Liebe ist tödlich von Zyra (Kaibas Maxime. Irrtum ausgeschlossen?) ================================================================================ Prolog: Krisengebeutelt ----------------------- Hi! Ich musste mal wieder etwas Neues ausprobieren. Das hier wird meine erste Songfic. Bin mal gespannt, was daraus wird! Ich hoffe es gefällt euch! LG Kyra --- Liebe ist tödlich. Das hatte ich schon immer gesagt. Besonders für jemanden in meiner Position. Sie war etwas, was ich mir absolut nicht leisten konnte. Ich musste immer hundertprozentig da sein. Liebe machte schwach. Sie lenkte ab, sorgte für regelrechte Unkonzentriertheit. Man bekam einfach nichts mehr geregelt. Das tägliche Pensum, das man leistete, sank rapide gegen null. Und das kam in meinem Geschäft einem Genickbruch gleich. Der Name Kaiba stand für Macht, Einfluss, Reichtum und Genialität. Nicht für Liebe und andere Gefühlsduseleien. Ich arbeitete hart. Für Liebe hatte ich, wenn überhaupt nur, einen verächtlichen Gedanken übrig. Ich brauchte sie nicht. Ich hatte Mokuba. Dass mir irgendwann mal ein anderer Mensch genauso viel bedeuten könnte, war mir nie in den Sinn gekommen. Mokuba und die Firma. Immer hatte ich gedacht, dass sie die einzigen waren, die ich nicht entbehren konnte. Dass es letztendlich der Ehrgeiz war, der führende Hersteller in der Hightech-Spielindustrie zu sein, der meinen Tod einläutete, hätte ich nie für möglich gehalten. Die Weiterentwicklung der Duell Monsters Hologramme war in einer Sackgasse geendet, und als wäre das allein nicht schon Problem genug, gab es inzwischen ein Alternative. Eine ältere Technologie, die nie auf den Markt gekommen war, weil am Ende der Entwicklungsphase die beiden Ingenieure verstorben waren. Seitdem ihre Existenz bekannt geworden war, versuchten selbst drittklassige Firmen, Anteile an den Rechten zu ergattern. Es war eine Katastrophe. Dass meine Entwicklungsschwierigkeiten noch nicht nach draußen durchgesickert waren, und man annahm, dass ich mehr Anteile besaß, als es tatsächlich der Fall war, änderte nichts daran. Tage und Nächte lang hatte ich recherchiert, wem Anteile der Rechte vererbt worden waren, doch die Ausbeute war bisher niederschmetternd gering gewesen. Acht Prozent hatte ich kaufen können. Die Schätzungen der Presse lagen bei 20 Prozent, letztendlich wäre es allerdings irrelevant, wenn ich mir nicht weitere Anteile sichern konnte. Ich hatte mich auch noch mal mit meiner eigenen Hologrammtechnologie auseinander gesetzt. Versucht eine Lösung zu finden, wie eine weitere Verbesserung möglich war. Es war nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Ebenso hatte ich in der Entwicklung einige Schritte zurück gemacht, um neue Wege erschließen zu können. Ich war zum gleichen Ergebnis gekommen. Diese Technik war ausgebrannt. Es war nichts Bahnbrechendes mehr herauszuholen. Da war mir der Anruf, bei dem mir weitere Anteile der konkurrierenden Entwicklung angeboten wurden, nur recht gekommen. Vielleicht war ich an dem Abend zu übermüdet gewesen. Möglicherweise hatte ich in der anscheinend aussichtslosen Situation den Kopf verloren. Oder ich war einfach so arrogant gewesen, zu glauben meine Selbstverteidigung wäre lückenlos. Was es schließlich gewesen war, konnte ich rückblickend nicht sagen. Jedenfalls war ich Blindlinks in eine Falle getappt. Ein Fehler, der mir beinahe das Leben gekostete hatte. Wenn er nicht gewesen wäre ... Vor meinem geistigen Auge tauchte unwillkürlich sein Gesicht auf. Feine Züge. Gebräunte Haut. Dunkelgrüne Augen. Zerzaustes, weinrotes Haar. Zu einem Grinsen verzogene Lippen. Seufzend rieb ich mir die Augen. Versuchte das Bild zu vertreiben. Aber wie so vieles in letzter Zeit misslang es mir gründlich. Eine Entwicklung in der Sackgasse, zu wenige Anteile an der Konkurrierenden und verliebt in einen Callboy. Kaiba Seto, wo war nur deine Genialität geblieben? Ich richtete mich anscheinend gerade selbst zu Grunde. Verliebt in einen Callboy, wiederholte ich und schüttelte über mich selbst den Kopf. Was hatte ich mir dabei bloß gedacht? ... Gar nichts. Das war das Problem. Er war smart. Unglaublich zuvorkommend und, auch wenn ich nie gedacht hatte, dass ich es schätzen würde, humorvoll. Er spottete nicht über das, was mir passiert war. Und fand immer die richtigen Worte und Gesten, wenn ich sie brauchte. Plötzlich wurde mir bewusst, dass es etwas noch viel tödlicheres in meinem Geschäft gab, als verliebt zu sein. Unglücklich verliebt zu sein, war der direkte Weg ins Grab. Hätte ich mein Testament nicht schon längst gemacht, wäre es jetzt wohl dringend nötig gewesen. Ich sah keinen Weg um aus dieser Krise heraus zu kommen. Kapitel 1: Trauma ----------------- Hi! Ich hab meine letzten Ferientage noch genutzt, um das erste Kapitel fertig zu bekommen. Ich hoffe, euch gefällt das Resultat! Viel Spaß beim Lesen! LG Kyra --- Meine Augenlider flatterten. Langsam kam ich wieder zu mir, begann meinen Körper wieder zu spüren. Unwillkürlich stöhnte ich. Von meiner rechten Seite gingen Schmerzen aus. Ich wollte die Stelle abtasten, traf aber auf Widerstand. Es klirrte metallisch. Mehrmals versuchte ich meinen Arm nach vorne zu zerren, doch das Resultat blieb das Schlagen von Metall auf Metall. Langsam begann mein Handgelenk zu schmerzen. Träge drehte ich meinen Kopf und erblickte die Handschellen. Meine beiden Arme waren an die eisernen Bettpfosten gekettet. Ich lag weich, und ein angenehmer, männlich herber Geruch stieg mir in die Nase. Nur wenig Licht drang durch die großen, getönten Panoramafenster. Ich war nackt, stellte ich dämmrig fest. Mein Schädel war wie in Watte gepackt. Die Gedanken flossen dickflüssig dahin. Es dauerte einen Moment bis ich mich erinnerte und begriff. Panik überkam mich. Adrenalin schoss durch meinen Körper und begann die Trägheit zu vertreiben. Ich blockierte den Anflug der Angst, und zwang mich rational zu denken. Es machte keinen Sinn an den Handschellen zu reißen, sie waren zu stabil. Ich musste versuchen, meine Hände aus ihnen aus zu zwängen. Keine angenehme Angelegenheit. Aber immer noch besser, als das, ... was vielleicht sonst geschah. Ich verdrängte die Vorstellungen, die sich zu regen begannen. Ein kühler Kopf. Das war die einzige Möglichkeit, wie ich mir helfen konnte. Panik führte zu nichts. Als ich mich aufsetzen wollte, um in eine bessere Position zu kommen, musste ich verstellen, dass es um meine Beine ähnlich beschert war, wie um meine Arme: Sie waren angekettet. Ich hatte kaum Bewegungsspielraum. Also blieb mir nichts anderes übrig, als es im Liegen zu versuchen. Kaum hatte ich damit angefangen, fiel plötzlich ein Lichtstrahl auf mich. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Ich blinzelte gegen das Licht, und erkannte die Silhouette eines Mannes in der Tür zum hell erleuchteten Nebenraum. „Na Kaiba, wieder aufgewacht?!“, sagte er amüsiert, und kam unaufhaltsam näher. Innerlich fluchend blickte ich ihn ungerührt und kalt ins Gesicht. Er ignorierte es beflissen und ließ sich neben mir auf die Bettkante sinken. Unwillkürlich zuckte ich zusammen, als er federleicht mit kalten Fingern über meine Brust strich. „Tu uns den Gefallen und spar dir die ‚Mach mich los, ich wehr mich auch nicht‘-Nummer“, erklärte er dunkel, während seine Finger einem undefinierbaren Muster folgend über meine Brust fuhren. „Selbst wenn du nur halb zu klug wärst, würd ich es nicht in Betracht ziehen. Und, nur um es von vornherein klarzustellen: Ich werde dich erst vergewaltigen und dann töten.“ Ich hatte es von Anfang an geahnt. Es jetzt zu hören hatte etwas Niederschmetterndes. Mein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Abermals kam Angst in mir auf, auch wenn ich keine Miene verzog. Das und Gebettel war etwas, was er nicht von mir bekommen würde. „Mir wird es Spaß machen. Dir“ Er beugte sich zu mir hinunter und nach Pfefferminz riechender Atem streifte mein Gesicht. „eher weniger!“ Ehe ich reagieren konnte, küsste er mich besitzergreifend und räuberte brutal meine Mundhöhle. Unterdrückt keuchte ich auf. Ich versuchte meinen Kopf wegzudrehen, doch er gab meine Lippen nicht frei. Der Pfefferminzgeschmack breitete sich in meinem Mund aus. Als ich nicht mehr weiter wusste, biss ich zu. Er schreckte zurück, und ich fragte mich ärgerlich, warum ich nicht schon früher darauf gekommen war. Der Pfefferminzgeschmack mischte sich mit dem von Blut. Meine rechte Wange brannte unter dem Schlag. „Wie ich sehe, bist du ein ziemlicher Spaßverderber“, sagte er wütend. „Mach mich los, und du wirst sehen, wie viel Spaß ich haben kann!“, erwiderte ich herausfordernd. Er musste einen Fehler machen. Dass er die Handschellen niemals lösen würde, wusste ich. Aber vielleicht war er ja unvorsichtig genug und ich bekam die Chance ihm ein Knie in die Weichteile zu rammen. Die Bewegungsfreiheit hatte ich. Mir wurde übel, als ich an den Grund dafür dachte. Ich erkannte die Umrisse einiges Handys in seiner Hosentasche. Es folgte die zweite Backpfeife. Doch ich blickte ihn nur kalt an. „Ich will keine dumme Kommentare hören“, sagte er und drückte eine Hand auf meine Mund, „während ich Spaß hab!“ Gierig fiel er über meinen Oberkörper her. Ich wand mich unter seinen Berührungen, versuchte seine Hand abzuschütteln und begann wieder damit meinen Hände aus den Fesseln zu zwängen, aber egal wie sehr ich mich bemühte, das einzige, was in Mitleidenschaft gezogen wurde, war meine Haut. Die Fußgelenke hatte ich mir inzwischen auch blutig gescheuert, den Versuch meine Beine ruhig zu halten, um vielleicht einen gezielten Tritt zu landen, hatte ich aufgegeben. Ich wollte ihn einfach nur treffen. Es war absolut widerlich. Erniedrigend. Schmerzvoll. Quälend langsam. Immer wenn er mir neben dem Mund auch noch die Nase zudrückte, wusste ich, es würde gleich extrem schmerzhaft werden. Jedes Mal nahm ich mir vor, bloß keinen Laut von mir zu geben, und doch war es fortwährend das Gleiche. Meine Lungen brannten so sehr, dass ich nach Luft schnappen wollte, und abermals schrie ich. Unaufhaltsam wurde die Angst immer größer. Ich schaffe es nicht mich selbst zu befreien und mit jeder Minute wurde es hoffnungsloser. Wer sollte schon kommen, um mir zu helfen? Ich hasste mich dafür. Dafür, dass ich versucht war aufzugeben. Dafür, dass ich so schwach war. Dafür, dass ich innerlich schon so sehr um Hilfe wimmerte, dass ich halluzinierte. Für einen Moment hatte ich wirklich geglaubt, einen Schatten im Licht an der Decke zu sehen. Wieder schrie ich und japste nach Luft. War nur der Sauerstoffmangel. Denn, wie gesagt, wer sollte schon kommen? Ich riss die Augen auf, als wenige Momente später ein Mann in der Tür auftauchte, der zu wirklich erschien, um Fantasie zu sein. Er kam näher, holte aus und schlug zu. Mein Peiniger sackte schwer auf meiner Brust zusammen und wurde gleich darauf wieder zurückgezerrt. Ich blickte starr auf den Träger des Besenstiels, der ihn niedergestreckt hatte. Sein zerzaustes, rotes Haar rahmte sein gebräuntes Gesicht und brachte die vor Besorgnis und Wut funkelnden, grünen Augen vorteilhaft zur Geltung. Er war groß und schlank. Die schwarze Hose war eng geschnitten, seine Beine wirkten noch länger in ihr. Unter dem tiefvioletten Hemd ließ sich ein gut durchtrainierter Oberkörper erahnen. Ich studierte ihn so intensiv, wie ich zuvor noch niemanden beobachtet hatte. Ich bemerkte sogar den kleinen Ohrstecker, der hinter sein Haar kaum zu erkennen war. Für den Moment hatte ich das Gefühl, er war das Beste, was mir jemals passiert war. Er zog etliche Handschellenschlüssel aus der Hosentasche und beugte sich zu mir hinunter, um meine Hände zu befreien. Er roch gut. Sobald ich konnte, setze ich mich auf und er schlang eine beige Seidendecke um meine Schultern. Sein Geruch stieg mir in die Nase. Und plötzlich war der angenehme, männlich herbe Duft ungemein tröstlich. „Ich bin Aozora Tsuki“, sagte er und beruhigende Worte folgten. Ich begann unkontrolliert zu zittern. *** „Seto!“ Mokubas Gesicht tauchte in meinem Blickfeld auf. Als er merkte, dass ich wach war, schlang er sofort seine Arme um meinen Hals und schmiegte sich vertrauensvoll an mich. Auch jetzt zitterte ich wie Espenlaub. „Du hast geschrien“, erklärte er. „Ich hatte solche Angst!“ Ich rollte mich auf die Seite und drückte ihn noch näher an mich, klammerte mich hilfesuchend regelrecht an ihn fest. Mein Herz schlug wie wild, schien fast meinen Brustkorb zu sprengen. Ich versuchte tief und regelmäßig zu atmen, um mich wieder zu beruhigen. Es dauerte eine Weile und es lag eher an dem warmen, zierlichen Körper, der sich an meine Brust kuschelte, als an meinen Versuchen. „Das wird schon wieder, Seto!“, nuschelte er aufmunternd in mein Hemd und begann tröstend über meinen Rücken zu streichen. Ich vergrub mein Gesicht in seinen Wuschelhaaren und atmete tief den vertrauten Geruch ein. Seine Anwesenheit war Balsam. Das wusste er. Die ersten Nächte hatte er bei mir geschlafen. Er hatte behauptet, er hätte Angst nachts aufzuwachen, und zu denken, ich wäre tot. Vielleicht war das tatsächlich ein Teil der Wahrheit. Aber wir wussten beide, dass er es im Grunde nur tat, um mir zu helfen. Ich hätte niemals darum gebeten. Inzwischen schlief er wieder in seinem eigenen Bett, kam aber jedes Mal zu mir unter die Bettdecke gekrabbelt, wenn er mitbekam, dass ich wieder von Alpträumen verfolgt wurde. Heute war es noch verhältnismäßig harmlos gewesen. Richtig schlimm wurde es, wenn ich davon träumte, was passiert wäre, wenn Tsuki nicht aufgetaucht wäre. Ich runzelte die Stirn. Tsuki. Nicht Mister Aozora oder einfach nur Aozora. Es kam nicht oft vor, dass ich jemanden in Gedanken beim Vornamen nannte. Vielleicht war es normal, dass man so ein ... persönliches Verhältnis zu demjenigen hatte, der einem den Kragen gerettet hatte. Zu meiner großen Verwunderung hatte er es dabei nicht belassen. Er war mir selbst, nachdem die Polizei da war, kaum von der Seite gewichen. Und hatte sich als ich die Geschehnisse zu Protokoll geben musste, als erstaunlich hilfreich erwiesen. Allein die Tatsache, dass er da gewesen war – jemand zu dem man, zwischen all den völlig fremden Menschen, zumindest eine gewisse Bindung hatte –, hatte sich schon positiv ausgewirkt. Wenn Mokuba zu dem Zeitpunkt noch nicht da gewesen wäre, hätte er mich wahrscheinlich sogar zur Untersuchung ins Krankenhaus begleitet. Egal wie viel ich gegrübelt hatte, ich hatte keinen Grund gefunden, warum er das alles für mich getan hatte. Es machte keinen Sinn. „Seto“, brach Mokuba die Stille, „bist du sicher, dass du heute wieder in die Schule gehen solltest? Für die Polizei wäre es sicher einfacher –“ Er sprach nicht von den Berührungsängsten, die ich zu den meisten Personen entwickelt hatte, dennoch wusste ich, dass es ihm deshalb Unbehagen bereitete, mich wieder zur Schule gehen zu sehen. „Ich hab mit Nagamo gesprochen. Das geht in Ordnung“, sagte ich und verfluchte meine Stimme dafür, dass sie ziemlich kratzig klang. „Ich kann nicht ewig davonlaufen, Mokuba!“ „Vielleicht hast du Recht!“, murmelte er, klang aber immer noch nicht sehr überzeugt. „Mach dir keinen Sorgen“, erwiderte ich. „Die meisten hab ich so oder so schon auf Distanz gehalten.“ Ich würde das morgen schaffen. Es war zwar eine ziemliche Menschenmenge, aber meinen Respekt hatte ich gewiss nicht verloren. Langes Fehlen hin oder her. Die Polizei hatte mich zum Glück weitestgehend aus der Sache raushalten können. Nur dass versucht worden war, mich umzubringen, hatte man der Presse mitgeteilt. *** Die restliche Nacht hatte ich besser geschlafen, dennoch war ich, als ich in der Schule ankam, ziemlich übermüdet. Gut, dass ich mir den Sportunterricht sparen konnte. Der hätte mir jetzt noch gefehlt. Anwesenheit war trotzdem gefordert. Was für eine unangebrachte, haltlose Regel. Ich betrat eine Minute vor dem Klingeln das Gebäude, marschierte zielstrebig durch die Gänge und blieb an der Tür zur Halle stehen. Der Sportlehrer wies gerade einige Schüler an Barren und Reck aufzubauen. „Mister Matsugawa.“ Ich machte auf mich aufmerksam. Sofort richteten sich alle Blicke auf mich. Schüler begannen zu murmeln und der junge Lehrer kam freudig auf mich zu. „Mister Kaiba, wie ich sehe, sind Sie wieder fit. Das freut mich!“ Ich reichte ihm wortlos das Attest vom Arzt. Er sah es sich an und nickte. „Sport noch nicht. Das hatte ich mir schon gedacht.“ „In welcher Umkleidekabine ist unsere Klasse?“, fragte ich, damit ich Schuhe wechseln und meine Sachen abstellen konnte. „Wie immer mitgedacht!“, stellte er fest. „Rechts. Die mittlere.“ Ich nickte und machte mich auf den Weg. Ausnahmslos alle Schüler, die mir auf dem kurzen Stück begegneten, starrten mich an. Es war immer wieder lästig. In der Umkleidekabine herrschte das übliche Chaos. Klamotten lagen unordentlich auf den Bänken und hingen auf den Boden. Irgendein Idiot hatte mit Deo herum gesprüht. Mit einer schnellen Handbewegung räumte ich mir in einer Ecke etwas Platz frei. Vermutlich würde es ihnen so oder so nicht auffallen, dass ihre Kleider noch näher beieinander lagen. Ich band gerade meinen ersten Turnschuh zu, als die Tür aufflog und Wheeler hereingestürmt kam. Im ersten Moment übersah er mich in seiner Eile glatt, als er mich dann entdeckte, klappte er verblüfft den Mund auf. „Kaiba.“ Mein Name hing in der Luft. Zu mehr, als dieser unglaublich scharfsinnigen Erkenntnis, schien er nicht in der Lage zu sein. Während ich meine Straßenschuhe ordentlich auf das Brett unter der Sitzbank stellte, spürte ich seinen musternden Blick auf mir. „Du siehst aus wie immer!“, stellte er ungläubig fest. Ich verdrehte die Augen. „Was hast du denn erwartet?“, fragte ich spöttisch. Natürlich sah ich aus wie immer, wenn man nicht gerade meine Hand- und Fußgelenke betrachtete oder meinen von blauen Flecken übersäten Oberkörper sah. Die Gelenke waren das größte Problem. Die Wunden rissen ständig wieder auf, wenn auf die falschen Stellen zu viel Belastung kam. „Ich weiß nich“, erklärte er klug. „Irgendwie anders halt. Immerhin wollte dich jemand umbringen.“ Er begann wie wild mit den Armen zu fuchteln. „Versteh mich nicht falsch, ich freu mich, dass es dir wieder gut geht.“ Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Ich blickte ihn zweifeln an. Wheeler freute sich, weil es mir gut ging? Das klang anormal, auch nach der langen Zeit. Er hatte mir etliche Krankheiten und andere Unannehmlichkeiten an den Hals gewünscht. Wenn es nach seinen Flüchen ginge, wäre ich schon lange tot. Und gut ging es mir ganz bestimmt nicht. Vielleicht den Umständen entsprechend gut. Das würde ich ihm allerdings bestimmt nicht unter die Nase reiben. „Ehrlich!“, sagte er voller Enthusiasmus. „Wheeler, du hast mir den Tod gewünscht. Mehrmals“, antwortete ich kalt. „Das war nicht ... ich meine ... das hab ich nie so gemeint“, druckste er herum. „Ich ...“ Er wurde tatsächlich rot. Ich hob eine Augenbraue. Dann wendete ich mich ab und band meinen anderen Schuh zu. „Kaiba, ignorier mich nicht. Das war mein Ernst. Ich hab dich wirklich vermisst!“, meinte er aufbrausend. Ich musterte ihn kalt. Er sah genauso aus, wie vor vier Wochen. Trotzdem musste er sich irgendwo einen gewaltigen Hirnschaden zugezogen haben. „Wenn du das wirklich denkst, Wheeler, dann solltest du dringend einen Arzt aufsuchen!“ Knurrend kam er ein paar Schritte auf mich zu. „Du bist ein verdammter Arsch.“ „Das sagst du mir nicht zum ersten Mal. Es tangiert mich nicht!“ Wheeler blinzelte verwirrt. „Was?“ Ich seufzte. Immer wieder das gleiche. „Um es in dir verständlichen Worten auszudrücken: Es ist mir egal!“ Wütend ballte er die Faust. Dennoch sah ich, dass ihn das verletzt hatte. Warum auch immer. Es war nichts Neues. Im Vergleich zu andere Beleidigungen war es sogar harmlos. „Das war mir klar. Trotzdem ...“ Er brach ab und schaute verlegen zur Seite. „Bist du in den letzten Wochen vielleicht gegen zu viele Türen gerannt, Wheeler?“, fragte ich geringschätzend. Das brachte ihn völlig aus dem Konzept. „Nein, wie ...“, setzte er reflexartig an. „Nein“ reichte mir. „Dann tut mir den Gefallen und benimmt dich wieder normal!“, unterbrach ich ihn. Er ging nicht darauf ein. Ungewöhnlich. Stattdessen funkelte er mich selbstsicher an. „Auch wenn es dir nicht passt, Kaiba, ich mag dich auf irgendeine hirnverbrannte Art und Weise!“ Wieder überraschte er mich mit seinem Verhalten. Bevor ich auch nur eine Augenbraue heben konnte, drückte er mich gegen die Wand und presste seine Lippen auf die meinen. Augenblicklich erstarrte ich zur Salzsäule. Er küsste mich hart. Der Geschmack von Pfefferminz und Rauch breitete sich in meinem Mund aus. Es war als würde ich alles noch einmal erleben. Brutale Lippen auf meiner Haut. Gierige Hände. Übelkeit überkam mich. Ich brauchte einen Moment um den Weg zurück in die Realität zu finden. Ruckartig schubste ich Wheeler von mir. Er stolperte rückwärts und ich achtete nicht mehr auf ihn. Das hier ist nur Wheeler, versuchte ich mich zu beruhigen, dem bin ich haushoch überlegen. Wieder tauchten Bilder vor meinem inneren Auge auf. Meine Lungen brannten allein bei dem Gedanken an den Abend. Der Mistkerl sitzt im Gefängnis, redete ich weiter auf mich ein. Es half nichts. Um mich abzulenken, versuchte ich mich auf Wheeler Gestammel zu konzentrieren. Er redete irgendetwas von Prinzessinnen und Schauspielern und egal, wie sehr ich mich bemühte, es ergab einfach keinen Sinn. Der Pfefferminzgeschmack hielt sich hartnäckig und ließ sich nicht ignorieren. Mein Magen rebellierte. Ich stürmte an Wheeler vorbei ins Bad und übergab mich. Kapitel 2: Wiedersehen ---------------------- Hi! Ich hab es endlich geschafft, dass zweite Kapitel fertig zu bekommen. War eine ganz schön Arbeit! Ich hoffe, es gefällt! Viel Spaß beim Lesen! LG Kyra --- Kapitel 2: Wiedersehen Ein leises Klopfen drang an meine Ohren. Ich hob so ruckartig den Kopf, dass mir die Sicht verschwamm und eine neue Welle der Übelkeit mich erfasste. Gerade noch rechtzeigte beugte ich mich über die Toilette, neben der ich auf dem Boden zusammengesunken war. Inzwischen brach ich nur noch Galle. Das bisschen Kaffee, das ich heute Morgen getrunken hatte, war schon lange durch die Abflussrohre verschwunden. Trotzdem ließ der Brechreiz nicht nach. Mein Hals brannte von der Säure. Immer wieder überkamen mich Schwindelanfälle. „Seto? Bitte mach die Tür auf.“ Ich blinzelte. War nun auch noch meine akustische Wahrnehmung gestört? Oder war es Wunschdenken, und ich begann jetzt immer seine Stimme zu hören, wenn ich Probleme hatte? Ich stöhnte innerlich. Das war doch wohl nicht wahr. Aber warum sollte er in der Schule sein? Das machte noch weniger Sinn. „Verschwinde, Wheeler. Das hab ich dir schon einmal gesagt!“, krächzte ich und ärgerte mich über meine Stimme. Ganz abgesehen von dem Krächzten klang es nicht halb so kalt, wie ich es eigentlich gewollt hatte. „Hier ist niemand, der ‚Wheeler‘ heißt. Ich bin’s, Tsuki“, erklärte er ruhig. Er war es tatsächlich. Denn woher hätte irgendjemand anders wissen sollen, wessen Stimme ich zu hören glaubte? So schlimm, wie ich im ersten Moment angenommen hatte, schien es dann um meinen geistigen Zustand doch noch nicht zu geschehen zu sein. Es blieb immer noch die Frage, was er hier machte. Die Schule hatte er schon vor vier oder fünf Jahren abgeschlossen. „Du musst die Tür nicht aufmachen, wenn du es nicht willst. Aber dann sag mir bitte, wenn ...“ Ich hörte ihm gar nicht richtig zu. Ehe ich mich versah hatte ich schon die Frage gestellt, dir mir auf der Zunge brannte: „Was machst du hier?“ Er atmete auf. „Das erzähl ich dir gern. Lässt du mich rein oder soll ich es mir hier draußen bequem machen?“ „Einen Moment!“, murmelte ich. Mühsam stemmte ich mich hoch. Meine Beine zitterten, um überhaupt stehen zu können, musste ich mich an der Wand abstützen. Ich drückte die Spülung. Beim umdrehen verschwamm erneut alles vor meinen Augen. Ich machte einen wackeligen Schritt und tastete nach dem Schloss. Ich konnte mich nicht daran erinnern, abgeschlossen zu haben. Vermutlich hatte ich es vorsichtshalber getan, nachdem ich Wheeler rausgeschmissen hatte. Vielleicht war es aber auch Routine gewesen. Ich wusste nicht mehr genau, wie ich ihn überhaupt aus der Kabine befördert hatte. Wheeler war mir ins Bad gefolgt und hatte die Kabine gestürmt. Entschuldigungen stammelnd hatte er sich neben mir auf den Boden gekniet. Er hatte mich an der Seite und an der Schulter gepackt. Trotz des folgenden Schockzustands hatte ich es dann irgendwann doch geschafft, ihn loszuwerden. Kaum hatte ich das Schloss umständlich geöffnet, taumelte ich wieder zurück und rutschte kraftlos an der Wand hinunter. Das war ganz und gar nicht die Position, in der ich mich zeigen wollte. Sie wirkte viel zu schwach. Und schwach war ich nicht ... auch wenn ich mich in letzter Zeit häufig so fühlte. Alles drehte sich. Ich starrte ins Nichts. Nur langsam wurde es besser. Als ich wieder klar sah, kniete Tsuki mit etwas Abstand neben mir. Ich spürte den besorgten Blick, mit dem er mich betrachtete. Hinter ihm stand die Tür halb offen. Es war als würde er meine Ängste genau verstehen, ob er das wirklich tat, konnte ich nicht sagen. „Schau mich bitte an“, bat er sanft. Automatisch sah ich ihm ins Gesicht. Er wirkte beunruhigt. Weit mehr als zuvor. „Deine Augen sind ganz glasig“, stellte er fest. Ich winkte ab. Leider wirkte es nicht halb so lässig wie geplant. „Es ist nicht so schlimm!“, erklärte ich. Mein Hals kratzte bei jeder Silbe. Überzeugen konnte ich ihn nicht. Er wirkte immer noch skeptisch, ließ sich dann seufzend mit etwas Abstand an der Wand mir gegenüber nieder. „Möchtest du darüber reden?“, fragte er. Normalerweise hätte ich gar nicht erst darüber nachgedacht. Es war meine Sache. Und meine Sachen waren noch nie jemanden anderen etwas angegangen. Doch in seiner Nähe, konfrontiert mit einem aufmunternden Lächeln, das weder mitleidig noch sensationsgeil war, hatte ich immer das Gefühl, über alles reden zu können. Ich strafte mich selbst mit Verachtung dafür. Es trieb mich in unbekannte Gefilde und die Gefahr ins Stolpern zu kommen, stieg in kaum gekannte Höhen. „Vielleicht später“, sagte ich ausweichend. Vermutlich eher nicht. „Was machen Sie hier?“ „Du, bitte.“ Tsuki lachte. „Sonst komm ich mir so alt und ausgegrenzt war.“ „Meinetwegen.“ Ausgegrenzt woraus? Hätte man mich nach einer Grenze zwischen uns beiden gefragt, wären mir bestimmt viele Dinge eingefallen. Aber nicht das Alter. „Um zum eigentlichen Thema zurückzukommen: Miss Zedama bat mich als, sagen wir, Reisebegleiter auf eure Abschlussfahrt zu kommen. Sie hatte wegen ihrer Wahl der Aktivitäten, Probleme jemanden zu finden, der diese Aufgabe übernehmen konnte. Einzelne Leute vor Ort hätten, wie sie sich ausdrückte, den Rahmen der Finanzierung gesprengt. Nachbezahlen lassen wollte sie euch nicht, also kam sie auf die Idee, jemanden mitzunehmen, der sich sowohl in der Region wie auch mit den Programmpunkten auskennt, da das preislich ziemlich genau hinkommt. Ich muss etwas draufzahlen, aber ansonsten spendiert ihr mir sozusagen einen Urlaub.“ Tsuki hielt inne, als er meinen skeptischen Blick bemerkte. „So würde ich das nicht betiteln. Nicht mit unserer Klasse.“ Nein, definitiv nicht. Diese Fahrt würde das Niveau eines Kindergartenausflugs haben. Zu dumm, dass ich mich nicht weigern konnte, mitzufahren. „So schlimm?“, fragte er. „Die Geisteshöhe eines Grundschülers ist größer.“ Er verzog den Mund, grinste aber kurz darauf wieder. „Ich kann eigentlich ganz gut mit Kindern. Und falls ich widererwarten doch nicht mit deinen Klassenkameraden klarkomme, halt ich mich einfach ganz und gar an dich.“ War das ein Kompliment oder einfach nur als Tatsache zu sehen? Schließlich verhielt ich mich erwachsen. ... Wie kam ich überhaupt auf die Frage? ... Im Grunde war es nichtig. Als Tsuki bewusst wurde, dass ich darauf nichts erwidern würde, fuhr er fort: „Jetzt bin ich hier, um euch vorher schon mal ein bisschen kennenzulernen. Miss Zedama sagte es wäre nur förderlich. Also werde ich, wann immer ich in den nächsten Wochen Zeit und Lust habe, mal bei euch reinschauen.“ Ich nickte. Das klang vernünftig. Zumindest, wenn man jemanden besser kennenlernen wollte. Ich fragte mich, ob das in meinem Interesse war. Zweifellos, er war mir lieber, als irgendwelche durch geknallten Touristenführer, die ohne Punkt und Komma ihr lokalpatriotisches Gefasel herunter ratterten. Doch war es gut für mich, ihn ständig in der Nähe zu haben? ... Eigentlich wollte ich nur vergessen. Ich blickte zu Tsuki hinüber. Sein Anblick weckte seltsamerweise keine Erinnerungen, nur ... ein Gefühl der Sicherheit. So etwas Scheinheiliges, dachte ich. Vielleicht war seine Anwesenheit trotzdem von Nutzen. Der Gedanke an Wheeler drängte sich auf. So wie ich ihn einschätzte, würde er bestimmt eingreifen. Auch wenn ich nicht vor hatte, es wieder so weit kommen zu lassen, wie in der ersten Stunde. Die Übelkeit ließ sich nicht länger unterdrücken. Würgend hing ich abermals über dem Klo. Gott – war – das – erniedrigend! Tsuki blieb ruhig sitzen. Das hörte ich. Er wagte es nicht, sich in so einem Moment von hinten zu nähern. Seinen besorgten Blick konnte ich förmlich spüren. Ich wusste die ganze Zeit, dass er da war, auch wenn ich ihm erst begegnete, als ich mich zurück an die Wand lehnte. Ich hatte erwartet Spott oder Mitleid in seinen Augen zu sehen, überrascht, dass ich nichts dergleichen fand, war ich allerdings auch nicht. Dadurch war er nie aufgefallen. Besorgt war er „damals“ gewesen, hatte jede meiner Bewegung sorgfältig beobachte, um mir im Notfall zur Hilfe kommen zu können. Doch mitleidig, spöttisch oder gar höhnisch hatte er mich nie behandelt. „Willst du etwas trinken?“, bot er an. Ich nickte nur. Er verschwand kurz und kam mit einer Halbliterflasche Wasser zurück. Meine Hände zitterten leicht, als ich danach griff – ich verfluchte, dass ich zugestimmt hatte. Ich gab mich hier der Lächerlichkeit preis. Mühselig drehte ich den Deckel ab, und merkte sofort, dass sie schon einmal geöffnet worden war, obwohl sie noch ganz voll war. Sah man mir so sehr an, wie fertig ich war. Am liebsten wäre ich auf der Stelle eingeschlafen. Wenn ich schon nicht vergessen konnte, dann wollte ich zumindest für den Moment von den Gedanken befreit sein. Wann hatte ich eigentlich damit angefangen wegzulaufen? Oder zumindest es zu versuchen? Nicht, dass es mir sonderlich gut gelang. Ich hasste mich dafür. Es war nicht meine Art, normalerweise stellte ich mich meinen Problemen. Doch dieses Mal ... war der Widerstand so groß. Das Wasser tat gut. Vertrieb ganz leicht den Geschmack von Übelkeit. Die Kohlensäure prickelte unangenehm in meinem wunden Hals, dennoch war es eine Erfrischung. „Anstatt dir Vorwürfe zu machen, solltest du dich fragen, was du ändern kannst.“ Unbewusst blinzelte ich. Es kam mir gleichzeitig ungemein treffend wie auch zusammenhangslos vor. Es klang logisch. Es war logisch. Trotzdem blaffte ich Tsuki an: „Sag mal bist du mein Psychiater?“ Einfach weil ich mir plötzlich so durchschaubar und berechenbar vorkam, etwas, was mir einen unbehaglichen, kalten Schauer über den Rücken jagte. „Entschuldige, wenn ich dir zu nahe getreten bin. Ich hatte nur das Gefühl, du würdest dich gerade für irgendetwas selbst zerfleischen. Das möchte ich nicht. Was den Psychiater betrifft, bin ich mir ziemlich sicher, dass du jeden von ihnen, einen kräftigen Arschtritt verpasst hast.“ Er grinste. „Ich hätt ’s genauso gemacht!“ Er war der erste, der sich gegen einen Seelenklempner aussprach. Sonst hatte mich jeder gedrängt, mir einen zu suchen. Selbst Mokuba. „Du bist der erste, der mir davon abrät.“ Er blinzelte verdutzt. „Was sagt uns das? Dass sich der Beruf soweit in der Gesellschaft etabliert hat, dass niemand mehr seinen Verstand benutzt und sich fragt, ob das überhaupt für alle das richtige ist. Seien wir doch mal ehrlich. Einigen hilft reden, anderen nicht. Mir hilft es in einem bestimmten Maß, ob es dir hilft, weißt nur du selbst. Und selbst wenn man viel und gerne redet, so wie ich, heißt das noch lange nicht, dass man das auch auf Knopfdruck einem wildfremden Menschen gegenüber kann. Nachdem meine Eltern gestorben sind, bestand mein Großvater darauf, dass ich zu einem Psychologen ging. Ich hab mir gedacht, ‚Okay, gehst du da halt hin und laberst mit dem Kerl über diese ganze, beschissene Welt‘, dann saß ich da in dem Büro von diesem Menschen und hab mich gefragt, was der denn für ne seltsame Frisur hat. Und lauter anderes belangloses Zeug. In der Zwischenzeit hat er mich angeguckt, ich hab ihn angeguckt, er hat mich angeguckt, ich hab ihn angeguckt und ich hab geschwiegen. Irgendwann hab ich dann angefangen ihm irgendwas von Hans und Franz zu erzählen, einfach das was mir gerade einfiel. Zusammenhangslos, sinnlos, widersprüchlich. Nur damit er aufhörte mich mit diesen erwartungsvollen und mitleidigen Blicken zu bombardieren. Ich hab das solange weiter getrieben, bis meine Oma meinen Großvater überzeugt hatte, dass der Mensch sich doch besser um jemanden kümmern sollte, der seine Hilfe auch wollte.“ Tsuki legte den Kopf schief und lächelte leicht. „Zugegebenermaßen, das war jetzt eine stark verkürzte und etwas ins lächerliche gezogene Version. Was ich damit sagen will: Wenn du reden willst, dann rede mit jemandem, dem du vertraust. Versuch nicht mit ihm zu reden, wenn er Zeit hat, sondern rede mit ihm, wenn es dich überkommt. Selbst wenn es mitten in der Nacht ist, ruf denjenigen an, fahr bei ihm vorbei oder mach sonst irgendetwas. Derjenige wird sich schon die Zeit nehmen. Egal, wie lächerlich es dir erscheint. Nur, wenn du darüber sprechen willst, dann tu’s. Es wird dadurch nicht gut. Aber man fühlt sich besser. Einfach, weil man die Last nicht mehr alleine schleppen muss.“ Er kratzte sich am Kopf und grinste entschuldigend. „Oh weh, jetzt hab ich dich in Grund und Boden gequatscht. Das war mal wieder das beste Beispiel dafür, dass ich, wenn ich erst mal am reden bin, nicht so schnell wieder aufhöre. Tut mir Leid!“ Ich schüttelte den Kopf. Ob er recht hatte, wusste ich nicht. Es war auch irrelevant. Es klang tausendmal logischer und sinnvoller, als das Wort „Psychiater“. Obwohl ich nicht minuziös definieren konnte warum. Dazu kam, dass ich ihn gerne reden hörte. Innerlich schüttelte ich über mich selbst den Kopf. Was für ein Nonsens. Trotzdem konnte ich nicht leugnen, dass mir der Klang seiner Stimme gefiel. Was er erzählte, ob nun sinnvoll oder nicht ... es war ehrlich. Dabei war es nichtig, ob er ruhig etwas fragte oder voller Eifer drauflos plauderte. Stille trat ein. Ich hing meinen Gedanken nach, und Tsuki schien es nicht anders zu halten. Ab und an nippte ich an der Wasserflasche. Meine Finger hatten aufgehört zu zittern, mein Magen beruhigte sich allmählich. Ich mochte Ehrlichkeit. Sie war gerecht. War Wheeler ehrlich gewesen, fragte ich mich, oder wollte er mich nur ärgern? Meine über die Jahre hinweg aufgebaute Menschenkenntnis sagte mir, dass es sein Ernst gewesen war. Das gefiel mir nicht. Ich zwang mich, mich daran zu erinnern, was er gesagt hatte. Es gefiel mir noch weniger. Langsam richtete ich mich auf. Solange mein Magen halbwegs ruhig blieb, war ich wohl angeraten zum Schularzt zu gehen, und mir etwas gegen die Übelkeit geben zu lassen. Tsuki folgte mir mit etwas Abstand. Während ich begann meine Schuhe zu wechseln, hängte er sich seine Umhängetasche um, die er einfach auf eine der Sitzbänke geschoben hatte. „Du willst zum Schularzt?!“, fragte er. „Ja.“ „Das ist vernünftig. Ich komm mit.“ Er sagte nicht, dass ich Bescheid geben sollte, wenn ich Hilfe bräuchte. Ich blickte zu ihm hinüber, und erkannte sofort, dass er nicht mal ansatzweise damit rechnete, dass ich, falls mich wirklich erneut Übelkeit überkam, auch nur ein Wort sagen würde. Genauso wusste ich, dass er einfach eingreifen würde. Er zog die Grenze zwischen Eingreifen und Untätigkeit am äußersten. Damit kam ich zurecht. „Du bekommst in deinem Job doch sicher viele zweifelhafte Komplimente zu hören?!“ Tsuki runzelte die Stirn. Er war verwundert. Ich auch. Weiß der Teufel, warum ich mit ihm darüber sprechen wollte. Nur eins war mir klar: Diesen Unverstand Wheelers würde ich bestimmt nicht auf mir sitzen lassen. „Das kann man so sagen“, antwortete Tsuki. „Was würdest du machen, wenn dir jemand sagen würde, du wärst schöner, als alle Disney - Prinzessinnen?“ Er hob eine Augenbraue und blickte mich aus leicht verengten Augen skeptisch an. „Laut schreiend wegrennen und schnellstmöglich die Männer mit den weißen Kitteln rufen?!“ Ich grinste innerlich. Aus irgendeinem Grund mochte ich seinen Humor. Tsuki ließ sich auf der Bank mir gegenüber nieder, er machte sich nicht die Mühe etwas Platz zu schaffen, sondern setzte sich einfach auf die Kleider von irgendwem. „Dieser Blondschopf mit den braunen Augen, der völlig aufgedreht in die Halle gerannt kam, er hat das zu dir gesagt, oder?“ Ein einfaches Nicken war die Antwort. „Er ist dir ziemlich nahe gekommen.“ Darauf erwiderte ich nichts. Es war so oder so eine Feststellung gewesen. Ich fragte auch nicht, woher er das wusste. Vermutlich brauchte man als Callboy ebenfalls eine extrem gute Menschenkenntnis. „Ich bin ziemlich gut darin, für sowas Rachepläne zu schmieden!“ Er grinste. „Du bist dir sicher, dass es sein Ernst war?“ „Soweit ich das beurteilen kann, ja.“ Ich schloss meine Sporttasche und stand auf. Tsuki hatte meine Schultasche genommen, als ich ihn missbilligend anschaute, hob er meine rechte Hand an seinen Mund und hauchte einen Kuss auf den Handrücken. „Es wäre mir eine Ehre, Eure Sachen tragen zu dürfen, schönste aller Prinzessinnen!“ Er blickte skeptisch, ich unentwegt missbilligend. „Du bist dir wirklich sicher, dass er sich dabei nicht vollkommen bescheuert vorgekommen ist. Das würde mir ernsthaft zu denken geben.“ Er grinste und gab mir die Tasche zurück. Derweil fragte ich mich, warum ich mir nur, während er gesprochen hatte, absolut bescheuert vorgekommen war. Kapitel 3: Seinetwegen ---------------------- Hi! Endlich bin ich mit dem neuen Kapitel fertig geworden. Die Story hat sich mal wieder selbstständig gemacht. Mit anderen Worten: Es wird mehr Kapitel geben. Ich hoffe es gefällt! LG Kyra --- Kapitel 3: Seinetwegen Mir ist langweilig. Ja, mir auch. Was allerdings nicht weiter verwunderlich war, wenn man bedachte, dass wir die embryonale Entwicklung jetzt schon zum vierten Mal behandelten. So ein Nonsens. Das erklärte jedoch nicht den Block mit den drei, schnörkellos geschriebenen Wörtern. Er hatte schließlich etwas zu tun. Ich blickte auf Tsukis Durcheinander aus Kontoauszügen, Rechnungen, Kassenbons und anderen Zetteln, das inzwischen schon auf meinen Tisch herüber schwappte. Dazwischen lagen irgendwo ein Taschenrechner und ein paar Stifte. Bei dem Papierkram konnte von Langeweile eigentlich nicht die Rede sein. Auch wenn er ziemlich überfordert aussah. Als ich mich gerade dazu hinreißen lassen wollte, mich auf diese fragwürdige Art der Kommunikation einzulassen, tauchte unsere Lehrerin vor meinem Tisch auf und nahm mit spitzen Fingern den Block. Sie sah – auch wenn dieses Wort viel zu vulgär war, um zu meinem Standartvokabular zu gehören, an dieser Stelle war es einfach passend – angepisst aus. Einen Moment lang blickte sie schweigend auf das Papier. Vielleicht überlegte sie sich, ob sie vergessen haben könnte, dass meine Schrift eine andere war. Ich war mir sicher, dass sie zu dem Schluss kommen würde, dass es meine Handschrift sein könnte. Sie mochte mich nicht. Nicht mehr, seitdem ich ihr vor der ganzen Klasse ein Abfuhr erteilt hatte. Auch wenn es nur subtil gewesen war. Oder vielleicht gerade weil es subtil gewesen war? Mir war es herzlich egal. In vielerlei Hinsicht wusste ich mehr als sie. Sie konnte mir nichts. Und sollte sich es wagen, irgendeinen belanglosen Grund anzuführen, demzufolge sie mir keine 15 Punkte geben konnte, würde sie es bitter bereuen. Ich würde sie und ihre Argumentation in der Luft zerreißen. Meinen überragenden Durchschnitt würde diese Geradeerst - Lehrerin ganz sicher nicht ankratzen. Dieser Zettel würde keine Konsequenzen haben. Selbst wenn Tsuki nicht erklärte, dass er ihn geschrieben hatte. Was doch sehr zu bezweifeln war. Er legte eine Ehrlichkeit an den Tag, die auch von seiner Dreistigkeit gegenüber einigen anscheinend verhassten Lehrkräften nicht überboten wurde. Davon angesehen wusste er, dass es teils seine Schuld war, dass sie mich momentan zu schikanieren versuchte. Zu den beiden Biologiestunden dieser Woche war ich seinetwegen zu spät gekommen. Dies war einer der, in letzter Zeit häufig auftauchenden, Momente, in denen ich mich fragte, warum ich ihm angeboten hatte, bei mir zu wohnen, als ich gehört hatte, dass er bei der Freundin, bei der er untergekommen war, nicht länger bleiben konnte, da sich deren Eltern zu Besuch angekündigt hatten. Natürlich wusste ich die Antwort auf die Frage. Doch sie widerstrebte mir. Ich hatte in dem Moment nicht gezögert. ... Ich hatte mich schuldig und verantwortlich gefühlt, da ich mit einem beträchtlichen Teil dazu beigetragen hatte, dass er momentan nicht in seine eigene Wohnung konnte. Normalerweise scherte ich mich nicht um die Probleme anderer Leute. Und schon gar nicht fühlte ich mich verantwortlich oder schuldig. Es war weder nötig noch angebracht. Ich kam in keine Situation, in der ich mir Fehler eingestehen musste. Ich machte selten Fehler. Tsuki gegenüber hatte ich das erste Mal eine Schuld verspürt. Ich verfluchte mich dafür, weil es meine Schwäche gewesen war, die es dazu hatte kommen lassen. Und Schwächen waren unzulässig. Gerade in meiner jetzigen Situation. „Fühlen Sie sich unterfordert, Mister Kaiba?“, setzte nun – wie ich es erwartete hatte – der Lehrkörper zur Offensive an. „Ich hab dieses Thema während meiner Schulzeit schon dreimal durchgenommen. Ich denke, nach dieser Zahl hätte man entweder im Unterricht schlafen müssen oder das Thema zur Speicherung im Langzeitgedächtnis als nicht wichtig genug befinden müssen, um jetzt nicht unterfordert zu sein.“ Sie blinzelte mehrmals, schien erst begreifen zu müssen, was ich gesagt hatte. Dann verfinsterte sich ihr Gesicht. Dabei hatte ich noch nicht einmal etwas gegen ihre Person gesagt. „Miss Ichida“, sagte Tsuki. Seine Worte klangen schmeichelnd, sein Lächeln war einnehmend. „Ich habe den Zettel geschrieben. Ich hatte gehofft, Mister Kaiba in einem möglichen Gespräch dazu überreden zu können, mir bei meinem Papierkram zu helfen. Ich bin momentan etwas überfordert.“ Er ließ etwas die Schultern hängen. „Es tut mir Leid, wenn ich damit Ihren Unterricht gestört habe.“ Während er sprach, entspannten sich die Gesichtszüge der Lehrerin. Ihre Augen bekamen etwas Schwärmerisches. „Ah, verstehe. Da Mister Kaiba sowieso unterfordert ist, wird er Ihnen sicherlich gerne helfen.“ Sie wendete sich mit einem boshaften Blick mir zu. „Oder wollen Sie Extraaufgaben?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, marschierte sie wieder zum Lehrerpult und setzte ihren ermüdenden Unterricht fort. Was für eine erbärmliche Art mit Schülern umzugehen. Ich sah zu Tsuki hinüber und notierte mir gedanklich, die letzte Minute immer im Hinterkopf zu behalten. Der Mann war unglaublich manipulativ. Gerade verwandelte sich sein charmantes Lächeln in ein breites Grinsen. Ich griff nach seinem Block und einem Stift und schrieb im Gedanken an seine Fähigkeiten, andere zu beeinflussen: Danke für die Warnung. Er runzelte die Stirn. Ich sah ihm an, dass er über den Satz grübelte. Letztendlich verstand er ihn nicht. Ich würde nicht näher darauf eingehen. Hä? Was versuchst du, anhand deiner Unterlagen zu berechnen? So seltsam es klang: Es interessierte mich. Verwundert blickte Tsuki von meiner Frage zu mir auf. Du würdest mir wirklich helfen? Wenn es wichtig ist. Einen Moment fragte ich mich, ob das eine subtile Beeinflussung von ihm gewesen sein könnte. Als ich bemerkte, dass ich mich wieder für ihn verantwortlich fühlte, hätte ich am liebsten laut geflucht. Ich wusste noch nicht mal, was er errechnen wollte, und fühlte mich schon verantwortlich. Prima. Würde ich bald anfangen, mich verantwortlich zu fühlen, wenn er sich an einem der vielen Schokoriegel, die er täglich verschlang, verschluckte? Könnte man so sagen. Solange ich noch unter Personenschutz stehe, kann ich nicht arbeiten, deswegen wollte ich ausrechnen, was ich im Monat durchschnittlich so ausgegeben habe und wofür. Damit ich etwas haushalten kann, sollte es nötig sein. Ich blinzelte. Was war daran so kompliziert? Insbesondere, da er ja noch nicht mal Lebensmittel- und Nebenkosten mit einrechnen musste. Schließlich stellte ich ihm diese nicht in Rechnung. Und das ist so schwierig? Mit meinen Unterlagen schon. Ich blickte auf sein Durcheinander und glaubte ihm sofort. Das musste auf jeden Fall sortiert werden. Etwas, was ich bestimmt nicht tun würde. Danach sollte es allerdings höchstens eine Stunde dauern. Wenn du für ein wenig Ordnung sorgst, dann nehme ich mir heute Nachmittag die Zeit, um eine Bilanz aufzustellen. Er sah nicht sehr begeistert aus. Dennoch erkannte ich, dass er sich im Grunde über mein Angebot freute. Ordnung? Wie soll ich da denn Ordnung rein bekommen? Indem du deine Kontoauszüge chronologisch abheftest, Kopien machst und die Abbuchungen nach Gruppen (Lebensmittel, Kleidung, etc.) verschiedenfarbig markierst. Nach demselben Muster sortierst du auch die Kassenbons und Rechnungen. °__° Willst du mich überfordern? Dieses Gebilde aus zwei Kreisen und einem Strich gab seinen Gesichtsausdruck erstaunlich gut wieder. Zudem machte es seine Frage überflüssig. Ich schüttelte innerlich den Kopf. Das konnte nicht sein Ernst sein. Du willst mir ernsthaft erzählen, dass du keine Lebensmittel von Kleidungsstücken oder Hygieneartikeln unterscheiden kannst? Dazu ist jeder Grundschüler fähig. Man muss dabei nicht mal denken. Tsuki blinzelte. Dann schüttelte er grinsend den Kopf. So war das nicht gemeint. Ich wollte damit nur sagen, dass ich einige Kassenbons nicht so leicht sortieren kann, weil ich teilweise „gruppenübergreifend“ einkaufe. Jetzt hätte ich beinahe überrascht geblinzelt. Ich wusste inzwischen genug über ihn, um sicher sein zu können, dass er gut verdient hatte. Schließlich war er einer der beliebtesten Callboys der Oberschicht Dominos. Er konnte es sich leisten, in exklusiven Geschäften einkaufen zu gehen. Diese waren normalerweise immer auf etwas spezialisiert. Ich hatte Tsuki so eingeschätzt, dass er seine Besorgungen nur in solchen Geschäften machte. Anscheinend hatte ich mich geirrt. Ich mochte es nicht, wenn ich mich verschätzte. In letzter Zeit noch viel weniger. Es gab mir das Gefühl, meinen letzten Schutz zu verlieren. Du kaufst im Supermarkt ein? Ja, bestimmte Dinge schon. Tsuki lächelte verschmitzt. Mist. Er hatte meine Fehleinschätzung erkannt. Ich spannte meine Schultern an, in Erwartung auf irgendetwas, das meinen Fehler bestrafen würde. Aber er lächelte nur. Seine Augen funkelten triumphierend, aber keineswegs herablassend oder schmälernd. Er schien sich einfach nur zu freuen, mich getäuscht zu haben. Das kommt mit Sicherheit nicht wieder vor! Mal sehen. ^^ Wie soll ich das Supermarkt - Problem lösen? Ich beschloss nicht weiter auf meinen Irrtum oder seine Reaktion darauf einzugehen. Sollte er sich doch freuen. Er hatte sich in den letzten Tagen, was meine Person betraf, auch mehrmals verschätzt. Mach eine eigene Gruppe daraus und markier in ihr nach den anderen. Es klingelte, als ich ihm den Block zuschob. Er warf einen Blick darauf, nickte und beugte sich dann über seine Tasche, um den nächsten Schokoriegel und eine Flasche Fanta heraus zu kramen. Mein Blick wanderte automatisch zu seinem Bauch hinunter. Er war immer noch genauso flach, wie an dem Abend, als ich ihn kennengelernt hatte. Ein Wunder, bei der Menge Schokoriegel, der er anscheinend täglich aß. Aus einem plötzlichen Impuls heraus fragte ich: „Wie viele Kilo hast du in den letzten zwei Wochen zugenommen?“ Tsuki blickte mich überrascht an. Er begann zu lächeln und hob gespielt tadelnd einen Finger. „Einem Callboy stellt man keine Fragen zu seinem Gewicht“, sagte er. Mehr sagte er nicht. Ich schwieg ebenfalls. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich gefragt hatte. Ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, erschien Miss Zedama im Raum. Sie war zu früh. Der Sozialkundeunterricht begann erst in ein paar Minuten. „Wir gehen heute in den Computerraum. Eure Sachen nehmt ihr am besten mit“, erklärte sie. Sofort brach das totale Chaos aus. Ich schüttelte innerlich den Kopf. Was war so schwer daran, zu seinem Platz zurückzukehren und seine Sachen zusammenzupacken? So ein Kindergarten. Miss Zedama trat auf Tsuki zu, als dieser gerade versuchte seinen Papierkram zumindest halbwegs ordentlich in seiner Tasche zu verstauen. „Hast du Lust bei einer Gruppenarbeit mitzumachen?“, fragte sie ihn. „Was denn für eine?“ „Es handelte sich um ein längeres Projekt. Zweiergruppen bekommen eine fächerübergreifende Aufgabe, die sie bis kurz nach der Studienfahrt fertigstellen müssen. In der Klasse sind 23 Schüler, also müsste ich eine Dreiergruppe bilden. Das wäre allerdings etwas kompliziert, da die Aufgaben auf zwei Personen ausgerichtet sind.“ „Was sind das für Fächer?“, fragte er etwas unsicher. „Von Naturwissenschaften habe ich für mein Leben genug!“ „Das ist interessenorientiert.“ „Okay, dann mach ich mit!“ *** „Ruhe!“, wies Miss Zedama an. „Die Computer könnt ihr schon hochfahren, aber Finger weg von Tastatur und Maus.“ Es kehrte tatsächlich Ruhe ein. Das sich jemand an ihr Verbot hielt, war allerdings unwahrscheinlich. Diese Klasse bestand, mit Ausnahme von mir, aus mehr oder weniger großen Spielkindern. „Wie ihr sicherlich wisst, steht in diesem Halbjahr in Sozialkunde eine umfangreiche Gruppenarbeit auf dem Plan. Die Aufgaben sind sehr unterschiedlich, basieren aber immer auf zwei oder drei Schulfächern und jede beinhaltet eine besondere Schwierigkeit.“ Ein Raunen aus Stöhnen, Freuderufe und Diskussionen ging durch die Klasse. Ich sah gegen diese Gruppenarbeit schon eine Weile an. Mit einem dieser infantilen Idioten zusammenarbeiten zu müssen, versprach regelrecht Ärger. Normalerweise ignorierte ich Gruppenarbeiten. Doch diese war ein wesentlicher Bestandteil der Note. Also war ich zu einem Teil von dem Anderen abhängig. Und das schmeckte mir gar nicht. Ich schielte zu Tsuki hinüber. Vom Verhalten her wäre er sicherlich der angenehmste Partner, über seine Schulnoten wusste ich allerdings nichts. Wahrscheinlich bildeten wir die Gruppen sowieso nicht selbst. „Ruhe!“, rief Miss Zedama nochmals. „Eine solche fächerübergreifende Arbeit findet dieses Jahr nicht zum ersten Mal statt. Bisher haben alle Methoden der Gruppenbildung nicht die erhofften Ergebnisse gebracht. Deshalb hat sich das Kollegium entschieden, ein Computerprogramm anzuschaffen, dass diese Aufgabe übernimmt.“ Laute Protestschreie brachen aus. Ganz vorne mit dabei: Yugis Kindergarten, wie sollte es auch anders sein. Miss Zedama wartete bis wieder Ruhe eingekehrt war. „Dieses Programm basiert auf dem gleichen System wie Tests zur Partnersuchen. Es vergleicht persönliche Eigenschaften und Interessen und bestimmt danach einen Gruppenpartner. Außerdem gibt es Aufgabenvorschläge, aber die werde ich wahrscheinlich noch mal überarbeiten müssen, da nicht alle Teilaufgaben zueinander passen. Habt ihr bis hierhin noch Fragen?“ Yugis kleine Freundin meldete sich. „Nach welchen Kriterien wird denn der Partner bestimmt?“ „Bisher sind nur zwei Kriterien vorgegeben. Charaktereigenschaften und Interessen, insbesondere schulische. Den restlichen Test werden wir gemeinsam entwerfen“, erklärte Miss Zedama. Die Klasse brach in Jubelgeschrei aus und sofort schossen mehrere Hände in die Luft, um Vorschläge zu machen. Desinteressiert wendete ich mich dem Fenster zu. Dieser Test konnte nur lächerlich werden, wenn unsere Klasse ihn entwarf. Meine Gedanken schweiften zu der Sitzung mit den Führungskräften meiner Marketingabteilung ab, die für heute Nachmittag angesetzt war. Das würde wieder nervenaufreibend werden. Informatiker hatten auch den Ruf ein Völkchen für sich zu sein, aber mit denen kam ich besser klar, als mit dem Typ Mensch aus dem ein Großteil meiner Marketingabteilung bestand. Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als Miss Zedama Tsuki drannahm. Ich hob eine Augenbraue. Er wollte sich nicht wirklich an diesem Kinderkram beteiligen?! „Ich denke nicht, dass wir das Geschlecht als Kriterium aufnehmen sollten“, erklärte er. „Das würde das Ergebnis meiner Meinung nach nur verzerren, da das Programm wahrscheinlich erst mal gemischtgeschlechtliche Gruppe bilden würde. Und das ist nicht Sinn der Sache, wenn die Gruppen vordergründig nach Charakter und Interessen gebildet werden sollen. Außerdem, finde ich, ist es bestimmt ganz interessant zu erfahren, zu wem man aus der Klasse am besten passt.“ Während in der Klasse zustimmendes Gemurmel ausbrach, zwinkerte Tsuki mir grinsend zu. Was sollte das? Ich wendete mich wieder ab. Auf gar keinen Fall sollte er sehen, wie verwirrt er mich hatte. Schon allein die Tatsache, dass er es hatte, war kaum zu dulden. Wollte er einfach nur mit mir in eine Gruppe oder war das eine Anmache gewesen? Ich war versucht, die Hände vorm Kopf zusammen zu schlagen. Was dachte ich da für einen Mist?! Ich verdrängte den Gedanken. Es war nicht vertiefungswürdig. „Hey Seto“, murmelte Tsuki plötzlich. Es war ungewohnt, dass mich jemand außer Mokuba mit meinem Vornamen ansprach. Unangenehm war es nicht. „Denkst du man kann das Programm manipulieren?“ Mit genügend Zeit konnte man alle Programme manipulieren. Aber warum fragte er? „Wieso willst du das wissen?“ Er blinzelte überrascht. „Weil ich eigentlich nur zugestimmt habe, um mit dir zusammenzuarbeiten. Dass du deine Klassenkameraden nicht sehr schätzt, hab ich ja mitbekommen.“ Mit anderen Worten er hatte der Gruppenarbeit nur zugestimmt, damit ich nicht mit irgendeinem Trottel aus meiner Klasse zusammenarbeiten musste. Warum machte er sich meinetwegen so eine Arbeit? Ich verstand es nicht. Um nicht weiter darüber nachzudenken, konzentrierte ich mich auf meine Antwort: „Man kann jedes Programm manipulieren. Die Schule wird allerdings kein simples Programm gekauft haben, dass die Gruppen nur auf Grundlage von Gemeinsamkeiten bestimmt. Es wird auch auf ergänzende Zusammenstellungen programmiert sein. Es ist schwer zu sagen, mit welchem Faktor die beiden Komponenten das Ergebnis bestimmen.“ Tsuki wirkte geknickt. Und in mir kam wieder ein Schuldgefühl auf. Ich verdrängte es sofort. Was konnte ich dafür, dass er sich entschloss, mir einen Gefallen zu tun. „Aber es ist eine fächerübergreifende Aufgabe. Einige Fächer schließen sich doch aus, oder nicht?“, fragte er hoffnungsvoll. „Die Aufgaben scheinen sehr flexibel zu sein. Diese Gruppenarbeit ist seit drei Jahren verbindlich. Dabei sind schon die lächerlichsten Aufgabenstellungen zustande gekommen. Letztes Jahr hatte eine Gruppe die Teilaufgabe Sauerstoff unter Bezug des atomaren Aufbaus, der Eigenschaften und der Bedeutung für den Menschen musikalische darzustellen.“ Mokuba hatte mir das erzählt. Ich hatte mir die Ergebnisse der Gruppenarbeiten, die jedes Jahr im Aufenthaltsraum aufgehängt wurden, noch nie angesehen. Es interessierte mich einfach nicht. „Das ist nicht dein Ernst“, murmelte Tsuki. Entsetzen lag in seinem Blick. „Seh ich so aus, als würde ich Witze machen?!“, fragte ich sarkastisch. „Na großartig.“ Allerdings. *** Der Test war lächerlich. Es war nicht anders zu erwarten gewesen. Name: Kaiba Seto Alter: 18 Kreuzen Sie die drei Charaktereigenschaften an, die sie am besten beschreiben! Ich blickte auf die Auswahl und schüttelte innerlich den Kopf. Das war total oberflächlich. Einen Moment überlegte ich unehrlich zu sein, entschloss mich aber dagegen. Diese Daten würden niemanden in die Finger fallen, der sie gegen mich verwenden konnte. Schließlich hatte Miss Zedama mich, aus Gründen des Datenschutzes, dazu eingeteilt die Testbögen zu löschen, nachdem jeder einen Partner hatte. Letztendlich markierte ich: Selbstbewusst. Fleißig. Introvertiert. Wie teamfähig sind Sie? Markieren Sie auf der Skala! Die Markierung landete sehr nah an dem Ende der Skala, das mit „Wenig“ beschriftet war. Ich hatte es nicht nötig, mit irgendwem zusammenzuarbeiten. Kreuzen Sie einen schulischen Themenbereich an, der Sie interessiert. Wenn gewünscht, tragen Sie ein bestimmtes Schulfach ein. Sprachen. Einen Moment hatte ich überlegt, die Naturwissenschaften zu nehmen, hatte es mir bei dem Gedanken an die musikalische Beschreibung von Sauerstoff aber anders überlegt. Letztendlich war es egal. Ich war in jedem Fach gut und zu jedem Fach konnte es lächerliche Aufgaben geben. Welchen Beruf wollen Sie später ergreifen? CEO. Nennen Sie Ihre drei Lieblingshobbys! Musik hören. Lesen. Programmieren. Was ist Ihr Lieblingstier? Bis hierhin waren die Fragen akzeptabel gewesen. Aber ganz ehrlich, wie sollte ein Lieblingstier dazu beitragen, den richtigen Partner für ein schulisches Projekt zu finden? Würden jetzt die Hundeliebhaber eine Gruppe bilden, oder wie stellten sie sich das vor? Diese dämliche Frage konnte auch nur von jemandem aus unsere Klasse kommen. Wieder war ich versucht, mir etwas auszudenken, ließ es aber bleiben. Wer wusste schon, wie diese Frage gewichtet wurde, und was für seltsame Tierliebhaber es in diesem Kindergarten gab. Katze. Was trinken Sie am liebsten? Kaffee. Das war einfach beantwortet. Aber die Frage war ... ohne Worte. Was ist Ihre Lieblingssüßigkeit? Langsam bekam ich das Gefühl nach Beendigung dieses Tests würde mir die Sprache eine Weile fehlen. Das hier war der totale Nonsens. Ich sah einfach keinen Zusammenhang zum Zweck dieses Fragenbogens. Und das sollte etwas heißen. Wenn es Zusammenhänge gab, dann erkannte ich sie auch. Ganz von der Lächerlichkeit der Frage abgesehen: Ich mochte keine Süßigkeiten. Von Zartbitterschokolade vielleicht abgesehen. Aber die aß ich auch nur, weil sie herb schmeckte. Mit anderen Worten: nicht süß. Zartbitterschokolade. Wunschpartner: Aozora Tsuki Die letzte Frage war definitiv die beste. Ich klickte auf Fertigstellen und lehnte mich seufzend im Stuhl zurück. Die Lehne drückte mir unangenehm in den Rücken. Ich sollte mich wirklich bei der Schulleitung beschweren, damit endlich neue Stühle angeschafft wurden. Mit etwas Glück konnte Mokuba dann noch davon profitieren. „Und was meinst du?“, fragte Tsuki. Ich spürte, dass er mich wieder einmal musterte. „Ich bin von Idioten umgeben!“, antworte ich nur und begann schon einmal einen Plan zu entwerfen, wie ich diesen Gruppenpartner am besten einschüchtern konnte, damit meine Note nicht in den Keller sank. Tsuki lachte leise. „Ich gebe dir recht, der Fragebogen trotzte nur so vor Intelligenz und Angemessenheit. Aber vielleicht haben wir ja Glück.“ „Das glaub ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen sehe.“ „Sind alle fertig?“, fragte Miss Zedama. Niemand verneinte. „Gut. Dann müssen wir jetzt einen Moment warten. Bevor das am Ende der Stunde untergeht: Die Hausaufgabe zur nächsten Stunde ist es, euch ein Konzept zu überlegen, wie ihr die Aufgaben bearbeiten wollt. Natürlich könnt ihr die Teilaufgaben untereinander aufteilen, aber ich möchte, dass ihr gemeinsam Vorüberlegungen zum Thema macht. Fragen dazu? Nein?! Gut.“ Sie setzte sich wieder an ihren Computer. Kurz runzelte sie die Stirn. Dann nahm sie ein Blatt Papier und begann zu schreiben. „Tsuki“, rief sie wenig später auf. „Wenn ich anfange zu grinsen, ist alles prima“, murmelte er, während er aufstand, „ansonsten, ... werde ich mich nachher beschweren.“ Er zwinkerte mir zu. In meinen Ohren klang das wie eine Drohung. Vielleicht war es das auch. Ich beobachtete, wie er nach vorne ging. Miss Zedama überreichte ihm den Zettel und Tsuki warf sofort einen Blick darauf. Von Grinsen konnte keine Rede sein. Er strahlte geradezu übers ganze Gesicht. Ich entspannte mich. Damit konnte ich leben. „Yes“, rief er aus und führte einen kleinen Freudentanz auf. Normalerweise hätte ich das als kindisch und lächerlich bezeichnet, aber er sah dabei ... verdammt gut aus. Seine Bewegungen waren fließend und elegant. Er wirkte regelrecht verboten erwachsen. In seinen Augen funkelten Glück und Triumpf um die Wette. ... Und das alles meinetwegen? ... Ein warmes Gefühl durchlief meinen Körper. Kapitel 4: Freund ----------------- Kapitel 4: Freund Miss Zedama räusperte sich. „Tsuki.“ „‘Schuldigung! Kommt nicht wieder vor!“, flötete er gutgelaunt. „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ Fäuste knallten auf den Tisch. Im nächsten Moment sprang der Köter wutentbrannt auf. „Miss Zedama, das ist nicht fair!“ „Falls du es noch nicht mitbekommen haben solltest, dieser Test bestimmt die Partner nicht danach, wer wem am häufigsten auf den Arsch gestarrt hat“ , erklärte Tsuki in einer seltsamen Mischung aus Überheblichkeit und Missmut. „ Wenn es so wäre, da gebe ich dir recht, hättest du natürlich die besten Chancen gehabt.“ Wie bitte? Wheeler hatte mir ... Warum hatte ich das nicht bemerkt? Vielleicht war ich zu beschäftigt damit gewesen, ihn zu ignorieren, dass ich auch das nicht realisiert hatte. Was erlaubte er sich überhaupt? „Wie war das?“, fragte er überrumpelt. „Ich denke, du hast mich schon verstanden.“ „Ach ja, ich starr ihm also auf den Arsch?“ „Ja, bei jeder sich bietenden Gelegenheit und das noch nicht mal unauffällig!“ „Und was machst du die ganze Zeit?“ „Du wirst es mir bestimmt gleich sagen.“ „Du tust so, als wäre er viel wichtiger, als er ist. Du versuchst dich die ganze Zeit bei ihm einzuschleimen, weil er reich ist und du Geld brauchst.“ Tsuki starrte ihn einen Moment ungläubig an. „Ach du Schande, jetzt hast du mich aber ertappt“, sagte er ironisch. „Ich bin ja sowas von pleite!“ Fehlte nur noch, dass er sich entsetzt eine Hand vor den Mund schlug. Ich erinnerte mich an die schwarze Zahl auf einem seiner neueren Kontoauszüge und fand seine Ironie schon fast unangebracht gering. Er konnte einen noch so sehr ausschweifenden Lebensstil führen, mittellos wäre er jetzt mit Sicherheit noch nicht. „Aber eigentlich versuchst du mit allen Mitteln, ihn ins Bett zu bekommen“, erklärte Wheeler neunmalklug. Die Ironie schien er völlig überhört zu haben. Einen Moment fragte ich mich, ob meine Wahrnehmung total abgestumpft war. Nein. Der Streuner war der Trottel. Tsukis spöttisches, schallendes Lachen bestätigte mich in meiner Meinung. „Wenn ich wirklich mit allen Mitteln versuchen würde, mit ihm zu schlafen, dann hätte ich das schon getan!“ Einen Augenblick herrschte Stille. Wheeler starrte Tsuki perplex an. Und der Rest der Klasse hatte wohl die wildesten Fantasien, welche Mittel er meinen könnte. Zu meiner Schande musste ich mir eingestehen, dass es mir genauso ging. Auch wenn es absolut irrelevant war und auch niemals relevant sein würde, fragte ich mich wie Tsuki dachte, mich ins Bett bekommen zu können. „Das glaubst du doch selbst nicht“, brachte Wheeler irgendwann hervor. „Oh doch!“ Das klang überzeugt. Betrachtete man das, was ich bis jetzt über ihn gehört hatte und was ich täglich selbst erlebte, gab es tatsächlich etliche Gründe dafür. „Und warum hängst du dann an seinen Lippen, als würde er Gold labern? Hä?“ „Wo-oh, Moment mal. Verdreh hier keine Tatsachen. Du warst es, der am Dienstagmorgen förmlich an seinen Lippen klebte.“ Was – zum Teufel – tat – er da? Er stellte mich bloß. Es hatte nie jemand davon erfahren sollen, was genau am Dienstagmorgen passiert war. Meinem Ruf schadete die Aktion so schon genug. Ganz toll. Der Köter sah ihn aus großen Augen an. „Woher weißt du das? Der reiche Pinkel hat es dir bestimmt nicht erzählt.“ „Nein, das hat er nicht. Das war auch nicht nötig. Ich kann eins und eins zusammenzählen. Im Gegensatz zu dir. Dir scheint gar nicht in den Sinn zu kommen, dass ich ihn einfach gerne mag. Du bist der Meinung, man kann ihn entweder hassen oder lieben. Nein, was red‘ ich denn da. Am besten noch beides gleichzeitig. Einen Kuss nehmen und ihm ein Erlebnis geben, das vergleichbar damit ist, einen Aschenbecher auszulecken. Prima. Du bist so –“ Ehe sich Tsuki noch weiter in Rage reden konnte, unterbrach Miss Zedama ihn – was wahrscheinlich auch gut für mich war: „Tsuki, das reicht. Setz dich hin.“ Murrend tat er wie geheißen. Neben mir ließ er sich auf seinen Stuhl plumpsen. Er murmelte ununterbrochen vor sich hin. Ich verstand kein Wort, aber es war unverkennbar, dass es keine Freundlichkeiten waren. „Seto, stimmt es, dass ein Kuss von Joey dafür verantwortlich war, dass du dich übergeben musstest?“, wendete sich Miss Zedama nun an mich. Na herrlich. War das erniedrigend. Schon fast so sehr, wie die Tatsache selbst, dass ich brechen musste, nachdem Wheeler mich geküsst hatte. Es machte mich lächerlich. Kaiba Seto kotzt nach einem Kuss von einem Raucher. Wie hörte sich das denn an. Grotesk. Aber das eigentlich der Pfefferminzgeschmack der Auslöser gewesen war, würde ich bestimmt nicht zugeben, das würde nur zu noch demütigeren Fragen führen. „Ja“, antwortete ich. „Tsukis Vergleich erscheint mir ziemlich treffend.“ Miss Zedama zog missmutig die Augenbrauen zusammen. „Mister Wheeler, auf ein Wort! Vor die Tür.“ Das war schon einmal etwas. Anschiss von oben. Vielleicht würde er ja einen Verweis bekommen. Möglicherweise sogar zwei. Rauchen war an der Schule schließlich verboten. Obwohl sie ihm meines Wissens nicht nachweisen konnten, dass er auf den Schulgelände geraucht hatte. Befriedigend war es allerdings keinesfalls. „Was sollte das?“, zischte ich meinen Sitznachbarn an, als Miss Zedama und der Köter den Raum verlassen hatten. Tsuki unterbrach sein Gemurmel. Aus großen Augen schaute er mich an. Er schien erst jetzt zu begreifen, was er getan hatte. „Tut mir Leid“, antwortete er. „Ich hab einfach gekontert und nicht nachgedacht. Ich wollte dich nicht bloßstellen.“ „Mach das nicht wieder!“, forderte ich, obwohl mich seine Worte besänftigt hatten. Aus irgendeinem Grund war es eine Erleichterung, dass er es nicht mit Absicht getan hatte. Es ärgerte mich, dass er mich in einem solchen Maß beeinflussen konnte. Zudem verstand ich nicht, warum ihm das gelang. Was schlechte Voraussetzungen waren, um etwas dagegen zu tun. In diesem Moment schien mich aber auch das nicht zu stören. Ich nahm Tsuki den Zettel aus der Hand. Er sah mich entschuldigend an, und begann wieder leise zu fluchen. Ich konnte mir nicht erklären, warum er sich so sehr über den Köter aufregte. Die schlechte Laune passte nicht zu ihm. Ich gestand es mir nicht gerne ein, aber irgendwie hatte ich mich an seine Heiterkeit gewöhnt. „Wenn es dir weiterhilft: Die Besenkammer ist rechts am anderen Ende des Flurs.“ Einen Moment sah er mich wieder aus großen Augen an, dann brach er in schallendes Gelächter aus. Jetzt klang er wieder so fröhlich, wie er es häufig war. ... Sollte ich mich darüber freuen, dass ich ihm anscheinend etwas bedeutete? Ich beschloss, es jetzt nicht weiter zu vertiefen, stattdessen besah ich mir die Aufgabenstellung: Gruppe 1: Aozora Tsuki und Kaiba Seto Fächerübergreifend: Sprachen, Kunst, Musik 1. Schreiben Sie aus weiblicher Sicht ein Lied über die Themen Liebe und Eifersucht. 2. Verfassen Sie dazu eine Melodie mit Akkorden. 3. Verbildlichen Sie sowohl Text als auch Musik in einem Werk. ... Ganz großartig. Ich hatte mir die Sprachen ausgesucht. Aus weiblicher Sicht – das war ohne Frage die besondere Schwierigkeit. Wie sollte ich das denn bewerkstelligen? Allein die Aufgabe ein Liebeslied zu schreiben, spottete schon jeglicher Beschreibung. Ich war nie gut darin gewesen, Gefühle auszudrücken. Ein Beziehungsmensch war ich schon gar nicht. Und jetzt sollte ich einen Text über Liebe und Eifersucht schreiben. Umwerfend. Im Grunde genommen konnte das nur in einer Katastrophe enden. Ich sah meine Punktzahl schon regelrecht den Bach runter rattern. Wäre ich der Meinung, es gäbe Wunder, würde ich mir jetzt wahrscheinlich sehnlichst eins herbeisehnen. Aber so ... Warum verweigerte ich nicht gleich die Aufgabe? Weil ein Kaiba Seto in kurzer Zeit niemals zweimal kniff. *** Die Auseinandersetzungen zwischen Tsuki und dem Köter standen von da an auf der Tagesordnung. Ich begriff weder warum Tsuki sich immer wieder darauf einließ, noch warum er dabei regelmäßig seine Kontrolle verlor. Letztendlich war es mir egal. Es war zugegebenermaßen oftmals recht amüsant, dabei zuzusehen und schließlich ging es nicht mehr um mich. Das dachte ich jedenfalls, bis Tsuki in einer Pause plötzlich vor mir stand und mir kleinlaut erklärte, der Köter hätte ihn dazu gebracht, einem Duell zuzustimmen, dessen Gewinner versuchen durfte, mich zu verführen. Im ersten Moment war ich sprachlos. Allein der Wettinhalt war haarsträubend, und dazu kam auch noch, dass Tsuki sich nicht sonderlich für Duell Monsters interessierte. Mir war immer noch schleierhaft, wie er das Duell gegen den Köter gewinnen konnte. Obwohl ich ihm ausführlich die Regeln erläutert hatte, obwohl ich ihm mein Deck geliehen hatte und obwohl Wheeler ein drittklassiger Duellant war, hätte Tsuki logisch betrachtet verlieren müssen. Wahrscheinlich hatten Wheelers Überheblichkeit und sein jämmerliches, auf Glück basierendes Deck Tsuki diesen Sieg geschenkt. Nicht dass es mich störte. Der Köter war unter normalen Umständen schon nervig genug, da musste er nicht auch noch lächerliche Versuche starten, mich zu verführen. Das wäre wirklich enervierend geworden. Tsuki war mir seitdem aus dem Weg gegangen. Er hatte sich nur noch mal für die Umstände entschuldigt und sich für meine Hilfe bedankt, danach hatte er sich mehr oder weniger in seinem Zimmer verbarrikadiert. Ich schätzte, dass er die Sache einfach unter den Tisch fallen lassen würde. So war auch das Problem erledigt. Eigentlich war alles geklärt, was irgendeine Relevanz hatte. Dennoch rekapitulierte ich die Geschehnisse immer und immer wieder, schon seit mehreren Tagen. Meine Wut, übergangen worden zu sein, war sicherlich nicht der Grund. Die hatte sich schon ein paar Stunden nach dem Duell gelegt. Begeistert war ich von den Ereignissen selbstverständlich immer noch nicht, aber es hatte keine schwerwiegenden Konsequenzen gehabt. Also war es unsinnig, Energie darauf zu verschwenden, sich aufzuregen. Zumal ich mir sehr sicher war, dass Tsuki wusste, dass ich von seinem Handeln nicht angetan war, und dass er klug genug war, es nicht wieder zu tun. Es war etwas anderes. Ich fragte mich fortwährend, wie es dazu gekommen war. Wieso es mich interessierte, war mir schleierhaft. Es war nicht wichtig. Die Situation war bereinigt. Das Duell würde keine Folgen haben. Demnach sollte das Thema abgeschlossen sein. Hellwach drehte ich mich auf die andere Seite. Es war kurz nach halb eins. Es wäre wirklich angebrachter zu schlafen, als mir unnötige Gedanken zu machen. Eigentlich. Denn, obwohl das eine Tatsache war, lag ich in meinem Bett und grübelte, warum Tsuki sich auf ein Duell mit diesem Wettinhalt eingelassen hatte. Dachte er, mich beschützen zu müssen, das ich dazu selbst nicht in der Lage war? Lag ihm mehr an mir, als ich bisher gedacht hatte? Oder war das seine Art, mich zu ärgern? Über seine Andeutungen, dass ich ihm etwas bedeutete, hatte ich ebenfalls nachgedacht, aber ich konnte nicht einordnen, ob es sein Ernst gewesen war. Ich fand schlicht keine Antwort. Egal, wie sehr ich sein Verhalten mir gegenüber unter die Lupe nahm, ich fand keine Beweise für irgendeine Theorie. Ich verstand ihn nicht. Nachdem mehrere Versuche, das Thema zu verdrängen und einzuschlafen, scheiterten, beschloss ich aufzustehen. Ich ging in mein kleines Fernsehzimmer hinüber. Vielleicht würde ich so auf andere Gedanken kommen und einschlafen können. Den Fernseher und Verstärker angemacht, streckte ich mich auf der einen Seite des L-Förmigen Sofas aus und begann durch die Programme zu schalten. *** „Kannst du nicht schlafen?“ Es fehlte nicht viel und ich wäre zusammen gezuckt. Was tat er hier? Da wollte ich ihn und sein nicht nachvollziehbares Verhalten aus meinem Kopf vertreiben, und er tauchte auf. Toll. „Nein.“ „Kann ich dir irgendwie helfen?“ Ohne auf eine Antwort zu warten, kam er um das Sofa herum und ließ sich neben mir nieder. Ja, in dem du verschwindest. „Nein.“ Er seufzte. „Ist es wegen des Duells?“ „Ist was wegen des Duells?“ Ich versuchte, mich auf den Fernseher zu konzentrieren. Gelingen wollte es mir nicht. „Dass du nicht schlafen kannst.“ „Nein.“ Gut, das war gelogen. Aber egal. Hauptsache er ging wieder. „Du bist sauer auf mich wegen des Wettinhalts. Hör zu, ich wollte nur helfen –“ „Was ist so schwer daran zu begreifen, dass ich alleine klar komme. Ich kann mich selbst verteidigen. Ich brauche keinen Babysitter, der jeden Konflikt für mich ausfechtet.“ Das erste Mal an diesem Abend sah ich ihn an. Seine Haare waren etwas zerzaust und einige Strähnen hingen ihm im Gesicht. Er trug ein einfaches T-Shirt und eine Jogginghose. Die grünen Augen blickten mich entschuldigend an. Er wirkte niedergeschlagen, bedrückt. Sein Anblick milderte meine Wut, auch wenn ich nicht wusste warum. „Das weiß ich. Ich kann verstehen, dass du nicht gut auf mich zu sprechen bist. Es ist mir auch klar, dass die Aktion absolut unnötig und unüberlegt war. Es ist nur so, dass –“ Es war das erste Mal, seitdem ich Tsuki kannte, dass er von sich aus einen Satz abbrach. Ich kam meiner Antwort näher. Auch wenn es untypisch für mich war, neugierig zu sein, sah ich darin im Moment die beste Möglichkeit, heute noch zu Schlaf zu kommen. Und seltsamerweise interessierte es mich wirklich. Aus irgendeinem Grund konnte ich nicht genug über ihn erfahren. Wahrscheinlich weil es mir missfiel, ihn nicht durchschauen zu können. „Ich höre“, antwortete ich, bemüht emotionslos zu klingen. Tsuki lächelte traurig. „Ich habe in den letzten Jahren einige Menschen verloren, die mir sehr am Herzen lagen. Jetzt hab ich Angst, dass du der Nächste bist. Ich weiß, dass sie ziemlich unbegründet ist, besonders, wenn es um jemanden wie Wheeler Joey geht – er hat zwar ne große Klappe und handelt des Öfteren unüberlegt, aber im Grunde will er dich nicht verletzten. Wahrscheinlich wirst du sogar besser mit ihm fertig als ich. Jedenfalls weckt diese Angst meinen Beschützerinstinkt, wenn auch nur die geringste Gefahr besteht, dass dich jemand verletzten könnte. Es tut mir Leid, dass ich dir dadurch schon mehrmals auf die Füße getreten bin.“ Kurzgesagt: Er empfand bei der kleinsten Gefahr eine irrationale Angst, jemand könnte mich verletzen. Ich musste gestehen, mit derartigen hatte ich nicht gerechnet. Ich wusste nicht warum, aber ich glaubte ihm. Auch wenn es absurd klang, dass jemand mich dermaßen mochte. Es verwirrte mich regelrecht, dass ich ihm anscheinend so wichtig war. Ich konnte nicht nachvollziehen warum. Davon abgesehen wusste ich nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich war nicht gut in Dingen, die zwischenmenschliche Beziehungen betrafen. Es war mir auch nie wichtig gewesen, übermäßig Kontakt mit Anderen zu haben. Ich hatte Mokuba, und der verstand mich meistens auch ohne Worte. Jemand anderen hatte ich in meiner Nähe nie gebraucht. Und jetzt? Änderte sich das? Mit Tsuki. Wollte ich überhaupt eine Änderung? Sacht spürte ich Fingerspitzen an meinem Arm. Wieder fehlte nicht viel und ich wäre zusammengezuckt. Die Berührung war ganz leicht, so als würde er um Erlaubnis fragen, mich anfassen zu dürfen. Die Wärme war angenehm, tröstlich. ... Wie kam ich denn auf den Gedanken? Und warum protestierte ich nicht? Oder entzog ihm zumindest den Arm? „Seto.“ Tsuki legte seine ganze Hand auf meinen Arm. „Ich wollte dich nicht kränken oder dir irgendwie den Eindruck vermitteln, ich zweifele an deinen Fähigkeiten. Ich hatte Angst und ich verspreche dir, ich werde mich bemühen, sie zu unterdrücken, aber gebe mir bitte die Chance, ein Freund zu sein.“ „Warum?“ Ehe ich mich zurückhalten konnte, war die ganze Frage heraus. „Warum magst du mich?“ Er blinzelte überrascht. „Ist das ein Verbrechen?“ „Nein, wenn es ehrlich ist nicht.“ Ich fragte mich, warum ich ihm das erzählte. Weil ich Ehrlichkeit schätzte? „Es ist ehrlich, glaub mir.“ Tsuki lächelte leicht. Er drückte leicht meinen Arm und zog seine Hand zurück. Ich strafte mich für den Gedanken, aber ich vermisste die Wärme schon jetzt. „Auch wenn ich nicht genau sagen kann warum. Als ich dich kennenlernte, hast du mich unglaublich fasziniert. Obwohl du dich in einer so ... unkomfortabelen Situation befandest, hast du immer noch eine gewisse Stärke und Souveränität ausgestrahlt. Und je besser ich dich kennenlernte, desto mehr hab ich dich ins Herz geschlossen. Ich bewundere es, wie du es schaffst eine gewisse Distanz zwischen dich und Geschehnisse zu bringen, sodass du die Dinge relativ objektiv beurteilen kannst. Ich mag deinen Humor, deine Ehrlichkeit und Fairness. Ich mag, dass du mich immer wieder überraschst und dass ich dich nicht richtig durchschauen kann. Ich hab einfach den Menschen Kaiba Seto gern!“ Ich gab es nicht gerne zu, aber seine Worte schmeichelten mir. Ich wollte sie gern glauben, aber ich sträubte mich dagegen. Ein gewisses Maß an Misstrauen war mir angeboren. Ich war mir nicht sicher, ob er mich vielleicht belog. „Warum bist du so gut in deinem Beruf?“, fragte ich deshalb. Tsuki sah mich verwirrt an. Er durchschaute die Frage nicht. Ein wenig legte sich das Misstrauen. „Ich denke, weil ich eine gute Menschenkenntnis habe“, antwortete er, obwohl er den Zusammenhang nicht verstand. „Ich erfasse schnell, was für Wünsche mein Gegenüber hat und bin gut darin, sie zu erfüllen.“ Er stockte. „Oh nein. Du irrst dich, wenn du denkst, ich hätte dir nur das erzählt, von dem ich glaube, dass du es hören willst. Ich weiß nicht mal, was das ist. Ich durchschaue dich nicht, und selbst wenn ich es tät, hätte ich dir genau dasselbe gesagt“, endete er energisch. Ich glaubte ihm. Er war zwar ein guter Schauspieler, aber das traute ich ihm nicht zu. Ganz zu schweigen davon, dass er nicht der Typ dafür war, jemanden so zu belügen. So gut kannte ich ihn dann doch. Nun stellte sich ernsthaft die Frage, ob ich sein Freund sein wollte. Ich war mir unsicher. Bisher hatte ich nie das Bedürfnis gehabt, Freunde zu haben. Ich kam auch ohne zurecht – und das sehr gut. Aber bewies nicht allein die Tatsache, dass ich überhaupt über die Frage nachdachte, dass ich ihm ein bestimmtes Vertrauen entgegenbrachte und mir die Freundschaft ebenfalls wünschte? Mokuba sagte immer wieder, dass ich mehr auf mein Herz hören sollte, nicht nur auf meinen Verstand. Bislang hatte ich das für lächerlich gehalten. Das Herz sprach nicht und rational begründete Entscheidungen treffen, konnte es erst recht nicht. Dennoch hatte ich jetzt zum ersten Mal das Gefühl, diesen Ausspruch zu verstehen. Ich konnte nicht begründen, warum eine Freundschaft gut sein könnte, aber ich spürte, dass sie mein Wunsch war. „Du bekommst deine Chance.“ Tsuki strahlte über das ganze Gesicht. Ich begann zu ahnen, dass es das Richtige gewesen war. Nicht nur für ihn. Kapitel 5: Eifersucht --------------------- Kapitel 5: Eifersucht Kaum hatte ich die Villa betreten, tauchte Tsuki vor mir auf. Als hätte er auf mich gewartet. „Hey, zieh nicht so ein Gesicht. Du solltest dich glücklich schätzen: Du hast den beliebtesten Callboy Dominos ganz für dich allein und musst nicht mal dafür bezahlen.“ Tsuki zwinkerte mir lächelnd zu. „Was für eine seltsame Begrüßung“, erwiderte ich. Zugegebenermaßen etwas irritiert. Aber wer wollte es mir verübeln? „Tja, damit musst du rechnen, wenn du nach Hause kommst und dreinblickst, wie drei Tage Regenwetter. Da fühle ich mich verpflichtet, dich etwas aufzumuntern.“ „Erstens: Ich schau immer so, wenn etwas in der Firma nicht so läuft, wie es sollte“, bestimmte ich, „und zweitens: Das nennst du eine Aufmunterung?!“ Sobald ich meine Schuhe ausgezogen hatte, griff er nach meiner rechten Hand und zog mich mit sich. Überrumpelt folgte ich ihm. „Erstens: Zu Hause solltest du nicht an die Firma denken. Was zweitens betrifft: Viele würden sich über diese Tatsachenlage freuen. Außerdem hab ich für dich gekocht.“ Tsuki grinste wie ein Honigkuchenpferd. Abrupt blieb ich stehen. Er sah mich verwirrt an. „Ich bin nicht ‚Viele‘ und das klingt wie eine Drohung.“ Daraufhin verzog er das Gesicht. „Mokuba hat es geschmeckt“, erklärte er und lief um mich herum. Im nächsten Moment spürte ich seine warmen Hände auf meinem Rücken. Sie drückten mich sanft weiter in Richtung Küche. „Probier wenigstens.“ Ich gab es auf, zu wiedersprechen. *** Musik drang an meine Ohren. Etwas recht Schweres lag auf meinem Bauch. Schläfrig öffnete ich die Augen. Ich blinzelte mehrmals. Vom Fernseher kam etwas Licht. Ich blickte an mir hinunter. Es war nur Tsuki. Sein Kopf lag auf meinem Bauch, ein Arm quer über meiner Brust. Beruhigt schloss ich wieder die Augen, genoss die Wärme, die sein Körper ausstrahlte und schlief schnell wieder ein. *** Mit der Zeit hatte sich zwischen mir und Tsuki etwas verändert. Ich vertraute ihm. So sehr wie ansonsten nur Mokuba. Schläfrig hatte auch mein Unterbewusstsein ihn nicht als Bedrohung eingestuft, trotz meiner Berührungsängste. Ich wusste nicht, wie es dazu gekommen war. Wir hatten uns abends oftmals noch im Fernsehzimmer getroffen. Manchmal war auch Mokuba dazu gekommen. Mal spielten wir etwas, ein andermal schaute wir fern oder einen Film, aber meistens redeten wir nur, beziehungsweise Tsuki redete. Ich hörte zu, stellte Fragen. Es störte ihn nicht, dass ich nicht gerne über mich sprach. Er akzeptierte den nur kleinen Grad, den ich mich ihm öffnete. Nach jedem Gespräch hatte ich das Gefühl, ihn ein bisschen besser zu kennen. Langsam begann ich, ihn zu verstehen. Tsuki erlaubte mir einen Einblick in sein Leben, der das bei weitem übertraf, was ich über ihn erfahren hatte, als ich mir seine Kontoauszüge und Kassenbons sowie den Testbogen der Partnerbestimmung angesehen hatte – letzteren zugegebenermaßen unerlaubt. Er sprach recht offen über seinen Job – die Probleme und Unannehmlichkeiten, die er teilweise hatte, obwohl er seine Klienten selbst bestimmen konnte. Genauso erklärte er mir die Regeln, die er für sich selbst aufgestellt hatte, was beruflichen Sex betraf. Nur über seine Eltern erzählte er wenig, er sagte, der Verlust täte ihm immer noch weh. Das glaubte ich ihm. Mir ging es auch nicht viel anders, auch wenn ich mir wünschte, dass es anders wäre. Mit den Abenden hatte sich auch der Körperkontakt intensiviert. Am Anfang war mir das noch unangenehm gewesen. Ich wusste, dass Tsuki mir nicht wehtun würde. Aber meine Berührungsängste begründeten sich nicht in meinem Verstand. Was auch immer der Auslöser für sie war, gegenüber Tsuki traten sie immer wenig auf. Vertrauen schien sich aufzubauen, nicht nur vom Kopf aus. Und ich genoss es, wann immer er da war. Ich seufzte leise und rieb mir die Augen. Meine Gedanken schweiften regelmäßig zu ihm ab. Ich schaffte kaum noch etwas. Es ärgerte mich. Ich steckte so schon in einer schwierigen Lage, da konnte ich es mir am allerwenigsten erlauben, nicht voll bei der Sache zu sein. Inzwischen war ich froh, dass der Geschäftspartner, mit dem ich für diese Zeit einen Termin ausgemacht hatte, abgesagt hatte. Ich gestand es mir nicht gerne ein, aber ich hätte mich wahrscheinlich nicht richtig konzentrieren können. Vielleicht würde ein Kaffee helfen. Als ich auf dem Weg in die Küche durch die langen Gänge der Villa lief, erschienen sie mir kahl und freundlos. Es war unsinnig. Was erwartete ich? Bunte Farbklekse, irgendwelche verrückten Muster? Ich schüttelte den Kopf. Nur im Gegensatz zu Tsukis ständiger Heiterkeit, konnte eine schlichte, aber warme Farbwahl trostlos erscheinen. Ich schüttelte innerlich den Kopf. Ich sollte zusehen, dass ich Tsuki aus meinem Kopf bekam. Warum auch immer er überhaupt dort war. Mokuba versuchte gerade die Kakaopulverdose aus einem der oberen Schränke zu holen, als ich eintrat. „Hilfst du mir mal“, bat er. Ich gab ihm die Dose. Während er großzügig Kakaopulver in seinen Becher mit Milch schaufelte, setzte ich Wasser auf und holte mir einen Becher aus dem Schrank. „Es ist schön, dass du zu Hause bist, großer Bruder!“ Mokuba schob seinen Kakao in die Mikrowelle. Für einen Moment hielt ich inne. Der Teebeutel baumelte in meiner Hand. Hatte ich ihm für heute irgendetwas versprochen? Nein. Also worauf wollte er mich aufmerksam machen. Ich ignorierte das Wissen, dass er irgendeinen Hintergedanken hatte, als ich antwortete. „Ich arbeitete freitagnachmittags schon eine Weile zu Hause.“ „Ja, aber du bist da. Und wann immer du Feierabend machst, bist du gleich bei mir.“ Das war der zweite Wink mit dem Zaunpfahl. „Mokuba, was willst du?“ „Seit wann trinkst du Tee bei der Arbeit?“, stellte er die Gegenfrage. Er schien nicht vom Thema abweichen wollen. Die Tatsache verwunderte ihn wohl. Mich auch. Für einen Augenblick starrte ich nur das dampfende Gebräu in meiner Tasse an. Ich hatte Kaffee machen wollen, also warum jetzt der Tee. Ich sah auf das Etikett. Tsukis Tee. Der, den er uns manchmal abends machte. Innerlich schüttelte ich den Kopf. Das war doch wohl nicht wahr. Ich hatte nicht mal bewusst realisiert, was ich da tat. „Ich hatte einfach Lust auf eine Tasse“, antwortete ich Mokuba, wusste aber selbst sehr genau, dass es nicht die ganze Wahrheit war. Auch wenn mir nicht klar war, was diese Wahrheit war. „Oh. Ach so.“ Mehr sagte er nicht. Gut, jetzt wollte er mir ausweichen. Also wiederholte ich meine Frage. Mokuba beobachtete interessiert die Anzeige der Mikrowelle. Ich rührte zwei Löffel Zucker in meinen Tee und wartete. Er würde es mir schon sagen. Ich behielt Recht. „Ähm Seto“ Er blickte mich aus großen Augen bittend an. Es war nicht sein Bettelblick. „Darf ich mich heute Abend zu Tsuki und dir setzen?“ Ich hob verwundert eine Augenbraue. „Natürlich.“ „Ehrlich? Ich stör euch nicht?“ „Nein, du störst nicht.“ Nun strahlte er übers ganze Gesicht. Ich fragte mich einen Moment, wie er überhaupt auf die Idee kam, beließ es dann aber dabei. Die Mikrowelle piepte und Mokuba holte seinen Kakao heraus. „Ich frag nachher sicherheitshalber auch Tsuki“, erklärte er, schien aber zuversichtlich. „Nachher?“, fragte ich. „Hm, ja. Er hat im Moment Besuch. Hast du das nicht mitbekommen?“ „Nein. Aber es geht mich auch nichts an.“ Das war wohl so. Dennoch war ich neugierig, mit wem er sich traf. Es interessierte mich auf eine Art und Weise, die ich nicht kannte. Teilweise hatte es mit dem Gefühl einer Bedrohung etwas gemein. „Ich geh wieder auf mein Zimmer“, verkündete Mokuba und verschwand. Ich entsorgte den Teebeutel, und ging zurück in mein Arbeitszimmer. Ich hatte noch einiges vor mir. Ich hatte gerade meinen Becher auf dem Schreibtisch abgestellt, als mein Blick in den Garten fiel. Ich erstarrte. Ein giftiges Gemisch aus Enttäuschung und Wut kochte in mir hoch. Das war doch wohl nicht wahr. ... Was erlaubte er sich? ... Es versetzte meinem Herzen einen Stich. Ich fühlte mich betrogen. Wie paralysiert sah ich aus dem Fenster. Ich hatte keinen Blick für den sorgfältig angelegten Garten. Das Arrangement aus Büschen, Blumen und dem künstlich angelegten Bach, der in dem Teich mündete, hatte keine Bedeutung mehr. Meine Augen klebten an dem Paar, das sich dort, eng verschlungen, miteinander vergnügte. Das rote Haar, die rhythmischen Bewegungen seines Körpers ... ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Ich sah hin, obwohl es weh tat. Hatte er nur mit mir gespielt? War seine Freundschaft nur geheuchelt? Wollte er mich in Wirklichkeit auch nur verletzen? Ich traute es ihm nicht zu oder wollte es ihm nicht zutrauen. Ich konnte keinen Unterschied mehr machen. Plötzlich schaute die Frau mich an. Ihre lustverschleierten Augen blickten zu mir hoch. Mir war bewusst, dass sie mich nicht sehen konnte. Die Scheiben waren verspiegelt. Dennoch war es, als ob sie mir direkt in die Augen sehen würde. In ihrem Gesicht las ich Triumpf zwischen all dem Hochgefühl. Sie warf den Kopf in den Nacken und es wirkte so, als ob sie sich noch stärker an Tsukis Schultern klammerte. Dieses Miststück. Am liebsten hätte ich ihr den Hals umgedreht. Sie wusste genau, wo sie es gerade trieb. Das hatte mir ihr Blick verraten. Und Tsuki? Ich wusste es nicht. Aber allein die Tatsache, dass er es sich erlaubte, mitten in meinem Garten Sex zu haben, war unverschämt. Was dachte er sich dabei? Hatte er sein rationales Denkvermögen verloren oder wollte er mir wirklich schaden? Ich fand keine Antwort, aber ich würde es herausfinden, und wäre die Erklärung nicht halbwegs zufriedenstellend, würde er es mir büßen. Egal, was er mir bedeutete. ... Der Gedanke tat weh, aber ich wollte nicht einsehen, dass es so einfach nicht werden würde. Was dieses dreiste Miststück betraf, ich würde sie dafür zur Rechenschaft ziehen. Das würde ich mir nicht gefallen lassen. Irgendwoher kannte ich ihr Gesicht. Ich drehte mich zu meinem Computer herum, um Nachforschungen anzustellen. Mein Blick blieb dabei an meinem aufgeschlagenen Terminkalender hängen. Okami. Richtig. Ich hatte heute Besuch erwartet. Das war ein Anhaltspunkt. Ich begann im näheren Umfeld meines Geschäftspartners zu suchen und wurde schnell fündig. Okami Arina. Seine Tochter. Ich suchte Informationen über sie heraus, nippte dabei immer wieder an meinem Tee, aber nach kurzer Zeit konnte ich mich nicht mehr konzentrieren. Immer wieder tauchte Tsuki in meinen Gedanken auf. „Es wäre mir eine Ehre, Eure Sachen tragen zu dürfen, schönste aller Prinzessinnen!“ Er küsste meine Hand. „Gibt mir die Chance, ein Freund zu sein.“ Er sah mich bittend an. „Ich hab dich in mein Herz geschlossen.“ Er lächelte sanft. „Hey, zieh nicht so ein Gesicht. Du solltest dich glücklich schätzen: Du hast den beliebtesten Callboy Dominos ganz für dich allein und musst nicht mal dafür bezahlen.“ Er zwinkerte mir aufmunternd zu. Ich vergrub frustriert mein Gesicht in den Händen. Mein Kopf war voll von seinem Lachen, voll von irgendwelchen Nettigkeiten, voll von seinem Geruch, einfach voll von ihm. Und ich wusste nicht warum. Genauso wenig konnte ich mir erklären, wieso mir diese Situation so zusetzte. Es tat auf eine Art und Weise weh, die ich nicht verstand. Eine Weile saß ich einfach in meinem Sessel und versuchte Herr über meine Gefühle zu werden. Es gelang mir nicht. Das Gefühlschaos wütete weiter in mir. Es klopfte an der Tür und ich schreckte aus meinen Gedanken auf. Ich vertrieb jegliche Gefühlsregung aus meinem Gesicht. Wenn es mir schon nicht gelang, die Gefühle in meinem Innern zu kontrollieren, so sollten sie zumindest nicht nach draußen dringen. „Herein.“ Nagamo Tomiko trat ein. Sie trug ihre Haare zu einem Zopf zusammen gebunden. Das weiße Haarband hob sich gut von ihrem schwarzen Haar ab. Ihre Kleidung war schlicht und sportlich. So wie bisher jedes Mal, wenn ich sie getroffen hatte. „Guten Tag, Mister Kaiba.“ „Gibt es Neuigkeiten?“, fragte ich ohne Umschweife. Ich wollte das Gespräch so schnell wie möglich über die Bühne bringen. Es behagte mir nicht, über das Geschehene zu sprechen. Die Erinnerungen verfolgten mich danach immer besonders. „Wir sind mit der Spurensicherung in Tsukis Wohnung fertig. Sie war wenig ergiebig. Keine Anzeichen darauf, dass noch jemand dort gewesen ist. Wir haben einige verdächtige Personen auf den Bändern der Überwachungskameras, aber die Überprüfungen haben bisher noch nichts ergeben. Ich habe hier Abzüge, vielleicht erkennen Sie ja jemanden.“ Sie reichte mir eine Mappe mit Überwachungskamerabildern. Ich besah mir ein Gesicht nach dem anderen. Niemand kam mir bekannt vor, bis zum drittletzten Bild. Ein hagerer Mann saß an einem kleinen Tisch in einem Bistrot und trank Kaffee. Sein Gesicht war kantig, aber nicht sehr auffällig. Dennoch war ich mir sicher, ihn schon einmal gesehen zu haben. „Kennen Sie ihn?“, fragte mich Nagamo, die mein Innehalten bemerkt hatte. Ich dachte nach. „Ich habe ihn schon einmal gesehen. Das war auf einer Feierlichkeit. Er gehörte zum Sicherheitspersonal.“ „Wissen Sie noch wo das war und wer die Feier ausgerichtet hat?“ „Plaza Hotel, London. Den Veranstalter kann Ihnen meine Sekretärin mitteilen, aber ich denke nicht, dass es relevant ist. Jemand, der schon einmal mit ihm in der Öffentlichkeit zusammen gearbeitet hat, wird ihn sicherlich nicht für einen Mord angeheuert haben. Die Verbindung wäre viel zu offensichtlich.“ Nein, viel wahrscheinlicher war es, dass jemand bei irgendeinem Event auf den Typen aufmerksam geworden war, und ihn später für seine Pläne angeworben hatte. Aber das grenzte den Kreis der Verdächtigen nicht weiter ein. Ein Mitglied der Highsociety. Das war schon klar gewesen, als herausgekommen war, dass es ein Auftragsmord war. „Das ist wahrscheinlich richtig. Aber ich möchte es gerne ausschließen können.“ Es gab drei Gründe, warum ich mich selbst nicht mit der Suche nach dem Auftraggeber und den Komplizen beschäftigte. Ich wollte die Geschehnisse so wenig wie möglich an mich heran lassen, denn immer wenn ich mich damit beschäftigte, wurden die Alpträume schlimmer und schlimmer. Natürlich war mir bewusst, dass ich nicht ewig wegrennen konnte, aber momentan hatte ich wirklich genug mit der Sicherung des Fortbestehen meiner Firma zu tun, was der zweite Grund war, warum ich die Ermittlungsarbeit der Polizei überließ. Und drittens war ich der Meinung, dass Nagamo kompetent war. Sie machte ihre Arbeit gut – war gründlich, engagiert und hatte ein gutes Gespür sowie einen messerscharfen Verstand. „Ja, natürlich. Ich werde meiner Sekretärin Bescheid geben, dass Sie Ihnen die Information zukommen lässt.“ „Warum ist er Ihnen im Gedächtnis geblieben?“, fragte sie weiter. „Er hatte mit Pegasus eine kleine Auseinandersetzung. Worum es ging, weiß ich nicht. Aber vielleicht erinnert er sich noch.“ „Ich werde mich mit ihm in Verbindung setzen. Danke.“ Sie hielt einen Moment inne. „Ich habe eine Bitte.“ „Ich höre.“ „Wir können Tsukis Wohnung jetzt wieder freigeben, aber es ist leichter hier für seine Sicherheit zu sorgen. So wie ich ihn kenne, würde er sicher bald wieder anfangen zu arbeiten, was die Lage noch schwieriger machen würde. Deswegen wäre es besser, wenn er noch etwas länger hier wohnen könnte.“ Wieder verspürte ich einen Stich. Ich konnte mir nicht erklären, warum es mich so verletzte. Tsuki. Das Thema hatte ich in diesem Gespräch eigentlich vermeiden wollen. Es kostete mich Mühe, nach außen kalt zu bleiben. Über das Chaos in meinem Innern hatte ich kaum Kontrolle. Ich wollte, dass Tsuki blieb. Auch nach der Aktion in meinem Garten. Es tat mir weh und machte mich wütend, aber dennoch wollte ich nicht, dass er ging. Warum konnte ich mir nicht recht erklären. Allerdings wusste ich auch, dass ich das nicht alleine entscheiden konnte. „Meinetwegen kann er das. Aber klären Sie das mit ihm“, antwortete ich also. „Vielen Dank!“ Auch wenn ich es versucht hatte, mir keine Gedanken über mögliche Zusammenhänge zu machen, war es mir nicht ganz gelungen. Mir war eine Idee gekommen. Und mit etwas Glück würde sie mir auch beruflich weiterhelfen. „Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, dass die Anteile an der duell-454 Technologie vielleicht nicht nur ein bloßer Köder war?“ „Ja, aber wir sind auf keine ähnlichen Fälle gestoßen.“ „Was ist wenn jemand nicht nur versucht, seine Konkurrenten aus dem Weg zu schaffen, sondern auch versucht, mit unlauteren Mitteln an weitere Anteile zu kommen.“ „Das wäre möglich. Aber es wäre auffällig, wenn jemand viele Anteile besitzt, deren frühere Eigentümern etwas zugestoßen ist, oder nicht?“, warf Nagamo ein. „Wenn man die Käufe über einen Zwischenhändler abwickelt, und dabei dafür sorgt, dass man nicht der Einzige ist, der solche Anteile erhält, nicht unbedingt. Die meisten Anteilseigner sind nur im Besitz von wenigen Prozenten. Dass ein Unternehmen also eine absolute Mehrheit, allein über den Kauf bei Anteilseignern, erlangt, ist unwahrscheinlich. Letztendlich wird es zu einem Treffen von Firmenvertretern kommen. Und dabei ist es nur wichtig, dass man einen relativ großen Prozentsatz besitzt und auf andere Firmeninhaber seriös wirkt. “ Es würde auf eine Kooperation herauslaufen. Die Anteile gegen eine bestimmte Gewinnbeteiligung. Dabei hatte ich recht gute Karten, da ich schon Erfahrung mit der Produktion von Duellmonster Hologrammen hatte. Mein Problem war, dass ich nicht über einen genügend großen Basisprozentsatz verfügte. 8% waren viel zu wenig. Mit mindestens 25-30% hätte ich vielleicht eine Chance, aber so wie die Sache im Moment lag, erfüllte ich die Voraussetzungen nicht. „Und man kann die Anteile an Firmen verkaufen, von denen man denkt, dass sie am Ende zu einem stehen werden. Damit würde man die Verluste noch weiter reduzieren“, führte Nagamo den Gedanken weiter. „Richtig. Der Plan ist zwar etwas gewagt, aber die Erfolgschancen sind deutlich höher. Ich denke, Sie sollten es zumindest in Erwägung ziehen.“ „Ja, ich werde dem nachgehen. Ich halte Sie weiterhin auf dem Laufenden. Ich werde jetzt mit Tsuki sprechen, vielleicht fällt ihm ja noch etwas ein“, sagte Nagamo und nahm die Mappe mit den Fotos wieder an sich. Mein Hintergedanke schien aufzugehen. Mit etwas Glück bekam ich über die Polizei Informationen über weitere Anteilseigner. Ich nickte. „Schicken Sie ihn bitte zu mir, wenn Sie alles abgeklärt haben.“ „Das mach ich. Auf Wiedersehen!“ „Auf Wiedersehen.“ Ich sank in mich zusammen, als sie gegangen war. Es war nicht einfach, die ganze Zeit der eiskalte Geschäftsmann zu sein. Immer wieder hatte sich der Gedanke an Tsuki aufdrängen wollen. Ich hatte kaum noch Kontrolle darüber. Ich spürte den Schmerz, konnte ihn mir aber nicht erklären. Leise seufzte ich und beschloss, noch einen weiteren Versuch zu starten, es zu verdrängen. Genügend Arbeit hatte ich ja. Es funktionierte nicht. Sobald ich die Maus bewegte, erschien Okami Arinas Foto auf dem Bildschirm und in mir kochte wieder die kalte Wut hoch. Ich verspürte einen nicht gekannten Drang, sie in Stücke zu reißen und danach an irgendwelche Raubtiere zu verfüttern. Sie würde es noch bereuen, versucht zu haben, meinen Ruf und das Arbeitsverhältnis zu ihrem Vater zu zerstören. Sie würde es mir büßen, vor meinem Büro mit Tsuki Sex gehabt zu haben. Ehe ich den Gedanken noch weiter vertiefen konnte, klopfte es abermals an der Tür. Wieder versteinerten sich meine Gesichtszüge. Ich warf einen Blick auf die Uhr und stellte überrascht fest, dass schon eine halbe Stunde vergangen war, seitdem Nagamo mein Büro verlassen hatte. Es war also Tsuki. „Herein.“ Wie erwartet trat Tsuki ein. Sein Blick schweifte durch den Raum. „Du hast ein schönes Büro“, stellte er anerkennend fest. Ich verkniff es mir, zu sagen, dass ich normalerweise auch einen schönen Ausblick in den Garten hatte. Erst wollte ich herausfinden, ob er wusste, wo er es getrieben hatte. „Danke“, erwiderte ich, und kam nicht umher festzustellen, dass seine Meinung mir schmeichelte. Verdammtes Gefühlschaos. „Nein, ich danke dir, dass ich noch etwas bleiben darf.“ Er lächelte mich an und ließ sich in einem der Stühle vor meinem Schreibtisch nieder. Freude breitete sich in mir aus. Jedoch rief ich mich sofort wieder zur Ordnung. Ich wusste nicht, warum er nicht gehen wollte. „Kein Problem“, murmelte ich und klickte energisch die Informationen über Okami Arina weg. Um sie würde ich mich später kümmern. Ihr Anblick entflammt immer wieder meine Wut. Aber ich brauchte jetzt einen halbwegs klaren Kopf. Ich wollte nicht überreagieren. Tsuki sollte für die Aktion bekommen, was er verdiente, was immer das auch war. „Den Typen, der dir bekannt vorkam, hab ich auch schon mehrmals gesehen. Tomiko glaubt, dass er mich beschattet hat. Sie nimmt ihn genauer unter die Lupe. An Auseinandersetzungen mit Geschäftsmännern kann ich mich nicht mehr erinnern, aber ich denk noch mal darüber nach. Manchmal hab ich ein Gedächtnis von zwölf bis mittags.“ Er lächelte verlegen. „Aber an das, was du heute Nachmittag gemacht hast, kannst du dich noch erinnern?“, fragte ich und dankte ihm innerlich für die Vorlage. „Ja, doch.“ Tsuki grinste fröhlich. „Hört sich an, als hättest du Spaß gehabt.“ „Ja, das hab ich. Wie war dein Nachmittag?“ „Suboptimal!“ Darauf hatte ich nur gewartet. „Ich bin zu nichts gekommen. Der Geschäftspartner, mit dem ich verabredet war, hat abgesagt. Letztendlich war das aber ganz gut so“, zählte ich bitter auf. „Warum?“, fragte er neugierig. Sein Interesse war echt. Er schien nicht zu wissen, worauf ich hinaus wollte. „Ich denke, die Frage kannst du dir mit einem Blick aus dem Fenster selbstbeantworten“, gab ich zurück und beobachtete seine Reaktion genau. Er wirkte verunsichert. Ob er ahnte, worauf ich hinaus wollte, konnte ich nicht erkennen. Langsamen Schrittes kam er um meinen Schreibtisch herum, warf mir mehrere fragende Blicke zu. Ich reagierte nicht darauf, drehte mich mit meinem Sessel so, dass ich ihn im Auge behielt. Nach einem Blick aus den großen Panoramafenstern erbleichte er. „Oh, verdammt!“, murmelte er. „So kann man das natürlich auch formulieren“, erwiderte ich ruhig. In meinem Innern brodelte ich regelrecht. Ein Blick in Tsukis Gesicht bestätigte mir, dass er mich inzwischen gut genug kannte, um das zu wissen. „Das war nicht meine Absicht“, erklärte er und sah mich entschuldigend an. Dann senkte er den Kopf. „Was war nicht deine Absicht?“, fragte ich schon etwas lauter nach. „Mit der Tochter meines Geschäftspartner im Garten vor meinem Büro zu schlafen oder in meinem Garten mit irgendwem zu schlafen.“ „Beides nicht. Bei mir hat wohl etwas ausgesetzt, als sie –“ Ich hob ablehnend die Hand. „Danke, nein. Ich denke, ich hab schon mehr Informationen, als mir lieb sind.“ „Tut mir leid, Seto. Ich wollte dir nicht schaden“, sagte er. Noch immer sah er mich nicht an. „Ich mach es wieder gut, versprochen.“ „Du sollst es nicht wieder gut machen, nur dafür sorgen, dass es nicht wieder vorkommt“, sagte ich leicht aufbrausend. Ich hatte mich immer weniger unter Kontrolle. „Wenn du Sex haben willst, bitte. Aber nicht in der Öffentlichkeit meiner Villa. So prüde das auch klingen mag. Nur in deinen Räumlichkeiten und hinter verschlossenen Türen. Ich kann es mir nicht leisten, negative Schlagzeilen zu machen.“ „Verstanden!“, erwiderte er und ging. Bevor er allerdings die Tür schloss, warf er mir noch einen letzten entschuldigenden Blick zu. Und gab mir damit endgültig den Rest. Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Warum fühlte ich mich jetzt schlecht? Ich hatte ihn zu Recht gewiesen. Für meine Verhältnisse sogar noch freundlich. Also warum hatte ich schon wieder Schuldgefühle? Immerhin hatte er mir mit seiner unbedachten Aktion Unrecht getan, nicht anders herum. Ich sollte mir keine Vorwürfe machen. Aber sein Blick hatte mich getroffen. Er gab mir das Gefühl, ihn verletzt zu haben. Das war nicht mein Ziel gewesen. „Seto, was hast du gem ...“ Die Tür war aufgeflogen und Mokuba kam hineingestürmt. Als er mich sah, unterbrach er den Anfang seiner Zurechtweisung. „Oh. Das zweite Häufchen Elend.“ Er schloss die Tür und kam auf mich zu. „Was ist passiert?“, fragte er, während er auf meinen Schoss krabbelte. Aus großen Augen sah er besorgt zu mir hoch. „Tsuki hat im Garten vor meinem Büro mit der Tochter des Geschäftspartners geschlafen, mit dem ich eigentlich verabredet war“, sagte ich nur. „Oh.“ Mokuba schmiegte sich an mich. „Und was ist mit dir?“ Ich schwieg eine Weile. Mokuba sagte nichts weiter, er wartete. So wie ich am frühen Nachmittag gewartete hatte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es war schwer zu formulieren. „Ich weiß nicht genau“, meinte ich irgendwann. „Ich bin enttäuscht. Wütend. Erst auf ihn, jetzt auf mich selbst. ... Von dem Zorn auf dieses Miststück mal ganz abgesehen. Am liebsten würde ich sie durch den Fleischwolf drehen oder sie anderweitig auf qualvolle Weise umbringen. ... Ich fühl mich betrogen. Verraten. ... Es tut weh. Mehr, als ich begründen kann. ... Es ist ein einziges Chaos.“ Mokuba ließ sich mit seiner Antwort Zeit. „Du magst Tsuki sehr, oder?“, fragte er irgendwann vorsichtig. „Hm.“ „Kann es sein, dass du verliebt bist?“ Das klang mehr nach einer Feststellung. „Und eifersüchtig?!“ So ein Unsinn. Wie kam er darauf? Nein. Ich wollte es gar nicht wissen. Ehe ich zum Protestieren ansetzen konnte, fuhr Mokuba fort: „Denk einfach mal darüber nach. Und was das Chaos betrifft, vielleicht hilft es dir, wenn versucht aufzuschreiben, was du empfindest.“ Kapitel 6: Liebe ---------------- Kapitel 6: Liebe Ich dachte nach und ich schrieb auf. Auch wenn ich das am Anfang für schwachsinnig gehalten hatte. Und je mehr ich nachdachte und aufschrieb, desto klarer wurde, dass Mokuba Recht gehabt hatte. Ich war verliebt, in Tsuki. Bitter, aber wahr. Meine Wut auf ihn hatte sich größtenteils gelegt. Ich verstand nicht, warum er es getan hatte, aber ich wusste, dass er dabei nie die Absicht gehabt hatte, mich zu verletzten. Das hatte sein Verhalten regelrecht ausgestrahlt. Enttäuscht war ich dennoch. Dabei konnte ich allerdings nicht sagen, ob diese Enttäuschung daher kam, dass er gelegentlich ein kopfloser Trottel war, oder dass ich mich in jemanden verliebt hatte, der manchmal ein kopfloser Trottel war. Seit diesen zwei Erkenntnissen ging ich Tsuki aus dem Weg. Was nicht oft erforderlich war, schließlich hielt er es mit mir nicht anders. Dennoch war ich derjenige, der jedes Mal von Mokuba einen strafenden Blick kassierte. Ich kam mit der Situation nicht gut klar - schon allein mit dem Gedanken verliebt zu sein nicht, von den damit verbundenen Gefühlen ganz zu schweigen. Ich gab es nicht gerne zu, aber ich war überfordert. Ich hoffte diese Gefühlsduselei würde aufhören und wünschte mir jedes Mal, wenn ein Gedanke, der von meiner Verliebtheit nur so triefte, in meinem Kopf erschien, jemand anders zu sein. Nichts dergleichen geschah. Und als wären Gedanken über irgendwelche Nettigkeiten nicht schon ärgerlich genug, tauchten inzwischen auch vermehrt welche über seinen Körper auf. Okay. Es war eine Tatsache, dass er gut aussah. Aber Gedanken wie „Die Hose betont seine schönen, schlanken Beine gut“ waren einfach lächerlich. Besonders, wenn sie in meinem Gehirn und voller Ernsthaftigkeit produziert wurden. Zudem war da auch noch das Problem Okami Arina. Dieses kleine, miese Miststück ging inzwischen in meiner Villa ein und aus. Es war inakzeptabel. Natürlich hatte ich mir schon einen Racheplan überlegt. Er wartete noch auf die Ausführung, da der Ersatztermin mit ihrem Vater bisher nicht stattgefunden hatte. Aber die paar Tage konnte ich mich noch gedulden. Wenn sie dachte, ich würde es mir gefallen lassen, dass sie in meinem Garten vor meinem Büro mit meinem Tsuki – ich hatte es aufgegeben mich über diese Betitelung aufzuregen – schlief, würde sie noch ihr blaues Wunder erleben. Ich hatte das Gefühl, dass es nicht bei diesem einen Vergeltungsakt bleiben würde. Wann immer ich sie sah, wuchs in mir das Bedürfnis, sie umzubringen. Ich hatte das Gefühl, dass einmal nicht viel gefehlt hätte. Ich kam gerade die große Treppe im Eingangsbereich herunter. Woher sie kam, wusste ich nicht, jedenfalls lief sie neben der Treppe her. Da war die Vase, die auf dem Podest in der Zwischenetage stand, regelrecht eine Verlockung. Frei nach dem Motto: Stups. Ups. Vielleicht hätte ich es wirklich getan, wenn Tsuki nicht direkt neben ihr gegangen wäre. So blieb es bei einem weiteren Stich im Herzen. Die einzige Tatsache, mit der ich besser umgehen konnte als gedacht, war, dass ich in einen Mann verliebt war. Möglicherweise hatte ich es schon geahnt. Mit Frauen hatte ich nie viel anfangen können. Daher war es wohl die logische Konsequenz. Nicht, dass ich in Freude ausbrach, aber in meinen Augen machte es im Endeffekt keinen großen Unterschied, in wen ich verliebt war. So oder so: Es war eine Katastrophe. Inzwischen war mein Arbeitspensum so in den Keller gesunken, dass ich mich abends zu Hause noch einmal hinsetzte, um irgendwie doch noch die Dinge fertigzustellen, die nötig waren. Dabei wurde ich immer wieder von unliebsamen Gedanken an Tsuki unterbrochen. Ich versuchte sie zu verdrängen. Für eine gewisse Zeit gelang es mir, doch irgendwann waren sie wieder da. So wie jetzt zum Beispiel. Ich lehnte mich zurück und griff nach meinem Becher Tee. Tsukis Tee. Noch so einen Unart, die ich mir in der letzten Zeit angewöhnt hatte. Es gab mir irgendwie das Gefühl, es wäre so wie vor der „Sex in meinem Garten“ - Aktion. Und manchmal ließ der Geschmack mich vergessen, dass Tsuki nicht da war. Es war absurd. Es war lächerlich. Aber es half, wenigstens etwas hinzubekommen. Anscheinend war mir das auch heute nicht vergönnt: Es klopfte an der Tür. „Herein“, sagte ich und richtete mich wieder in meinem Sessel auf. Im Moment gab es nur eine Sache, mit der ich zufrieden war. Egal, was für ein Chaos in mir tobte, meine gefühllose Maske hielt. Tsuki trat ein, blieb aber nahe der Tür stehen. „Ähm, hi“, sagte er. „Ich will nicht lange stören, aber wir müssen übermorgen in Sozialkunde über unsere bisherige Ergebnisse und weiteren Pläne sprechen, deshalb wollte ich dich bitten, mir deinen Anfang zu geben, damit ich mir schon mal ein paar Gedanken zum Bild machen kann.“ Verdammt. Das hatte ich total vergessen. „Das ist nicht möglich.“ „Warum? Hast du etwa noch nicht angefangen?“, fragte er und klang etwas vorwurfsvoll. Nein, natürlich hatte ich das nicht. Die Aufgabe war die einzige Gefühlsduselei. ... Moment. War ich im Augenblick nicht der Inbegriff der Gefühlsduselei? Ich war verliebt und ich war eifersüchtig. Damit erfüllte ich genau das Thema. Bitter, aber wahr. Vielleicht war der ganze Kram, den ich regelmäßig abends aufgeschrieben hatte, ja doch noch zu etwas gut. Und wenn’s nur eine halbwegs passable Note war. „Doch. Es ist nur alles noch etwas unübersichtlich. Ich muss es noch in eine Reinform bringen“, erwiderte ich. „Ich bring es dir, wenn ich es abgetippt hab.“ „Okay, danke.“ Damit war er wieder verschwunden. Leider. Und zum Glück. Je nachdem von welcher Seite man es betrachtete. Gefühle oder Verstand. Ich gestattete mir ein kleines Seufzen. Ich würde heute wahrscheinlich nicht das schaffen, was ich mir vorgenommen hatte. Für den Augenblick erschien es mir aber als nicht so wichtig. Ich wusste, dass es falsch war, doch im Moment wollte ich nicht, dass Tsuki dachte, ich wäre mit der Aufgabe überfordert oder die Partnerarbeit mit ihm wäre mir nichts wert. Also speicherte ich meine bisherige Arbeit, öffnete ein neues Dokument und holte aus der untersten Schreibtischschublade den Blätterstapel mit meinen allabendlichen Notizen hervor. Papier, beschrieben mit lächerlichen Zweifeln und albernen Hoffnungen. Sprich genau die richtige Basis für ein schnulziges Liebeslied. Ich begann die Blätter durchzulesen und fühlte mich dabei erbärmlich. Das hatte wirklich ich geschrieben? Ach du Schande. Es ist so, als hätte ich ihn verloren. Alles verloren, was irgendwann mal zwischen uns war. Ich vermisse die Abende. Werde ich je die Chance bekommen, das wieder aufzubauen? Oder ist alles zerstört? Seine Nähe war immer so angenehm. Angenehmer, als ich mir eingestehen wollte. Wenn ich abends nach Hause komme, wartet er nicht mehr auf mich. Ich versteh nicht warum, aber ich vermisse seine Witze. War es wirklich nur ein Spruch, dass ich mich glücklich schätzen sollte? Ich weiß nicht, was er damit sagen wollte. Aber mir ist klar geworden, wie glücklich ich mich schätzen konnte, als er da war. Bedeutet sie ihm mehr als ich? Ist sie ihm wichtiger als die Freundschaft zu mir? Dabei hat er mir immer das Gefühl vermitteln, ich sei es, der zählt. War das alles nur gelogen? Ich will nicht daran glauben. Es ist ihre Schuld. Ich werde das Gefühl nicht los, dass sie ihn benutzt. Nur benutzt. Etwas anderes kann ich in dem Sex vor meinen Bürofenstern nicht entdecken. Ich bin unglaublich wütend. Es scheint mir keine Art des Todes schlimm genug für sie. Für das, was sie mir angetan hat. Immer wenn ich die beiden zusammen sehe, wünsche ich, er wäre bei mir. Es tut weh. So sehr, dass ich kaum begreife, dass das nur Liebe sein soll. Fühlt sich so ein gebrochenes Herz an? Ich weiß es nicht. Ich will das, was er ihr gibt. Haben wir uns alles gesagt? Ist da noch etwas? Hat er mich immer noch in sein Herz geschlossen? Oder bin ich ihm inzwischen egal? Ich wünschte, er wäre hier. Ich denke viel zu oft an ihn. Viel zu oft, als gut sein kann. Ich habe keine Kontrolle darüber. Es klang nicht nach mir. Und ich fühlte mich erniedrigt, als ich es las. Das war doch nicht ich. Aber ich musste mir eingestehen, dass die Methode wirklich half, mit all dem umzugehen. Es befreite ein wenig. Das Gefühl, dass niemand diese Zettel lesen würde, ließ mich aufschreiben, was ich empfand. Ich verstand nicht, warum, aber es war mir eine Hilfe dabei zu verstehen, was in mir vor sich ging. Auch wenn ich im Grunde nur wollte, dass es aufhörte. Ich nahm mir ein weiteres Blatt und notierte mir einige Themen neben Liebe und Eifersucht. Verlust. Schmerz. Wünsche. Zweifel. Dann fing ich an. Meine Textpassagen waren der Leitfaden. Warum fühle ich mich so, als hätte ich dich verloren? Wird es jemals das sein, was ich mir immer gewünscht habe? Du sagst mir, ich sei der Glückliche Wie kannst du das sagen Wenn es mir das Herz bricht, dich mit einer anderen Frau zu sehen Oh, mein Geliebter Oh, mein Geliebter Wenn es so schlimm schmerzt, will ich dich in den Armen halten Lass mich, mich fühlen, als wolltest du mein Geliebter sein Nachdem wir alles gesagt haben, was es zu sagen gibt Bin ich immer noch in deinem Herzen oder nur noch in deinem Weg? Mein Verlangen nach dir ist außer Kontrolle Eifersüchtig, auf eine gefährliche Art Wenn ich dich so eine andere Frau anblicken sehe Ich beschloss im Präsens zu schreiben, da es eine gewisse Nähe vermittelte. An vielen Stellen dramatisierte ich oder stellte Dinge, die ich mich gefragt hatte, als Tatsachen dar. Und selbstverständlich war der Erzähler eine Frau. Um das noch weiter hervorzuheben, fügte ich dieses sehnsüchtig-schnulzige „Oh mein Geliebter“ ein. Kein Mann, der halbwegs bei Trost war, würde so etwas sagen. Am Ende übersetzte ich alles noch ins Englische. Es gab bestimmt Pluspunkte, wenn es in einer Fremdsprach verfasst war. Die Version, die ich Tsuki geben würde, lautete so: Why do I feel like I’m losing you? Will it ever become what I’ve always wanted it to? You tell me, I’m the lucky one How can you say that When it breaks my heart to see another woman with you Oh, lover of mine Oh, lover of mine When it hurts so bad I wanna hold you in my arms Make me feel like you wanna be a lover of mine After we’ve said all there’s to say Am I still in your heart or am I just in your way? My desire for you is running wild Jealousy, dangerous kind, When I see you looking at another woman that way Mit dem Ergebnis zufrieden, startete ich noch einmal einen Versuch, die Arbeit zu erledigen, die ich mir für heute vorgenommen hatte. Mit verhältnismäßig wenigen Unterbrechungen gelang es mir. Das Minimalziel war für heute erreicht. Jetzt konnte ich Tsuki den Text bringen. So sehr es mich ärgerte, ich wollte seine Meinung dazu erfahren. Normalerweise gab ich nie viel auf die Meinungen anderer. Tsuki schien wieder die Ausnahme der Regel zu sein. *** Ich klopfte. Ein bisschen mulmig war mir zu mute. Warum, wusste ich nicht genau. Befürchtete ich, er könnte den Songanfang nicht mögen? Vielleicht. Wieder ärgerte ich mich darüber, dass er so viel Einfluss auf mich hatte. „Ja?“ Er klang überrascht. Anscheinend rechnete er noch nicht mit mir. Nachdem ich eingetreten war, erblickte ich ihn sofort. Er saß mit angezogenen Beinen auf dem Sofa, einen Block auf den Beinen und einen Bleistift in der Hand. Leise hörte man wie der Stift über das Papier strich. Auf dem kleinen Tisch zwischen dem Sofa und zwei Sesseln standen eine Teekanne, ein Becher und ein Zuckertopf. Es duftete leicht nach seinem Früchtetee. Bevor ich zu ihm hinüber ging – er konzentrierte sich sowieso noch voll auf das Papier –, warf ich einen Blick in die Runde. Ich wusste nicht, was ich von ihm erwartet hatte, aber ich war positiv überrascht. Abgesehen von ein paar persönlichen Gegenständen hatte er im Zimmer nicht viel verändert. Tsuki hatte keine Möbel verrückt und es war tadellos aufgeräumt. Er schien sich Mühe zu geben, mir für die Zeit, die er hier wohnte, keine Umstände zu machen. Kurz blieb mein Blick an den Wänden hängen und fragte mich, was die Farbwahl wohl über ihn aussagt. Tsuki hatte sich für ein Zimmer entschieden, dass in einer Mischung aus Cremefarben und Dunkelrottönen gestrichen war. Ich kam zu keinem Ergebnis. Von solche Analysen hatte ich nie etwas gehalten, da man normalerweise zu viel in so eine einfache Entscheidung hineininterpretierte. Wahrscheinlich gefiel ihm die Kombination einfach. „Der Anfang des Songs“, sagte ich, während ich mich in einen der Sessel setzte. Tsuki schreckt auf und sah mich an. „Oh.“ Einen Moment herrschte Stille. Er sah mich an und ich bemerkte, wie er mich musterte. Ich schaute zurück, fing aber schnell an mich unwohl zu fühlen. Stimmte etwas nicht mit mir? Wieder so eine Sache, die nur er vollbrachte. Normalerweise war es mir aber auch recht egal, zu was für einem Ergebnis mein Gegenüber kam. Kompetenz und Macht konnte man nicht übersehen. Ob ich auf andere sympathisch oder irgendwas in der Art wirkte, war mir herzlich egal. In diesem Moment, Tsuki gegenüber, war es das nicht. So erniedrigend es war, ich wollte, dass ihm gefiel, was er sah. Zeigen würde ich das allerdings bestimmt nicht. Es fehlte mir gerade noch, dass ich mich zum Trottel machte. „Was ist?“, fragte ich kalt, um mir keine Blöße zu geben. Nicht dass ich mein Unwohlsein noch verriet. „Ich bin nur etwas überrascht. So schnell hatte ich nicht mit dir gerechnet“, antwortete er, aber ich ahnte, dass es nur ein Teil der Wahrheit war. Die Musterung erklärte es nicht. Ich reichte ihm den Ausdruck und beobachtete, wie er zu lesen begann. Eine innere Nervosität ergriff mich. Verärgert versuchte ich mir einzureden, dass es im Grunde egal war, was er davon hielt. Selbstverständlich gelang es mir nicht. In der letzten Zeit glückte mir kaum etwas, was mit ihm, insbesondere dem Verdrängen von ihm, zu tun hatte. Einzig zufrieden war ich damit, dass ich äußerlich ganz ruhig blieb. Lässig saß ich im Sessel, auch wenn ich seit langem zum ersten Mal wieder den Drang verspürte, unruhig hin und her zu rutschen. Wie albern. „Das ist echt gut“, sagte Tsuki und erlöste mich von meiner inneren Spannung. Freude trat an ihre Stelle. Ich war kurz davor, die Augen zu verdrehen. Verdammte Gefühlsausbrüche. „Okay“, meinte ich und wollte schon wieder gehen, aber er hielt mich zurück. „Willst du auch einen Becher Tee?“, fragte er, während er sich selbst nachschenkte. Wahrscheinlich bildete ich mir das nur ein, aber in meinen Ohren klang er hoffnungsvoll. Doch wie gesagt: Ich wollte vermutlich nur, dass er wollte, dass ich blieb. Es war wirklich nervig, in alles noch etwas hineinzuinterpretieren. Wo würde mich das noch hinführen, wenn ich nicht mal mehr auf meinen Verstand vertrauen konnte. Zumindest betraf diese Unsicherheit bisher nur Tsuki. Wie so vieles in letzter Zeit nur Tsuki betraf. „Nein“, antwortete ich. Ich sollte gehen. So schnell wie möglich. Noch mehr Probleme konnte ich mir nicht leisten. „Ich hab noch zu tun.“ „So spät abends noch?“, fragte er nach. „Man stelle sich vor: Ich bin der Leiter eines großen Unternehmens.“ Als er daraufhin leicht beleidigt das Gesicht verzog, tat mir mein sarkastischer Ton schon wieder Leid. Meine Güte. Konnte ich ihn nicht mal auf Abstand halten, ohne dass ich mich damit selbst verletzte? Die Antwort schien Nein zu lauten. Anderseits, überlegte ich, vielleicht vermittelte es ihm ja das Gefühl, dass ich verspürt hatte, als er mich enttäuscht hatte. „Bis vor Kurzen hast du aber noch nicht so lange gearbeitet“, widersprach Tsuki und blickte mich forschend an. „Hat das mit mir zu tun? Willst du mir damit abends aus dem Weg gehen? Wenn es das ist, dann sag es einfach. Ich fände es zwar schade, wenn wir uns nicht mehr treffen würden, aber es ist mir lieber, als wenn du dich überarbeitest.“ Nun sah er wirklich bedrückt aus. Das ich dafür verantwortlich war, traf mich dieses Mal nicht so sehr. Vielleicht, weil die Sache leicht aus der Welt zu schaffen war. Oder weil ich einen Widerspruch entdeckt hatte. Er war mir schließlich in den letzten Tagen ebenso aus dem Weg gegangen. „Du bist mir diese Woche ausgewichen.“ Ich stellte diese Tatsache in den Raum. Er legte fragend den Kopf schief. „Ja, ich dachte, es wäre besser, wenn ich nicht andauernd in deiner Nähe wäre. Damit du dich nicht so oft aufregst. Ich weiß, dass ich dich mit meinem unüberlegten Handeln verletzt hab. Ich schäm mich ja selbst dafür, dass ich nicht nachgedacht hab.“ „Warum hast du nicht nachgedacht?“, fragte ich. Es klang anklagend. Das Einzige, was ich ihm vorwerfen konnte, war, wo er mit ihr geschlafen hatte. Auch wenn es mir inzwischen mehr wehtat, dass er überhaupt mit ihr geschlafen hatte. Natürlich konnte ich ihm nicht vorschreiben, mit wem er Sex hatte. Deswegen war es lächerlich, ihn in dieser Hinsicht zu beschuldigen. „Ich weiß nicht, ob du das verstehst. Es liegt wohl daran, dass ich lange Zeit vor Arina nur beruflich Sex hatte. Als Callboy eine Beziehung zu führen, kann man ziemlich vergessen. Privaten Sex empfinde ich als ungezwungener und es ist so, als würden anderen Erwartungen an einen gestellt. Im Grunde ist das natürlich Unsinn. Na ja, als das in Aussicht war, hat bei mir wohl etwas ausgesetzt. Es tut mir wirklich leid.“ Er schaute mich entschuldigend an und kratzte sich verlegen am Kopf. Etwas, was für Tsuki untypisch war. Ich verstand ihn nicht richtig. Ein bisschen vielleicht. Aber wahrscheinlich konnte das auch nur jemand mit seinem Job. Ich beschloss es, darauf beruhen zu lassen. Mir fehlte einfach die Lust, mich damit zu beschäftigen. Ich sah in Tsukis Gesicht. Er wirkte immer noch niedergeschlagen. „Die viele Arbeit in den letzten Tagen hat nicht mit dir zu tun“, wechselte ich deshalb das Thema. „Die Zeit wird langsam knapp.“ „Wozu wird die Zeit knapp?“, fragte Tsuki nach. Nun sah er weniger niedergeschlagen, dafür aber besorgt aus. Für einen Moment blickte ich ihn stumm an. Sollte ich es ihm verraten? Zumindest einen Teil? Nur ein bisschen mehr, als die Medien gesagt hatten. Ich war mir sicher, dass ich dann abends in Ruhe arbeiten könnte. Und wenn ich mich doch mal mit ihm treffen wollte, dann hätte er sicherlich Zeit. Also klärte ich ihn über die Probleme mit meiner Firma auf. Wie viele Prozent ich in Wirklichkeit besaß, erwähnte ich nicht, ebenso verschwieg ich die beinahe Aussichtslosigkeit meine eigene Hologramm-Technologie großartig weiterzuentwickeln. Das musste er nicht wissen. Auch wenn ich ihm trotz seiner Gedankenlosigkeit vertraute, wollte ich ihm das nicht erzählen. Es gab mir das Gefühl, mich bloß zu stellen. Es hatte mir schon Schwierigkeiten bereitet, mit Mokuba darüber zu sprechen. Auf eine Wiederholung legte ich keinen Wert. „Ich verstehe“, sagte er, nachdem ich mit meinen Erklärungen geendet hatte. Dann lächelte er mich aufmunternd an. „Ich drück dir die Daumen. Du schaffst das schon.“ *** Seine Aussage schien mich beflügelt zu haben. Als ich mich an diesem Abend noch mal an die Arbeit machte, wurde ich durch weit weniger „Ich denke an Tsuki“ – Unterbrechungen abgelenkt. Wenn ich an ihn dachte, dann waren es meistens Mutmacher. Es lief relativ gut. Nur einen weiteren Anteilseigner zu finden, gelang mir nicht. *** Die nächsten Morgen wurden abermals hektisch. Tsuki wollte wieder mit zur Schule. Und wie bei den ersten Malen, als er mitgekommen war, verschlief er. Zumindest war er nicht mehr ganz so spät, sodass wir wenigstens pünktlich kamen. Die Schultage verliefen weitestgehend normal. Kleinere Streitereien zwischen Tsuki und Wheeler. Kleinere Streitereien zwischen Wheeler und mir. Ansonsten Langeweile. Nur in den großen Pausen hatte sich etwas verändert. Auf meiner Bank war es enger geworden. Tsuki saß bei mir. Im ersten Moment war ich skeptisch gewesen. Aber es verlief alles unproblematisch. Sobald ich mein Notebook hervorholte, wurde es still. Tsuki beendete seinen Satz, danach kam von ihm keine Muks mehr. Es war recht angenehm. Er war da, aber nicht sehr auffällig. Teilweise hatte ich das Gefühl, es wäre so wie früher. Das war es nicht. Eine gewisse Distanz hatte sich zwischen uns aufgebaut. Eine unsichtbare Grenze, die wir beide achteten. Besonders, auf der körperliche Ebene. Ich war gleichermaßen erleichtert wie enttäuscht. Ich konnte nicht einschätzen, wie mein Körper auf ihn reagieren würde, aber so konnte ich mir keine Blöße geben. Allerdings waren seine Berührungen immer angenehm gewesen, also vermisste ich sie bis zu einem bestimmten Grad. Natürlich wusste ich, dass der letzte Gedanke ziemlich schwachsinnig war. So wie die meisten Gefühle in letzter Zeit. *** Die Vorstellung unserer bisherigen Ergebnisse in Sozialkunde war unkompliziert. Miss Zedama lobte meinen Anfang bis zum Himmel. Mir war es recht, schließlich war sie die Lehrerin, die es bewerten musste, auch wenn ich persönlich fand, dass sie maßlos übertrieb. Tsuki und ich hatten uns beide keine großen Gedanken über die Musik gemacht. Bei der zweiten Aufgabe mussten wir also improvisieren. Aber das ging unproblematisch von statten. Wir behaupteten, wir hätten bisher nur entschieden, dass Tsuki singen würde und ich die Begleitung auf dem Klavier spielen würde. Den Rest entschieden wir, wenn der Song fertig wäre. Damit gab sich Miss Zedama zufrieden. Bei der letzten Aufgabe bewies Tsuki Kreativität ... und wie lange er ohne Luft zu holen sprechen konnte. Miss Zedama war begeistert. Also winkte wieder einmal eine gute Note. Als immer mehr Gruppen mit der Besprechung fertig waren und der Lautstärkepegel mehr und mehr stieg, entschuldigte ich mich und verschwand auf die Toilette. Nicht dass ich vorhatte diese zu benutzen. So nötig konnte man meiner Meinung gar nicht müssen. In diesem Moment wollte ich einfach nur etwas Ruhe. Ruhe, um noch einmal den geplanten Gesprächsablauf mit Okami durchzugehen. Der Termin war heute Nachmittag. Ich sah im Spiegel, wie sich meine Lippen zu einem hinterhältigen Grinsen verzogen. Mal sehen, wie Okami Arina damit fertig werden würde. Gerade, als ich wieder in die Klasse zurückkehren wollte, betrat Wheeler den Raum. „Ich will reden“, sagte er. Dabei wirkte er ernst. So ernst, wie ich ihn selten erlebt hatte. Dennoch erkannte ich etwas Nervosität in seinen Bewegungen sowie in seinen Augen. „Weißt du, Wheeler, man kann nicht immer nur anderen das aufzwingen, was man selbst will“, antwortete ich kalt. Ich wollte nicht mit ihm reden. Auch wenn ich es mir nicht gerne eingestand, ich fühlte mich alles andere als wohl. Wheeler zwischen mir und der Tür. Die Erinnerung, an das, was passiert war, als wir das letzte Mal allein in einem Raum gewesen waren, trug ebenso dazu bei. Fehlte nur noch, dass er mir näher kam, als meine Berührungsängste für gut hielten. Dann war eine Panikattacke nahezu programmiert. Selbstverständlich war die nicht in meinem Sinne. Also Abstand aufbauen und zur Tür rauskommen. Besser halbwegs würdevoll den Abgang machen, als sich in ein von panikbeherrschtes Sensibelchen zu verwandeln. „Genau darüber wollte ich mit dir reden!“, erklärte er und vereitelte mit seiner Reaktion meinen Plan gründlich. „Das ist ja schön für dich. Nur leider ist es mir reichlich egal“, erwiderte ich desinteressiert. Ich warf ihm einen Blick zu, von dem ich annahm, dass er ihn auf Distanz halten würde, und setzte mich in Bewegung. „Kaiba, jetzt tu nicht so aufgeblasen. Ich möchte mich entschuldigen!“ Er war lauter geworden, klang aber immer noch beherrscht. Ich blieb stehen. Allerdings erst nachdem ich näher an der Tür stand als er. Er wollte sich entschuldigen. Wofür? Für den „Kuss“? Wenn er dachte, ein kleines „Es tut mir leid“ würde reichen, dann irrte er sich. So leicht würde ich mich nicht zufrieden geben. Ich sah ihn kalt an und wollte zu einer vernichtenden Antwort ansetzen, als er wieder den Mund aufmachte: „Ich hab mich da wohl in etwas hineingesteigert. Ich liebe dich nicht.“ Das war das Vernünftigste, was ich seit langer Zeit von ihm gehört hatte. „Als der Mordanschlag auf dich verübt wurde und du längere Zeit nicht in der Schule warst, da hab ich gemerkt, dass mir etwas fehlt und dass du mir doch nicht so egal bist. Ich hab das wohl falsch interpretiert. Irgendwie mag ich dich. In den letzten Wochen hab ich nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass wir uns vielleicht nur so oft streiten, weil es unsere Art ist, dem anderen zu zeigen, dass er uns doch nicht egal ist.“ Einen Moment blickte ich ihn schweigend an. War das wirklich Wheeler Joey, der Köter? Das klang nicht nach ihm. Es war viel zu gut durchdacht. Obwohl es natürlich immer noch Schwächen aufwies. Es beruhigte mich, dass er endlich festgestellt hatte, dass er mich nicht liebte. Normalerweise wäre es mir egal gewesen, aber so schien weniger Gefahrenpotenzial von ihm auszugehen. In Wirklichkeit war es natürlich irrelevant. Dennoch ... vielleicht war er jetzt ja weniger nervig. ... Wohl eher nicht. „Wheeler, wie lange hast du dafür geübt?“, fragte ich spöttisch. Er wurde etwas rot um die Nase. Ertappt. Wusste ich es doch, das hatte er nicht ganz frei gesprochen. „Das ist mal wieder so typisch für dich. Was ich gesagt habe, interessiert dich nicht mal“, sagte er leicht aufbrausend. „Außerdem war ich noch nicht fertig. Wie schon gesagt, es tut mir leid. Ich hab überreagiert und das wollte ich nicht. Und ich wollte dich fragen, ob wir nicht versuchen sollten, etwas respektvoller miteinander umzugehen. Fänd ich besser ... irgendwie.“ Er klang etwas verunsichert. Das war aus Wheelers Mund ein interessanter Vorschlag. Interessant, weil er nicht zu ihm passte. Außer ihm war alles, was er gesagt hatte, völlig ernst. Ob es das war und ob ich darauf einging, würde sich zeigen. „Wheeler, ich denke, wir streiten uns so oft, um dem andren klar zu machen, was uns an ihm nicht passt.“ Damit setzte ich meinen Weg zur Tür fort. „Arg Kaiba, was war das denn für eine Antwort?“ Er klang wieder aufgebracht. „Ein Vielleicht.“ Kapitel 7: Bärenchaos --------------------- Kapitel 7: Bärenchaos Es war absurd. Einen Hauch infantil. Oder vielleicht pubertär. Wahrscheinlich war es hormonell bedingt. Und obwohl ich das wusste, gefiel mir die Vorstellung. Der Plan würde drei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Keine elenden Berührungsängste. Keine Okami Arina. Aber Tsuki für mich allein. Natürlich würde ich ihn nicht umsetzen. Die Blöße jemanden zu bitten, mir zu helfen, würde ich mir gewiss nicht geben. Dennoch ... die möglichen Ergebnisse stellten eine Verlockung dar. Ich wusste nicht, wo diese Absurdität von einem Plan hergekommen war. Letztendlich interessierte mich das auch nur, wenn ich ihn wieder dorthin verbannen konnte. Einmal da, hielt er sich hartnäckig. Dabei war es eigentlich gar nicht in meinem Sinn, mir vorzustellen, wie es wäre, Tsuki für mich zu haben. Es war lästig. Und es half mir sicherlich nicht dabei, diese Gefühle zu ignorieren oder gar ganz loszuwerden. Ein kühler Wind wehte mir um die Nase. In letzter Zeit ging ich abends oft nach draußen, wenn mich diese Idee verfolgte, in der Hoffnung einen klaren Kopf zu bekommen. Manchmal funktioniert es, leider nicht immer. Dann wälzte ich mich unruhig im Bett hin und her und fragte mich, wie es wohl wäre, wenn Tsuki neben mir läge. Dagegen half auch das Aufschreiben kaum. Allerdings war das immer noch angenehmer, als die Alpträume, die mich in letzter Zeit wieder verstärkt quälten. Vielleicht war daraus auch die Idee erwachsen, Tsuki zu bitten, mir mit meinen Berührungsängsten zu helfen. Mein Weg führte mich einmal um die ganze Villa herum. Wenn ich nicht eilte, brauchte ich dafür etwa eine halbe Stunde. Dabei kam ich jedes Mal an Tsukis Zimmer vorbei. Dort lief ich immer unter den Balkonen entlang. Ich wollte nicht, dass er mich sah. Bisher war nichts Bedeutsames passiert. Ab und an hörte ich Musik aus dem ersten Stock, aber meistens war es still. Im Gegensatz zu heute. Lautstark drangen Stimmen an mein Ohr. Ich konnte nicht wiederstehen, blieb stehen und lauschte. „ ... gedacht, ich werd nicht mehr. Was fällt dem Kerl eigentlich ein, meinem Vater gegenüber zu behaupten, ich würde eine Beziehung mit dir führen.“ Okami Arina war außer sich. Ich grinste nur. Ich wusste nicht, wie Okami mit seiner Tochter umgegangen war, aber nachdem ich nebenbei eine Andeutung über Tsuki und Okami Arina fallen ließ – er hatte sofort nachgefragt –, war er schockiert gewesen. Eine Beziehung seiner Tochter mit einem Callboy schien ihm ganz und gar nicht zu gefallen, so wie ich es erwartet hatte. Tsuki lachte. „Was hast du denn gedacht? Dass er es sich einfach bieten lässt, wenn du versuchst seine Geschäftsbeziehung zu deinem Vater zu sabotieren? Ich bitte dich, im Grunde kannst du froh sein, dass er dir danach nicht Hausverbot erteilt hat.“ Tsuki war auf meiner Seite. Ein Punkt für mich. Ein Minuspunkt für Okami Arina. Das war gut. Ebenso wäre es wirklich eine Überlegung wert, ihr Hausverbot zu erteilen. Nur leider hatte ich die Befürchtung, dass sich Tsuki dann in der Stadt mit ihr treffen würde. Das wollte ich noch weniger. Schließlich war zu erwarten, dass die Auftragsmörder es noch einmal versuchen würden und in der Stadt war die Gefahr bedeutet größer, dass die Polizei ihn nicht beschützen konnte. „Hör auf, ständig auf seiner Seite zu sein.“ Ständig? Das wurde ja immer besser. „Ich weiß nicht, was du in ihm siehst, aber es entspricht nicht der Realität. Der Mann ist gnadenlos.“ Ich glaubte, ein leises Schnauben von Tsuki zu vernehmen. „Du bist diejenige, die nur Gerüchten folgt. Ich wohne jetzt schon eine Weile hier und kenne ihn wohl besser als du.“ „Was findest du an ihm? Zugegeben, er sieht gut aus. Aber charakterlich –“ Was hatte mein Aussehen damit zu tun? Wenn sie sich über mich stritten, schön und gut, solange Tsuki auf meiner Seite war, aber was für eine Rolle spielte mein Äußerliches dabei, dass ich sie indirekt bei ihrem Vater angeschwärzt hatte? „Er sieht nicht nur gut aus. Er ist regelrecht heiß!“, erwiderte Tsuki. Aus seinem Mund klang das wie ein großes Kompliment. Normalerweise tat ich solche Aussprüche als schleimendes Geschwafel ab. Dieses Mal schmeichelte es mir. Und ich begriff, dass sie sich grundsätzlich über mich zu streiten schienen. Mit der Neuigkeit konnte ich doch etwas anfangen. „Ich garantiere dir, dass du dir die Finger verbrennst!“, zischte sie, fuhr dann sanfter und eindringlicher fort. „Hör einmal auf mich, Tsuki. Der Typ hat keinen guten Einfluss auf dich. Ich will nicht, dass er dich verletzt!“ „Ich hab deine Zweifel zur Kenntnis genommen. Aber es ist mein Leben und es sind meine Entscheidungen. Außerdem mag ich es warm!“ So langsam schien Tsuki in Fahrt zu kommen. Ich hatte ihn nur bei den Auseinandersetzungen mit Wheeler so wütend erlebt. Apropos Wheeler. Ich hatte ihm immer noch keine richtige Antwort gegeben. Das würde ich auch nur indirekt. Entschieden, wie diese ausfallen würde, hatte ich bisher nicht. Er meinte es wohl wirklich ernst. In den letzten Tagen waren seine Beleidigungen nicht so wüst gewesen. Auf irgendeine Art und Weise musste ich darauf reagieren. Im Grunde erschien es mir sinnig, einen Gang zurückzuschalten. Langsam bekam er mehr meiner Aufmerksamkeit, als ihm zustand. Es wurde lästig. Über mir war es lauter geworden. Plötzlich hörte ich zwei klackernde Schritte auf dem Balkon und einen Moment später landete etwas im Gras. Da ich mir sicher war, dass die beiden viel zu sehr mit ihrem Streit beschäftigt waren, um mich zu bemerken, ging ich hin und hob es auf. Ein Plüschbär. Er war warm. Ich zog mich gerade wieder unter den Balkon zurück, als mir Tsukis Testbogen für die Partnerarbeit in den Sinn kam: Name: Aozora Tsuki Alter: 23 Kreuzen Sie die drei Charaktereigenschaften an, die sie am besten beschreiben! Selbstbewusst. Fleißig. Extrovertiert. Wie teamfähig sind Sie? Markieren Sie auf der Skala! Sehr teamfähig. Kreuzen Sie einen schulischen Themenbereich an, der Sie interessiert. Wenn gewünscht, tragen Sie ein bestimmtes Schulfach ein. Kunst. Welchen Beruf wollen Sie später ergreifen? Künstler/Grafiker. Nennen Sie Ihre drei Lieblingshobbys! Zeichnen. Musik hören. Sex. Was ist Ihr Lieblingstier? Bär. Was trinken Sie am liebsten? Fanta. Was ist Ihre Lieblingssüßigkeit? Twix. Wunschpartner: Kaiba Seto Die meisten seiner Antwort hatte ich mit der Zeit verstanden. Nur sein Lieblingstier war mir ein Rätsel geblieben. Aber hier war er nun. Der Bär. Weich und Warm. Ich konnte dem Drang nicht wiederstehen, einmal an ihm zu schnuppern. Er roch nach Tsuki. Und so wie der sich gerade mit Okami Arina fetzte, weil sie das Stofftier aus dem Fenster geworfen hatte, schien es wirklich ein Grund zu sein, warum er Bären so mochte. Als es oben ruhiger wurde und die beiden sich auf den Weg machten, um das Plüschtier wiederzuholen, ging ich weiter. Vorher wog ich ab, wo sie lang kommen würde, und wählte einen anderen Weg. *** Ich starrte auf den Bildschirm. Es war kaum zu glauben, wie infantil ich in letzter Zeit war. Auf grandiose Weise hatte ich mir selbst wieder bewiesen, warum ich nie etwas von Liebe gehalten hatte. Sie verdrehte einem den Kopf, ließ einen Dinge tun, die man unter normalen Umständen nicht einmal in Betracht gezogen hätte. Nicht genug, dass ich den Bären mitgenommen hatte, nun lag er in meinem Bett. Auf meinem Kopfkissen. Weil er nach Tsuki roch und ich hoffte, dass ich so besser schlafen konnte. Tsukis Geruch hatte, seitdem ich ihn kannte, etwas Beruhigendes gehabt. Wie erniedrigend war das bitteschön? Ging es noch schlimmer? Es ging. Definitiv. Seitdem ich das Gespräch zwischen Tsuki und Okami Arina mitgehört hatte, wollte mir mein Plan gar nicht mehr aus dem Kopf. Nach den neuen Informationen schien er geradezu danach zu schreien, in die Tat umgesetzt zu werden. Die Voraussetzungen waren gut. Erstens war Tsuki nicht mit Okami Arina zusammen. Das hatte ich zwar geahnt, aber sicher war ich mir nie gewesen. Zweitens stritten sich Tsuki und Okami Arina öfter über mich, wobei Tsuki auf meiner Seite war. Drittens stand endgültig fest, dass Tsuki auch Gefallen an Männern, ebenso an mir, fand. Viertens hatte Okami Arina gerade seinen Plüschbären aus dem Fenster geworfen, worüber sich Tsuki lautstark aufgeregt hatte. Es schien also relativ einfach, den Plan umzusetzen. Dazu müsste ich Tsuki nur um Hilfe bitten. Und das würde ich bestimmt nicht tun. Ich kam alleine zurecht. Kaum hatte ich Tsuki aus meinen Gedanken halbwegs verdrängt, klopfte es an der Tür. „Herein.“ Ich hatte noch gar nicht geendet, da kam Tsuki schon herein. Er wirkte ein wenig panisch. „Mein Bär ist weg“, platzte es aus ihm heraus. Oh. War das Viech etwa so wichtig? Aber warum kam er deswegen zu mir? Er konnte unmöglich wissen, dass ich ihn hatte. „Dein Bär ist weg?“, wiederholte ich skeptisch. Am besten stellte ich mich ahnungslos. „Ja“, erklärte Tsuki. In diesem Moment wirkte er eher verlegen. „So ein Kleiner. Liegt auf den Bauch und streckt alle Viere von sich.“ „Weswegen kommst du damit zu mir?“, fragte ich, als ich nicht die gewünschten Informationen bekam. „Tja, ich weiß, dass klingt lächerlich,“ Er fuhr sich unruhig durchs Haar. „aber ich wollte dich bitten, ein paar Leute loszuschicken. Arina hat ihn aus dem Fenster geworfen und wir finden ihn jetzt nicht wieder.“ Für einen Moment war ich sprachlos. Warum fragte er mich das überhaupt? Er musste doch wissen, dass zu dieser Zeit nur noch das Sicherheitspersonal da war. Und von denen würde ich für einen Teddybären niemanden abziehen. Das Stofftier musste ihm sehr wichtig sein, wenn er hierher kam. „Ist sie noch da?“, fragte ich. Vielleicht konnte ich ihm das Ding einfach in die Hand drücken. Auch wenn ich dann eingestehen musste, dass ich Teile des „Gesprächs“ mitgehört hatte. Aber realistisch gesehen, musste ich das sowieso irgendwann. Jetzt würde ich es nur tun, wenn nicht die Gefahr bestand, dass der Bär nachher noch im Mixer landete. Nicht, dass mir etwas an dem Vieh lag, nur hatte ich überhaupt keine Lust, auf einen aufgelösten Tsuki. „Äh, ja“, erwiderte er etwas verwirrt. „Dann ist er wohl da, wo er jetzt ist, besser aufgehoben.“ „Sie hat mir versprochen, es nicht noch mal zu tun.“ „Ich glaube ihr kein Wort.“ „Aber es sieht nach Regen aus. Stofftiere mögen keine Feuchtigkeit.“ Da konnte ich ihn beruhigen, ich würde wegen des Bären heute bestimmt nicht damit anfangen, mein Bett mit einer Gießkanne zu wässern. „Tsuki, ich kann niemanden vom Sicherheitspersonal dafür abziehen.“ „Aber …“ Er wirkte so trotzig wie ein kleines Kind. Aber ich sah, dass er wusste, warum ich diese Entscheidung traf. Innerlich seufzte ich. Im Grunde wollte ich ihm nicht vor den Kopf stoßen, auch wenn ich nicht verstand, warum der Bär so einen Aufstand wert war. „Ich garantiere dir, dass er nicht nass wird!“ Tsuki blinzelte. Er blickte mich verwirrt an. Nach einem Moment schien er zu verstehen, dass ich nur etwas garantierte, wenn ich es auch konnte. „Oh. Okay.“ Damit war er wieder verschwunden. Fast hatte ich erwartet, dass er nachfragte, warum ich mir so sicher war. Aber er schluckte es, ohne zu Murren. Anscheinend vertraute er mir. Obwohl der Bär nach diesem Auftritt zweifellos wichtig sein musste. *** Ich schreckte auf, sah mich desorientier um. Mein Zimmer. Ich war allein. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Mein Atem ging stoßweise. Keuchend. Nur ein Traum, versuchte ich mich zu beruhigen. Es gelang mir nicht so recht. Die Bilder hielten sich vor meinem geistigen Auge. So realistisch war es noch nie gewesen. Ich zog meine Beine zu mir heran. Fast rechnete ich damit, dass mein Körper bei jeder Bewegung schmerzte, so wie er es im Traum getan hatte. Aber das Einzige, was meine Bewegungen behinderte, war das Zittern, das mich ergriffen hatte. So einen Traum hatte ich noch nie gehabt. Bisher war in meinen Alpträumen immer nur mein Entführer aufgetaucht, in diesem waren es andere Personen gewesen, die mich missbrauchten. Personen, aus meinem Alltag, jene, bei denen meine Berührungsängste am stärksten gewesen waren. Ich tastete nach Tsukis Bären, den ich irgendwo neben mein Kopfkissen gelegt hatte, drückte ihn hilfesuchend an mich und inhalierte den Geruch, der von ihm ausging. Später würde ich mich dafür sicherlich verabscheuen, aber im Moment war es mir reichlich egal. Es beruhigte mich ein bisschen. So sehr, dass ich begriff, dass mein Verstand meine Panik nicht mehr länger kontrollieren konnte. Mit rationalen Gedanken konnte ich mich nicht beruhigen. Sie gaben mir keine Sicherheit. Ich wusste, dass es nicht so weiter gehen konnte. Ich musste etwas dagegen unternehmen, und das einzige, von dem ich wusste, das es mir half, war Tsukis Geruch, Tsukis Gegenwart. Und egal, wie sehr ich mich darüber im Nachhinein ärgern würde, jetzt war mir klar, dass es der Weg war, wieder Herr der Lage zu werden. Den Bären immer noch an meine Brust gedrückt, hastete ich los. Bei Tsuki Zimmer angekommen, machte ich mir gar nicht erst die Mühe zu klopfen. Ich ging davon aus, dass er sowieso nicht mehr wach war und ein Klopfen ihn nicht wecken würde. Als ich eintrat, bemerkte ich das Gegenteil. Die Nachttischlampen waren noch an. Von Tsuki keine Spur. Ich nahm an, dass er im Bad war. Der Bär roch inzwischen mehr nach mir als nach Tsuki. Ich brauchte Ersatz. Außerdem war mir kalt. Also schlüpfte ich in sein Bett, vergrub mein Gesicht im Kopfkissen und zog die Decke bis zum Kinn. Ob Tsuki das vielleicht störte, war momentan irrelevant. Die Hauptsache war, dass von überallher Tsukis Geruch kam. Nach einigen Minuten hörte ich, dass die Tür zum Bad geöffnet wurde. Tsuki bemerkte mich anscheinend sofort. Bevor ich überhaupt den Kopf gehoben hatte, kam schon ein überraschtes „Oh“ über seine Lippen. Er blinzelte verdutzt, wurde aber gleich ernst, als sich unsere Blicke trafen. „Seto“, murmelte er besorgt, während er das Bett umrundete. Sobald er sich auf der Bettkante niedergelassen hatte, setzte ich mich auf und vergrub mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Ich handelte, ohne zu denken. Er strahlte Sicherheit und Geborgenheit aus, und ich konnte nicht widerstehen. Mein Kopf hätte mir gesagt, dass es nur trügerisch war. Meine Gefühle wollten davon nichts wissen. Tsuki schien im ersten Moment verdutzt, dann legte er seine Arme um mich. So locker, dass ich jederzeit aus seiner Umarmung ausbrechen könnte. Er verstand mich wieder einmal blind. Er sagte nichts, war nur da. Es dauerte ein wenig, bis die Angst und die Kontrolllosigkeit nachließen. Vielleicht sollte ich Tsuki jetzt fragen, ob er mir weiterhelfen kann, dachte ich. Ich wusste, dass ich etwas tun musste, aber sobald die Angst wieder ganz abgeklungen war, würde ich mich wahrscheinlich dagegen sperren, meinen Plan umzusetzen. „Geht es wieder einigermaßen?“, fragte Tsuki leise. Er schien zu spüren, dass es so war. „Ja“, murmelte ich und löste mich von ihm. Er sah mich besorgt an. „Du solltest dich lieber hinlegen. Du siehst erschöpft aus“, sagte er. Ich hatte das Gefühl, dass er merkte, dass ich bleiben wollte. Dies war sozusagen seine Einverständniserklärung, die es mir zudem abnahm, danach fragen zu müssen. Dankbar legte ich mich hin. Sofort umfing mich Tsukis Geruch. Abermals fühlte ich mich sicher. Tsuki setzte sich auf den Boden. Er wollte wohl halbwegs auf Augenhöhe mit mir sein. „Es war anders“, sagte ich. Plötzlich überkam mich wieder das Gefühl, mit Tsuki über alles reden zu können. Dieses Mal wollte ich sprechen, vielleicht auch nur, weil es eine gute Einleitung zu meiner Frage war. „Was?“, fragte Tsuki und legte leicht den Kopf schief. „Der Traum“, erwiderte ich leise. Es fiel mir schwer das Folgende auszusprechen. „Normalerweise träume ich von den Geschehnissen des Abends und manchmal, was passiert wäre, wenn du nicht gekommen wärst. Aber heute waren es andere Leute, die mich missbraucht haben.“ „Konntest du ihre Gesichter erkennen?“, hakte Tsuki nach, als ich abbrach. „Ja, ich kannte alle“, murmelte ich und wiederstand nur knapp dem Drang mein Gesicht im Kopfkissen zu vergraben. Den Blick wendete ich dennoch beschämt ab. „Es waren diejenigen, bei denen die Berührungsängste relativ ausgeprägt waren. Ich weiß, dass es in der Realität nicht dazu kommen würde. Einer ist zum Beispiel erzkonservativ. Der würde sich wahrscheinlich schon erschießen, wenn er nur den Gedanken hegen würde, Sex mit einem Mann zu haben. Ich versteh es einfach nicht.“ „Ich denke, die Berührungsängste sind eine unterbewusste Schutzmaßnahme. In Wirklichkeit hast du keine Angst vor einfachen Berührungen, sondern davor dass jemand mehr wollen könnte. Um das zu verhindern, blockiert wohl irgendetwas alles“, antwortete er. Hier war der Punkt, an dem ich meine Frage stellen konnte. Es widerstrebte mir immer noch, jemanden um Hilfe zu bitten. Dabei würde es nur eine indirekte Bitte sein. Allerdings wusste ich keine andere Möglichkeit. Außerdem gefielen mir die möglichen Ergebnisse schon länger. „Kannst du meinem Körper beweisen, dass ich diese Angst nicht haben muss?“, fragte ich also. Tsuki blickte mich überrascht an. Ich bemerkte, wie er mehrmals zum Sprechen ansetzte, doch keinen Laut über seine Lippen brachte, außer einem verwunderten „Seto“. War das ein schlechtes Zeichen? „Ich weiß nicht, ob ich das kann“, meinte er dann irgendwann. „Ich möchte dir helfen, aber ich habe Angst, es nur noch schlimmer zu machen.“ „Ich vertrau dir!“, erwiderte ich. Er durfte nicht nein sagen. Jemand anderen konnte ich nicht fragen. Selbst wenn ich es noch einmal über mich bringen sollte, die Bitte zu formulieren. Niemand anderes hatte es geschafft, mir das Unwohlsein zu nehmen. „Bisher bist du der Einzige, dessen Berührungen ich mit der Zeit akzeptiert habe.“ Einen Moment herrschte Stille. Ich sah es Tsuki an, dass er nachdachte. „Ich werd‘s versuchen“, erklärte er irgendwann. „Aber du musst mir versprechen, sofort Bescheid zu sagen, wenn ich eine Grenze überschreiten sollte.“ Ich nickte. Erleichtert. Das war ein Anfang. Und vielleicht ging mein Plan wirklich voll auf. Daran glaubte ich momentan noch nicht. „Wie weit willst du gehen?“, fragte Tsuki. Er wollte die Grenze wohl von Anfang an recht klar definiert haben. Da musste ich ihn enttäuschen. „Soweit wie nötig ist“, erwiderte ich. „Okay“, sagte Tsuki nachdenklich und fuhr sich durchs Haar. „Ist es für dich in Ordnung, wenn ich auf der anderen Seite des Bettes schlafe?“ Abermals nickte ich. Ich hoffte, dass es die beruhigende Wirkung hatte, die ich mir davon versprach und Tsuki plötzlich nicht doch noch als Bedrohung angesehen wurde. Anscheinend war das nicht der Fall. Das Doppelbett war so groß, dass wir uns nicht einmal berührten, bis Tsuki nach meiner Hand griff und seine Finger mit meinen verschränkte. Es war nicht unangenehm, sondern gab mir Halt. „Schlaf gut“, murmelte Tsuki. „Wenn etwas sein sollte, weck mich einfach auf.“ Als Tsuki eingeschlafen war, lief mein Verstand wieder auf Hochtouren. Ich ärgerte mich nicht besonders darüber, dass ich ihn gefragt hatte. Ich schob es auf die Nachwirkungen des Traumes. Noch konnte ich nicht einordnen, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war. Eins war aber klar: Ab jetzt balancierte ich auf einem schmalen Grad. Wo ich schon die Chance hatte, ihm nahe zu sein, würde ich sie auch nutzen. Dabei durfte ich nur nicht zu weit gehen. Zu viel verlangen. Damit würde ich mir selbst schaden. Ich teilte nicht gerne, deswegen hoffte ich, dass Tsuki wirklich von sich aus aufhörte, mit Okami Arina zu schlafen. Ich wusste nicht, ob es eine Möglichkeit gab, meine Gefühle für Tsuki aufzugeben. Wenn ja, dann hatte ich sie bisher nicht gefunden. Im Moment wollte ich auch gar nicht, dass sie verschwanden. Sie schienen mir hilfreich dabei, Tsuki näher an mich heranzulassen. Und wenn es wirklich keine Option war, den ganzen Gefühlskram zu verbannen, dann hatte ich nach diesem Tag auch ein wenig Hoffnung, dass es vielleicht gar nicht nötig sein würde. Vielleicht musste ich nicht immer allein sein. Es war lächerlich, so etwas zu denken. Ich kam hervorragend alleine zurecht und eine Beziehung hatte ich nie gewollt. Es erschien mir unnütz. Nur stressig. Aber meine Gefühle versuchten mir zu vermitteln, während ich in Tsukis schlafendes Gesicht sah und seinen warmen Händedruck spürte, dass eine Beziehung es vielleicht wert war. Ich konnte mir nicht erklären warum, aber im Moment störte mich der Gedanken gar nicht so sehr. Ich seufzte leise. Das klang geradezu nach dem Stoff für den restlichen Song. Ich setzte mich auf und schaltete die Nachtischlampe wieder ein. Wie der Zufall es wollte, lag der Ausdruck des Anfangs, den ich Tsuki gegeben hatte, auf dem Schrank neben einem Zeichenblock und einem Bleistift. Ohne Tsukis Hand loszulassen – wohlmöglich würde er noch aufwachen, worauf ich im Augenblick nicht erpicht war –, nahm ich den Stift und begann zu schreiben. Oh, mein Geliebter Oh, mein Geliebter Wenn es so schlimm schmerzt, will ich dich in den Armen halten Lass mich, mich fühlen, als wolltest du mein Geliebter sein Bitte lass mich frei oder gibt mir einen Grund Zu versuchen es am Leben zu halten Es gibt keinen Grund für uns allein zu sein Gibt mir ein bisschen Hoffnung Ich wandere auf einem schmalen Grad Oh, mein Geliebter Oh, mein Geliebter Wenn es so schlimm schmerzt, will ich dich in den Armen halten Lass mich, mich fühlen, als wolltest du mein Geliebter sein Lass mich, mich fühlen, als wolltest du mein Geliebter sein Wieder übersetzte ich alles ins Englische und ließ mich dann in die Kissen sinken. Damit hatte ich wenigstens diese Aufgabe hinter mir. Und ich wäre nicht Kaiba Seto, wenn ich mein restliches Leben nicht wieder strukturieren könnte. Oh, lover of mine. Oh, lover of mine. When it hurts so badly I wanna hold you in my arms. Make me feel like you wanna be a lover of mine. Please set me free or give me a reason. For tryin' to keep it alive. There is no need for us to be lonely. Give me some kind of hope I’m walking a fine line. Oh, lover of mine. Oh, lover of mine. When it hurts so badly I wanna hold you in my arms. Make me feel like you wanna be a lover of mine. Make me feel like you wanna be a lover of mine. *** Am nächsten Morgen begriff ich, warum Tsuki so oft verschlief. Schon seit zehn Minuten versuchte ich, ihn mit den unterschiedlichsten Methoden aufzuwecken. Dass der Lärm des Weckers allein, es nicht schaffte, erschien mir im Moment nur verständlich. Nach weiteren zwei Minuten hatte ich ihn halbwegs wachgerüttelt. „Was ist denn?“, fragte er verschlafen. „Es ist fast halb zehn. Ich will aufstehen, aber du lässt meine Hand nicht los!“ Demonstrativ hob ich unsere verschränkten Hände. „Hm. Manchmal kann ich ohne Bär so schlecht schlafen.“ Was hatte das jetzt damit zu tun? Apropos Bär. Wo war das Vieh gestern verschüttet gegangen? Ich war mir sicher, dass ich ihn mit hierher gebracht hatte. Mit meiner freien Hand tastete ich unter der Deck nach ihm. Er lag fast am Fußende. „Hier. Dein Bär. Jetzt lass mich los“, sagte ich grimmig. Tsuki dachte gar nicht daran. Er legte nur einen Arm über den Teddybären, den ich ihm auf die Brust gedrückt hatte. „Das ist toll“, murmelte er schläfrig. „Dann hab ich hier ja jetzt zwei.“ Zwei? Er hatte noch so ein Vieh? Was wollte er mit ... Oder meinte er mich? Seine Aussagen ließen darauf schließen. Aber wie kam er dazu, mich mit einem Bären zu vergleichen? „Ich hoffe für dich, dass du nicht mich meinst“, sagte ich verstimmt und rüttelte noch einmal an seiner Schulter, damit er nicht wieder einschlief. „Doch. Natürlich.“ Er sprach mit so einer Überzeugung, wie ich sie ihm im Halbschlaf niemals zugetraut hatte. „Du bist manchmal genauso brummelig, kannst ungemein gefährlich sein, bist kraftvoll und hast einen starken Beschützerinstinkt Mokuba gegenüber.“ Aha. Ganz toll. Ich hatte seiner Meinung nach also Ähnlichkeit mit einem Bären. Das sah ich anders. Wenn einer von uns charakterliche Übereinstimmungen mit einem Tier zeigte, dann war das wohl er. „Und du bist eine verdammte Katze“, erwiderte ich. Daraufhin hob er den Zeigefinger seiner freien Hand. „Kater“, bestimmte er. Na großartig. Er gab es sogar zu. Langsam hatte ich wirklich genug von diesem „Gespräch“. „Tsuki, wenn du nicht augenblicklich meine Hand loslässt, mach ich deinen Bären kaputt.“ Das erzielte das gewünschte Ergebnis. Er legte auch den zweiten Arm über den Bären und drehte mir den Rücken zu. „Na also. Geht doch“, murmelte ich und konnte nur knapp ein Seufzen unterdrücken. Warum war das Plüschtier nur so wichtig? Ich verstand es nicht. „Seto“, sagte Tsuki, als ich gerade aufstehen wollte. Er klang wacher. „Du wolltest ihn nicht kaputt machen, oder?“ „Nein, ich wollte, dass du meine Hand loslässt“, antwortete ich. Tsuki drehte sich wieder um. Er sah jetzt auch wach aus. „Entschuldigung“, sagte er. „Du solltest, das was ich tue, wenn ich nicht ganz wach bin, nicht allzu ernst nehmen. Ich bin dann noch nicht so ganz zurechnungsfähig.“ Er kratzte sich verlegen am Kopf. Das hatte ich gemerkt. Allerdings beschäftigte mich im Augenblick mehr die Frage, warum ihm das Stofftier so wichtig war. „Warum benimmst du dich wie ein halbes Kind, wenn es um den Bären geht?“ „Meine Mutter hat ihn mir zum Geburtstag geschenkt. Das war während des einzigen Urlaubs, den ich mit meiner Mutter und meinem Vater gemacht hab. Ich war damals so unglaublich glücklich. Na ja, und jetzt ist er das einzige, was ich von meiner Mutter bekommen habe, das ein Gesicht hat. Ich weiß nicht, aber immer wenn ich an meine Mutter denken muss, hat er etwas Tröstliches.“ Kapitel 8: Nähe --------------- Hi! Nach diesem Kapitel sollte eigentlich nur noch ein Epilog folgen. Wie ihr an meiner Wortwahl erkennt, wird es mehr Kapitel geben. Bedankt euch bei Seto und insbesondere Tsuki. Der wollte wohl noch mal unter Beweis stellen, wie gern er redet. Es ist also mit ein oder zwei weiteren Kapiteln plus Epilog zu rechnen. Jetzt erst einmal viel Spaß mit diesem! LG Kyra --- Kapitel 8: Nähe „Sie hatten recht! Die duell-454 Anteile waren wirklich kein bloßer Köder. Hören Sie, eigentlich darf ich Ihnen das gar nicht sagen, aber ich sehe darin die beste Möglichkeit, den Täter zu überführen …“ Nagamos Plan war im Grunde einfach – wenn Tsuki nicht einen wesentlichen Anteil dazu beitragen müsste. Der Plan sah vor, dass ich den Lockvogel spielte. Ich wusste, ohne mit Tsuki darüber gesprochen zu haben, dass ihm das in einem Maß widerstrebte, in dem ihm viele Mittel Recht waren, um es zu verhindern. Und er hatte ein einfaches Mittel in der Hand. Ich hätte mir nicht so den Kopf zerbrochen, wenn es nur um Nagamos Plan ginge – ihr würde wohl noch etwas anderes einfallen. Es wäre lediglich komplizierter und weniger erfolgversprechend. Doch stand nicht nur der Plan auf dem Spiel. Es hing weitaus mehr davon ab – meine Firma. Ich konnte immer noch nicht richtig glauben, dass die Rettung so nah sein sollte, dass er derjenige sein sollte. Natürlich hatte ich es umgehend überprüft. Es bestand kein Zweifel. Ein Blick auf ein Foto hatte gereicht, um Gewissheit zu haben. Wenn man es wusste, oder auch nur ahnte, war die Ähnlichkeit nicht zu übersehen. Im ersten Moment hatte ich gedacht, meine Probleme würden sich alle in Luft auflösen. Doch dann hatten sich Skrupel bei mir gemeldet: Ich wollte Tsuki nicht belügen. Mein Verhältnis zu ihm war mir wichtiger, als ein schneller Erfolg. Ich konnte mich also nicht auf ein Teil der Wahrheit beschränken. Und das stellte mich vor ein Problem. „Hey“, erklang es empört neben mir. Noch ehe ich die Augen aufgeschlagen hatte, um Tsuki fragend anzusehen, knuffte der mir in die Seite und erklärte mir Nachdruck: „In meinem Bett wird nicht über die Arbeit nachgegrübelt.“ „Im Grunde genommen hab ich an dich gedacht“, sagte ich und hoffte, ihn damit zufriedenstellen zu können. Das Gegenteil trat ein. „Du kannst unmöglich mit solch einem angespannten, sorgenvollen Gesichtsausdruck an mich gedacht haben“, protestierte er und legte mir eine Hand an die Wange. Die Zeit, wo mir eine solche einfache Berührung Unbehagen bereitet hatte, war vorbei. Tsuki hatte sich als wirklich große Hilfe im Bekämpfen meiner Berührungsängste erwiesen. Ganz verschwunden waren sie noch nicht, aber mit jedem Abend, den ich bei Tsuki verbrachte, wurde es ein wenig besser. Er verstand es, mir mit seinen Berührungen die Angst zu nehmen. Tsuki seufzte. „Was ist los?“, fragte er resigniert. „Ich hab mit Nagamo telefoniert“, erwiderte ich. Mir war auch zum Seufzen zu mute. Ich hatte noch kein Konzept, würde es ihm nun wohl aber sagen müssen. Dem Thema jetzt auszuweichen, würde es später nur noch schwerer machen. So gut kannte ich Tsuki inzwischen. „Und?“, fragte er in einer Mischung aus Neugier und Besorgnis. „Sie hat den Grund für dein Involvieren herausgefunden.“ Tsuki blickte mich fragend an. Für mich war es immer noch schwer begreiflich, dass er keine Ahnung davon hatte. „Zu deinem Eigentum zählen 50% der Anteile der duell-454 Hologrammtechnologie.“ „Wie bitte?“, brachte er verdattert hervor. Allein sein Blick sprach tausend Worte. Er hatte es wirklich nicht gewusst. „Deine Mutter hat sie dir vererbt“, erklärte ich. „Oh“, murmelte er. Er schien zu begreifen. „Sie hat nie viel über die Arbeit gesprochen. Im Grunde wusste ich nur, dass sie irgendwelche neuen Technologien entwickelt.“ „Und duell-454 hat dir nichts gesagt?“, fragte ich nach. „Wie gesagt, sie sprach nicht viel darüber. Und im Testament ist wohl der vollständige Projektname genannt. Da stand irgendein Fachchinesisch mit dem ich nichts anfangen konnte.“ „Ach so.“ Ja, das ergab Sinn. Weiter brachte mich diese Erklärung allerdings nicht. „Du brauchst meine Anteile, nicht?“, fragte er lächelnd. Aber es war nicht das Feixen von jemandem, der wusste, er würde eine Menge Geld machen oder jemanden ordentlich die Tour vermasseln. Er schien sich einfach zu freuen, mir helfen zu können. „Du kannst sie haben. Bei dir kann ich mir sicher sein, dass aus den Ideen meiner Mutter noch etwas wird.“ Tsuki strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr, die – widerspenstig wie meine Haare waren – fast augenblicklich an ihren ursprünglichen Platz zurückrutschte. Als ich schwieg, schien er zu begreifen. „Das ist nicht alles, richtig? Du weißt, dass ich sie dir geben würde.“ „Nein, das ist nicht alles“, bestätigte ich. Dann erzählte ich ihm von Nagamos Ermittlungsfortschritten – neben dem Grund für Tsukis Involvieren, auch von den drei Hauptverdächtigen. Ebenso erklärte ich ihm ihren Plan, mich als Lockvogel zu benutzen, um herauszufinden, wer es war und unwiderlegbare Beweise zu bekommen. Tsukis Gesicht war ernst geworden. Er lächelte bitter, als er sagte: „Unter diesen Umständen bekommst du sie natürlich nicht!“ „Ich wusste, dass du das sagen würdest“, erwiderte ich und schmiegte mich aus einem plötzlichen Gedanken heraus an Tsukis Brust. Etwas, was für mich völlig untypisch war, von dem ich aber wusste, dass es Tsuki gefiel. Beinahe sofort schlang Tsuki seine Arme um mich und bettete seinen Kopf auf mein Haar. „Es ist mir wichtig“, murmelte ich an seiner Halsbeuge. Einen Moment später wurde mir klar, dass ich diese Position nicht nur gewählt hatte, um Tsuki zu manipulieren. Sie hatte einen anderen Vorteil: Ich musste ihm nicht ins Gesicht sehen, während ich ihm meine Gründe erläutert. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass ich es nicht darlegen könnte, wenn ich ihm in die Augen sehen müsste. Ehe ich mich dafür mit Selbsthass strafen konnte, spürte ich wie Tsukis Hand von ihrem Platz an meiner Taille weiter abwärts wanderte. Sie kam auf meinem Hintern zum Liegen und ich konnte es mir nicht nehmen lassen, einmal kurz meine Hüften ein Stück nach hinten zu drücken. „Seto, du versuchst mich zu manipulieren!“, stellte Tsuki fest. Seiner Stimme war eine gewisse Zufriedenheit zu entnehmen, die wohl davonkam, dass ich inzwischen problemlos viele seiner Berührungen akzeptierte. „Ach ja“, sagte ich betont neutral. Natürlich hatte ich in den letzten Tagen gemerkt, dass mein Hinterteil ein beliebter Aufenthaltsort für Tsukis Hände geworden war. Seitdem es mir nicht mehr so unangenehm war, spürte ich dort ständig irgendeine Hand. Warum genau das so war, vermochte ich nicht zu sagen. Selbstverständlich war ich mir meiner Attraktivität bewusst, aber sie allein konnte nicht der Grund dafür sein, dass Tsuki kaum seine Hände von meinem Po lassen konnte. „Tja, das wird aber nicht funktionieren. Denn, wenn der Plan misslingt, kann ich dich ja überhaupt nicht mehr in mein Bett stopfen und als Kuscheltier benutzen.“ Er klang ein wenig neckend. Den Ernst verlor seine Stimme dabei allerdings nicht. „Du hast ein paar prima Vorteile: Du bist warm, verbreitest auch, ohne dass man dich mit irgendeinem Parfüm eindieselt, einen angenehmen Geruch, und um deinen Körper treffend zu beschreiben, muss man schon eine deutliche Steigerung von ‚wohlgeformt‘ wählen!“ Um seine Worte zu unterstreichen, fuhren seine Hände sanft über meinen Oberkörper. Behagen erfüllte mich. Aber an dem Gefühl der absoluten Schwäche konnten die Berührungen nichts ändern. „Aber es reicht nicht“, sagte ich. „Was?“ „Deine Berührungen. Sie können mir nicht das Gefühl nehmen, an dem Abend völlig unfähig gewesen zu sein, mich zu Verteidigen und es in diesem Bezug auch jetzt noch zu sein. Ich will zeigen, dass ich nicht hilflos bin. Ich will beweisen, dass sie einen schweren Fehler gemacht haben, mich anzugreifen. Denn ich kann mich wehren. Ich kann dafür sorgen, dass sie gefasst werden.“ Mit jedem Wort war ich eindringlicher geworden. Ehrlich zu sein, war meine einzige Möglichkeit, ihn zu überzeugen. Und das war die reine Wahrheit gewesen. Auch wenn mir diese Wahrheit ganz und gar nicht gefiel. Und noch viel weniger gefiel es mir, dass ich es hatte aussprechen müssen. „Ach Seto, du bist nicht ...“ „Selbst wenn du meinen Kopf überzeugen kannst“, unterbrach ich ihn sofort, „für meinen Körper genügen Worte nicht.“ Tsuki seufzte. Ich spürte regelrecht, wie es ihm widerstrebte. Er wollte nicht, dass ich in Gefahr geriet. Egal, ob nun rationale oder irrationale. Vorsichtig drückte er mich ein Stück von sich. Eine Hand legte sich an meine Wange. „Ist es dir wirklich so wichtig?“, fragte er, während er mich eindringlich musterte. Ich nickte. Wieder seufzte er. „Okay. Du bekommst meine Anteile, wenn Tomiko Mokuba und mich überzeugen kann, dass sie dich gut beschützen kann.“ Das war doch mal ein Wort. *** Die Besprechung mit Nagamo wurde durch Tsukis Unwillen in die Länge gezogen. Mokuba war von der Idee auch nicht begeistert. Aber er hatte nicht so viel Zeit gehabt, über alle möglichen Schwachpunkte und andere Auswege nachzudenken. „Erklär mir noch mal genau, warum ich nicht den Lockvogel spielen kann?“, verlangte Tsuki zu wissen. Nagamo seufzte. Abgrundtief. Als sie antwortete, war ihr anzumerken, wie sehr sie diese Diskussion nervte. „Wenn Mister Kaiba nicht auf diesem Treffen erscheint, verstößt er gegen die Kaufverträge seiner anderen Anteile. Er muss also gehen, das heißt wir müssen ihn so oder so beschützen. Daran ändert sich auch nichts, wenn du mitkommst und den Lockvogel spielst. In dem Fall müsste ich mit meinen Leuten zwei Personen beschützen. Und das ist wesentlich komplizierter.“ „Okay ...“, sagte Tsuki klang aber dabei so, als wäre absolut nichts in Ordnung. „Aber ...“ „Tsuki“, fuhr Nagamo ihm dazwischen. Sie schien kurz davor, richtig wütend zu werden. „Es sind noch nicht mal zwei ganze Tage. Es wird immer jemand in der Nähe sein und sollte es zu gefährlich werden, brechen wir die Aktion sofort ab. Die Gefahr ist minimal!“ Tsuki murrte, sagte aber nichts mehr, was eindeutig als Protest zu werten war. Die Polizistin atmete tief durch. Mit einen halblauten „Schön, das geklärt zu haben, dann können wir jetzt ja abschließend den Plan noch einmal durchgehen.“ kam sie wieder auf den Grund für ihre eigentliche Anwesenheit zurück. Nachdem Tsuki nicht mehr dazwischenredete, war die Besprechung relativ schnell zu Ende. Der Plan sah so aus: Tsuki würde an dem Tag vor dem Treffen ein Interview geben, in dem er erwähnte, seine Anteile der duell-454 an mich verkauft zu haben. Dazu sollte er kurz in seine Wohnung zurückkehren. Dort lagen noch genügend Paparazzi auf der Lauer. Einige Stunden später würde ich mit den drei Hauptverdächtigen – Maximilian Pegasus, Siegfried von Schröder und Robert Ciel – Gespräche führen und dabei versuchen, sie zu einer Aussage zu verleiten, die sie, wären sie unschuldig, nicht tätigen konnten. Die Nacht darauf würde ich in einem Hotelzimmer voller Polizisten verbringen. Am nächsten Tag war das Treffen, an dem ich auf jeden Fall teilnehmen und danach wieder abreisen würde. Mit etwas Glück mit der Gewissheit, dass der Auftraggeber des Mordanschlags und dessen Komplizen im Knast saßen. *** Seit geschlagenen fünf Minuten saß Tsuki schon auf der Kante des Stuhls vor meinem Schreibtisch und starrte auf den Vertrag. Sein Verhalten war absolut untypisch. Ich fragte mich, was los war, zum Ausdruck bringen konnte ich es nicht. „Bestehst du auf Änderungen?“, fragte ich. Tsuki schreckte hoch. Anscheinend war er in Gedanken gewesen. „Ähm ... ich versteh nicht, was dieser ganze Vertragsbruchkram soll“, meinte er dann. „Das ist mein Standarttext für die duell-454-Verträge“, erklärte ich. „Alle anderen Anteilseigner haben darauf bestanden.“ „Warum?“ Das war eine schwierige Frage. Am Anfang hatte ich es auch nicht verstanden und gewollt hatte ich diese Klausel erst recht nicht. Aber als wirklich alle Anteilseigner darauf bestanden hatten, blieb mir keine andere Wahl, wollte ich weiterhin Markführer in der Duellmonster Industrie bleiben. „Der Ingenieurskollege deiner Mutter hat seine 50% den Mitarbeitern des Projekts vermacht. Ihnen allen scheint die Entwicklung sehr wichtig zu sein. Deshalb bestehen sie auf diese Klausel. Sie stellen damit sicher, dass ihre Prozente zur Entscheidung beitragen. Sollte der Vertragspartner die vereinbarten Leistungen verweigern oder versterben, wird der Vertrag ungültig. Geld und Anteile gehen an ihre eigentlichen Eigentümer zurück.“ „Das kannst du rausnehmen. Vielleicht sollte ich in meinem Interview erwähnen, dass ich darauf verzichtet", sagte Tsuki nachdenklich. „Es ist sicher besser. Sonst kommt noch jemand auf die Idee, dich einfach zu töten, um dann über mich an die Anteile zu kommen.“ „Ja. Ohne meine Unterschrift auf einem entsprechenden Vertrag bleibt einem in dem Fall die Technologie verschlossen“, stimmte ich zu und nahm die Veränderung im Vertrag vor. „Warum hat meine Mutter mir ihre gesamten Anteile vererbt?“, fragte Tsuki. Ich merkte ihm an, dass er in Gedanken immer wieder abschweifte. Er wirkte bedrückt. „Vielleicht hat sie geahnt, dass die Chance, dass die Technologie schnell weiterentwickelt wird, schlecht steht, wenn es so viele Anteilseigner gibt.“ Ich blickte in Tsukis Gesicht. Er sah so aus, als hätte er sich eine andere Antwort erhofft. Ich wünschte, ich könnte ihm etwas sagen, was ihn ein wenig aufheitertete. Also dachte ich noch einmal über das nach, was ich über seine Mutter hatte in Erfahrung bringen können. „Aber wahrscheinlich wollte sie einfach nur, dass die Erfindung, die ihr wichtig war, in die Hände derjenigen kommt, die ihr am Herzen lagen. Ich denke, sie hat darauf vertraut, dass dein Vater oder du dafür Sorge trage würdet, dass ihre Entwicklung verwirklicht wird.“ „Vielleicht“, murmelte er und begann auf die neue Ausführung des Vertrages zu starren, die ich ihm gegeben hatte. Ich hatte die starke Vermutung, dass er nicht einmal bemerkte, worauf er blickte. Er schien völlig aus der Realität gerissen. „Tsuki, was ist los?“, fragte ich, bemüht nicht allzu besorgt zu klingen. Dass ich es aufgrund von Tsukis seltsamen Verhaltens war, stand außer Frage. „Hm.“ Er blickte verwirrt vom Vertrag auf. „Ich dachte daran, dass ich so einen Vertrag wohl schon damals unterschreiben sollte.“ Da hatte er sicherlich recht. Derjenige, der versucht hatte, uns beide aus dem Weg räumen zu lassen, hatte Tsuki Anteile haben wollen ... und einen Konkurrenten weniger. „Tja, manchmal scheint dein kopfloses Handeln auch etwas Gutes zu haben.“ „Wie meinst du das?“ Tsuki sah mich aus fragenden Augen an. „Wie willst du dein Verhalten denn sonst bezeichnen?! Du bist, als ein Gespräch mit einem Kunden sich in die falsche Richtung entwickelte, einfach gegangen. Dann bist du von einer Kneipe in die nächste gestürmt, ohne dich in einer auch nur mehr als ein paar Sekunden aufzuhalten. Letztendlich bist du quer durch die ganze Stadt zu deiner Wohnung zurückgerannt und hast dort den Hintereingang benutzt, obwohl du eigentlich gewusst haben musst, dass du so alle 21 Stockwerke zu Fuß gehen musst?“ Tsuki lächelte leicht. In diesem Moment schien er wieder ganz in der Realität zu sein. „Das war sehr nett formuliert. Das Gespräch hat mich unglaublich gereizt. Irgendwann war ich so wütend, dass ich einfach aus dem Lokal gerauscht bin. Ich wollte mich abreagieren. Alkohol schien da wohl eine einladende Lösung. Aber irgendetwas hat mich immer an das Lokal erinnert aus dem ich gekommen war – an das, was ich vergessen wollte. Also bin ich immer weiter gerannt. Das Laufen hat mich ein wenig beruhigt. Deshalb bin ich wohl auch die Treppen hoch.“ Sein Blick ruhte auf mir. Der Ausdruck seiner Augen wurde weich. „Vielleicht hast du recht und es war kopflos, aber im Grunde kann ich dir gar nicht sagen, wie egal mir das ist. Ich bin glücklich darüber, dass ich jeden Schritt so gemacht hab, wie ich ihn gemacht hab. Ich bin sogar glücklich darüber, dass sie mir den Mord an dir in die Schuhe schieben wollte, weil sie zu diesem Zweck meine Handschellen benutzt haben und ich dich deshalb gleich befreien konnte.“ Das Lächeln erfüllte seine Augen. Seine Stimme war sanft, als er fortfuhr. „Ich bin unglaublich glücklich, dich gefunden zu haben, Seto. Wie es dazu gekommen ist, interessiert mich nicht. Auch wenn mir andere Umstände lieber gewesen wären.“ Er griff zum Kugelschreiber und unterschrieb. Dann stand er auf, beugte sich über den Schreibtisch und drückte mir einen leichten Kuss auf die Wange. Ich schaute ihm hinterher. Die Tür fiel ins Schloss. Es war gut, dass er sofort gegangen war. Sonst hätte er mir sicherlich etwas angemerkt. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Meine Gefühle überschlugen sich. Die Stelle, wo er mich geküsst hatte, prickelte verheißungsvoll. Denken konnte ich kaum. Es fiel mir schwer, mich zur Ordnung zu rufen. Nur die Tatsachen zu sehen – nichts in sie hineinzuinterpretieren. Das war mit Sicherheit kein Liebesgeständnis gewesen. Tsuki war der direkteste Mensch, dem ich je begegnet war. Nur unter seltenen Umständen sprach er um die Dinge herum. Wenn er mir also seine Liebe hätte gestehen wollen, wären seine Worte „Ich liebe dich“ gewesen. So wie die Sache jetzt lag, freute er sich nur, dass es mich in seinem Leben gab. Aber allein das reichte, um all die Gefühle wieder in das absolute Chaos zu versetzen, die ich in den letzten Wochen sorgsam zu beherrschen versucht hatte. In diesem Moment war es mir herzlich egal. Es gab Hoffnung. Wenn sie auch nur gering war. *** Später am Abend stempelte ich den Gedanken als töricht ab. Ich wollte es zumindest. Mein Kopf wollte es. Meine Gefühle protestierten heftig. Es war so lächerlich. Diese Irrationalität passte nicht zu mir. Warum sollte es an rational gefassten Entscheidungen Zweifel geben? Ich verstand es nicht. Da lag wahrscheinlich das Problem. Mein Kopf konnte meine Gefühle nicht erfassen. Letztendlich gab ich meinen Gefühlen nach. Ich ging zu Tsuki. Erst frustriert verwandelte ich mich vor Tsukis Zimmertür in einen beinahe von Gefühlen geprägten Menschen. Absurd, wenn man sich die Zeit nahm, darüber nachzudenken. Ich fand Tsuki in einem Meer aus Zeichnungen, Blöcken und Mappen vor. Auf dem Boden sitzend hatte er um sich herum seine Bilder ausgebreitet und war nun in dessen Betrachtung vertieft. Interessiert trat ich näher. Bisher hatte ich noch nie ein Bild von Tsuki gesehen. In der Schule waren allerdings etliche Bemerkungen gefallen, die darauf hinwiesen, dass er gut war. Sehr gut. Als ich auf sie hinabblickte, bemerkte ich sofort ihren ungeheuren Ausdruck. Ich war kein Kunstliebhaber. Im Grunde genommen hatte ich mich nie sonderlich für Kunst interessiert. Aber die Bilder zu meinen Füßen erkannte selbst ich als gut. Sie zogen einen förmlich in die Szenerie. „Tsuki“, sagte ich und war kurz davor, ihm wirklich ein Kompliment zu machen. Ich unterließ es, als ich sah, wie er aufschreckte. Es lag derselbe Ausdruck in seinen Augen wie heute Nachmittag. Er wirkte genauso realitätsfern. Deshalb fragte ich wieder: „Was ist los?“ „Hm.“ Er begann, die Bilder zusammen zu räumen. „Einen Moment. Du kannst es dir schon mal im Bett bequem machen.“ Einen Moment lang beobachtete ich, wie er ordentlich die Bilder wegpackte. So eine Sorgfalt kannte ich von ihm nicht. Ich legte meinen Morgenmantel über einen der Sessel, schlüpfte aus meinen Pantoffeln und ließ mich auf der Bettkante nieder. Von dort aus musterte ich Tsuki kritisch. Wie jeden Abend trug er ein T-Shirt und Boxershorts. Seine Haare waren noch zerzauster als am restlichen Tag. Er bewegte sich allerdings genauso elegant und geschmeidig wie sonst auch. Es war alles wie an früheren Abenden auch. Nur der Ausdruck seiner Augen in dem Moment, als er zu mir aufgesehen hatte, war anders gewesen. Davon war allerdings nichts mehr zu erkennen, als er nun auf mich zu kam. Ich wollte den Gedanken schon abtun, als Tsuki zu mir ins Bett kam und mich sofort in seine Arme zog. Ich stutzte unwillkürlich. Normalerweise brachte er als erstes meine Haare in einen ebenso zerzausten Zustand wie seine eigenen. Er war der Meinung im Bett eine ordentliche Frisur zu haben, wäre absolut anormal. Ich hatte schnell einsehen müssen, dass es ihm ernst war. Jeden meiner Versuche, meine Haare zu richten, hatte er sofort vereitelt. Heute schien es ihn nicht zu interessieren. Seltsam. Ich nahm mir vor, sein Verhalten im Auge zu behalten. Für einen Moment hielt er mich einfach nur in seinen Armen. Mein Kopf ruhte auf seiner Schulter. Und wie eigentlich immer in Tsukis Nähe atmete ich tief seinen Geruch ein. Warm traf sein Atem auf meine Haut. Ich hatte den Gedanken, was er vorhaben könnte, noch gar nicht ganz beendet, da spürte ich seine Lippen schon an meinem Hals. Federleicht wanderten sie über die Haut. Wenig später begann er, sanfte Küsse auf meinem Hals zu verteilen. Es fühlte sich gut an, war so angenehm, wie keine Berührung zuvor. Auch wenn das mulmige Gefühl, das mich immer beschlich, wenn er etwas Neues wagte, noch nicht verschwunden war. Ich konnte die Angst nicht vertreiben, dass sich die sanften Berührungen im nächsten Moment in schmerzhafte Bisse verwandeln würden. Dennoch blieb diese Furcht im Hintergrund. Mein Körper hatte gelernt, dass Tsuki mir keine Schmerzen zufügte. Im Augenblick beschlich mich eher ein anderes Gefühl: Etwas war anders als sonst. Ich konnte es nicht erklären, aber irgendetwas an seinen Berührungen war eigenartig. „Was ist los?“, murmelte Tsuki an meinem Hals, als hätte er meine Unsicherheit gespürt. „Gefällt es dir nicht?“ Gefallen? Das war es also. Seine Intension war eine andere. Bisher war es nur ums Akzeptieren gegangen. Vielleicht sollte es angenehm sein. Aber noch nie hatte Tsuki nach dem Gefallen gefragt. Es schien, als wollte er mich verwöhnen. Ich richtete mich in seiner Umarmung auf, musterte ihn kurz und kam zu dem Schluss, dass seine Gedanken momentan im hier und jetzt weilten. „Die eigentliche Frage ist: Was ist mir dir los?“, sagte ich. „Du benimmst dich schon seit heute Nachmittag seltsam.“ „Es ist nichts“, erwiderte er. Es klang nicht sehr überzeugend. „Ich will wissen, was los ist!“, befahl ich. Darin war ich schon immer besser gewesen, als zu bitten. Es entsprach meine Art. Tsuki seufzte. Sein Blick richtete sich wieder in die Ferne. „Es ist schwer zu erklären.“ „Ich bin mir sicher, ich kann dir folgen!“, sagte ich nur. „Ich hab ihm nie verziehen“, sagte Tsuki und die Art wie er es sagte, verriet mir augenblicklich, dass er sich in diesem Gespräch etwas von der Seele reden würde. „Ich hab es meinem Großvater nie verziehen, dass er die Beziehung meiner Eltern zerstört hat. Warum mein Vater sich fügte, hab ich nie wirklich verstanden. Aber böse war ich ihm nicht. Ich weiß, dass er meine Mutter geliebt hat, auch wenn sie einfachen Verhältnissen entstammte. Das hat ihn nicht interessiert, aber seine Familie war ihm wohl auch sehr wichtig. Ich bin damit aufgewachsen, mal bei meiner Mutter zu sein und mal bei meinem Vater. Für mich war es natürlich, dass sie nicht zusammenlebten, sich nur regelmäßig trafen. Ich kam damit zurecht, auch wenn die Zeit mit beiden zusammen oftmals meine liebste war. Ich hab es ihm nie verziehen, dass er mich nach dem Tod meiner Eltern, nach seinen Werten umerziehen wollte. Genauso wenig hab ich es ihm verziehen, dass er mir das Kunststudium verwehrte und mich stattdessen zwingen wollte, Medizin, Jura oder etwas in der Art zu studieren. Ich hab mich damals bewusst hingesetzt und mir überlebt, was ich machen könnte. Es sollte etwas sein, woran ich Spaß hatte und worüber er sich maßlos ärgern würde. Seine Gesichtsausdrücke und meine Triumpfe werde ich nie vergessen." Für jede Situation, die Tsuki aufzählte, streckte er einen Finger aus. "Als er erfuhr, dass ich bei einem Begleitservice angefangen hatte; dass ich mir mit Sex noch mehr verdiente; und dass ich mich selbstständig gemacht hatte.“ Zum ersten Mal verzog er seine Lippen zu seinem typischen Grinsen. Es war ihm anzumerken, wie ehrlich diese Worte waren. „Von Anfang an hatte ich mir immer etwas Geld beiseitegelegt. Denn Kunst studieren wollte ich immer noch. Es liegt nicht am Job, dass ich es bis heute nicht tue. Natürlich mein Leben gefiel mir. Jedem der zu mir sagte, ich würde meinen Körper verkaufen, hab ich angegrinst und geantwortet: ‚Du siehst das falsch. Ich suche mir aus, mit wem ich ins Bett steige und kassiere auch noch Geld dafür.‘ Aber das war es nicht, was mich davon abhielt. Ich hatte einfach Angst. Ich dachte immer wieder: ‚Spar lieber noch etwas mehr, nicht dass du dich verrechnet hast und nicht hinkommst.‘ Den Triumpf wollte ich dem alten Griesgram auf keinen Fall gönnen. Dass ich meinen Lebensstandart nicht mehr halten könnte und vielleicht gar nicht mehr mit meinem Geld auskam. Als ich heute Nachmittag den Verkaufspreis für meine Anteile mit der Gewinnbeteiligung sah, hab ich gedacht: ‚Jetzt kannst du dir endlich deinen Traum erfüllen!‘ Im nächsten Moment hab ich gemerkt, dass ich mich hier bei Mokuba und dir pudelwohl fühle. Den Job aufzugeben, ist nicht das Problem, euch zu verlassen umso mehr. Es ist angenehm zu wissen, dass jemand da ist oder zumindest bald nach Hause kommt. Im Grunde will ich gar nicht mehr allein leben. Ich will nicht ausziehen.“ „Tsuki, wie kommst du auf die Idee, ich würde abends durch die halbe Stadt zu dir fahren und morgens wieder zurück.“ Meine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. Ich würde mit Sicherheit nicht sentimental werden. Aber Tsuki schien mich trotzdem zu verstehen. Einen langen Moment sah er mich aus großen Augen an, blinzelte kurz und schaute mich wieder aus großen Augen an. Als er begriff, dass es wirklich mein Einverständnis für sein Bleiben gewesen war, fiel er mir um den Hals. Wie es aussah, würde ich ihn nicht so schnell wieder los werden. Heute Abend nicht und in nächster Zeit auch nicht. Es war mir nur recht. Kapitel 9: Erfolg ----------------- Hallihallo! So jetzt steht es fest. Es wird nach diesem Kapitel nur noch ein weiteres geben, sowie einen Epilog. Also viel Spaß! LG Kyra --- Kapitel 9: Erfolg „Seto, du musst etwas tun!“ Ich hatte gerade das Gespräch mit Robert Ciel geführt, als mein Handy klingelte und Mokuba mich mit dieser Aufforderung begrüßte. „Was muss ich tun, Mokuba?“, fragte ich und warf einen eisigen Blick um mich herum, um meinen Bodyguards und den Polizisten in meiner Nähe klar zu machen, dass dies ein privates Gespräch war. Es war so schon lästig genug, sich immer beobachtet zu fühlen. „Ich weiß nicht was. Aber du musst etwas machen. Tsuki benimmt sich seltsam“, erwiderte er mit Nachdruck. „Seltsam?“, hakte ich nach. Ich konnte mir vorstellen, dass vieles, was Mokuba an Tsukis Verhalten als sonderbar empfand, im Grunde absolut normal war. Natürlich bezogen auf Tsukis Verhältnisse. „Er ist total ruhig: Starrt in Gedanken versunken vor sich hin und ist kaum ansprechbar.“ Ein ruhiger Tsuki war in der Tat eine Rarität. Ebenso ein Grund zur Besorgnis. Aber ich wusste nichts, was ich dagegen tun könnte. „Ich bezweifele, dass ich von hieraus etwas ausrichten kann. Du kannst das wahrscheinlich besser. Überrede ihn doch, mit dir zu spielen. Etwas, wo er seinen Kopf benutzen muss.“ „Du meinst, dass er sich nicht so viele Gedanken machen kann?!“, meinte Mokuba. Ich hörte ihm förmlich an, dass ihm eine Idee kam. „Ja.“ „Ist Tsuki beim Videospielen ehrgeizig?“, fragte er und ich wusste sofort, worauf er hinaus wollte. „Wahrscheinlich, ... wenn du ihn ein paar mal in Grund und Boden spielst.“ „Prima.“ Ich konnte Mokubas Grinsen förmlich sehen. Sein nächster Satz klang allerdings wieder besorgt. „Ruf ihn trotzdem mal an, ja?“ „Ja.“ Helfen würde es ihm zwar nicht, aber vielleicht mir. Ich dachte schon wieder öfter an Tsuki, als gut war. Glücklicherweise beschränkte es sich auf die Zeit, in der ich nichts zu tun hatte. „Gut. Pass auf dich auf, großer Bruder!“ Damit war das Gespräch beendet. Ich sperrte meine Suite auf. Es war absolut ruhig, als ich in den Flur trat. Aber ich wusste, dass sich das ändern würde, kurz nachdem ich die Tür geschlossen hatte. In meinen Zimmern hielt sich eine ganze Gruppe Polizisten auf. Von hier aus wurde alles koordiniert. Wie erwartet kam Nagamo aus einem meiner Räume, noch ehe ich meine Schuhe ausgezogen hatte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie. Sie spielte auf das Telefonat an, von dem sie zweifelsfrei schon in Kenntnis gesetzt worden war, als ich das Handy aus der Tasche gezogen hatte. „Mein Bruder“, sagte ich und fügte hinzu, weil ich wusste, dass sich die Polizistin gut mit Tsuki verstand. „Er bat mich, kurz mit Tsuki zu telefonieren. Er macht sich Sorgen um ihn.“ Sie seufzte. „Das hatte ich schon fast erwartet. Rufen Sie ihn an. Danach ist noch Zeit genug, um das Gespräch mit Robert Ciel auszuwerten.“ Ich nickte und lief den Flur ein Stückchen weiter hinunter, während sie in den Wohnraum zurückkehrte. So hatte ich wenigstens für einen Moment meine Ruhe. „Aozora Tsuki.“ Nach dem zweiten Klingeln nahm er ab. Er war also in der Nähe des Nachttisches gewesen, auf dem der Apparat stand. „Hallo“, sagte ich nur. „Seto“, klang es mir besorgt entgegen. „Geht’s dir gut?“ „Ja, es verläuft alles ganz unproblematisch.“ „Warum rufst du dann an?“ Er klang verwirrt. Anscheinend rechnete er nur mit schlechten Nachrichten. „Mokuba meint, du benimmst dich seltsam.“ Tsuki schwieg einen Moment. Das war Bestätigung genug, obwohl ich Mokubas Bericht nicht angezweifelt hatte. Aber es hatte auch etwas Beruhigendes. Es zeigte, dass Tsuki sich dessen bewusst war. „Ja, ich mach mir ständig Gedanken und kann mich kaum ablenken. Ich hab schon angefangen zu zeichnen. Das hilft ein wenig.“ „Du musst dir keine Sorgen machen. Hier sind überall Polizisten.“ Ich wusste, dass ich Unsinn redete. Mit diesen Worten konnte ich ihn nicht beruhigen. Das Einzige, was ihm die Sorge nehmen würde, wäre sofort zurückzukommen. „Lass uns sagen, ich brauch mir nicht so viele Sorgen zu machen, wie ich es momentan tue.“ Ich hörte Tsuki seufzen. „Ich kann nichts dagegen tun, obwohl ich das weiß. Aber was macht es schon, wenn ich hier die Wände hochlaufe, solange du gesund und munter wiederkommst.“ Tsuki lachte. „Mach doch einfach etwas mit Mokuba zusammen“, sagte ich. Es klang nicht wie ein Vorschlag. „Tja, ist vielleicht ne Überlegung wert“, erwiderte Tsuki meinen Tonfall ignorierend. „Dann bis morgen!“ „Tschüs, Seto. Und pass bloß auf, dass ich dich in einem Stück zurückbekomme!“ *** Meinem Empfinden nach war die Auswertung des Gesprächs mit Robert Ciel unproblematisch. Wenn er in die Sache involviert war, dann war es weder seine Idee gewesen noch wusste er viel über den Plan. So dumm konnte man sich kaum geben. Der einzige Grund, warum seine Firma überhaupt halbwegs lief, schien ein gutes Beraterteam zu sein. Nachdem auch Nagamo und Kollegen ihre Gesprächsanalyse beendet hatten, entschieden wir über das weitere Vorgehen. Es blieben noch zwei Personen – Maximilian Pegasus und Siegfried von Schröder –, die sich dadurch verdächtig gemacht hatten, dass sie versucht hatten, über den Notar von Tsukis Mutter an ihr Testament zu gelangen. Und das obwohl ihnen im Grunde hätte klar sein müssen, dass der Anwalt ihnen den Haupterben nicht nennen würde, geschweige denn ihnen Einsicht in das Testament gewähren würde. Siegfried war vor gut zwei Stunden im Hotel angekommen. Was Pegasus betraf, so hieß es, dass er erst am morgigen Tag anreisen würde. Also war Siegfried derjenige, der als nächstes genauer unter die Lupe genommen wurde. Nagamos Plan sah vor, dass ich ganz normal zum Abendessen ins hoteleigene Restaurant gehen sollte. Vielleicht ergab sich eine Möglichkeit zu einem Gespräch mit dem Geschäftsmann. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich darauf nicht lange warten müsste, sofern es Siegfried nicht vorzog, sich sein Essen aufs Zimmer bringen zu lassen. Ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass er nie eine Gelegenheit ausließ, mir gegenüber seine Geringschätzung auszudrücken. Zwanzig Minuten später saß ich im Speisesaal des Hotels und wartete auf mein Essen. Vor mir auf dem Tisch lag mein Notizblock, in dem ich ein paar spontane Ideen für mein neues Videospiel skizzierte. An unbekannten Orten sprangen mich diese oftmals förmlich an. Nebenbei hörte ich über einen kleinen Empfänger im Ohr die Kommunikation der Polizei mit. „Zielperson betritt den Raum. Er ist allein“, wisperte es aus dem Gerät, als ich gerade begann, die dritte Idee zu notieren. Ich blickte nicht auf, sondern schrieb einfach weiter. Die Informationen der Polizisten reichten aus, um mir ein Bild der Lage zu machen. „Er holt sein Handy aus der Tasche und telefoniert.“ Der Satz ließ mich stutzen. Einen Moment hielt ich im Schreiben inne. In gehobenen Gesellschaftskreisen war es absolut verpönt, beim Essen zu telefonieren. Ich persönlich hatte mir nie sehr viel daraus gemacht und nur wenigen Personen gegenüber respektierte ich dieses ungeschriebene Gesetz. Wenn ich die Familie von Schröder richtig einschätzte, dann hatte diese Regel bei ihnen große Bedeutung. Warum brach Siegfried sie also? Ich wendete mich wieder meinen Notizen zu, hörte jetzt aber mit mehr Aufmerksamkeit den Kommentaren der Polizeibeamten zu. In den nächsten Minuten ereignete sich nichts Bemerkenswertes – Siegfried schien immer noch mit der Wahl seines Abendessens beschäftigt, – doch dann trat einer von seinen Sicherheitsleuten zu ihm an den Tisch und reichte ihm, wie der Polizist es ausdrückte, eine „lederne Mappe“. Die genauere Beschreibung, die folgte, passte exakt auf Siegfrieds Vertragsmappe. Langsam wurde es interessant. Das bestätigte einen Moment später auch der Polizeikommentar, der diesmal direkt an mich gerichtet war: „Er kommt auf sie zu, Mister Kaiba. Die Mappe hat er in der Hand.“ Im Grunde war diese Bemerkung unnötig gewesen. Siegfried hatte nur vier Tische von mir entfernt gesessen, sodass nun ein paar Schritte von ihm genügten, um mir den aufdringlichen Geruch seines Rosenparfums in die Nase zu treiben. Widerlich. Noch bevor er meinen Tisch erreicht hatte, erklang in typischer Siegfried von Schröder Manier mein Nachname – die übertriebene Betonung der letzten Silbe ließ mich beinahe die Augen verdrehen. Wenn ich es mir recht überlegte, war mir Pegasus kindisches Kaiba-boy noch hundertmal lieber, als Siegfrieds herablassendes Kai-Baar. „Das ist mein Tisch, Siegfried“, sagte ich kalt, als er sich ungefragt auf dem freien Platz mir gegenüber niederließ. Siegfried ignorierte es. Er legte seine Mappe vor sich auf den Tisch und sah mich aus rosa Augen herablassend an. „Wie man hört, hast du Anteile der duell-454 von Aozora Tsuki bekommen“, sagte er geringschätzend. Er klappte die Mappe auf und holte einen Vertrag heraus, den er mir vor die Nase hielt. Ein flüchtiger Blick auf das Papier bestätigte mir, dass es ein Kaufvertrag für meine Anteile war. „Wie wir im Grunde beide wissen, bin ich der Bessere von uns. Deshalb sollte auch meine Firma duell-454 umsetzen. Du hast dir dein Monopol in der Duell Monsters Industrie doch nur durch Illegalität und Unfairness erschlichen. Und da du das genau genommen weißt, unterschreib.“ Er legte den Vertrag in die Ledermappe zurück und schob diese zu mir hinüber, so dass sie halb auf meinem Notizblock lag. Was sollte das? „Ich habe dir schon einmal erklärt, dass ich nie etwas Illegales getan habe“, sagte ich vernichtend. „Fairness ist relativ. Es ist nicht mein Problem, dass du immer zu langsam warst!“ Siegfried lächelte höhnisch. Bei seiner Antwort ignorierte er meinen Einwand wieder einmal. „Was hast du dieses Mal getan? Die Beine für ihn breit gemacht? Den kleinen Callboy sich mal so richtig austoben lassen? Ach nein, das wäre sicherlich zu viel Ehrverlust für den großen Seto Kaiba. Wahrscheinlich hast du’s ihm nur in allen anderen Bereichen recht gemacht. Hast du ihn so um den Verstand gevögelt, dass er nur noch dich will? Hat er deswegen seinen Job an den Nagel gehängt?“ Schön wär’s, dachte ich, aber ich kannte Tsukis Pläne für die Zukunft. Kunst. Obwohl ich ihm zweifelsohne wichtig war, war die Motivation etwas Neues anzufangen, mit Sicherheit nicht ich gewesen. Der Rest, den Siegfried von sich gab, ließ mich erstaunlich kalt. Er hatte absolut keine Ahnung. „Interessante Fantasien hast du, Siegfried. Leider stimmt davon nichts mit der Realität überein“, erwiderte ich frostig. Dann wendete ich mich demonstrativ wieder meinen Notizen zu. „Betrachte das Gespräch hiermit als beendet. Geh und verpeste irgendwo anders die Luft mit deinem penetranten Rosen Eau de Parfum.“ „Diesmal gewinne ich, Kai-Baar“, sagte er, schlug das Vertragsbuch zu, griff es sich und verschwand. Was für ein seltsamer Auftritt. Ich konnte nicht sagen, was genau mir daran so sonderlich erschien, aber er entsprach nicht ganz Siegfrieds Art. *** Nachdem ich gegessen hatte, kehrte ich auf mein Zimmer zurück. Ein Blick in Nagamos Gesicht genügte, um festzustellen, dass sie meiner Meinung war. Irgendetwas störte sie ebenso an der Unterhaltung. Beim Ansehen der Videoaufnahme über die Hotelkameras verstärkte sich dieser Eindruck, als ich Siegfrieds zufriedenes Grinsen sah. Er sah aus, als wäre das Gespräch ein voller Erfolg gewesen. Wir schauten uns die Aufnahmen noch mehrmals an und immer wieder stieß ich auf störende Details. Die Blicke, die er immer wieder zu mir hinüber geworfen hatte. Das Telefongespräch. Das Hochhalten des Vertrages. Die herablassende, provokante Triade über Tsuki und mich. Das Zuklappen der Vertragsmappe. Der überaus zufriedene Blick. Irgendetwas musste Siegfried im Schilde führen. Als die Aufnahme das sechste Mal lief, fiel es mir auf. In keinem Moment konnte man sehen, dass ich schrieb. Aber dass ich es getan hatte, konnten mit Sicherheit etliche Gäste des Restaurants bezeugen. Was ich geschrieben hatte, würde niemand aussagen können. „Heute Abend wird hier jemand mit dem Vertrag erscheinen“, sagte ich. Sofort richtete sich Nagamos Blick auf mich. „Wie kommen Sie darauf?“ „Das Ganze ist eine Inszenierung. Er will morgen eine stichhaltige Erklärung dafür haben, dass meine Unterschrift auf dem Vertrag ist“, erwiderte ich. Nagamo verstand gleich. Sie ließ das Band noch einmal schnell durchlaufen und meinte dann: „Auf dem Band ist nicht zu sehen, dass Sie schreiben.“ „Richtig!“ Ich nahm mir die Fernbedienung und belegte meine Ausführungen mit den verschiedenen Bildern. „Er kommt ohne den Vertrag nach unten. An dieser Stelle bemerkt er, dass ich schreibe und ihm wird sofort klar, dass er diese Situation nutzen muss. Er denkt ein paar Minuten nach – überlegt sich einen Plan –, schaut sich immer wieder um, um die Umgebung zu überprüfen. Er kann es sich schließlich nicht leisten, dass eine Kamera aufnimmt, dass ich nicht unterschreibe. Schließlich ruft er einen seiner Leute an – etwas, was er normalerweise während des Essens nie tun würde –, damit ihm jemand den Vertrag bringt. Er kommt zu mir hinüber, beginnt ein oberflächlich betrachtet typisches Gespräch. Hier hält er geradezu demonstrativ den Vertrag hoch. Dann legt er ihn so, dass man später nicht unterscheiden kann, was ich geschrieben habe. Ich habe ihm schon oftmals mit Desinteresse zu verstehen gegeben, dass er verschwinden soll. Er konnte sich also sehr sicher sein, dass ich es dieses Mal genauso halten und mich meinen Notizen zu wenden würde. Und schließlich klappt er erst die Mappe zu und nimmt sie dann an sich. Das hätte er ohne Schwierigkeiten auch gleichzeitig tun können, aber dann hätte er befürchten müssen, dass auf den Kameraaufnahmen keine Unterschrift zu sehen ist.“ Nagamo hatte zwischenzeitlich immer wieder genickt. Nun setzte sie meine Überlegungen fort. „Seinen Gesichtsausdruck, als er ging, könnte man auch so deuten, dass er zufrieden ist, Ihre Anteile bekommen zu haben. Genau wie sein Monolog als Überredung gelten könnte.“ Ich stimmte ihr zu. Wobei ich mir sehr sicher war, dass er mich mit dieser Rederei über Sex hatte verletzen wollen. Wenn er den Mord in Auftrag gegeben hatte, dann wusste er auch, was vorher hatte passieren sollen. Dass er der Täter war, da konnte man sich aufgrund der Situation sehr sicher sein. „Gut“, sagte Nagamo, „dann überlegen wir jetzt, wie wir heute Nacht vorgehen wollen.“ „Ich hab schon einen Plan“, sagte ich. „Er beruht darauf, dass Siegfried es perfekt und stichhaltig haben wollen wird.“ Ich zog meinen Füller aus der Manteltasche. *** Inzwischen war es drei Uhr nachts. Bisher war noch niemand aufgetaucht. Ich lag angespannt in meinem Bett. Unter meine Kopfkissen konnte ich die Pistole spüren. Für den Fall, dass der eigentliche Plan nicht funktionierte, hatte Nagamo gesagt. Am Anfang hatte ich es für Unsinn gehalten. Jetzt tasteten meine Finger – wie in den letzten beiden Stunden schon öfter – nach dem kühlen Metall. Es hatte etwas Beruhigendes. Eine kleine Erinnerung daran, dass ich mich wehren konnte. „Sind Sie müde, Mister Kaiba?“, klang Nagamos Stimme aus dem Empfänger in meinem Ohr. „Nein“, sagte ich halblaut in den Raum hinein, da ich wusste, dass hier überall Abhörinstrumente installiert waren. Im Grunde entsprach meine Antwort nicht der Wahrheit. Ich war müde, aber da ihre Frage darauf abzielte, ob ich in nächster Zeit einschlafen würde, war sie angemessen. Ich war so aufgewühlt, dass ich mit Sicherheit kein Auge zu tun würde, bis diese Geschichte vom Tisch war. Es dauerte eine gute halbe Stunde bis ich das nächste Mal Nagamo hörte. „Die Kameras wurden in eine Schleife gelegt. Wahrscheinlich kommt also gleich jemand.“ Ich dachte an meinen Plan und zwang mich, die Pistole loszulassen. Es wäre nicht gut, wenn derjenige sie sofort bemerken würde. Ich versuchte mich halbwegs zu entspannen – jahrelange Selbstbeherrschung machte es möglich –, begann ruhig und gleichmäßig zu atmen und schloss die Augen. Wenig später hörte ich Nagamo flüstern: „Er ist jetzt in der Suite.“ Der Kommentar war überflüssig, denn nur wenige Sekunden später hörte ich, wie die Tür zu meinem Schlafzimmer geöffnet wurde. Leise Schritte folgten. Ich bewegte mich leicht unter der Decke, wollte nicht starr erscheinen. Eine kräftige Hand rüttelte mich an der Schulter. Ich tat so, als würde ich verschlafen blinzeln und als ich die Pistole vor meiner Nase sah, zuckte ich zurück, soweit die Hand auf meiner Schulter das zu ließ. „Was zum Teufel ...“, entfuhr es mir. Es war einfacher gewesen, so zu reagieren, als gedacht. Ich erkannte den Mann. Genauso wie ich ihn damals auf einem der Fotos, die Nagamo mir gegeben hatte, erkannt hatte. Er gehörte also wirklich zu Siegfrieds Leuten. „Wo ist der Füller, mit dem du heute Abend geschrieben hast?“, fuhr er mich an. Er wirkte gehetzt. Seine Aufgabe bei der Ausführung des Plans hatte wohl anfänglich anders ausgesehen. Vielleicht war er nur für die Observation zuständig gewesen. Ich blickte einen kurzen Moment verwirrt. Zwar glaubte ich nicht, dass er es bei den schlechten Lichtverhältnissen sehen konnte, aber es half mir, meine Rolle zu spielen. In Wirklichkeit wunderte mich diese Frage überhaupt nicht. Ich hatte es gewusst. Es war klar gewesen, dass Siegfried den Vertrag mit demselben Füller, derselben Tinte unterschrieben haben wollte. Er wollte hundertprozentig sicher sein. „Na antworte schon!“ Er sah mich spöttisch an. „Du brauchst es gar nicht hinauszuzögern. Dieses Mal wird kein verrückter Callboy dazwischen kommen.“ „Tsuki hat euch den Plan ruiniert“, stellte ich fest. Das war vom ersten Moment klar gewesen. Schon, als der Besenstiel seinen Komplizen getroffen hatte. „Der Plan war perfekt“, brach es aus dem Mann heraus. Anscheinend war er es nicht gewesen, schließlich lebte ich noch. „Wenn der Idiot nicht auf einmal das Treffen mit einem seiner Stammkunden platzen gelassen hätte und nicht wie ein Irrer kreuz und quer durch die Stadt gerannt wäre, hätte alles prima geklappt. Du wärst fast tot gewesen, wenn er nach Hause gekommen wäre. Shin hätte ihn überwältigt und den Boss benachrichtigt, der ihm den Vertragstext per E-Mail geschickt hätte. Shin hätte ihn ausgedruckt, und Aozora gezwungen zu unterschreiben. Danach hätte er euch umgebracht und es so arrangiert, dass jeder geglaubt hätte, der verdammte Callboy hätte erst dich und dann sich selbst getötet.“ Damit war auch geklärt, warum es keinen Hinweis auf einen Vertrag gegeben hatte. Ich musste zugeben, dass der Plan gut gewesen war. Ich schwieg weiterhin - wollte ihn dazu verleiten, auch Siegfrieds Namen zu nennen. Im Grunde war das nicht notwendig. Er hatte Siegfrieds Vertragsmappe dabei. „Also, wo ist der Füller?“, fragte er noch einmal und wedelte mit der Waffe herum. „Im Wohnzimmer“, sagte ich. Mit dem Wissen, das er meine Unterschrift wollte, fühlte ich mich wirklich etwas besser. Er würde mich nicht töten, solange er die nicht hatte. „Geh voraus“, wies mich der Kerl an und machte mit der Pistole Zeichen zur Tür. Ich stand wortlos auf. Er folgte mir. Es lief alles nach Plan, doch nun schlug mir mein Herz bis zum Hals. Die Pistole war nicht entsichert. Ich hoffte, dass das die letzten paar Meter auch so blieb. Nicht dass sich noch ein Schuss löste und ich wohlmöglich getroffen wurde. Ich öffnete die Tür zum Wohnzimmer, trat ein und konnte aufatmen, als hinter mir wütendes Geschrei ausbrach. Die Polizisten, die hinter der Tür postiert waren, hatten ihn entwaffnet und ergriffen. *** Als in meiner Suite wieder etwas Ruhe eingekehrt war, griff ich zu meinem Handy und rief Tsuki an. Gleich nach dem ersten Klingeln nahm er ab. „Ja?“, erklang es in einer Mischung aus Furcht und Hoffnung. Für einen Moment überwältigte mich sein Ton. Ich war glücklich, dass ich ihm so viel bedeutete und gleichzeitig tat es mir leid, ihm solche Sorgen bereitet zu haben. Verliebt zu sein, trieb einen wahrlich in das absolute Chaos, dachte ich innerlich seufzend. „Du scheinst die Wand nicht sehr weit erklommen zu haben“, sagte ich schließlich. „Du irrst dich.“ Er klang erleichtert. „Ich lief gerade zufälligerweise an der Decke über dem Telefon, als du anriefst.“ „Dann pass auf, dass du nicht gleich herunterfällst.“ „Es ist vorbei?“, fragte er. „Ja. Wir haben einen auf frischer Tat ertappt und der hat in der Hoffnung auf Strafmilderung gleich all seine Komplizen verraten. Nagamo hat mit ihren Kollegen schon alle festgenommen.“ „Und dir geht es gut?“ „Ja, mir ist nichts passiert.“ „Dann ist ja gut. Ich sag es sofort Mokuba. Ähm ... wer von den dreien war’s überhaupt?“ Unweigerlich schlich sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Das war so typisch für Tsuki. „Siegfried von Schröder, falls dir der Name noch was sagt“, stichelte ich. „Jetzt, wo du ihn erwähnst ...“ Tsuki lachte, so unbeschwert wie immer. „Gut, dann bis später. Ich will dich nicht länger aufhalten. Du hast sicher einen anstrengenden Tag vor dir. Also schlaf gut!“ Er hatte recht. Deshalb legte ich mich auch sofort hin, nachdem ich das Gespräch beendet hatte. Trotz meiner Müdigkeit dauerte es eine Weile, bis ich einschlafen konnte. Ich dachte an Tsuki. Es war lächerlich. Aber ich vermisste ihn, insbesondere neben mir. Kapitel 10: Geständnis ---------------------- Hallo! Jetzt ist auch das letzte Kapitel fertig. Hier noch kommt nur noch ein etwas limoniger Epilog. ^^ Ich hoffe, es gefällt euch! LG Kyra --- Kapitel 10: Geständnis Es war später Abend, als ich mit einem Koffer voller Verträge in meine Suite zurückkehrte. Beim Öffnen der Tür schlug mir eine Diskussion entgegen. Mein Herz begann höher zu schlagen. „Was hast du dir dabei gedacht, einfach herzukommen?“, fragte Nagamo aufgebracht. „Jetzt reg dich nicht so auf, Tomiko. Ich bin doch erst nach seinem Anruf aufgebrochen.“ An der Tür zum Wohnzimmer blieb ich stehen. Einen Moment lang betrachtete ich das Bild, das er bot. Er trug einen schwarzen, figurbetonten Anzug mit einem dunkelroten Hemd. Das Haar war so zerzaust wie immer. Er sah gut aus ... mehr als das. Ich konnte kaum glauben, dass er mir nach Amerika nachgereist war. „Tsuki, wenn der Anzug ein Versuch war, zumindest halbwegs konservativ auszusehen, ist er kläglich gescheitert“, sagte ich und machte ihn damit auf mich aufmerksam. „Seto“, rief er freudig aus und ehe ich mich versah, fand ich mich in seinen Armen wieder. Sofort stieg mir sein Geruch in die Nase. Ich versuchte unauffällig tief einzuatmen. Ich hatte ihn wirklich vermisst. „Du siehst erschöpft aus“, stellte er nach einer kurzen Musterung besorgt fest. Die Frage war, warum er so munter wie immer war. Hatte er es geschafft, im Flugzeug zu schlafen? „Ich hab den ganzen Tag damit verbracht, mit Leuten zu verhandeln, die viel zu viel Geld von mir haben wollten“, sagte ich dann. Nagamo blickte Tsuki kopfschüttelnd an. „Mister Kaiba, was haben Sie gemacht, dass Sie ihm so wichtig sind?“ Das war eine gute Frage. „Ich habe keine Ahnung.“ *** Gleich nachdem wir das Hotel verlassen hatten, war Tsuki angefangen, mich mit Fragen zu bestürmen. Er wollte genau wissen, was vorgefallen war. Ich verstand nicht warum. Es ging mir gut. Er brauchte sich keine Sorgen mehr zu machen. Die ersten Fragen hatte ich so knapp wie möglich beantwortet. Und gleich nach dem Abflug des Flugzeugs hatte ich mich in meine Kabine zurückgezogen. Ich wollte arbeiten, war meine Ausrede gewesen. Dabei wäre ich wirklich gern mit Tsuki zusammen gewesen. Es war schön, dass er da war. Wenn er nur nicht alles hätte wissen wollen. Ich kannte ihn. Wenn ich erst einmal Bereitschaft zeigte, zu reden, würde er nicht locker lassen, bis ich ihm alles erzählt hätte. Und aus irgendeinem Grund wollte ich es ihm nicht sagen. Es fiel mir schwer, zu definieren, was es war. Einerseits war es sicherlich die Befürchtung, dass er doch noch etwas Schlimmes daran finden würde und ab jetzt jedes Mal, wenn ich geschäftlich verreisen wollte, so ein Theater begann. Das war wohl weder in meinem noch in seinem Sinne. Und andererseits wollte ich erst gar nicht in eine Situation kommen, in der ich Tsuki von Siegfrieds Triade erzählen musste. Rational betrachtet würde Tsuki darüber nur lachen. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass seine Reaktion eine andere sein würde. Was für eine, wollte ich gar nicht herausfinden. Also hatte ich mich in meiner Arbeit vergraben. Mein Leistungspensum näherte sich immer weiter null an. Wieder einmal konnte ich nur an ihn denken. Es war ein schönes Gefühl, dass er den ganzen Weg auf sich genommen hatte, um bei mir zu sein. Ich kam mir dumm vor, dass ich jetzt auf Abstand ging. Schließlich freute ich mich, dass er da war. Da wäre es angebracht gewesen, bei ihm zu bleiben. Zumal seine Gegenwart mich wahrscheinlich etwas beruhigen würde. In ein paar wenigen Situationen hatte ich heute wieder Probleme mit den Berührungsängsten gehabt. Für die Nacht war es also nur von Vorteil, dass er hier war. So musste ich zumindest nicht mit Alpträumen rechnen. Meine Überlegungen wurden unterbrochen, als es an der Tür klopfte. Einen Moment später glitt sie auf. Tsuki trat ein, warf mir einen vorsichtigen Blick zu. Sein Jackett hatte er inzwischen ausgezogen, aber die schwarze, seine Beine umschmeichelnde Anzughose trug er immer noch, ebenso das glänzende, rote Hemd, unter dem sich sein kräftiger Oberkörper abzeichnete. Dadurch, dass er die oberen Knöpfe geöffnet hatte, bekam man schon einen kleinen Einblick, auf das, was sich unter dem Stoff verbarg. Es fiel mir schwer, den Blick abzuwenden und ihm in die Augen zu sehen. „Ich weiß, du hast viel zu tun, aber ich hab eine Kleinigkeit zum Abendessen gemacht.“ Er schwenkte einen Teller mit Reisbällchen. „Also, wenn du möchtest ...“ „Setz dich doch!“ Innerhalb von Sekunden war meine Entscheidung getroffen. Sein Gesichtsausdruck hellte sich auf. Er stellte den Teller zwischen uns auf dem Tisch ab und ließ sich in einen der Sessel vor meinem Schreibtisch plumpsen. Ich nahm mir ein Reisbällchen und betrachtete es skeptisch. Es sah ganz normal aus, aber es war von Tsuki gemacht worden. Und der war durch seine abenteuerlichen Kochkünste schon mehrmals aufgefallen. Nicht unbedingt schlecht, aber ... ungewohnt. „Hey, guck nicht so“, meinte er schmollend. „Das sind ganz normale.“ Ich biss hinein. Tatsächlich. Die waren sogar richtig gut. Eine Weile saßen wir uns nur schweigend gegenüber und aßen. Es war keine unangenehme Stille. Tsuki hatte sich schon immer gut darauf verstanden, einfach nur da zu sein. Allerdings konnte ich mir denken, dass er in nächster Zeit wieder auf das alte Thema zurückkommen würde. Also hatte ich vor das Gespräch von Anfang an in eine andere Richtung zu lenken. „Willst du immer noch Kunst studieren?“, fragte ich. Er blickte mich verwundert an. „Ja, aber wie weiß ich noch nicht ganz genau. Vielleicht fange ich im Wintersemester in Tokio an. Vielleicht mach ich aber auch ein Fernstudium.“ Er lächelte. „Wie gesagt, ich will nur ungern ausziehen.“ „Du hast einen Job in Aussicht“, sagte ich nur. Ich hatte mit Pegasus gesprochen, der einen neuen Kartendesigner suchte. Einen Moment lang sah mich Tsuki verwirrt blinzelnd an. Er schien sich nicht sicher zu sein, ob das eine Frage oder Feststellung war. „Hab ich?“, fragte er dann. So wie Pegasus auf das Bild von Tsuki, dass ich heimlich mitgenommen hatte, reagiert hatte, schon. Wer Pegasus halbwegs kannte, wusste, was eine solche Flut an wonderfulls, livelys, brilliants, awesomes und ähnlichem zu bedeuten hatte. „Wenn du dich beim Zeichnen so geschickt anstellst, wie sonst auch, mit ziemlicher Sicherheit.“ Ich reichte Tsuki die Ausschreibung des Jobs. Er nahm sie immer noch verwirrt entgegen, überflog die erste Seite, blätterte dann weiter und sah sich die beigefügten Monsterskizzen an. Währenddessen holte ich die Zeichenmappe mit seinem Bild aus meinem Koffer. „Ich versteh nicht ganz“, meinte er. Sein Blick ruhte auf dem ersten Blatt des Anhangs. „Pegasus sucht jemanden, der seine neue Kartenkollektion zeichnet. Die Ausschreibung ist mit einem Wettbewerb verbunden. Die Monster, die im Anhang beigefügt sind, sollen gezeichnet werden – detailliert, in Farbe, mit Hintergrund und so weiter. Derjenigen, der die besten Zeichnungen einschickt, wird eingestellt.“ „Aber warum bist du dir so sicher, dass ich den Job bekommen?“, fragte er weiter. Ich gab Tsuki die Mappe mit seinem Bild. Es zeigte mich beim Duellieren. „Als du mir erzählt hast, dass du davon träumst, Kunst zu studieren, kam mir die Ausschreibung in den Sinn. Ich dachte, vielleicht würde es dich interessieren. Wenn auch nur als Übergang, um sich während des Studiums etwas dazuzuverdienen. Also hab ich die Duellszene mitgenommen und es Pegasus gezeigt. Der war begeistert.“ Außerdem war Pegasus ein großer Kunstliebhaber. Er hatte Ahnung. Er besaß ein nicht geringes Talent und veranstaltete viele Galerien, seitdem er selbst nicht mehr malte. Da war es mir sinnvoll erschienen, ihm einmal ein Werk von Tsuki zu zeigen. Als Künstler groß rauszukommen, war schließlich nicht einfach. „Du hast deine Kontakte eingesetzt, um mir zu helfen?!“, sagte er und blickte mich aus großen, grünen Augen an. Freude, Dankbarkeit und etwas Unglaube spiegelten sich in ihnen wieder. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich hielt es für sinnvoller, mit Pegasus zu sprechen und zu sehen, ob ihm dein Stil gefällt, bevor du dir die Arbeit machst. Also haben sich deine Chancen genau genommen gar nicht verändert.“ „Trotzdem danke!“ Er strahlte über das ganze Gesicht. „Ich werd mich daran versuchen. Aber eine Frage habe ich noch: Wo würde ich denn später arbeiten? Industriell Illusion hat doch keinen Sitz in Japan.“ „Pegasus und ich arbeiten auf einigen Gebieten sehr stark zusammen. Ein paar seiner Leute haben schon jetzt Büros in meinen Gebäuden. Andersherum genauso. Du würdest also in Domino bleiben. Wahrscheinlich könntest du sogar zu Hause arbeiten“, erklärte ich. Daran hatte ich natürlich auch gedacht. Ich wollte nicht, dass Tsuki ging. „Oh, das ist prima!“ Wir sprachen noch eine ganze Weile über die Zeichnungen. Alle Figuren waren aus Mythen und Legenden entnommen worden. Das war schließlich das Thema der neuen Kartenreihe. Wir philosophierten über verschiedene Hintergründe und diskutierten, welche Farben zu den einzelnen Figuren und Bildteilen passen würden. Viel Ahnung von Kunst hatte ich nicht, aber Dinge, wie den Goldenen Schnitt oder die Bedeutungen verschiedener Farben kannte ich. Dennoch war mein Wissen im Gegensatz zu dem von Tsuki geschwinden gering. Es war eine ungewohnte Situation. Normalerweise war ich der Klügere. Und jedes Mal, wenn es bisher anders gewesen war, hatte ich es gehasst. Nicht so bei Tsuki. Er gab mir das Gefühl, dass es beinahe nichtig war, dass ich nicht so viel wusste. Er spottete nicht, erklärte selbst Dinge, die für ihn anscheinend Basiswissen waren. Irgendwann begann Tsuki zu gähnen. „Meine Güte, bin ich müde. So gut scheine ich auf dem Hinflug wohl doch nicht geschlafen zu haben.“ Er streckte sich. „Ich denke, ich leg mich besser hin. Wo kann ich schlafen?“ War das eine rhetorische Frage? Oder wollte er nicht bei mir schlafen? Ich ignorierte es. „Da“, sagte ich und zeigte auf mein Bett. Tsukis Blick folgte meinem Finger. „Bei dir?“, fragte er. Es klang seltsam. Ein wenig unsicher. Ich hob eine Augenbraue. Eine Geste, die ich Tsuki gegenüber selten benutzte. „Ist das ein Problem?“ Er antwortete nicht, sondern gähnte noch einmal und verließ das Zimmer. Einen Moment lang blickte ich ihm verständnislos hinterher. Dann wurde mir klar, dass er noch ins Bad musste und seine Reisetasche ebenso in einem anderen Raum stand. Sonderbar war sein Verhalten dennoch gewesen. Die Minuten, bis er wiederkam, verbrachte ich damit, darüber nachzudenken. Allerdings ohne Lösung. Als Tsuki eintrat, bemerkte ich deutlich, dass etwas nicht stimmte. Sein Gang war anders. Der Ausdruck seiner Augen war kaum definierbar. Ein Chaos aus Entschlossenheit, Angst, Unsicherheit und Zuneigung. „Es gibt da etwas, dass du wissen solltest“, erklärte er, während er seine Reisetasche auf den Stuhl neben sich stellte und seinen Anzug über die Lehne legte. Er setzte sich in seinen Stuhl und starrte einen Moment auf seine Hände. „Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich es dir sagen soll. Bisher hab ich mich immer dagegen entschieden. Aber inzwischen ist mir klar geworden, dass ich es dir unter den gegebenen Umständen nicht länger verschweigen darf. Ich hab nicht das Recht, die Entscheidung für dich zu treffen.“ „Die Entscheidung worüber?“, fragte ich. Ein ungutes Gefühl beschlich mich, was ich natürlich nicht zeigte. „Ob du mir weiterhin in der Sache der Berührungsängste vertraust“, sagte er. Für einen Moment war ich sprachlos. Er wollte es abbrechen. Warum? Es half mir und ich genoss seine Gegenwart, seine Berührungen. „Ich sehe keinen Grund dazu!“, stellte ich klar. „Weil ich dir bisher etwas Wichtiges verschwiegen habe!“, erwiderte er ernst. Ich hörte die Entschlossenheit in seiner Stimme. Seine Augen drückten dasselbe aus. „Es gibt drei Dinge, die du wissen solltest. Erstens: Ich begehre dich. In einem Maß, das ich noch nie erlebt habe. Dein Anblick genügt, um Lust zu bekommen, dich sofort nehmen zu wollen. Ich will mit dir schlafen, Seto. Und ich nicht weiß, ob ich die Kontrolle darüber behalten kann. Zweitens: Ich liebe dich. Jeden Moment, den du nicht da bist, vermiss ich dich ein wenig mehr. Ich möchte in deiner Nähe sein. So sehr, dass ich dir sogar nachgereist bin, um dich ein paar Stunden früher wiederzusehen. Von den Sorgen, die ich mir um dich gemacht habe, brauch ich gar nicht anzufangen. Du hast gemerkt, wie ich am Rad gedreht habe. Du bedeutest mir wirklich viel. Drittens: Ich will dich glücklich sehen. Mehr als alles andere. Selbst wenn das bedeutet, dass ich meine Liebe nicht ausleben kann. Deswegen sage ich dir das alles auch. Ich will dich unter keinen Umständen verletzen.“ Ich war sprachlos. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. In meinem Magen kribbelte es wie verrückt. Er liebte mich. Und das hatte er mir mit einer Liebeserklärung gesagt, um dich mich wohl jedes träumerische Mädchen beneiden würde. Ich wollte ihm sagen, dass ich seine Gefühle erwiderte. Aber ich wusste ganz genau, dass ich es nicht konnte. Mir war es nicht möglich, so viel von mir Preis zu geben. Ich fürchtete mich davor, wie angreifbar mich mein Geständnis machen würde. Also tat ich es nicht. „Tja“, sagte Tsuki, „ich denke, ich sollte woanders schlafen. Du kannst in Ruhe darüber nachdenken.“ Es gab nicht viel nachzudenken. Ich vertraute ihm und ich hatte auch allen Grund dazu. Wie er selbst gesagt hatte, ich war ihm wichtiger. Ich hatte nichts zu befürchten. Ich wusste, dass Tsuki sofort auf Abstand gehen würde, wenn er merkte, dass er die Kontrolle verlor. „Wo kann ich schlafen?“ Er sah mich fragend an. „Bei mir!“, erwiderte ich sofort. „Seto!“, meinte Tsuki beinahe verzweifelt. „Es ist mir ernst. Also, wo kann ich schlafen?“ „Bei mir!“, sagte ich mit Nachdruck. „Seto, bitte denk darüber nach!“ „Drücke ich mich so undeutlich aus?! Ich sagte, du schläfst bei mir“, bestimmte ich. Tsuki sah mich aus großen Augen an. Verständnislos, aufgrund dieses Befehls. Aber er wiedersprach nicht. Ich wartete auch gar nicht erst auf eine Antwort. Ich verließ den Raum, um mich umzuziehen. Während ich im Bad vor dem Spiegel stand, dachte ich daran, dass ich ihn liebte. Und nur weil ich nicht in der Lage war, ihm dies zu sagen, bedeutete das nicht, dass ich seine Gegenwart und seine Berührungen nicht genießen konnte. Tsuki tat das zweifelsfrei auch. Als ich in mein Zimmer zurückkam, war es dunkel. Aber ich hörte, dass Tsuki da war. Er war dort, wo er sein sollte. Im Bett. Ich legte mich zu ihm und sofort umschlagen mich seine Arme. „Ich fühle mich geehrt aufgrund deines Vertrauens“, murmelte er mir ins Ohr. „Ich hoffe, ich habe es auch verdient.“ Ich antwortete nicht, schob einfach nur die Hand, die bisher an meiner Hüfte gelegen hatte, ein Stück nach unten. Damit sollte endgültig klar sein, wie ich dazu stand. Tsuki seufzte, nahm das Angebot aber an. Seine Hand fuhr sanft über meinen Po. Behaglich schloss ich die Augen und rückte noch ein Stückchen näher an ihn heran. Beinahe hätte ich zufrieden geseufzt. „Seto?“ „Hm.“ „Gibt es etwas ... Ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll ... ich ... seitdem ich begriffen habe, dass ich dich liebe, fällt es mir schwer ... zu unterscheiden, was für Berührungen angemessen sind.“ Es schien ihm nicht leicht zu fallen, sich auszudrücken. Ein Problem, das Tsuki selten hatte. „Du kannst mich berühren, wo und wie du willst, wenn du der Meinung bist, dass es mir hilft.“ Und es mir gefällt, fügte ich in Gedanken hinzu. Es war mir nur Recht, wenn Tsuki Gefallen an mir fand. „Es stört dich nicht, dass ich jede Berührung genieße? Es erscheint dir nicht eigennützig?“, fragte er zweifelnd nach. „Sollte es?“ Tsuki lachte leise. „Ich versteh dich immer noch nicht vollkommen!“ Das war auch gut so. Absolut durchschaubar zu sein, war für mich eine Vorstellung, die mir kalte Schauer über den Rücken jagte. „Sagst du mir, welche Berührung dir am besten gefällt?“ Aufgrund dieser Frage wurde ich tatsächlich rot. Ehe ich es verhindern konnte, war mir das Blut in die Wangen geschossen. Jahrelang antrainierte Selbstbeherrschung ade. Schämte ich mich dafür? Nein. Warum sollte ich? Vielleicht lag es einfach daran, dass es etwas sehr Banales war. Nur gut, dass Tsuki mein Gesicht nicht sehen konnte. Ich wollte schon die Auskunft verweigern, als mir Siegfrieds Triade wieder einfiel. Könnte er zum Teil doch recht gehabt haben? Ich wollte es wissen. Ich ärgerte mich über meine Neugier, aber daran ändern konnte ich nichts. Einen Moment überlegte ich, ob die Information Tsuki zum Vorteil gereichen würde, und bestimmte dann: „Nur im Tausch gegen Antworten auf zwei Fragen von mir.“ Ich hörte regelrecht, dass Tsuki schmunzelte, als er antwortete: „Einverstanden, mein Lieblingsgeschäftsmann.“ Innerlich schüttelte ich nur den Kopf. Gut, vielleicht hatte er im Kleinen recht. Aber in der richtigen Geschäftswelt ging es wesentlich härter zu. In diesem Moment war das egal. Jetzt war ich bei Tsuki. Gerade wollte ich meine erste Frage stellen, da wurde mir bewusst, dass er sie wahrscheinlich gar nicht beantworten konnte, also formulierte ich sie um: „Wann hast du gemerkt, dass du dich in mich verliebt hast?“ „Hm. Das ist gar nicht so einfach. Lass mal überlegen. ... Gemerkt, dass ich in dich verknallt war, hab ich an einem unserer ersten Fernsehabende. Ich hab mir aber nichts weiter dabei gedacht, es einfach als eine Schwärmerei abgestempelt. Dass du mir mehr bedeutest, dass ich dich liebe, hab ich in den Tagen nach meinem Fehltritt in deinem Garten festgestellt. Arina war ziemlich sauer, dass ich nach so kurzer Zeit unsere Sexbeziehung wieder beendete, zumal sie nicht verstehen konnte, warum ich das deinetwegen tat. Und als du das erste Mal zu mir ins Bett gekrabbelt kamst, bin ich dir wohl endgültig verfallen.“ Das bedeutete, dass er gar nicht so oft mit Okami Arina geschlafen hatte. Natürlich war jedes einzelne Mal zu viel gewesen, aber die Tatsache, dass er meinetwegen bald darauf aufgehört hatte, war ein einziger Triumpf. „Was für einen Anteil trug ich an der Entscheidung, deinen Job aufzugeben?“, fragte ich weiter. Tsuki lachte leise. „Warum wundert es mich nicht, dass du darauf gekommen bist?! Im Grunde genommen bist du dafür alleine verantwortlich. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, mit jemand anderem zu schlafen, obwohl ich dich so liebe. Das kommt mir so vor, als würde ich dich betrügen. Ich weiß nicht genau, was ich getan hätte, wenn du mir nicht die duell-454 Anteile abgekauft hättest. Das machte mir die Entscheidung sehr einfach.“ Ich war glücklich. Es bedeutete mir viel, dass ich ihm so sehr am Herzen lag. Und ich brauchte mir keine Sorgen zu machen, dass sich das in nächster Zeit ändern würde. „Also?! Meine Antwort?“ „Kraulen im Nacken. ... Und wenn du mir durch die Haare fährst.“ „Ja?“ Tsuki zog mich noch etwas näher und begann mich am Haaransatz zu kraulen. Seine Hand wanderte auf unbestimmten Weg durch meine Haare und wieder zurück. „So in etwa?“ „Mhm.“ Das war schön. Ich legte meinen Kopf an seine Brust und genoss seine Berührungen. Es wäre schade, wenn ich mich irgendwann nicht mehr daran erfreuen könnte. „Mhm.“ Das war schön. Ich legte meinen Kopf an seine Brust und genoss seine Berührungen. Es wäre schade, wenn ich mich irgendwann nicht mehr daran erfreuen könnte. Epilog: Vertrauen ----------------- Tja, liebe Leute! Das ist nun endgültig der Schluss von "Liebe ist tödlich"! Ich möchte mich bei allen bedanken, die die FF gelesen, favorisiert und kommentiert haben. Ich hoffe, euch gefällt der Epilog. Viel Spaß beim Lesen! LG Kyra PS: Am Ende des Kapitels findet ihr noch eine Anmerkung zu einer Fortsetzung. ^^ --- Epilog: Vertrauen Es war weit nach Mitternacht. Inzwischen hatte ich das Gefühl, ich würde durchdrehen, wenn ich in der nächsten Zeit irgendeinem unverschämten Geschäftsmann begegnen würde. Da kam es mir fast gelegen, dass morgen die Abschlussfahrt begann. Aber meine ach so tollen Klassenkameraden erschienen auch nicht sehr viel weniger nervig. Ich seufzte, während ich die Verträge in meinen Tresor einschloss. Wenigstens war es mir gelungen noch vor der Fahrt alle nötigen Voraussetzungen zu treffen, die für den Anfang der Arbeit an der neuen Technologie nötig waren. Jetzt war ich entnervt, verspannt und nicht mal richtig müde. Es mochte relativ spät sein, aber das Geschäftsgespräch hatte mich aufgewühlt. Meine Gedanken waren von einer schon fast hektischen Unruhe ergriffen. Vielleicht sollte ich zu Tsuki gehen. Er schaffte es eigentlich immer, alle unnötigen Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben. Als ich mich umdrehte, um mich auf dem Weg zu ihm zu machen, zuckte ich vor Schreck zusammen. Reflexartig stolperte ich zwei Schritte zurück und legte eine Hand auf mein wild pochendes Herz. Keinen Meter entfernt stand Tsuki. Er blinzelte verwundert. „Tut mir Leid, dass ich dich erschreckt hab“, meinte er. „Ich dachte, du hättest mich bemerkt.“ Ehe ich auch nur den Kopf schütteln konnte, fand ich mich in einer Umarmung wieder. Eine warme Hand strich über meinen Rücken und flinke Finger kraulten meinen Nacken. Es dauerte nicht lange bis ich mich ein wenig entspannte. Automatisch sackte mein Kopf auf seine Schulter. Sofort stieg mir sein berauschender Geruch in die Nase. „Vertraust du mir, Seto?“, fragte er nach einem Moment. „Das weißt du doch“, erwiderte ich. „Warum fragst du?“ Kaum hatte ich geendet, nahm er mich schon auf den Arm. Was sollte das? „Ich möchte heute etwas ausprobieren.“ „Was? Wie lange du mich wie ein kleines Kind behandeln kannst, ohne dass ich dir wehtue?“, fragte ich drohend. Aber er lachte nur. Erst als wir in seinem Zimmer angekommen waren, gab er mir eine Antwort. „Ich möchte einen Durchbruch versuchen“, sagte er ernst. Er setzte mich auf der Bettkante ab und beugte sich so weit zu mir hinunter, dass ich ihm ins Gesicht sehen konnte, ohne mir den Nacken zu verrenken. „Natürlich nur mit deiner Zustimmung.“ Die Unruhe kehrte zurück und mich überkam das typische Unwohlsein, das immer dann auftrat, wenn Tsuki etwas Neues ausprobieren wollte. Bisher war es noch jedes Mal unbegründet gewesen. Tsuki hatte nicht die Absicht etwas zu tun, was mir missfiel und im Grunde wusste ich das. „Was genau gedenkst du denn zu tun?“, fragte ich. Auf Dinge, von denen man wusste, dass sie kamen, konnte man sich besser vorbereiten. „Ich will dich ansatzweise in die Situation des Abends versetzen, als ...“ Er brach ab. Meine Gesichtszüge waren entgleist. Panik kam in mir auf. Das würde ich bestimmt nicht noch einmal durchmachen. „Ansatzweise“, wiederholte Tsuki und umfasste sanft mein Gesicht. „Ich will dich weder quälen noch verletzen, Seto. Sollte ich doch etwas tun, was dir nicht gefällt, reicht ein Wort von dir und ich höre auf. Versprochen!“ Ich blickte in sein Gesicht. In die warmen Augen, die vieles versprachen, aber keinen Schmerz. Ich dachte an Tsukis Geständnis zurück. Er hatte gesagt, das einzige, was ihm mehr bedeutete, als das Ausleben seiner Liebe zur mir, war, dass ich glücklich war. Er hatte es mir schon mehrmals bewiesen. „Okay.“ Tsuki begann mein Hemd aufzuknöpfen und sofort wurde mir wieder mulmiger. Was immer wir bisher getan hatte, meine Kleidung war höchstens – das allerdings auch etwas öfter – verrutscht. Ausziehen hatte ich noch nie etwas gemusst. Dass sich das heute ändern würde, hatte ich schon bei seiner Ankündigung geahnt. Als mein Hemd auf dem Boden landete, war es amtlich. Auf Tsukis Bitte rutschte ich weiter aufs Bett und etwas später lagen auch meine Hausschuhe und Socken verteilt im Zimmer. Warme Hände legten sich auf meine Brust und drückten mich sanft in die Laken. Ich beobachtete aufmerksam jede seiner Bewegungen. Es war mir nicht möglich, ihn einfach machen zu lassen. Wenig später blieb mir nichts anderes übrig. Tsuki hatte sich zu mir hinunter gebeugt. Sein Atem kitzelte die Haut meines Halses. Einen Moment später legten sich seine warmen Lippen auf meinen Hals. Er drückte einen sanften Kuss auf, ehe er seine Lippen hauchzart über meine Haut streichen ließ. Hin und wieder verweilte sein Mund an einer Stelle, küsste sie, dann wanderte er weiter. Jede seiner Berührungen jagte mir ein kleinen Schauer über den Rücken. Das war angenehm. Und meine Angst verflüchtigte sich langsam. Sie verschwand nicht, aber die unterschiedlich sanften Berührungen vermittelten mir ein Gefühl der Sicherheit. Im Grunde wusste ich ganz genau, dass ich nichts zu befürchten hatte. Tsukis Hände strichen über meine Seiten. Ganz vorsichtig. Ein Kribbeln blieb an den Stellen, die er berührte, zurück. Ich legte meinen Kopf auf die Seite und Tsuki kam dem Angebot sofort nach. Mit gleichbleibender Sanftheit begann er, die freigelegten Gebiete zu erkunden. Die warmen Lippen und leichten Küsse entlockten mir einen wohligen Seufzer. Ich biss mir auf die Unterlippe, wollte mich nicht gehen lassen. Das war nicht meine Art. Als Tsuki bemerkte, was ich tat, legte sich eine Hand an meine Wange. Der Daumen strich über meinen Mund. Ich ließ locker und genoss das Gefühl, konnte fast nicht widerstehen, vorsichtig den Finger zu küssen. „Hör auf mit dem Unsinn! Lass deinen Gefühlen einfach freien Lauf“, murmelte Tsuki an meinem Ohr. Kaum hatte er geendet, spürte ich seine feuchtwarme Zunge. Er leckte mir einmal über die Ohrmuschel. Augenblicklich breitete sich Gänsehaut auf meinem Rücken aus. Das war gut! „Entspann dich, Seto!“, flüsterte Tsuki. „Hab keine Angst!“ Er begann neckisch, an meinem Ohrläppchen zu knabbern. Im ersten Moment, als ich die Zähne auf meiner Haut spürte, zuckte ich zusammen – in Erwartung von Schmerz, aber der blieb aus. Tsukis Berührungen blieben sanft. Es tat nicht weh – ganz im Gegenteil. Abermals seufzte ich auf, als er spielerisch an meinem Ohr zog. Sein Daumen zeichnete meine Unterlippe nach, so als erwartete Tsuki, dass ich wieder zubeißen würde. Wahrscheinlich hätte ich es auch getan, aber so genoss ich einfach das Gefühl. „Vertrau mir!“, sagte Tsuki. Seine andere Hand wanderte meine Seite hinauf, kam kurz auf meiner Schulter zum Liegen und stricht dann meinem Arm hinunter. Er löste meine Finger, die sich bisher in die Bettdecke gekrallt hatten, und legte den Arm über meinen Kopf. Ich riss die Augen auf, als ich spürte, wie sich ein Seidentuch um mein Handgelenkt schlang. „Tsuki“, entfuhr es mir. Ich konnte die Panik kaum unterdrücken. Bilder schossen durch meinen Kopf, Angst kam in mir auf. Ich wollte diese Situation nicht noch einmal durchleben. „Du brauchst keine Angst haben“, sagte Tsuki und sah mich besorgt an. Ich blickte ihm in die Augen, war auf der Suche nach etwas Bedrohlichem. Ich fand nichts. Da war nur Zuneigung. Tsuki begann beruhigend die Innenseite des Armes auf und ab zu streicheln, seine andere Hand kraulte mir durch die Haare. Langsam schloss ich die Augen, konzentrierte mich auf seine Berührungen, auch wenn es mir in diesem Moment schwer fiel, sie so zu genießen, wie noch kurz zuvor. Tsukis Atem kitzelte mein Gesicht. Seine Lippen legten sich auf meine Wange, küssten sie sanft. Einen Augenblick verweilten wir so, als ich aber keine Abneigung zeigte, wanderte seine Lippen weiter, hauchten Küssen auf meine Augen, meine Stirn, mein Kinn, meine Nase. Ich entspannte mich langsam. Meine freie Hand vergrub ich in seinen weichen Haaren und zerzausten sie noch etwas mehr. Von dort aus fuhr sie in seinen Nacken, seine Schulter entlang und seinen Arm hinauf, wo ich meine Finger mit seinen verschränkte. Tsuki hielt kurz inne, als er aber merkte, dass ich meinen Arm nach oben ausstreckte, fuhr er fort, meinen Wangenknochen entlang zu küssen. Während er ein zweites Seidentuch um mein anderes Handgelenk schlang, wanderten seine Lippen hinunter zu meinem Kiefer, um diesen zu liebkosen. Obwohl Tsukis Berührungen mehr als angenehm waren, konnte ich das in mir aufsteigende Gefühl der Hilflosigkeit nicht unterdrücken. Mit gefesselten Armen fühlte ich mich absolut wehrlos. Ich war mir sicher, dass Tsuki Wort halten würde, und mich sofort losmachen würde, wenn ich es ihm sagte, aber die gefühlte, körperliche Schutzlosigkeit konnte dieses Wissen nicht ganz vertreiben. „Tsuki“, sagte ich, weil mir klar war, dass ich einen Moment brauchen würde, um mit mir zu ringen. Außerdem hatte die Frage eine nicht geringe Bedeutung. „Warum meidest du meinen Mund?“ Tsuki verharrte in der knienden Position über mir. Eine Hand vergrub sich in meinen Haaren, begann wieder beruhigend durch sie zu kraulen. Der Daumen der anderen strich über meine Lippen. Tsuki schaute mich wehmütig an. „Ich würde gern, aber wie du weißt, hab ich Prinzipien.“ Prinzipien? Meinte er damit die Regel, die er für das berufliche Küssen aufgestellt hatte? Galt sie etwa im Generellen? Ich blickte ihn fragend an. Selbst wenn er seine „Ich küsse nur wen ich liebe“ – Regel nicht nur auf den Beruf bezog, konnte sie bei mir nicht zur Anwendung kommen. „Du liebst mich!“, warf ich deshalb ein. „Es ist ein Prinzip, Seto, und gilt nicht nur für mich“, erwiderte er ruhig. Er wollte mich nicht küssen, weil er dachte, dass ich ihn nicht liebte. Wo war da der Sinn? Ich konnte selbst über mich bestimmen. „Ich will aber, dass du mich küsst!“ „Keine Sorge, mein Herz“, kicherte Tsuki. „Ich werde dich gleich so gut wie überall küssen.“ „Tsuki“, grollte ich. Die Möglichkeit, ihm zu sagen, dass ich ihn liebte, zog ich gar nicht erst in Betracht. Innerhalb der paar Tage hatte sich nichts an meiner Einstellung geändert. Ich konnte es ihm nicht sagen, so weit öffnen konnte ich mich einfach nicht. Dazu kam noch, dass es in diesem Moment eine Niederlage gewesen wäre. Ich hätte nachgegeben. Aber ich konnte auch so bekommen, was ich wollte. Er lächelte mich an. Ein Hauch von Traurigkeit lag in seinen Augen. „Irgendwann wirst du schon merken, dass ich recht hab.“ Das würde ich mit Sicherheit nicht. Ich hatte nicht vor, irgendwen zu küssen, den ich nicht liebte. Gerade als ich weiter wiedersprechen wollte, fuhr Tsuki fort: „Jetzt wenden wir uns lieber eine anderen wichtigen Frage zu: Darf ich dir deine Hose ausziehen? Ich weiß, es klingt arrogant, aber ich bin mir sicher, dass sie ziemlich eng werden wird.“ Der Themenwechsel kam so abrupt, dass ich rot wurde, bevor ich es verhindern konnte. Verdammt. „Das ist arrogant“, beeilte ich mich zu sagen, um davon abzulenken. Aber Tsukis Grinsen genügte, um zu wissen, dass er es längst bemerkt hatte. „Du siehst zum Anbeißen aus, wenn du rot wirst“, verkündete der auch prompt. Ich wollte dieses Thema so schnell wie möglich vom Tisch haben, deswegen hob ich leicht meine Hüfte an. Zwar fühlte ich mich nicht ganz wohl bei dem Gedanken, aber ich führte mir vor Augen, dass ich mich überwinden musste, wollte ich einen Schritt nach vorne machen. Außerdem wollte ich ihm jetzt nicht wiedersprechen, nicht, dass ich am Ende noch Unrecht haben würde. Tsuki nahm das Angebot sofort wahr. Er öffnete den Gürtel und gleich darauf die Hose. Der Stoff glitt über meine Beine und ließ ein irrationales Gefühl der absoluten Nacktheit zurück. Ich fühlte mich unwohl. Und ich konnte nicht sagen, ob Tsukis bewundernder Blick diese Unbehaglichkeit noch schürte oder ob er mir schmeichelte. Ich verdrängte den Gedanken, als Tsuki mir einen sanften Kuss auf die Wange drückte und seine Lippen sich dann den Weg zu meinem Ohr bahnten. Er küsste es, knabberte am Ohrläppchen und leckte über die Ohrmuschel. Wie schon beim ersten Mal bildete sich eine Gänsehaut auf meinem Rücken. Das Unwohlsein trat in den Hintergrund. „Ich werd dir beweisen, dass es sich nur arrogant anhört, denn: Es ist eine Tatsache, dass ich gut bin!“, flüsterte Tsuki und alleine seine Stimme vermochte es, mir einen heißen Schauer über den Rücken zu jagen. Seine Lippen wanderten wiederholt über meinen Hals. Nur dieses Mal waren seine Berührungen fordernder. An einigen Stellen verweilte er – saugte und knabberte leicht an meiner Haut. Bald konnte ich die wohligen Seufzer nicht mehr unterdrücken. Ich gab den Versuch endgültig auf, als ich Tsukis Hände über meinen Oberkörper streichen spürte. Sie fuhren meine Buchmuskeln nach und streichelten über meine Rippen. Mir wurde warm. Es erschien mir so, als würde Tsuki kein Stück Haut ungeküsst lassen. Hals, Schlüsselbein, Schulterpartie. Während er nun meine Brust liebkoste, legte sich eine Hand auf meine linke Brustwarze. Sanft begannen die Finger, über sie zu streicheln. Ich keuchte auf, als Tsuki leicht zu kniff. Dann verschwand die Hand und sein Mund wendete sich ihr zu. Seine Zunge umkreiste sie entschuldigend, ehe er anfing an ihr zu saugen. Ich stöhnte. Langsam wurde ich froh, dass ich Tsuki nicht widersprochen hatte. Mein Blut geriet in Wallung, machte sie auf ihn südlichere Gefilde. „Tsuki“, stöhnte ich, als er neckend in meine inzwischen harte Brustwarze biss. Er küsste sie noch einmal versöhnlich und suchte sich dann einen Weg zur anderen, um diese ebenso zu reißen. Mir entwich ein Stöhnen, als die warme Zunge sie umfuhr und drückte Tsuki mehr fordernd meine Brust entgegen. Der intensivierte seine Berührungen sofort, so dass ich bald darauf das Gefühl hatte, nur noch zu keuchen und zu stöhnen. Ich war viel zu berauscht, um mich über mein Verhalten zu ärgern. Als Tsukis Mund auch von der zweiten Brustwarze abließ, bereute ich zum ersten Mal am Abend richtig, dass ich mich hatte fesseln lassen. Ich wollte eine Hand in seinen Haaren vergraben und ihn zurück dirigieren. Aber so blieb mir nichts anderes übrig, als seine Lippen auf meinem Bauch zu genießen. Ein kleines „Übel“, zugegebenermaßen. Er küsste sich am Saum meiner Boxershorts entlang – die, nebenbei erwähnt, inzwischen auch eng wurden –, leckte über meine Bauchdecke und wendete sich schließlich meinem Bauchnabel zu. Er umkreiste ihn mit seiner Zunge und versenkte sie ihn ihm. Ich stöhnte auf. Dieses Spielchen trieb er noch einige Mal mit mir, dann setzte er sich auf. Der wollte doch jetzt nicht aufhören? Tsuki wollte nicht nur, er tat es auch. Sein Blick huschte zufrieden über meinen Körper, ehe er meine Arme befreite. „Und da soll noch mal einer sagen, ich wäre arrogant. Pf“, sagte er gespielt beleidigt und grinste mich an. Ich sah ihn nur verständnislos an. Das konnte nicht sein Ernst sein. Das durfte nicht sein Ernst sein. Mein Körper zitterte vor Lust. Mir war unglaublich heiß. Und meine Boxershorts spannten über meiner Erregung. Das kam überhaupt nicht in Frage. „Tsuki“, sagte ich, meine Lust war regelrecht in meiner Stimme zu hören. „Kümmere dich um das Problem, dass du angerichtet hast." Er blickte mich gespielt unwissend an. „Welches Problem?“ Ich machte nur einen Wink auf meine Körpermitte. „Das würde ich nicht unbedingt als Problem bezeichnen“, erwiderte er neunmalklug. „Wenn man schlafen muss, um das am nächsten Tag nicht in einem Bus verrücktgewordener Klassenkameraden tun zu müssen, ist es durchaus ein Problem.“ „Tja, aus dem Blickwinkel betrachtet, könntest du Recht haben“, sagte er neckend. „Nur was tun?“ Ich war kurz davor, ihn anzufahren, besann mich dann aber eines besseren. Es gab eine viel einfachere Möglichkeit. „Da du ja nicht arrogant bist, fällt dir bestimmt eine Lösung ein!“ Tsuki lachte und küsste mich auf die Wange. „Meinst du?!“, fragte er mich schelmisch grinsend. Die Chance, zu antworten, ließ er mir nicht. Seine Hand wanderte mein Bein hinauf, verschwand in den Shorts und begann meinen Innenschenkel auf- und abzustreichen. Ich stöhnte. Wieder lachte er leise, befreite mich von dem lästigen Stoff und beugte sich zu mir hinunter. In den nächsten Minuten hatte ich das Gefühl, vor Lust zu verglühen. Eins war damit endgültig klar: Tsuki zu lieben und von ihm geliebt zu werden, war vieles, aber mit Sicherheit nicht tödlich. --- Wie viele sicherlich schon wissen, möchte ich gern eine Fortsetzung zur FF schreiben. Genau geplant ist diese jedoch noch nicht. Ich hab nur eine grobe Storyline im Kopf und muss erst einmal eine Struktur erstellen, wobei ich mich, wie ich mich kennen, wieder mal schwer tun werde. In der Zeit, die ich dafür brauche, werde ich eine Kurz-FF schreiben. Die Storyline dafür ist nämlich fertig. Wieder eine Shônen-Ai Story mit eigenem Charakter und Seto. Es geht um das Thema "Wette". Wer will kann da ja mal vorbei schauen, ansonsten sehen wir uns hoffentlich bei der Fortsetzung wieder. ^^ Bis die Tage! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)