Der Malar von TilyaDraug (Die Jagd nach der Kreatur der Untiefen) ================================================================================ Kapitel 6: Der Weg zur Küste - Tag 2 ------------------------------------ Ein grässlicher Muskelkater machte sich unangenehm in meinen Beinen bemerkbar, als ich mich am nächsten Morgen aus einem der Betten des Gästehauses im Glühbeerdorf quälte. Auch mein Rücken rächte sich schmerzhaft für die ihm aufgebürdeten Strapazen des gestrigen Tages. Wie auf Stelzen stakste ich zu dem gegenüberliegenden Schlafraum, in dem Vilthon übernachtet hatte und klopfte zaghaft an die Tür. „Vilthon, bist du wach?“ wisperte ich leise in die morgendliche Stille. Ein bestätigendes Brummen verriet mir, dass dem so war. „Kann ich zuerst in den Waschraum?“ fragte ich daraufhin vorsichtig nach. Ein weiteres, recht grantiges Brummen gab mir dazu die Befugnis, und einige Minuten später vollzog ich mein geliebtes, eisiges, exzessives Waschritual. Als ich endlich damit fertig war und mir saubere Kleidung übergestreift hatte, überließ ich das Bad gnädig meinem alwischen Freund und begab mich hinunter ins Erdgeschoss des Gästehauses, wo anscheinend gestern Nacht noch dafür gesorgt worden war, dass wir beiden Reisenden an diesem Morgen ein opulentes Frühstück im Speisesaal vorfinden konnten. Ein großes Stück Pökelfleisch neben dem Laib Xeraatbrot ließ erkennen, dass verliekische Hände dieses Mahl zusammengestellt haben mussten. Ich grinste, ließ mich auf einen wackeligen Holzstuhl fallen und begann schon einmal, das Brot zu schneiden und etwas Obst zu schälen. Einige Minuten später betrat Vilthon frisch gewaschen und bestens gelaunt den Raum, und wir ließen uns unser Frühstück mit großem Appetit schmecken. Als wir gerade im Begriff waren, das Glühbeerdorf auf leisen Sohlen zu verlassen, schoss Kwantsch plötzlich aus dem dichten Geäst einer Betoole hervor, segelte mit atemberaubender Geschwindigkeit über ein Leinenfeld auf uns zu und wünschte uns auf seine eigene ohrenbetäubende Weise einen guten Morgen. „Hältst du wohl den Schnabel, du rücksichtsloser Vogel! Die Leute hier schlafen noch!“ zeterte ich lauthals. „Spätestens jetzt nicht mehr, meine Liebe.“ stellte Vilthon nüchtern fest. Ich fletschte die Zähne und beschleunigte meine Schritte. „In welchem Dorf halten wir eigentlich als Nächster Einzug?“ Vilthons Brauen zogen sich zusammen und eine steile Sorgenfalte grub sich in seine Stirn und seine Kieferknochen mahlten aufeinander. „Im Dorf am Nebelfluss.“ gab er kurz angebunden zur Antwort. Ich schluckte. Mir wurde schlagartig bewusst, womit sich mein Freund nun bald konfrontiert sehen würde. Das Dorf am Nebelfluss war das ursprüngliche Heimatdorf seiner Frau Calissa, die nach der Trennung von Vilthon zusammen mit ihrem neuen verliekischen Freund dorthin zurückgekehrt war. Auch wenn der Alwe sich seit jener Zeit tapfer darum bemühte, seine steinerne, pragmatische Fassade aufrecht zu erhalten, ahnten zumindest seine engsten Freunde, wie tief ihn Calissas Verlust tatsächlich getroffen hatte. Bald hatten wir die weiten Felder des Glühbeerdorfes hinter uns gelassen und durchquerten nun ein größeres Waldstück, in welchem eine bunte Vielfalt verschiedenster wilder Kräuter und Heilpflanzen gedieh. Wir sogen tief die klare Luft, die den herben, frischen Geruch des fruchtbaren Bodens und den würzigen, aromatischen Duft der wuchernden Gewächse in sich trug, in unsere Lungen. Vilthon und ich machten uns schon bald einen Spaß daraus, die Pflanzen, die wir entdeckten, bei ihrem Namen zu nennen, und uns gegenseitig deren Wirkungen und Zubereitungsarten abzufragen. Ich war froh, meinen besten Freund damit etwas von seinen selbstquälerischen Grübeleien ablenken zu können. Doch Vilthons Miene verfinsterte sich zusehends, als die dichten Dunstschwaden, die uns am Ende des Waldes empfingen, unsere baldige Ankunft im Dorf am Nebelfluss ankündigten. Schweigend schlurften wir über die taufeuchten Wiesen der Betoolenspringbockweiden und passierten ein weites, golden schimmerndes Xeraatfeld. Vilthon starrte die ganze Zeit über stumm auf die staubige Straße zu seinen Füßen und würdigte die freundlich winkenden Erntearbeiter und Tierhüter, an denen wir auf unserem Weg vorbeikamen, kaum eines Blickes. Ich hingegen grüßte alle Leute, die ich durch die dicken Nebelschleier erkennen konnte, mit einem gezwungenen Lächeln zurück. Einer von uns beiden musste ja den kommunikativen, weltoffenen Part repräsentieren. „Tilya, wäre es ein Problem für dich, wenn wir dieses Dorf auf direktem Wege hinter uns lassen würden, ohne eine Rast einzulegen?“ fragte Vilthon mich mit zittriger Stimme, als wir mit großen Schritten an den ersten Wohnhäusern vorbeihasteten. Ich unterdrückte ein enttäuschtes Seufzen. Meine verkrampften Waden fühlten sich hart an wie Betoolenholz, und auch mein Magen knurrte schon wieder verdächtig laut, aber ich wollte meinem Freund gerne einen längeren Aufenthalt an der Wohnstätte seiner ehemaligen Liebsten ersparen. „Nein, ist gar kein Thema, Vilthon.“ erwiderte ich also verständnisvoll. „Wenn du möchtest, kannst du schon mal weiterlaufen und an der Dorfgrenze auf mich warten, ich besorge noch eben rasch etwas Papier und Tinte. Und wenn du eine Schreibfeder brauchst, dann wüsste ich auch schon, woran du dich in Zukunft bedienen könntest.“ schlug ich vor und deutete grinsend auf meinen zerzausten, gefiederten Schopf. Vilthon konnte jedoch nur schwach über die humorvolle Anspielung schmunzeln, denn momentan war ihm wohl nicht wirklich zum Spaßen zumute. „Ich danke dir, Kleines.“ murmelte er noch abwesend, bevor er sich abwandte und davon rauschte, während ich schon durch die Dorfstraßen hetzte, um bei den Einwohnern das benötigte Schreibzeug zu schnorren und noch eine kleine Wegzehrung aufzutreiben. Als ich ein Tintenfässchen, Briefpapier und einige belegte Brote aus dem Gästehaus in meinen Rucksack gestopft hatte, beeilte ich mich, Vilthon einzuholen, der inzwischen mit gesenktem Kopf über die Hauptstraße zwischen den Stachelknochenstrauchplantagen schlich. Kaum hatte ich meinen trübseligen Freund erreicht, begann es plötzlich, passend zur gedrückten Stimmung, aus den grauen, tief über uns hinweg ziehenden Wolken auf uns hinab zu nieseln. Na toll! Bald verwandelte sich das feine Fisseln in einen ausgewachsenen Platzregen, der energisch auf uns hinunter prasselte. Vilthon wickelte wortlos die wasserdichte Zeltplane von meiner Tasche und drapierte sie über unsere Häupter und die Rucksäcke. Auf diese notdürftige Weise vor dem unbarmherzigen Schauer abgeschirmt, liefen wir im Gleichschritt dicht nebeneinander her, während die Regentropfen geräuschvoll und monoton auf den glatten, imprägnierten Stoff trommelten. ________________________________________________________________________________ Das Gewitter verzog sich erst am späten Nachmittag, als die holprige, steinige Hauptstraße in einen ebenen, gepflasterten Weg überging, der uns immer näher an die Küste leitete. Eine frische, salzige Brise ließ unsere vom Regen durchnässten Hosen klamm an unseren Beinen kleben. Vilthon befreite uns von der Plane, die unsere Köpfe und Rucksäcke vor dem feuchtkalten Niederschlag geschützt hatte, und erst jetzt fiel uns das unterschwellige, sanfte Rauschen der fernen Wellen auf, das uns schon eine geraume Weile unbemerkt begleitet haben musste. Fröstelnd stapften wir die den Weg entlang, der uns nun zwischen einigen karg bewachsenen Hügeln eine beachtliche Steigung hinauf führte, und endlich tat sich vor uns das endlos weite Meer auf, das von der untergehenden Sonne in ein glitzerndes, rot glühendes Leuchten getaucht wurde. Endlich! Ich quietschte vor Entzückung und rannte mit hüpfendem Rucksack auf den Schultern jubelnd die Böschung hinunter, bis die kleinen Steinchen des Kiesstrandes unter meinem feuchten Schuhwerk knirschten. „Sieh dir das an, Vilthon! Ist das nicht wundervoll?“ brüllte ich meinem Gefährten begeistert zu, doch der Küstenwind übertönte meine sich vor lauter Aufregung überschlagende Stimme. Fasziniert beobachtete ich eine Weile die sich am Ufer brechenden Wellen, die ekstatisch in der Abendsonne funkelten, bis Vilthon, der mir zögerlich gefolgt war, mich ungeduldig zum Weiterziehen anhielt. Unfähig, meinen Blick von den wogenden Wassermassen abwenden zu können, stolperte ich gehorsam hinter Vilthon zur Hauptstraße zurück. _________________________________________________________________________ Gegen Abend erreichten wir endlich, begleitet von einigen hoffnungsvollen Pelikanen, die fette Beute bei uns schwer bepackten Gefährten erwarteten, das Möwendorf. Vilthon und ich wurden sehr herzlich von den Einheimischen empfangen, und wir begrüßten es sehr, uns in den gemütlichen Gästezimmern unserer durchfeuchteten Kleidung entledigen zu können und nach einem warmen Bad endlich in trockene Wäsche zu schlüpfen. Nachdem wir unsere gewaschenen Sachen zum Trocknen auf die Leine gehängt hatten, begaben wir uns zum Gemeindeplatz des Dorfes, wo man uns zum traditionellen gemeinsamen Abendmahl eingeladen hatte. Die Möwendorfbewohner begrüßten ihre Gäste erfreut, deftige Fischgerichte wurden aufgetischt, es wurde viel erzählt, viel gelacht und einiges an Honigfruchtwein getrunken. Vilthon und ich beobachteten verschüchtert das bunte Treiben um uns herum, hielten uns bei dem Gedanken an die anstehende Weiterreise vornehm bei den weingeistigen Getränken zurück, und verließen, als der Himmel sich nachtschwarz verfinsterte, mit einer entsprechenden Entschuldigung vorzeitig den Gemeindeplatz. Erschöpft, aber zufrieden und gesättigt von den vielen neuen Eindrücken sank ich in dieser Nacht in die weichen Kissen meines Gästebettes und fiel, den Klängen der Brandung lauschend, in einen sehr erholsamen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)