Die Geschichte des legendären Sullivan O'Neil von Izaya-kun (Das Tagebuch eines Gesuchten) ================================================================================ Kapitel 7: Unbeliebtheit ------------------------ Ich gewöhnte mich an die rauen Befehle, lernte zu hören ohne Fragen zu stellen, zu salutieren wenn Wilkinson oder der erste Maat – Robert McGohonnay – mich passierten und vor allem alles zu kopieren, was Black tat. Ich ahmte ihn nach, in jeder erdenklichen Weise, und schon bald fand ich mich auf dem Segelschiff zurecht. Ich lernte, wie man starke Krängungen ausglich, ich lernte, wie man Knoten band und ich lernte auch, mich der Stimmung des Kapitäns perfekt anzupassen. Meine Haare hatte ich geschnitten, kurz und stoppelig, bis auf einen winzigen, abstehenden Zopf am Hinterkopf. Diesen hatte ich fest zusammen gezurrt, mit einem geteerten Bindfaden. Zu meiner Enttäuschung ließ sich nirgends ein Rasiermesser anfinden und so wuchsen mir einige, krause Stoppeln im Gesicht. Zwar hatte ich keinen Spiegel, in den ich sehen konnte, aber die Vorstellung, wie einer meiner Brüder auf mein Aussehen reagieren musste, brachte mich ungemein zum Lachen. Die Tage auf der Caroline vergingen quälend langsam und schon bald spürte ich, wie aggressiv ich wurde, durch die Enge, die Hitze und die wenige Privatsphäre. Anfangs redete ich mir ein, dass es nicht anders sei, als im Kloster – besser sogar, denn es gab viel weniger Matrosen als Mönche. Aber im Laufe der ersten Woche bekam ich zu spüren, dass dem nicht so wahr. Ich schlief im zweiten Unterdeck bei den anderen Matrosen, es war stickig, warm und laut. Bereits am ersten Tag lernte ich, dass es zwei Wachen gab, bestehend aus zwei Gruppen. Die erste arbeitete tagsüber, die zweite nachts. So war es immer voll, nie konnte der Raum gelüftet werden und auch nie der Geruch von Schweiß und Ausdünstungen sich verringern. Kopfschmerzen und Übelkeit am nächsten Morgen wurden zum Alttag für mich. Man hatte mir eine Hängematte zugeteilt – ich liebte sie, das einzig Gute in diesen Räumen. Am liebsten wäre ich niemals mehr aufgestanden. Stundenlang konnte ich in ihr liegen, hin und her schaukeln und den Kanonen ein Deck über mir lauschen, wie sie wenige Zentimeter hin und her rutschten. Man hatte mir Nadel und Faden gegeben, womit ich meine Initialen in den Stoff nähen durfte „SON“. Mein erster Besitz außerhalb des Klosters und ich hütete sie wie meinen Augapfel. Ich wusste noch immer nicht, wohin wir eigentlich fuhren. Wenn ich fragte, gab mir Black einen Schlag auf den Hinterkopf und wies mich in freundschaftlicher Strenge an, mit meiner Arbeit fortzufahren und eine andere Bezugsperson hatte ich nicht. Am Anfang beachteten mich die Matrosen nicht, nur Black sprach einige Worte mit mir, der Rest warf mir düstere, missbilligende Blicke zu und auch vom Käpt’n kam nichts, als solches. Ich wollte mir den Kontakt mit Black nicht auch noch vermiesen, also richtete ich mich nach ihm und stellte keine Fragen mehr. Arbeiten verrichten durfte ich nur in der Kombüse und stets mit Blacks Augen im Rücken. Irgendwann meinte ich zu merken, wie sie begannen, mich zu testen. Immer mehr verlangten nach mir. Ich sollte das Deck schrubben, dann jemandem beim Knoten helfen, bei der Reparatur der Seile… Immer mehr begannen meinen Namen – Sie nannten mich „Landratte“, „Neuer“, oder „Son“ aufgrund meiner Initialen - zu rufen und während ich die Aufgaben wie verlangt erledigte wichen sie nicht von meiner Seite, sondern starrten mich an, als wäre ich irgendetwas Außergewöhnliches. Mit jedem Auftrag wuchs das Interesse an mir und ich spürte, wie der Respekt ein wenig anstieg, als sie merkten, dass ich zwar eine Landratte war, aber durchaus zu etwas zu gebrauchen. Dann, nach genau einer Woche, passierte etwas, was Ihr Bild von mir für immer verändern sollte… Ich erinnere mich daran, als sei es erst am gestrigen Tage passiert. Es war heiß, gegen Mittag und das Schiff war die Hölle auf Erden. Aus einer Laune heraus hatte man mir den Auftrag gegeben das Deck zu schrubben, eine verhasste Arbeit, welche man nur allzu gern auf mich abschob. Und so hockte ich auf den Knien wie ein Hund, schrubbte, dass mir die Finger bluteten und sah zu, wie das Salzwasser sich allmählich an meiner Haut zu schaffen machte. Meine Striemen waren größtenteils verheilt, nur rosige Narben zeugten noch von ihrem Dasein und so hatte ich es den anderen Matrosen gleich getan und mein Hemd an meine Hängematte gebunden. Oberkörperfrei wie ich nun war bildete meine Sonne nicht gewöhnte Haut die ideale Zielscheibe für Brände, aber ich ertrug die Hitze einfach nicht mehr. Der Schweiß lief mir in Bächen von der Stirn und es dauerte noch gut eine Stunde, bis jeder seine Ration Wasser erhalten würde. Ein wenig schämen tat ich mich schon für meine Narben, denn wenige waren es nicht. Mein gesamter Rücken war gezeichnet, die über zehn Jahre Klosterzeit haben ihre Spuren hinterlassen, aber viele der Männer an Bord hatten solche Rücken wie ich und dies beruhigte mich ein wenig. Zu meiner Erleichterung sprach mich keiner darauf an. Weder Black, noch der Käpt’n, noch jemand anderes. Als ich gerade mit der ersten Hälfte fertig war, erhob ich mich, band den Holzeimer wieder an das Seil und ließ ihn zu Wasser. Ich verrichtete die Arbeit monoton und in Gedanken versunken. Das ständige Schaukeln, das wenige Sprechen und die gleichmäßige und ruhige Fahrt hatten mich in meine alte Melancholie zurückversetzt, welche mich bereits im Kloster in ihrem Bann hatte. Die meiste Zeit sprach ich kein Wort, während die anderen sangen, Lieder pfiffen, oder sich unterhielten. Zu manchen Stunden war es sogar so stark, dass ich auf Blacks Fragen nur mit bejahendem, oder verneinendem Brummen antworte, als mit ganzen Sätzen. Die Tatsache, dass es hier keine Regeln gab, welche respektvolles Anreden verlangten – bis auf gegenüber Maat und Käpt’n – ließen mich in meiner Erziehung zurückfallen. Ich machte mir kaum noch etwas aus solchen Dingen. Allein diese wenigen Tage reichten aus, um mich Verlernen zu lassen „Guten Morgen“, oder „Gute Nacht“ zu sagen. Nicht einmal mehr das Tischgebet wollte ich sprechen. Wenn wir aßen wurde ausgeteilt und sofort gespeist, keiner verschwendete auch nur den geringsten Gedanken an Gott und es wurde so laut und stark geflucht, dass mir Tischgebete fast blasphemisch vorgekommen wären. Ebenso, wenn es hieß, schlafen zu gehen. Als erstes gab es kein Bett, vor welches ich mich knien könnte und als zweites musste ich so schnell in meine Hängematte schlüpfen wie möglich, damit die anderen sich unter und neben mich legen konnten. Ich zog den Eimer wieder hoch, er war schwer und meine Oberarme schmerzten durch den Muskelkater, dann hievte ich ihn mit aller Mühe zurück zu meiner Bürste. Ächzend stellte ich ihn ab, ein wenig schwappte über, aber das machte nichts. Dann ging ich wieder in die Knie und gerade wollte ich beginnen, da krachte es. Ein lautes „Verfluchte Scheiße noch mal!“, dann rollte der Eimer mit voller Wucht quer über die Planken und das Salzwasser verteilte sich quer über den Boden. Ehe ich auch nur ansatzweise reagieren konnte spürte ich einen harten Tritt ins Kreuz. Ein Mann mit südländischem Akzent begann laut stark zu brüllen: „Verflucht sollst du sein, Elende Landratte, das war pure Absicht!“ Verwirrt rappelte ich mich auf die Knie und drehte mich um. Ich musste den Arm heben und mich vor der Sonne schützen, um den Mann zu erkennen, welcher sich wütend vor mir aufgebaut hatte. Er packte mich am Handgelenk und zerrte mich hoch. „Das war Absicht!“, wiederholte er lautstark dabei. „Du wolltest, dass ich lang liege! Über Bord gehe!“ Stotternd beteuerte ich meine Unschuld und wollte mich lösen, aber eine Ohrfeige ließ mich erneut zu Boden krachen. In meinem Kopf drehte es sich und als ich wieder klar denken konnte und ängstlich hoch sprang hatte sich bereits der Großteil der Mannschaft um mich versammelt. „Dafür wirst du büßen!“, zischte er wie im Wahn. Nun erkannte ich ihn. Sein Name war Ian. Er hatte stark gebräunte Haut, trug ein orangefarbenes Kopftuch und einen großen Goldohrring im linken Ohr. Er war mir bereits mehrere Male wegen seiner aufbrausenden Art aufgefallen, öfters suchte er Streit und nun war ich an ihn geraten und wusste nicht, was zu tun war. Er rang die Hände, beschimpfte mich und machte einen hiesigen Aufstand. Schon nach wenigen Sekunden hatte er die Meute gegen mich aufgehetzt. Sie begannen mich zu schubsen, nannten mich Ratte und Verräter und als ich dann letzten Endes erneut zu Boden fiel ergossen sich weiße Speichelflecken aller beliebigen Formen und Größen um mich. „Es war keine Absicht!“, fauchte ich ihn an, sichtlich wütend. Dies kannte man von mir nicht, aber Ian war zu dumm um diese Veränderung zu bemerken und provozierte mich nur verächtlich weiter. Wütend trat er gegen den Eimer, so dass er mir entgegen flog. Nur knapp wehrte ich ihn ab. „Du Ratte! Du wolltest, dass ich von Bord gehe!“, brüllte er mir entgegen, dass die Spucke nur so flog. „Das ist Unsinn und das wisst Ihr so gut, wie ich!“ „Du wagst es, zu behaupten ich rede Unsinn?!“ „Ich sagte lediglich, dass Ihr etwas Unwahres sagt!“ „Einen Lügner schimpfst du mich?! Dir werd ich’s zeigen!“, Ian stürzte sich schnaubend auf mich. Ich schrie auf und fuhr herum, doch ehe ich weg kriechen konnte, packte er mich an den Beinen. Lautstark knallte ich mit Oberkörper und Gesicht auf den nassen Boden. Er zog mich zu sich und mit einem harten und schmerzvollen Ruck lag ich auf dem Rücken. Angsterfüllt starrte ich ihn an. Er war wesentlich größer und auch schwerer und es dauerte nicht mal wenige Sekunden, da hockte er auf mir, mit seinen Fingern um meine Kehle. Wie ein Wahnsinniger zischte er: „Du wirst dafür büßen, du Bastard, darauf kannst du dich verlassen! Niemand beleidigt Ian McKeith ungestraft! Niemand! Nicht mal eine Ratte wie du!“, dann drückte er zu. Panisch umklammerte ich seine Finger und röchelte, doch es half nicht. Ich spürte, wie der Druck in meinen Schläfen stieg und meine Augen begannen, aus den Höhlen zu treten. Bewegungsunfähig, wie ich war, wandte ich den Kopf und zappelte hilflos mit den Beinen. Die Männer um uns herum begannen ihn lautstark anzufeuern. Vor meinen Augen begann ein Flimmern und wie gebannt starrte ich in sein abstoßendes Grinsen mit seinen schwarzen Zahnresten und der großen, dunklen Lücke dazwischen. „Das wird dir eine Lehre sein!“ Erst versuchte ich mich weg zu ziehen – eine dumme Idee, da ich weder vorwärts kam durch sein Gewicht, noch etwas zum greifen hatte-, dann ihn zu schlagen. „Nein…! Nicht…! Ich…kriege keine Luft…!“, meine Hände griffen ins Nichts, denn er beugte sich leicht zurück und entkam meinen Halt suchenden Griffen. Dann fasste ich sein Hemd. Röchelnd und kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren zog ich ihn an mich. Mit voller Wucht griff ich seine Wangenknochen an beiden Seiten und grub meine Zeige- und Mittelfinger tief in seine Augen. Niemals werde ich diesen Anblick und das Gefühl seiner Augäpfel unter meinen Fingerkuppen vergessen. Er schrie und sofort ließ er los. Ians Schrei musste schrecklich gewesen sein, denn sofort verstummten alle, jedoch bekam ich es kaum mit. Hustend und jappsend drehte ich mich herum und versuchte davon zu krabbeln, doch ich kam nicht weit. Direkt vor mir tat sich die Gruppe der Matrosen auf und zwei mir sehr bekannte Stiefel kamen unmittelbar vor mir zum stehen. Noch immer keuchend sah ich hinauf, erst jetzt nahm ich das Wimmern und Jammern Ians wahr, und sah in die kalten und fast schon hasserfüllten Augen des Kapitäns. Die Männer um mich herum salutierten, leicht eingeschüchtert da der Kapitän persönlich zu uns gestoßen war. Sie machten ein wenig mehr Platz für ihn, als hätte er die Pest, oder bräuchte mehr Luft zum Atmen, als alle anderen zusammen. „Was ist hier los?!“, zischte Wilkinson. E sah erst Ian, dann mich an, ohne eine Miene zu verziehen. Unbewusst wich ich nun wieder zurück. „Was ist das für ein Geschrei?!“ „Sir?“, meldete sich ein Matrose und salutierte leicht. Wilkinson sah ihn an und so erklärte er: „Sullivan hat versucht Ian über Bord zu werfen, Sir!“ „Das ist nicht wahr!“, entfuhr es mir. Ich zuckte zusammen, als der Käpt’n sich wieder mir zuwandte. Leise fügte ich hinzu: „Sir…“ „Habe ich ihm erlaubt zu sprechen?“ Ich senkte den Kopf. „Nein, Sir, Verzeihung, Sir…“ „Bringt Ian zum Feldscher!“, und so geschah es. Zwei Matrosen lösten sich, griffen den jammernden Ian, welcher die Hände vor die Augen geschlagen hatte, an den Armen und führten ihn weg zum Schiffsarzt. Ich erschrak ein wenig, als ich merkte, dass ich keinerlei Mitleid für ihn hegte. Dann wandte ich mich wieder Wilkinson zu und mein Blick wurde finster. Ich war wütend. Wütend über mich, da ich mich nicht hatte richtig wehren können, wütend über die Mannschaft, da sie mir grundlos so dermaßen in den Rücken fiel und vor allem wütend auf Ian, da er mir einfach so Probleme machte. Ich hatte nicht vor auch noch für seine Frechheit bestraft zu werden! Ehe Wilkinson noch etwas sagen konnte erhob ich mich und baute mich bewusst zu meiner vollen Größe auf. „Sir!“, sagte ich dann mit bemüht fester Stimme. „Ich bitte um Erlaubnis sprechen zu dürfen!“ Kalt sah Wilkinson mir direkt in die Augen und ich erkannte, dass er mir eine Strafe erteilen wollte und dann gehen. Er hatte scheinbar weder wirklich Zeit, noch ernsthaft Lust sich mit den momentanen Problemen auseinander zu setzen. Als er antwortete klang es fast so, als würde er sich zwingen müssen, mir seine Aufmerksamkeit zu schenken. „Er soll reden.“ „Danke, Käpt’n… Sir, es ist gelogen, was man über mich sagt, ich habe Ian in keinster Weise auch nur irgendetwas getan!“ „Er will behaupten…“, Wilkinson lässt seinen Blick kurz schweifen, die Hände ehrenvoll hinter dem Rücken, dann sieht er mich wieder an. „…dass gut dreißig Matrosen lügen?“ „Ja Sir, das will ich, tue ich sogar. Ich habe nichts Verbotenes getan! Ich schrubbte das Deck, wie mir befohlen und da kam er und stolperte über den Eimer!“ „Und hat er, Sullivan, den Eimer dort postiert?“ Wut stieg in mir hoch, unbändige Wut und ich ballte die Fäuste. „Ja, das habe ich, Sir.“ „Also hat er Schuld an der Tat.“ „Käpt’n, Sir, mit allem Respekt, ich hatte Schuld an einem Unfall, nicht an einer Tat! Ian muss nicht gesehen haben, wo lang er ging, Sir, daran lag es, ich hatte nichts damit zu tun und-…“ „Hatte er, Sullivan, nun etwas damit zu tun, dass der Eimer dort stand, oder nicht?“, unterbrach er mich gelangweilt. Die Meute hörte gespannt zu, es war mucksmäuschenstill. Von irgendwo hörte ich leise das Klacken des Holzbeines von Black, er näherte sich der Traube aus Matrosen, aber ansonsten nichts. Sogar der Wind schien zu lauschen. Zähne knirschend und leicht zitternd starrte ich in seine eisblauen Augen. „Ja, Sir…“, zischte ich dann. „Ich habe damit zu tun, Sir, dass der Eimer dort stand… Aber-…“ „Und war es ein Versehen, dass der Eimer dort stand?“ Schweigen, dann: „Nein, Sir… Es war kein Versehen, Sir…“ „Somit ist die Sache für mich klar. Mich interessiert nicht seine Meinung, denn es steht dreißig zu eins, und da muss er mir Recht geben, dass seine, Sullivans, Rechnung nicht auf geht. Meinem Wissen nach ist er ein gebildeter Mann und beherrscht Mathematik. Und nun soll er fort fahren mit der Arbeit, nach dem Mittag vierzig Hiebe mit der Katze.“ Nicht nur ich zuckte zusammen, auch die Traube um uns war ein wenig erschrocken über ein so hartes Urteil und jedem blieb die Sprache weg. Es dauerte einige Sekunden bis ich mich fasste. Er wollte schon gehen, als ich zu stottern begann: „Aber Sir, Käpt’n, wieso-…? Ich habe nichts Unrechtes getan, verdammt!“ Wilkinson verharrte mit dem Rücken zu mir und ich erschauderte leicht. Als er sich herum drehte sah ich eine Zornesfalte auf seiner Stirn. „Er wagt es erneut zu widersprechen und sogar mir, dem Kapitän, in den Rücken zu fluchen?“, fragte er dann betont ruhig. „Ja, Sir, denn es ist nicht rechtens!“, protestierte ich. Die Menge ließ Black durch, welcher eilig den Hut zog, salutierte und unbeholfen neben mich stolperte. Er verneigte sich tief und demütig, während er Wilkinson gewohnt schmeichlerisch entgegen grinste. „Käpt’n, Sir…!“, als er sich aufrichtete und sah, dass ich noch immer vor ihm stand, die Fäuste ballte und hasserfüllte Blicke mit ihm tauschte, packte Black mich grob im Nacken und zwang mich, mich ebenfalls zu verbeugen. „Verzeiht dieser Landratte, Sir, er ist neu und unbeholfen und weiß Euch nicht zu würdigen!“, ich wollte gerade hoch, da fasste er mich fester. Er drückte mich so stark hinunter, dass ich fast in die Knie ging. „Entschuldige dich beim Käpt’n, Son!“, zischte er mir zu. Stille trat ein und Black lachte verlegen, als nach etwa einer Minute noch immer keine Reaktion von mir kam. Er ließ mich los, hob – die Krücke unter seinen Arm geklemmt – den Hut an und kratzte sich den Hinterkopf. Verlegen sah er den Kapitän. „Käpt’n Wilkinson, tja, was soll ich sagen? Mir fehlen die Worte, er ist eben noch völlig grün hinter den Ohren, aye?“, ich richtete mich auf und senkte den Blick. Der Zorn in mir wuchs. Am liebsten wollte ich erst Wilkinson und dann Black an die Kehle springen, aber die zwei ignorierten mich vollkommen. Black fuhr leicht lachend vor: „Aber vierzig Hiebe, bei Neptun, ist es nicht ein wenig viel für einen so jungen Burschen, wie er es ist? Er hat nicht einmal das Schwimmen gelernt, Sir und Ihr wollt ihn bereits im Fluss ertränken! Mit allem Respekt, Käpt’n, er-…“ „Wenn ich mich recht entsinne hatte er, Black, die Verantwortung für den Jungen?“, der Smutje zuckte unwillkürlich zusammen. Wieder lachte er leicht und hielt unbeholfen den Hut vor seine Brust, als stünde er auf einer Beerdigung. „Nun, aye, schon, also, ich meine-…“ „Also hat er ebenfalls Schuld an seinem Vergehen.“, unterbrach Wilkinson ihn gewohnt kühl. Black setzte sich den Hut auf, aber noch ehe er etwas entgegnen konnte, wandte Wilkinson sich ab und ging desinteressiert. „Nun fünfzig Hiebe mit der Katze, auf zwei Tage verteilt und Black werden die nächsten Rationen Rum gestrichen.“ „Nicht der schöne Rum…!“, jammerte er, aber es half nichts und als die Traube sich auflöste – es gab nichts spannendes mehr zu sehen – gab er mir seinen gewohnten Schlag auf den Hinterkopf, nur diesmal fester und schmerzvoll. „Aye, wunderbar, Junge, ganz toll hat er das hinbekommen! Die Gig verkehrt herum ins Meer gefeuert und versenkt obendrein!“ Ich stolperte vor und fuhr herum. „Ich habe nichts getan!“, fauchte ich ihn an, doch ehe ich etwas sagen konnte, schlug er mir mit seiner Krücke auf den Kopf. „Schoten dicht, Junge!“, befahl er rau, wie er es oft tat, wenn ich murrte oder jammerte. „Und er merke sich gut meine Worte: Der Kapitän ist Gott hier auf See! Er kann nicht tun und lassen, was ihm passt, Leute über Bord werfen wollen und dann auch noch meutern, dass der Mast krumm wird!“ „Aber ich habe doch gar nicht-…“, protestierte ich, doch eine weitere Kopfnuss brachte mich zum verstummen. „Schoten dicht, Junge, oder ich trete ihn achtern, bis er’s sausen bekommt! Das weiß ich, aber das interessiert hier keinen ob er es war, oder nicht. Ian ist länger an Bord, er hat die Mannschaft auf seiner Seite.“ „Das ist ungerecht!“, ich stampfte auf und zeigte mit dem Finger zu Wilkinson. „Ein Idiot ist dieser Mann! Er weiß ganz genau, dass ich es nicht war und trotzdem lässt er mich auspeitschen?! Er-…“, doch weiter kam ich nicht. Ich schrie auf, als Black mir mit voller Wucht sein Holzbein auf den bloßen Fuß gedonnert hatte und als ich herunter fuhr packte er meinen Nacken so fest, dass ich seine Nägel in meinem Fleisch spürte. Ehe ich mich versah landete ich mit dem Oberkörper über der Reling. Er schlug mich mit seiner Krücke so hart in den Rücken, dass mir die Luft weg blieb. „Schoten dicht, habe ich gesagt!“, donnerte seine Stimme über Deck. Black war wütend, mehr als das und ich überlegte, ob es an meinem Widersprechen lag, oder daran, dass ihm der Rum gestrichen worden war. Ich fuhr abermals herum und hielt mich rücklings an der Reling fest, aber ich wagte nicht, ein weiteres Mal das Wort zu erheben. Finster und hasserfüllt starrte ich ihn an. Black beugte sich zu mir herunter, ganz nah heran, so wie es seine Art war, und zischte mir bedrohlich zu: „Eines sollte ihm klar sein: Der Alte Black hilft gern, das hat er bereits am Anfang gesagt, aber er hilft nicht jedem und dass er gerade ihm, Sullivan O’Neil, hilft, liegt gewiss nicht an Langeweile und Haferschleim, oh nein! Der Alte Black war fest der Meinung, der Junge hat es verdient, aye und das glaubt er immer noch. Er hat Pfiff, meine Hand ins Feuer dafür und ab damit! Aber…“, seine Stimme wurde so rau und leise, dass ich das Gefühl hatte, sie dringe in meinem Kopf ein. „… wenn der alte Black nur Probleme bekommt wegen ihm, dann steht er bald alleine da und dann geht er unter, mein Wort darauf, mit Mann und Maus! Also tue er sich besser gut daran zu überlegen, ob er kuscht und macht, was verlangt, oder ob er den Meeresgrund küssen gehen will!“, einige Sekunden starrte er mir in die Augen. Sein Blick war so kalt und so finster, dass sich meine Nackenhaare aufstellten. Ich war wütend, mehr als das, aber diese Art von ihm kannte ich nicht und es lief mir eiskalt den Rücken herunter. Dann richtete er sich auf, schob seinen Hut zurecht und grinste, als sei nichts gewesen. „Aye, und jetzt geht er in die Kombüse und hilft dem alten Black beim Kartoffeln schälen. Bald ist Mittagszeit und er sollte einigermaßen ausgeruht sein, wenn die Katze ihn nach dem Essen besucht.“ Als Black mir anschließend freundschaftlich den Arm um die Schulter legte und mich unter Deck führte, war ich unsicher und mir war mulmig zumute. Wie angekündigt begaben wir uns in die Schiffsküche. Ich widmete mich schweigend dem Gemüse, wie verlangt verlor ich kein Wort mehr darüber, aber immer wieder warf ich ihm heimliche Blicke zu. Black war vertieft im Kochen und Würzen, summte ein Lied, oder pfiff eine Melodie. Wie gewohnt war er fröhlich, aber meine Sicht hatte sich ihm gegenüber – und auch gegenüber dem Kapitän – verändert. Aus irgendeinem Grund vertraute ich ihm nicht mehr zu hundert Prozent. Und dies war erst der Startschuss für eine Reihe von Veränderungen, welchen ich hätte als Warnsignal nehmen sollen. Als das Essen fertig war, teilten wir es aus und wir sammelten die Schüsseln wieder ein, als die Matrosen gegessen hatten. Black jammerte, da er keinen Rum bekam und nachdem ich das Nötigste an Arbeit verrichtet hatte, rief der erste Maat alle zusammen und man stieß mich unsanft nach vorn zu ihm. Zwei Matrosen waren sofort zur Stelle, packten mich und zerrten mich grob zu ihm aufs Oberdeck, so dass mich alle sehen konnten. Ich wehrte mich nicht, dennoch machten sie eine große Show daraus, mit Stößen und Gezerre. Als ich oben stand sah ich finster in die grinsenden Gesichter der Mannschaft. Während der Arbeit war ich völlig ruhig gewesen. Ich hatte kaum einen Gedanken an meine Bestrafung verschwendet, da ich es kannte, ausgepeitscht zu werden, aber in diesem Fall war es anders. Von einer Sekunde auf die nächste Wurde mir bewusst, dass mich jeder dabei sah. Dass jeder meine Schreie hörte und jeder meine Schwäche mitbekam. Es war keine Züchtigung im eigentlichen Sinne, es war eine öffentliche Demütigung und als ebensolche empfand ich es, noch ehe der Maat überhaupt mit meiner Strafe begonnen hatte. Er fesselte meine Hände vor meinem Bauch zusammen, dann warf er das Seil gekonnt über den Mast und band es fest. Mit den Armen nach oben blieb ich direkt vor allen stehen und senkte den Blick. Dennoch erkannte ich Ian, welcher mit einem Tuch um die Augen grinsend auf einem Fass saß, bereit zuzuhören, um mich innerlich auszulachen. Und ich erkannte auch Black, welcher die Zeit dafür nutzte unbemerkt durch die abgelenkten Matrosen ein wenig Rum in mehrere, kleine Flaschen zu füllen. Unmittelbar neben mir, nur zwei, drei Meter entfernt, stand Wilkinson und sah gleichgültig auf die Mannschaft herunter, bereit einzugreifen, sollte jemand durch den Alkohol Radau machen. „Bitte macht schnell…“, zischte ich dem Maat zu. Dieser hatte die neunschwänzige Katze gezogen, eine Peitsche mit neun, geflochtenen Riemen daran und schwank sie demonstrierend, wie, um sich aufzuwärmen. Er klopfte mir aufmunternd auf das Schulternblatt. „Aye, jedem sein Päckchen, ohne Wenn und Aber, Son.“ Dann kam bereits der erste Schlag. Noch nie hat mich ein Hieb so dermaßen geschmerzt. Ich schrie auf, der Schmerz war ungeheuerlich und mit einem Mal schossen mir Tränen in die Augen. Ich hätte niemals gedacht, dass man mit einer Katze so viel Schaden anrichten könnte, aber die Enden waren fest und hart und es knallte so laut, dass das Echo über die See flog. Ein Matrose zählte laut mit, aber mir schien es, als würde es Jahre dauern, ehe wir die fünfundzwanzig endlich erreichten. Zu meiner Erleichterung schlug er schnell hintereinander auf meinen Rücken ein. Mit jedem Hieb riss es meinen Oberkörper in die Höhe und meinen Kopf in den Nacken. Sobald ich wieder gebeugt und mit gesenktem Haupt dastand, folgte der Nächste. Als ich es mitbekam, bemühte ich mich, mich nicht zu rühren und verneigt zu stehen, aber es half nichts. Jeder Schlag raffte mich erneut hinauf. Er wollte gerade aufhören, da flehte ich wimmernd, die Strafe nicht auf zwei Tage zu teilen, denn die Angst vor der nächsten würde mich mit Sicherheit in den Wahnsinn treiben. Robert sah zum Käpt’n, dieser nickte nur und so fuhr er fort – keiner widersprach. Als die Strafe beendet war und er das Seil los schnitt krachte ich zu Boden und schwankte. Durch das Auf und Ab war mein Kreislauf durcheinander, ich sah Flimmern und mein Rücken war so heiß, als würde er brennen. Jemand, ich weiß nicht wer, legte mir ein nasses, kaltes Tuch auf die Wunden. Dann hievten zwei Matrosen mich nach oben und unter Deck, wo sie mich mit dem Gesicht nach unten auf ein Lager legten. Ich wimmerte und in meinem Kopf drehte sich alles. Ich war fest der Meinung ich sterbe und aus irgendeinem Grund meinte ich zu wissen, dass ich mich wieder im Bußzimmer befand. Ich murmelte Gebete jeder Art und hörte im Hinterkopf die Gesänge und Worte der Mönche, um meine Seele zu reinigen. Noch ehe der Arzt mich versorgt hatte schlief ich ein und glitt in den wahrscheinlich fürchterlichsten Albtraum meines Lebens… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)