Der Malar von TilyaDraug (Die Jagd nach der Kreatur der Untiefen) ================================================================================ Kapitel 12: Sonne, Salz, See und Sand - Tag 8 --------------------------------------------- Als wir drei Freunde uns am nächsten Morgen um den Frühstückstisch des Gästehauses versammelten, blies Vilthon Trübsal. Lustlos krümelte er an seinem Brötchen herum. Ich beugte mich verschwörerisch grinsend über den gedeckten Tisch. „Und, wie ist es gestern Nacht noch gelaufen?“ wollte ich neugierig wissen. „Wo hast du Zhannya gelassen?“ Vilthon blickte mich aus geränderten Augen an. „Tilya, denkst du bitte zukünftig daran, deine Federn aus der Haarbürste zu entfernen, nachdem du sie benutzt hast?“ „Jetzt sag schon, Vilthon.“ drängte ich ungeduldig. „Zhannya ist schon längst am Hafen. Ich soll euch liebe Grüße von ihr ausrichten.“ berichtete der Alwe zögernd. „Du hast es vermasselt, Vilthon, nicht wahr?“ brachte ich es auf den Punkt. Ich kannte meinen Freund lange genug, um seine schlechte Laune an seinen Mundwinkeln abzulesen. „Was hast du angestellt?“ verlangte ich zu erfahren. Vilthon seufzte schwer. „Ich habe einen Fehler gemacht. Anscheinend bin ich noch nicht ganz über Calissa hinweg. Ich habe Zhannya von ihr erzählt.“ „Du hast was?!“ brüllte ich fassungslos, und verschluckte mich fast an meinem Brötchen. „Du Trottel!“ Gequält verzog Vilthon das Gesicht. „Zhannya war danach irgendwie seltsam und ist heute Morgen sehr früh aufgebrochen.“ „Was du nicht sagst, Vilthon!“ tönte ich. Ich war richtig sauer auf meinen Freund. Es war anfangs ein seltsames Gefühl für mich gewesen, als ich Vilthon die junge Zhannya mit einer Zärtlichkeit behandeln sah, die er bisher nur mir zugestanden hatte. Aber es war wundervoll gewesen, ihn in seiner Schwärmerei zu beobachten, und ich hatte die freche, etwas burschikose Zhannya gern. Sie war nicht nur hübsch und mutig, sie war auch sehr gebildet und klug. Und sie hätte dem ordentlichen, etwas kontrollsüchtigen Vilthon gut getan. „Man sieht sich immer zweimal im Leben, Vilthon.“ tröstete Mirlien seinen Freund und klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken. „Das nächste Mal wirst du dich an deinen Fehler erinnern und es besser machen.“ Vilthon rang sich ein kleines, trauriges Lächeln in Mirliens Richtung ab und biss herzhaft in das Xeraatbrötchen. „Meint ihr, ich erwische sie noch am Hafen?“ fragte er Mirlien und mich dann. „Einen Versuch ist es wert, Vilthon. Wir kommen mit, vielleicht ist ja noch was zu retten.“ rief ich entschlossen. Als wir einige Minuten später schwer unter unseren dicken Rucksäcken keuchend den Hafen erreichten, bekamen wir leider zu hören, dass das Schiff zum Kontinent schon längst vom Pier abgelegt hatte. Enttäuscht kickte Vilthon eine leere Muschelschale ins Hafenwasser. Da legten sich plötzlich zwei schwere Hände von hinten auf meine Schultern. Ich fuhr in einer fürchterlichen Ahnung herum und blickte direkt in Thyllos stets grinsende Visage. Diesmal war er wenigstens nicht wie ein mir wohlbekanntes metaphysisches Raubtier bemalt. „Na wen haben wir denn da?“ flötete der unsympathische Verliek vergnügt. „Meine drei Lieblingswanderer!“ Ich zeigte ihm kurz ein gekünsteltes Lächeln, dann drängte ich mich zähneknirschend zwischen meine beiden höflich grüßenden Gefährten und verbarg mich Schutz suchend hinter ihren Rücken. „Wie erfreulich, euch hier zu treffen. Ihr seid gestern so schnell verschwunden, mit der guten Zhannya. Ich habe sie gerade noch einmal gesprochen, kurz, bevor ihr Schiff den Hafen verlassen hat. Ein reizendes Ding. Leider mag sie mich nicht besonders.“ „Wen wundert das?“ ließ ich meine gedämpfte Stimme aus dem Hintergrund hören. Thyllos hüstelte. „Wartet ihr auch hier auf die Abfahrt des Schiffes, das die Nordküste umsegelt?“ „Eigentlich nicht.“ murmelte Vilthon abwesend. Dann blickte er auf. „Die Nordküste sagst du?“ Thyllos nickte langsam und blinzelte verführerisch. „Die Leute an Bord fahren zum Nadelwald, um Larven und Eier von Querkenkneifern, Roonengräbern und vielleicht anderen Riesenkäfern zu suchen und später auf der Insel zu verteilen. Aufregende Sache. Aber erst fahren sie noch einmal am Hafen entlang um weitere Mitfahrer aufzulesen. Einige hartgesottene Dunkelhäute sind mit von der Partie. Ich dachte, ihr würdet vielleicht gerne ein Stückchen mitfahren.“ Vilthon kratzte sich am Kinn und wandte sich grübelnd an Mirlien und mich. „Wäre gar keine schlechte Idee. Wir könnten auf diese Weise schneller und auf sicherem Wege das Kargland hinter uns lassen.“ „Auf sicherem Wege?“ höhnte ich. „Wenn dieser Typ in der Nähe ist? Hast du vergessen, was Zhannya über ihn erzählt hat?“ Hinter Vilthons Rücken winkte Thyllos mit bezaubernd charmantem Lächeln. „Liebes, sei doch vernünftig.“ bat Vilthon mit gezwungen sanfter Stimme, aber seine Braue zuckte verräterisch nervös. Mirlien beobachtete seinen Freund vorsichtig aus den Augenwinkeln. Unwillig stöhnte ich auf. Ich beschloss, jetzt einfach in den sauren Apfel zu beißen, allein schon deshalb, weil ich mir vor Thyllos keine Blöße geben wollte. „Wie du meinst, Vilthon.“ zeigte ich mich einverstanden. Doch ich schwor mir, noch mal ein ernstes Wörtchen mit dem Alwen zu wechseln, sobald wir auf dem Schiff unter vier Augen miteinander sprechen konnten. Eine knappe Stunde später sollte ich auf hoher See endlich die Gelegenheit dazu bekommen. Während ich den hilflosen Mirlien einer kleinen, freundlichen Gruppe neugieriger Seereisender vorwarf, nahm ich Vilthon zur Seite und stellte ihn zur Rede. Ich stemmt die Arme in die Hüften und blickte mit trotzig vorgeschobenen Lippen zu meinem besten Freund auf. Die kräftigen Wellen, die den Bug hochschlugen, entsprachen in ihrer Unbändigkeit meiner Wut. „Du kannst dir bestimmt denken, was ich dir zu sagen habe, oder?“ schrie ich gegen den Wind an. „Wahrscheinlich hat es wieder irgendetwas mit Thyllos zu tun, richtig?“ fragte der Alwe gelangweilt. „Natürlich hat es das!“ ärgerte ich mich. „Warum vertraut ihr ihm noch, nach allem, was Zhannya uns über ihn zu berichten wusste? Nun, für Mirlien spielt dies natürlich keine Rolle, er wertet und er urteilt nicht. Aber warum lässt du dich trotzdem auf ihn ein? Er ist der Sohn eines Malaren!“ „Tilya, du glaubst doch nicht etwa diesen Seemannsgarn?“ lächelte Vilthon milde und ließ seinen Blick lässig über das Meer schweifen. „Warum sollte diese Geschichte weniger wahr sein, als Greyans Bericht über diese Fuchsfrau?“ gab ich zurück. „Malarensohn hin oder her, Tilya. Selbst wenn dem so wäre, wäre dies immer noch kein schlagendes Argument dafür, ihm nicht vertrauen zu können. So etwas Oberflächliches! Erinnere dich doch mal an dein Leben im Hügeldorf. Wie hättest du es gefunden, wenn die Leute dich damals wegen deines ungewöhnlichen Aussehens gemieden oder gar angegriffen hätten?“ wollte der Alwe wissen. „Vilthon! Das ist doch wohl keine vergleichbare Situation!“ rief ich erzürnt. Wollte dieser Mann mich denn einfach nicht verstehen? „Tilya, ich kenne dich gar nicht so aufbrausend und intolerant! Was ist nur los mit dir?“ „Das fragst du mich? Was ist zum Donnerwetter los mit dir? Wenn es um Thyllos geht, bist du wie ausgewechselt, Vilthon. Wo ist mein kritischer Freund, der alles fünfmal hinterfragt und immer auf Nummer sicher geht? Du bist leichtsinnig und siehst über die Zwielichtigkeit dieses seltsamen Typen hinweg, noch gutgläubiger und naiver als Mirlien!“ rief ich aufgebracht. Vilthon schwieg eine Weile. „Auch Mirlien war uns zuerst fremd. Warum kannst du Thyllos nicht das gleiche Vertrauen entgegenbringen, wie Mirlien damals?“ hakte Vilthon nach. Ich schüttelte energisch den Kopf. „Du weißt genau, dass das mit Mirlien etwas ganz anderes ist. Mirlien braucht nichts zu tun, damit die Leute ihn lieben. Jeder schließt ihn in sein Herz, obwohl er es gar nicht beabsichtigt. Er zieht für sich keinen Nutzen daraus, er ist einfach zufrieden, wenn es allen anderen gut geht. Den aufdringlichen Thyllos mit unserem anständigen Mirlien zu vergleichen, grenzt an eine Beleidigung, Vilthon!“ „Welchen Nutzen sollte aber Thyllos aus unserer gewonnenen Sympathie ziehen?“ fragte mich der Alwe. „Du hast Zhannya doch gehört. Sie hat ihn als üblen Kerl beschrieben, der die Leute um seinen Finger wickeln kann, und sie zu seinem Vorteil manipuliert. Er wird schon seine Gründe haben, warum er sich an uns hängt.“ erwiderte ich. „Oder glaubst du nicht einmal Zhannya?“ Vilthon seufzte. „Ich glaube nicht, dass Zhannya gelogen hat, Tilya. Aber vielleicht hat sie auch einiges missverstanden.“ „Das glaubst du nicht wirklich!“ entfuhr es mir. „Wie dem auch sei, Liebes, ich finde du nimmst die ganze Geschichte um Thyllos viel zu ernst. Du solltest dich auf den Malar konzentrieren, nicht auf einen Verlieken, den du zufällig nicht magst.“ Ich riss mir eine lange Feder aus den Haaren und zerpflückte sie, um mich abzureagieren. Mich beschlich das Gefühl, dass wir einfach aneinander vorbei redeten, was dieses bestimmte Thema betraf. „Liebes, wovon träumst du eigentlich in der Nacht?“ lenkte Vilthon das Thema plötzlich auf eine andere Ebene. Überrascht blickte ich zu ihm auf. „Was hat das denn jetzt damit zu tun?“ fragte ich trotzig. Vilthon schwieg und blickte mich fest aus seinen grauen, klaren Augen an. „Ich träume von gar nichts mehr!“ antwortete ich schließlich leise. „Ich bin allein an einem Ort, der leergefegten Untiefen gleicht. Es ist still dort, schwarz und leer, aber ich fühle mich geborgen. Als ob ich die ganze Zeit in Mirliens Augen schauen würde. Dort kann ich mich in Ruhe besinnen. Warum willst du das wissen?“ „Ich will herausfinden, warum du so überspannt bist, und so übertrieben auf alles reagierst, was dich verunsichert. Das Verschwinden des Malars scheint dir nicht gut zu tun. Angst ist nicht nur im wahren Leben als überlebenswichtiger Faktor notwendig, auch in deinen Träumen musst du dich mit ihr auseinandersetzen, wie willst du deinen aufgestauten Stress sonst verarbeiten? Ist das vielleicht der Grund, warum du immer hysterischer und gereizter wirst?“ Voller Verständnis legte der Alwe seine Hände um meine vom Fahrtwind verkühlten Arme. Ich stand zwar kurz davor, zu explodieren, nahm mich aber zusammen, da ich wusste, dass mein Freund ja nur mein Bestes wollte. „Ja, es stimmt, der Malar fehlt mir auf eine gewisse Weise, Vilthon! Aber das hat nichts mit meiner schlechten Laune zu tun. Ich komme bestens zurecht! Mich macht nur diese Blauäugigkeit wahnsinnig, mit der ihr Thyllos wahrnehmt. Mirlien mache ich daraus keinen Vorwurf, der scheint nicht anders gestrickt zu sein, aber von dir Vilthon, bin ich eben etwas anderes gewohnt. Es macht mich fertig, dass wir uns wegen so einem…Menschen…überhaupt in die Wolle kriegen. Und es wundert mich besonders, dass du dich nicht für die Gerüchte über seine malarische Herkunft interessierst. Jedenfalls nehme ich das alles nicht mehr länger einfach so hin. Ich gehe jetzt zu Thyllos und rede Klartext mit ihm!“ Ich befreite mich sanft aus Vilthons warmen Händen, gab ihm einen Kuss auf die Wange und schlug entschlossen den Weg zum Heck ein, auf dem ich den ungeliebten Verlieken vermutete. „Warte! Worüber genau willst du denn jetzt mit ihm sprechen?“ hielt Vilthon mich skeptisch zurück. Ungeduldig wandte ich mich noch einmal zu dem Alwen um. „Er soll mir verraten, wer er wirklich ist. Thyllos soll ruhig wissen, dass seine Masche nicht bei jedem zieht, und dass man ihm nun langsam auf die Schliche kommt.“ Vilthon verzog wenig begeistert den Mund. „Tilya, überleg es dir noch einmal. Mach dich doch nicht lächerlich! Gib dem Mann doch eine Chance!“ „Die geb ich ihm. Nämlich, mir hier und jetzt die Wahrheit zu sagen!“ zischte ich grimmig über meine Schulter und schlurfte mit finsterem Gesicht über das Deck. Leider begannen die Seeleute in diesem Moment auf einen kleinen Steg am Ufer zuzusteuern, auf dem schon vier weitere reiselustige Bewohner des nächsten Dorfes auf ihr Schiff warteten. Als die Passagiere zugestiegen waren, und das Schiff wieder ablegte, ergriff ich die Gunst der Stunde, und bevor Thyllos Gelegenheit bekam, mit seinem Charme die Neuankömmlinge zu umgarnen, schnappte ich mir den Verlieken und zerrte ihn in die Lagerräume unter Deck. Ich hoffte inständig, Vilthon würde uns hier nicht finden und mich vor Thyllos spöttischen Blicken wegen meines schlechten Benehmens rügen. Thyllos ließ sich lachend von mir die knarrenden Holztreppen hinunter ziehen. „Was hast du mit mir vor, an diesem dunklen, abgeschiedenen Ort, Tilya?“ wollte er wissen. Mir behagte der süffisante Unterton in seiner Stimme nicht. „Ich möchte nur, dass du mir einige Dinge über dich erzählst.“ antwortete ich knapp. Thyllos Geruch nach Malar brachte mich fast um den Verstand, doch ich wollte mir um keinen Preis anmerken lassen, wie nervös ich war. „Aber gerne. Wie schmeichelhaft, zu erfahren, dass du dich für mich interessierst. Endlich lernen wir uns ein wenig näher kennen. Du kannst mich fragen, was du willst.“ gewährte mir Thyllos großzügig. Misstrauisch funkelte ich den Verlieken an. „Wir haben Zhannya kennengelernt. Kannst du dir vorstellen, was sie uns über dich erzählt hat?“ Thyllos grinste breit. „Wahrscheinlich hat die kleine Diebin nicht sonderlich gut von mir gesprochen, wenn du mich schon so fragst.“ „Wie kannst du es wagen, Zhannya als eine Diebin zu bezeichnen!“ erboste ich mich. „Du warst es doch, der sie und ihre Gefährten bestohlen hat!“ „Eine völlig falsche Darstellung der Tatsachen, Süße. Was meinst du, auf welchem Wege sich diese Bande das ganze Gerümpel vom Kontinent beschafft? Richtig, sie haben die Menschen beklaut! Ich habe lediglich frühzeitig für sie aussortiert, was ohnehin nicht auf die Insel gelangen durfte. Waffen, alkoholische Genussmittel, und anderes gefährliches Zeug habe ich vorsorglich entfernt, zum Schutz der Gruppe. Den ganzen Kram habe ich natürlich zurück zu den Menschen gebracht und ihn ihnen für gutes Geld verkauft.“ schilderte Thyllos genüsslich. „Du Scheusal, damit prahlst du auch noch?“ ereiferte ich mich. „Mit Füßen trittst du die Gastfreundschaft der Menschen! Damit beschmutzt du das Ansehen aller Insulaner, ist dir das klar?“ „Menschen sind nicht gastfreundlich, Schätzchen! Alles, was du über sie in unseren Büchern lesen kannst, ist ihnen noch geschmeichelt. Wie oft schon musste ich Zhannyas Truppe aus der Patsche ziehen, wenn sie sich wieder einmal mit den Menschen angelegt hatten…“ „Zhannya sagte, dass du sie verraten hättest.“ unterbrach ich ihn in schneidendem Ton. „Nein, wirklich, so etwas sagt Zhannya?“ wiederholte Thyllos kopfschüttelnd. „Sie meint, du würdest die Leute manipulieren, sie mit faulen Tricks um den Finger wickeln, damit sie glauben, was du sie glauben machen willst.“ fuhr ich unerbittlich fort. Thyllos lächelte zuckersüß. „Tatsächlich? Und warum bist du mir dann noch nicht schon längst verfallen, Kleine?“ Ich zuckte unbeeindruckt die Schulter. „Sag du es mir. Vielleicht amüsiert es dich ja, mich alleine in dem Bewusstsein um die Wahrheit zu lassen, für die alle anderen erblinden. Ist kein angenehmes Gefühl, wenn man die einzige ist, die sie kennt.“ Der Verliek legte den Kopf schief. „Das glaube ich dir gerne.“ tat er verständnisvoll. „Aber von welcher Wahrheit redest du, Tilya?“ „Das weißt du genau. Du bist kein Verliek.“ stellte ich mit kalter Stimme fest. Thyllos lachte herzhaft. „Wie kommst du auf solche Gedanken? Sehe ich etwa nicht aus, wie ein waschechter Verliek?“ Der Mann beugte sich zu mir vor und zeigte mir sein furchteinflößendes Grinsen, welches seine auffälligen Eckzähne entblößte. Seine bernsteinfarbenen Raubtieraugen reflektierten das spärliche Licht der Lagerräume auf eine beunruhigende Art. Ich wich erschrocken zurück, als Thyllos seine linke Hand nah an mein Gesicht hob und die Fingerkuppen von Daumen und Zeigefinger gegeneinander rieb, bis eine winzige, blasse Flamme über seinen Fingerspitzen zu tanzen begann. „Sieh nur, mein Talent liegt ganz klassisch in der verliekischen Flamme.“ flüsterte er. Ich stieß verärgert seine Hand weg und das Flämmchen erlosch in der Luft. „Das was du mir gerade vorgeführt hast, wird nicht alles an Begabung sein, was du vorzuweisen hast. Schließlich bist du ein halber Malar!“ Thyllos runzelte die Stirn und schnalzte mit der Zunge. „Ich sehe, Zhannya hat wahrhaftig nichts ausgelassen. Ich habe ihr die Geschichte meiner Herkunft nach einer Flasche Xeraatrum erzählt. Wer hätte gedacht, dass sie dieses Geschwätz ernst nimmt?“ „Hat sie aber!“ bemerkte ich. „Und ich tu es nun ebenfalls.“ Der Verliek sah mir fest in die Augen, und ich musste mich zwingen, seinem stechenden Blick standzuhalten. „Dann liegt ihr beide goldrichtig mit eurer Annahme. Mein Vater ist ein Malar.“ gab er nun unverhofft offen zu. Ich schluckte. „Man erzählt sich im Hafendorf und auch noch weit außerhalb von einer rätselhaften Fuchsfrau, die kurz bevor sie starb, den Leuten anvertraute, sie habe ihren Malaren aus ihren Träumen entkommen lassen.“ „Diese Frau war meine Mutter. Und der Malar, der ihr entwischt ist, ist mein Erzeuger.“ Thyllos taxierte mich mit dem Blick eines Kaktuswarans, der nur auf den richtigen Augenblick wartet, um sich einen Riesenmoskito zu schnappen. „Wie ist das… Äh, ich meine, woher willst du wissen, dass dieser Malar dein Vater ist?“ wagte ich endlich zu fragen. Thyllos bedachte mich mit einem triumphierenden Grinsen. „Er selbst hat es mir vor einigen Jahren verraten. Es war zunächst ein Schock für mich, aber sein Geständnis hat mir so einiges erklärt.“ Ich machte unwillkürlich einen Schritt auf Thyllos zu. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf. „Du hast deinen Vater – den Malar später wieder getroffen? Wo ist er jetzt? Warum hat man nie von ihm gehört?“ Thyllos trat seinerseits einen Schritt auf mich zu, und das ich wich wieder zwei zurück. „Langsam, langsam, Süße. Er treibt seit jeher auf dem Kontinent sein Unwesen, und dort bin ich ihm auch zum ersten Mal begegnet, mitten auf einem Menschenfest. Er hat mich erkannt. Schlauer Kerl. Bei den Menschen lässt es sich gut leben für einen Malaren. Leichte Beute, überall. Keine Talente, keinen Totemkräfte. Ich bin mir sicher, dass dein Malar inzwischen auch auf dem Weg zum Kontinent ist, mein liebes Drachenmädchen.“ Das Blut wich aus meinem Gesicht. „Mein Malar? Was meinst du damit?“ stammelte ich. Thyllos grinste selbstgefällig und begutachtete seine Fingerspitzen als er weiter sprach. „Na dein Malar. Du weißt schon. Das rote Ungeheuer, das dein Totem vernichtet hat, als du ihm zum ersten Mal begegnet bist. Musste sich um etwas gehandelt haben, was einem Vogel ähnelt, wenn dies zu deiner Erinnerung beiträgt.“ meinte er mit einem prüfenden Blick auf mein gefiedertes Haar. „Dein Malar hat sich aus deinen Träumen befreit, genau, wie es damals meiner Mutter widerfahren ist.“ „Ich weiß nicht, wovon du redest, Thyllos.“ versuchte ich mich rauszureden. „Ach nein?“ flüsterte der Verliek beinahe zärtlich. „Weißt du, im Hügeldorf gibt es einen außergewöhnlichen Mann, der einige meiner Leidenschaften teilt. Er mag Xeraatrum, er liebt die schönen Künste, und er schien auch von dir nicht abgeneigt, Tilya. Er hat mir alles erzählt, wonach ich zu wissen begehrte.“ „Myroon!?“ erschrak ich heftig. „Es hat ihn sehr geknickt, dass du dich nicht persönlich von ihm verabschiedet hast.“ setzte Thyllos noch einen drauf. „Dieser vermaledeite Säufer!“ fluchte ich, mühsam die Tränen der Wut zurückhaltend. „Und ich dachte, man könnte sich trotzdem auf ihn verlassen!“ „Das kann man auch!“ nahm Thyllos Myroon unerwartet in Schutz. „Er ist ein guter Kerl, dieser Alverliek. Niemals hätte er dein kleines Geheimnis ausgeplaudert, egal wie viel Rum er intus gehabt hätte, wenn er eben nicht ausgerechnet an mich geraten wäre. Die Leute müssen nicht betrunken sein, damit ich von ihnen bekommen kann, was immer ich will. Wo wir schon bei diesem Thema sind…Du trinkst gerne Valdrobularrindentee, Tilya?“ Mein Magen krampfte sich zusammen und mir wurde übel. „Widerling! Wie lange weißt du schon bescheid?“ Thyllos verschränkte die Arme und lehnte sich lässig an das wackelnde Treppengelände. „Lange genug.“ gab er knapp zurück und weidete sich offenbar an meinem belämmerten Gesichtsausdruck. „Wie bist du auf uns aufmerksam geworden?“ verlangte ich zu erfahren. „Ich habe meine Quellen.“ Der Verliek amüsierte sich köstlich „Und was hast du mit deinem Wissen vor?“ fragte ich ängstlich „Ich behalte es für mich.“ antwortete Thyllos bedächtig. Er schien seine Überlegenheit genussvoll auszukosten. „Tatsächlich.“ Meine Stimme zitterte vor Verzweiflung. „Was willst du eigentlich von uns?“ fragte ich dann hilflos. „Nichts will ich von euch.“ konterte Thyllos. „Aber vielleicht wollt ihr was von mir.“ „Was sollte das sein?“ Ich hatte keine Vorstellungen, um was es dem Verlieken gehen könnte. „Ich könnte euch helfen!“ meinte er. Ich lachte bitter. „Verfolgst du uns deshalb und schnüffelst uns so dreist hinterher?“ Der Mann grinste schief. „Vielleicht verfolge ich nicht euch, sondern deinen Malaren, Süße.“ Ich kniff meine meeresblauen Augen zusammen und hoffte, dass sie in typisch verliekischer Manier hier im Dunkeln beängstigend leuchteten und Thyllos wenigstens halb so viel Furcht einflößen würden, wie seine Augen es bei mir zu tun vermochten. „Warum solltest du das tun? Was hast du vor, zum Donnerwetter? Oder weißt du irgendetwas, was wir noch nicht wissen, Thyllos?“ Thyllos faltete die Hände, streckte sich ausgiebig und näherte sich mir. Ganz langsam, Schritt für Schritt. Das Glitzern in seinen Augen empfand ich, die mit dem Rücken zur Wand stand, als äußerst bedrohlich. „Wenn du nur bereit wärst, dich auf mich einzulassen und mich zu akzeptieren, Tilya, könnten wir beide so wunderbar zusammenarbeiten.“ raunte mir Thyllos leise zu. „Warum sollte ich dir vertrauen?“ stieß ich nervös zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Du bist zur Hälfte ein Malar. Wer garantiert mir dafür, dass du nicht doch auf seiner Seite stehst?““ „Niemand.“ antwortete Thyllos ehrlich. „Aber ich bin auch zur Hälfte ein Verliek und ich liebe diese Insel und seine entzückenden Bewohner.“ „Was für ein überzeugendes Argument!“ frotzelte ich. “Womöglich steckt ihr beiden sogar längst unter einer Decke!“ „Ich überlasse dir die Entscheidung, an was du glauben willst.“ gestand mir Thyllos gnädig zu. „Danke, zu gütig, Thyllos. Ich verstehe nur nicht, was du davon hast, wenn du uns tatsächlich hilfst. Jemand wie du macht so was doch nicht umsonst, so ganz ohne sich selbst etwas davon zu versprechen. Wofür also die Mühe, warum der weite Weg?“ begehrte ich auf und ärgerte mich darüber, dass ich mich vor Aufregung an meinen eigenen Worten zu verhaspeln begann. „Das ist allein meine Sache. Familieninterne Angelegenheit, sozusagen. Außerdem reise ich gern.“ gab Thyllos zurück. „Aber natürlich.“ ätzte ich. Mit einem flauen Gefühl im Bauch registrierte ich, dass der Verliek immer dichter an mich heranrückte. Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen und sah mich mit gehetztem Blick nach einem geeigneten Fluchtweg um. Thyllos triumphierendes Grinsen kam immer näher. „Ich bleibe erst einmal einfach nur in eurer Reichweite, und wenn du mich brauchst, Schätzchen, werde ich da sein. Na, was hältst du davon?“ schnurrte der Verliek. „Ist das jetzt eine Drohung?“ fragte ich entsetzt. „Wie man es nimmt…“ flüsterte Thyllos und legte wie zufällig seine warmen Pranken um meine Taille. Meine Hände schnellten reflexartig hervor und trafen den Mann gegen seinen Brustkorb. Es war nur eine kleine, abwehrende Geste gewesen, um den Mann auf Abstand zu halten, und ich hatte wohl kaum genug Kraft dazu aufgewendet, um Thyllos von mir stoßen zu können, doch der Verliek zuckte ächzend zusammen, griff sich ans Herz und starrte mich mit überraschtem Blick einige Augenblicke lang keuchend an. Dann lachte er dröhnend. „Du Mistkerl!“ schimpfte ich. Meine Knie zitterten und meine Fingerspitzen begannen unangenehm zu kribbeln. „Du hältst dich gefälligst fern von uns! Denk bloß nicht, dass ich Vilthon und Mirlien vorenthalten werde, was ich gerade hier von dir erfahren habe.“ rief ich voller Entrüstung. „Tu dir keinen Zwang an, Süße.“ feixte Thyllos. „Aber an deiner Stelle würde ich mir die Mühe sparen. Deine beiden Freunde lieben dich, sie werden dir deshalb vielleicht sogar glauben wollen. Trotzdem wird sich nichts an ihrer Einstellung mir gegenüber ändern, Tilya. Was dies betrifft, kann ich die Gedanken, besser gesagt, die Gefühle der Leute lenken, wie es mir beliebt. Vilthon wird mich als das wahrnehmen, als was ich ihm zu erscheinen wünsche, dank dem Erbe, das ich meinem malarischen Vater zu verdanken habe. Er wird mir vertrauen, er wird zu mir aufsehen und er wird mit mir sympathisieren, so wie alle anderen es tun. Weil ich es so will.“ tönte der Verliek selbstherrlich. „Bei diesem Fremden, den ihr Mirlien ruft, beiße ich mir allerdings noch die Zähne aus, aber fürs Erste brauche ich mich noch nicht um ihn zu kümmern. Aber ich finde schon noch raus, warum ich ihn nicht überlisten kann.“ „Lass die Finger von Mirlien!“ schrie ich, schäumend vor Wut. „Wenn du ihm oder Vilthon nur ein Haar krümmst, dann bekommst du es mit mir zu tun, das schwöre ich dir!“ „Oh, das sollte ich wohl angesichts deines Talentes lieber vermeiden! Aufregende Begabung! Prickelnd!“ grölte mir Thyllos hinterher, als ich so schnell mich meine Beine trugen, die Treppen hinauf zum Deck eilte. Völlig verstört suchte ich das Schiff nach meinen beiden Freunden ab, bis ich sie endlich auf dem Sonnendeck fand. Ich fiel Vilthon erleichtert in die Arme. „Bitte, versprich mir, dass wir dieses Schiff auf dem schnellsten Wege verlassen, Vilthon!“ flehte ich den Alwen an. „Kleine, du bist ja vollkommen durch den Wind! Wo warst du denn so lange? Ist was passiert?“ fragte mein Freund besorgt. „Hast du dich mit Thyllos ausgesprochen?“ Mirlien musterte mich mit seinem sanften, forschenden Blick. Doch ich schüttelte nur heftig meinen Kopf. „Ich erzähle euch alles später, wenn wir alleine sind. Aber lasst uns bitte an der nächsten Anlegestelle aussteigen, ja?“ Vilthon erbarmte sich schließlich meiner und erklärte sich widerwillig dazu einverstanden. In der Hitze des Mittags steuerte das Schiff endlich in die Nähe des Ufers und die Anker wurden geworfen. Inzwischen hatte sich die Landschaft in eine karge, felsige Einöde verwandelt, nur noch vereinzelt sah man einige sukkulente Pflanzen auf der ausgedörrten Erde wachsen. Ein kleines Boot ruderte unter der Last einiger hünenhafter schwarzhäutiger Verlieken auf das Schiff zu. Am Strand winkten ihnen ihre Angehörigen zum Abschied zu, umringt von einem dutzend gezähmter Stachellaufechsen, die ungeduldig an ihrem Reitgeschirr zogen und mit ihren vier großen Klauen im heißen Sand scharrten. Ebenso zappelig erwartete ich an Deck die Ankunft des Bootes ab. Ich fürchtete, Vilthon könnte es sich im letzten Moment doch noch anders überlegen. Egal, wie als wie unkomfortabel sich der Wüstenmarsch erweisen würde, mich trieb nur der Gedanke, weg zu kommen von diesem Malarensohn. Nachdem die fünf neuen Passagiere die Klimmleiter hinauf in das Schiff geklettert waren, nahmen Vilthon, Mirlien und ich ohne Umschweife ihren Platz auf dem kleinen, wurmstichigen Kahn ein und erklärten dem überraschten Fährmann, dass uns unser Weg nun eben in westlicher Richtung durch die Steppenwüste führen würde. Kaum, dass wir abgelegt hatten, fühlte ich mich schon viel besser. „Das Schiff mit unseren Männern fährt soviel ich weiß ebenfalls in nordwestlicher Richtung zum Nadelwald. Warum zieht ihr den beschwerlichen Weg durch das Kargland vor, wenn ihr über das Meer viel schneller und bequemer reisen könntet?“ wollte der dunkle Verliek wissen, während wir gemeinsam zu den Reitern am Strand ruderten. „Weil uns die Spur des Tieres, nach dem wir suchen, hierher geführt hat.“ verdrehte ich die Wahrheit ein wenig, bildete mir ein, Vilthons vorwurfsvolle Blicke in meinem Rücken zu spüren und kam mir nun nicht besser vor, als der verhasste Thyllos. Am seichten Strand angekommen, halfen die schwarzhäutigen Reiter ihrem Fährmann und uns drei wackeren Wanderern, das Boot aus dem warmen Wasser gemeinsam ans trockene Land zu ziehen. Das Schiff mit ihren fünf tapferen verliekischen Freunden und Verwandten hatte schon längst seinen Anker gelichtet, die Segel wieder gehisst und ließ sich vom heißen, kräftigen Wind davon treiben. Mit Genugtuung sah ich es in tieferes Gewässer gelangen, wo die Strömung seine Fahrt beschleunigte. Eine ältere Verliekin mit schneeweißem Haar und einer Haut, so herrlich schwarz wie Caybabohnen wandte sich an Mirlien, der den Blick nicht von den mächtigen Laufechsen wenden konnte, die sich, kaum dass sie den Mann erblickt hatten, unterwürfig zu seinen Füßen legten. „Dies hier sind die beiden Laufechsen meiner Söhne.“ klärte sie Mirlien freundlich auf. „Vielleicht sind Ihnen gerade die Zwillinge aufgefallen, die eben auf das Schiff gestiegen sind. Sie gleichen sich wie ein Ei dem anderen, wenn man sie nicht reden hört. Das sind meine großen Jungs gewesen.“ Mirlien lächelte die Frau an. „Sie reden von den beiden stattlichen Herren in den weißen Tuniken. Einer der Brüder hat eine kleine Narbe am Kinn, die ihn optisch von seinem Zwilling unterscheidet. Sie können stolz auf diese mutigen Burschen sein.“ „Das bin ich auch!“ rief die Verliekin erfreut. „Verblüffend, das Ihnen sofort die Narbe an Xanthos Kinn aufgefallen ist.“ „Unserem Mirlien fällt so einiges auf, was unsereins kaum bemerkt.“ mischte sich Vilthon in das Gespräch, legte einen Arm um seinen Freund und stellte uns höflich vor. Ich war derweil mit einer besonders großen Stachellaufechse beschäftigt, deren gepanzerte Schultern mir bis über den Kopf reichten. Behutsam fuhr ich mit meinen Fingern die Gruben zwischen ihren Halsschuppen nach und strich ehrfürchtig über die langen Hörner des Tieres. Es waren wunderschöne Geschöpfe. Die Verliekin beobachtete mich mit Wärme im Blick. „Goldiges Ding. Eine Tochter habe ich mir immer vergeblich gewünscht. Und heute musste ich meine beiden jüngsten Söhne ziehen lassen. Wir haben sie und unsere Freunde zu dieser Flachküste hier begleitet, um uns noch einmal von ihnen zu verabschieden. Bis sie aus den Wäldern wiederkehren, wird einige Zeit vergehen. Aber nun wollen wir rasch in unser Lager zurückkehren, bevor wir in die abendlichen Stürme geraten. Steigt auf die reiterlosen Echsen meiner Söhne und kommt mit in unser Dorf. Wir haben so selten Besuch, es wäre uns eine Ehre, euch als unsere Gäste begrüßen zu dürfen.“ „Ist das ihr Ernst, wir dürfen auf Stachellaufechsen reiten?!“ jubelte ich begeistert. Meine kühnsten Träume versprachen, wahr zu werden! Die Frau nickte strahlend. Einige Verlieken um mich herum begannen zu lachen. „Sieh dich vor! Ein kleines, zartes Mädchen wie dich nehmen die Echsen kaum auf ihren Rücken wahr. Du musst ihnen deutlich zeigen, wo es lang geht! Wenn du sie mit Samthandschuhen anfasst, machen sie, was sie wollen!“ rief eine große, durchtrainierte Verliekin grinsend. Ihre kleinen, scharfen Eckzähne blitzen weiß unter ihren dunklen Lippen hervor. „Setz dich lieber hinter jemanden, der schwerer ist als du!“ riet ein anderes Mädchen, das etwa meine Größe und mein Gewicht haben musste, und bereits im Sattel auf einer Echse an den Rücken eines alten Mannes gelehnt saß, der ihr Großvater sein musste. Ich warf einen Blick auf die muskulösen Körper der Tiere und schluckte schwer. Im Geiste sah ich mich bereits von einer sich übermütig aufbockenden Laufechse meterweit durch die Luft geschleudert fliegen um dann mit gebrochenen Knochen die Dünen herabzukullern. „Setzt du dich vor mich, Mirlien?“ fragte ich meinen Freund kleinlaut. Kurz darauf setzten sich die Tiere mit ihren Reitern auf den Rücken in Bewegung. Wir drei hatten unsere Rucksäcke einer herrenlosen Echse umgeschnallt und hofften, dass sie bei dem turbulenten Ritt nicht an Inhalt verlieren würden. In Vilthons strahlendem Gesicht glühte wilde Abenteuerlust, als das Tier unter ihm mit eleganten, geschmeidigen Bewegungen seinen Weg über den Sand bestritt, der das Sonnenlicht in einer blendenden Weise reflektierte. Hinter Mirlien kauernd beobachtete ich glücklich unseren alwischen Freund, der gelöst und voller Lebensfreunde dicht neben uns daher ritt. Ich hatte meine Arme fest um Mirliens mageren Körper geschlungen und schmiegte mich entspannt an seinen harten Rücken. Die Zügel hielt er fest in seinen feingliedrigen Händen. Trotz der Hitze fühlte sich der Körper des Mannes für mich nicht wärmer an als sonst, und so kühlte ich meine heißen Wangen an ihm, während wir auf unserer Laufechse über die Dünen rasten. Zuerst war es mir schwer gefallen, mich den schnellen, zackigen Bewegungen des Tieres anzupassen, doch bald hatte ich mich an den fließenden Rhythmus seiner ruckartigen Schritte gewöhnt und saß sicher, mit locker mitschwingenden Hüften im Sattel. Am späten Nachmittag erreichten die Echsenreiter ihr Ziel, das Zeltdorf um die kleine Oase unweit des Kaltfeuerflussdeltas. Es handelte sich hierbei um eine offene Gemeinschaft mehr oder weniger sesshafter, schwarzhäutiger Verlieken, die sich, im Gegensatz zu den Nomaden des Karglandes, vorzugsweise in der unmittelbaren Nähe des Kaltfeuerflusses oder anderer dauerhafter Trinkwasserquellen aufhielten, während die Nomaden stetig quer durch die Wüste zogen und ihren Durst an Kakteensaft zu stillen pflegten. Mit schmerzendem Hintern rutschte ich an Mirliens helfender Hand aus dem harten Sattel und rieb mir den Rücken. So schön der Ritt durch die Steppe auch war, so froh war ich auch, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Die Einwohner hießen uns herzlich als ihre Gäste willkommen und luden uns zum gemeinsamen nächtlichen Mahl unter dem großen Baldachinzelt im Zentrum der Zeltstadt ein. Ich freute mich. Wie immer hatte ich Kohldampf und war neugierig darauf, unbekannte, fremdartige Speisen kosten zu dürfen. Vilthon wusch, solange es noch hell war, bereitwillig die getragene Wäsche im Flusswasser, während Mirlien und ich ihm beim Aufhängen halfen. Im heißen Wind würde die Wäsche schnell trocknen. Das einzige, was meine gute Laune jetzt trüben hätte können, wäre das plötzliche Auftauchen eines gewissen Rotschopfes gewesen. Ich bemerkte, dass Mirlien mich beobachtete, als ich meine Blicke wieder und wieder unruhig über die Dünen wandern ließ. „Wen erwartest du?“ wollte er wissen und sah mich aus seinen durchdringenden Augen an. „Wolltest du uns übrigens nicht in einem ungestörten Moment noch etwas Wichtiges erzählen, Tilya?“ Wieder einmal hatte Mirliens Gespür mich überführt. „Ich erwarte niemanden. Ich leide höchstens unter Verfolgungswahn.“ murmelte ich stotternd. „Aber es stimmt, Mirlien, ich bin euch noch die Erklärung schuldig, warum ich mit euch das Schiff so schnell verlassen wollte.“ „Exakt.“ knurrte Vilthon, der am Flussufer kniete. „Darauf warte ich schon die ganze Zeit. Ich wette, unsere überstürzte Flucht haben wir deinem unsinnigen Gespräch mit Thyllos zu verdanken, oder?“ „Ja.“ gab ich freimütig zu und Vilthon sog zischend die Luft durch die Zähne. „Jetzt hört mir doch erst einmal zu!“ rief ich verärgert. „Ich habe Thyllos direkt mit Zhannyas Aussagen konfrontiert, und er hat mir bestätigt, der Sohn jener Fuchsfrau zu sein. Nicht nur das, sein Vater ist tatsächlich der Malar, der ihren Träumen entflohen ist!“ „Das hat er ernsthaft behauptet?“ fragte Vilthon ungläubig. „Wieso sagst du das erst jetzt? Tilya, wenn er nicht gescherzt hat, dann weiß Thyllos vielleicht unschätzbar wichtige Dinge zu berichten, die uns weiter bringen könnten!“ „Was seine Herkunft betrifft, glaube ich Thyllos Geschwätz sogar ausnahmsweise.“ gestand ich. „Ich habe doch gleich gesagt, dass er nach Malar stinkt!“ Vilthon stand mit knackenden Knien auf und ließ achtlos das letzte gewaschene Kleidungsstück auf die staubige Erde fallen. „Anscheinend steckt doch viel mehr hinter dieser alten Geschichte, als angenommen.“ murmelte er und rieb sich nachdenklich das Kinn. „Stellt euch nur vor, es gab tatsächlich einmal jemanden, dem ein ähnliches Schicksal wie Tilya widerfahren ist. Und ihrem Sohn begegnen wir auch noch auf unserer Suche. Wir könnten so viel von ihm erfahren, wenn tatsächlich malarisches Blut in seinen Adern fließt. Ist es denn die Möglichkeit? Warum hast du uns nur dazu überredet, einfach von Bord zu gehen? Tilya, sobald wir bei Greyan waren, müssen wir sofort nach Thyllos suchen! Spinnendreck, wir wissen nicht einmal, wohin er eigentlich wollte. Hat er noch mehr erzählt? Über seinen Vater vielleicht?“ Ich seufzte und las das nasse, verdreckte Hemd vom Boden auf, während Mirlien die übrige Wäsche an der im warmen Wind schaukelnden Leine auf hing. „Jede Menge. Seinen Vater, äh…den Malaren soll es nach seiner Flucht auf den Kontinent verschlagen haben, deshalb wurde auf unserer Insel auch niemals etwas über ihn berichtet. Thyllos ist ihm bei einer seiner Reisen zu den Menschen dort begegnet. Er meinte, dass ein Malar bei den Menschen ein bequemes Leben führen könnte. Und deshalb würde es auch meinen Malaren zu ihnen ziehen.“ Vilthon horchte erstaunt auf. „Er weiß also von deinem Malaren? Du hast es ihm erzählt?“ Ich verneinte. „Er hat Myroon das Geheimnis entlocken können.“ Vilthon schloss die Augen. Seine Mundwinkel zuckten vor Anspannung. „Konnte dieser Säufer also nicht dicht halten!“ zischte er erzürnt. „Bald weiß es die ganze Insel!“ „Nein, das denke ich nicht.“ widersprach ich ruhig, wobei ich sorgfältig den Sand aus Mirliens Hemd wusch. „Thyllos hat sich zu seiner Fähigkeit bekannt, die Leute derart manipulieren zu können, dass sie blind nach seiner Pfeife tanzen. Myroon kann nichts dafür, dass Thyllos die Geschichte aus ihm herausquetschen konnte, ob er nun zu diesem Zeitpunkt besoffen war oder nicht.“ „Ich kenne Myroon gut genug, du brauchst ihn nicht vor mir zu verteidigen.“ wehrte Vilthon ab. Ich lächelte milde. „Ich wollte dir es dir nur gesagt haben, Vilthon. Inzwischen bin ich dir nicht mehr böse, dass du meine Wahrnehmung von Thyllos nicht anerkennen kannst, ich weiß ja jetzt, dass es nicht an dir liegt. Jedenfalls wird Myroon niemanden sonst erfahren lassen, was es mit unserem berüchtigten Tier auf sich hat. Angeblich beabsichtigt Thyllos darüber zu schweigen. Aber er hat vor, sich in die Angelegenheit einzumischen, weiß der Geier, weshalb, und davor graut es mir.“ Vilthon runzelte verständnislos die Stirn. „Wie bitte? Thyllos ist angesichts seines Hintergrundes vielleicht die beste Hilfe, die wir kriegen können. Wir sind angewiesen auf alle neuen Erkenntnisse und du stellst dich quer! Wieso?“ „Vilthon, das wirst du nicht verstehen können. Nicht, solange Thyllos seinen faulen malarischen Zauber nicht von dir genommen hat. Zhannyas Anschuldigungen kamen nicht von ungefähr, Thyllos hat alles gestanden! Und vielleicht verbindet ihn mehr mit den Malaren als nur gemeinsames Blut. Außerdem habe ich ihm befohlen, sich von uns fern zu halten.“ Einige Augenblicke herrschte unangenehmes Schweigen zwischen uns beiden. Vilthon blickte mich an, wie einen bemitleidenswerten, verwirrten Heranwachsenden, der noch nicht recht mit seinen schwankenden Stimmungen umzugehen weiß. Mirlien legte seine Hand wie zum stummen Trost auf meine Schulter, als ich mit fahrigen Bewegungen sein Hemd an der Wäscheleine befestigte. Es tat mir gut und gab mir noch einmal die nötige Kraft, weiterzusprechen. „Ihr wisst immer noch nicht, was mich letzten Endes dazu bewogen hat, vor Thyllos zu fliehen. Vilthon, ich hatte einerseits große Angst davor, dass wir uns wegen diesem linken Fuchs voneinander entfernen. Aber das schafft auch ein Thyllos nicht, und wenn sich unsere Meinungen, insofern es um ihn geht, auch noch so sehr voneinander trennen mögen. Dessen bin ich mir nun sicher. Aber die größte Sorge mache ich mir um dich, Mirlien. Thyllos wunderte es, dass sein Talent, den Leuten den Kopf zu verdrehen, bei dir auf Grenzen stößt, und er wollte herausfinden warum. Ihr habt ihn nicht reden hören, diesen verschlagenen, reuelosen Kerl! Er war zum fürchten! Versteht ihr mich denn nicht? Ihr zwei seid für mich wie eine kleine Familie geworden, und ich kann nicht zulassen, dass euch etwas geschieht.“ „Ach, Liebes, du bist wirklich drollig…“ seufzte Vilthon gerührt. Er trat zu mir, die ich mich Halt suchend an Mirliens Schulter gelehnt hatte und strich mir zärtlich über die gerötete Wange. Dann klopfte er Mirlien liebevoll auf den Rücken. „Wir geben schon gut aufeinander Acht, das verspreche ich dir. Und wenn es dich beruhigt, werde ich bei unserer nächsten Begegnung mit Thyllos besonders gut auf mein kleines schreckhaftes Mädchen aufpassen.“ Ich lächelte zaghaft. „Danke, Vilthon. Ich werde wohl immer ein ungutes Gefühl in der Gegenwart dieses Verlieken haben, doch vielleicht kann er uns trotzdem auf die richtige Fährte des Malars führen. Aber daran hätte ich wohl früher denken sollen. Es tut mir leid. Wenn es soweit ist, werde ich mich nicht weigern, ihm Gehör zu schenken. Aber ich werde ihm niemals ohne Vorbehalt vertrauen, verstanden?“ „Na, das ist doch schon mal ein Fortschritt.“ freute sich Vilthon nachsichtig. Wie es uns die alte Verliekin vorausgesagt hatte, wurde es zum Abend hin immer stürmischer. Als die Sonne unterging und wir drei uns mit knurrendem Magen auf den Weg zum Baldachinzelt machten, trieb uns bereits ein heftiger Wind die Sandkörner in die tränenden Augen. Die Laufechsen hatten sich tief im warmen Sand vergraben und warteten die kalte Wüstennacht ab, in der sich der Sturm wieder legen würde. Hungrig gesellten sich Vilthon, Mirlien und ich zu den versammelten Einheimischen unter die großen Baldachine. Die Klänge von Flöten, Trommeln und Lauten mischten sich in altverliekische Sprachfetzen, der Duft fremdartiger Gewürze zog durch die Zelte und versetzte uns in eine andere Zeit, als die Verlieken noch alleine auf der Insel lebten. Ich hatte mir einen leichten Sonnenbrand eingefangen, während der blasse Mirlien besonders extrem mit seiner pergamentartigen, hellen Haut aus der dunklen Masse der Einwohner heraus stach. Einige Verliekinnen kicherten, als Mirlien sich freundlich lächelnd zwischen sie setzte. Unter ihnen war auch die große, athletische junge Frau, die mich vor dem einsamen Ritt auf der Laufechse bewahrt hatte. Amüsiert legte sie ihre schlanke, schwarze Hand auf die bleiche Hand von Mirlien. „So weiß wie Zaronnenflaum!“ neckte sie den Mann. „Auch das Blut, das dein Herz durch deinen Körper pumpt, muss die Farbe von reinem Schnee haben, nicht wahr?“ Mirlien zog belustigt die Mundwinkel kraus, was anscheinend nicht nur mich vor Verzückung aufseufzen ließ. Die Verliekin stand aus ihrem Schneidersitz auf, nahm Mirlien bei den Händen und zog ihn vom Teppich hoch, ganz nah zu sich, flüsterte ihm etwas ins Ohr, und begann, vor ihm zu den folkloreartigen Rhythmen zu tanzen. Vilthon lachte überrascht auf, als er sah, wie schnell Mirlien die Schrittfolgen des traditionellen altverliekischen Wüstentanzes lernte, und bald sah man den Freund mit der dunkelhäutigen Schönheit tanzen, als hätte er nie etwas anderes getan. Die beiden gaben ein traumhaftes, kontrastreiches Paar ab, und die Verlieken klatschten begeistert im Takt der Musik mit, oder mischten sich selbst mit ihren Partnern unter die wachsende Schar der feurigen Tänzer. Vilthon zog mich trotz meiner verzweifelten Versuche, mich zu wehren, ebenfalls auf die Tanzfläche, doch wir scheiterten kläglich bei dem jämmerlichen Versuch, uns nicht nach allen drei Schritten gegenseitig auf die Zehen zu treten. Das Lied endete in einem Crescendo, und die Verliekin, mit der Mirlien getanzt hatte, ließ sich von ihrer ekstatischen Leidenschaft hinreißen, schlang ihre schlanken Arme um den Nacken des Mannes und küsste ihn voller Hingabe auf den Mund, was mit johlendem Beifall von allen Seiten quittiert wurde. Etwas überwältigt von ihrer eigenen Courage schlug sie dann verlegen die Hand vor die vollen Lippen und blitzte mit glänzenden schwarzen Augen ihren Tanzpartner halb entschuldigend, halb herausfordernd an. „Für Mirlien war das gerade der erster Kuss, an den er sich erinnern kann!“ wisperte ich aufgeregt kichernd in Vilthons spitzes Ohr. Doch Mirlien bewahrte offensichtlich die Fassung. Zwar schaute er etwas verdutzt aus der Wäsche, dann verbeugte er sich aber tief vor der hübschen Frau, bedankte sich höflich für den wunderbaren Tanz und begleitete die wie auf Wolken taumelnde Verliekin an den Platz zwischen ihren applaudierenden, pfeifenden und tobenden Freundinnen zurück. Vilthon und ich staksten mit wehen Füßen durch das Meer aus Sitzkissen zu unserem stolz und zufrieden lächelnden Freund hin. Vilthon setzte sich strahlend neben Mirlien und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. „Ihr beiden habt fantastisch zusammen ausgesehen! Für den Fall, dass ich Zhannya wiedertreffe, musst du mir unbedingt einige Lehrstunden geben, mein Guter!“ Ich glaubte fast, mich verhört zu haben, als ich Mirliens leises, hinreißendes, herzerwärmendes Lachen vernahm. Endlich beruhigte sich die tanzende Menge, die Musiker legten ihre Instrumente beiseite, und die lauten, lebhaften Gespräche unter den Zeltdorfbewohnern klangen so weit ab, dass man das Heulen des Sandsturmes um die Baldachine hören konnte. Aus den umliegenden Zelten brachten die Frauen mit Leinentüchern abgedeckte, dampfende Speisen in Tontöpfen herbei und verteilten sie an die erwartungsvoll raunende Gesellschaft. Vilthon und ich hatten uns derweil gegenseitig unsere Unbeholfenheit verziehen und wir beide sahen uns im stummen Einverständnis unserer rumorenden Mägen an. Seit heute morgen hatten wir drei lediglich unser bescheidenes Frühstück verzehrt, und nur dem Seelenfrieden des anspruchslosen, genügsamen Mirliens zuliebe hatten wir uns den zehrenden Hunger nicht anmerken lassen. Das Wasser lief mir im Mund zusammen, als ich das Tuch lüftete, und am liebsten hätte ich es sofort wieder über den Topf gezogen. Vilthon starrte mit hervortretenden Augen auf den immer noch kochend heißen Inhalt, der zwar verführerisch gut roch, aber einen Anblick bot, den nur hartgesottene Alwen zu ertragen vermochten. „Was ist das?“ flüsterte ich entsetzt. Vilthon beugte sich etwas tiefer über den Topf. „Sieht aus wie das zerteilte Bein eines Steppenspringbocks in Caybablütenkopfsauce.“ erkannte er fachmännisch und begegnete meinem schockierten Blick. „Müssen wir das jetzt essen?“ wollte ich verzweifelt wissen. Mirlien runzelte fragend die Stirn. Begeisterung sah anders aus. Vilthon schüttelte den Kopf. „Wir beide können das nicht essen, wenn wir morgen früh weiter ziehen wollen. Und wie es aussieht, will auch Mirlien lieber verzichten. Lasst uns abwarten, ob noch Beilagen aufgetischt werden.“ Leider waren einige winzige Frikadellen aus dem Mehl getrockneter Wüstenkrabben das einzige auch für alwische Abkömmlinge halbwegs genießbare Essen, welches uns noch gereicht wurde. Zögerlich tunkten wir drei die Klößchen in der Caybablütenkopfsauce, uns zu sehr genierend, um einen der vielen Verlieken um uns herum nach einer vegetarischen Mahlzeit zu fragen. Auf die besorgten Fragen unserer Gastgeber, ob wir denn keinen Appetit mitgebracht hätten, antworteten wir mit der höflichen Lüge, wir hätten leider schon viel zu reichlich zu Mittag gegessen. „Kommen die denn nicht von alleine darauf, dass wir keine Verlieken sind, und das Fleisch nicht vertragen?“ murmelte ich dezent in Vilthons Richtung. Der aber bedeutete mir energisch, den vorlauten Schnabel zu halten, um die Gastfreundschaft der Zeltdorfbewohner nicht zu verletzen. „Wir haben doch noch Nolmengrieß in deinem Rucksack!“ fiel mir ein. Unsere Rettung! „Den können wir aber nicht unauffällig zubereiten.“ zischte Vilthon. „Hunger!“ piepste ich wehleidig. „Wir gehen gleich schlafen.“ tröstete mich mein Freund. „Und morgen früh, sobald wir das Zeltdorf hinter uns gelassen haben, mache ich uns meinen berühmten wohlschmeckenden Nolmengrieß.“ „Ich würde mich jetzt sogar auf Nolmengrieß stürzen, den ich persönlich zubereitet habe.“ gestand ich. Das wollte schon was heißen, denn meine Kochkünste waren berüchtigt und hatten damals bei Myroon für einige Scherereien mit ihm gesorgt. Vilthon leerte noch einen kleinen Becher Caybatee mit einem ordentlichen Schuss Xeraatrum und Mirlien wurde noch von einem lustigen älteren Verlieken, welcher ihn anscheinend mit Freude als zukünftigen Schwiegersohn in seiner Familie gesehen hätte, zum Tanz aufgefordert. Eine Stunde aber später verabschiedeten wir uns aber von den Verlieken, die etwas enttäuscht darüber waren, ihre ungewöhnlichen Gäste so früh entbehren zu müssen. Erschöpft krochen wir in das Zelt, welches Xanthos Mutter eigens für uns hatte aufstellen lassen und ließen uns auf den großen, weich gepolsterten Kissen nieder. Es war richtig gemütlich. Vilthon hörte man schon wenige Augenblicke später geräuschvoll schnarchen. Ich musste einen nicht enden wollenden Lachanfall unterdrücken und war mit einem Male unheimlich aufgekratzt. Mirlien nahm mich, sich um Vilthons Schlaf sorgend, beruhigend in den Arm und ich kuschelte mich eng an meinen Freund. Die unerschütterliche Ruhe, die Mirliens kühler, sehniger Körper ausstrahlte, übertrug sich bald auch auf mich und mein Atem ging ruhig und regelmäßig. Fast schon war ich neben meinem Freund eingeschlafen, als ich plötzlich hoch schreckte. Meine Hand auf Mirliens Brustkorb fühlte kaum das Pochen eines schlagenden Herzens, noch wurde sie durch die flache Atmung des Mannes merklich gehoben und gesenkt. „Mirlien?“ flüsterte ich und rappelte mich voller Panik in meinem Kissen hoch, suchte verzweifelt nach einem Zeichen der Lebendigkeit auf seinem entspannten Gesicht. Mirlien schien noch nicht eingeschlafen zu sein, denn als er seine Lider hob, war sein Blick wach und aufmerksam. Ich blickte vor Erleichterung aufatmend in seine großen, rätselhaften Augen und begegnete seinem warmen, fragenden Lächeln. „Ich bin hier, Tilya.“ sprach er leise mit seiner tiefen, rauen Stimme. Ich sank zurück auf seine Brust und klammerte mich fest an den Mann, den Vilthon und ich in der kurzen Zeit, die wir gemeinsam mit ihm verbringen durften, so lieb gewonnen hatten wie einen Bruder. „Schön, dass es dich gibt…“ murmelte ich noch schläfrig, bevor die Nacht ihren traumlosen Tribut von mir forderte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)