Es hätte alles so einfach sein können... von AkiProductions (Glaube an dich selbst!) ================================================================================ Kapitel 3: Krankheit = schlecht? -------------------------------- Ich hatte furchtbare Kopfschmerzen. Dennoch gab ich mein Bestes, hievte mich aus dem Bett und schleppte mich runter in unser Wohnzimmer. Draußen über der Wiese hinter unserem Haus stiegen Nebelschwaden auf und der Himmel war hellrosa gefärbt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass zumindest vom Wetter her heute ein schöner Tag werden würde. Als ich mich aufs Sofa fallen ließ, wanderte mein Blick zur Uhr, die über unserem riesigen Kamin hing. In meine Gedanken versunken legte ich eine Hand auf mein Gesicht und massierte meine Stirn. Sonderlich viel helfen tat dies nicht, aber es lenkte mich ein wenig ab. NORMALERWEISE dachte noch nicht mal mein Unterbewusstsein um 05:00 Uhr ans Aufstehen. Sicher, für andere Menschen war dies eine völlig normale Zeit, aber ich brauchte zu Fuß nur 5, allerhöchstens 10 Minuten bis zur Schule, die sowieso für mich und die anderen älteren Schüler erst um 9 Uhr startete. Wäre dies ein ganz gewöhnlicher Morgen, unter ganz natürlichen Umständen und gewohnten Bedingungen gewesen, hätte ich bis halb 8 geschlafen, mich geduscht, angezogen, gefrühstückt und trotzdem noch massig Zeit gehabt. Aber da das alles nicht zutraf, hatte ich ein Problem. Was sollte ich also jetzt, mit NOCH mehr Zeit, anfangen? Ich versuchte, mich mit Musik abzulenken, die ich aber schon nach wenigen Minuten wieder ausmachte. Erstens, weil ich meine Eltern nicht wecken wollte, zweitens, weil der gewünschte Effekt der Heilung nicht eintrat, und drittens, weil es die Schmerzen nur verschlimmerte. Ich ließ mich zurück in die Sofakissen sinken und horchte auf Geräusche im Haus. Nichts war zu hören. Die Stille wirkte irgendwie unangenehm und drückte auf meine Ohren. Das Pochen in meinem Kopf verstärkte sich. Bei einem war ich mir sicher: Hier hielt ich es nicht aus. Ich musste unbedingt raus an die frische Luft, um Herr (oder wohl eher Herrin) über meine wirren Gedanken zu werden, damit ich mich von diesen ablenken konnte, die mit Sicherheit die Ursache für meine Kopfschmerzen waren. Leise ging ich rüber in die Eingangshalle, zog mir meine Schuhe an, die in der Ecke standen und öffnete die Haustür. Sofort schlug mir kühle, aber angenehm frische Morgenluft entgegen und ich sog sie gierig ein, wobei ich mich ein wenig entspannte. Als ich unsere völlig verlassene Straße entlang ging, die in einem eher ruhigen, familiären Wohngebiet lag, ließ ich den Blick über die gut gepflegten Vorgärten schweifen. Ich schaute mir gerne Gärten an. Es war für mich ein Leichtes, den Charakter eines Menschen anhand seines Gartens zu bestimmen, selbst wenn ich ihn nicht kannte. Hatte jemand zum Beispiel jedes noch so kleine Buchsbäumchen in Reih und Glied zu völlig exakten, scheinbar mit dem Lineal abgemessenen Würfeln geschnitten, konnte man davon ausgehen, dass er auch ansonsten ein sehr geordneter, zielstrebiger Perfektionist war. Doch heute merkte ich schockiert, dass es mir seltsamerweise schwer fiel, hierüber nachzudenken. Egal, wie sehr ich auch versuchte mich abzulenken, es funktionierte einfach nicht. Musikhören half nicht! Und jetzt half noch nicht mal Vorgarten- Gucken! Mittlerweile war ich an meinem Lieblingsort, dem Spielplatz, angekommen und ließ mich fast verzweifelt auf eine Bank fallen. Ich kam gerne hier hin, auch tagsüber. Ich mochte es, den kleinen Kindern beim Spielen zuzusehen, zu beobachten, wie liebevoll ihre Mütter mit ihnen umgingen. Auch meine Mutter war oft mit mir hierher gekommen als ich noch klein gewesen war, doch hatte ich daran keine allzu guten Erinnerungen. Meistens hatte ich alleine gespielt, weil ich von den anderen Kindern gemieden wurde. Schon damals war ich immer Außenseiter gewesen. Deprimiert lächelte ich vor mich hin. Scheinbar hatte sich von Damals bis Heute nicht sonderlich viel geändert. Ich hatte zwar Freunde, aber richtig Teil dieser Welt war ich noch nie gewesen. Ich wusste nicht, ob das nur an mir lag, aber ich ging schwer davon aus. Zwar halfen mir Yusei und die anderen, mit meinen Kräften zurecht zu kommen und sie zu kontrollieren, aber mit den Emotionen, mit denen ich zu kämpfen hatte, wenn diese Kräfte aus mir heraus brachen, musste ich selber zurecht kommen. Und weil dies die schmerzhafteste Erfahrung war, die ich jemals gemacht hatte, probierte ich, Gefühle wie Wut, Trauer, Hass, Freundschaft und auch Liebe so gut wie irgend möglich zu unterdrücken. Das ging natürlich nicht immer; aber ich versuchte, sie auf ein geringes Maß zu begrenzen. Ich fröstelte. War das vielleicht der Grund, warum es mir so schwer fiel, Yusei meine Gefühle zu zeigen? Weil ich Angst vor genau diesen hatte, unvorstellbare Angst? Oder war es einfach nur die Furcht vor dem Neuen, die mich lähmte und handlungsunfähig machte? Schließlich wusste niemand, was passieren würde, wenn ich jemand anderem meine Liebe zu ihm gestand- könnte ich auch in so einem Moment voller Emotionen meine Kräfte kontrollieren? Oder traten sie nur bei negativen Gefühlen auf? Ich hatte keine Antwort auf all diese Fragen. Noch nicht. Die Vögel stimmten ihr Morgenlied an. Es hatte etwas einfühlsames, etwas tröstliches an sich. Vögel waren tolle Tiere! Frei von Angst und Schmerz. Sie konnten wegfliegen, wann immer sie wollten, unbeschwert und frei. Wie gerne wäre ich auch vor meinen Ängsten davon geflogen… Heftig schüttelte ich den Kopf und ballte die Hände zu Fäusten. Nein! Diese Art Angst hatte ich mir selber zuzuschreiben. Was musste ich mich auch verlieben?! Ich stand von der Bank auf und machte ich auf den Heimweg. Es war mehr Zeit vergangen, als ich erwartet hatte- ein Blick auf die Armbanduhr zeigte, dass es jetzt schon viertel vor sieben war. Höchste Zeit also, um nach Hause zu gehen. Zwar waren meine Kopfschmerzen noch nicht wirklich besser geworden, aber diese Tatsache konnte ich jetzt auch nicht mehr ändern. Auf dem Rückweg gab ich mir Mühe, möglichst nur an das Gezwitscher der Vögel zu denken und sog dabei soviel Sauerstoff wie möglich ein. Etwas ausgeglichener kam ich schließlich Zuhause an. Um viertel vor neun warf ich mir schließlich die Schultasche über den Rücken und bewegte mich völlig lustlos Richtung Schule. Zuhause hatte niemand gefragt, wo ich gewesen war- ich war mir noch nicht mal sicher, ob sie überhaupt mitbekommen hatten, dass ich einen Morgenspaziergang unternommen hatte. Das war eigentlich mehr als ungewöhnlich, da meine Eltern neuerdings voller Enthusiasmus versuchten, ein Teil meines Lebens zu werden. Im Endeffekt konnte das nur bedeuten, dass sie es entweder WIRKLICH nicht mitbekommen hatten (was ich irgendwie nicht glauben konnte, denn als ich die Eingangshalle betreten hatte, hatte ich meine Mutter in der Küche arbeiten gehört), oder sie hatten Streit untereinander, was nicht selten vorkam. Aber da wir drei ja scheinbar in unserer Friede- Freude- Eierkuchen Welt lebten, verstanden wir uns in der Öffentlichkeit ja immer prächtig. Bei dem Gedanken verzog ich das Gesicht zu einem verzerrten Lächeln. Irgendwie begann ich daran zu zweifeln, dass sich angeblich so vieles im Vergleich zu damals verändert haben sollte. Seltsamer hätte der Tag heute eigentlich nicht verlaufen können. Frau Tudosa schrieb tatsächlich den seit langer Zeit schon angekündigten Test, den ich glorreich in den Sand setzte. Bei allen 5 Fragen war ich mit Pauken und Trompeten untergegangen, hatte kaum etwas hingeschrieben und schließlich fast schon angefangen zu weinen. Eine 17- jährige, die beinahe wegen eines versauten Tests Tränen vergoss. Was zum Kuckuck war nur los mit mir? Wütend schob ich das fast leere Blatt in die obere Ecke des Tisches und legte meine Hände über die Augen. Wenn Zuhause jemand fragen sollte, warum ich den Test verhauen hatte, würde ich das einfach auf meine Kopfschmerzen verbuchen, die zwar nicht der wahre Grund, aber dennoch mit Sicherheit Teil meiner Blamage waren. Frau Tudosa kam durch die Reihen und verlangte von jedem das Blatt. Plötzlich hasste ich sie für ihre Angewohntheit, schon beim Einsammeln des Testes ihn scheinbar mit ihrem Blick zu scannen und einem dann zu sagen, dass dieser Müll ja wohl nicht ernst gemeint sein könnte. Als sie an mir vorbei ging und das Blatt vom Tisch fischte, blieb sie abrupt stehen und schaute mit hochgezogenen Augenbrauen erst meinen Test an, danach mir tief in die Augen. Ohne ein Wort über meinen Test zu verlieren, nahm sie meine Schultasche vom Boden und stellte sie auf den Tisch, öffnete sie und begann, meine Hefte, gefolgt von meinem Federmäppchen zurück in meine Tasche zu stopfen. „Was machen Sie da?“, fragte ich irritiert, unfähig, ihr beim Packen zu helfen. „Fräulein Izayoi, ich weiß nicht, was mit Ihnen los ist, aber der Test und Ihre Augen bestätigen nur das, was ich mir ohnehin schon gedacht habe.“ Sie hob den Blick von meiner Tasche und schaute mich erneut an. „Es geht Ihnen nicht gut! Sie sollten nach Hause gehen und sich ausruhen. Sie machen auf mich jetzt schon seit einiger Zeit einen komplett überarbeiteten Eindruck. Diesen Test hätten Sie in Ihrer normalen Verfassung spielerisch bewältigt.“ Der Verschluss meiner Tasche schnappte zu und sie hielt mir die Träger hin. „Kurieren Sie sich aus, Izayoi!“ Völlig verdattert saß ich auf meinem Platz und wusste nicht wirklich, was ich tun sollte. Frau Tudosa stand vor mir, atmete ruhig ein und aus und wartete auf meine Reaktion. Wie in Zeitlupe stand ich auf. „Ist jemand bei Ihnen daheim?“ Ich schüttelte den Kopf. „Besteht die Möglichkeit, dass einer Ihrer Eltern Sie hier abholen kommt und Sie nach Hause bringt?“ „Nein. Meine Eltern sind beide heute Morgen in naheliegende Städte gefahren und kommen beide erst übermorgen zurück.“ Das war das letzte, was meine Mutter mir heute gesagt hatte, bevor sie völlig überstürzt mit meinem Vater aufgebrochen war. Das war fast immer so: Ich bekam immer als Letzte mit, wenn sie weg mussten. Doch damit konnte ich leben. Schließlich gaben sich die Beiden neuerdings Mühe, so viel wie möglich bei mir zu Hause zu sein. „Entschuldigung“, meldete sich plötzlich eine engelsgleiche Stimme im Hintergrund. Nicky hatte sich uns zugedreht, sie fixierte mich mit ihren großen Augen. „Ja, bitte?“, fragte Frau Tudosa schnippisch. Sie hielt dank Nickys Noten nicht allzu viel von ihr. „Aki hat Freunde, die in einer Art WG wohnen. Zufällig weiß ich, dass einer von ihnen heute Vormittag Zuhause ist. Vielleicht kann Aki ja zu ihm gehen? Dann wäre zumindest jemand da, der mitbekommt, wenn ihr etwas passiert.“ Frau Tudosa überlegte kurz und starrte dabei an die Decke. Ich jedoch konnte nicht anders- irgendwie war ich Nicky dankbar für ihren Einfall. Vielleicht hatte ich ja etwas überreagiert, was sie anging. „Mhm, ja, ich denke, dass ist eine mögliche Alternative… Seit Jahren mal ein konstruktiver Beitrag zum Geschehen von Ihnen, Kusake!“, sagte Frau Tudosa zu Nicky gewandt. „Wer ist denn von den dreien da?“, fragte ich Nicky, meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. Ich wusste nicht, woran es lag, aber der Schmerz in meinem Kopf war schlimmer geworden. „Yusei“, murmelte Nicky und lächelte mich freundlich an. „Hast du dein Handy dabei?“ Ich schüttelte den Kopf. Trotz Schmerzen konnte ich mir ein zaghaftes Lächeln nicht verkneifen. „Weißt du was? Du guckst, dass du alle deine Sache zusammen hast und schon mal deine Jacke anziehst und ich rufe bei Yusei an, okay?“ Ich hatte wirklich zu vorschnell geurteilt! Sie war immerhin meine beste Freundin! „Werde ich hier denn gar nicht mehr gefragt?“, rief Frau Tudosa fast schon wütend. Wir beide guckten sie an, schuldbewusst, und beide hielten wir in unseren Tätigkeiten inne. Frau Tudosa seufzte. „Gut, tun Sie, was Sie für richtig halten, aber Nicky“ – sie nannte sie sehr bewusst beim Vornamen, wie es mir schien –„ich erwarte Sie spätestens in 10 Minuten zurück im Unterricht!“ Nicky nickte, schnappte sich ihr Handy und verließ die Klasse. Ich nahm meine Jacke vom Stuhl, schlüpfte in die Ärmel, nahm die Träger meiner Tasche in die Hand und warf sie mir über den Rücken- zu gerne würde ich etwas von dem Gespräch zwischen ihr und Yusei mitbekommen. „Izayoi, Ihr Entschuldigungsbrief!“, rief Frau Tudosa mir noch hinterher, als ich gerade die Klasse verlassen wollte. Ich drehte mich auf dem Absatz um, was ich sofort bereute- plötzlich drehte sich alles und mir war speiübel. „Danke.“ Ich torkelte zum Lehrerpult, nahm den Zettel und wandte mich wieder der Klassenzimmertüre zu. „Geht es, Izayoi?“, fragte Frau Tudosa besorgt und ich spürte, wie sich zwei Hände von hinten auf meine Schultern legten. „Ja.“ Mehr brachte ich nicht zustande. Zu groß war die Angst, mich hier im Raum vor meinen ganzen Mitschülern zu übergeben. „So geht das nicht! Hat Ihr Freund ein Auto, mit dem er Sie abholen kann?“ Langsam schüttelte ich den Kopf. „Dann werde ich Sie fahren.“ Was danach geschah, bekam ich nicht mehr mit; das Letzte, was ich sah, war der immer näher kommende Boden und schließlich wohltuende, schmerzbetäubende Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)