Lost Prince von Ireilas (Krieg auf Aira) ================================================================================ Kapitel 2: Verblasste Erinnerungen ---------------------------------- „Also… bist du im Wald aufgewacht und konntest dich an absolut nichts erinnern?“ Siri nickte. „Ich weiß nur, dass mir die Zeit davon läuft… warum genau, weiß ich aber nicht.“ „Verstehe.“, Lyze biss von seinem Kuchen ab und deutete mit einem Kopfschütteln ein „Tragisch“ an. Siri und der Halbengel saßen auf einer niedrigen, marmorartigen Mauer, vor einem Parlament. Wo sie sich genau befand, wusste sie nicht. Es gab nur wenige breite, gepflasterte Wege, sonst krochen überall Nebelfelder und Wolken auf dem Boden umher. Wenn man nach oben sah, konnte man auch keinen klaren Himmel erkennen, die Wolken kreisten, als wäre man in einer Kuppel. „Und…“, begann Siri, „…du bist also ein… Halb äh-“ „Ein Halbengel, ja.“, bestätigte er, „Meine Mutter war ein Engel… ich habe es selber erst vor ein paar Jahren heraus gefunden… ich weiß nicht einmal, was ich hier soll.“ Etwas überrascht blickte Siri zu ihm rüber: „Ach – du wohnst also nicht hier?“ „Ich gehöre nicht hierher, wenn du das meinst.“ „Ach so…“ Lange wurde Siri von ihm angeschaut, ohne das ein Wort fiel. Schließlich zog das ältere Mädchen eine Augenbraue hoch. „Was starrst du denn so?“ „Du bist ein Mensch?“ „Ja doch.“, sie drehte den Kopf gerade aus, „Im Gegensatz zu dir.“ „Halb.“, schmunzelte er, „Wie bereits gesagt. Mein Vater war kein Engel.“ „Na zum Glück Halbmensch; Halbdämon wäre echt krass.“, lachte Siri. „Ja, dann wäre ich garantiert nicht hier.“ „Und was tust du hier genau?“ „Ich bin von unserer Herrscherin, Alaphantasa, einberufen worden – in die Armee des Lichts.“ „So ist das also!“, Siri zupfte nebenbei an ihrem neuen, weiß-blauen Kleid, das sie hier oben geschenkt bekam. „Scheint, als würde sich der Krieg schnell ausbreiten… der Engel vorhin hat doch gesagt, dass die Dämonen weiter vorrücken…“ „Och, so schnell wächst er gar nicht. In letzter Zeit waren es so zwei bis drei Schlachtfelder pro Woche.“ „In letzter-?“, verwirrt schaute Siri auf, „Wie meinst du das? Ich bin mir sicher, dass ich erst vorgestern erfahren habe, dass ein Krieg in Anmarsch ist!“ Nun verwirrte sie Lyze. Er schaute etwas verständnislos umher und kratzte sich anschließend am Kopf: „Wovon redest du? Der Krieg überrollt Desteral seit zwei Monaten-“ „Was!?“, Siri sprang von der Mauer, ehe sie nervös auf und ab ging: „Das kann nicht sein! Das würde ja bedeuten- ich mein, ich hätte ja dann über zwei Monate… geschlafen…“, das Mädchen musste hart schlucken, bevor ihr Blick zu Lyze wanderte: „Ist so was denn überhaupt möglich…?“ „Hm, tja…“, er aß seinen Kuchen fertig und zerknüllte die Serviette, „Möglich schon, wenn Magie im Spiel war… was ist, wenn du von etwas wusstest, dass du nicht wissen solltest? Vielleicht wollte jemand verhindern, dass du irgendetwas ausplauderst. Ein Dämon zum Beispiel, der dich nicht in den Händen anderer Dämonen sehen wollte… oder Engeln?“ „Lyze, das ist echt nicht hilfreich!“, sie setzte sich kurzerhand auf den nebeligen Boden, „Ich weiß ja, dass ihr Engel wissen wollt, wieso ich für die Dämonen so wichtig bin, aber das weiß ich selbst nicht! Wie denn auch, nach zwei Monaten Schlaf!?“ „Du-“, der Halbengel deutete auf sie, „Dein neues Kleid wird schmutzig.“ „Lyze! Das ist jetzt so was von unwichtig! Wenn du mir nicht helfen willst, kannst du mich auch gleich wieder runter-“, da stockte Siri. Als ihr Gesprächspartner den Kopf verdrehte, konnte er zugleich beobachten, wie ihre Augen immer größer wurden. „Was ist…?“, schließlich sprang er von der Mauer, „Alles in Ordnung?“, und ging an sie heran, bevor er ihre Schulter berührte. „…Siri?“ „Ich weiß es wieder…“, murmelte sie vor sich her, „Ich kann mich wieder erinnern… ich erinnere mich wieder!“ „An was? An was kannst du dich erinnern, Siri?“ „An meine Mission! Ich muss den Prinzen finden!“, sie sprang unerwartet auf, packte dabei den Halbengel an den Schultern, „Der Prinz! Ich muss ihn finden, Lyze!“ „Wie- was? Welcher Prinz denn? Wovon sprichst du?“ „Na Prinz Vilior von Azamuth! Er ist in Gefahr-“ „Azamuth!?“, Siri bekam es nur flüchtig mit, als Lyze die Hand gegen sie drückte und dabei einen Wind entfesselte, der sie von ihm wegdrückte. „Ist das dein Ernst? Du behauptest wirklich, du müsstest den Thronfolger vom gewalttätigen Nachbarland retten? Ts, ich wusste es…“, der Halbengel schüttelte nur mehr den Kopf, ehe er sich von ihr wegdrehte. „Du gehörst zu den Dämonen. Darum haben sie dich nicht getötet.“ „Lyze was- was redest du denn da?“, sie ging zu ihm, worauf hin er sich wieder wegdrehte. „Hör mal- hey, dreh dich nicht ständig weg! …Sehe ich etwa aus wie ein Dämon? Ich bin ein Mensch; auch wenn ich alles vergessen habe, so trotzdem nicht die Gewissheit, was ich bin!“ Kurz seufzte das Mädchen, ehe sie versuchte, diese überaus merkwürdige Geschichte zu erklären. „Hör zu. Der König will Desteral übernehmen – das weißt du doch. Sein Sohn aber, Prinz Vilior, stimmte seinem Vater nie zu. Ich weiß zwar noch immer nicht den Grund für diesen Krieg und wer mir diesen Auftrag gab, doch der Prinz ist verschwunden! Er wurde höchst wahrscheinlich mit Absicht aus seinem Reich gebracht und irgendwo eingesperrt, damit er nicht dazwischen funkt!“, Siri lief zu Lyze und versuchte ihm ins Gesicht zu schauen: „Verstehst du denn nicht? Nur er kann den Krieg beenden!“ Skeptisch seufzte der Halbengel und blickte sie, endlich, schweigend an. Wie ein Dämon sah sie nun wirklich nicht aus. Dennoch klangen ihre Worte sehr unglaubwürdig. „Bitte!“, flehte Siri, „Du musst mir glauben! Ich muss wieder hinunter… ich muss Prinz Vilior helfen!“ Lyze gab auf. Seufzend drehte er den Kopf zur Seite und deutete mit seinem Blick den Glauben an ihre Worte an. „Ist ja gut… ich werde dich nicht an die Engel verraten.“ „Wirklich?! Oh danke, danke Lyze!“, sie schüttelte seine Hand, „Du bist ein toller Halbengel-Dingens!“ „Das hat nicht wirklich etwas mit dir zu tun.“, er zog die Hand weg, „Engel sind sehr streng, was Dämonen angeht, und würden dich garantiert nicht gehen lassen – und dich schon gar nicht mit diesem Wissen freundlich behandeln.“, er ging zur Mauer, ehe er sich darauf anlehnte. „Wenn es um Politik zwischen ihnen und Dämonen geht, nehmen sie es viel zu ernst. Und andere Fälle…“, er sah bedrückt zu Boden, „Andere Fälle wollen sie erst gar nicht hören.“ „Wie meinst du das?“, vorsichtig lehnte sich Siri neben ihn zur Mauer, „Nun sag schon… klingt, als wärst du ziemlich wütend über die Engel…“ „Wütend ist gar kein Ausdruck.“, er blickte zu ihr, „Wenn ich nicht in dieser Armee verwickelt wäre, würde ich sofort verschwinden.“ „Was haben sie denn angestellt?“ „Wenn du es wirklich wissen willst…“, er seufzte, „Meine kleine Schwester, Aira, wurde von Dämonen entführt. Sie ist noch ein Kind.“ „Oh du meinte Güte- das… das tut mir Leid!“ „Das ist noch nicht einmal das Schlimmste. Ich kenne sie ja kaum – vor einem Monat habe ich sie das erste Mal kennen gelernt. Unsere Eltern starben, als ich zehn war. Wenn man also davon ausgeht, ist sie im selben Jahr geboren, wie unsere Eltern starben. Sie wurde adoptiert und wo anders aufgezogen, weshalb ich nichts von ihrer Existenz wusste.“, Lyze seufzte tief, bevor er den Kopf senkte. „Ich kann ihr nicht helfen. Ich kann es einfach nicht. Die Engel lassen mich nicht meinen eigenen Weg gehen. Darum will ich hier unbedingt weg…“ Siri zog an seinem Arm: „Dann komm mit mir!“ „Das kann ich nicht! Hast du mir nicht zugehört?“ „Ja, doch, aber-“ „Komm schon.“, meinte Lyze, der eine andere Richtung einschlug, „Ich bringe dich zurück nach Desteral. Von dort aus musst du aber alleine zurecht kommen.“ Nach einem kurzen Gehweg gelangten die zwei ins Zentrum des Himmelreiches: Ein großer Platz, in der Mitte ein schöner Springbrunnen. Direkt im Norden des Platzes war ein riesiges, verziertes Tor, rundherum Mauern. Hinter den Stäben des Tores konnte man eine wundervolle, große Glocke sehen – wiederum dahinter lag eine Art Rathaus, in der sich die Herrscherin der Engel, Alaphantasa aufhielt. Das Herrschen blieb den adeligen Engeln innerhalb der Familie überlassen. Lyze erklärte Siri, das dieses Reich praktisch eine schwebende Insel war, vor Windböen geschützt, mittels einer mächtigen Kuppel. Es gab viele Inseln, über ganz Desteral verstreut. Sie kam einfach nicht aus dem Staunen heraus, denn alles hier war so friedlich. Plötzlich stellte sich der Engel von vorhin in ihren Weg. Sein helles Haar war wieder zu einem Zopf geflochten und seine jetzige Rüstung verriet, dass er ein recht hohes Tier war. Er verschränkte die Arme und stellte sich vor Lyze: „Na? Schon auf dem Heimweg?“ „Ich bringe sie wieder hinunter.“, seine kurze Antwort klang kalt, „Siri, geh doch schon mal zu den vier Säulen dort vor, ich komme gleich nach.“ Also nickte Siri und ging voraus. „Hast du was in Erfahrung bringen können, Noshyru?“, fragte der Engel. Lyze schüttelte den Kopf, sah ihm dabei nicht in die Augen: „Nein, nichts. Sie ist nur ein Mensch, der zufällig in die Arme der Dämonen lief. Wie immer. Wohl passten sie so gut auf sie auf, weil die Kerle ‚ihre Sammlung’ erweitern wollten.“, so die Antwort. „Hm, schade. In Ordnung... sag Bescheid, sobald es etwas Neues gibt.“ „Aber immer doch.“, bestätigte er, bevor sich seine Wege von dem des Engels trennten. Bei den vier Säulen angekommen, ging Siri im Kreis und untersuchte diese. Es war nichts Auffälliges an ihnen, nur der Boden in der Mitte war nicht gepflastert – Wolken verdeckten den Grund. „Okay, stell dich in die Mitte.“, drängte Lyze, der sie eilig an dem richtigen Fleck platzierte. „Äh- alles in Ordnung?“, fragte sie noch. Lyze sah zu ihr rüber, lächelte freundlich: „Natürlich.“ Im nächsten Moment glitten die Zwei durch den Boden durch. Wieder erschrak Siri und spürte, wie sie abwärts schwebte. Es ging schnell, der Nebel um sie herum verschwand und zum Vorschein kam wieder blauer Himmel. Sie schaute umher und bemerkte, dass sie erneut in einer Lichtsäule waren. Wohl hatte Lyze absichtlich einen Ort gewählt, an dem nicht gerade der Krieg tobte; zumindest konnte man von oben nur die weite Steppe, ohne Dämonen erkennen. Am Boden angekommen, ging Siri zwei Schritte nach vorne und blickte über die Landschaft. „Du bist etwa eine Meile von einem Dorf namens ‚Sincila’ entfernt. Keine Angst, folge dem Weg und du wirst es schnell finden.“, fügte Lyze schmunzelnd hinzu. Das Mädchen drehte sich zu ihm und brachte kleinlaut ein „Danke.“ hervor. „Und… du willst wirklich nicht mitkommen?“ „Nein, es tut mir leid.“, langsam stieg er zurück in die Lichtsäule, ehe es wieder aufwärts ging. „Vielleicht sieht man sich ja wieder – halte die Augen gen Himmel offen.“ „Ist gut.“, nickte sie lächelnd zu ihm hinauf. „Viel Glück noch!“ „Das wünsche ich dir auch; pass auf dich auf.“, mit diesen Worten verabschiedeten die zwei sich von einander. Von oben konnte Lyze sie noch einige Zeit beobachten und fragte sich, ob dies die richtige Entscheidung war. Er kannte sie zwar erst seit kurzem, dennoch wäre das die Chance gewesen, die Engel zu verlassen und seine kleine Schwester zu suchen. In Gedanken versunken, bekam er zu spät mit, dass Siri schon wieder Ärger bekam: Ein hässliches, sehr großes Flugtier – es sah aus wie ein Greifvogel – dessen Reiter ein weiblicher Dämon und zwei kleine Gehilfen waren, flog geradewegs auf die flüchtende Siri zu. Lyze hatte es gerade mit Schrecken festgestellt, schon sah er, wie der Greifvogel sie packte und nun wieder aufstieg. Der Halbengel schüttelte nur mehr den Kopf. „Wie schafft sie das nur…?“, ehe er ohne weitere Überlegung aus weiter Höhe aus der Lichtsäule sprang – kurz fiel er wie ein Stein nach unten, dann breiteten sich seine hellgelben Schwingen aus, bis er schließlich aufstieg. So schnell Lyze konnte, verfolgte er den riesigen Vogel, bis er Siri erreichte. „Lyze!“, sie streckte den Arm nach ihm, doch die Distanz reichte nicht. Nun bemerkten die drei Dämonen den Verfolger – die Reiterin, eigentlich ziemlich schlank und für einen Dämonen hübsch, befahl ihren kleinen Gehilfen Lyze auszuschalten. Feuerbälle flogen ihm um die Ohren; er musste gut aufpassen, dass seine Flügel nicht anfingen zu brennen. Sehr schnell ging es, als die Reiterin unerwartet dunkle Magie einsetzte und seinen rechten Flügel erwischte. Auch wenn die Schwingen erscheinen und verschwinden konnten – sie waren mit Lyze verbunden und dadurch, wie Arme und Beine, schmerzempfindlich. So stürzte der Halbengel, vom Schmerz geblendet, geradewegs nach unten. „Lyyyze!“, wenn Siri nicht im festen Griff des Vogels wäre, wäre sie ihm sicher nach gesprungen. „Lasst ihn nicht sterben, er ist noch für Informationen gut!“, so die Reiterin. Sofort machte der Greifvogel eine steile Wende, flog gen Boden und fing den ohnmachtnahen Halbengel auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)