Der Malar von TilyaDraug (Die Jagd nach der Kreatur der Untiefen) ================================================================================ Kapitel 21: Baerelk - Tag 17 ---------------------------- Als das heisere Krächzen von Kwantsch uns bei Morgengrauen aus dem tiefen Schlaf, erfasste mich eine gewisse Wehmut. Unser frecher, aber treuer Briefbote brachte mir hiermit den vorerst letzten Brief mit, den ich während unserer Mission von meinen Eltern zu Gesicht bekommen würde. Die lieben Glückwünsche verstaute ich sorgfältig in meinem Rucksack, bevor ich mich von Kwantsch mit einem kleinen Stückchen Zaronnenkäse verabschiedete. Dann sah ich ihm zu, wie er über den Wipfeln der Querken und Roonen verschwand, um zurück zu fliegen, in meine Heimat, dem Hügeldorf. Nach dem Frühstück und einer dürftigen Morgentoilette verließen wirr unser Lager am Waldsee und folgten dem Lauf des Flusses durch den finsteren, dichten Wald. Vilthon suchte zwischen dem wuchernden Grün konzentriert nach der ein oder anderen Heilpflanze, die er für alle Fälle in seinem Rucksack wissen wollte, bevor wir uns allein unter den Menschen befinden würden. Mirlien beobachtete fasziniert die Fauna um sich herum. Ab und an kreuzten Wölfe und Wollspinnen unseren Weg. Manches Mal hörten wir ein Rauschen über unseren Köpfen, doch die ausladenden Baumkronen ließen selten eine freie Sicht auf dem Himmel zu. Nur purpurfarbene Dalyazine, Spechte, Raben und einige bunte Finken ließen sich hin und wieder blicken, doch die Geräuschkulisse um uns herum ließ uns erahnen, welche unüberschaubare Vielfalt an Vogelarten sich in diesem Waldgebiet tummelte. Greyan dachte natürlich erst recht nicht daran, sein Schweigen zu brechen. Also begann ich ein altes Wanderlied anzustimmen. Es handelte von den Roonenhühnern, die jedes Jahr im Herbst zum Kontinent zogen, um erst im Frühling wieder bei uns einzukehren. Ich hörte erst auf zu trällern, als mir Greyans entnervter Gesichtsausdruck auffiel. Also suchte ich mir eine andere Art der Beschäftigung und half Vilthon bei seiner Kräutersuche. Gemeinsam mit meinem besten Freund und ehemaligen Lehrmeister machte das Aufspüren und Einsammeln der vertrauten Heilpflanzen nicht nur Spaß, sondern es lenkte mich auch gleichzeitig von meinen wirren Gedanken ab. Ich fühlte mich ihm näher als je zuvor. Mehr denn je empfand ich ihn in diesen Momenten als Seelenverwandten, als mein männliches Äquivalent, meinen Bruder im Geiste. Mir wurde klar, dass wir beide nun tatsächlich im Begriff waren, unseren kühnen, kindischen Traum, miteinander den Kontinent zu bereisen, zu verwirklichen. Wenn auch unter unerwarteten, weniger erfreulichen Umständen, und mit einem ganz anderen Ziel vor Augen, als ein Herbarium über fremde Pflanzen anzulegen. Umso erhebender war es, ihn an meiner Seite zu wissen, sich zweifelsfrei darauf verlassen zu können, dass er mich niemals im Stich lassen würde, was immer auch auf mich zu kommen mochte. Mein Vilthon, der, solange ich mich zurück erinnern konnte, immer präsent, immer in erreichbarer Nähe für mich war, der mir zuhörte, der mich unterstützte, wenn ich ihn brauchte, der mir fast immer mit seinen lieben Worten oder weisen Ratschlägen weiter helfen konnte. Mein stets vernünftiger und ordnungsliebender Vilthon, dessen Stimme sogar sanft und ruhig klang, wenn er mich zurecht wies. Mein Vilthon war jetzt hier, bei mir, fernab von unserer sicheren Heimat. Und er würde mich weiterhin begleiten. Keine Worte mussten verschwendet werden, um mein Vertrauen in ihn zu bestätigen, mein tief in meinem Herzen verankertes Wissen um seine immerwährende Freundschaft und Loyalität. Die Reise hatte ihn vom ersten Tag an verändert, wie ich fand. Er wirkte auf mich, die ich ihn doch schon so lange kannte, um einiges risikobereiter als sonst, einfach abenteuerlustiger, aufgeschlossener und auch deutlich humorvoller. Auch Calissas Verlust schien er in dieser Zeit überwunden zu haben. Ich hoffte von Herzen, dass eines Tages noch einmal eine Person wie Zhannya in sein Leben treten würde, und zwar bevor der Vilthon, den ich jetzt erleben durfte, wieder dem reservierten, pragmatischen, betont ernsten Alwen wich, als der er sich so oft gab. Ich mochte es, wenn er Schwäche zeigte, seine kleinen Macken und Eigenarten fand ich unglaublich charmant, und verstand es nicht, warum er so viel Wert darauf legte, sie vor anderen Leuten zu verbergen. Ein typischer, altmodischer Alwe eben, der nach außen hin das unerschütterliche Abbild von Kompetenz, Würde und Ruhe wahren wollte. Während unserer Reise hatte mir Vilthon liebenswerte Facetten seiner Persönlichkeit gezeigt, die ich noch nicht kannte. Seine komische, bemitleidenswerte Hilflosigkeit gegenüber den kleinen, harmlosen Pfeilgiftfröschen, oder seine kühne Spontaneität und sein selbstloser Mut, den er an der Brücke zum Pfahldorf unter Beweis gestellt hatte, waren nur einige Beispiele, die ich nennen könnte. Ich beobachtete meinen Freund verstohlen von der Seite. Er hatte sich nun seit zwei Tagen den Bart nicht rasiert und sein Haar fiel ihm verwegen ins schmale Gesicht. Nicht gerade besonders alwisch! Vielleicht gerade deshalb fand ich, dass er einfach toll aussah. Calissa hätte sich sicher auf der Stelle neu in ihren Exmann verliebt. Doch ich wäre viel erfreuter gewesen, wenn ihn jetzt Zhannya so hätte sehen können. Ihr hatte er sich öffnen können. Ich musste sie ausfindig machen! Das nahm ich mir fest vor. Der gute Mirlien wachte darüber, dass Vilthon und ich uns beim eifrigen Kräutersammeln nicht zu weit vom Flussufer entfernten und rief uns beizeiten zurück. So verging die Zeit wie im Fluge. Nebel begann aufzusteigen, als der Tag sich langsam dem Ende neigte. Zwischen den Bäumen brachen sich die letzten blassen Sonnenstrahlen gespenstisch im wabernden Dunst. Vilthon hatte es geschafft, die Kräuter, Beeren und Wurzeln irgendwo in seiner Tasche sicher und trocken zu verstauen. Arm in Arm stapften wir durch das Unterholz zurück zu unseren Gefährten, die dem ebenen Pfad entlang des Ufers gefolgt waren. Vilthons Augen leuchteten annähernd verliekisch als er mir freundschaftlich durch die Federn wuschelte. Wir konnten stolz auf uns sein, denn wir hatten tatsächlich ganze Arbeit geleistet. Ein halbes Haus der Gesundheit schien in Vilthons Rucksack Platz gefunden zu haben. So gut gerüstet durften wir uns ruhigen Gewissens zum Kontinent wagen. Unsere Hände dufteten nach Salbei und Lavendel. Sichtlich erleichtert erwartete uns Mirlien. Selbst unserem stillen, genügsamen Freund musste es doch nach einer so langen Zeit allein mit dem schweigsamen Greyan ziemlich langweilig geworden sein. Schuldbewusst schlang ich meinen Arm um seine schmale Hüfte und drückte seinen ausgezehrten Körper kurz an meine Seite. Wie zum Dank schenkte er mir sein herzliches, warmes Lächeln, welches ich so sehr liebte. „Da seid ihr beiden ja endlich wieder. Ich fürchtete schon,du könntest wieder einem Querkenfäuler zum Opfer gefallen sein.“ Mirliens rauhes Lachen tat mir wohl in den Ohren. Es hörte sich gut an. Befremdlich zwar, aber richtig. Er sollte es viel öfter tun, fand ich. Auch Vilthon hatte sich überrascht zu uns beiden umgedreht. Er grinste verschmitzt. „Oh nein, mein Bester! Das wird nicht ein zweites Mal passieren. Ich verspreche dir feierlich, dass ich unseren kleinen Frostfrosch nie wieder auch nur einen einzigen Pilz abpflücken lasse, ohne mich vorher persönlich von seiner eindeutigen Identität zu überzeugen!“ Greyan warf uns drei fröhlich scherzenden Freunden einen misstrauischen Blick über seine Schulter zu, hielt dann aber plötzlich in seinem Lauf inne, und starrte angespannt in unsere Richtung. Auch wir blieben stehen, unterbrachen abrupt unsere Unterhaltung, lauschten mit angehaltenem Atem in die Tiefen des Waldes. Äste knarrten, trockenes Laub raschelte, Zweige brachen. Schwere Atemzüge, rasselndes Schnauben erklang hinter uns, in nicht allzu weiter Entfernung. „Baerelk.“ flüsterte Vilthon. Greyan nickte langsam. „Kein Grund zur Beunruhigung. Nur eine kleine Gruppe von ausgewachsenen Weibchen mit ihren Jungtieren. Kein Bulle in Sicht. Ich frage mich nur, warum sich die scheuen Tiere so dicht an uns heranwagen.“ Seine Frage klärte sich von selbst, als ein neugieriges Jungtier, das sich hinterrücks an uns herangepirscht hatte, herzhaft in Vilthons Rucksack biss und genüsslich auf dem abgewetzten Stoff herum kaute. Der Alwe sog geräuschvoll die Luft zwischen den Zähnen ein, als er mit sanfter Gewalt die Tasche aus dem Maul des Kalbes befreite und ein langer, viskoser Speichelfaden elegant von dem speckigen Ledergurt herab tropfte. „Das ist ja widerlich!“ Ich schmunzelte amüsiert, doch das Lachen verging mir schnell, als ich feststellen musste, dass sich die Herde der Baerelk langsam, aber sicher um uns scharte. Immer näher rückten die massigen Leiber an uns heran, traten uns mit ihren klobigen Hufen fast auf die Füße, stupsten uns mit ihren großen Mäulern an. Besonders hatten sie es anscheinend auf Vilthon abgesehen, doch auch mir schien ihr Interesse zu gelten. „Verdammt, was wollen die von uns?“ schimpfte ich angeekelt, als sich eine glitschige, kraftvolle Baerelkzunge warm und triefend in meine Handinnenfläche schmiegte. „Wahrscheinlich hat sie der Duft des Thymian angelockt.“ vermutete Greyan grimmig. „Was seid ihr beiden denn auch so dämlich und nehmt das ganze Grünzeug mit zum Kontinent? Glaubt ihr etwa, die Menschen hätten nicht längst adäquate Arzneistoffe aus ihren eigenen, heimischen Pflanzen isoliert? Aber nein, die Herrschaften müssen ja unbedingt Thymian mit sich herumschleppen. Und das mitten im Revier der Baerelk. Und ausgerechnet während der Brunftzeit.“ Ich schluckte. „Nun ja, immerhin sind wir an weibliche Tiere geraten.“ stammelte ich und warf dann einen bedeutungsschwangeren Blick in die Richtung des ewig mies gelaunten Alverlieken. „Die sind wenigstens nicht so aggressiv!“ „Tilya, Liebes, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um Streit anzufangen!“ kam es japsend von Vilthon, der verzweifelt versuchte, den Thymian aus seinem Rucksack zu klauben, bevor dieser sein bitteres Ende zwischen den mahlenden Kiefern der Baerelk finden musste. Mirlien kam dem nervösen Alwen zu Hilfe und verfütterte das duftende Kraut direkt an die gierigen Viecher, die sich brummend und gurrend um die beiden Männer scharten. Die Pflanze schien eine entspannende, aber gleichzeitig höchst anziehende Wirkung auf die Baerelk auszuüben. Als der letzte Halm im Maul der alten Leitkuh verschwand, dachte die Herde jedoch noch lange nicht daran, uns endlich weiterziehen zu lassen, sondern verdichtete sich immer mehr um Vilthon und mich. Erwartungsvoll starrten uns die großen, hellen Augen der zotteligen Riesen an. „Was wollt ihr denn noch? Ihr habt den ganzen Thymian gefressen, ihr verlaustes Pack!“ meckerte ich. Ich erschrak über meine eigene Gereiztheit und schielte verstohlen zu Greyan hinüber. Ob so was ansteckend war? „Vermutlich wittern die Baerelk Spuren des Thymians an euren Händen.“ versuchte Mirlien die dauerhafte Besessenheit der Tiere, was Vilthon und mich anbelangte, zu erklären. Greyan klopfte Mirlien kameradschaftlich auf den Rücken. „Dann sollten wir beide doch die Gelegenheit nutzen, und die beiden Idioten hier einfach ihrem Schicksal überlassen. Überleg es dir, Junge, so leicht könntest du sie vielleicht niemals wieder loswerden.“ Die Mundwinkel des Alverlieken wiesen gen Erdboden, aber seine Augen blitzten für einen Moment schelmisch auf. Mirlien grinste nur kopfschüttelnd. Dann half er uns beiden, uns einen Weg durch die Herde zum Fluss hindurch zu bahnen, damit wir uns dort die Hände waschen konnten. Leider wurde Vilthon dabei von einer besonders aufdringlichen Kuh kopfüber in das knietiefe Gewässer geschubst. Einen weiteren Grund zur Ärgernis gab die Tatsache, dass die Baerelk eine der Phiolen mit Saponsiskrautsaft in meinem Rucksack zum Zerbrechen gebracht hatten. Der aromatische Inhalt benetzte nun einige unserer Handtücher und Kleidungsstücke. Dem Himmel sei dank war der Extrakt nicht zusätzlich mit Thymian versetzt. Während der triefnasse Vilthon sich abtrocknete und umzog, half ich Greyan und Mirlien, unser Lager aufzubauen, was sich als schwierig erwies, da die anhänglichen Baerelk uns immer noch hartnäckig umlagerten, uns entweder im Weg standen oder die Knoten der tragenden Seile, die wir um die Bäume geschlungen hatten, lösten. Ohne Mirlien, der die massigen Tiere immer wieder geduldig von unserem Lager weglockte, hätten wir es nicht geschafft. An diesem Abend verzichteten wir auf ein Lagerfeuer und auf den obligatorischen Nolmengrieß. Als uns mitten in der Nacht ein neugieriges Kalb im Zelt besuchte, und wenige Augenblicke später das mühsam gebastelte stützende Gerüst aus Ästen in sich zusammenfiel, segelte die Plane auf uns herab, um uns unter sich zu begraben. Greyan fluchte leise. Ich lachte mich schief. Vilthon seufzte gequält. Mirlien fragte vorsichtig, ob wir gedächten, das Zelt wieder neu zu errichten. Im Endeffekt verzichteten wir aber darauf. Es wurde zwar etwas stickig unter der Plane, aber wenigstens wurde unsere Nachtruhe nicht weiter gestört. Ich kuschelte mich vertrauensvoll in Mirliens Arm. In zwei Tagen würden wir den Boden des Kontinentes unter unseren Füßen haben. Soweit ich wusste, gab es dort keine Baerelk. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)