzgestellt legte und fand einfach keine Ruhe. Unentwegt starrte ich die Tür an, bis ich endlich einschlief. Als sie gegen Abend dann aufging, fuhr ich sofort in Sitzposition. Ich musst fest geschlafen haben. Den Gang der Sonne von Mittag zu Anfang Nacht hatte ich nicht mitbekommen und als Pater Johannes eintrat, hörte ich erneut den Lampenanzünder. Die Begegnung mit Jack erschien mir, als wäre sie ein Traum gewesen, so sehr war mein Rhythmus durcheinander geraten. Der Priester lächelte freundlich, schloss die Tür und holte wortlos einen Schemel. Trotz der sofortigen Anspannung, zog sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Ich hatte Hunger. Wahrscheinlich erwartete er, dass ich ihn begrüßen würde, aber ich tat es nicht, also setzte er sich mir gegenüber. Mich widerte seine blasse Haut an, seine schmalen Augen und der kleine Zahn links unten in seinem Gebiss. Er war außergewöhnlich schief im Vergleich zu seinen restlichen, einwandfreien Zähnen. Aber am schlimmsten fand ich die Tatsache, dass er gerade Mal um die dreißig Jahre alt schien. Höchsten acht Jahre älter als ich. „Guten Abend, mein Sohn.“, sprach er nun. Ich sah ihn nur an. Mehr als nur finster, fast entnervt. Etwas enttäuscht seufzte er: „Ihr scheint heute nicht sehr gesprächig.“, auch dazu sagte ich nichts. Ich hatte nicht vor, mit diesem Mann zu plaudern, der meine Situation scheinbar zu seinem Vorteil nutzen wollte. Etwas, was ich nicht verstand. Er sah nicht schlecht aus, er könnte sein Glück sicher auch ohne Zwang versuchen. Der Priester griff lächelnd nach meiner Hand. „Wie geht es Euren Wunden an den Fingern?“, doch ich zog sie weg. „Fasst mich nicht an.“, ich versuchte drohend zu klingen, doch die Erschöpfung machte das sehr schwer. „Was ist los mit Euch?“, er wirkte erstaunt und verwundert. „Ich muss mich nach Euren Wunden erkundigen.“ „In zwei Tagen, ja. Nicht heute.“ „Ich verstehe. Ihr wollt meine Hilfe nicht?“ „Ich bin nicht darauf angewiesen, allerdings nicht jetzt. Wenn Ihr also bitte gehen würdet?“ Wir sahen uns an. Ich ihn verhasst und voller Abscheu, er mich aufmerksam und traurig. Ich hatte nichts gegen seine Neigung an sich, nur gegen seine Art und seinen Charakter. Dieser Mann regte mich auf. Er nutzte seine Position aus und benahm sich ohne Frage sündhaft – als Gottesdiener. Etwas, was unverzeihlich war. Er hatte einen Eid abgelegt, einen Schwur und brach ihn, für so etwas. „Wieso seid Ihr so unhöflich?“, versuchte er es weiter. „Ich bin Euer Beistand.“ „Mir wäre Abstand lieber.“, knurrte ich. Der Mann seufzte und beugte sich etwas vor. Frieden suchend legte er mir seine Hände auf die Knie und flüsterte: „Ich glaube, wir missverstehen uns. Das gestern war kein Angebot. Es war ein nicht abzulehnender Vorschlag, Oliver.“ Nun legte ich meine Hände auf seine, beugte mich ebenfalls vor und flüsterte, ihm gehässig in die Augen sehend: „Und ich glaube Ihr wisst nicht, was ich davon halte. Ich konnte es im Kloster schon nicht leiden, wenn Ihr Pfaffen uns Kinder angepackt habt, also überlegt Euch, ob Ihr auch nur daran denkt, mir zu nahe zu kommen. Ich bin noch nicht so verzweifelt, dass ich so tief sinken müsste.“, dann stieß ich seine Hände weg und klopfte mich ab, als hätte er Schmutz auf meiner dreckigen Hose hinterlassen. „Und nennt mich gefälligst beim Nachnamen.“ Priester Johannes war sichtlich beleidigt. Er zog die Augenbrauen zusammen und setzte sich aufrecht, wie ein pikierter Hahn, dch dann fasste er sich sofort wieder und wurde die Liebe in Person. Er griff meine Hände und flüsterte: „Aber Oliver, wieso bist du so kühl zu mir? Ich habe doch gar nichts gemacht.“ Er gab einfach nicht auf, es war zum verrückt werden! „Lasst mich los.“, knurrte ich, hörbar gereizt. Er machte mich mit jeder erneuten Berührung nur umso aggressiver. „Wie du meinst.“, dann zuckte ich zusammen. Ich riss meine Hände zurück, aber er ließ nicht locker. Ohne den Blick zu lösen und penetrant lächelnd drückte er mir seine Nägel in die verbrannten Handflächen. Dann ließ er los. Sofort riss ich sie zurück und starrte ihn an, leicht keuchend. Sein Lächeln wurde noch stärker: „Und? Was machen deine Wunden? Oh, du blutest.“, mitfühlend sah Johannes zu meinen Händen. „Wie schade. Dabei wirktest du so unschuldig und rein auf mich... Das wird den Gouverneur sicher freuen, zu hören, meinst du nicht? Mein Sohn?“ „Ihr seid ein verdammter…!“, doch er unterbrach mich. „Nicht fluchen.“, in aller Ruhe setzte er sich neben mich auf die Pritsche. Wütend starrte ich auf meine blutenden Handflächen. Ich kämpfte mit dem Drang aufzustehen, aber wo sollte ich hin? In die hinterste Ecke? Wo es keinerlei Ausweg mehr gab? Lieber blieb ich sitzen und konnte ihn notfalls hinunter stoßen. In meinem Hinterkopf ratterte es. Er hatte vom Gouverneur gesprochen, von O’Hagan, also wusste er von unserem kleinen Problem miteinander. Ich war unsicher, ob das gut war...und ich fragte mich, ob O’Hagan mir diesen Priester mit Absicht zugeteilt hatte. Johannes legte mir seine Hand auf die meinen, sanft und vorsichtig. Er beugte sich vor und flüsterte mir ins Ohr, leise und kaum hörbar. Ich spürte seinen Atem und Ekel stieg in mir hoch. Ich dachte an Kai und das verschlimmerte alles umso mehr. Die Haare in meinem Nacken stellten sich auf und ich wollte mich schütteln. „Was ist nun? Soll ich dir helfen, Oliver? Oder möchtest du an den Galgen?“ „Wenn Ihr mich anfasst, bringe ich Euch um…!“ Ich hörte an seiner Stimme, dass er grinste: „Ich denke, da lässt sich was machen.“, dann zog er eine meine Hände hoch und hauchte einen Kuss auf die wunde Stelle. Ich starrte ihn an, als hätte er den Verstand verloren. Mit Nachdruck zog ich sie weg. „Vergesst es! Ich hänge lieber, als mich für Euch zu bücken! Ein wenig Ehre habe ich noch und jetzt verschwindet endlich!“, das letzte sagte ich so laut, dass sogar die Wachen draußen es hörten, aber es schien sie nicht zu interessieren. Er schwieg und seine Anwesenheit machte mich rasend. Nach einigen Minuten dann fuhr er mir durchs Haar. Dieser Idiot verstand einfach nicht, was ich ihm sagte! Wütend fuhr ich hoch und schlug seine Hand weg. „Lasst das!“, schrie ich ihn an, doch selbst jetzt reagierte niemand von draußen. Wussten die Wachen bescheid? War die Bemerkung zur Pritsche deswegen so zweideutig gewesen? Von einer Sekunde auf die andere war ich wieder rasend vor Hass. Der Priester stand ebenfalls auf, jedoch langsam und ruhig. Immer noch lächelte er. Er fühlte sich überlegen und das verdeutlichte mir nur umso mehr, dass ich eindeutig im Nachteil war. Etwas stimmte hier nicht. „Ich möchte dir helfen.“, begann er zu erklären. „Nein, sagte ich! Verschwindet! Raus!“ Pater Johannes legte die Hände zusammen und sah zu Boden. Er schien ernsthaft nachzudenken. Am liebsten hätte ich ihn hinaus geprügelt. Ich blieb stehen und starrte ihn an, bemüht, ihn nicht zu packen und gegen die Wand zu stoßen. Ich musste ruhig bleiben, sonst würde das nur noch mehr Probleme mit sich ziehen. Vielleicht hoffte O’Hagan ja darauf? Sullivan O’Neil, der Pirat und Gottesdiener-Mörder? Als er wieder aufsah, lächelte er erneut. Es war nicht zu fassen! „Ich sage es ein letztes Mal, Oliver: Ich werde dir helfen, wenn du mir dafür einen kleinen Dienst erweist.“ „Wenn Ihr jemanden nehmen wollt, sucht Euch eine Hure!“, zischte ich hasserfüllt. „Niemand verlangt, dass du dich für mich auf die Pritsche legst.“, stellte er leicht kühl fest. „Es gibt auch andere Wege, mir eine Dankbarkeit zu zeigen. Höflichkeit zu Anfang und zum Ende hin vielleicht ein wenig mehr.“ „Dankbarkeit wofür?! Dafür, dass Ihr mich auf Grund laufen lasst in zwei Tagen?!“ „Ich gebe Euch mein Wort, dass…“, seine Kälte verschwand so schnell, wie sie gekommen war und er kam lächelnd einen Schritt auf mich zu. „… wenn du hier und jetzt vor mir auf die Knie gehst, ich dich frei spreche. In zwei Tagen.“, finster starrte ich ihn an. Er legte mir seine Hand auf die Wange und fuhr mit dem Daumen über meine Lippen. Angewidert löste ich mich. „Du musst dich nur hin knien, mich Vater nennen und den Mund aufmachen. Mehr nicht. Es ist ganz einfach und ich bin sicher, das kennst du schon von See. Ist es nicht so?“ Flüsternd gab ich zur Antwort: „Ihr seid ein perverses Schwein.“ Das schien ihn zu amüsieren und er grinste. „Und du bist ein kluger Junge, also tu, was das Beste für dich ist. Denk an dich, mein Sohn. Mein Wort wiegt mehr, viel mehr, als deines. Ich brauche nur hier und jetzt hinaus zu gehen und behaupten, deine Wunden würden nur so strotzen vor Blut und Eiter. Keiner kontrolliert es, das weißt du. Ich bin der einzige Pater hier, nur ich darf sie sehen. Wer würde dir schon glauben? Und sie würden dich noch heute hängen. Klingt das verlockend für dich?“, wieder hob er die Hand, wieder strich er über meine Wange und diesmal wurde sein Blick anders, verträumter. „Ein paar Minuten, dafür ein freies Leben. Ist das nichts? Und keiner würde es erfahren, Oliver.“ Ich schwieg und er ließ mich gewähren. Die Abscheu lähmte mich. Ich hasste diesen Mann, von der ersten Sekunde an. Mittlerweile war ich sicher, dass O’Hagan sich gerade köstlich über den Gedanken amüsierte, dass dieser Mann hier bei mir war – gleiches galt wohl für die Wachen. Keiner würde es erfahren, hm? Wahrscheinlich wusste schon jeder zweite, was hier vor sich ging. Doch dann dachte ich an Mary-Ann. In meinem Kopf sah ich sie, dünn, abgemagert und hilflos, wie man sie hinauszog und auf den Scheiterhaufen schliff. Ich hatte schon vielen Hexenverbrennungen beigewohnt. Es war nicht schwer, sich bildlich vorzustellen, wie sie dastand und schrie. Zuerst brannten ihre Füße, dann die Beine und wenn sie nicht gerade das Bewusstsein verlor – was die wenigstens taten – dann schrie sie weiter, lauter, als die jubelnde Menge. Der Pater beugte sich vor und hauchte mir kaum spürbar einen Kuss auf die Lippen. Zwar ließ ich es zu, aber mich bewegen oder reagieren tat ich nicht annähernd. Ich sah Black vor mir, den alten Piraten, mit seinem Grinsen und dem Holzbein. Er brummte und lachte, doch dann sah ich, wie er auf dem Podest stand, die Arme hinter dem Rücken und auf einem Bein. Er fluchte, mit einem Strick um dem Hals. Der Henker brauchte nur den Hebel zu drücken und der Boden unter dem Seebären würde einfach nachlassen. Sein Hut fiel zu Boden, sein Körper zuckte, schwankte und dann erstarb er, langsam, ganz langsam. Wenn ich den beiden helfen konnte, dann nur lebend. Ich wollte weinen, ich wollte schreien, ich wollte wüten und ich wollte schlafen. In mir herrschte Chaos und fast mechanisch sank ich zu Boden, als Pater Johannes mich sanft runter drückte. Ich hörte ihn leise lachen und das betäubte mich umso mehr. In meinem Kopf tauchten weitere Bilder auf, endlos viele. Mary-Ann, verbrannt und tot und wie man ihre Reste einfach auf einen Karren warf. „Du wirst sehen, Gott heilt alle Wunden schnell.“, flüsterte eine Stimme sanft über mir. Ich beschloss es zu ignorieren, es einfach zu vergessen. Als würde ich das nicht mitbekommen. In meinem Kopf machte es Klick! Und ich blendete alles aus. Als wäre ich weg, ganz woanders. Nicht gedemütigt und gebrochen, sondern frei. Er hob seine Robe und ich registrierte seine weiße Brouche und so ließ er sich mit gespreizten Beinen auf die Pritsche sinken. Er zog sie hinunter und mich zu sich. Ich sah und roch, dass er bereits erregt war und auf Anweisung hin öffnete ich den Mund. Erst ein Stück, doch ich war gezwungen, ihn weiter zu spreizen. Ich tat nichts dazu. Weder bewegte ich mich, noch sah ich ihn an. Und Vater nannte ich ihn schon gar nicht. Ich schloss lediglich die Augen und setzte meine Hände auf das Holz. Ich dachte nicht daran, dieses Schwein irgendwie zu befriedigen oder seine Fantasie zu beflügeln. Übelkeit stieg in mir hoch und desto tiefer er sein Glied in meinen Rachen schob, desto schlechter wurde mir. Umso stärker konzentrierte ich mich auf Mary-Ann. In meinem Kopf befreite ich sie aus dem Tollhaus und wir rannten um unser Leben. Schon nach kurzer Zeit konnte sie nicht mehr, aber das machte nichts. Sie brach zusammen, ich hob sie hoch und etwas weiter wartete Black auf mich, mit einem Karren vielleicht. Wir hievten sie hinauf und suchten das Weite, weg von hier, ganz weit weg. Vielleicht in eine andere Stadt, eine schönere als Annonce. Ohne Schmutz, ohne Inquisition, gab es so etwas? Es wirkte fast wie ein lächerliches Spiel, bis der Mann vor mir irgendwann aufstöhnte und gieriger wurde. Ich würgte auf, als er sich zu tief in mich schob und fuhr zurück, doch er packte mich an den Haaren. Das war zu viel. Das Bild von Wiesen und Blumen zerplatzte einfach. Dieser Griff von ihm hatte mich zurückgeholt und mich geweckt. Statt Mary-Ann sah ich Kai, wie er mich packte, mich herumdrehte. Ich sah seinen Hinterkopf, sah sein Glied, seinen toten Blick und dann... ...biss ich zu. Noch nie zuvor hatte ein Mann durch mich so laut geschrieen. Die Dinge überschlugen sich. Die Tür wurde aufgerissen und zwei Wachen stürmten herein. Eine von ihnen starrte zu mir. Ich hockte auf dem Boden, erbrach mich, spuckte Blut und konnte mich nicht überwinden den Speichel herunter zu schlucken. Die andere rief erschrocken: „Johannes!“, und stürzte zu dem sich krümmenden Priester. Dieser weinte und schrie. Er fluchte wie ein Besessener, während er die Hand zwischen seine Beine presste. „Du verdammter Mistkerl!“, fuhr mich der Wachmann an. „Dafür wirst du büßen!“, doch ich achtete gar nicht drauf, sondern spuckte immer wieder aus. „Schnell, wir müssen ihn zu einem Arzt bringen…!“, dann packten sie den weinenden und jammernden Mann an den Oberarmen und halfen ihm hinaus. Johannes konnte kaum laufen. Sein Gesicht war tränenüberströmt, an seinem Oberschenkel lief Blut und er wusste gar nicht, wie ihm geschah. Ich sah auf und nach, dann rappelte ich mich hoch und brüllte: „Gott heilt alle Wunden schnell! Sünder! Bastard!“, die Tür knallte zu und fluchend schlug ich dagegen. „Wir werden ja sehen, wer der Unschuldige ist!“ Natürlich bekam ich keine Antwort. Erst nach langer Zeit verrauchte meine Wut und ich sank zurück auf das Holzbrett. Nun würden sie mich hängen. Sie würden mich hängen und ich konnte niemandem helfen. Weder Black, noch Mary-Ann. Verzweiflung packte mich. Ich hatte meine Chance versaut und wahrscheinlich wurde ich gleich noch einmal angeklagt, ganz gleich wie meine Wunden aussahen. Und diesmal würde es nicht einmal eine Befragung geben. Das Wort eines Priesters galt viel, viel zu viel, damit hatte Johannes Recht. Ich seufzte schwer und sah auf meine blutigen Hände. Dann musste ich grinsen. Egal…, dachte ich. Das war es mir wert… Selbst, wenn sie mich nun hängten: Ich würde mit Stolz sterben! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)