Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil von Izaya-kun (Das Tagebuch eines Gesuchten) ================================================================================ Kapitel 24: Verstehen --------------------- Ich wurde immer ruhiger, desto wütender er wurde und in Gedanken driftete ich immer mehr ab. Meine Milz hatte sich beruhigt, nur ab und an stach sie und holte mich in die Realität zurück. Ich weiß nicht, ob man für kurze Zeit verrückt sein kann, aber wenn ja, dann war ich es. Ich verbrachte die Nächte auf meinem Schemel, an dem Bett hatte ich kaum noch Interesse. Stattdessen dachte ich nach und dachte. Das Schweigen machte einen anderen Menschen aus mir. Ich hatte niemanden zum Reden, das veränderte mich. Zum Esel konnte ich nur selten und selbst wenn, so war er in Gesprächen nicht sonderlich eloquent und der Zuchtmeister, Charles oder Pitt waren alles andere, als geeignete Gesprächspartner. Stattdessen lauschte ich ihnen und stellte immer mehr Dinge fest, die ich zu nutzen lernte, ohne es zu registrieren. Ich beobachtete die Menschen um mich herum. Sowohl den Meister, als auch die Hausmutter, sowohl Charles, als auch Pitt. Ich begann bei jedem anders zu sein. Während ich zu Pitt ein freundliches Verhältnis aufbaute, war ich bei der Hausmutter höflich und zugleich feindlich, beim Zuchtmeister stark distanziert und beim alten Esel nett und redselig. Ich spielte mit diesen Masken herum und erprobte es auch bei den Tollen. Manchmal kam ich als strenger Aufseher hinein, manchmal als freundlicher Gehilfe und ich lernte, wie was auf die Außenwelt wirkte. Ich verschaffte mir Respekt und zugleich Vertrauen, ähnlich wie Black. Auch die Fremde bemerkte meine Veränderung und sagte einst nebenbei, während ich ihr Essen gab: „Mein Prinz scheint sehr verspielt zu sein.“ Ich grinste nur. Diese Bemerkung zeigte mir, was ich längst wusste: Sie war anders. Sie hatte andere Augen, andere Sinne. Sie nahm Dinge war, die andere nicht registrierten. Sie war wie ich, nur anders. Charles verschwand irgendwann, wohin, wussten wir nicht. Wahrscheinlich kam er zu einem Richter. Drei Tage später war er zurück, allerdings ein Stockwerk tiefer, was Pitt sehr mitnahm. Ich glaube, die zwei waren Brüder, aber wissen tue ich es nicht. Er war sehr still, aber als Charles weg war, war er noch stiller. Ich versuchte ihm näher zu kommen und zum Reden zu bewegen, aber er tat es nicht. Interessanterweise war es fast ein komplett anderer Mensch. Ohne Charles konnte er sich nicht durchsetzen. Ich weiß noch, dass ich damals dachte, dass Charles ihn abgerichtet hatte. Pitt tat, was immer er wollte, denn ohne ihn war er ein Nichts. Dass er das allein Charles zu verdanken hatte, war ihm nicht klar. Ihm war nur klar, mit Charles war er etwas und dafür musste er dankbar sein. Es fiel mir schwer, an ihn heranzukommen. Wenn ich es schaffte, blockte er ab, aus Angst, Fehler zu machen oder aber er konnte mir nicht folgen. Er war sehr langsam und verstand manchmal von vorneherein alles falsch. Ohne Charles war die Arbeit weitaus schwerer. Der Zuchtmeister half uns nun, mürrisch und mies gelaunt. Seine Brutalität verlieh mir Gänsehaut. Es gab Tage, da war er so gereizt, dass er wahllos irgendwelchen Verrückten Schläge verpasste, wenn sie nicht schnell genug aus dem Weg waren. Er prügelte regelrecht auf sie ein und wir konnten nichts tun, als zusehen. Generell besserte sich meine Zeit dort nicht im Geringsten, aber seit Charles weg war, hatte ich mehr Gelegenheiten, mit der Fremden zu sprechen. Pitt ließ mich gewähren, wenn wir uns unterhielten und kümmerte sich um die anderen Tollen. Gegenüber dem Zuchtmeister verlor er kein Wort und so konnte ich in aller Ruhe mit ihr sprechen. Wir sprachen nicht viel, oft auch nicht lange. Ich bekam heraus, dass sie Mary-Ann hieß und dreiundzwanzig Jahre alt war. Ihre Art zu reden war verquer und schwer zu verstehen, aber mit der Zeit gewöhnte ich mich immer mehr daran. Ich schaffte es ihren wirren Gedanken zu folgen und ihre Rätsel zu entwirren. Sie benutze bestimmte Worte als Zeichen für bestimmte Themen. Fast, als hätte sie Angst, jemand würde erkennen was sie sagte. Jemand, der das nicht sollte. Ich fragte mich, vor wem sie Angst hatte. Sie schien etwas zu verbergen, etwas Wichtiges und das lockte mich immer mehr an. Fast jeden Abend dachte ich an sie, ihr Gesagtes und an ihre mysteriöse Vergangenheit. „Prinz.“, sagte sie eines Nachmittags gedankenverloren. Ich hatte den Tollen die Haare geschnitten und drehte mich um. Mary-Ann saß wieder einfach nur da, als hätte sie nie etwas anderes getan. Doch heute sah sie anders aus, noch müder und noch ausgemergelter als ohnehin schon. Einer der Tobsüchtigen hatte einen Anfall gehabt und sich von den Ketten an der Wand lösen können. An ihrer Schläfe war nun eine Platzwunde. „Ich hatte einen Traum, Prinz.“ „Möchtest du ihn mir erzählen?“, ich sah kurz zu Pitt. Dieser nickte nur und übernahm meine Arbeit und so ging ich zu ihr und kniete mich vor die junge Frau. Ich hatte mich an den Gestank gewöhnt, dennoch bereitete er mir Kopfschmerzen und ich wollte es vermeiden, mich auf den Boden zu hocken. Mary-Ann sah mich schwach und müde an, sanft lächelnd. „Will der Prinz mir denn zuhören?“ „Natürlich will er das, erzähle.“, sagte ich sanft und auch neugierig. Es war das erste Mal, dass sie von sich aus ein Gespräch begann. „Nun, alles war dunkel...“, ihre Augen gingen ins Leere, als könnte sie alles wieder vor sich sehen. „Und dann... Dann war dort ein Licht. Es war rot, blutrot.“ Sie versank. Ich wartete einige Sekunden, dann suchte ich Blickkontakt und holte sie zurück in die Welt des Wachens. „Mary-Ann.“ Lächelnd sah sie mir direkt in die Augen. „Ja?“ „Dein Traum.“, drängte ich freundlich. „Du wolltest ihn mir erzählen.“ „Ach, richtig...“, sie sah wieder vor sich in die Luft. „Nun, alles war schwarz, bis auf ein Licht. Ein rotes, helles Licht. Es war warm und groß und erhellte das Schwarz. Erst war alles dunkel, rot wie Wein, doch dann stärker, immer stärker. Es war wunderschön.“ Sie schwieg. Pitt warf mir einen unsicheren Blick zu, aber ansonsten mischte er sich nicht ein. Ihm waren die Tollen nicht geheuer, das wusste ich, er fand sie unheimlich und verquer. Also ließ ich ihn in Ruhe und er mich. „Was war das für ein Licht?“, wollte ich wissen. Mary-Ann sah mich an und ihr Blick war wissend und geheimnisvoll zugleich. „Der Teufel.“, flüsterte sie dann. Ich zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. „Der Teufel?“, doch sie nickte. „Du hast den Teufel gesehen?“ "Ja. Ich bin mir sicher, er war es. Es war so warm, so wunderschön, das konnte nur die Verführung des Satans sein.", sie sah auf ihre entstellten Hände und betrachtete ihre Finger, als würden auf ihnen Worte und Geheimnisse stehen. Ich ging einige Schritte neben sie und lehnte mich mit dem Rücken an die staubige Wand. Das Hocken ging mir mit der Zeit auf die Beine und es schmerzte mich in den Waden. „Und bist du ihm verfallen?“, fragte ich dann schmunzelnd, jedoch auch ernst. Ich wusste, dass Mary-Ann es mochte, wenn ich ernst war und dabei grinste. Es zog sie an und war ihr sympathisch. Meist grinste sie dann auch - so wie jetzt - und ihre Stimme wurde ein verräterisches Zischen. Wir wirkten dann wie zwei Kinder die sich hinter dem Haus versteckt hatten und düstere und freche Pläne für Streiche schmiedeten. „Ja, das bin ich.“, sie sah kurz zu Pitt, als würde er lauschen. Es gehörte zu unserem Spiel dazu und natürlich tat er es nicht. Doch es verstärkte ihr Geheimnis, das sie mit mir teilen wollte. Es verstärkte das Mystische, das Verruchte. „Und dann ist es passiert.“ Ich hakte genauer nach: „Was ist passiert?“ „Er ist mir erschienen...!“ Ich sah sie erstaunt an, wenngleich mein Erstaunen nicht wirklich ernst war. „Und wie sah er aus?“ Sie schien nachzudenken. Ich wusste nicht, was Mary-Ann dazu erfand und was sie wirklich geträumt hatte. Dennoch hörte ich ihr gerne zu. „Rot, blutrot... mit schwarzen Händen und Füßen. Dunkel von Tod und Verderben und seine Augen waren weiß, glühend weiß. Die Seelen all jener Verdammten die er verspeist hatte leuchteten darin ihr letztes Licht.“ „Der Teufel frisst Seelen?“, zweifelte ich. „Ich dachte, er wirft sie ins Fegefeuer?“ „Er ist das Fegefeuer, er ist die Hölle. Er ist das allmächtige Licht, die Flamme Gottes.“, sie zog die Beine enger an ihren dürren Körper und legte ihre langen, knochigen Arme darum. „Aber er ist so warm... Und sanft... Er ist die Sünde, die Versuchung... Du denkst, er ist das Licht und dann? Dann ist es zu spät...“ Einige Sekunden sagten wir nichts mehr. Ich hing meinen eigenen Gedanken nach und versuchte mir den Teufel nach ihren Beschreibungen vorzustellen. Vor meinen Augen entstand ein großer, korpulenter Mann mit vielen, roten Haaren und Hörnern auf den Kopf, ähnlich wie jene Bilder in den Büchern der Bibliothek. Ich wandelte das Bild immer mehr ab und umso mehr ich nachdachte, desto lächerlicher wurde es. Vor meinen Augen tunkte er Hände und Füße in Tinte, so dass seine krallenbewährten Hände tiefschwarz und düster waren. Ich überlegte, ob er wohl nackt war, aber das erschien mir obszön und ich wusste nicht, wie ich die Gegend zwischen seinen Beinen ausstatten sollte. War es Sünde, sich die Geschlechtsteile von Teufeln vorzustellen? Ich beschloss ihm ein Stück Stoff um die Hüfte zu binden. Er lief in meinen Gedanken auf und ab, seine schwarz gefärbten Beine hinterließen wilde Fußabdrücke auf der Erde und an seinem fetten Hinterteil peitschte ein roter Löwenschwanz. Ein Löwenschwanz? Als ihm Schnurrhaare wuchsen musste ich lachen, das war zu viel. Mary-Ann bemerkte meine Reaktion gar nicht und als ich aufhörte, wandte sie sich wieder mir zu. Leise zischte sie: „Er war da, mein Prinz und ich habe es immer gewusst, dass er kommen würde. Heute Nacht war es dann endlich so weit.“ „Ist er dir schon mal erschienen?“, ich versuchte wieder ernst zu werden, aber die Vorstellung von einem Tintenfußabdrücke hinterlassenden Teufel ließ mich nicht mehr los. „Ja. Früher.“, sie sah zu Boden. Ihre Stimme wurde belegt und brüchig. „Der Satan hat viele Gestalten, Prinz und manchmal erkennt man ihn erst auf den zweiten oder dritten Blick. Ich habe ihn erkannt. Aber spät, viel zu spät, Prinz. Viel zu spät.“ Sie schien etwas erlebt zu haben, was sie noch immer beschäftigte. Am liebsten hätte ich sie in Ruhe gelassen, aber ich konnte nicht. Ich wollte mehr wissen. „Was meinst du?“ „Es ist das Wissen, Prinz. Wenn du zu viel weißt, dann verlierst du das Göttliche und wenn du das Göttliche verlierst, dann den Halt. Und ohne Halt fällst du. Du fällst wie Luzifer hinab und stehst nimmer mehr auf. Nie mehr.“ „Bist du gefallen?“, hakte ich nach. „Jeder von uns ist das. Gefallen. In Ungnade. Jeder von uns, Prinz, jeder. Du, ich und auch alle anderen. Wir kriechen hier unten im Verderben und nie mehr stehen wir auf.“ „Aber...“, ich wiegte den Kopf. „Wenn alle, die viel wissen, fallen, was ist dann mit Gott persönlich? Er ist doch allwissend. Er weiß mehr, als wir alle zusammen. Müsste nicht auch er fallen?“ Mary-Ann sah mich an. Ihre grünen Augen schimmerten leicht im wenigen Licht. „Gott redet nicht. Gott spricht zu uns, selten, sehr selten, aber nie spricht er ganz und gar. Wer weiß, der redet, so sind die Menschen. Aber er nicht, er ist göttlich.“ „Also dürfen wir nicht reden, wenn wir nicht fallen wollen?“ „So ist es, Prinz. So ist es.“ Wieder dieses Thema, dachte ich. Das Thema Reden und Denken. „Aber warum, Mary-Ann? Wieso wollen die Menschen nicht reden, ihr Wissen nicht zeigen?“ „Wissen wollen ist eine Sucht...“, sie strich sich über das Bein und befreite ihr dreckiges Hemd von einem kleinen Fussel. Ein kleiner Fussel unter vielen, viel zu vielen. „Wer einmal wissen will, will immer wissen. Immer mehr und mehr und das wissen auch die hohen Tiere dieser Welt. Und wenn die Leute Wissen sammeln, dann lernen sie nachzudenken über das, was die hohen Tiere dieser Welt tun. Wenn sie das Podest erst einmal anzweifeln, auf dem sie stehen, dann beginnt es zu wackeln und irgendwann dann bricht es zusammen und dann ist es vorbei.“, sie endete den Satz mit einem frechen Grinsen und als sie mich ansah, dachte ich, sie sei eine Rebellin. Fast schon wusste ich es, diese Frau musste eine Rebellin sein. Ein Mensch, der die Freiheit suchte. Ein Mensch, der wissen wollte. Ein Mensch, der wusste, irgendetwas und der dafür Strafe erhalten hatte. „Sie stürzen zusammen auf ihrem selbst erbauten Thron, Prinz... Und damit das nicht passiert, müssen sie alle Zweifler zurückhalten zu zweifeln, zu denken und zu wissen. Und deswegen wird Wissen bestraft.“ „Aber was sollte es für einen Schaden anrichten können, wenn jemand wie ich, ein einfacher Mann aus einem Tollhaus, etwas weiß?“ Das brachte sie zum lachen. „Sie nicht dumm, Prinz... Wissen ist etwas Ansteckendes. Du weißt und dann jener neben dir und neben diesem und neben jenem und so weiter und dann, dann wissen es alle und jeder fügt etwas hinzu.“ „Weißt du etwas? Hast du Wissen?“ Unser Gespräch wurde fast zu einem Verhör. Pitt kam zu uns und legte mir seine schmale und dreckige Hand auf die Schulter. „Sullivan, wir müssen bald hinaus.“, zischte er. Er hatte Angst, erwischt zu werden, doch ich hatte ihn schon fast vergessen. „Gleich, wir reden noch.“ „Aber wenn der Zuchtmeister-...“ „Gleich, sagte ich!“, er ließ mich los. Ich hatte einiges an ihm getestet und die strenge und abweisende Art brachte mir die meisten Vorteile bei ihm. Es schien manchmal fast so, als wollte Pitt mies behandelt werden. Er nickte knapp und unsicher, dann nahm er wieder Abstand und steckte die Haarbüschel in einen kleinen Sack hinein. Düster sah ich ihm nach, dann wandte ich mich Mary-Ann zu. Sie begann einfach zu sprechen, als wäre Pitt nie da gewesen: „Ja, ich habe Wissen gesammelt, lange, lange bevor ich hier her kam. Und ich wusste zu viel für diese Welt. Und weit zu viel für eine Frau.“ „Bist du deswegen hier?“, diese Frage lag mir bereits seit Wochen auf den Herzen. „Weil du das Podest eines hohen Tieres dieser Welt angezweifelt hast?“ Sie lächelte mich an, aber schwieg. Mary-Ann schien mir keine Antwort geben zu wollen, aber so lange schon quälte mich diese verfluchte Frage: Warum war sie hier? Wieso hatte man sie ins Tollhaus geworfen? Sie wirkte auf mich, als sei sie erst hier verrückt geworden. Es musste also einen anderen Grund geben. Oder lag ich damit wirklich so falsch? Ich ließ ihr gut eine Minute Zeit eine geeignete Antwort zu finden. jedoch musste ich feststellen, es gab keine. Sie wollte mir nicht antworten, so schien es. Aber es könnte auch sein, dass sie wieder abgedriftet war. Ich stieß mich leicht von der Wand ab und kniete mich unmittelbar vor sie. Pitt wurde zusehends ungeduldiger und sah mir zu, fast ein wenig drängend. Aber er wagte es nicht, den Mund zu öffnen und mich anzusprechen. Ich legte meine Hände auf ihre, die sie auf ihre Knie gelegt hatte und sah sie eindringlich an. Mary-Ann ließ mich gewähren. Ich war vorsichtig, ich wollte ihr nicht wehtun. neben meiner gebräunten Haut von der Arbeit und der Fahrt über die See wirkte ihre fast schneeweiß und noch zerbrechlicher. „Mary-Ann.“, begann ich und versuchte in ihr Inneres zu sehen. aber sie ließ es nicht zu. Ich hatte das Gefühl, sie wäre ein offenes Buch und wenn ich versuchte hinein zu sehen, schloss sie es ab und drehte mir den oberflächlichen Einband zu. „Wieso bist du hier?“ „Weil Gott es so will.“, gab sie mir leise zur Antwort, doch das reiche mir nicht. Ich fasste ihre Hände etwas fester. Ich musste es endlich wissen! „Mary-Ann, sag mir die Wahrheit. Wer hat dich hier her gebracht? Und wieso? Bist du wirklich eine Tolle?“ „Bin ich es?“, fragte auch sie. Es war zum verzweifeln. „Bitte, so rede doch mit mir! Ich denke Tag und Nacht darüber nach, ich möchte es wissen, ich bitte dich!“ „Also gut.“, sie löste sich und legte nun ihre Hände auf meine. Ich spürte ein leichtes Zittern durch ihre Schwäche und ihre Haut war rau und trocken. „Ich kam vor Jahren hier her, vor wie vielen weiß ich nicht. Mein Mann brachte mich.“ „Dein Mann?“, ich war ungläubig, aber sie ignorierte meine Frage. Ihre Stimme wurde leise, monoton, als würde sie schlecht aus einem langweiligen Buch vorlesen: „Er brachte mich in einer Winternacht hier her, es war kalt und überall lag Schnee. Er knackte unter meinen Füßen, wie meine Knochen. Knack, knack, knack. Er hielt mich am Arm, ja, ja, die Tolle, die Wahnsinnige. Ich hatte gelesen ein Buch und geschrieben.“ „Warst du eine Nonne?“ Sie sah mich an. „Eine verheiratete Nonne?“, fragte Mary-Ann spöttisch. „Aber wer sollte eine einfache Frau lesen und Schreiben lehren?“ „Mein Bruder hat mich das gelehrt.“, ihr Blick ging wieder ins Leere und ihre Stimme wurde wieder monoton, fast leblos: „Es war eine kalte Winternacht, Knack, knack, knack und es rieselte weiße Punkte vom heiligen Himmel. Und der Pastor war ein guter Mann der wusste, was zu tun war. Er hatte mir geholfen, aber nicht gut genug. Und so wurde ich krank, es kam in mir auf, die Wut und das Verlangen und auf ewig sollte es gedeihen und Verruchtes sollte wachsen und sprießen und zerschellen. Mit seinesgleichen im Sonnenmeer. Amen.“ Sie sah auf. Ich verstand nicht und das wusste sie. Machte dieses Weib sich über mich lustig? Pitt räusperte sich, aber ich wollte nicht gehen, auf keinen Fall. „Mary-Ann, bitte, wieso hat dein Mann dich hier her gebracht?“, fragte ich eindringlich. „Hat er das?“, fragte sie verwirrt. „Das sagtest du.“ „Ich sagte, er brachte mich. Er brachte mich um, mit Haut und Haaren. Um brachte er mich. Und dann hier her.“ „Wie hat er dich umgebracht?“, wollte ich wissen. „Sullivan…!“, jammerte Pitt. Er bekam es mit der Angst zu tun. Auf keinen Fall durfte der Zuchtmeister von unserem Treiben erfahren. „Bitte entschuldige, aber wir müssen endlich gehen...!“ Mary-Ann sah mich an, dann lächelte sie und strich mir über den Oberarm. So langsam und kraftlos, dass es mir Gänsehaut verpasste. „Leb wohl, Prinz.“ „Bis bald.“, ich erhob mich ächzend und trottete hinaus. Pitt beachtete ich nicht. Ich war wütend und das sollte er spüren. Ich war so kurz davor..., dachte ich immer und immer wieder, den ganzen Tag lang. So kurz davor...! Fast hatte sie mir alles erzählt, aber Pitt hatte gut daran getan, mich hinaus zu bitten. Der Zuchtmeister kam nur wenige Sekunden später und hätte er mich erwischt, wäre er wohl wieder zornig geworden. Dennoch zeigte ich Pitt meine Missgunst. Ich wollte mehr über Marty-Ann wissen, viel mehr. Dieses bisschen reichte mir nicht und ich verstand nicht genug von dem, was sie gesagt hatte. Ich würde auf jeden Fall nicht aufgeben...! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)