Die Geschichte der Ouendan von Kuttie (Eine andere Art der Superkraft) ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- Alles begann vor ungefähr fünf oder sechs Jahren. So genau weiß ich das nun auch wieder nicht. Ich war jung und ungestüm... Okay, das bin ich heute auch immer noch, aber damals hatte ich noch kürzere Haare. Ich mag meine rot-schwarze Stachelfrisur, sie ist so schön pflegeleicht. Einfach nach jedem Aufwachen einmal mit der Gabel in der Steckdose herumgestochtert und schon habe ich mir wieder den Gang zum Friseur erspart. Wie auch immer, jedenfalls war es ein warmer Sommertag, die Sommerferien waren gerade vorbei und ich saß an meinem Tisch und sah wehmütig aus dem Klassenzimmerfenster. Ein Schmetterling hatte sich in den Raum verirrt und flatterte hilflos herum. Die anderen Schüler waren zu sehr in ihre Bücher vertieft, um ihn zu bemerken. Ich sprach in Gedanken dem Schmetterling Mut zu, feuerte ihn also ein wenig an. Klar, ich rechnete da nicht wirklich damit, dass das überhaupt irgendwas brachte, ich war eben gelangweilt. Und da macht man öfters seltsame Sachen, einfach nur, um die Zeit zu vertreiben. Jedenfalls knallte der Schmetterling auf einmal mit einer dermaßen enormen Wucht gegen das Fenster, dass er im Glas ein Loch hinterließ, durch das er anschließend weg flatterte. Perplex starrte ich das Fenster an. Das war Sicherheitsglas gewesen! Wie hatte ein kleiner Schmetterling ein solches Loch hinterlassen können? „Herr Ippongi!“ Die aufgebrachte Stimme meines Englischlehrers riss mich unsanft aus meinen Gedanken. Erschrocken musste ich feststellen, dass er bereits vor meinem Tisch stand, die Arme verschränkt und einen tadelnden Ausdruck im Gesicht. Er sah kurz zum Fenster. „Erneut Zerstörung von Schuleigentum?! Ippongi, Sie gehen umgehend zum Schuldirektor, damit das klar ist!“ „Was??? A-aber, das war ich nicht, das war der Schmetterling! Der ist einfach so durch das Glas geflogen!“ verteidigte ich mich. Einen Moment später merkte ich, wie unsinnig meine Erklärung klang und senkte den Kopf. Grob packte mich mein Lehrer am Kragen und zerrte mich aus dem Klassenzimmer, den Flur entlang und die Treppe hoch, bis wir vor dem Zimmer des Direktors standen. Ich seufzte. Diese Tür war mir in all den Jahren schon sehr vertraut geworden, so oft stand ich schon vor ihr und musste darauf warten, dass der Direktor Zeit für mich und meine Schandtaten hatte. Der Lehrer klopfte an und blieb solange hinter mir stehen, bis der Direktor mich hinein bat. Danach erst ging er wieder zurück ins Klassenzimmer. Ich stand also mit gesenktem Kopf im Zimmer des Direktors. Damit wir uns nicht falsch verstehen, ich bin kein Rabauke, sondern ein ganz normaler Schüler gewesen. Aber immer wieder geschahen seltsame Sachen um mich herum. Das eine Mal zum Beispiel beobachteten wir im Biologieunterricht einen Hamster in seinem Käfig. Als die Schüler ihn aus seinem Käfig holen wollten, flitzte er panisch hin und her und rannte schließlich im Hamsterrad auf der Stelle. Er tat mir dermaßen Leid, dass ich ihn mitleidig in Gedanken anfeuerte. Ich dachte mir wirklich nichts Böses dabei. Im nächsten Moment löste sich das Hamsterrad aus seiner Verankerung, rollte durch den Käfig, die Käfigwände hoch und entwickelte dermaßen Schwung, dass das Rad mitsamt Hamster durch die Decke zischte und nichts weiter als ein rauchendes Loch hinterließ. Der Hamster wurde nie wieder gefunden. Ein anderes Mal reinigte ich wie gewohnt den Klassenraum. Eine Wespe flog durch das geöffnete Fenster und trieb einen meiner Mitschüler beinahe in den Wahnsinn. Er war allergisch gegen Wespenstiche, musst du wissen. Andere Schüler gaben ihr Bestes, um die Wespe wieder ins Freie zu locken, weil sie ebenfalls nicht gestochen werden sollten. Ich hingegen stand weiterhin an der Tafel, hielt den Besen in der Hand und feuerte die Mitschüler innerlich an, da ich mich nicht unbedingt ins Getümmel stürzen wollte. Auf einmal schnappten sich meine Mitschüler ihre Hefte und wedelten dermaßen stark mit ihnen herum, dass ein so heftiger Wind entstand, dass die Wespe nach draußen durch das Fenster geblasen wurde. Leider flogen auch die Tische durch die Gegend und knallten gegen die Fenster, sodass das Glas zersplitterte. Nach kürzester Zeit war der Wind verschwunden und meine Mitschüler beharrten hartnäckig auf der Behauptung, sie hätten eine merkwürdige Kraft gespürt, die aus meiner Richtung gekommen wäre und sie dazu verleitet hätte, die Nummer mit den Heften durch zuziehen. Keiner der Lehrer glaubte ihnen diese Geschichte. Sie drückten stattdessen allen eine Runde Nachsitzen auf und benachrichtigten die Eltern. Die Botschaft über meine „Kraft“ verbreitete sich wie ein Lauffeuer unter den Schülern und von da an wurde ich von allen gemieden. Und an diesem einen Tag war es eben erneut geschehen. „Was soll ich bloß mit Ihnen machen, Ippongi...?“ Der Direktor saß in seinem großen Chefsessel hinter seinem Schreibtisch und sah, die Finger ineinander gelegt, aus dem Fenster. Er war ein älterer Mann mit kurzen grauen Haaren und deutlichen Geheimratsecken, der einen dunklen Anzug trug. Ich schätzte ihn auf Anfang 50. Also den Direktor, nicht den Anzug. Auf seine Frage erwiderte ich nichts, weil ich die Antwort schon kannte. Er würde mich wie üblich erst einmal zum Nachsitzen schicken und dann mit einem Brief nach Hause. Meine Eltern würden schimpfen und dann ratlos mit den Kopf schütteln. Ich hatte bereits mehrmals versucht, es ihnen zu erklären, ihnen zu sagen, dass ich unschuldig war, aber sie glaubten mir nie. Kein einziges, verdammtes Mal! Der Direktor seufzte. „Ippongi, ich befürchte, ich muss Ihre Eltern bitten, Sie in ein Erziehungsheim zu stecken...“ Ich sah ihn entsetzt an. All die Zeit auf der Schule habe ich gebüffelt ohne Ende, mich sogar zum Klassensprecher wählen lassen und die Säuberung des Hofes freiwillig jeden Tag übernommen, wirklich alles, ALLES unternommen, um meinen Ruf wieder reinzuwaschen - und jetzt soll ich zum Dank in ein Heim, in das ich eigentlich überhaupt nicht rein gehörte?! „Es ist das Einzige, was uns in dieser Situation noch bleibt. Sie verstehen das sicher.“ Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich verstand nicht, ich wollte nicht verstehen! Vor lauter Wut, Verzweiflung und Angst war meine Kehle dermaßen zugeschnürt, dass ich wortlos die Tür aufriss, den Protest des Direktors ignorierte und hinaus rannte. Ich rannte den Flur herunter, die Treppen bis nach unten, bis ich endlich nach einiger Zeit das Schulgelände verlassen hatte. Irgendwann bekam ich Seitenstechen und musste stehen bleiben. Als ich mich umschaute, bemerkte ich, dass ich in einem kleinen Park stand. Paare gingen Hand in Hand vorbei, Eltern sahen ihren Kindern beim Spielen auf dem nahen Spielplatz zu und Vögel zwitscherten von den Bäumen. Erst jetzt merkte ich, wie nass mein Gesicht war. Ich hatte geweint, während ich gerannt war. Und die Tränen waren immer noch nicht versiegt. Mit den Nerven total am Ende setzte ich mich auf eine Bank, die im Schatten eines Busches stand, der mich vor neugierigen Blicken schützte, vergrub mein Gesicht in den Händen und ließ meinen Tränen freien Lauf. „Das Leben ist nicht fair, habe ich Recht?“ Erschrocken fuhr ich hoch und musste feststellen, dass sich jemand unbemerkt neben mich auf die Bank gesetzt hatte und mich anblickte. Schnell wischte ich die Tränen weg und grummelte: „Lass mich in Ruhe...“, ohne ihn genau anzusehen. „Du bist nicht der Einzige, der diese Kraft hat...“ Jetzt war ich so verdutzt, dass ich den Fremden neben mir genauer ansah. Er trug eine lange Jacke mit goldenen Knöpfen und glänzende, schwarze Schuhe, sowie eine Art schwarze Kapitänsmütze mit goldenem Emblem. Zudem war da noch eine kreuzförmige Narbe an seiner Wange, die enormen Augenbrauen, die sämtlichen Naturgesetzen widersprachen (das tun meine übrigens auch, aber das ist jetzt nicht so wichtig), die gezackten Koteletten, die um einiges majestätischer wirkten als meine und die schwarzen Haare, die kreuz und quer von seinem Kopf abstanden. Es sah ein wenig so aus, als wäre seine Frisur irgendwann mal einfach so explodiert. „Wa-was genau meinst du... ähm, was genau meinen Sie?“ Ich beschloss, gegenüber dem zugegeben ziemlich muskulös gebauten Mann höflich zu bleiben. „Wie ich es bereits gesagt hatte. Du bist nicht der Einzige mit dieser Kraft...“ Er sah mir direkt in die Augen und jagte mir damit einen eiskalten Schauer über den Rücken. Dieser Blick hatte etwas Gebieterisches und ich fragte mich sofort, ob er irgendein Befehlshaber war. „Kraft? Was für eine Kraft? Ich habe keine Kraft...“ Ich sah wieder zu Boden. Warum wurde ich ausgerechnet jetzt von jemanden angesprochen, der seltsames Zeug redete?! Der Tag konnte nur noch besser werden! „Zuerst möchte ich mich vorstellen: Ich bin Kai Doumeki.“ Ich sah erneut auf. „Kai Doumeki...?“ wiederholte ich. „Korrekt. Wie heißt du?“ Er sah mich auffordernd an. „Ryuta Ippongi.“ - „Nun, Ryuta Ippongi, ich kann an deiner Aura sehen, dass du so wie ich bist. Du kannst ebenfalls die Willenskraft von Personen ins Unmögliche steigern, sodass sie wirklich alles schaffen können. Und das alles dank aufmunterndem Anfeuern.“ Herr Doumeki zeigte keine Gesichtsregung, was ich ziemlich unheimlich fand und daher selbst nervös lächelte. „Aufmunterndes Anfeuern? Das klingt sehr weit hergeholt... Wollen Sie ernsthaft behaupten, ich brauche nur kurz mit den Armen zu wedeln und irgendwas rumzubrüllen und schon entwickeln Leute irgendwelche Superkräfte, Herr Doumeki??? Das ist der größte Blödsinn, den ich jemals gehört habe...“ Ich fasste mir ungläubig grinsend an die Stirn und schüttelte den Kopf. „Nenn mich einfach Kai, das ist schneller auszusprechen.“ Er stand von der Bank auf. „Nun gut, ich zeige dir einfach mal, was ich meine.“ Kurz blickte er sich um, dann deutete er auf ein Eichhörnchen, das an einem Baumstamm hing. „Dieses kleine Tier möchte an den Haselnussstrauch, der hier in der Nähe ist. Doch ein großer Hund sitzt direkt davor. Sobald es versuchen würde, an ihm vorbei zulaufen, würde sein Jagdinstinkt erwachen und dann wäre es das Aus für dieses kleine Etwas.“ Er verschränkte die Arme. „Sieh zu und erkenne, was diese Kraft für einen Nutzen haben kann.“ Ruckartig drehte er sich zu dem Eichhörnchen und streckte die Arme in seine Richtung aus, wobei er ein mir damals noch unbekanntes Wort rief. „OSU!“ Das Tier flitzte vom Baumstamm, der Hund wurde auf es aufmerksam, doch das Eichhörnchen flitzte dermaßen schnell um den Hund herum, dass dieser sich in der Hundeleine verhedderte und schließlich umkippte. Sichtlich zufrieden sprang das Eichhörnchen in den Strauch und genoss die Nüsse. Mit großen Augen beobachtete ich abwechselnd das Geschehen und Kai, der seltsame Übungen machte. Er boxte, stampfte mit dem Fuß auf und schlug hier und dort mit der Handkante in die Luft, wobei er immer wieder „OSU!“ schrie. Und alles wirkte irgendwie so, als würde es zu einem bestimmten Rhythmus geschehen. Ich fand das alles sehr unheimlich. Noch bevor Kai überhaupt fertig war, entfernte ich mich eiligst aus dem Park und ließ all dieses merkwürdige Zeug hinter mich. Mir war nämlich wieder die Sache mit dem Erziehungsheim eingefallen, ich musste mich also um dringendere Sachen kümmern, als irgendwelche Typen, die von irgendwelchen Kräften faselten und kleine Nagetiere anschrien. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)