Liebe ist tödlich von Zyra (Kaibas Maxime. Irrtum ausgeschlossen?) ================================================================================ Kapitel 9: Erfolg ----------------- Hallihallo! So jetzt steht es fest. Es wird nach diesem Kapitel nur noch ein weiteres geben, sowie einen Epilog. Also viel Spaß! LG Kyra --- Kapitel 9: Erfolg „Seto, du musst etwas tun!“ Ich hatte gerade das Gespräch mit Robert Ciel geführt, als mein Handy klingelte und Mokuba mich mit dieser Aufforderung begrüßte. „Was muss ich tun, Mokuba?“, fragte ich und warf einen eisigen Blick um mich herum, um meinen Bodyguards und den Polizisten in meiner Nähe klar zu machen, dass dies ein privates Gespräch war. Es war so schon lästig genug, sich immer beobachtet zu fühlen. „Ich weiß nicht was. Aber du musst etwas machen. Tsuki benimmt sich seltsam“, erwiderte er mit Nachdruck. „Seltsam?“, hakte ich nach. Ich konnte mir vorstellen, dass vieles, was Mokuba an Tsukis Verhalten als sonderbar empfand, im Grunde absolut normal war. Natürlich bezogen auf Tsukis Verhältnisse. „Er ist total ruhig: Starrt in Gedanken versunken vor sich hin und ist kaum ansprechbar.“ Ein ruhiger Tsuki war in der Tat eine Rarität. Ebenso ein Grund zur Besorgnis. Aber ich wusste nichts, was ich dagegen tun könnte. „Ich bezweifele, dass ich von hieraus etwas ausrichten kann. Du kannst das wahrscheinlich besser. Überrede ihn doch, mit dir zu spielen. Etwas, wo er seinen Kopf benutzen muss.“ „Du meinst, dass er sich nicht so viele Gedanken machen kann?!“, meinte Mokuba. Ich hörte ihm förmlich an, dass ihm eine Idee kam. „Ja.“ „Ist Tsuki beim Videospielen ehrgeizig?“, fragte er und ich wusste sofort, worauf er hinaus wollte. „Wahrscheinlich, ... wenn du ihn ein paar mal in Grund und Boden spielst.“ „Prima.“ Ich konnte Mokubas Grinsen förmlich sehen. Sein nächster Satz klang allerdings wieder besorgt. „Ruf ihn trotzdem mal an, ja?“ „Ja.“ Helfen würde es ihm zwar nicht, aber vielleicht mir. Ich dachte schon wieder öfter an Tsuki, als gut war. Glücklicherweise beschränkte es sich auf die Zeit, in der ich nichts zu tun hatte. „Gut. Pass auf dich auf, großer Bruder!“ Damit war das Gespräch beendet. Ich sperrte meine Suite auf. Es war absolut ruhig, als ich in den Flur trat. Aber ich wusste, dass sich das ändern würde, kurz nachdem ich die Tür geschlossen hatte. In meinen Zimmern hielt sich eine ganze Gruppe Polizisten auf. Von hier aus wurde alles koordiniert. Wie erwartet kam Nagamo aus einem meiner Räume, noch ehe ich meine Schuhe ausgezogen hatte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie. Sie spielte auf das Telefonat an, von dem sie zweifelsfrei schon in Kenntnis gesetzt worden war, als ich das Handy aus der Tasche gezogen hatte. „Mein Bruder“, sagte ich und fügte hinzu, weil ich wusste, dass sich die Polizistin gut mit Tsuki verstand. „Er bat mich, kurz mit Tsuki zu telefonieren. Er macht sich Sorgen um ihn.“ Sie seufzte. „Das hatte ich schon fast erwartet. Rufen Sie ihn an. Danach ist noch Zeit genug, um das Gespräch mit Robert Ciel auszuwerten.“ Ich nickte und lief den Flur ein Stückchen weiter hinunter, während sie in den Wohnraum zurückkehrte. So hatte ich wenigstens für einen Moment meine Ruhe. „Aozora Tsuki.“ Nach dem zweiten Klingeln nahm er ab. Er war also in der Nähe des Nachttisches gewesen, auf dem der Apparat stand. „Hallo“, sagte ich nur. „Seto“, klang es mir besorgt entgegen. „Geht’s dir gut?“ „Ja, es verläuft alles ganz unproblematisch.“ „Warum rufst du dann an?“ Er klang verwirrt. Anscheinend rechnete er nur mit schlechten Nachrichten. „Mokuba meint, du benimmst dich seltsam.“ Tsuki schwieg einen Moment. Das war Bestätigung genug, obwohl ich Mokubas Bericht nicht angezweifelt hatte. Aber es hatte auch etwas Beruhigendes. Es zeigte, dass Tsuki sich dessen bewusst war. „Ja, ich mach mir ständig Gedanken und kann mich kaum ablenken. Ich hab schon angefangen zu zeichnen. Das hilft ein wenig.“ „Du musst dir keine Sorgen machen. Hier sind überall Polizisten.“ Ich wusste, dass ich Unsinn redete. Mit diesen Worten konnte ich ihn nicht beruhigen. Das Einzige, was ihm die Sorge nehmen würde, wäre sofort zurückzukommen. „Lass uns sagen, ich brauch mir nicht so viele Sorgen zu machen, wie ich es momentan tue.“ Ich hörte Tsuki seufzen. „Ich kann nichts dagegen tun, obwohl ich das weiß. Aber was macht es schon, wenn ich hier die Wände hochlaufe, solange du gesund und munter wiederkommst.“ Tsuki lachte. „Mach doch einfach etwas mit Mokuba zusammen“, sagte ich. Es klang nicht wie ein Vorschlag. „Tja, ist vielleicht ne Überlegung wert“, erwiderte Tsuki meinen Tonfall ignorierend. „Dann bis morgen!“ „Tschüs, Seto. Und pass bloß auf, dass ich dich in einem Stück zurückbekomme!“ *** Meinem Empfinden nach war die Auswertung des Gesprächs mit Robert Ciel unproblematisch. Wenn er in die Sache involviert war, dann war es weder seine Idee gewesen noch wusste er viel über den Plan. So dumm konnte man sich kaum geben. Der einzige Grund, warum seine Firma überhaupt halbwegs lief, schien ein gutes Beraterteam zu sein. Nachdem auch Nagamo und Kollegen ihre Gesprächsanalyse beendet hatten, entschieden wir über das weitere Vorgehen. Es blieben noch zwei Personen – Maximilian Pegasus und Siegfried von Schröder –, die sich dadurch verdächtig gemacht hatten, dass sie versucht hatten, über den Notar von Tsukis Mutter an ihr Testament zu gelangen. Und das obwohl ihnen im Grunde hätte klar sein müssen, dass der Anwalt ihnen den Haupterben nicht nennen würde, geschweige denn ihnen Einsicht in das Testament gewähren würde. Siegfried war vor gut zwei Stunden im Hotel angekommen. Was Pegasus betraf, so hieß es, dass er erst am morgigen Tag anreisen würde. Also war Siegfried derjenige, der als nächstes genauer unter die Lupe genommen wurde. Nagamos Plan sah vor, dass ich ganz normal zum Abendessen ins hoteleigene Restaurant gehen sollte. Vielleicht ergab sich eine Möglichkeit zu einem Gespräch mit dem Geschäftsmann. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich darauf nicht lange warten müsste, sofern es Siegfried nicht vorzog, sich sein Essen aufs Zimmer bringen zu lassen. Ich kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass er nie eine Gelegenheit ausließ, mir gegenüber seine Geringschätzung auszudrücken. Zwanzig Minuten später saß ich im Speisesaal des Hotels und wartete auf mein Essen. Vor mir auf dem Tisch lag mein Notizblock, in dem ich ein paar spontane Ideen für mein neues Videospiel skizzierte. An unbekannten Orten sprangen mich diese oftmals förmlich an. Nebenbei hörte ich über einen kleinen Empfänger im Ohr die Kommunikation der Polizei mit. „Zielperson betritt den Raum. Er ist allein“, wisperte es aus dem Gerät, als ich gerade begann, die dritte Idee zu notieren. Ich blickte nicht auf, sondern schrieb einfach weiter. Die Informationen der Polizisten reichten aus, um mir ein Bild der Lage zu machen. „Er holt sein Handy aus der Tasche und telefoniert.“ Der Satz ließ mich stutzen. Einen Moment hielt ich im Schreiben inne. In gehobenen Gesellschaftskreisen war es absolut verpönt, beim Essen zu telefonieren. Ich persönlich hatte mir nie sehr viel daraus gemacht und nur wenigen Personen gegenüber respektierte ich dieses ungeschriebene Gesetz. Wenn ich die Familie von Schröder richtig einschätzte, dann hatte diese Regel bei ihnen große Bedeutung. Warum brach Siegfried sie also? Ich wendete mich wieder meinen Notizen zu, hörte jetzt aber mit mehr Aufmerksamkeit den Kommentaren der Polizeibeamten zu. In den nächsten Minuten ereignete sich nichts Bemerkenswertes – Siegfried schien immer noch mit der Wahl seines Abendessens beschäftigt, – doch dann trat einer von seinen Sicherheitsleuten zu ihm an den Tisch und reichte ihm, wie der Polizist es ausdrückte, eine „lederne Mappe“. Die genauere Beschreibung, die folgte, passte exakt auf Siegfrieds Vertragsmappe. Langsam wurde es interessant. Das bestätigte einen Moment später auch der Polizeikommentar, der diesmal direkt an mich gerichtet war: „Er kommt auf sie zu, Mister Kaiba. Die Mappe hat er in der Hand.“ Im Grunde war diese Bemerkung unnötig gewesen. Siegfried hatte nur vier Tische von mir entfernt gesessen, sodass nun ein paar Schritte von ihm genügten, um mir den aufdringlichen Geruch seines Rosenparfums in die Nase zu treiben. Widerlich. Noch bevor er meinen Tisch erreicht hatte, erklang in typischer Siegfried von Schröder Manier mein Nachname – die übertriebene Betonung der letzten Silbe ließ mich beinahe die Augen verdrehen. Wenn ich es mir recht überlegte, war mir Pegasus kindisches Kaiba-boy noch hundertmal lieber, als Siegfrieds herablassendes Kai-Baar. „Das ist mein Tisch, Siegfried“, sagte ich kalt, als er sich ungefragt auf dem freien Platz mir gegenüber niederließ. Siegfried ignorierte es. Er legte seine Mappe vor sich auf den Tisch und sah mich aus rosa Augen herablassend an. „Wie man hört, hast du Anteile der duell-454 von Aozora Tsuki bekommen“, sagte er geringschätzend. Er klappte die Mappe auf und holte einen Vertrag heraus, den er mir vor die Nase hielt. Ein flüchtiger Blick auf das Papier bestätigte mir, dass es ein Kaufvertrag für meine Anteile war. „Wie wir im Grunde beide wissen, bin ich der Bessere von uns. Deshalb sollte auch meine Firma duell-454 umsetzen. Du hast dir dein Monopol in der Duell Monsters Industrie doch nur durch Illegalität und Unfairness erschlichen. Und da du das genau genommen weißt, unterschreib.“ Er legte den Vertrag in die Ledermappe zurück und schob diese zu mir hinüber, so dass sie halb auf meinem Notizblock lag. Was sollte das? „Ich habe dir schon einmal erklärt, dass ich nie etwas Illegales getan habe“, sagte ich vernichtend. „Fairness ist relativ. Es ist nicht mein Problem, dass du immer zu langsam warst!“ Siegfried lächelte höhnisch. Bei seiner Antwort ignorierte er meinen Einwand wieder einmal. „Was hast du dieses Mal getan? Die Beine für ihn breit gemacht? Den kleinen Callboy sich mal so richtig austoben lassen? Ach nein, das wäre sicherlich zu viel Ehrverlust für den großen Seto Kaiba. Wahrscheinlich hast du’s ihm nur in allen anderen Bereichen recht gemacht. Hast du ihn so um den Verstand gevögelt, dass er nur noch dich will? Hat er deswegen seinen Job an den Nagel gehängt?“ Schön wär’s, dachte ich, aber ich kannte Tsukis Pläne für die Zukunft. Kunst. Obwohl ich ihm zweifelsohne wichtig war, war die Motivation etwas Neues anzufangen, mit Sicherheit nicht ich gewesen. Der Rest, den Siegfried von sich gab, ließ mich erstaunlich kalt. Er hatte absolut keine Ahnung. „Interessante Fantasien hast du, Siegfried. Leider stimmt davon nichts mit der Realität überein“, erwiderte ich frostig. Dann wendete ich mich demonstrativ wieder meinen Notizen zu. „Betrachte das Gespräch hiermit als beendet. Geh und verpeste irgendwo anders die Luft mit deinem penetranten Rosen Eau de Parfum.“ „Diesmal gewinne ich, Kai-Baar“, sagte er, schlug das Vertragsbuch zu, griff es sich und verschwand. Was für ein seltsamer Auftritt. Ich konnte nicht sagen, was genau mir daran so sonderlich erschien, aber er entsprach nicht ganz Siegfrieds Art. *** Nachdem ich gegessen hatte, kehrte ich auf mein Zimmer zurück. Ein Blick in Nagamos Gesicht genügte, um festzustellen, dass sie meiner Meinung war. Irgendetwas störte sie ebenso an der Unterhaltung. Beim Ansehen der Videoaufnahme über die Hotelkameras verstärkte sich dieser Eindruck, als ich Siegfrieds zufriedenes Grinsen sah. Er sah aus, als wäre das Gespräch ein voller Erfolg gewesen. Wir schauten uns die Aufnahmen noch mehrmals an und immer wieder stieß ich auf störende Details. Die Blicke, die er immer wieder zu mir hinüber geworfen hatte. Das Telefongespräch. Das Hochhalten des Vertrages. Die herablassende, provokante Triade über Tsuki und mich. Das Zuklappen der Vertragsmappe. Der überaus zufriedene Blick. Irgendetwas musste Siegfried im Schilde führen. Als die Aufnahme das sechste Mal lief, fiel es mir auf. In keinem Moment konnte man sehen, dass ich schrieb. Aber dass ich es getan hatte, konnten mit Sicherheit etliche Gäste des Restaurants bezeugen. Was ich geschrieben hatte, würde niemand aussagen können. „Heute Abend wird hier jemand mit dem Vertrag erscheinen“, sagte ich. Sofort richtete sich Nagamos Blick auf mich. „Wie kommen Sie darauf?“ „Das Ganze ist eine Inszenierung. Er will morgen eine stichhaltige Erklärung dafür haben, dass meine Unterschrift auf dem Vertrag ist“, erwiderte ich. Nagamo verstand gleich. Sie ließ das Band noch einmal schnell durchlaufen und meinte dann: „Auf dem Band ist nicht zu sehen, dass Sie schreiben.“ „Richtig!“ Ich nahm mir die Fernbedienung und belegte meine Ausführungen mit den verschiedenen Bildern. „Er kommt ohne den Vertrag nach unten. An dieser Stelle bemerkt er, dass ich schreibe und ihm wird sofort klar, dass er diese Situation nutzen muss. Er denkt ein paar Minuten nach – überlegt sich einen Plan –, schaut sich immer wieder um, um die Umgebung zu überprüfen. Er kann es sich schließlich nicht leisten, dass eine Kamera aufnimmt, dass ich nicht unterschreibe. Schließlich ruft er einen seiner Leute an – etwas, was er normalerweise während des Essens nie tun würde –, damit ihm jemand den Vertrag bringt. Er kommt zu mir hinüber, beginnt ein oberflächlich betrachtet typisches Gespräch. Hier hält er geradezu demonstrativ den Vertrag hoch. Dann legt er ihn so, dass man später nicht unterscheiden kann, was ich geschrieben habe. Ich habe ihm schon oftmals mit Desinteresse zu verstehen gegeben, dass er verschwinden soll. Er konnte sich also sehr sicher sein, dass ich es dieses Mal genauso halten und mich meinen Notizen zu wenden würde. Und schließlich klappt er erst die Mappe zu und nimmt sie dann an sich. Das hätte er ohne Schwierigkeiten auch gleichzeitig tun können, aber dann hätte er befürchten müssen, dass auf den Kameraaufnahmen keine Unterschrift zu sehen ist.“ Nagamo hatte zwischenzeitlich immer wieder genickt. Nun setzte sie meine Überlegungen fort. „Seinen Gesichtsausdruck, als er ging, könnte man auch so deuten, dass er zufrieden ist, Ihre Anteile bekommen zu haben. Genau wie sein Monolog als Überredung gelten könnte.“ Ich stimmte ihr zu. Wobei ich mir sehr sicher war, dass er mich mit dieser Rederei über Sex hatte verletzen wollen. Wenn er den Mord in Auftrag gegeben hatte, dann wusste er auch, was vorher hatte passieren sollen. Dass er der Täter war, da konnte man sich aufgrund der Situation sehr sicher sein. „Gut“, sagte Nagamo, „dann überlegen wir jetzt, wie wir heute Nacht vorgehen wollen.“ „Ich hab schon einen Plan“, sagte ich. „Er beruht darauf, dass Siegfried es perfekt und stichhaltig haben wollen wird.“ Ich zog meinen Füller aus der Manteltasche. *** Inzwischen war es drei Uhr nachts. Bisher war noch niemand aufgetaucht. Ich lag angespannt in meinem Bett. Unter meine Kopfkissen konnte ich die Pistole spüren. Für den Fall, dass der eigentliche Plan nicht funktionierte, hatte Nagamo gesagt. Am Anfang hatte ich es für Unsinn gehalten. Jetzt tasteten meine Finger – wie in den letzten beiden Stunden schon öfter – nach dem kühlen Metall. Es hatte etwas Beruhigendes. Eine kleine Erinnerung daran, dass ich mich wehren konnte. „Sind Sie müde, Mister Kaiba?“, klang Nagamos Stimme aus dem Empfänger in meinem Ohr. „Nein“, sagte ich halblaut in den Raum hinein, da ich wusste, dass hier überall Abhörinstrumente installiert waren. Im Grunde entsprach meine Antwort nicht der Wahrheit. Ich war müde, aber da ihre Frage darauf abzielte, ob ich in nächster Zeit einschlafen würde, war sie angemessen. Ich war so aufgewühlt, dass ich mit Sicherheit kein Auge zu tun würde, bis diese Geschichte vom Tisch war. Es dauerte eine gute halbe Stunde bis ich das nächste Mal Nagamo hörte. „Die Kameras wurden in eine Schleife gelegt. Wahrscheinlich kommt also gleich jemand.“ Ich dachte an meinen Plan und zwang mich, die Pistole loszulassen. Es wäre nicht gut, wenn derjenige sie sofort bemerken würde. Ich versuchte mich halbwegs zu entspannen – jahrelange Selbstbeherrschung machte es möglich –, begann ruhig und gleichmäßig zu atmen und schloss die Augen. Wenig später hörte ich Nagamo flüstern: „Er ist jetzt in der Suite.“ Der Kommentar war überflüssig, denn nur wenige Sekunden später hörte ich, wie die Tür zu meinem Schlafzimmer geöffnet wurde. Leise Schritte folgten. Ich bewegte mich leicht unter der Decke, wollte nicht starr erscheinen. Eine kräftige Hand rüttelte mich an der Schulter. Ich tat so, als würde ich verschlafen blinzeln und als ich die Pistole vor meiner Nase sah, zuckte ich zurück, soweit die Hand auf meiner Schulter das zu ließ. „Was zum Teufel ...“, entfuhr es mir. Es war einfacher gewesen, so zu reagieren, als gedacht. Ich erkannte den Mann. Genauso wie ich ihn damals auf einem der Fotos, die Nagamo mir gegeben hatte, erkannt hatte. Er gehörte also wirklich zu Siegfrieds Leuten. „Wo ist der Füller, mit dem du heute Abend geschrieben hast?“, fuhr er mich an. Er wirkte gehetzt. Seine Aufgabe bei der Ausführung des Plans hatte wohl anfänglich anders ausgesehen. Vielleicht war er nur für die Observation zuständig gewesen. Ich blickte einen kurzen Moment verwirrt. Zwar glaubte ich nicht, dass er es bei den schlechten Lichtverhältnissen sehen konnte, aber es half mir, meine Rolle zu spielen. In Wirklichkeit wunderte mich diese Frage überhaupt nicht. Ich hatte es gewusst. Es war klar gewesen, dass Siegfried den Vertrag mit demselben Füller, derselben Tinte unterschrieben haben wollte. Er wollte hundertprozentig sicher sein. „Na antworte schon!“ Er sah mich spöttisch an. „Du brauchst es gar nicht hinauszuzögern. Dieses Mal wird kein verrückter Callboy dazwischen kommen.“ „Tsuki hat euch den Plan ruiniert“, stellte ich fest. Das war vom ersten Moment klar gewesen. Schon, als der Besenstiel seinen Komplizen getroffen hatte. „Der Plan war perfekt“, brach es aus dem Mann heraus. Anscheinend war er es nicht gewesen, schließlich lebte ich noch. „Wenn der Idiot nicht auf einmal das Treffen mit einem seiner Stammkunden platzen gelassen hätte und nicht wie ein Irrer kreuz und quer durch die Stadt gerannt wäre, hätte alles prima geklappt. Du wärst fast tot gewesen, wenn er nach Hause gekommen wäre. Shin hätte ihn überwältigt und den Boss benachrichtigt, der ihm den Vertragstext per E-Mail geschickt hätte. Shin hätte ihn ausgedruckt, und Aozora gezwungen zu unterschreiben. Danach hätte er euch umgebracht und es so arrangiert, dass jeder geglaubt hätte, der verdammte Callboy hätte erst dich und dann sich selbst getötet.“ Damit war auch geklärt, warum es keinen Hinweis auf einen Vertrag gegeben hatte. Ich musste zugeben, dass der Plan gut gewesen war. Ich schwieg weiterhin - wollte ihn dazu verleiten, auch Siegfrieds Namen zu nennen. Im Grunde war das nicht notwendig. Er hatte Siegfrieds Vertragsmappe dabei. „Also, wo ist der Füller?“, fragte er noch einmal und wedelte mit der Waffe herum. „Im Wohnzimmer“, sagte ich. Mit dem Wissen, das er meine Unterschrift wollte, fühlte ich mich wirklich etwas besser. Er würde mich nicht töten, solange er die nicht hatte. „Geh voraus“, wies mich der Kerl an und machte mit der Pistole Zeichen zur Tür. Ich stand wortlos auf. Er folgte mir. Es lief alles nach Plan, doch nun schlug mir mein Herz bis zum Hals. Die Pistole war nicht entsichert. Ich hoffte, dass das die letzten paar Meter auch so blieb. Nicht dass sich noch ein Schuss löste und ich wohlmöglich getroffen wurde. Ich öffnete die Tür zum Wohnzimmer, trat ein und konnte aufatmen, als hinter mir wütendes Geschrei ausbrach. Die Polizisten, die hinter der Tür postiert waren, hatten ihn entwaffnet und ergriffen. *** Als in meiner Suite wieder etwas Ruhe eingekehrt war, griff ich zu meinem Handy und rief Tsuki an. Gleich nach dem ersten Klingeln nahm er ab. „Ja?“, erklang es in einer Mischung aus Furcht und Hoffnung. Für einen Moment überwältigte mich sein Ton. Ich war glücklich, dass ich ihm so viel bedeutete und gleichzeitig tat es mir leid, ihm solche Sorgen bereitet zu haben. Verliebt zu sein, trieb einen wahrlich in das absolute Chaos, dachte ich innerlich seufzend. „Du scheinst die Wand nicht sehr weit erklommen zu haben“, sagte ich schließlich. „Du irrst dich.“ Er klang erleichtert. „Ich lief gerade zufälligerweise an der Decke über dem Telefon, als du anriefst.“ „Dann pass auf, dass du nicht gleich herunterfällst.“ „Es ist vorbei?“, fragte er. „Ja. Wir haben einen auf frischer Tat ertappt und der hat in der Hoffnung auf Strafmilderung gleich all seine Komplizen verraten. Nagamo hat mit ihren Kollegen schon alle festgenommen.“ „Und dir geht es gut?“ „Ja, mir ist nichts passiert.“ „Dann ist ja gut. Ich sag es sofort Mokuba. Ähm ... wer von den dreien war’s überhaupt?“ Unweigerlich schlich sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Das war so typisch für Tsuki. „Siegfried von Schröder, falls dir der Name noch was sagt“, stichelte ich. „Jetzt, wo du ihn erwähnst ...“ Tsuki lachte, so unbeschwert wie immer. „Gut, dann bis später. Ich will dich nicht länger aufhalten. Du hast sicher einen anstrengenden Tag vor dir. Also schlaf gut!“ Er hatte recht. Deshalb legte ich mich auch sofort hin, nachdem ich das Gespräch beendet hatte. Trotz meiner Müdigkeit dauerte es eine Weile, bis ich einschlafen konnte. Ich dachte an Tsuki. Es war lächerlich. Aber ich vermisste ihn, insbesondere neben mir. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)