Die Super Nanny in Japan von JinShin ================================================================================ Kapitel 13: Monsterjagd im Badezimmer ------------------------------------- Kurauchi holte den Jungen ab, als es Zeit für das abendliche Waschen war. Es wirkte, als würde er einen Gefangenen zur Hinrichtung abführen. Ich fand, Tatsuomi war wirklich sehr tapfer, wie er möglichst würdevoll neben dem großen Mann her tappte. Kaoruko warf ich einen zuversichtlichen Blick zu, bevor ich den beiden folgte. Wir hatten überlegt, ob sie mitkommen sollte oder nicht und uns schließlich dagegen entschieden, damit in dieser schwierigen Situation nicht auch noch die Spannungen zwischen den Eheleuten im Raum stand. Ich wappnete mich innerlich gegen einen erneuten Kampf mit Hirose. Er erwartete uns im Bad. Ich hatte den unbestimmten Eindruck, dass irgendetwas mit ihm ganz und gar nicht in Ordnung war, aber jetzt war nicht die Zeit, mich darum zu kümmern. Tatsuomis Zähne klapperten leise, so sehr zitterte er, als er vor seinem Vater stehen blieb. Ich betete, dass Hirose nicht mit irgendeinem barschen Stell-dich-nicht-so-an-Satz reagieren würde. Doch er überraschte mich. Anscheinend erinnerte er sich jetzt wieder an die besprochene Vorgehensweise. Freundlich sprach er seinen Sohn an und ging dabei sogar hinunter auf Augenhöhe zu ihm. Ich verstand zwar nicht, was er sagte, aber ich ging einfach mal davon aus, dass er jetzt meine Anweisungen wieder umsetzte. Ich hatte genau gesagt, worauf es ankam: Das oberste Ziel war, Tatsuomi zu beruhigen in dieser Situation, die ja sehr angstbesetzt für ihn war. Ich wandte mich an Kurauchi: „Heute werden wir Sie nicht brauchen. Hirose hat sicher mit Ihnen darüber gesprochen.“ Er nickte, aber holte sich dennoch erst ein bestätigendes Zeichen von Hirose, bevor er den Raum verließ. Obwohl er die Tür leise hinter sich zu schob, zuckte Tatsuomi zusammen, als hätten wir neben seinem Ohr einen Knaller gezündet. Damit war dann auch seine Selbstbeherrschung dahin, und er fing an zu weinen. Hirose sah zu mir. „Ganz viel reden“, ermunterte ich ihn. „Versuchen Sie, ihn ein bisschen zu beruhigen. Und sagen Sie ihm, was als nächstes kommt. Nichts tun ohne Vorankündigung.“ Hirose gab sein Bestes, aber als es ans Ausziehen ging, steigerte sich das Weinen zu einem panischen Gekreische. „Okay, abbrechen und beruhigen.“ Ich riskierte, Hirose erstmal alleine machen zu lassen. Ich würde ja nicht so lange hier bleiben, und wenn ich wieder fort sein würde, musste Hirose auch mit dem Jungen klar kommen. Aber er schaffte es tatsächlich, das Angstgeschrei zu unterbrechen. Wenn er nur wollte, konnte er richtig gut mit Tatsuomi umgehen! „Ja, gut so. Sie dürfen ihn ruhig auch mal in den Arm nehmen und trösten!“ Hirose stockte einen kleinen Moment, dann folgte er meinem Rat. Tatsuomi schrie einmal kurz auf, als sein Vater ihn zu sich zog, aber dann schmiegte er sich schutzsuchend an ihn. Hirose strich ihm über den Rücken und blickte an sich hinunter. Jetzt sah ich auch die kleine Pfütze, die sich unter Tatsuomis Füßen ausbreitete. Der Junge hatte sich vor lauter Angst in die Hose gemacht. „Ist nicht schlimm“, sagte ich zu niemand bestimmten. Hiroses Gesichtsausdruck nach hatte er ein bisschen Zuspruch auch nötig. „Das ist ja auch eine total stressige Situation. Ne, Tatsuomi? Du bist auch froh, wenn das hier vorbei ist. Wovor hast du nur solche Angst?“ Ich hatte eigentlich gar keine Antwort darauf erwartet, aber er drückte sich noch mehr an seinen Vater und brachte ein paar Worte heraus. Ich sah fragend zu Hirose. „Er sagt, wenn er sich auszieht kommt ein Monster und macht das Licht aus. Oder so.“ „Aber da können wir doch aufpassen, dafür sind doch wir Erwachsenen da. Hier sind auch gar keine Monster, wirklich nicht, hier kommen auch keine rein. Wollen wir mal zusammen nachsehen?“ Der Kleine nickte zögernd. Also begaben wir uns gemeinsam auf Monsterjagd im Badezimmer. Er ließ uns überall suchen, sogar hinter den Handtüchern, die an der Wand hingen. Es hätte ein nettes Spiel sein können, wenn Tatsuomis Angst nicht so real und so präsent gewesen wäre. Er war erst überzeugt, als wir auch noch vor der Tür auf dem Gang nachgesehen hatten und Kurauchi, der draußen stand und wartete, Anweisung bekommen hatte, den Eingang zu bewachen und kein Monster durchzulassen. „Wie sieht das Monster denn aus?“ fragte ich. „Man kann es nicht sehen“, flüsterte er. „Es kommt von hinten.“ „Das ist wirklich unheimlich“, sagte ich mitfühlend. „Aber dein Vater und ich werden ganz aufmerksam sein, und dann kann dir gar nichts passieren, versprochen. Möchtest du dich alleine ausziehen und waschen? Wir bleiben in deiner Nähe, dann bist du ganz sicher. Okay?“ Seine Augen wanderten unsicher zu seinem Vater, aber er nickte. „Versuchen Sie ihn jetzt ganz viel abzulenken“, sagte ich leise zu Hirose. Er nickte auch. Es ging langsam voran, das Ausziehen und auch das Waschen, und trotz unserer Versicherungen und guter Worte nur unter Tränen und zitternd und mit ganz vielen furchtsamen Blicken über die Schulter. Aber es ging ohne Gewalt und ohne Panik und Geschrei. Schließlich hatte er auch das Zähneputzen überstanden und stand in seinem Schlafanzug vor uns. „Und? War das jetzt so schlimm?“ fragte Hirose. „Ja, es war schlimm. Für ihn war es schlimm“ *, sagte ich schnell, um Tatsuomi keine Gelegenheit zu geben, sich von der Frage beschämen zu lassen. „Jetzt könnten Sie ihn noch mal in den Arm nehmen“, wisperte ich Hirose ins Ohr. „Und loben! Das hat er doch ganz toll gemacht!“ Das in den Arm nehmen fiel Hirose noch ein wenig schwer, aber sein Lob zeigte sofort Erfolg und zauberte ein kleines Lächeln auf das Kindergesicht. Dann weiteten sich seine Augen bei Hiroses nächsten Worten: „Katia-san bringt dich jetzt in dein Zimmer, und ich komme gleich nach und sage dir gute Nacht, und wenn du willst, lese ich dir noch eine Geschichte vor.“ „Wirklich?“ fragte Tatsuomi ungläubig. „Wirklich“, sagte Hirose und lächelte ein wenig gezwungen. Zu mir sagte er: „Ich möchte mich nur schnell umziehen.“ Er deutete auf den feuchten Fleck auf seinem Kimono, wo Tatsuomi sein tränen- und schnodderverschmiertes Gesicht an ihn gedrückt hatte. Außerdem hatte er mit den Füßen in der Pfütze gestanden. Die nassen Socken hatte er schon vorhin nebenbei ausgezogen und auf Tatsuomis verschmutzte, am Boden liegenden Sachen geworfen, als wären sie mit Cholera verseucht. „Na komm, Tatsuomi“, sagte ich und nahm ihn an der Hand. „Auch Helden müssen schlafen gehen.“ „Ich bin gar kein Held“, sagte er verlegen. „Doch, ich finde du warst gerade ganz doll mutig. Fast so mutig wie dein Urururgroßvater, dieser Samurai, weißt du, von dem du mir erzählt hast. Der ganz allein eine Armee besiegt hat?“ Das war genau das richtige Thema, um ihn von den vorangegangenen Ängsten wieder auf andere Gedanken zu bringen. Als wir sein Zimmer erreichten, plapperte er schon wieder munter neben mir her. Kaoruko erwartete uns, und er stürzte in ihre Arme. „Mama, heute bringt mich otô-sama ins Bett!“ Hirose ließ sich für meinen Geschmack zu viel Zeit. Ich befürchtete schon, er würde gar nicht mehr kommen. Tatsuomi war so müde, dass ihm ständig die Augen zufielen. Dieser Tag war anstrengend für ihn gewesen. Aber er wollte auf keinen Fall die Gutenachtgeschichte von seinem Vater verpassen! Als Hirose dann endlich kam, sah ich, warum das so lange gedauert hatte: Seine Haare waren nass und seine Haut noch ganz gerötet – er hatte anscheinend schon wieder geduscht oder gebadet. Offenbar hatte er ein sehr großes Hygienebedürfnis. Oder vielleicht war das auch normal, Japaner waren ja dafür bekannt, viel zu baden. Kaoruko und ich ließen die „Männer“ allein und zogen uns zurück. Ich war erschöpft und freute mich auf das Telefonat mit meiner Familie! Ich rechnete die acht Stunden Zeitunterschied von der Uhrzeit ab und stellte enttäuscht fest, dass meine Kinder noch in der Schule waren. Also rief ich nur kurz meinen Mann auf der Arbeit an, um ihm zu sagen, dass es mir gut ging, und dass er mir fehlte (und um dasselbe von ihm zu hören). Wir verabredeten uns für später, und während ich noch überlegte, wie ich bloß bis dahin wach bleiben sollte, klopfte es leise an meiner Tür. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)