F.E.A.R. - Frightening Ends, Angels Rise von abgemeldet (Was, wenn Bella überhaupt nicht so fasziniert von Edward ist? Was, wenn er ihrer Meinung nach das Böse schlechthin ist?) ================================================================================ Kapitel 1: Allein ----------------- Geschrieben von dubdug Betagelesen von feane - Vielen Dank! =) -------------------- Allein Gedankenverloren sah ich den Regentropfen zu, beobachtete, wie sie auf die Fensterscheibe des Klassenzimmers trafen, langsam mit denen, die bereits daran hafteten, verschmolzen und zu dünnen Rinnsalen wurden, die auf der glatten Oberfläche hinunter glitten. Manche zweigten sich, bildeten durchsichtige, kleine Verästelungen, schlugen immer wieder neue Richtungen ein, so als wollten sie unbedingt verhindern, jemals das Ende des Fensters zu erreichen, während andere wiederum haltlos in die Tiefe stürzten. Eigentlich ein sehr schönes Schauspiel, wenn ich darüber nachdachte, deswegen fragte ich mich, weshalb es mich dennoch jedes Mal melancholisch stimmte. Vielleicht weil die Tropfen wie viele kleine Tränen wirkten und einen an jene erinnerte, die man selbst vergossen hatte. Vielleicht weil einem der ewige Kreislauf bewusst wurde, der immer noch stattfinden würde, auch wenn man selbst schon lange unter der Erde lag. Wasser lebt ewig. Fällt von den Wolken, versickert in der Erde, nährt Bäume, Pflanzen, Lebewesen und verdunstet wieder, steigt empor in den Himmel, wo alles von vorne beginnt. Vielleicht hatte der Regen aber auch gar nichts Trauriges an sich und es kam einem einfach nur so vor, weil man ihn nie beobachtete, wenn man glücklich war. Vielleicht ließ er mich aber auch nur, durch die Kälte die er mit sich brachte, die warme Sonne in Phoenix vermissen. Denn an den Regen, an die tägliche kalte Nässe, hatte ich mich noch immer nicht gewöhnt, und würde es auch wahrscheinlich nie tun. Auch die Kleinstadt Forks, in der ich mittlerweile seit fünf Monaten lebte, war mir immer noch fremd. Wirkte nicht wie mein Zuhause auf mich, sondern eher wie ein seltsamer Urlaubsort, in dem man es schwer hatte, sich zurechtzufinden, wenn man nicht schon von Geburt an dort lebte und es niemals anders kannte. Aber war der Unterschied zu Phoenix eigentlich tatsächlich so groß? Nein, denn sah man von den Temperaturen und der Einwohnerzahl mal ab, war er, wenn ich ehrlich war, sogar erschreckend gering. Mein neues Leben glich dem in Phoenix mehr, als mir lieb gewesen wäre. Jetzt im Nachhinein, wo ich die Enttäuschung darüber spürte, bemerkte ich, mir anfangs doch so etwas wie Hoffnungen gemacht zu haben. Hoffnungen, es könnte hier besser werden. Nahezu lächerlich kam mir dieser Wunsch nun vor, denn weshalb hätte es besser werden sollen? Komische Menschen konnte man nicht ändern, sie bleiben seltsam, egal, wo sie hinzogen, und waren dazu verdammt, ein Leben als Außenseiter zu führen. Als Mike, Eric, Jessica und Konsorten bemerkt hatten, wie langweilig der vermeintlich spannende Neuzugang, Isabella Marie Swan, doch in Wirklichkeit war, verschwand ihr Interesse schneller als es aufgekommen war. Doch in diesem Fall fand ich das nicht einmal schlimm, denn ich hatte mich in ihrer Gegenwart ohnehin nie wohl gefühlt. Nicht nur, weil ich es nicht gewohnt war, ständig Menschen um mich herum zu haben, die mir meinen sicheren Freiraum nahmen, sondern auch, weil sie anders waren. Anders als ich. Teenager mit oberflächlichen Interessen, die immer darauf bedacht waren, mit dem Strom zu schwimmen, in der Hoffnung, eines Tages bei jedem beliebt zu sein und sich nur dadurch abzuheben, in dem man cooler war als der Rest. Nein, dazu wollte ich niemals gehören. Da würde ich lieber auf ewig alleine bleiben ... Ohne zu wissen, warum, schweifte mein Blick auf den leeren Stuhl rechts neben mir. Nicht gemocht oder anerkannt zu werden war die eine Sache, jedoch ignoriert und verabscheut zu werden eine andere. Edward Cullen. Dieser Name verfolgte mich, auch wenn er das eigentlich nicht sollte. Noch nie zuvor war ich einem Menschen begegnet, der so wunderschön und angsteinflößend zu gleich war. Seine schwarzen Augen, die dunklen Schatten darunter, seine blasse Haut, seine geschmeidigen Bewegungen, sein bronzefarbenes Haar ... Alles wirkte so perfekt, so anziehend ... doch gleichzeitig haftete etwas Düsteres, etwas Unheimliches, nahezu Gefährliches an ihm, das ich nicht in Worte fassen konnte. So sehr er mich faszinierte, so sehr machte er mir auch Angst. Womöglich lag das aber überhaupt nicht an seinem Aussehen, und ich bildete mir das nur ein, weil mich sein Verhalten so sehr verunsicherte. Denn wie ich inzwischen herausgefunden hatte, benahm er sich nur mir gegenüber so merkwürdig. Anfangs, als ich erst wenige Wochen hier lebte, hatte ich bei Angela vorsichtig angefühlt, und sie beschrieb ihn als sehr still, nachdenklich, zurückgezogen, ein bisschen sonderbar aber freundlich, wenn man ihn ansprach. Diese Aussage hatte meine böse Vermutung, er hätte ein persönliches Problem mit mir, bestätigt, denn „freundlich“ wäre sicher keines der Wörter gewesen, mit denen ich ihn beschrieben hätte. Gab es so etwas wie Hass auf den ersten Blick? Wenn ja, dann musste bei Edward Cullen wohl so eine Art Blitz eingeschlagen haben, als ich von meinem Lehrer, Mr. Banner, vor fünf Monaten in meiner ersten Biologiestunde aufgefordert wurde, mich auf den freien Stuhl neben ihn zu setzen. Edwards Blick war schon alles andere als erfreut, als ich langsam auf ihn zulief, doch sein Verhalten, das mich erwartete, nachdem ich saß, hatte mich regelrecht erschaudern lassen. Keines Blickes hatte er mich gewürdigt, seinen Stuhl prompt so weit wie möglich an das andere Ende des Tisches gerutscht und seine Augen starr nach vorne gerichtet. Völlig verschüchtert wegen dieser Reaktion, hatte ich daraufhin meine Haare als Vorhang nach vorne fallen lassen und mich am liebsten in Luft aufgelöst, so unwohl fühlte ich mich. Jedes Mal, wenn ich vorsichtig und unauffällig in seine Richtung geschielt hatte, erschreckte ich mich aufs Neue. Seine Miene spiegelte den reinsten Hass wider, seine Gesichtszüge waren hart und angespannt und seine Lippen waren so fest aufeinander gepresst, dass ich Angst hatte, sein Kiefer würde jede Sekunde zerbersten. Sein Körper war wie eine Statue, verkrampft und steif bis in die Zehen; nicht mal einen Millimeter hatte er sich während der ganzen Schulstunde bewegt. Nur seine geballte Faust, die er unter dem Tisch auf seinem Bein liegen hatte, schien ihren Griff immer stärker werden zu lassen, denn nicht nur seine Knöchel waren von der durchtrennten Blutzufuhr weiß, sondern seine gesamte Hand. Ich hätte sogar schwören können, ihn kein einziges Mal atmen gehört zu haben, und wäre das nicht unmöglich gewesen, weil das seinen sicheren Tod bedeutet hätte, wäre ich auch heute noch dieser Überzeugung. Ich hatte mir schon sehr viel herbeigesehnt in meinem Leben, doch wie sehr ich mir damals das Ende der Unterrichtsstunde ersehnt hatte, übertraf alles. Doch ich schien nicht die Einzige gewesen zu sein, die diesen Wunsch hegte, denn obwohl ich regelrecht aufgesprungen war, als es klingelte, war Edward Cullen schon verschwunden, noch ehe ich überhaupt nach meinem Rucksack greifen konnte. Am darauf folgenden Tag, an dem ich selbst schon überlegt hatte, zuhause zu bleiben, erschien er nicht und auch weitere zwei Wochen blieb er der Schule fern. Und selbst als er wieder auftauchte, blieb der Stuhl neben mir leer. Von Angela erfuhr ich später, dass er den Kurs gewechselt und nun einen Einzeltisch zwei Reihen hinter ihr bezogen hätte. Wäre es Verfolgungswahn, diesen Wechsel mit mir in Verbindung zu bringen oder wäre es naiv, es nicht zu tun? Eigentlich war es kaum vorstellbar, denn wir hatten niemals auch nur ein einziges Wort miteinander gesprochen, dennoch war ich mir sicher, von ihm verabscheut zu werden und der Grund für all das zu sein. Aber warum? Wie konnte meine bloße Anwesenheit so eine starke Abneigung in ihm auslösen? Fand er mich so hässlich? Stank ich? Diese Fragen stellte ich mir seit diesem Vorfall täglich, denn an seinem Verhalten mir gegenüber hatte sich nichts geändert. Wenn ich ihn irgendwo in der Schule erspähte, allein oder mit seinen gleichermaßen atemberaubend schönen aber furchterregenden Adoptivgeschwistern, ignorierte er mich entweder komplett, oder sah mit einem undefinierbaren Blick in meine Richtung. Dieser Mensch war mir absolut unheimlich. Und doch erwischte ich meine Augen hin und wieder dabei, wie sie unauffällig die Cafeteria oder den Parkplatz nach ihm absuchten. Fanden sie ihn, war ich zu nichts anderem in der Lage, als meinen Blick schnell wieder zu senken. Es klang absurd, aber manchmal hatte ich den Eindruck, er schmiedete einen heimlichen Plan, mich umzubringen. Aber das konnte ich natürlich niemandem erzählen, da mich sonst jeder für verrückt gehalten hätte - einschließlich ich selbst. Da gefiel mir die Alternative, von niemandem bemerkt zu werden und quasi wie ein Geist durch die Schule zu laufen, wesentlich besser. Wenn man nicht auffiel, konnte man auch keine Angriffsfläche bieten. Es war schon furchtbar genug, durch meine Dusseligkeit ab und an die Aufmerksamkeit der anderen auf mich zu lenken und Spott zu ernten. Selbst Angela, welche noch die Einzige war, die sich trotz meiner langweiligen Art mit mir abgegeben hatte, schaffte ich durch meine fadenscheinigen Ausreden, wenn sie mich nach einem Treffen außerhalb der Schule gefragt hatte, weitestgehend zu vergraulen. Warum ich das tat, wusste ich nicht einmal selbst, jedoch konnte ich ihr nicht verübeln, dass auch sie nun meistens einen Bogen um mich machte. Die Schulglocke ertönte, holte mich aus meinen Gedanken und ließ schlagartig ein lautes Gemurmel in der Klasse aufkommen, während der Lehrer auf dem Pult seine Unterlagen ordnete. „Denken Sie an die Klausur übermorgen“, erinnerte er uns noch, als schon die Ersten, denen es nicht schnell genug gehen konnte, aus dem Klassenzimmer stürmten. Unter dem Geraune meiner Mitschüler, die über die Erinnerung von Mr. Banner nicht gerade erfreut waren, packte nun auch ich meine Sachen zusammen; verstaute meine wenigen Utensilien in meiner Umhängetasche und verließ als Letzte den Unterrichtsraum. Wie jeden Tag herrschte nach Schulschluss ein dichtes Gedränge in den Fluren und da ich mich nicht wohl fühlte, wenn ich dazwischen geriet, ließ ich mich nach hinten fallen und steuerte nur langsam den Ausgang an. Ich hatte keinen Grund zur Hektik, denn weder hatte ich es eilig, raus in den Regen zu kommen, noch wollte ich besonders schnell nach Hause. Warum auch? Schließlich erwartete mich dort nichts. Auf dem Fußboden war immer noch dieser hässliche, hellblaue Linoleum verlegt, der uralt wirkte, weil er so abgenutzt und verkratzt war. Ob mein Vater früher, als er in meinem Alter war und noch hier zur Schule ging, wohl auch schon über diesen Belag gelaufen war? Es wäre durchaus vorzustellen gewesen. Bald waren meine Schritte die einzigen, die auf dem gummiartigen Untergrund zu hören waren; ich hatte wie immer das Schlusslicht gebildet. Gerade eben hatte hier noch lautes Treiben geherrscht und von einer Sekunde auf die andere waren die Gänge wie ausgestorben. Eine Schule ohne Schüler hatte zweifelsohne etwas Gruseliges an sich. Deswegen war ich froh, als ich kurz darauf die große Eingangstür erreichte und mich anschließend nach draußen in den Nieselregen begab. Der Parkplatz leerte sich zusehends, weswegen mein verrosteter roter Truck, den ich glücklicherweise nur ein paar Meter und direkt gegenüber vom Eingang geparkt hatte, noch mehr herausstach. Ein ganzes Stück dahinter stand ... der silberne Volvo und direkt daneben wartete ein zierliches, schwarzhaariges Mädchen. Alice Cullen, Edwards Schwester, wie ich am Rande mal mitbekommen hatte, und die Bezeichnung „Mädchen“ traf es eigentlich auch nicht richtig, denn sie wirkte trotz ihrer geringen Körpergröße eher wie eine junge Frau. Jeder der Cullens wirkte so. Alle strahlten sie eine gewisse Reife, fast schon Erwachsenheit aus und hoben sich deutlich von den üblichen Teenagern - mich eingeschlossen - ab. Auch ihre elegante Kleidung, die Art, wie sie sich gaben, ihre schöne aber gespenstische Erscheinung, die grazile Weise, wie sie sich bewegten ... sie waren einfach anders. Was mich jedoch, zumindest in diesem Moment, am meisten irritierte, war, dass Alice freundlich in meine Richtung lächelte. Galt das tatsächlich mir? Da hier außer mir niemand mehr herumlief, tat es das anscheinend. Aber warum? Noch ehe ich mir einen Reim darauf bilden konnte, veränderte sich ihre Mimik wieder und nahm einen fast schon genervten Ausdruck an. Schlicht und einfach hatte sie mich verwechselt, erklärte ich mir das. Ich kam mir mit einem Mal regelrecht blöd vor, weil ich sie so dumm angestarrt hatte und wandte meinen Blick schnell auf meinen Truck, den ich beinahe erreicht hatte. Doch was ich dort in der Reflexion meiner Heckscheibe sah, versetzte mich augenblicklich in einen Schockzustand. Es war jemand hinter mir. Dicht hinter mir. Und nicht irgendjemand, sondern Edward Cullen. Seinen Blick auf meinen Hinterkopf gerichtet, war er nur wenige Zentimeter von mir entfernt und folgte mir wie mein Schatten. Angst kam in mir auf und mein Herz schlug schnell gegen meine Brust, als meine Füße wie von selbst ihre Geschwindigkeit erhöhten. Wo kam er auf einmal her? Und wie konnte ich ihn nicht gehört haben? So, als hätte er meine aufkommende Unruhe bemerkt, sah er plötzlich auf. Und für den Bruchteil einer Sekunde fanden sich unsere Augen in der Spiegelung der Glasscheibe. Sein Blick war durchdringend, jedoch unergründlich, während sich in seinem Gesicht keinerlei Regung abzeichnete. Seine Augen waren schwarz. Genauso dunkel, wie damals bei unserer ersten Begegnung; seitdem war ich ihm nie wieder so nahe gewesen. So schnell dieser unheimliche Moment aufkam, so schnell verschwand er auch wieder. Meine fahrige Hand erreichte meinen rettenden Truck, öffnete hastig die Tür und von Edward war nur noch ein kleiner, kalter Windhauch zu spüren. Wortlos war er um mein Auto herumgelaufen und befand sich auf den Weg zu seinem eigenen Auto. Komplett durcheinander stieg ich in meinen Wagen und fühlte mich sofort viel sicherer, wenn ich auch gleichzeitig tausend Fragen in meinem Kopf hatte. War er mir gefolgt? Er musste mir gefolgt sein, warum sollte er sonst so dicht bis zu meinem Auto gelaufen sein? Aber weshalb sollte er mir hinterherlaufen? Wollte er mir etwas antun? Hier, inmitten von Forks, wo es hunderte Augenzeugen gegeben hätte? Ich schüttelte meinen Kopf und rief mich wieder zur Besinnung. Er mochte mich nicht, das war offensichtlich, aber warum sollte er mir deswegen gleich etwas antun wollen? Nein, das ergäbe keinen Sinn und ich befürchtete, langsam paranoid zu werden. Trotzdem verstand ich weiterhin nicht, wie ich ihn nicht bemerken konnte. Was auch immer das gewesen sein sollte, ich war unendlich froh, es hinter mir zu haben und hoffte inständig, es würde nie wieder passieren. Um Fassung bemüht, atmete ich noch mal tief durch und hatte es auf einmal doch ziemlich eilig, von hier wegzukommen. Ich startete meinen Wagen, vermied es, als ich über den Parkplatz fuhr, zu dem silbernen Volvo zu sehen und fuhr schneller als gewöhnlich nach Hause. Als ich in dem kleinen Häuschen, wo ich alleine mit meinem Vater Charlie wohnte, ankam, hatte ich mich wieder weitestgehend beruhigt. Ich wusste selbst nicht, was in Bezug auf Edward Cullen jedes Mal mit mir los war. Er ... mich umbringen ... Blödsinn. Langsam zweifelte ich an meinem Verstand. Früher, als ich noch ein Kind war und meinen Vater immer nur in den Sommerferien besucht hatte, empfand ich Charlie stets als sehr seltsam. Als ich meine Mutter vor längerem mal darauf angesprochen hatte, meinte sie, dass dies im Laufe der Jahre eben mit einem Menschen, der fast sein ganzes Leben lang alleine in einem kleinen Haus nahe am Waldrand lebte, passierte. Mittlerweile wusste ich, es hatte weder etwas mit dem kleinen Haus noch mit der Nähe des Waldes zu tun. Es lag an seiner Einsamkeit. Mein Vater war allein. Und genau das machte ihn komisch. Nun musste ich machtlos zusehen, wie ich ihm immer ähnlicher wurde. Wie meine Umwelt sich über mich wunderte, weil ich mich in ihren Augen eigenartig verhielt, und ich mich deswegen nur noch mehr von ihr zurückzog. Ein Teufelskreis. Denn umso einsamer man wurde, desto seltsamer wurde man auch. Ohne es jemals gewollt zu haben, war ich in seine Fußstapfen getreten und teilte mit ihm das gleiche Los. Vielleicht stimmte ja etwas mit unseren Genen nicht? Ich vermutete dies stark, legte meinen Rucksack neben der Tür ab und machte mich an den Abwasch, für den ich gestern Abend zu müde gewesen war. Mich um den Haushalt zu kümmern, so dachte ich, war das Mindeste, was ich für meinen Vater tun konnte, wenn er schon auf einmal nach all den Jahren täglich mit seiner Tochter konfrontiert wurde und auch noch sein Haus mit ihr teilen musste. Denn nur weil zwei Menschen aus dem gleichen Holz geschnitzt waren, bedeutete das noch lange nicht, dass ihnen der Umgang miteinander leichter fiel. Ganz im Gegenteil. Es war erstaunlich, wie sehr man sich auf fünfundsechzig Quadratmetern aus dem Weg gehen konnte. Wir stritten nicht miteinander oder dergleichen, wir wussten nur einfach beide nicht, was wir mit dem jeweils anderen reden sollten. Nachdem wir uns täglich die obligatorische Frage, wie der Tag gewesen sei, gestellt hatten und sie gegenseitig mit einem standardgemäßen und nicht unbedingt wahrheitsgetreuen „Gut“ beantworteten, wurde es schon schwierig. Anfangs hatten wir uns noch bemüht, mehr miteinander zu sprechen. Doch da selbst diese Unterhaltungen, die meist über völlig belanglose Themen waren, nie ihre Gezwungenheit verloren, gaben wir es irgendwann wieder auf. Das Ritual, gemeinsam zu Abend zu essen, hatten wir jedoch beibehalten, auch wenn sich danach unsere Wege ziemlich schnell wieder trennten. Für gewöhnlich ging ich nach oben in mein Zimmer, während sich mein Dad dem Fernsehprogramm widmete. Nachdem das Geschirr abgespült und abgetrocknet war, machte ich mich an die Dreckwäsche, schaltete eine Maschine ein und ging anschließend wieder zurück in die Küche, um schon mal die Lasagne vorzubereiten, damit ich sie später, wenn Charlie von der Arbeit kam, nur noch mal kurz aufwärmen musste. Die Zeit, die sowohl die Waschmaschine als auch der Ofen brauchte, nutzte ich, um meine Hausaufgaben am Küchentisch zu machen. Diese waren zwar, weil ich wenig aufhatte, schnell erledigt, doch erleichtert fühlte ich mich deswegen trotzdem nicht. Denn das größere Übel, das ich schon seit Tagen vor mich herschob, wartete noch immer auf mich und saß mir böse im Nacken: Die Biologieklausur in zwei Tagen. Ich war schon in Phoenix nur ein mittelmäßiger Schüler gewesen, doch hier in Forks waren meine Zensuren noch ein bisschen tiefer in den Keller geklettert. Dennoch kein Grund zur Besorgnis, so dachte ich zumindest - der Direktor hingegen, der mich vor zwei Wochen persönlich darauf angesprochen hatte, sah das offenbar anders. Ich konnte nicht sagen, wie unangenehm mir dieses kurze Gespräch unter vier Augen war. Spätestens als er sich erkundigte, ob ich mich womöglich nicht wohlfühlen würde in der neuen Umgebung, oder eventuell private Probleme hätte, die für meinen Leistungsabfall verantwortlich sein könnten, wäre ich am liebsten im Erdboden versunken. Er hatte mir sogar angeboten, einen Termin beim Schulpsychologen für mich auszumachen, wenn dem so wäre ... Gott, ging es noch erbärmlicher? Was dachte er, was ich war? Geisteskrank? Anscheinend ... Denn es war nicht nur was er sagte, sondern auch wie er es sagte. Er hatte mit mir gesprochen, als wäre ich ein rohes Ei, das gerade mal den durchschnittlichen IQ eines Viertklässlers hatte. So weit war es schon gekommen und ich mochte mir überhaupt nicht vorstellen, was der Rest der Leute über mich dachte. Ich hasste es, hier in dem Paar-Tausend-Seelen-Dorf nicht die gleiche Anonymität genießen zu können, wie in Phoenix. Jeder kannte jeden, jeder wusste, dass ich die Tochter des sonderlichen Polizeichefs war und dass es in unserer Familie schon immer Probleme gab. Und genauso sahen mich die Leute auch an. Zu so einer peinlichen Unterredung durfte es jedenfalls nie wieder kommen, genauso wenig, wie mein Vater darüber unterrichtet werden sollte. An die Möglichkeit, das Jahr eventuell wiederholen zu müssen, wollte ich überhaupt nicht denken. Um all das zu verhindern, musste ich in der Biologieklausur unbedingt gut abschneiden. Doch leichter gesagt als getan ... Ich hatte schon immer Probleme damit, mich zu konzentrieren. Sei es im Unterricht, in meinem Privatleben oder beim Lernen; nie blieb meine Aufmerksamkeit da, wo sie eigentlich sein sollte. Ständig drifteten meine Gedanken ab und landeten bei komplett anderen Themen. Manchmal war ich allein schon so sehr damit beschäftigt, nicht unangenehm aufzufallen, dass ich kaum noch etwas anderes mitbekam. Wenn ich es dann doch mal schaffte, mein Augenmerk auf das Wesentliche zu richten, dann machte mir dafür des Öfteren mein Kurzzeitgedächtnis einen Strich durch die Rechnung. Sachen, die mich nicht zu hundert Prozent interessierten, wollten partout nicht in meinem Schädel bleiben und ich musste sie regelrecht hineinpressen, damit sie zumindest für einen gewissen Zeitraum darin verweilten. Diese Schwierigkeiten, die ich im Laufe der Jahre zumindest einigermaßen in den Griff bekommen hatte, besaß ich schon von klein auf. Doch seitdem ich in Forks war, funktionierten auf einmal alle Techniken, die ich mir mühselig für die Bewältigung dieses Problems angeeignet hatte, nicht mehr. So viel Mühe ich mir auch gab, jede Anstrengung schien im Vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein. Zelluläre Transportvorgänge und Zellmembran, las ich in Gedanken zum tausendsten Mal das Thema durch, genauso wie ich mir vergeblich den Unterschied zwischen Diffusion und Osmose einbläuen wollte. Doch es blieb einfach nicht haften; kaum schlug ich meine Unterlagen zu, war alles wie weggeblasen. Von Minute zu Minute wurde ich zusehends unruhiger und frustrierter. Es machte mich rasend, mich nicht konzentrieren zu können - und dabei musste ich das doch! Nach und nach fiel mir immer mehr die Decke auf den Kopf; selbst das Surren des Kühlschranks und das leise Röhren des Ofens begannen, mich wahnsinnig zu machen. Es wirkte wie ein aussichtsloser Kampf und je mehr ich mich selbst unter Druck setzte, umso weniger funktionierte es. Alles schien sich gegen mich verschworen zu haben und ich spürte, wie Wut in mir aufkam. Wut auf dieses elende alte Haus, das immer noch mit Möbeln aus den Achtzigern eingerichtet war. Wut auf dieses verdammte Kaff, in dem alles noch viel schlimmer wurde, als es ohnehin schon war. Wut auf meine Mutter, die lieber Zeit mit ihrem Freund verbrachte, als mit ihrer Tochter. Wut auf diesen verfluchten Regen, der mich täglich darin hinderte, zumindest einmal aus diesen vergilbten vier Wänden auszubrechen. Wut auf mich selbst, weil ich zu dumm war, diese fünf Seiten zu lernen und nicht einmal das auf die Reihe bekam! Wut ... einfach nur Wut! Ich bekam das Gefühl, hier raus zu müssen. In Phoenix hatte es mir geholfen, an die frische Luft, in die Natur zu gehen, um meine Blockaden zu lösen. Draußen konnte ich viel besser lernen. Aber wie sollte ich das hier machen? Wegen diesem gottverdammten Regen wären meine Zettel innerhalb von einer Minute vollkommen durchnässt gewesen. Trotzdem, ich musste hier raus – und wenn es nur für einen kurzen Spaziergang wäre, alles wäre besser, als noch eine Sekunde in diesem Haus, in dieser niederdrückenden Einöde zu verbringen. Mit einer Mischung aus Entschlossenheit und Verzweiflung stand ich schließlich auf und nahm die Lasagne, die mittlerweile fertig war, aus dem Ofen und stellte sie auf die Küchenablage. Weil mir ein kurzer Blick auf die Uhr verriet, es würde noch ein paar Stunden dauern, bis mein Dad von der Arbeit kam, hinterließ ich ihm keine Notiz. Bis er Zuhause sein würde, wäre ich längst wieder hier. Um die Wäsche - da die Waschmaschine noch schleuderte - würde ich mich kümmern, wenn ich zurück war. Jetzt musste ich einfach raus! Kurz räumte ich noch meine Schulsachen vom Tisch, bevor ich in meine Regenjacke schlüpfte und das Haus verließ. Schon nach wenigen Metern erreichte ich den großen Wald, der sich direkt hinter unserem kleinen Garten erstreckte. Schon jetzt, nach nur ein paar Schritten, kam es mir so vor, als könnte ich bereits wesentlich besser durchatmen. Die Luft war viel angenehmer als in diesem stickigen, alten Haus, das ich in diesem Moment einfach nur so weit wie möglich hinter mir lassen wollte. Da ich mich hier nicht auskannte, folgte ich einem kleinen, vertrauenserweckenden Trampelpfad, der mich schon nach kurzer Zeit in den tiefsten Wald beförderte. Quasi genau dorthin, wo ich hinwollte. Weg von allem. Leichter Regen tröpfelte auf meine Haare, der zwar nicht so stark war, wie ich ihn erwartet hatte, mich aber dennoch früher oder später durchnässen würde. Aber das spielte gerade keine Rolle, denn viel mehr war ich mit der Natur beschäftigt. Im Dorf war mir überhaupt nicht aufgefallen, wie weit der Frühling schon vorangeschritten war. Die Bäume, die Sträucher, alles strahlte in einem wunderschönen Hellgrün; nichts erinnerte mehr an die braune Tristigkeit, die mich erwartet hatte, als ich im vergangen Herbst hier hergezogen war. Selbst die ersten Frühjahrsblumen sprossen bereits aus dem Boden, verdeckten mit ihrer kleinen Blütenpracht das Moos, das hier sonst die Vorherrschaft hatte. Gelbe Sumpfdotterblumen hatten sich an einem kleinen Bach angesiedelt und umwucherten ihn; weiße Buschwindröschen verteilten sich überall auf dem Waldboden. Das Gezwitscher der kleinen Vögel, die ihre Nester bauten, umgab mich von allen Seiten. Je weiter ich lief, je mehr Sachen entdeckte ich. Selbst die ersten, grünen Spitzen der Krokusse lugten schon aus der Erde. All das zu sehen, war schon schön genug, doch der Geruch übertraf alles. Es roch nach nassem Waldboden, nach Gras, Nadelbäumen, Laubbäumen, nach Blättern, Blüten, ... Es roch nach Frühling – und ich liebte es. Mein Kopf war so frei wie schon lange nicht mehr und spürte förmlich die Ruhe, die nach und nach in mich kehrte. Ich lief tiefer in den Wald hinein, stolperte über einige Wurzeln, die ich zu spät gesehen hatte, stürzte aber glücklicherweise nie. Meine Schuhe, meine Haare und meine Klamotten waren mit Wasser durchtränkt, doch zum ersten Mal störte mich das nicht und ich gab meinem inneren Drang nach, immer weiter zu laufen. Zu schön war das Gefühl, das dieser Ausflug in mir auslöste. Alles schien für den Moment in den Hintergrund gerückt zu sein, machte Platz für die neuen, viel angenehmeren Eindrücke. Noch früh genug würden die erdrückenden Gedanken, wenn ich wieder allein in meinem Zimmer war, auf mich einprasseln, und ich war noch nicht bereit, mich ihnen auszuliefern. Hier wirkte alles so unberührt, so als hätte niemals ein Mensch vor mir diese Landschaft betreten. Ein kleiner Fleck heile Welt, der einer der wenigen war, die noch nicht von Menschenhand zerstört wurden. Ob es jedoch so bleiben würde, bezweifelte ich stark, und es war nicht das erste Mal, dass ich mich für meine Rasse schämte. Nach einer Stunde etwa wurde das Unterholz dichter; den Trampelpfad hatte ich schon längst verlassen und war stattdessen querfeldein gelaufen. Weil mein Orientierungssinn nicht gerade der Beste war, war ich natürlich tunlichst darauf bedacht, immer nur geradeaus zu wandern. Meinen Berechnungen zufolge müsste ich mich einfach nur umdrehen und in die entgegen gesetzte Richtung laufen, um mein Zuhause wieder zu erreichen. Eigentlich wollte ich noch nicht zurück, aber so langsam hatte die Nässe des Regens sogar schon meine Unterwäsche erreicht und ich begann zu frieren. Ich befürchtete ohnehin schon, krank deswegen zu werden und wollte es nicht noch mehr als nötig herausfordern. Außerdem hatte ich Angst, ich würde mich verlaufen, wenn ich mich noch weiter durch den Wald kämpfen würde. Zuzutrauen wäre mir das nämlich definitiv gewesen! Und ich hoffte inständig, dass dies am Ende nicht längst schon passiert war ... Etwas verunsichert über diesen Gedankengang blieb ich stehen und sah mich vorsichtig um. Es gab nichts als hohe Bäume und Wald um mich herum. Plötzlich fiel mir auch auf, wie still es geworden war. Keine Vögel zwitscherten mehr und außer den kleinen Tropfen, die leise von den Bäumen fielen, war nichts zu hören. Der Regen hatte offenbar aufgehört. Mein Blick schweifte weiterhin unschuldig in alle Richtungen, bis meine Augen auf einmal wie erstarrt zwischen zwei Bäumen hängen blieben. Den Anblick, der sich mir bot, würde ich bis an mein Lebensende nicht vergessen. Etwa zwanzig Meter von mir entfernt spielte sich etwas ab, was mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Vor Schock unfähig mich auch nur einen Millimeter zu bewegen, konnte ich nichts anderes tun, als den Mann anzustarren, der auf dem feuchten Untergrund kniete und seine Zähne in den Hals eines Rehs gerammt hatte. Seine Arme waren um das zierliche, im Sterben liegende Geschöpf geschlungen, hielten es beinah zärtlich, während seine Lippen auf der Hauptschlagader ruhten. Was ging hier vor sich? Was tat dieser Mann? Trank er dessen Blut? Fraß er das arme Wesen bei lebendigem Leibe? Meine Augen weiteten sich vor Bestürzung und ich konnte nicht glauben, was ich dort sah. Ich kam mir vor, als wäre ich in einem schlechten Film und spürte, wie sich meine Kehle langsam zuschnürte. Die Haare des Mannes ... sie waren ... bronze ... Nein ... nein ... nein ..., schüttelte ich gedanklich immer wieder meinen Kopf. Blankes Entsetzen, Verzweiflung, Angst - all diese Gefühle lähmten mich und ließen meine Füße so schwer werden, als wären sie mit dem Boden verwachsen. Nicht er ... nicht hier ... nicht ich alleine im Wald ... Sekundenlang konnte ich meinen Blick nicht von dem Geschehen abwenden, nicht von ihm abwenden, sondern sah zu, wie das hilflose Tier in seinen Armen immer schwächer wurde. Irgendetwas in mir begann zu rebellieren, wollte mich wachrütteln und ließ mich meiner Situation bewusst werden. Er hatte mich nicht bemerkt. Und ich musste weg von hier, bevor er das tun würde - so viel wurde mir plötzlich klar. Er durfte nie erfahren, dass ich ihn bei ... was auch immer er da tat ... gesehen hatte. Ich musste flüchten und all das, was ich gesehen hatte, vergessen. Sonst würde es mir genauso wie dem Reh ergehen. Ich hatte immer gewusst, es würde irgendetwas mit ihm nicht stimmen, jetzt wusste ich es: Edward Cullen war krank. Geisteskrank. Psychisch gestört. Ein Psychopath. Meine Augen konnten sich nicht von ihm lösen, fixierten dieses Monster, als meine Beine einen Impuls bekamen und rückwärts losstolperten. Und dann passierte es. Knacks. Ein dummer Ast. Ein dummer, dummer Ast, der unter meinem Gewicht nachgegeben hatte. Die Hoffnung, er könnte es nicht gehört haben, löste sich innerhalb eines Sekundenbruchteils in Luft auf, als sein Kopf schlagartig in die Höhe schnellte um nach dem Auslöser des Geräusches zu suchen. Er wurde fündig. Landete direkt in meinen vor Panik geweiteten Augen. Alles schien verloren. Und ich wusste, gleich würde ich erfahren, was es bedeutete, um sein Leben zu rennen. Flüchte! Flüchte endlich! Renn weg, verdammt noch mal! Schrie meine innere Stimme mich an und meine Füße hörten auf sie, indem sie anfingen, nach hinten zu taumeln. Ich drehte mich weg von ihm, fühlte das Adrenalin, das in meinem Körper freigesetzt wurde und begann unter einem markerschütternden, gefährlichen Knurren, das hinter mir ertönte und auf das ich mir weder einen Reim bilden konnte noch wollte, zu rennen. Drei, vielleicht vier Schritte. Drei, vier Schritte, in denen ich vergeblich an so etwas wie eine Chance geglaubt hatte. Drei, vier Schritte, nachdem ich gepackt und brutal auf den feuchten Boden geschleudert wurde. Ich spürte den Schmerz nicht, der durch den harten Aufprall eigentlich entstanden sein hätte müssen, sondern fühlte mich stattdessen wie betäubt. Es war, als hätte ich meinen Körper verlassen und beobachtete die Situation - für die mein menschliches Gehirn viel zu einfach strukturiert war, um sie begreifen zu können - nun von der Seite aus, als wäre ich nicht involviert. Edward ließ mich den Gedanken, mich wieder aufzurappeln, nicht zu Ende denken. Nicht mal eine Sekunde war vergangen, als ich sein Gewicht plötzlich auf mir spürte. Er packte meine Handgelenke, drückte sie links und rechts neben meinem Kopf in die Erde. Sein Griff war eisern und von so unbändiger Kraft, dass die Blutzufuhr sofort unterbrochen wurde. Ich wollte schreien, doch genau wie in einem Albtraum kam kein Ton über meine Lippen. Alles, was ich sah, war ein Paar rabenschwarzer Augen, die direkt in meine blickten und nur wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt waren. Sie sahen mich an wie eine Raubkatze seine Beute. Aus. Alles war aus. Mein Körper zitterte, bibberte förmlich unter seinem Gewicht. Meine Atmung ging schnappend, so als kämpfte meine Lunge bereits um ihr Leben. Der Versuch, mich zu wehren, ihn wegzustoßen, war vergebens. Er war viel stärker als ich. Es war, als würde ich gegen Stahl ankämpfen. Ich hatte keine Chance gegen ihn. Wehrlos lag ich unter ihm und konnte mich nicht einmal regen. Alles in mir war erfüllt mit blanker Angst. Todesangst. Ich würde sterben. In seinen kalten, pechschwarzen Augen konnte ich es sehen: Ich würde sterben. Ich hatte mal gelesen, dass einem in der Sekunde des Todes alles bewusst werden würde, dass - wegen der sämtlichen Stoffe die in dieser Extremsituation vom Körper gleichzeitig freigesetzt werden - alle Gehirnzellen ineinander verschmelzen und so ein neues, absolutes Denken hervorrufen würden. Man würde alles klar sehen. Auf alle Fragen, die man sich sein Leben lang vergeblich gestellt hatte, würde man eine Antwort finden. Schon seit klein auf hatte ich wahnsinnige Angst vorm Sterben, doch diesen Moment, diese Sekunde der Erleuchtung, hatte ich mir immer herbeigesehnt. Doch nichts passierte. Meine Fragen blieben unbeantwortet. Auch, wie man es immer wieder hörte, zog mein Leben nicht vor meinem geistigen Auge an mir vorbei. Es waren nur ein paar verblasste Kindheitserinnerungen, die mir ins Gedächtnis kamen. Schöne Erinnerungen. Schöne Erinnerungen aus glücklichen Zeiten. Als ich mit meiner Mutter noch allein in Phoenix lebte, vielleicht sieben Jahre alt war und sie nach der Trennung von meinem Vater jede freie Minute mit mir zusammen verbrachte. Wir standen barfuß im Garten hinter unserem Haus, die Sonne schien warm auf uns herab und ich trug nur ein dünnes, weißes Sommerkleidchen, als ein großer Schmetterling auf den braunen Haaren meiner Mom landete. Seine blau-, gelb- und lilafarbenen Flügel hatten ein wunderschönes Muster – seitdem hatte ich nie wieder so einen Schmetterling gesehen. Wir kicherten beide darüber, und als er wieder wegflog drückte mich Renée ganz fest an sich. Noch mehr solcher Augenblicke, die ich mit meiner Mutter zu dieser Zeit erlebt hatte, kamen in mir hoch. Wie sie mich von der Schule abholte und ich in ihre Arme rannte, stolz vor meinen Mitschülern, so eine tolle Mama zu haben. Wie wir ständig irgendwelche Ausflüge machten ... sei es in den Park, in den Zoo, auf Spielplätze, ins Kino oder in die Innenstadt zum Eis essen. Oder wie wir einfach nur zusammen in der Hängematte lagen, in den Himmel sahen und versuchten, anhand der Wolkenformen verschiedene Tiere darin zu entdecken ... Es waren nur wenige Erinnerungen und sie waren alt, teilweise kaum erkennbar, als hätte sich im Laufe der Jahre ein trüber Schleier darüber gelegt. Und auf einmal begriff ich, warum nur diese Bilder in meinem Kopf waren und nicht etwa mein Leben an mir vorbeizog ... Ich hatte kein Leben. Es gab nichts, woran ich mich erinnern hätte können, weil ich nie etwas erlebt hatte. Ich hatte existiert, ja, mein Organismus hatte ein Dasein geführt – aber gelebt hatte ich niemals. Ich wusste nicht, was es bedeutete, Freunde zu haben, mit ihnen Spaß zu haben. ... Kannte es nicht, jemandem vertrauen zu können ... Ich hatte nie erfahren, wie es sein würde, jemanden zu lieben ... und von jemandem geliebt zu werden .... Hatte nie herausgefunden, ob ein Kuss wirklich so schön war, wie er in Büchern beschrieben wurde ... Ich wusste nur, wie es war, allein zu sein. Niemanden auf der ganzen Welt zu haben und übrig geblieben zu sein. Ich hatte allein gelebt und würde alleine sterben. Gleich. Durch Edward Cullen, der immer noch in meine Augen starrte. Sein brutaler Griff um meine Handgelenke schmerzte. Der Druck, den er darauf ausübte, veränderte sich, wurde leichter, nur um im nächsten Moment wieder doppelt so fest zu werden. Ob man meine Leiche jemals fand? Würde Edward Cullen womöglich meinen leblosen Körper irgendwo im Wald verschachern und den letzten Beweis, dass ich jemals auf dieser Erde gelebt hatte, einfach auslöschen? Auslöschen wie ein Streichholz, das man auspustet? Mein Herz raste in meinem Brustkorb, und doch schienen Stunden zwischen den einzelnen Schlägen zu liegen. Doch nicht nur mein Herz – alles, jede Sekunde, die verging, spielte sich wie im Zeitraffer ab, als hätte jemand den Ablauf der Welt pausiert. Einfach die Zeit angehalten. Würde es überhaupt jemandem auffallen, wenn ich fehlte? Oder würde sich unser Planet einfach weiterdrehen, so als hätte Isabella Swan niemals existiert? Eine heiße Flüssigkeit rann seitlich über meine Wange. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich weinte, und konnte auch nicht sagen, wann ich damit angefangen hatte. Auch wenn es wehtat, in diese hasserfüllten Augen zu sehen, so konnte ich meinen Blick dennoch nicht von ihnen abwenden. Das Zittern meines Körpers wurde immer schlimmer; regelrechte Krämpfe durchfuhren mich. Doch ich spürte noch ein anderes Zittern, eines, das nicht von mir kam. Ängstlich schweiften meine Augen über Edwards Gesicht, bemerkten, wie angespannt jeder einzelne seiner Muskeln darin war. Seine Lippen waren hart aufeinander gepresst, bildeten durch den enormen Druck keine rote, sondern nur mehr eine weiße Linie. Große Adern traten auf seiner Stirn hervor, zeigten, wie erheblich seine Kraftanstrengung sein musste. Er schien keinen einzigen Luftzug zu nehmen, das jämmerliche, stockende Geräusch, das zu hören war, kam ausschließlich von meiner Lunge. Doch was ich auch an seinem Kiefer, an seinen Lippen, selbst an seinen Haarspitzen sehen konnte, war, dass er tatsächlich zitterte. Edward Cullen, der im Begriff war, mich umzubringen, zitterte. Genauso sehr wie ich. Tat er das aus Erregung? Es war egal, warum er das tat, denn ich konnte nicht mehr. Er sollte sein sadistisches Spiel endlich hinter sich bringen, aufhören, mich noch weitere Sekunden zu quälen und beenden, was er angefangen hatte. Er sollte mich erlösen von meinen grauenhaften Gedanken. Erlösen von der Erkenntnis, für niemanden von Bedeutung zu sein. Er sollte mich befreien von meinem sinnlosen Dasein, das selbst, auch wenn es noch viele Jahre angedauert hätte, wahrscheinlich niemals einen Sinn gefunden hätte. Sollte ich Edward Cullen womöglich sogar dankbar sein? Weil er mir ersparte, eines Tages allein in einem Haus am Waldrand zu leben? Weil er mich davon erlöste, weiterhin in einer Welt leben zu müssen, in die ich überhaupt nicht passte? Ich wollte etwas sagen, doch kein Laut war zu hören. Es war, als würden mich meine unausgesprochenen Wörter ersticken. Rabenschwarz blickten seine Augen in meine, genauso, wie sie es schon die ganze Zeit taten, doch irgendetwas schien sich zu verändern. Für Bruchteile von Sekunden, so kurz, dass ich nicht wusste, ob es nur Sinnenstäuschungen waren, blitzte etwas anderes als Hass in ihnen hervor. Dann, leise und kaum vernehmbar, war ein leises Wispern zu hören. Ein Wispern, das aus meinem Mund kam. „Bitte, ....... Edward .....“ Meine Stimme war so dünn ... nur ein Hauch. Nicht mehr als ein aussichtsloses, tränenersticktes Flehen, mich von meinen Qualen zu erlösen. Der Konflikt in seinen Augen schien regelrecht aufzulodern. Sein Zittern verstärkte sich, übertraf meins nun um Längen. Machte mir aufs Neue Angst, weil ich wusste, gleich würde alles vorbei sein. Gleich würde ich sterben. Selbst seine Hände, die meine Handgelenke umschlossen, bebten. Veränderten im Sekundentakt die Kraft, mit der sie zudrückten. Sein Körper geriet immer mehr in Aufruhr; er zitterte am ganzen Leib und sein Gewicht, mit dem er mich in den Boden presste, wurde mal stärker mal schwächer. Ich schloss meine Lider, versuchte ein letztes Mal an etwas Schönes zu denken, und hoffte, es würde schnell gehen. Doch dann auf einmal ein starker Ruck und ein schmerzverzehrter Aufschrei, der mich zusammenzucken ließ, weil er nicht von mir kam. Ich spürte immer noch die nasse Erde unter mir, doch auf mir lastete plötzlich kein Gewicht mehr. Verstört blinzelte ich, wusste nicht, ob ich bereits tot war. Doch alles, was ich sah, war Edward Cullen, der langsam rückwärts taumelte und sich immer weiter von mir entfernte. Sein Blick war hilflos, während er immer wieder verzweifelt seinen Kopf schüttelte. Seine Lippen bewegten sich, formten stumme, lautlose Wörter, die mich nicht erreichten. In seinen Augen spiegelte sich Schock und Fassungslosigkeit wieder, als sie auf mich herab starrten, so als könnte er nicht glauben, was er getan hatte. Ein ewiger Moment der Stille umgab uns, bis er sich umdrehte und blitzartig im Wald verschwand. Er war weg. Von der einen Sekunde auf die andere war er weg. Einfach verschwunden. Ließ mich im Dreck liegen und hatte unerwartet die Flucht ergriffen. Vollkommen aufgelöst und am ganzen Körper zitternd starrte ich ihm nach, starrte auf die Stelle, wo ich ihn zuletzt gesehen hatte. Spürte nach wie vor die Todesangst in meinen Knochen und spürte mein Herz, das mir bis zum Hals schlug. War es tatsächlich vorbei? Hatte er mir mein Leben gelassen? Oder würde er jeden Moment wieder hier auftauchen, um mich doch noch zu töten? Panik war es, die meine gelähmten Glieder plötzlich in Bewegung setzte und die mich dazu veranlasste, mich hektisch aufzurappeln, nur um gleich wieder zu stürzen. Ich hatte nicht einberechnet, wie weich meine Knie waren und wie sehr meine Muskeln unter Strom standen, die mein Gewicht kaum halten konnten. Aber ich wollte nicht aufgeben, wollte nicht warten, bis er zurückkommen würde, stützte mich ein weiteres Mal im Schlamm ab und stolperte einfach los. Ich rannte durch den Wald, so, als ginge es um mein Leben, und genau das tat es auch: Ich rannte um mein Leben. Man sagte das immer so daher, aber zu wissen, was es bedeutete, war schrecklich. Ich sah die großen Bäume nur so an mir vorbeiziehen, achtete nicht auf die Schmerzen, wenn ich hinfiel, und stand stattdessen einfach wieder auf. Drehte mich kein einziges Mal um und hatte immer das Gefühl, von ihm verfolgt zu werden, gleich von ihm gepackt und dieses Mal endgültig getötet zu werden. Zweige, die ich zu spät gesehen hatte, peitschten in mein Gesicht, doch auch sie konnten mich nicht aufhalten. Wenn meine Hose an Dornenbüschen hängen blieb, riss ich mich einfach weiter. Meine Gedanken überschlugen sich und doch ergaben sie keinen Sinn. Aber meine Beine rannten und rannten, so wie sie es noch niemals zuvor getan hatten. Meine Lunge keuchte, gab nur noch japsende Geräusche von sich, als nach langer, endlos scheinender Zeit - obwohl ich bereits nicht mehr daran geglaubt hätte - Charlies Haus vor mir auftauchte. Ich kam nicht auf den gleichen Trampelpfad heraus, den ich beim Losgehen eingeschlagen hatte, aber das war egal. Ich hatte es erreicht, das war alles, was zählte. Eine leichte Woge der Erleichterung überkam mich, da Charlies Streifenwagen noch nicht in der Auffahrt stand. Wahrscheinlich hätte er mich sofort in eine Klinik oder sonst wohin gebracht, wenn er mich so gesehen hätte. Ich stürmte zur Haustür, die ich erst nach fünf Versuchen öffnen konnte, weil mir immer wieder der Schlüssel hinuntergefallen war. Bibbernd schleppte ich mich die Treppen nach oben, stolperte in mein Zimmer und warf die Tür hinter mir zu. Völlig erschöpft, fix und fertig, nass bis auf die Haut und psychisch am Ende ließ ich mich an der Innenseite meiner Tür hinunter gleiten. Ich zog meine Beine an, schlang meine Arme darum und suchte vergeblich nach einem Halt. Ich fühlte mich nicht besser, nur weil ich Zuhause war, ich hatte immer noch bei jedem Atemzug Angst. Angst, er würde plötzlich neben mir stehen und da weitermachen, wo er aufgehört hatte. Unaufhaltsam liefen Tränen über meine Wange, wärmten meine eiskalte Haut und tropften von meinem Kinn auf meine Knie. Geschüttelt von Weinkrämpfen wippte ich immer wieder vor und zurück, konnte nicht begreifen, was geschehen war. Nach und nach fing ich an, die Schmerzen zu spüren, die mir Edward und meine anschließende Flucht zugefügt hatten. Meine Rücken, meine Handgelenke, meine Knie – alles schien zu brennen, wurde viel heißer als der Rest meines Körpers und pulsierte stark. Dennoch, nichts war so schlimm, wie die Angst, die mich beherrschte. Was sollte ich nur tun? Wenn ich meinem Dad davon erzählte, würde er mich entweder in die Psychiatrie einweisen lassen oder einen riesigen Rummel daraus machen. Wobei Ersteres viel wahrscheinlicher war. Jeder mochte die Cullens, sie waren gute, wohlerzogene Schüler und ihr Vater ein angesehener Arzt. Wer würde mir verrufenen und absonderlichen Menschen schon diese utopische Geschichte, die sich im Wald zugetragen hatte, glauben? Wie würden die Leute reagieren, wenn ich sagen würde, ich hätte Edward Cullen dabei erwischt, wie er Blut von einem Reh trank, und dass er mich anschließend umbringen wollte? Niemand würde mir glauben. Sie würden mich alle für verrückt erklären. Außerdem, was würde Edward tun, wenn ich ihn verraten würde? Wieder schlichen sich seine schwarzen Augen in mein Gedächtnis, die mich sofort noch mehr erzittern ließen. Nie wieder wollte ich ihn sehen! Nie wieder wollte ich ihm begegnen müssen! Warum hatte er mich überhaupt verschont? Warum war er auf einmal zurückgewichen und hatte mich so entsetzt angestarrt? Weshalb hatte er es sich plötzlich anders überlegt? Hatte er eine gespaltene Persönlichkeit? Immer hatte mich etwas von ihm gewarnt, immer wusste ich, es gab etwas Gefährliches an ihm. Doch meine Vermutungen, die ich bisher angestellt hatte, waren alle viel zu harmlos. Ich hatte mich immer gefragt, wie er war. Das war die falsche Frage, denn die richtige wäre gewesen: was er war. Und jetzt wusste ich es, kannte die Antwort mehr, als ich mir in meinen schlimmsten Albräumen vorgestellt hatte: Edward Cullen war der Teufel. Kapitel 2: Rätselhaft --------------------- Das 2. Kapitel ist von mir, Zespri. Ich hoffe, es gefällt euch eben so gut wie das erste. Geprüft und genehmigt wurde es sowohl von absinthe_feane als auch von dubdug. Viel Spaß beim Lesen. Wir freuen uns auf eure Meinungen ;) ---------------------------------------------------- Rätselhaft Schwarze Augen bohrten sich tief in meine, mein Atem ging flach, ich spürte wie mein Herz laut und schnell gegen meine Brust pochte. Das blasse, perfekt geschnittene Gesicht kam immer näher, war nur noch Zentimeter von meinem entfernt. Ich versuchte auszuweichen, wegzurennen, aber ich hatte keine Chance. Ich wusste nicht, was passieren würde, ich wusste nicht, was er tun würde, ich wusste nicht, ob ich überhaupt überleben würde. Er machte einen schnellen Satz nach vorne, seine Hand schloss sich um meine Kehle, sein Körper drückte sich gegen meinen, mein Rücken wurde gegen den Baumstamm gepresst. Ich spürte die raue Rinde an meiner Haut, spürte wie mein Pullover weiter nach oben rutschte, spürte wie der Schmerz langsam meinen Körper hinauf kroch. Seine blutroten Lippen strichen über meinen Hals, berührten meine Kehle, glitten über das Schlüsselbein. Würde ich das gleiche Schicksal tragen wie das unschuldige Reh? Würde überhaupt jemand bemerken, dass ich fort war, Opfer des Teufels geworden war? Würde wenigstens Charlie mich vermissen? Es war traurig, dass ich keine Antwort auf diese Fragen geben konnte. Ich wusste es nicht, wusste nicht, was geschehen würde, wenn er mich wirklich umbrachte… Seine Lippen ließen von meiner Haut ab, unsere Gesichter waren wieder auf einer Höhe, seine schwarzen Augen funkelten mich gierig an, ich wusste sie waren die Höllenschlunde. Meine ganz persönlichen Höllenschlunde, sie würden mich verfolgen, mir nachrennen, mich nie wieder in Ruhe lassen. Sein Griff um meinen Hals hatte sich gelockert, vielleicht sollte ich einen Fluchtversuch starten, versuchen wegzurennen, fort von ihm, fort von der Angst, fort aus diesem Waldstück, fort von den schwarzen, brennenden Augen. Aber hatte ich eine Chance? Konnte ich Erfolg haben? Vermutlich nicht. Er war zu schnell, zu stark, zu teuflisch… und ich viel zu schwach…. Trotzdem wollte ich nicht aufgeben, trotzdem musste ich kämpfen. Ich nutzte die eine kurze Sekunde, in der er mich nicht berührte und duckte mich unter ihm durch, rannte, versuchte vor ihm zu flüchten. Ich hatte keine Chance, natürlich nicht. Innerhalb einer Nanosekunde hatte er mich wieder gepackt und auf den Rücken geworfen. Einige Tannenzapfen drückten sich grob in meinen Rücken, das feuchte Laub hingegen war weich und fast schon angenehm. Aber eigentlich waren diese Nebensächlichkeiten egal… Edward würden sie auch nicht interessieren, wahrscheinlich nahm er es überhaupt nicht wahr. Wahrscheinlich ergötzte er sich nur an meinem Anblick, genoss das Entsetzen, die Panik in meinen Augen, registrierte mit kühlem, überheblichen Lächeln mein Zittern, grinste ekelerregend böse, weil ich vor Angst noch nicht einmal Schreien konnte… Ängstlich schloss ich die Augen, wartete auf den Todesstoß, auf meine Erlösung. Ich lauschte dem leisen Rascheln der Bäume, dem melodischen Flöten der Vögel…. und hörte etwas, was so gar nicht in diese scheinbare Idylle passte. Leises, aber immer lauter werdendes Piepen. Es war nervig und ich konnte es nicht einordnen… Ich blinzelte leicht und nahm langsam neue Umrisse wahr, gewohnte Konturen und Silhouetten. Verwirrt musterte ich meine Umgebung und erkannte mein Zimmer und auch die Quelle des Piepens, meinen Wecker. Leise stöhnte ich auf und fuhr mir durchs Haar. Ein Traum. Wieder ein Traum. Wie in den letzten Nächten auch. Sie wiederholten sich ständig und ich hasste es. Selbst im Schlaf hatte ich Angst, selbst im Schlaf verschwand er nicht…. Dabei wollte ich es endlich vergessen, dabei wollte ich den Vorfall der nun schon vier Tage her war, aus meinem Leben streichen. Ich tat schon alles, um ihn nicht zu sehen, um ihm nicht zufällig wieder zu begegnen. Ich verließ kaum mehr das Haus, verschanzte mich in meinem Zimmer. Einmal war ich bisher draußen… und das nur, weil ich einkaufen gehen musste. Mir war egal, was Charlie davon dachte und mir war egal, dass ich den Unterricht verpasste. Mir war egal, dass ich den Test versäumt hatte und mir war es nicht wichtig, was der Lehrer denken würde. Das einzige was mir wichtig war, war Edward nicht mehr zu begegnen. Zu prägend waren die Ereignisse, zu schmerzvoll, zu beängstigend. Ich stand auf und schaltete das Licht ein. Vor mir im Spiegel stand ein dünnes, verschüchtertes Mädchen, das sich versteckte, das nicht gerne hier war. Vor mir stand das Abbild eines Mädchens, das fürchterliche Angst hatte. Als ich mich auszog, glitt mein Blick wieder zu meinen Handgelenken, zu jenen Stellen, die seit dem verhängnisvollen Tag angeschwollen und blau waren. Langsam wurde die Farbe wieder blasser, etwas angenehmer. Gestern waren sie noch so dunkel, dass die Flecken fast schwarz waren. Es war angsteinflößend. Edward hatte eine ungeheure Kraft und schreckte nicht davor zurück, sie zu seinen Gunsten zu nutzen. Meine Handgelenke waren ihre Zeugen. Ich versteckte sie vor Charlie. Ich wollte nicht, dass er Fragen stellte, die ich ja doch nicht beantworten konnte. Was hätte ich ihm sagen sollen? Ein Schulkamerad hatte mich im Wald überfallen? Ich hatte gesehen, wie er ein Reh getötet, sich von dessen Blut genährt und sich dann auf mich gestürzt hatte Charlie würde mich für verrückt erklären…. und ich konnte es ihm nicht verübeln. Manchmal dachte ich auch, ich sei verrückt, ich hätte mir die Szene eingebildet, die Geschehnisse geträumt. Aber ein Blick auf meine Handgelenke genügte und ich wusste es war die Realität. Nichts war ausgedacht, nichts erfunden. Edward Cullen war böse, Edward Cullen war gewalttätig und ich hatte fürchterliche Angst vor Edward Cullen. Ich wollte ihn nicht mehr sehen, nie, nie wieder. Genau aus diesem Grund würde ich auch heute nicht zur Schule gehen. Mir fehlten der Mut und die Kraft dazu. Schon allein der Gedanke daran, im selben Gebäude wie Edward Cullen zu sein, ließ meinen Körper reagieren. Gänsehaut, wildes Herzklopfen, eine trockene Kehle und entsetzliche Panik waren meine Reaktionen. Und das, wenn ich nur an ihn dachte… ich konnte mir nicht vorstellen, was geschehen würde, wenn ich ihm wieder gegenüber stand. Ich wollte es auch gar nicht… Still und immer noch in Gedanken verloren ging ich die Treppen hinunter, hinein in unsere kleine Küche, wie in den letzten Tagen auch schon, eigentlich wie immer. Obwohl ich seit dem Vorfall nicht mehr in der Schule war, versuchte ich dennoch vor Charlie die Fassade aufrecht zu erhalten. Er dachte ich würde jeden Morgen zehn Minuten nach ihm das Haus verlassen und zur Schule fahren. Er lag falsch. Sobald er aus dem Haus ging und sein Wagen nicht mehr ihn Sichtweite war, rannte ich ins Wohnzimmer und schaltete unseren Fernseher ein. Nicht, weil ich Langeweile hatte und mir irgendwelche Sendungen oder Shows ansehen wollte, sondern einfach nur, damit die Stille im Haus mich nicht erdrückte, damit sie verschwand. Wenn es still war, waren die Gedanken und Erinnerungen an Edward noch viel schlimmer und ich hatte Angst einen Laut von mir zu geben, hatte Angst davor, etwas fallen zu lassen. Immer wieder dachte ich an den Tag im Wald und immer wieder wurde mir bewusst, dass ein kleines Geräusch, ein knackender Ast, zu meinem Verhängnis geworden war. Seitdem hasste ich die Stille, seitdem konnte ich sie nicht ertragen… „Morgen, Isabella“, hörte ich Charlie murmeln und mir wurde klar, dass ich die Küche erreicht hatte. Ich zwang mich zu einem leichten Lächeln und einem Morgengruß, während ich zum Küchenschrank ging und mir eine Schüssel für meine Cornflakes herausnahm. Ich war froh, dass Charlie so unaufmerksam war, dass er kein Gefühlsmensch war, dass er dachte, es wäre alles in Ordnung. Es erleichterte mich. So bereitete ich ihm immerhin keine Probleme. Leise setzte ich mich zu ihm an den Tisch und begann zu essen. Es war fast still, das einzige Geräusch war das Rascheln der Zeitung, die Charlie las. Ab und zu nahm er einen Schluck aus seiner weißen Kaffeetasse, langsam lief ein dünnes Rinnsal der braunen Flüssigkeit über das Porzellan. Es erinnerte mich an das rote Blut, das über Edwards blasses Kinn gelaufen war und unwillkürlich erschauerte ich, meine Hand zitterte leicht und die von Milch getränkten Cornflakes auf meinem Löffel tropften auf den Tisch. Schnell stand ich auf und holte einen feuchten Lappen, bereinigte mein Missgeschick. Mein Vater sah auf und musterte mich kurz, bevor er die Zeitung zusammenfaltete und aufstand. „Noch müde?“, fragte er und ich nickte als Antwort, nicht fähig zu sprechen. „Hmm… schlaf in der Schule nicht ein… ist wichtig… College und so“, brummte Charlie, während er seine Jacke vom Stuhl nahm und sie anzog. „Ja, ich weiß… Dad…“, murmelte ich und wich seinem Blick aus. Ich hoffte, er würde nie herausfinden, dass ich seit Tagen nicht zur Schule ging und auch nicht vor hatte, diese Woche noch einmal das Haus zu verlassen. Er sollte nicht erfahren, dass ich am liebsten ins nächste Flugzeug gesprungen und ganz weit weg geflogen wäre…. Drei Tage später stand ich unter der schmalen Dusche unseres Badezimmers. Ich lehnte den Kopf an die Fliesen und schloss die Augen. Das warme Wasser tat gut und umschmeichelte meine angespannten Muskeln. Ich hatte gehofft, ich würde unter der Dusche etwas entspannen, aber es funktionierte nicht. Ich hatte beschlossen, heute wieder zur Schule zu gehen. Ich musste. Eine ganze Woche hatte ich mich versteckt, versucht mich unsichtbar zu machen, die Schule zu vergessen. Aber so ging das nicht weiter. Irgendwann musste ich wieder hingehen, bevor jemand Fragen stellte… Wieso ich dem Unterricht fernblieb, ob ich sehr krank war oder, oder, oder. Forks war klein und Forks hatte überall Ohren. Ich wollte das Risiko nicht eingehen, dass Charlie herausfinden würde, dass ich eine ganze Woche lang die Schule gemieden hatte. Ich aß kaum, die Cornflakes schwammen aufgeweicht in der Milch herum und mir fehlte der Appetit. Zu groß war die Angst, zu groß war die Furcht vor einem Treffen mit Edward Cullen. Ich war froh, dass wir keinen Unterricht miteinander hatten, aber das schloss ein Zusammentreffen nicht aus. Die High-School war klein, jeder kannte jeden und jeder sah auch jeden. Ich würde Edward sehen… aber viel schlimmer war… Edward würde auch mich sehen. Unwillkürlich fragte ich mich, was er tun würde. Er konnte mich nicht so angreifen wie im Wald. Das wäre unmöglich, verboten. In der Schule waren unsere Mitschüler und die Lehrer. Es war unvorstellbar, dass er sich auf dem Flur auf mich werfen oder mich in der Mensa zu seinem Mittagessen machen würde. Aber "unvorstellbar" war mittlerweile ein Wort, das nicht länger in meinen Wortschatz gehörte. Vor einer Woche hätte ich noch gesagt, es wäre unvorstellbar, dass jemand von einem Reh trank, es wäre unmöglich, sich so zu verhalten wie Edward Cullen an jenem Tag, aber ich wurde eines Besseren belehrt. Ich hatte das Unvorstellbare mit eigenen Augen gesehen und würde es nie wieder vergessen, nie wieder. Seufzend spülte ich meine Cornflakes den Abfluss herunter und stellte die Schüssel in die Spüle. Ich brachte nichts herunter und es hatte keinen Sinn mich, weiter dazu zu zwingen. Es würde ja doch nichts an der Situation ändern… Mein Transporter fuhr röhrend auf den Schulhof und sofort richteten sich alle Blicke auf mich und mein Gefährt. So langsam sollten sie sich an den Geräuschpegel gewöhnt haben. Außerdem parkte ich eh gerade ein und würde den Motor gleich ausstellen, sodass sie ihre Unterhaltungen, Lästereien und Liebesschwüre fortführen konnten. Mein Blick glitt schnell über den Parkplatz, suchend sah ich mich um und ich spürte sofort, wie mein Herz ein wenig leichter wurde. Kein silberfarbener Volvo, er würde sofort aus den anderen Autos herausstechen… nur deswegen wusste ich auch, was Edward Cullen für ein Auto fuhr, er stach aus allen anderen hervor. Aber heute war er nicht da. Das war gut, das erleichterte mich, ließ mich ein wenig Lächeln. Kein Volvo, kein Edward. Vielleicht würde ich den Tag doch irgendwie überstehen. Ich schnallte mich ab und beugte mich herunter, um meinen Rucksack vom Boden der Beifahrerseite aufzuheben, aber stoppte mitten in meiner Bewegung. Genau auf dieser Seite parkte der Wagen gerade ein, genau auf dieser Seite war Edward Cullen in seinem Volvo… zusammen mit seinen Geschwistern. Meine Hand klammerte sich an meinen Rucksack, meine Knöchel traten weiß hervor und ich spürte wie mein Herz immer schneller gegen meine Brust klopfte. Ich hörte das Blut in meinen Adern rauschen, ich bemerkte, wie ich anfing zu zittern. Edward Cullen… Mein Mund war trocken und in meinem Hals hatte sich ein Kloß geformt… Sofort wiederholten sich verschiedene Szenen, alle auf einmal. Die schwarzen Augen, die harten, kalten Hände, die sich um meine Handgelenke schlangen, sein Körper, der sich grob an meinen presste, das Blut, das seine Lippen bedeckte… Ich entließ einen leisen, schrillen Ton, einen Ton voller Angst und Panik. Ich schoss vor und drückte den Knopf des Wagens herunter, damit er sich verschloss, damit Edward nicht hereinkam. Ich wusste nicht, ob es etwas brachte, ob er nicht doch irgendwie hereinkommen würde, aber ich fühlte mich etwas sicherer, etwas wohler… Mein Blick war weiterhin auf das silberne Auto gerichtet und still beobachtete ich, wie die Fahrertür sich öffnete und Edward ausstieg. Das Schlagen meines Herzens wurde noch schneller und es geriet völlig aus dem Takt. All meine Fluchtinstinkte waren geweckt, aber ich wusste, dass eine Flucht wenig Sinn machte. Ich hatte doch eh keine Chance gegen ihn… Ich sollte versuchen, in die Masse der Schüler zu kommen, hinein in die Unsichtbarkeit, hinein in die Anonymität der Menge. Aber vermutlich war ich selbst dort nicht sicher. Edward Cullen war nicht normal, er würde mich finden und er würde mit mir tun, was auch immer er wollte. Ich hatte keine Chance. Keine. Er stieg aus, sein Anblick perfekt. Wie aus einem Modemagazin entsprungen, wie der perfekt aussehende Mann. Aber ich hatte hinter seine Fassade geblickt, ich kannte sein Geheimnis, ich wusste, dass er alles andere als perfekt war, ich wusste, dass er gefährlich war. Gefährlich und böse. Blutrünstig und brutal. Wer sich ihm in den Weg stellte, wer ihn entdeckte, war ihm schutzlos ausgeliefert, war seine Beute. Wehrlos, ungeschützt, hilflos. Ich wusste, er hatte mich gesehen, ich wusste, dass er aus Berechnung direkt neben mir geparkt hatte. Sein Blick glitt zu mir, seine Augen bohrten sich in meine, hielten sie gefangen. Ich konnte nicht wegsehen, das war unmöglich. Es war wie ein Bann und ich hatte Angst… blanke Panik. Er schien seinen Blick nicht abzuwenden, er wollte mich weiter ansehen, mich nieder starren, vielleicht mir noch mehr Furcht einjagen. Als wenn das nötig gewesen wäre… Erst als die blonde, überirdisch schöne Frau, sie hieß Rosalie, ihm mit dem Ellbogen in die Rippen stieß und ihm etwas harsch ins Ohr flüsterte, wandte er den Blick von mir ab und schulterte seine Tasche. Er warf noch einmal einen Blick zurück, er sah irgendwie traurig aus, bekümmert und bedrückt. Aber darüber wollte ich nicht weiter nachdenken… Hauptsache er war weg, fort von mir. Ich sah wie er mit seinen Geschwistern das Schulgebäude betrat, er schien heftig mit Rosalie und Alice zu streiten, bevor er seinen Schritt beschleunigte und die beiden Mädchen hinter sich ließ. Ob sie auch so waren wie er? So abgedreht, so abscheulich, so grausam? Kurz darauf fingen die beiden an, miteinander zu diskutieren und ich seufzte leise. Ob es um mich ging? Ob sie wegen mir eine Auseinandersetzung hatten? Vielleicht waren sie wütend auf Edward… wütend darauf, dass er mich angegriffen hatte… Oder wütend, weil er sein Werk nicht vollendet hatte, weil ich noch lebte…. Mir lief ein eiskalter Schauer über den Rücken und meine Stirn senkte sich auf das Lenkrad. Warum ich? Warum musste ausgerechnet ich Edward im Wald entdecken? Warum konnte es nicht jemand anderes gewesen sein? Warum war das Schicksal so gegen mich? Ich hatte nie etwas Böses getan, ich war zuhause, machte den Haushalt, feierte keinen wilden Partys, trank keinen Alkohol, nahm keine Drogen… Wenn ich Freunde und gute Noten hätte, wäre ich ein Vorzeige-Teenager. Wieso wurde ich also so bestraft? Wieso musste ich jetzt tagtäglich um mein Leben fürchten? Ich würde darauf nie eine Antwort bekommen und ich hasste es…. Die Schulglocke läutete und erinnerte mich daran, zum Unterricht zu gehen. Edward und seine Familie müssten mittlerweile in ihren jeweiligen Unterrichtsräumen sein, also ging keine Gefahr mehr von ihnen aus. Für den Moment. Ich stieg aus meinem Truck und schloss die Tür mit einem lauten Knarren, bevor ich zu meinem Klassenraum lief. Ich eilte über das blaue Linoleum und achtete kaum auf meine Umgebung. Mr. Banner war schon da und ich zwang mich zu einem entschuldigenden Lächeln. Es war schwer zu Lächeln, ich hatte es in der letzten Woche verlernt, ich hatte nichts zu lächeln. „Verzeihung, ich bin etwas spät“, murmelte ich und wollte zu einem freien Tisch gehen, wurde aber zurückgehalten. „Geht es Ihnen wieder gut, Miss Swan?“, wurde ich gefragt und still nickte ich. Ich wollte nicht weiter darüber reden, ich war ohnehin eine grottenschlechte Lügnerin. „Gut. Sie haben die Klausur verpasst. Ich bringe Sie in Raum 57 zu Mr. Mills. Er lässt seine Klasse in diesen Stunden auch eine Klausur schreiben, dort können Sie dann ungestört nachschreiben. Ich hoffe Sie haben die Zeit genutzt und viel gelernt… Sie haben es nötig.“ Ich wurde ziemlich blass und meine Augen weiteten sich leicht. Die Klausur… Ich hatte die Klausur vollkommen vergessen, überhaupt nicht mehr daran gedacht. Dementsprechend hatte ich auch nicht gelernt. Mein Kopf war in der letzten Woche mit anderen Dingen beschäftigt. Da hatte ich weder die Ruhe noch die Nerven an irgendeine Klausur zu denken. Still folgte ich zum Klassenraum und versuchte panisch, mich an irgendetwas zu erinnern. Natürlich klappte es nicht. Eigentlich könnte er gleich null Punkte auf ein leeres Blatt Papier schreiben. Mehr würde bei dem Test auch nicht herauskommen…. „Warten Sie kurz draußen, ich bespreche das“, meinte er, bevor er die blaugraue Tür öffnete und den Raum betrat. Es dauerte nur einige Sekunden, bevor er wieder herauskam und mir zulächelte. „Es ist alles geklärt. Hinten in der Mitte ist Ihr Tisch. Viel Glück“, meinte er und ging dann den Gang entlang zurück zu seinem Raum. Ich seufzte leise und betrat das Klassenzimmer mit dem Wissen, kaum Wissen zu haben. Ich lächelte Mr. Mills scheu an und suchte dann mit den Augen nach meinem Einzeltisch. Ich fand ihn schnell ohne mich groß umsehen zu müssen und ging mit gesenktem Blick zu meinem Platz. Ich wollte niemanden ansehen, es reichte schon, dass mich alle anstarrten. Still beäugte ich den Zettel, musterte die Fragen. Die erste konnte ich beantworten. Gut. Ich beugte mich zu meinem Rucksack herunter und kramte einen Kugelschreiber hervor. Gerade als ich mich wieder aufsetzte, gerade als ich anfangen wollte, glitt mein Blick nach links und mein Herz stolperte unsicher. Ich kannte die schwarze Tasche, die neben mir am Stuhl lehnte. Ich hatte sie noch vorhin mit ihrem Träger gesehen. Ganz langsam glitt mein Blick weiter hoch, musterte die helle Jeans, erkannte das blaue Hemd und die weißen Arme. Seine Finger hielten einen silberfarbenen Füller und als ich in sein Gesicht sah, zuckte ich automatisch zurück. Auch er sah mich an, seine Augen schienen mich wieder zu durchbohren und sofort bekam ich rasende Panik, fürchterliche Angst. Doch irgendetwas war anders, anders als sonst, anders als vor einer Woche im Wald. In seinen Augen erwartete mich nicht die Schwärze, die mich jede Nacht verfolgte, nicht der Jagdtrieb, nicht die Wut, nicht die Erregung, nicht die Grausamkeit... Seine Augen waren goldbraun, fast warm und vertrauenserweckend. Zumindest für Außenstehende, für Menschen, die nicht das Selbe gesehen hatten wie ich. Für mich waren sie gleichermaßen furchteinflößend, mir machten sie trotzdem Angst und ich war mir ganz sicher, ich würde ich weiterhin Albträume von ihnen bekommen. Aber ich verstand nicht, warum sie ihre Farbe gewechselt hatten. Wie war das Möglich? Noch einmal wagte ich einen Blick in seine Richtung. Er schien etwas sagen zu wollen, mir näher kommen zu wollen und ich rutschte sofort bis an die letzte Ecke meines Tisches, klammerte mich mit den Händen an der Kante fest. So sehr, dass meine Knöchel weiß hervor traten. Er sollte weggehen, er sollte verschwinden, einfach nicht hier sein. Er sollte in irgendeine Klinik, oder zurück in die Hölle. Aber er sollte nicht hier in der Forks High-School sein und neben mir sitzen, mir Angst einjagen. Ich spürte wie mein gesamter Körper zitterte, ich spürte wie mein Herz wild gegen meine Brust pochte, eilig das Blut durch meinen Körper schoss und ich sah, wie Edwards Augen wieder schwarz wurden, sah wie sie mich musterten, als wäre ich seine Beute. Die Szene im Wald wiederholte sich vor meinen Augen rasant schnell. Ich versuchte mich auf das Blatt Papier vor mir zu konzentrieren, aber ich scheiterte miserabel. Die Buchstaben tanzten vor meinen Augen und als ich den Kugelschreiber ansetzte und meinen Namen auf den Testbogen bringen wollte, brachte ich nur ein zittriges, krakeliges „Isa“ hervor, bevor der Stift aus meiner Hand fiel und mit einem leisen Geräusch über den Tisch rollte. Ich konnte meinen Namen nicht beenden, konnte nicht das „bella Swan“ zu dem „Isa“ hinzufügen, geschweige denn überhaupt die Fragen beantworten. Edward Cullen kontrollierte mich, Edward Cullen kontrollierte meine Gedanken, meinen Körper, mein Leben. Ich hasste es, ich konnte es aber auch nicht ändern. Es war etwas, auf das ich keinen Einfluss hatte. Er musste mich nur ansehen und ich bekam Panik, ich musste nur seinen Namen hören und schon begann mein Herz schneller zu schlagen. Und dass er jetzt hier war… mit mir in einem Raum, direkt neben mir… war die absolute Hölle. Ich wusste nicht, was er mit mir tun würde, aber dass seine Augen wieder pechschwarz waren, konnte nichts Gutes bedeuten. Es bedeutete, dass er sich gleich auf mich stürzen, meine Handgelenke packen und mich auf den Boden werfen würde. Er würde sich über mich beugen, so, dass ich ihn ansehen musste. Er würde sich mir näheren, er würde kurz lächeln und sich dann an mir vergreifen. Er würde mich töten, er würde mich aussaugen, genauso wie er es mit dem Reh getan hatte. Es würde genauso sein wie im Wald… nur mit dem Unterschied, dass mich dieses Mal das gleiche Schicksal ereilen würde wie das unschuldige Reh… Ich würde sterben… Weil Edward Cullen es so wollte. Mein Atem ging stockend und zitternd stand ich auf. Ich konnte nicht hier bleiben und warten, dass er es tat. Ich musste wenigstens um mein Leben kämpfen und in diesem Moment bestand dieser Kampf aus Flucht. Körperlich hatte ich keine Chance gegen ihn. Das hieß, ich musste ihm gedanklich immer einen Schritt voraus sein. Ich sah noch einmal kurz zu ihm, vielleicht in der Hoffnung, er wäre verschwunden, oder würde mich wenigstens nicht mehr anstarren, aber natürlich war dies nicht der Fall. Ich traf sofort auf seine Augen, die mich immer noch musterten, sah seine Hand, die zur Faust geballt war und ein erstickter Laut verließ meine Lippen. Sofort war ich auf den Beinen, meine Hand war fest um meinen Rucksack geschlossen, der Stuhl knarrte laut und sofort richteten sich alle Augen auf mich. Aber das war mir egal. Mir war alles egal. Die Aufmerksamkeit, der Test, der Lehrer, meine Noten. Alles. Das einzige was nicht egal war, war die Präsenz Edwards und die Furcht, die sie in mir auslöste, die nackte Panik. „Miss Swan, wo wollen Sie denn hin? Sind Sie schon fertig?“, hörte ich Mr. Mills Stimme aus der Entfernung und fahrig nickte ich, bevor ich dann übereilt aus dem Klassenraum stürzte und spürte, wie mir die Tränen über die Wangen liefen und ich noch immer am ganzen Körper zitterte. Ich lief zu den Mädchentoiletten und schloss mich in eine der Kabinen ein. Mein Kopf lehnte sich an die kühlen Fliesen und nur langsam beruhigte ich mich, nur langsam hörte das Zittern auf. Ich wäre am liebsten in mein Auto gesprungen und zurück nach Hause gefahren, dorthin, wo ich mich einigermaßen sicher fühlte, dorthin, wo ich keine Angst haben musste, Edward zu begegnen. Das hieß aber auch, er würde noch mehr über mein Leben bestimmen als ohnehin schon, das hieß auch, er hätte gewonnen. Und ich wollte ihn nicht gewinnen lassen. Er war sadistisch, er schien mich gerne zu quälen, mich an meine Grenzen zu bringen. Er wollte die Oberhand haben, aber das wollte ich nicht zulassen, das konnte ich nicht zulassen… Schnell wischte ich mir die Tränen von der Wange und stand auf, streckte mich kurz. Nein, ich würde mich nicht von Edward Cullen nieder bringen lassen. Den Satz sagte ich mir so oft in Gedanken vor, bis ich ihn endlich glaubte, bis ich endlich dieser festen Überzeugung war. Ich bekam nicht wirklich viel von meinem Unterricht mit, meine Gedanken schwirrten um Edward und darum, dass ich mich nicht unter kriegen lassen würde, dass ich keine Panikattacken mehr in seiner Nähe haben würde. Auch als ich in die Mensa ging, beschwor ich mich mit diesem Satz. Ich würde stark sein, ich würde Edward Cullen nicht mein Leben bestimmen lassen. Ich nahm mir eine Kleinigkeit zu essen und setzte mich an meinen gewohnten Tisch ganz hinten in dem weiß getünchten Raum. Ich öffnete den Saft und zog mein Buch aus dem Rucksack. Ich versuchte die Buchstaben zu entziffern, versuchte sie zu sinnvollen Sätzen zusammenzufügen, aber es funktionierte nicht. Es funktionierte vor allem nicht, als die gesamten Cullen-Kinder die Mensa betraten. Ich wollte nicht, dass mein Herz so schnell schlug, ich wollte nicht, dass mein Körper wieder anfing zu zittern und sofort verkrampfte ich mich, um dem entgegen zu wirken. Aber natürlich klappte es nicht. Natürlich hatte ich keinen Einfluss mehr auf meinen Körper und meine Reaktionen. Ich versuchte mich auf mein Essen zu konzentrieren, versuchte den Joghurt zu öffnen, aber immer wieder rutschte ich ab. Viel zu sehr zitterten meine Hände. Ich stöhnte leise und verbarg mein Gesicht in meinen Händen. Ich bekam nichts mehr auf die Reihe, gar nichts. Mein Versprechen mir selbst gegenüber, mich von Edward Cullen nicht nieder bringen zu lassen, konnte ich nicht einhalten. Sobald ich ihn sah, vergaß ich alles und die Angst war mein einziger Begleiter. Meine Augen weiteten sich erschrocken, als ich wieder aufsah und entdeckte, dass Edward in meine Richtung ging. Sein Blick war auf mich gerichtet, er lächelte leicht. Es sah so aus, als würde er unschuldig wirken wollen, ungefährlich, aber es klappte nicht. Zumindest nicht bei mir. Möglicherweise konnte er die anderen täuschen, aber ich wusste, dass nichts an ihm unschuldig war, dass er keine reine Weste hatte, dass er nicht unbefleckt war… Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal bereuen würde, alleine zu sitzen, aber jetzt tat ich es. Es tat weh zu wissen, dass ich keine Freunde hatte, die hinter mir stehen würden, wenn Edward noch näher kam. Es tat weh zu wissen, dass niemand mich beschützte, dass sich niemand um mich kümmerte… Ich wollte, dass ein Freund sich zwischen mich und Edward stellte, oder zumindest neben mir stand und mich unterstützte, aber das würde nicht passieren… Isabella Swan hatte keine Freunde. Weder in Phoenix noch hier in Forks. Ich war eine Außenseiterin, schon immer gewesen. Und genau das wurde mir zum Verhängnis. Hätte ich Freunde gehabt, wäre ich nicht in den Wald gegangen. Wäre ich nicht in den Wald gegangen, hätte ich Edward nicht gesehen. Hätte ich Edward nicht gesehen, hätte er mich nicht gesehen. Hätte er mich nicht gesehen, hätte er sich nicht auf mich gestürzt, hätte mir keine Angst gemacht und würde jetzt nicht auf mich zukommen. Hätte ich Freunde, würde Edward Cullen sich von mir fern halten… Er war fast an meinem Tisch, als sich plötzlich eine Hand auf seinen Arm legte und Alice zu ihm sah. Sie sagte etwas und obwohl sie so nah waren, konnte ich nichts hören. Aber das, was sie sagte, musste Edward ungeheuer frustrieren. Man sah es in seinem Gesicht. Er nickte Alice kurz zu und drehte sich dann um, ging zurück zu seinem Stammplatz. Ich dachte, Alice würde ihm sofort folgen, aber stattdessen sah sie mich an und lächelte. Ich wusste nicht, wieso sie es tat, aber es machte mich nervös. Wusste sie, was geschehen war? Am nächsten Tag fuhr ich erst spät los. Viel später als sonst und als ich ankam, war der Schulhof voller Autos. Ich sah mich suchend um und erblickte den Volvo schnell. Er parkte neben einem alten Golf. Sofort fiel einem der Unterschied auf… glänzend und teuer, rostig und günstig. Ich legte den Rückwärtsgang ein und wendete, fuhr zum anderen Ende des Hofes. Auf keinen Fall wollte ich wieder neben Edwards Wagen parken. Gestern hatte ich eine Stunde länger in der Schule verbracht, nur um sicher zu gehen, dass wir nicht zur gleichen Zeit zurück fuhren. Die Angst war zu groß, er würde mir folgen und mich vor der Haustür überfallen… Jetzt parkte ich weit entfernt und musste deswegen zwar ein wenig weiter bis zum Schuleingang gehen, aber das war mir egal. Hauptsache weit weg von Edward… Es war schon recht still in den Gängen, als ich die Schule betrat und ich nahm an, es hatte schon geschellt. Ich beeilte mich, um schnell zum Unterricht zu gelangen und kam gemeinsam mit meiner Englischlehrerin an. Ich lächelte ihr leicht zu und nahm dann auf meinem Stuhl neben Jessica Platz. Ich hatte nur Englisch und Mathe mit Jessica, worüber ich erleichtert war. Mehr hätte ich nicht ausgehalten. Sie war eine unglaubliche Klatschtante und wollte über alles und jeden Bescheid wissen. Zu Beginn hatte sie mich immer ausgefragt, hatte wissen wollen, warum ich nach Forks gezogen war, ob es mir denn gefiel, wie es in Phoenix war, ob ich einen Freund hatte, ob ich es bescheuert fand, dass mein Vater Polizist war, ob er mich schon einmal betrunken erwischt hatte und, und, und. Meistens ignorierte ich sie, weswegen sie mich als arrogant abgestempelt hatte. Als eigenbrötlerisch, als Freak… Für gewöhnlich flirtete sie mit Mike, wenn ich kam, aber heute musterte sie mich aus ihren großen Augen und sie schien etwas wichtiges sagen zu wollen. „Hallo Isabella“, flötete sie. „Hi“, murmelte ich und legte meinen Block auf den Tisch. „Du warst krank?“, fragte sie, woraufhin ich nur nickte. Gestern hatten wir keinen gemeinsamen Unterricht und ich hatte sie nur kurz in der Mensa gesehen. Natürlich fragte sie mich so etwas, wollte interessante Informationen aus mir herausquetschen, auch wenn sie sonst kein einziges Wort mit mir wechselte. Sie sprach mich nur an, wenn sie etwas von mir wollte. „Ne‘ ganze Woche? Ganz schön lang‘.“ Wieder nickte ich nur. „Aber dir geht’s ja jetzt wieder besser.“ Wieder ein Nicken. „Zum Glück.“ Nicken. „Edward Cullen hat nach dir gefragt…“ Mein Blick schoss sofort zu ihr und ich wusste, dass sie nur darauf gewartet hatte, mir das endlich zu sagen. Er hatte nach mir gefragt… Auf einmal fühlte ich mich wieder krank, auf einmal wäre ich am liebsten wieder verschwunden. Er hatte nach mir gefragt… er stellte Nachforschungen an. Wieder übermannte mich die Angst und ich ballte meine Hände zu Fäusten um mein Zittern zu verbergen. Jessica sollte nichts bemerken. „A-ach ja?“, fragte ich und meine Stimme klang schwach und ängstlich. „Ja. Nicht mich, aber Ben. Sein Onkel ist doch ein Kollege deines Vaters und er dachte wohl, er wüsste Bescheid, was dir fehlte, warum du krank bist. Ben meinte, er wüsste nichts und dann ist Edward wieder abgezogen. Aber komisch, oder, Isabella? Ich meine… wieso fragt ausgerechnet Edward Cullen nach dir? Ihr redet doch nie miteinander und ich glaube auch nicht, dass er irgendwie… romantisch an dir interessiert ist. Wirklich komisch. Ich überlege schon die ganze Zeit, wieso er nach dir fragt“, plapperte sie und mein Herz wurde immer schwerer, je mehr sie sagte. Nein, Edward Cullen war nicht romantisch an mir interessiert. Das Einzige, was Edward Cullen interessierte, war mein Blut, war mein Leben. Er wollte mich auslöschen, mich vernichten. Aber das konnte ich Jessica nicht sagen und zuckte als Antwort nur schweigend mit den Schultern. Vom Englischunterricht bekam ich nicht viel mit, meine Gedanken schwirrten um Edward und um seine Nachforschungen. Wieso konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Wieso musste er mich so… stalken? Mir solche Angst einjagen? Befriedigte ihn das irgendwie? Machte ihm das Spaß? Ich wusste es nicht und wahrscheinlich würde ich es nie erfahren, aber der Gedanke daran, dass er andere über mich ausfragte, machte mir noch mehr Angst, ließ mein Herz noch schneller schlagen. Was wäre, wenn er sie auch bedrohen würde, ihnen auch weh tun würde? Und das nur meinetwegen? Was war, wenn er Charlie etwas tun würde? Heftig klopfte mein Herz gegen meine Brust und ich hatte das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen. Erleichtert hörte ich, wie die Schulglocke das Ende der Stunde einläutete und schnell stand ich auf, um zu den Toiletten zu laufen. Blasse, dunkle Augenringe, große, ängstliche Augen. Genau das war mein Spiegelbild und es schmetterte mich nieder. Hatte ich gestern noch versucht, mir Kraft einzureden, um vor Edward Cullen zu bestehen, so war diese Energie heute vollends verschwunden. Ich wollte nicht kämpfen, ich wollte nur, dass alles vorbei war, wollte am liebsten die Zeit zurückdrehen. Seufzend wusch ich mir das Gesicht, ließ kaltes Wasser auf meine Haut treffen, was für den Moment sehr gut tat. Ich trocknete mich ab und machte mich dann auf den Weg zum Biounterricht. Ich hoffte, Mr. Banner hatte meine Klausur noch nicht angesehen, hatte den Zettel einfach in seine Tasche gestopft, ohne überhaupt drauf zu blicken. Falls er sie doch korrigiert hatte, würde ich sie auch heute mit null Punkten und einem bösen Blick zurück bekommen. Diese Klausur zog meine Noten nur noch mehr in den Keller. Seufzend nahm ich Platz und knabberte nervös an meiner Unterlippe, als er den Raum betrat. Irritiert wanderten meine Augenbrauen in die Höhe, da er mir überraschenderweise ein kurzes Lächeln schenkte. Das hatte ich nicht erwartet und es ließ auch nur eine Schlussfolgerung zu: Er hatte nicht auf meinen jämmerlichen Zettel gesehen, er hatte keinen Blick verschwendet. Zum Glück. „Miss Swan… Ich muss sagen, ich war sehr überrascht. Mr. Mills sagte, sie seien sehr früh fertig gewesen und da habe ich nicht viel erwartet. Aber auch ich bin belehrbar. Wirklich eine sehr gute Leistung. Wirklich klasse. Ich hoffe, Sie knüpfen an diesen Erfolg an“, sagte Mr. Banner, als er zu meinem Tisch kam und mir beschriebene Blätter auf den Tisch legte, auf denen in roter Stift ein großes A stand. A… ich hatte noch nie diese Note, ich war noch nie sehr gut. Und vor allem… wieso war das so? Ich hatte ein leeres Blatt abgegeben, ich hatte noch nicht einmal meinen Namen beendet. Schnell griff ich nach den Blättern und musterte die erste Seite, wo links oben in der Ecke mein Name stand. „Isabella Swan“. Kein Zweifel. Das drangehängte „Bella Swan“ war genauso krakelig geschrieben wie mein „Isa“, man sah kaum einen Unterschied und auch die Fragen waren in meiner unsauberen Schrift beantwortet worden. Ich überflog sie schnell und verstand noch nicht einmal die Hälfte des Geschriebenen. Wer zum Teufel hatte das getan? Und vor allem wie? Wer war so gut in der Schule und wer konnte meine Handschrift nahezu perfekt nachahmen? Ich hatte absolut keine Ahnung und wusste nicht, was ich davon halten sollte… Es war komisch… unvorstellbar, übersinnlich, rätselhaft. Und irgendwie angsteinflößend… ------------------ Kapitel 3: Hoffnungslos ----------------------- Sooo, nachdem ich jetzt endlich das dritte Chapter fertig hab (hatte ja auch mehrere Arschtreter ;D), freu ich mich, es euch endlich präsentieren zu können ;) An dieser Stelle mal wieder vielen lieben Dank für eure tollen Kommentare. Wir freuen uns, dass euch die FF so gut gefällt. Und jetzt viel Spass =) ----------------------- Hoffnungslos Isabella Swan… … Was genau passiert bei der Diffusion?… Stoffe haben das Bestreben, sich in dem ihnen gegebenen Raum gleichmäßig auszubreiten. Dabei läuft der gesamte Vorgang ohne die geringste Energieaufwendung ab. … Warum verdursten Schiffbrüchige, wenn sie Meerwasser trinken?… Das Salz des Meerwassers entzieht den Zellen Wasser. Somit verdursten die Menschen, die es trinken. Im Grunde läuft dieser Vorgang sogar noch schneller vonstatten, als würden sie überhaupt nichts trinken. Verantwortlich dafür ist die Osmose. Diese wird aufgrund der unterschiedlichen Salzkonzentrationen zwischen dem Zellinneren und dem Meerwasser aktiviert, da das Prinzip der Osmose darin besteht, unterschiedliche Substanzkonzentrationen auszugleichen. … S w a n… I s a b e l l a… Isabella Swan… Ich hatte diesen Text jetzt bestimmt schon an die tausend Mal gelesen. Immer wieder wanderten meine Augen hinauf zu meinem Namen. Und dann auf die Antworten des Testbogens… Und dann wieder zu meinem Namen… Das alles war so unwirklich. Die ausgefüllten Fragen, der mit ‘sehr gut’ bewertete Test… und das Ganze in meiner Handschrift… jedes kleine Detail, jede noch so winzige Eigenheit. Die Schnörkel im ‘a’, der Halbkreis über dem ‘i’, die Verlängerungen im ’B’… Nur die Formulierungen der Antworten entsprachen so gar nicht meinem Wortschatz. Wenn es nicht zu absurd klingen würde, hätte ich behauptet, meine Klausur wäre von Geisterhand geschrieben worden. Nur gab es solche paranormalen Phänomene nicht. Ich hielt die Luft an und musste meinen letzten Gedankengang revidieren. Zu viel war in den letzten Tagen passiert, als dass ich so etwas jetzt noch behaupten konnte. Immerhin hatte ich einen Menschen dabei erwischt, wie er Blut trank. Das Wort ‘Mensch’ mochte unter Umständen sogar fehl am Platz sein. Welcher normale Mensch würde schon so etwas Verrücktes machen? Welcher normale Mensch hatte so eine unglaubliche Stärke? Welcher normale Mensch verfolgte jemanden sogar bis in die Gedanken, ließ diese überhaupt nicht zur Ruhe kommen und dieses Thema immer wieder aufgreifen? Richtig! Niemand normales… Aber genau das war Edward Cullen sowieso nicht. Er war das pure Böse… Ich seufzte frustriert auf und raufte mir die Haare. Mittlerweile saß ich bereits eine geschlagene Stunde vor meinem Schreibtisch und betrachtete den Bogen Papier vor meiner Nase. Nach der Schule war ich sofort nach Hause gefahren und hatte mich in meinem Zimmer verschanzt. Weder war mir nach essen zumute gewesen, noch danach, für Charlie etwas zu kochen. Stattdessen hatte ich meine Tasche aufs Bett geschmissen und meine Arbeit herausgeholt. Bereits jetzt sah das Papier dermaßen abgegriffen aus, dass man auf die Idee hätte kommen können, es sei schon Jahre alt. Ich war nämlich so überfordert mit diesem Ergebnis gewesen, dass ich mich den restlichen Schultag permanent vergewissern musste, es nicht doch nur geträumt zu haben. Die einzigen Dinge, an die ich denken konnte, waren ein durchgeknallter Psychopath mit den ausgefeiltesten Stalker-Ambitionen, die ich je gesehen hatte, und dieser mysteriöse Test vor mir. Und plötzlich, als hätte jemand das Licht eingeschalten, erkannte ich die wahrscheinlich offensichtlichste Verbindung. Es gab nur eine Person, die dafür verantwortlich gemacht werden konnte. Nur eine, die mich einfach nicht mehr in Ruhe lassen wollte und die mich sprichwörtlich in den Wahnsinn trieb. Edward Cullen. Je öfter ich diesen Namen dachte, desto mehr hasste ich ihn. Bestimmt hatte er meinen Test ausgefüllt. Nur warum? Was erhoffte er sich davon? Tat es ihm womöglich leid, mich angegriffen oder mein Leben in eine einzige Horrorgeschichte verwandelt zu haben? Das klang so grotesk, dass ich schon fast angefangen hätte laut aufzulachen. Nein, mit Sicherheit verfolgte er andere Ziele. Eventuell wollte er mich dadurch einschüchtern und mir zeigen, welche Macht er besaß; vor allem über mich. Als wollte er mir auf diesem Weg zeigen, dass ich meinen Mund über das Geschehene halten sollte, ansonsten würde ich es bitterlich bereuen - ansonsten würde er dafür sorgen, dass ich meinen Mund nie wieder öffnen könnte. Ha! Als wenn mir irgendjemand diese absurde Geschichte glauben würde… Wenn man allerdings genau darüber nachdachte, konnte dieser ausgefüllte Test theoretisch gar nicht existent sein. Ich bezweifelte, dass Mr. Mills meinen Testbogen die gesamte Stunde über auf meinem Platz hatte liegen lassen. Aber selbst wenn… Wie war es Edward dennoch möglich gewesen, unbemerkt meinen Zettel zu entwenden, geschweige denn ihn innerhalb von Sekunden vollständig und mit meiner Handschrift auszufüllen? Realistisch betrachtet war das einfach ausgeschlossen. Leider konnte ich mittlerweile aber nichts mehr wirklich realistisch betrachten. Weder die Szene im Wald, noch das A auf meiner Klausur. Und trotzdem hatte er das Unmögliche möglich gemacht. Wenn er also zu so etwas fähig war, würde er auch in der Lage sein, mich unauffällig zu beseitigen. Ich stöhnte gequält auf. Was konnte ich noch tun, um ihm aus dem Weg zu gehen? Zurück nach Phoenix zu meiner Mutter? Sollte ich ihr aus reinem Eigennutz einen Teil meiner Misere abgeben, in dem ich mich ihr wieder aufdrängte? Mir war bewusst, welchen Egoismus diese Option in sich barg, nur leider mangelte es mir an weiteren Alternativen. Ich wusste einfach keinen Ausweg mehr. Aber selbst wenn ich diese Idee in die Tat umsetzte… Renée hielt es ja nicht einmal für nötig, sich nach dem Wohlbefinden ihrer Tochter zu erkundigen. Wenn meine Anrufe schon unbeantwortet blieben, was konnte ich da denn noch groß erwarten? Fast schon genervt zerknüllte ich das Papier und warf es mit aller Kraft in die Ecke, nur um mich im nächsten Augenblick bäuchlings aufs Bett fallen zu lassen und mein Gesicht in den Kissen zu vergraben. Ich brauchte Ruhe. Ganz viel Ruhe und ich musste mich irgendwie ablenken, um nicht an jemand bestimmtes zu denken… Ich wusste nicht, wie lange ich geschlafen hatte, nur anhand des schummrigen Lichts in meinem Zimmer konnte ich erkennen, dass es draußen bereits dämmerte. Ein kühler Windhauch fuhr mir über den Nacken und ließ mich frösteln. Automatisch hob ich meinen Kopf und sah zum Fenster, weil ich mich vergewissern wollte, dass es geschlossen war. Seit der Sache im Wald hatte ich es vermieden, es über einen längeren Zeitraum offen stehen zu lassen. Die Gardine bewegte sich ganz leicht. Offenbar musste ich es doch nicht richtig geschlossen haben. Schweiß brach auf meiner Stirn aus und augenblicklich verdoppelte sich mein Pulsschlag. Hastig stand ich auf, um es richtig zuzumachen. Es war tatsächlich einen winzigen Spalt breit offen gewesen. Wie töricht es doch von mir war, das Fenster vorher nicht richtig kontrolliert zu haben und mich dann auch noch ohne weitere Bedenken auszuruhen. Wer wusste denn schon, ob dieser Typ nicht einfach in mein Zimmer einsteigen würde? Zuzutrauen wäre ihm alles. Selbst wenn ich im ersten Stock wohnte. Ich rechnete ja schon beinahe damit, Fußabdrücke auf dem Fenstersims zu entdecken. Schluss jetzt! Reiß dich zusammen und hör auf, weiter über ihn nachzudenken! Fahrig strich ich mir übers Gesicht und seufzte. Wie lange ich dieses Spektakel wohl noch aushalten müsste? Würde es überhaupt jemals ein Ende haben? Ich hoffte es. Ich hoffte es so sehr. Für den Moment allerdings konnte ich nichts weiter tun, als den Cullens um jeden Preis aus dem Weg zu gehen. In meiner Freizeit war das einfach, denn dazu musste ich einfach zu Hause bleiben. Nur in der Schule würde es sich wie immer schwer bewerkstelligen lassen. Aber das bekam ich hin. Ich musste… Ich hatte mir längst vorgenommen, immer so spät wie möglich zur Schule zu fahren, um zu vermeiden, den anderen auf dem Parkplatz zu begegnen. Bis jetzt lief das auch ziemlich gut. Mein Blick wanderte schon automatisch über die Autodächer, nur um ein gewisses ausfindig zu machen. Und wie jeden Morgen fand ich auch den silbernen Volvo. Der glänzende Lack und das hochwertige Erscheinungsbild drängten sich mir geradezu auf. Ich stieg aus meinem Transporter und schloss ab. Nervös drehte ich mich in alle Richtungen, um sicher zu gehen, dass auch niemand der fünf Cullens in der Nähe war, bevor ich mich letzten Endes auf den Weg zum Gebäude machte - stets die Angst im Genick, jemand könnte mich verfolgen. In der Schule waren die Gänge schon so gut wie ausgestorben. Nur noch vereinzelt traf ich auf einen Schüler oder einen Lehrer. Ich beeilte mich, zu meinem Unterrichtsraum zu gelangen und erreichte diesen auch noch rechtzeitig, ehe die Klingel läutete. Den gesamten Vormittag über schaffte ich es, ihnen und vor allem ihm nicht über den Weg zu laufen. Jedes Mal, wenn ich um eine Ecke biegen wollte, linste ich zuerst um sie herum. Sollte im nächsten Gang ein gewisser Cullen stehen, würde ich sofort einen anderen Weg einschlagen. Doch bisher hatte ich Glück gehabt. Ich hatte ihn nicht ein einziges Mal gesehen. Ich sah ihn nicht ein einziges Mal. Man sollte meinen, er hätte sich in Luft aufgelöst und eigentlich musste mich diese kleine, hoffnungsvolle und nichtsdestotrotz surreale Erkenntnis beruhigen - wäre da nicht dieses Gefühl, permanent beobachtet zu werden. Aber immer, wenn ich mich umdrehte, war niemand zu sehen. Ganz, ganz üble Paranoia… Nur leider war meine gerechtfertigt. Ich hielt meine Tasche fest an meinen Körper gedrückt, als ich mich in der Mittagspause zur Cafeteria aufmachte. Fast schon scheu näherte ich mich dem Essenssaal… und blieb wie angewurzelt stehen, als ich bereits vom Eingang aus fünf blasse Gesichter an einem abgelegenen Tisch erkennen konnte. Wie betäubt starrte ich sie an, ich war nicht in der Lage, meinen Blick abzuwenden. Als hätte mir jemand gegen die Brust geschlagen, fiel mir das Atmen auf einmal schwer und mein Herz fing wie wild an zu klopfen. Mein Körper versagte mir jeden weiteren Schritt nach vorn. Ich konnte da nicht hinein. Auf keinen Fall. Was, wenn er wieder versuchen würde, auf mich zuzukommen? Was, wenn er mir noch deutlicher vor Augen halten wollte, wie schwach ich war? Als hätte er meine Gedanken gehört, schoss sein Kopf plötzlich in meine Richtung. Unsere Blicke trafen sich und wie auf Kommando ergriff die Panik Besitz von mir. Krampfhaft umklammerte ich meine Tasche und versuchte alles, um meine Starre aufzulösen. Als er Anstalten machte, sich zu erheben, wurde er jäh von der Blonden neben ihm am Arm gepackt und somit aufgehalten. Wütend drehte er sich zu ihr um und funkelte sie an. Die kurze Unterbrechung nutzte ich, um meine eingefrorene Haltung aufzulösen und eine Kehrtwendung Richtung Flur zu machen. Mit schnellen Schritten folgte ich dem Gang, ohne wirklich darauf zu achten, wohin ich lief. Als ich nach schier unendlichen Minuten zum Stehen kam, weil meine Beine dem schnellen Gehen versagten, wurde mir bewusst, dass ich noch nie in diesem Teil der Schule gewesen war. Dabei lebte ich bereits über fünf Monate in dieser verregneten Kleinstadt. Der Flur wirkte alt und leicht zerfallen, an den Wänden blätterte die Farbe allmählich ab. Vorsichtig lugte ich in einen der Räume. Wie ich erkannte, wurde er als Abstellraum genutzt. Die Tafel sowie alle anderen Möbel waren eingestaubt, die Einzeltische standen kreuz und quer im Raum. Weitere Tische waren übereinander gestapelt, hier und dort fanden sich Stühle in unterschiedlichen Größen und Farben an. Bilder und Rahmen, Staffeleien und Tafelutensilien wie Zeigestöcke, Lineal und Dreieck standen herum. Langsam trat ich ein. Bei jedem Schritt achtete ich darauf, nicht zu laut zu sein. Wer wusste, ob es nicht verboten war, sich hier aufzuhalten. Ich bahnte mir einen Weg zum hinteren Teil des Zimmers und rückte mir einen der Tische zurecht, nahm mir einen Stuhl und wischte mit der Hand die leichte Staubschicht herunter, um mich anschließend zu setzen. Ich atmete schwerfällig aus und fuhr mir mit beiden Händen durch die Haare. Fürs Erste schien ich in Sicherheit, fürs Erste konnte ich mich wieder beruhigen. Ich wusste nicht, ob Edward mir am Ende doch noch gefolgt war oder ob er auf seine Schwester gehört hatte. Bis jetzt war er aber nicht aufgetaucht und innerlich hoffte ich, dass diese Tatsache auch so bleiben würde. Wenn ich daran dachte, dass ich ihm beinahe wieder in die Arme gelaufen wäre… Mich schüttelte es bei diesem grauenvollen Gedanken. Dass sein Gesicht vor meinem inneren Auge aufflackerte, half auch nicht besonders, meine Anspannung zu lösen. Das Einzige, was mich wunderte, war seine Miene. Ein schmerzvoll verzogener Ausdruck, dazu eine gewisse Frustration in Verbindung mit Zorn. Als wäre ich Schuld an seinem Leid, dabei war ich doch das Opfer hier. Ich war diejenige, die jeden Tag und jede Nacht Höllenqualen durchlitt… Ehe ich mich versah, hörte ich in der Ferne das leise Klingeln, welches das Ende der Pause signalisierte. Schweren Herzens erhob ich mich, um mich dem Rest des Schultages zu stellen, wenn auch widerwillig. Aber ich hatte ja keine Wahl. Wenn ich nicht wollte, dass Charlie oder jemand anderes etwas mitbekamen, musste ich da durch. Mit leisen Schritten verließ ich den Raum und machte mich auf den Weg zu meiner letzten Unterrichtsstunde. Ich musste mich etwas beeilen, weil ich doch ziemlich weit entfernt von den belebteren Fluren schien. Das hinderte mich aber nicht daran, mit Vorsicht um jede Abbiegung zu gehen und zweimal hinzusehen, wenn ich denn zufällig jemanden mit Edward verwechselte. Obwohl es ja eigentlich kaum vorstellbar war, dass noch jemand anderes die gleiche atemberaubende und zugleich erschaudernde Schönheit besaß wie er - außer vielleicht seine Geschwister, doch das konnte ich schlecht beurteilen. Und ich legte auch keinen Wert darauf, es je in Erfahrung zu bringen. Ich war regelrecht erleichtert, als ich nach Unterrichtsschluss langsam auf meinen Transporter zuging und in meinem gedanklichen Resumé über den Vormittag feststellen musste, dass Edward keinen weiteren Versuch gestartet hatte, mich aufzusuchen. Unter Umständen hätte mich diese kleine Diagnose heiter stimmen können. Wäre da nicht die kleine Alarmglocke in meinem Hinterkopf, die mich daran erinnerte, dass das hier nicht mein letzter Tag an der Forks High war und dass noch sehr viele dieser Art folgen würden… Die restliche Woche verlief dementsprechend ähnlich. Kurze, unruhige Nächte und nicht enden wollende, von Verfolgungswahn und Herzklopfen geprägte Tage. Ich fuhr spät los, schlich zu meinen Unterrichtsfächern und mied Gänge, auf denen Edward entlanglief, oder auf denen auch nur die geringste Möglichkeit bestand, ihm in irgendeiner Weise zu begegnen. Ich machte mich also so gut es ging unsichtbar. Nicht, dass das in meinem Fall besonders schwer war. Meine Mittagspause verbrachte ich in dem alten Klassenzimmer, das ich entdeckt hatte. Den Appetit hatte ich die letzten Tage fast gänzlich verloren. Zwar nahm ich mir zur Sicherheit immer etwas von zu Hause mit, nur meistens blieb das gesamte Lunchpaket unberührt in meinem Rucksack. Hin und wieder knurrte mein Magen, doch ich ignorierte das Geräusch. Die Lust zum Essen fehlte einfach. Das Einzige, was ich noch zu mir nahm, war meine morgendliche Schüssel Cornflakes. So würde ich wenigstens nicht den gesamten Tag mit leerem Magen unterwegs sein. Natürlich bestand jedes Mal aufs Neue die Gefahr, dass mich hier jemand entdecken konnte, aber bisher war ich diesem Schicksal entkommen. Anscheinend musste ich wohl doch jemandem ‘da oben’ wichtig sein. Als die Klingel läutete, machte ich mich wieder auf den Weg zurück. Während ich auf den halb leeren Fluren wanderte, überkam mich wieder einer dieser Müdigkeitsanfälle, die seit geraumer Zeit mein ständiger Begleiter waren. Meine Lider waren schwer und ich verlangsamte automatisch meine Schritte, um beim Laufen nicht noch anzufangen zu schwanken. Als ich dann aber ein paar Stimmen in naher Entfernung miteinander wispern hörte, war ich wieder wach. Ich kannte sie nicht, nur war die außergewöhnliche Klangfarbe allein schon Grund genug, hellhörig zu werden. Abrupt blieb ich stehen und rückte näher an die Wand heran. Meinen Kopf schob ich nur minimal nach vorne, damit ich mit Bedacht um die Ecke sehen konnte. Nicht weit entfernt standen die Verursacher des geheimnisvollen Flüsterns. Es waren drei der Cullens und unter ihnen befand sich Edward. Leider konnte ich nicht verstehen, worüber sie sich unterhielten, dafür war ihr Mienenspiel aber umso deutlicher. Sie schienen sich zu streiten, wobei der Blonde versuchte, alles ein wenig zu schlichten. Trotzdem schien es, als stünde er auf der Seite seiner Zwillingsschwester. Wie gebannt starrte ich auf sie. Ich konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass sie über mich redeten. Ich sollte von hier verschwinden, ehe sie mich noch bemerkten, nur konnte ich meinen Körper nicht regen. Auf einmal huschte der Blick der Blonden in meine Richtung. Ruckartig zog ich meinen Kopf zurück und presste meinen Rücken gegen die Wand. Ich betete inständig, dass sie mich nicht gesehen hatte, oder dass sie mich für eine optische Täuschung hielt. “Edward, lass das!”, hörte ich sie auf einmal durch den Flur rufen. “Isabella?” Oh nein! Er war doch nicht etwa… Das Adrenalin schoss durch meine Venen, ebenso pumpte mein Herz viel zu viel Blut in die Laufbahn. Meine Lungen taten sich schwer, den Sauerstoff aus der Luft aufzunehmen. In meinem Kopf pochte es unangenehm. Ich war nicht mal in der Lage, mich von diesem Fleck wegzubewegen, zu eingefroren waren meine Gliedmaßen. Ein blasses Gesicht schummelte sich in mein Sichtfeld, als er sich mir zuwandte. “Isabella, kann ich mit dir re-” “Lass mich in Ruhe”, wimmerte ich hilflos und kniff meine Augen so fest wie möglich zusammen, nur um ihn nicht sehen zu müssen. Mit den Händen stieß ich mich leicht von der Wand ab und stolperte blind ein paar Schritte in die Richtung, aus der ich gekommen war. Schnell öffnete ich meine Augen wieder, um nicht Gefahr zu laufen, auch noch hinzufallen. Ich musste mich zusammenreißen, nicht wie eine Verrückte loszurennen. “Isabella, warte!”, rief er mir nach und beinahe wäre ich beim Klang seiner Stimme stehen geblieben. Aber das durfte ich nicht. Die Ungewissheit, ob er mir folgte, war allerdings unerträglich. In einem Flur, in dem sich noch andere Schüler befanden, würde er mir nicht nachlaufen, oder? Ich wollte nicht nach hinten sehen und womöglich feststellen, dass er es doch tat… Erst als ich an meinem Transporter angekommen war, hielt ich inne und ordnete meine Gedanken. Es hatte nicht mehr viel gefehlt und ich wäre ihm in die Falle gegangen. Seine Stimme hörte sich an wie flüssiger Honig… wie ein dünnes Band, dass in Zucker eingetaucht und ausgelegt wurde, um die ahnungslose Beute anzulocken. Und dann war da noch dieser brüchige, verzweifelte Unterton. Aber den musste ich mir eingebildet haben. Ein Edward Cullen würde nicht so reden. Nein, er würde nur… Plötzlich erinnerte ich mich wieder an das Knurren, das ich vernommen hatte, kurz bevor er mich im Wald auf den Boden gerissen hatte. Ich konnte mir damals nicht erklären, woher es kam. War er das gewesen? Hatte er so ein… furchterregendes Geräusch von sich gegeben? Aber kein Mensch konnte einen derartigen Laut verursachen… In meinem Kopf pochte es unaufhörlich. All die Überlegungen zermarterten mir das Gehirn. Ich sollte endlich mit meinen Grübeleien aufhören und stattdessen so schnell wie möglich von hier verschwinden. Ich gab einen Dreck auf die letzte Stunde. Die konnte ich getrost wegfallen lassen, schließlich würde es gar nicht auffallen, wenn ich fehlte. Ich holte meinen Schlüssel aus dem Rucksack und stieg ein. Fahrig führte ich ihn zum Zündschloss. Ein paar Mal verfehlte ich es, so sehr zitterten meine Hände, doch als ich es endlich getroffen hatte, startete ich den Motor und fuhr ohne nach hinten zu sehen aus der Parklücke und hinunter vom Schulgelände. Ich war nie ein Freund von Schnelligkeit gewesen. Jetzt allerdings war es mir viel wichtiger, in einer relativ kurzen Zeit eine möglichst große Distanz zur Hölle hinter mir zu schaffen. Ich fuhr nicht sofort nach Hause. Die Strecke bis dorthin war einfach zu kurz, um sich vollständig zu beruhigen. Einer Route ohne bestimmtes Ziel zu verfolgen, war weitaus angenehmer. Es ging mir momentan nicht nur darum, mich irgendwo vor ihm zu verstecken. Ich wollte einfach nur in Bewegung bleiben, mich einzig und allein auf die Geschwindigkeit konzentrieren und alle anderen Gedanken ausblenden. Mich irgendwie ablenken, wenigstens einmal. Zu Hause würde ich auch nichts anderes machen, als mich unter einer Decke zu verkriechen, die Beine anzuziehen und mir wie verrückt selbst einzureden, dass ich das schon irgendwie überstehen würde. Aber das stimmte nicht. Ich konnte mir schon denken, wie es dann weiterging. Meine Gedanken würden jede neue Sekunde zu ihm wandern, zu den schrecklichen Bildern der Erinnerung. Dann würde ich abermals meine Handgelenke betrachten und anschließend meinen Hals umfassen, um sicher zu gehen, dass sich dort wirklich keine lebensbedrohlichen Wunden befanden; dass er nicht so weit gegangen war… Noch nicht. Jetzt einfach nur ohne jeglichen Zwischenstopp geradeaus zu fahren, war bei weitem die bessere Variante als das einsame Zusammenkauern daheim. Es war ein Paradoxem, dass ich einerseits vor ihm und damit vor meinem Tod floh, und andererseits wie eine Irre über den feuchten Asphalt raste. Man könnte meinen, Edward Cullen hätte sogar das hier geplant, um mich um die Ecke zu bringen. Es war so lächerlich von mir zu denken, ich könnte ihm überhaupt auf irgendeine Weise entkommen. Das war schier unmöglich! Die Hoffnungslosigkeit überfiel meinen Körper ohne Vorwarnung und ließ ihn erschlaffen. Tränen bahnten sich ihren Weg zu meinen Augen. Ich versuchte, sie mit aller Kraft zu unterdrücken. Mein Unterkiefer spannte sich dabei so sehr an, dass er anfing zu schmerzen. Meine Finger krallten sich um das Leder des Lenkrads; so sehr, dass meine Knöchel bereits weiß hervortraten. Meine Sicht begann zu verschwimmen, als die ersten Tränen den Widerstand durchbrachen und über die kleinen Wimpern auf meine Wangen tropften, langsam schmale, feuchte Linien auf der Haut hinterließen und schlussendlich von meinem Unterkiefer perlten… Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich ein Auto direkt vor mir auf… ein parkendes Auto auf der anderen Seite, daneben ein Person. Wie war ich verdammt noch mal auf die falsche Fahrbahn gelangt? Das Adrenalin, das meinen Körper überschwemmte, klärte meine Sinne. Mein Herz schlug erbarmungslos gegen meine Rippen. Mit voller Kraft trat ich auf das Bremspedal und riss zeitgleich das Lenkrad herum. Ich spürte, wie mein Transporter etwas streifte, hatte aber keine Zeit, mein Gefühl zu bestätigen. Das Geräusch von quietschendem Gummi auf dem Beton legte sich in meine Ohren und machte sie beinahe taub für alles andere. Um mich herum drehte sich alles, das Fahrzeug schleuderte beinahe um seine eigene Achse und plötzlich sah ich den Baum vor mir auftauchen. Reflexartig kniff ich meine Augen zusammen, hielt mich einfach nur noch am Lenkrad fest und drückte mich in meinen Sitz. Das war´s. Jetzt würde alles enden… Sekunden vergingen. Unendlich lange Sekunden, in denen ich auf den Knall warte, auf das Ende. Oder war es womöglich schon längst geschehen? War ich bereits tot? Noch immer hielt ich meine Augen geschlossen, bis ein stumpfes Klopfen zu meiner Linken ertönte. “Miss?”, sprach jemand leise und gedämpft. “Alles in Ordnung mit Ihnen?” Zaghaft hob ich meine Lider und nur ganz langsam richtete ich meinen Kopf auf, der mittlerweile auf meinen Händen gelegen hatte. Vorsichtig lugte ich durch die Windschutzscheibe. Direkt vor mir sah ich die dunkelbraun-gräuliche, durchfurchte Rinde des Baums. Noch immer hämmerte es unaufhörlich in meinem Brustkorb, ich atmete langsam und geräuschvoll ein und aus. In meinem Kopf pulsierte der Schmerz, ich bebte am ganzen Leib. Mein Transporter war zum Stillstand gekommen, doch viel wichtiger: Er hatte sich nicht um den Stamm gewickelt, wie ich es eigentlich erwartete. Ich hatte ja nicht einmal mehr damit gerechnet, noch am Leben zu sein. Denn das war ich doch, oder? “Hallo! Geht es Ihnen gut?” Abermals diese fremde Stimme. Mit einem japsenden Laut schoss mein Kopf zur Seite. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich Edward dahinter erwartet, musste dann aber glücklicherweise feststellen, dass dem nicht so war. Hinter der Scheibe der Fahrertür stand jemand. Ein Mann, womöglich nur ein paar Jahre älter als ich. Anfang, Mitte Zwanzig, wenn ich schätzen sollte. Er hatte struppelige, dunkelbraune Haare und sein Teint war leicht blass. Ein bisschen so wie meiner, nur dass seiner einen leichten Olivstich besaß, wodurch er ein wenig kränklich wirkte. Dazu kam, dass seine Haut unwahrscheinlich dünnwandig erschien. Etwas an ihm erinnerte mich an jemanden… Leider fiel mir nicht ein, an wen. Auf seinem Gesicht lag die Sorge. Ich sah abermals nach vorne, dann wieder zurück zu ihm. Erwartungsvoll hob er seine Augenbrauen. “Ich…”, stammelte ich fast tonlos vor mich hin und rang weiter nach Worten. Nur wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich war gerade dem Tod entkommen. Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen. Zittrig griff ich nach meiner Tür und öffnete sie unbeholfen. Der Fremde half von außen etwas nach. Als ich ausstieg und dabei beinahe gestolpert wäre, legte er blitzartig seine Hand an meine Schulter, um mich zu stützen. Instinktiv strich ich sie von mir, als ich mein Gleichgewicht wiedererlangt hatte. Normalerweise sollte ich ihm dankbar sein, doch ich wollte nicht, dass mich jemand Unbekanntes berührte… dass mich überhaupt jemand berührte. “Mir geht´s gut”, murmelte ich und sah nur für ein paar Sekunden scheu zu ihm auf. Seine Augen schimmerten in einem tiefen Braun, dessen Wärme meine innere Unruhe für einen Augenblick besänftigte. Aber ich durfte mich nicht davon täuschen lassen. Einem Wildfremden konnte ich schließlich nicht einfach so trauen. “Das ist schön zu wissen”, erwiderte er und lächelte. Ein… bezauberndes Lächeln, wie ich zu meinem Leidwesen feststellen musste. Es erschwerte mir tatsächlich die Aufrechterhaltung meiner Schutzbarriere und für einen kurzen Moment war ich wie benommen. “Was… ist passiert?”, wollte ich wissen und schritt mit wackeligen Beinen ein wenig von ihm weg, um mich auf der verlassenen Straße umzusehen. Häuser gab es nicht, nur Bäume, welche die Straße säumten und jede Menge Wald zu beiden Seiten. Allerdings konnte ich mich nicht daran erinnern, Forks überhaupt verlassen zu haben. “Sie müssen wohl die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren haben. Mein Auto hat am Straßenrand geparkt und Sie scheinen es nicht gesehen zu haben, konnten aber noch rechtzeitig ausweichen…” Voller Entsetzen schlug ich die Hand vor den Mund. Mir fiel ein, dass ich mit dem Auto gegen etwas gerammt war. “Hab ich Sie irgendwo angefahren? Sie verletzt?” Überrascht runzelte er die Stirn, schüttelte dann aber kichernd den Kopf. “Nein, keine Sorge. Mir geht es bestens.” “Sind Sie sicher? Mir kam es nämlich so vor, als hätte ich mit meinem Transporter etwas getroffen”, erklärte ich, immer noch geschockt - gleichzeitig aber verwirrt über seine Aussage. “Wirklich. Es ist alles in Ordnung. Das Einzige, was Sie getroffen haben, ist der Baum.” Mit seinem Arm deutete er auf die Kühlerhaube meines Transporters, die… den Stamm berührte. Ein bisschen verwunderlich war es schon, da ich den Aufprall nicht gespürt hatte. Andererseits war aber auch keine Delle zu sehen. Hatte ich es geschafft, noch rechtzeitig anzuhalten? Wie gebannt starrte ich auf den Punkt, an dem sich Metall und Rinde trafen. Mit verengten Augen betrachtete ich die Stelle genauer und erst jetzt erkannte ich, dass sich beides gar nicht wirklich berührte. Von meinem Standpunkt ausgehend sah es nach reinster Millimeterarbeit aus. “Na ja, nicht ganz…”, stellte ich beiläufig fest. Ich bekam erst mit, dass der Fremde sich mir genährt hatte, als er bereits direkt vor mir stand und seine Hand meinem Gesicht gefährlich nahe kam. “Vielleicht ist es besser, wenn ich Sie in ein Krankenhaus bringe.” “Was?”, keuchte ich alarmiert auf und wich einen Schritt zurück. “Nein!… Ich meine, das ist nicht nötig. Mit mir ist alles okay.” Abermals machte ich den Fehler, in seine Augen zu sehen. Sein Blick war so überzeugend fürsorglich, dass ich beinahe doch auf seinen Vorschlag eingegangen wäre. Auch realisierte ich erst jetzt, wie sonderbar melodisch seine Stimme klang. Man hätte ihr fast alles geglaubt, solch eine klare Transparenz legte sie in jedes Wort, das gesprochen wurde. Aber ich durfte mich von so etwas nicht täuschen lassen. Ich musste standhaft bleiben und der Versuchung widerstehen. “Sind Sie sich sicher?”, hakte er noch einmal nach. Ich nickte. Ein ergebenes Lächeln zierte seine Gesichtszüge, als er leise schmunzelte. “Na schön… Wenn Sie meinen…” “Ja…”, antwortete ich bestimmt und obwohl ich es zu unterdrücken versuchte, stahl sich ebenfalls ein Lächeln auf meine Lippen. “Ich seh mal nach, ob mit dem Motor alles in Ordnung ist, okay?” Er nickte in Richtung Transporter und wollte schon darauf zugehen, als ich ihn aufhielt. “Das müssen Sie nicht. Ich hab glücklicherweise nichts angefahren, also sollte auch nichts beschädigt sein.” Ungläubig schaute er mich an und schien zu überlegen, ob er mir vertrauen sollte. “Nicht, dass ich später noch wegen Fahrerflucht gesucht werde, wenn Ihnen doch etwas passiert.” “Bestimmt nicht.“ Heftig schüttelte ich meinen Kopf, erleichtert, dass er meiner Bitte nachkam. Ich wollte nicht, dass er eventuell noch an meinem Auto herumbastelte. Wer wusste schon, was genau er alles mit der Mechanik anstellte. Noch einmal warf er einen Blick zur Motorhaube, ehe er sich wieder mir zuwendete… und mich neugierig musterte. “Wie haben Sie überhaupt die Kontrolle verloren?” Überrumpelt von seiner Frage setzte ich erst etwas später zu einer Antwort an. “Weil…” Aber was sollte ich sagen? Dass ich mich von meinem Klassenkameraden verfolgt fühlte und gerade aus der Schule geflüchtet war? Dass meine Konzentration durch meine Angst so sehr geschwächt wurde, dass ich nicht einmal mitbekommen hatte, wie ich auf die andere Straßenseite gefahren war? “Ich denke, dass ich in letzter Zeit einfach zu wenig Schlaf bekommen habe”, meinte ich stattdessen und es war noch nicht einmal gelogen. Er nickte verständnisvoll. “Na gut, wenn Sie sonst keine weitere Hilfe benötigen, werde ich mich jetzt auf den Weg machen”, verabschiedete er sich. “Vielleicht sieht man sich irgendwann mal wieder.” Ich lächelte verhalten. Seine Worte klangen angenehm, nur wusste ich, dass er spätestens beim zweiten Treffen herausfinden würde, wie seltsam ich war. Und dann würde er diesen Satz garantiert kein weiteres Mal sagen. Als ich gerade zu meinem Transporter gehen wollte, streckte er mir seine Hand aus. “Ich bin übrigens Fynn. Fynn Agapiou.” Abwechselnd musterte ich ihn und seinen Arm. Vielleicht wirkte es überzogen, bei so einer harmlosen Geste innezuhalten, nur ließ mich eine gewisse Achtsamkeit zögern. Ich dachte angestrengt darüber nach, ob ich ihm meinen richtigen Namen verraten sollte, oder nicht. Die letzten Wochen hatten meine Überlebensinstinkte geschärft und ließen mich fremde Kontakte mit Vorsicht behandeln. Diese belastende Anspannung wollte einfach nicht mehr von mir weichen. Ganz im Gegensatz zu ihm. Er nahm die Situation sehr viel gelassener als ich, was mich nicht wunderte. Schließlich musste er nicht dasselbe durchmachen wie ich. Während mich immer noch der Beinahe-Unfall und seine Ursache beschäftigten - und ein regelrechtes Hämmern in meinem Schädel auslösten -, war mein Gegenüber bereits zu Kennlernphase und Plauderlaune übergegangen. “Keine Angst, ich beiße nicht”, scherzte er amüsiert und wartete immer noch darauf, dass ich seine Hand nahm. Vielleicht war es ja auch falsch, gleich jedem Fremden zu misstrauen. Wenn ich meine Paranoia nicht bald unter Kontrolle bekam, würde ich wirklich noch wahnsinnig werden. Gerade als ich ihm meine Hand entgegenreichen wollte, drehte er seinen Kopf blitzartig zur Seite. Ein merkwürdiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht. “Was ist los?”, fragte ich und folgte seiner Blickrichtung. Ein kurzer Moment der Stille, dann antwortete er langsam, sah aber noch immer zum Wald. “Ich dachte, ich hätte etwas gehört…” Mit einem breiten Lächeln wandte er sich wieder mir zu. “Muss mich wohl geirrt haben.” Unerklärlicherweise verdoppelte sich mein Puls wie von selbst und das einzig und allein deswegen, weil mir der Name Edward Cullen gleich als erstes in den Sinn kam und damit die Befürchtung, dass er mir doch gefolgt war. Ich konnte mein Gegenüber nur wie betäubt anstarren. Ich wollte lächeln, aber es klappte nicht. Das Pulsieren in meinem Kopf wurde stärker. In meinen Ohren fing es an zu rauschen, als sich ein gewisser Druck auf mein Gleichgewichtsorgan legte. Mein Atem hörte sich ungewöhnlich laut an und zusammen mit meinem unregelmäßigen Herzschlag übertönte er fast alles andere. Dass dieser Fynn etwas zu mir sagte, erkannte ich einzig an dem merkwürdigen, tiefen Laut, den seine Lippen von sich gaben und die Bewegungen, die sie dabei vollführten. Aber selbst die verschwammen schon bald vor meinen Augen, so wie der Rest meiner Umgebung. Alles um mich herum drehte sich und ich konnte kaum noch den Boden unter meinen Füßen spüren. Der Tinnitus in meinen Ohren und ein entferntes, schwaches Knurren waren alles, was ich vernahm, ehe die Dunkelheit mein Bewusstsein gänzlich verschlang. … Mein Körper schien von Eis umgeben, wurde fast vollständig davon umklammert… Kalte Luft rauschte an mir vorbei und ließ mich erschaudern… Meine Lider waren schwer wie Blei. Ich schaffte es nur, sie für einen kurzen Augenblick ein Stück weit zu heben. Ein permanenter, grüner Schleier rauschte an mir vorbei und wurde hin und wieder von einem Rascheln begleitet, gefolgt von dem leisen Surren des Windes… Ein honigsüßer Duft legte sich mir in die Nase. Er war so verlockend und verführerisch, dass ich automatisch tiefer einatmete… Die Anstrengung übermannte mich allmählich und langsam sank ich zurück in die traumlose Schwärze… … Von überall drangen Stimmen an mein Gehör, eine aufgeregter als die andere. Ich konnte kein einziges Wort verstehen. Grelles Licht blendete mich, als ich meine Augen halb öffnete. Reflexartig kniff ich sie wieder zusammen und drehte meinen Kopf weg… Ich befand mich in steter Bewegung und war weiterhin in der frostigen Umarmung gefangen. Auch der liebliche Geruch war noch gegenwärtig. Er vernebelte meine Sinne, betäubte meinen ohnehin schon schwachen Körper… Die unterschiedlichsten Geräusche drangen an meine Ohren: Durcheinander redende Menschen, ein Piepen in unterschiedlichen Intervallen, mal dichter, mal weiter weg, das Rascheln von Papier, das Klingeln von Telefonen, das leise Klappern von Türen, das hektische Getrappel von Füßen… Ich wollte die Quelle von alledem wissen, den Ort, an dem ich mich gerade befand und versuchte abermals, meine Lider zu öffnen. Es waren nur Schemen zu erkennen und ich meinte, etwas Rötliches schimmern gesehen zu haben… ”Was ist passiert?” Eine wohlklingende, männliche Stimme, in der Sorge, aber gleichzeitig auch Professionalität und Routine lagen. An meiner Ohrmuschel, die an etwas hartem gelehnt war, konnte ich ein schwaches Vibrieren spüren und gleich darauf war ein mir nur zu bekanntes, leises Knurren zu hören. Mein Puls beschleunigte sich schlagartig. ”Nein, hab ich nicht. Sie ist auf der Straße zusammengebrochen.” Das war die Antwort und als mir bewusst wurde, dass ich diese betörende, heimtückische Tonlage bereits ein Mal gehört hatte, riss ich meine Augen auf. Edward Cullen! Meine Lungen wollten mir den Sauerstoff verweigern und bei jedem schwerfälligen Atemzug schmerzte mein Brustkorb. Die Panik schoss wie Flutwellen durch meinen Körper und ich rechnete jeden Augenblick damit, dass mir mein Herz aus der Brust springen würde. Edward Cullen trug mich eisern auf seinen Armen. Ich hätte mich wie wild gewehrt, nur war mein Körper durch die Erschöpfung wie gelähmt. Meine Arme und Beine hingen schlaff nach unten und wollten sich partout nicht bewegen. “Nein…”, flüsterte ich heiser und starrte in das blasse Gesicht meines Peinigers. Ich fing an zu schluchzen, ich spürte bereits, wie meine Augen feucht wurden. “Bitte!”, flehte ich verzweifelt. “Bitte, bring mich nicht um…” Edwards Gesichtszüge waren zu Stein erstarrt und er schien überhaupt nicht in der Lage zu sein, etwas zu erwidern. “Miss Swan, niemand wird hier… umgebracht. Sie sind in einem Krankenhaus. Mein Name ist Dr. Cullen. Ich werde mich um Sie kümmern, hören Sie?” Erst jetzt nahm ich die zweite, männliche Person wahr. Sie hatte eine hoch gewachsene Statur, gepflegte, blonde Haare und trug einen weißen Kittel. Ich erkannte die gleiche blasse Haut, die goldenen Augen, die violetten Schatten unter ihnen… das gleiche perfekte Antlitz. Dr. Cullen… Das bedeutete, dass er zu Edwards Familie gehörte… Ich musste hier weg und zwar sofort, aber ausgerechnet in dieser Situation wurden sämtliche Befehle meines Gehirns ignoriert. Also war das jetzt wirklich das Ende. Beim ersten Mal war ich verschont worden, aber ein zweites Mal würde ich nicht soviel Glück besitzen. Nur eine klitzekleine Unachtsamkeit und prompt war ich ihnen wie ein dummes Lamm in die Falle gelaufen. Ich wusste zuviel, sie mussten mich beseitigen. Und nun bot sich ihnen die perfekte Gelegenheit… ---------------------------------------- Eindrücke, Anregungen, Kritik? =) Kapitel 4: Ausgeliefert ----------------------- Hallo! dieses mal hat es wirklich lange gedauert... sorry! das liegt an der original dubdugschen länge, die das kapitel bekommen hat! ich hoffe, dass es trotz derer nicht langweilig wird! und falls jemand absinthe-feane sucht, mir wurde zugetragen, ihr hätte irgendjemand von hinten mit einem knüppel eine übergebraten ... =) (der cilff war nämlich auch für mich überraschend!!!) danke für eure reviews! genug geschwallt =) liebe grüße, dubdug -------------------------------------------- Ausgeliefert Während mein Herz seinen Höhepunkt erreichte, in meiner Brust kein heftiges Schlagen sondern nur mehr ein kontinuierliches Rasen herrschte, legte sich erneut und unaufhaltsam ein schwarzer Umhang über die Welt, verschlang mein Bewusstsein, wollte mich immer tiefer in die Dunkelheit ziehen. „Miss Swan, hören Sie mich? Miss Swan!“, rief eine männliche Stimme, klang weit entfernt und schien nicht greifbar für mich zu sein. Eine kalte Hand tätschelte energisch meine Wange, versuchte mich von dem Eintauchen in die empfindungslose Schwärze abzuhalten. „Verstehen Sie mich, Miss Swan? Ich bin Dr. Cullen, hören Sie? Lassen sie Ihre Augen geöffnet!“ Die Worte wurden gen Ende immer leiser, hallten wie ein Echo durch meinen Kopf und wirkten wie ein weit abgelegenes Rauschen, das mich nicht erreichte. Ein letztes Aufflackern meiner Instinkte, ein letztes Realisieren, in den Armen des Teufels zu liegen und ihm ausgeliefert zu sein, ein letztes Spüren der Todesangst, die davon ausging, ehe ich den Kampf gegen die Finsternis endgültig verlor und vollends von ihr erfasst wurde ... Dunkelheit. Stille. .... ..... ....... „Wenn ich dir doch nur alles erklären könnte.“ Vollkommene Ruhe um mich herum. Kein nervöses Piepen, kein hektisches Treiben, kein Papierrascheln, kein Klingeln von Telefonen und auch keine Schritte von vorbeieilenden Menschen. Nur Ruhe und eine melodische, unglaublich weiche und gleichzeitig raue Stimme, die so sanft zu mir sprach, dass sie mich in meiner schwerelosen Welt zu tragen schien, mich fortbrachte von hier, weit weg in ein Land mit anderen, märchenhaften Wahrnehmungen. Auch war da wieder dieser Duft, dieser süßliche Nebel, der sich um meine Sinne legte, mich mit leichten Wogen umhüllte und mich bei jedem meiner Atemzüge bis in die Zehenspitzen erfüllte. „Du musst keine Angst vor mir haben, Isabella ...“ I s a bella. In welch wunderschöner Betonung diese Stimme meinen Namen hauchte, mit welch samtener Vollendung sie die beiden „L“ aussprach. Aus deren Besitzers Mund klang es, als hätten die zusammengehörenden Buchstaben ihr Leben lang vergeblich nacheinander gesucht, sich niemals gefunden und doch durch die gewaltige Sehnsucht eine Einheit gebildet. Dann verließ seine Zungenspitze den Gaumen, um das letzte lang gezogene „a“ hinzuzufügen, mit dem der kurze Zauber, der durch die Erwähnung entstanden war, ganz langsam und beinah zärtlich ausklang. I s a bella … Mein Name, den ich in meinem Leben weiß Gott wie oft gehört und den ich eigentlich nie als etwas Besonderes erachtet hatte, schien auf einmal eine Bedeutung zu bekommen, wenn er von dieser Stimme mit dieser unendlich hellen Klangfarbe geformt wurde. „Ich würde dir so gerne sagen, wie unsagbar leid es mir tut, wie sehr ich mir wünschte, es rückgängig machen zu können ...“ Ganz sachte strichen kühle Finger über meinen Handrücken, waren so zart, dass ich die Berührung fast nur durch meine Härchen wahrnehmen konnte. Eigentlich mochte ich es nicht, angefasst zu werden, war mit derartigen Streicheleinheiten - und fielen sie noch so gering aus - im Normalfall vollkommen überfordert. Erst recht dann, wenn sie von einem männlichen Wesen ausgingen. Doch überraschenderweise bekam ich nicht den Drang, ihm, wer auch immer er war, meine Hand zu entziehen. Auf eine seltsame Art war das Gefühl auf meiner Haut schön, trotz der Kälte angenehm warm und auf eine mir bezaubernde und unbekannte Weise belebend. Ich wusste nicht, wie ich hier herkam, welchen Namen der Ort trug oder wo er sich befand, ich wusste nur, es war wundervoll, dort zu sein. „Du wirst mich für verrückt halten – falls du das nicht ohnehin schon längst tust - aber ... was im Wald passiert ist, oder vielmehr, was nicht passiert ist, war eigentlich etwas sehr Positives. Es gibt keinen Grund, dich vor mir zu fürchten.“ So traumhaft diese Stimme war, so rätselhaft waren ihre Worte. Doch ich musste nicht verstehen, was sie sagte, denn es reichte mir, ihr zuhören zu können. Aber der Mann sprach nicht weiter, blieb still, zeigte mir nur mit der sanften Berührung seiner Finger, noch anwesend zu sein. Ein leichtes Klacken, gefolgt von einer kurzzeitig aufkommenden, hektischen Geräuschkulisse, ehe das nächste Knacken zu hören war, der Tumult augenblicklich wieder verstummte und durch leise Schritte ersetzt wurde, die sich näherten. „Du solltest jetzt langsam gehen, die Infusion ist fast durchgelaufen, sie wird bald aufwachen.“ Erneut begriff ich nicht, wovon gesprochen wurde, ebenso wie ich zu schwach war, mich genauer darauf besinnen zu können. Auch gelang es mir nicht, die Unterhaltung im vollen Umfang zu verfolgen, sie hörte sich gedämpft an, als würde ich einem Radio aus dem Nebenzimmer lauschen. Die Stimme, die mich seit geraumer Zeit begleitete, antwortete nicht, atmete nur bedrückt aus und blieb stumm. „Mein Sohn, ich kann mir denken, was du vorhast ... aber es wird nichts bringen. Es ist der falsche Zeitpunkt, du würdest es nur noch schlimmer machen.“ Ein verächtliches und doch unsagbar gequält klingendes Schnauben war zu hören. „Ich weiß, wie fürchterlich du dich fühlst“, sagte der andere Mann nun in einem mitleidigen Tonfall, anscheinend berührt von dem vorangegangenen Laut seines Gegenübers. „Aber du musst auch an uns denken. – Du tust das nicht mit Absicht, du willst uns nicht schaden, das wissen wir, aber so kann es nicht weitergehen.“ „Und was gedenkst du, sollte ich tun?“ „Du musst sie in Ruhe lassen.“ „Ich kann nicht“, kam es leise aus seinem Mund. „Siehst du nicht, wie psychisch am Ende das Mädchen ist?“ „Sie müsste mir doch nur einmal zuhören ...“ „Und dann? Was willst du ihr sagen?“ „Ich habe keine Ahnung, ich weiß es nicht ...“ „Wir sollten ihr für ihre Verschwiegenheit dankbar sein, aber du machst ihr Angst! Und du wirst ihr immer weiter Angst machen, weil sie es nicht begreifen kann, sie ist nur ein-“ „Ich weiß, was sie ist“, fuhr er dazwischen. „Es ist nicht das Problem, was sie ist – war es nie und wird es nie sein! Das Problem ist, was ich bin.“ Schweigen. „Edward, hör zu, hier ist nicht der richtige Ort für solche Gespräche. Lass uns Zuhause darüber reden. Es ist wirklich besser, wenn du jetzt gehst. Sei vernünftig.“ Edward. Dieser Name drang mit mehr Intensität als jedes andere gesprochene Wort durch den gedämpften Schutzwall, der mich umgeben hatte. Weckte schlagartig meine schlafenden Instinkte, riss mich unaufhaltsam aus dieser vermeintlichen Idylle, in der ich mich befand. Ein Klopfen. Und ebenso wie der darauf folgende Geräuschpegel erneut anstieg, so erhöhte sich auch abrupt der Schlag meines Herzens. Wo war ich? Was war passiert? Die kühlen Finger ließen von meiner Hand ab, welche sich immer mehr verkrampfte hatte. Alles, was ich spüren konnte, war ein kurzer Windhauch, der mich streifte. „Huch, so stürmisch“, lächelte eine weibliche Person erschrocken, woraufhin ein leises, männliches Murmeln zu hören war, ehe auch ihre Schritte näher kamen. „Die Blutergebnisse, Dr. Cullen.“ „Oh, vielen Dank, Mrs. Levington.“ Cullen. Edward Cullen. Mein Kopf wollte mich alarmieren, versuchte verzweifelt Panikwellen durch meinen Körper zu senden, doch sie ebbten ab, lösten sich in Luft auf, noch bevor sie richtig auflodern konnten. „Brauchen Sie noch etwas, Dr. Cullen?“ „Nein. Ich habe Ihre Dienste schon genug in Anspruch genommen. Vielen Dank, dass Sie dem Labor ordentlich Druck gemacht haben.“ „Keine Ursache“, entgegnete die Frau in gleicher, freundlicher Tonlage, als auch schon eine Tür geschlossen wurde und daraufhin wieder vollkommene Ruhe einkehrte. Meine Lider fühlten sich an wie schweres Blei und wehrten sich sekundenlang, dem Befehl nachzukommen, sich zu öffnen. Doch ich musste sie aufmachen, musste herausfinden, wo ich hier lag und was geschehen war, auch wenn ich bereits bei einem leichten Blinzeln von hämmernden Kopfschmerzen eingeholt wurde. Über meinen müden Augen lag ein Schleier, der mich alles nur schemenhaft wahrnehmen ließ, dennoch erkannte ich nach einer Weile so eine Art Deckenstruktur über mir, die aus weißen, viereckigen Platten bestand. Ein kleiner, hell gehaltener und rechteckiger Raum formte sich trübe zusammen; ein Ort, der mir fremd vorkam. Auch der Geruch von Desinfektionsmittel und Gummiboden, der in meine Nase strömte, wirkte nicht einladend auf mich. An einem silbernen Ständer links von mir hing eine auf dem Kopf stehende kleine Plastikflasche, von der ein dünner Schlauch ausging, der direkt in einer Nadel endete, welche wiederum in meinen Handrücken mündete. Wie in Zeitlupe schweifte mein Blick weiter, entdeckte zwei Schränke mit Glastüren, dessen Inhalt für meine Augen zu weit entfernt war, um ihn genauer erkennen zu können. Ein moderner Schreibtisch stand am anderen Ende des Zimmers, auf dem sich Unterlagen stapelten und ein PC stand. Es sah alles so ... medizinisch aus ... Was hatte das zu bedeuten? Das Blättern von Papierseiten erweckte meine Aufmerksamkeit und signalisierte mir, nicht allein zu sein. Aus irgendeinem Grund erschien mir das als kein gutes Zeichen, beunruhigte mich, weswegen ich meinen Kopf so weit drehte, wie es mein Zustand zulassen wollte, um nach den Verursacher zu suchen. Doch noch innerhalb dieser Bewegung trat plötzlich ein groß gewachsener, blonder und weiß gekleideter Mann an mich heran, der ein Lächeln in seinem blassen, makellosen Gesicht trug. Erst waren seine Umrisse verschwommen, nur nach und nach schärften sich seine Konturen und nahmen Gestalt an. „Wie fühlen Sie sich, Miss Swan?“ Diese betörende Stimme ... dieses schöne, aber Furcht einflößende Aussehen ... diese Blässe ... Diese Art von Erscheinung war mir bekannt und ich brachte sie mit nichts Positivem in Verbindung. Als mein Blick dann seinen weißen Kittel hinunterwanderte, unter dem er einen schwarzen Pullover anhatte, blieben meine Augen wie erstarrt auf seinem Namenschild hängen, das er auf Brusthöhe trug. Dr. Cullen. Und dann auf einmal und wie aus dem Nichts schossen sämtliche Bilder durch meinen schwummrigen Kopf. Alles, was in den letzen zwei Wochen passiert war, spielte sich vor meinem geistigen Auge ab und endete mit den letzten Eindrücken, die ich heute gesammelt hatte. Edward wollte mich ansprechen ... Meine anschließende und verzweifelte Fahrt mit dem Truck ... Der Beinahe-Unfall ... Das Aufwachen in Edwards Armen im Krankenhaus ... Oh mein Gott! War er hier? War er womöglich noch in der Nähe? „Sie müssen liegen bleiben“, hielten mich zwei Hände an meinen Schultern fest und wollten mich zurück auf die Liege drücken, von der ich mich reflexartig erhoben hatte. Viel zu schnell hatte ich mich bewegt; meine Umgebung fing an sich zu drehen und in meinem Kopf begann es zu schwirren. „Niemand wird Ihnen etwas tun. Beruhigen Sie sich“, redete dieser Mann auf mich ein und obwohl ich liebend gerne etwas anderes getan hätte, ließ ich mich wegen des enormen Schwindelgefühls unter seinem Druck wieder nach hinten gleiten. Panik kam in mir auf, doch seltsamerweise schaffte sie es nicht, mich vollends zu übermannen. Irgendetwas blockierte sie, dämpfte sie ab, bremste sie auf ein Minimum aus. Ich spürte die Angst - ganz deutlich konnte ich sie fühlen, doch von etwas mir nicht Begreiflichem schien sie in Schach gehalten zu werden. Unerwarteterweise blieb ich verhältnismäßig und überhaupt nicht der Situation entsprechend ruhig und starrte in die goldbraunen Augen des Arztes, der mit einem erleichterten Gesichtsausdruck seine Hände von meinen Schultern nahm. „So ist es besser. Das muss alles ziemlich verwirrend für Sie sein, Miss Swan. Sie sind im Krankenhaus, weil Sie einen kleinen Schwächeanfall hatten. Mein Name ist Dr. Carlisle Cullen, wir haben uns vorhin schon kurz kennen gelernt, aber vermutlich können Sie sich nicht mehr richtig daran erinnern.“ Seine Worte drangen zu mir durch, auch wenn in meinem Kopf nach wie vor dieser dämmrige Zustand herrschte. Ich fühlte mich unsagbar müde, ausgelaugt und schwach, wagte aber dennoch nicht, mich zu entspannen, obwohl mein Körper mich regelrecht darum anflehte. „Kann ich ... Kann ich jetzt gehen?“, brachte ich mit kratziger Stimme aus meinem trockenen Hals hervor. Ich wollte einfach so schnell wie möglich von hier fort. Er lächelte verständnisvoll. „Zunächst sollten Sie erst einmal hier liegen bleiben. Zumindest solange, bis die Infusion durchgelaufen ist und Ihr Vater kommt, um Sie abzuholen. Alles andere könnte ich nicht verantworten.“ Mein Vater. Er war informiert? Ich fand das alles andere als gut, bedeutete es doch, ihm eine Menge Erklärungen schuldig zu sein. Aber wenn er im Bilde war, dann konnten sie mich nicht töten, oder? Bedeutete das für mich, sicher zu sein? Vielleicht wusste Charlie aber auch von alledem nichts und diese Bemerkung diente rein dazu, mich ruhig zu stellen. Verunsichert wanderten meine Augen zu der Infusionsflasche, in der sich noch ungefähr ein Achtel des durchsichtigen Inhalts befand. Womit wurde ich hier voll gepumpt? Mit Gift? Mein Herz setzte für einen Moment aus, nur um in der nächsten Sekunde mit erhöhtem Rhythmus gegen meine Brust zu schlagen. Dr. Cullen war schließlich Arzt, für ihn wäre es ein Leichtes, mich mit einem unnachweisbaren Toxikum für immer unschädlich zu machen. „Das ist nur eine Kochsalzlösung, versetzt mit Glucose und einem kleinen Beruhigungsmittel“, antwortete er auf meine unausgesprochene Frage. Aber er konnte mir natürlich viel erzählen, denn wie sollte ich seiner Aussage auch nur den geringsten Glauben schenken, wenn er doch der Stiefvater von diesem Monster war? Ob Letzteres sich ebenfalls in diesem Gebäude aufhielt? Hier irgendwo lauerte und nur darauf wartete, mich umzubringen? Obwohl ich mir nichts sehnlicher wünschte, als sofort zu flüchten, rührte sich mein gelähmter und angespannt steifer Körper keinen Zentimeter von der Liege. Es musste an diesem Beruhigungsmittel liegen, es wollte mir eine falsche Sicherheit vorgaukeln und mich täuschen. Doch auch wenn ich diesen perfiden, von der Pharmaindustrie bezweckten Plan durchschaute und versuchte, mich dagegen zu wehren, so gelang es meinem Verstand trotzdem nicht, die Oberhand zu gewinnen. „Ich habe gerade Ihre Blutergebnisse erhalten“, meinte Dr. Cullen und holte ein Klemmbrett hervor, überflog kurz die Unterlagen und richtete seinen Blick anschließend wieder auf mich. „Der Zuckerwert ist viel zu niedrig und auch Ihr Elektrolyte-Haushalt ist ziemlich im Keller. Haben sie in letzter Zeit zu wenig gegessen?“ Nicht wissentlich, was ich darauf sagen sollte, zuckte ich nur unsicher mit meinen Schultern. „Woher rührt Ihre Appetitlosigkeit, Miss Swan?“, erkundigte er sich nach kurzer Pause interessiert weiter, doch wieder war ich nicht in der Lage, ihm etwas zu entgegnen. „Haben sie noch andere Beschwerden? Begleiterscheinungen wie Einschlafschwierigkeiten, Schlaflosigkeit, ständige Unruhe, Konzentrationsschwächen, Schwindelanfälle oder Magenschmerzen?“ Ich hätte ihn gerne gefragt, ob ich eins ankreuzen müsste, oder ob ich auch das gesamte Paket nehmen könnte, da jedes einzelne Symptom zutraf. Doch stattdessen zuckte ich nur erneut und verschüchtert mit meinen Schultern. „Hm“, machte er nachdenklich und schwieg für einen Moment, musste seine nächsten Sätze offenbar mit Bedacht wählen. „Das deutet alles auf großen Stress hin, was ziemlich untypisch für ein Mädchen in Ihrem Alter ist.“ Er hielt inne und betrachtete mich mit einem zwiespältigen Ausdruck in seinem Gesicht, schien unschlüssig zu sein, ehe er sich nach einer Weile schließlich doch dazu entschied, weiter zu sprechen. „Auch Ihr sehr verängstigter Eindruck, den Sie auf mich machen, beunruhigt mich. - Belastet Sie etwas, Miss Swan? Haben Sie vielleicht ... schulische Probleme? Oder ... private?“ Die Weise, in der er „private“ betonte, ließ mich eiskalt schaudern und mir augenblicklich eine Gänsehaut stehen. Meine Atmung wurde unregelmäßig und passte sich dem Stolpern meines Herzens an. Ich bekam wieder das beklemmende Gefühl, völlig ausgeliefert, vollkommen machtlos und im Falle des Falls ohnehin chancenlos zu sein. War das ein Test? Wusste er von den krankhaften Neigungen seines Sohnes und wollte nun eruieren, ob dessen schreckliches Geheimnis weiterhin gewahrt wurde? „Miss Swan“, seufzte Dr. Cullen nach einer Weile mitfühlend, umschloss mit den Armen das Klemmbrett vor seinem Bauch und setzte sich halbseitig auf Hüfthöhe zu mir auf die Liege. Mir gefiel das nicht, mir gefiel das ganz und gar nicht. Diese veränderte Situation löste sofort ein neues Unbehagen in mir aus. Er wollte vertrauenserweckend wirken, konnte mich aber keine Sekunde lang täuschen. Die gleiche Gefahr, die mich bei Edward zurückschrecken ließ, strahlte auch er aus; dieselbe Distanz, die ich mir zu seinem Sohn wünschte, wollte ich auch zu ihm halten. Doch er hatte sie einfach durchbrochen. Seine warm wirkenden braunen Augen blickten tief in meine, schienen jede Regung darin wahrnehmen zu wollen, versuchten einen Einblick in mein Innerstes zu bekommen, den ich ihnen unter keinen Umständen gewähren wollte. Ich zog meine Beine unmerklich an, verrutschte unauffällig und bemühte mich, den Abstand so groß wie möglich zu halten. „Nichts liegt mir ferner, als Sie verängstigen zu wollen.“ Seine Stimme klang sanft, gutmütig und doch irgendwie befangen. „Solche Belastungen sind nicht zu unterschätzen“, fuhr er in noch ruhigerer Tonlage fort, befürchtete anscheinend, mich noch weiter zu verschrecken. „Der Körper mobilisiert alle Reserven, um mit Problemsituationen fertig zu werden. Dauert der Stress an, ohne bewältigt zu werden, kann das sehr schwere körperliche und seelische Folgen nach sich ziehen.“ Vorsichtig lächelte er mich abwartend an, um sich zu vergewissern, dass ich fähig gewesen war, seine Worte aufzunehmen. Mit einem zögerlichen Nicken bestätigte ich es dem Arzt und behielt ihn weiterhin skeptisch und ängstlich im Auge. „Ihre heutigen zwei Zusammenbrüche waren sehr deutliche Warnsignale Ihres Körpers. Warnsignale, auf die Sie unbedingt hören sollten, Miss Swan.“ Hatte ich mir das alles etwa ausgesucht? Hatte ich darum gebeten, auf der schwarzen Liste eines Psychopathen ganz weit oben zu stehen? Niemand wusste besser als ich, dass von meiner ohnehin schon labilen Psyche inzwischen nicht mehr als ein dünnes Häufchen Elend übrig geblieben war. Dass meine Paranoia mittlerweile Züge angenommen hatte, gegen die ein schlechter LSD-Trip wie ein Ausflug ins Lummerland wirkte. „Oh! - Nein, Miss Swan“, meinte Dr. Cullen schnell, als er meine geweiteten Augen bemerkte. „Das sollte kein Vorwurf sein, ich habe mich nur unglücklich ausgedrückt, verzeihen Sie bitte.“ Er schwieg daraufhin einige Zeit, in der sich seine Stirn immer mehr in Falten legte, als würde er aus irgendeinem Grund mit sich ringen, in einer Art Konflikt stecken. Auch seufzte er kaum hörbar, und für einen Moment bildete ich mir ein, gesehen zu haben, wie sich seine Lippen bewegten, so als würde er sprechen, lautlos sprechen, denn kein Ton, nicht mal ein Flüstern hatte meine Ohren erreicht. „Worauf ich eigentlich hinaus wollte“, begann er schließlich gehemmt, wirkte sich seiner Sache weiterhin nicht sicher. „Würde es Ihnen helfen, Sie vielleicht beruhigen, wenn ich Ihnen garantiere, dass ...“ Er brach ab, wusste offenbar nicht, wie er seinen Satz fortführen sollte, während mein Drang, sofort aus diesem Krankenhaus zu wollen, ins Unermessliche anschwoll. Warum konnte er nicht einfach aus dem Raum gehen und mich alleine auf meinen Vater warten lassen, anstatt so zu tun, als wäre er ernsthaft um meine Gesundheit besorgt? Wäre ich in besserer und klarerer Verfassung gewesen, hätte mich wahrscheinlich nicht einmal ein Sprung aus dem dritten Stock davon abgehalten, die Flucht zu ergreifen. „Miss Swan, manchmal gibt es Situationen im Leben, die ... die vielleicht nicht immer verständlich sind. Mögen einem womöglich schrecklich erscheinen, obwohl gar keine bösen Absichten dahinter stecken.“ Dr. Cullen bemühte sich, flüssig zu reden, kam jedoch immer mehr ins Straucheln. „Wollen Sie mir vielleicht erzählen, ... was Sie belastet, und wir sehen, ob wir gemeinsam eine Lösung dafür finden?“ Es begann zu rauschen in meinen Ohren und ich bekam das Gefühl, meine Lungen nicht mehr füllen zu können, obwohl meine Atmung einem einzigen Marathon glich. Ein heftiges Zittern überkam mich, fing bei meinen Händen an und breitete sich über meinen gesamten Körper aus. „Hören Sie, nichts ist passiert! Gar nichts! Überhaupt nichts! Ich habe nichts gesehen! Niemals habe ich etwas gesehen! Ich schwöre! Bitte tun Sie mir nichts!“ Ich schluchzte, kauerte mich sitzend am anderen Ende der Liege zusammen und schüttelte dabei immer wieder meinen Kopf. Ignorierte das Schwindelgefühl, das mich sofort überrollte und sah Dr. Cullen flehentlich in seine vermeintlich harmlosen, goldbraunen Augen. Von meiner Reaktion erschrocken, war er aufgestanden und hatte Abstand zwischen uns gebracht. „Ich wollte doch nicht ... So war das doch nicht gemeint“, versuchte er mich vergeblich zu beruhigen, während er sich hilflos und überfordert mit der Hand durch seine blonden Haare fuhr. Doch, genauso war es gemeint. Er wollte mich einschüchtern, wollte testen, ob ich meinen Mund halten würde. Stille kehrte ein und als es kurz darauf klopfte, zuckte ich noch mehr zusammen. Mich überkamen die schlimmsten Befürchtungen, die sich jedoch glücklicherweise alle in Luft auflösten, als Charlie, der in diesem Moment wie ein rettender Engel auf mich wirkte, in der Tür stand. „Isabella, was ist passiert?“, fragte er sichtlich in Sorge, welche ihm im nächsten Atemzug schon wieder peinlich zu sein schien. Meinem Dad fiel es nicht leicht, Gefühle zu zeigen, hatte es in all den Jahren wahrscheinlich verlernt. „Alles okay, Charlie. Mein Blutdruck hat mich nur ein bisschen im Stich gelassen.“ Mein Lächeln, ebenso wie meine entspannte Haltung, die ich einnahm, als er den Raum betreten hatte, waren aufgesetzt. Schlecht aufgesetzt, aber es war meistens dennoch nicht schwer, Charlie zu überzeugen. Manchmal vermutete ich, ihm war es lieber, eine Lüge zu glauben, als eine Wahrheit zu erfahren, mit der er nicht umgehen konnte. Mein Dad nickte, schien die Antwort bekommen zu haben, die er sich erhofft hatte, während Dr. Cullen seinen Blick betreten zwischen uns hin und her schweifen ließ. „Entschuldigen Sie, wo sind meine Manieren“, meinte mein Dad verlegen und reichte Dr. Cullen kurz die Hand. „Vielen Dank, dass Sie meiner Tochter geholfen haben.“ „Keine Ursache“, beschwichtigte dieser. „Kann ich jetzt gehen?“, platzte ich übereilt dazwischen, wollte keine Sekunde länger in diesem Gebäude verbringen. Außerdem war mir auch noch ein neuer, furchtbarer Gedanke gekommen, der mich nun nicht mehr nur um meine eigene Gesundheit sorgen ließ, sondern auch um die meines Dads. Er war genauso wenig sicher hier wie ich. Dr. Cullens Blick war voller Reue, als er sich mir zuwandte und kurz auf die Infusion sah, die inzwischen durchgelaufen war. „Natürlich“, murmelte er. Jeden Schritt, den er sich näherte, nutzte mein Herz, um schneller zu schlagen und erreichte seinen Höhepunkt, als der Arzt bei mir angekommen war. Doch für meinen Dad musste ich meine Fassade aufrecht erhalten, musste meine Gesichtszüge dazu zwingen, mir nicht zu entgleiten. „Ich muss Ihnen vorher nur noch kurz die Nadel ziehen, ist das in Ordnung für Sie?“, vergewisserte er sich vorsichtig und sah mich ebenso an. Ich schluckte, denn natürlich war das alles andere als in Ordnung für mich, doch ich hatte keine Wahl und nickte. Er schenkte mir ein aufbauendes Lächeln, ehe sich seine Finger langsam in Richtung meiner leicht zitternden Hand bewegten, und als sie diese erreichte, zog ich sie wie vom Blitz getroffen zurück. Seine Hand war kalt. Eiskalt. Genauso wie die seines Sohnes. Meine Atmung drohte sich zu überschlagen, während ich ihn wie erstarrt und mit weit aufgerissenen Augen fixierte. Auch er war erschrocken, hatte kurzzeitig die Kontrolle über seine Mimik verloren, bevor er sich räusperte und sich bemühte, wieder seine Fassung zu erlangen. „Entschuldigen Sie bitte... Alte Arztkrankheit.“ In seinem Lächeln steckte eine ganze Portion Verlegenheit und bei seinem Versuch, die kühle Berührung auf eine schlechte Durchblutung zu schieben, scheiterte er kläglich. Er konnte mir nichts vormachen. Dr. Cullen erwärmte durch Reiben seine Hände und wirkte nervös, als er sein Vorhaben erneut in die Tat umsetzen wollte. Ich biss die Zähne zusammen, zitterte, wollte keine Szene vor meinem Dad machen und war endlos erleichtert, nachdem er die Kanüle gezogen hatte, sie in einen kleinen Plastikbehälter warf und sich anschließend wieder von mir entfernte. „Gut“, richtete er sich an Charlie. „Sie müssen vorne nur noch ein paar Papiere unterschreiben, dann können sie ihre Tochter mitnehmen.“ „Ich komme mit“, sagte ich schnell, ehe mein Vater noch auf die Idee kam, ich solle hier auf ihn warten. Und um einen möglichen Widerspruch von ihm zu unterbinden, machte ich mich sofort daran, mich auf meine wackeligen Beine zu stellen. Das Hämmern in meinem Kopf stieg an und ich spürte sofort, wie sehr mein Gleichgewichtssinn nach wie vor in Mitleidenschaft gezogen war. Doch ich unterdrückte die deutliche Schwäche meines Körpers, weil ich momentan keinerlei Rücksicht darauf nehmen konnte und auch nicht wollte, dass sie mir angemerkt wurde. Dr. Cullen begleitete uns nach vorne zur Anmeldung, wo besagte Unterlagen auf meinen Vater warteten. Obwohl der Weg dorthin nicht weit war, stellte er sich aufgrund meines Zustands als sehr beschwerlich für mich heraus. Aber es gab etwas, was das vollkommen in den Schatten stellte: Angst. Denn bei jedem Schritt, den wir taten, bei jedem Gang, den wir passierten, befürchtete ich, Edward Cullen würde irgendwo lauern und nur darauf warten, mich anspringen zu können. Selbst alle von vornherein nicht einsehbaren Türrahmen hielt ich für ein mögliches Versteck von ihm. Doch glücklicherweise, so oft ich mich auch umdrehte, fehlte von ihm jede Spur. Aber nur, weil ich ihn nicht sehen konnte, fühlte ich mich noch lange nicht außer Gefahr. Er war hier irgendwo, das spürte ich. Wartete wahrscheinlich einfach nur auf die passende Gelegenheit. „Sie sehen immer noch ziemlich blass aus, Miss Swan. Am besten setzten Sie sich kurz, solange ihr Vater die Papiere unterzeichnet“, riet mir Dr. Cullen, der mich und meinen Verfolgungswahn die ganze Zeit im Auge behalten hatte. Ich nickte nur verhalten und folgte wortlos seinem Vorschlag, weil ich mich besser fühlte, wenn ich eine Wand hinter meinem Rücken hatte und somit diese Angriffsrichtung schon mal ausschließen konnte. Ich beobachtete die Beiden von meinem Sitzplatz aus und wurde von Minute zu Minute unruhiger. Eigentlich hatte ich gedacht, Dr. Cullen würde nun weiter seiner Arbeit nachgehen, endlich verschwinden, doch stattdessen hatte er sich an die Seite meines Dads gestellt und unterhielt sich ein paar Meter von mir entfernt mit ihm. Ich hörte nicht, was sie sagten, aber es war klar, dass es um mich ging. Ich fühlte mich unwohl und stellte tausend Theorien auf, wovon ihr Gespräch handeln könnte, denn allein schon ihre Blicke, die abwechselnd in meine Richtung gingen, sprachen Bände. Dass Dr. Cullen ihm erzählte, ich wäre psychisch gestört, war nur eine von ihnen. Ein bisschen zu schnell war ich aufgestanden, nachdem ich von immer schlimmer werdenden Vermutungen heimgesucht wurde, die ich nicht mehr ertragen konnte und kam kurzzeitig ins Schwanken. Ich fing mich jedoch ab, konnte mein Gewicht ausbalancieren und steuerte auf meinen Dad zu, der die ausgefüllten Unterlagen gerade einer Krankenschwester übergab. Genau in diesem Moment klopfte Dr. Cullen ihm kurz auf die Schulter, beendete mit einem Lächeln das Gespräch und drehte sich anschließend in meine Richtung, um sich von mir zu verabschieden. „Ich wünsche Ihnen eine gute Besserung, Miss Swan“, zwinkerte er mir zu, sah mich mit einem schuldbewussten Blick an und verzichtete zum Glück darauf, mir die Hand zu geben. „Danke“, murmelte ich, glaubte ihm aber kein Wort und fühlte mich unermesslich erlöst, als er sich kurz darauf charmant mit „Na dann, die Patienten rufen“, entschuldigte und endlich ging. „Schaffst du es bis zum Wagen?“, erkundigte sich mein Dad, woraufhin ich nickte und es nicht erwarten konnte, das Krankenhaus zu verlassen. Schweigend wankte ich neben ihm her; unsere Stimmung war wie immer reserviert und bei den verstohlenen, besorgten Blicken, die er in meine Richtung warf, versuchte er sich nicht erwischen zu lassen. Normalerweise waren mir genau diese Situationen zwischen uns äußerst unangenehm, doch in diesem Moment war ich einfach nur froh, die Klinik lebend verlassen zu haben. Aber warum? Warum hatte er mich ein weiteres Mal verschont? Ich verstand es nicht. Noch ein letztes Mal drehte ich mich um, bevor wir das Polizeiauto erreichten, aber weder Edward Cullen noch sein silberner Volvo waren in Sicht. Ich öffnete die Tür und ließ mich entkräftet auf dem Sitz nieder; lange hätte ich es auf meinen Beinen ohnehin nicht mehr ausgehalten. Mein Dad stieg ebenfalls ein, prüfte mich noch einmal kurz und startete dann glücklicherweise ohne große Verzögerung den Wagen. Ich hatte es eilig, von hier wegzukommen, durfte mir das aber nicht anmerken lassen und war immer noch benommen von meinem Zusammenbruch und dem Beruhigungsmittel. „Was hat Dr. Cullen zu dir gesagt?“, fragte ich und bemühte mich, es beiläufig klingen zu lassen. „Dass er dich drei Tage krankgeschrieben hat, weil du dich ausruhen sollst.“ Ich zog meine Stirn kraus, da ich mit allem gerechnet hatte, nur nicht damit. Trotzdem bekam ich das Gefühl, mein Vater würde mir etwas verschweigen, schien mir nicht alles sagen zu wollen. Aber ich war in diesem Augenblick zu schwach, um das herauszufinden, denn mit dem Verlassen des Parkplatzes fiel eine tonnenschwere Last von mir ab. Ich musste mich für den Augenblick nicht mehr vor den Cullens fürchten, hatte sie hinter mir gelassen, war ihnen entkommen und fühlte mich unendlich befreit. Die ganze Anspannung löste sich mit einem Schlag und Ruhe überkam mich, ließ mich spüren, wie müde ich eigentlich war und wie viel Anstrengung es mich kostete, meine Augenlider offen zu halten. Ich konnte mich nur an sehr wenig von dieser Fahrt erinnern, vor Erschöpfung musste ich ziemlich bald eingeschlafen sein. Die tausend Fragen, die das heutige Geschehen eigentlich aufgeworfen hatte, überfielen mich erst später ... Drei Tage krankgeschrieben zu werden, war auf der einen Seite das Beste, was mir passieren konnte ... Andererseits jedoch, was brachte es mir, wenn danach alles wieder von vorne losging? Konnte überhaupt etwas von vorne losgehen, was niemals aufgehört hatte? Nein, die Krankschreibung half mir letztendlich kein bisschen weiter, verzögerte nur das Unausweichliche. Hatte mir bloß die Möglichkeit gegeben, mich vorübergehend in meinem halbwegs sicheren Loch zu verkriechen, damit ich mich für einen kurzen Zeitraum vor etwas verstecken konnte, dem ich mich früher oder später ohnehin wieder hätte stellen müssen. Und „früher oder später“ bedeutete nichts anderes als morgen. Heute war mein letzter Vormittag, den ich ohne panisches und zielloses Umherirren in den Schulfluren zubringen konnte. Nicht, dass meine Ersatzbeschäftigungen - die nur aus Kopfzerbrechen, Zusammenzucken bei undefinierbaren Geräuschen jeglicher Art, oder dem Versuch, mich auf ein Buch zu konzentrieren, bestanden - sinnvoller gewesen wären. Jedoch waren sie immer noch angenehmer, als zu wissen, mich in der unmittelbaren Nähe von Edward Cullen zu befinden. Aber auch, wenn mich seine körperliche Präsenz momentan nicht verfolgen konnte, so begleitete mich dennoch Tag und Nacht sein Schatten, war jede Sekunde bei mir. In Form von schwarzen Augen, die teuflisch auf mich herabstarrten, in Gestalt von Albträumen, die mich plagten oder von dem Gefühl, er würde hinter mir stehen, war er andauernd anwesend. Was jedoch neu hinzugekommen war und was mir absolut fremd im Zusammenhang mit ihm erschien, waren meine seltsamen Wahrnehmungen, die ich während und nach meinem Zusammenbruch erlebt hatte. Beziehungsweise hatte ich sie denn überhaupt tatsächlich erlebt? Oder waren es lediglich wirre Fantasiegebilde, die man mit einer Art Komatraum vergleichen konnte? ... Dieses vorbeirauschende Grün ... Das Gefühl, mit erheblicher Geschwindigkeit fortbewegt zu werden, fast so, als wäre ich geflogen ... Vielleicht war es aber auch nur der Blick aus einer Autofensterscheibe? Aber spielte das überhaupt eine Rolle? War die Frage, wie ich von meiner Ohnmacht auf der Landstraße letztendlich in den Armen von Edward Cullen im Krankenhaus wieder aufwachen konnte, nicht viel erheblicher? Was war passiert? Wo kam er her? Warum lebte ich noch? Weshalb brachte er mich in die Notaufnahme, wo er doch eigentlich nach meinem Leben trachtete und es somit das Widersprüchlichste war, was er tun konnte? Nur auf eine dieser vielen Fragen hatte ich eine Antwort, eine schreckliche Wahrheit, die ich seit dem Vorfall im Wald befürchtet hatte: Er verfolgte mich. Ich litt nicht unter Paranoia, er war tatsächlich hinter mir her. Musste, nachdem ich in der Schule verzweifelt vor ihm geflüchtet war, direkt in sein Auto gestiegen und mir nachgefahren sein. Krank. Dieser Typ war absolut krank. Und das Schlimme war, er machte mich ebenfalls krank. Doch all das, so sehr es mich auch quälte, wurde von etwas noch viel Grauenhafteren in den Schatten gestellt. Meine Erinnerungen an die Zeit kurz vor dem Schwächeanfall waren zwar verschwommen, aber den hilfsbereiten jungen Mann, auf den ich getroffen war, hatte ich keinesfalls vergessen. Fynn hieß er mit Vornamen; seinen Nachnamen brachte ich nicht mehr zusammen, wusste nur, dass er nicht amerikanisch klang. Fynn wirkte sehr nett ... viel netter, als mir Menschen normalerweise begegneten, viel freundlicher, als ich es gewohnt war. Dennoch war es für mich grausam, regelrecht schauderhaft, an ihn zurückzudenken. Denn was war mit ihm geschehen, nachdem ich das Bewusstsein verloren hatte? Gänsehaut überkam mich und eine Übelkeit stieg in mir auf, die mich lähmte. Ich konnte die Bilder nicht mehr ertragen, die ich mir zu dieser Szenerie vorstellte: Ein vor Hass rasender Edward Cullen, der sich auf diesen unschuldigen Mann stürzte und ihn tötete, ihm das Leben nahm wie diesem wehrlosen Reh. Fynn wollte mir nur helfen und nun war er vermutlich tot, umgebracht durch die Hände eines Wahnsinnigen. Und ich war schuld. Hatte ihn in etwas hineingezogen, für das er überhaupt nichts konnte. Kein Wort der Welt beschrieb, wie elend ich mich bei diesem Gedanken fühlte. Aber Fynn war ein Mann und somit viel stärker, als so ein schwächliches Mädchen wie ich. Vielleicht hatte er sich besser wehren können? Es musste einfach so sein. Alles andere würde ich nicht aushalten. Ich klammerte mich an diese klitzekleine Hoffnung und versuchte nicht darauf zu hören, was mir mein Gefühl eigentlich sagte. Gestern, als ich mit meinem Dad zu der Stelle auf der Landstraße fuhr, wo ich meinen Beinahe-Unfall gehabt hatte, um meinen Truck zu holen, hatte ich mir alles genau angesehen und nach möglichen Kampfspuren gesucht. Doch außer den Bremsspuren meiner Reifen war nichts zu entdecken. Auch Fynns Auto stand nicht mehr dort, was ich anfangs zwar noch als gutes Zeichen erachtet hatte, mir dessen aber mittlerweile nicht mehr sicher war. Edward Cullen würde keine halben Sachen machen, er wäre schlau genug, um den Wagen danach verschwinden zu lassen. Diese Spekulationen zerrten an meinen Nerven und das Schlimmste daran war, dass ich wahrscheinlich niemals erfahren würde, was mit diesem jungen Mann wirklich passiert war. Ich hätte weinen können, wenn ich daran dachte und fühlte mich unendlich schuldig. Aber meine Tränen würden Fynn nichts bringen, wären eine Frechheit dem gegenüber, was ihm meinetwegen womöglich zugestoßen war. Ich war ein furchtbarer Mensch, der nicht nur sich selbst Unglück brachte, sondern auch noch Andere, Unschuldige mit hineinzog. Ich hasste mich dafür. Noch eine ganze Weile hing ich dieser schmerzenden Erkenntnis nach und starrte mit einem leeren Blick an meine Zimmerdecke, ehe ich mich zum Aufstehen zwang. Die erste Schulpause war vorüber und das war mein Zeichen, mein Haus verlassen zu können und einkaufen zu gehen. Ich traute mich - wenn überhaupt - ohnehin nur vormittags aus dem Haus, weil ich dann die Gewissheit hatte, dass Edward in der Schule war. - Nein, eigentlich stimmte das nicht, denn eine wirkliche Gewissheit hatte ich nie. Es war viel mehr eine utopische Hoffnung, schließlich war es die einzige Tageszeit, bei der ich zumindest einen ungefähren Anhaltspunkt hatte, wo er sich aufhielt. Ich legte mein Buch, in dem ich vergeblich versucht hatte zu lesen, auf meinen Schreibtisch und ging die Treppen nach unten. Der Einkaufszettel lag bereits geschrieben auf der Küchenablage, weswegen ich ihn nur noch zusammen mit dem Geld, das mir Charlie hier gelassen hatte, in meinen Korb tun musste. Die Liste der Nahrungsmittel fiel dieses Mal verhältnismäßig groß aus, was an niemand anderem als meinem Dad lag. Er hatte mir im Nachhinein nicht mehr viele Fragen zu meinem kurzen Krankenhausaufenthalt gestellt, sondern sich mit den wenigen Informationen, die er diesbezüglich von mir bekommen hatte, erstaunlich schnell zufrieden gegeben. Nur die Art, in der er mich manchmal ansah und mit welcher Akribie er darauf bedacht war, dass ich regelmäßig Mahlzeiten zu mir nahm, verrieten seine eigentliche Besorgnis. Meine Versicherungen, es würde mir nach meinem kleinen Schwächeanfall schon längst wieder gut gehen, schien er mir nicht vollkommen abzunehmen. Und gestern Abend, als er in mein Zimmer gekommen war und ein paar Minuten hilflos rumgedruckst hatte, bevor er mit der Sprache rausrückte, erfuhr ich auch, warum. „Isabella, worauf ich eigentlich hinaus wollte, ist, dass du ein sehr hübsches junges Mädchen bist“, hatte er angefangen. „Wahrscheinlich habe ich dir das zu selten gesagt und vermutlich sind die Jungs in deinem Alter noch zu unreif oder zu blind, um es zu erkennen ... Aber das kommt alles noch, es liegt jedenfalls nicht an dir. So etwas darfst du dir nicht einreden.“ Ein paar Sekunden lang hatte ich ihn einfach nur verwirrt angestarrt, nicht nur, weil er wahrscheinlich in seinem ganzen Leben noch nie so viele zusammenhängende Sätze von sich gegeben hatte, sondern auch, weil ich deren Inhalt absolut nicht verstehen konnte. „Man hört immer in den Medien davon“, hatte er seinen Monolog fortgesetzt. Jedes Wort war ihm schwer gefallen; Gespräche - im Allgemeinen solche - lagen ihm einfach nicht. „Aber man denkt, es ist weit weg ... Wenn man dann jedoch auf einmal erfährt, dass die eigene Tochter davon betroffen ist ...“ Ich nutzte den Moment, in dem er inne gehalten und sich unbeholfen an den Nacken gefasst hatte, um ein bisschen Klarheit in seine mysteriöse Botschaft zu bekommen. „Charlie, ich begreife gerade nicht, worauf du hinaus möchtest.“ Er hatte tief durchgeatmet und sich kurz gesammelt, ehe er unter großer Anstrengung weiter gesprochen hatte. „So dürre Mädchen sind doch gar nicht schön, Isabella. Nur weil irgendwelche bekloppten Designer ihre Klamotten am liebsten an knochigen Hungerhaken präsentieren, heißt das noch lange nicht, dass du dich daran orientieren musst. Im Gegenteil, diese Frauen-“ Er hatte mit seinen Schultern gezuckt. „Das hat doch nichts mit Attraktivität zu tun, das ist einfach nur krank. Du hast eine sehr schöne Figur, Isabella, du bist nicht zu dick, wirklich nicht.“ Das war der Moment gewesen, in dem mir endgültig der Mund aufgeklappt war. Ich hatte zwei Wochen lang vor Todesangst fast keinen Bissen hinunter bekommen gehabt und mein Dad hatte gedacht, ich wäre von einem Schlankheitswahn betroffen. Ausgerechnet ich, das vermutlich einzige Mädchen auf der Forks Highschool, das auf sämtliche Oberflächlichkeiten keinen Wert legte. Vielleicht hätte ich es unter anderen Umständen sogar süß von ihm gefunden, aber in Anbetracht meines eigentlichen Grundes hatte ich mir wegen des Verdachts meines Vaters nur mit der flachen Hand auf die Stirn klatschen können, so grotesk war es. Weshalb er überhaupt auf diese absurde Idee gekommen war, klärte gleichzeitig die Frage, was Edwards Stiefvater zu ihm gesagt hatte. Dieser hatte nämlich zu ihm gemeint, er solle darauf aufpassen, dass ich regelmäßige Mahlzeiten zu mir nahm und genug trank. Mein Vater hatte einfach die falschen Schlüsse daraus gezogen, und es war nicht leicht, ihm diese wieder auszureden. Kopfschüttelnd über dieses Erlebnis zog ich die Haustür hinter mir zu, sah mich in alle Richtungen um und lief dann schnell zu meinem roten Transporter, in welchen ich sofort einstieg und gleich losfuhr. Ich hatte niemanden sehen können, dennoch blickte ich alle zwei Sekunden in meinen Rückspiegel, als der alte Motor aufröhrte und ich aus der Einfahrt bog. Ich würde nicht in Forks einkaufen gehen – nein, das wäre mir viel zu gefährlich. Vermutlich hätte ich mich noch vor zwei Tagen für diese Paranoia selbst geschallt, aber das konnte ich mir jetzt sparen, weil sie absolut berechtigt war und dafür nahm ich sogar den weiten Weg nach Port Angeles in Kauf. Ich ließ Forks hinter mir, beschleunigte unter etlichen Blicken in den Rückspiegel auf der Landstraße meine Geschwindigkeit und sah im Augenwinkel, wie das Grün der Bäume an mir vorbeirauschte, was mich wieder an etwas erinnerte. Ja ... vielleicht war es einfach nur der Blick aus einer Autofensterscheibe gewesen. Was hätte es auch sonst gewesen sein sollen? Fliegen konnte Edward sicher nicht. Obwohl ich ihm inzwischen alles zutraute. Aber was war mit meinen anderen Wahrnehmungen? Diese betörende Stimme, die mich mit ihrem wunderschönen Klang und ihrer kristallklaren Aussprache vollkommen in diesen traumhaften Bann gezogen hatte ... Zweifelsohne war es seine gewesen, ich hätte sie, obwohl ich sie nur zweimal zuvor gehört hatte, unter Tausenden wieder erkannt. Wie konnte jemand wie er eine so anmutige Stimme besitzen? Hatte er wirklich zu mir gesprochen? Sind die Wortfetzen, an die ich mich noch besinnen konnte, tatsächlich gefallen? „Du musst keine Angst haben, Isabella ...“ ... „Wie unsagbar leid es mir tut ...“ ... „Das im Wald war etwas sehr Positives“ ... Etwas Positives? Wäre es nicht um mein Leben gegangen, dann hätte ich über diesen Witz vermutlich schallend gelacht, stattdessen blieb mir mein Lachen jedoch im Halse stecken. Was dachte dieser Typ sich? Wie komplett verdreht musste sein Hirn funktionieren, wenn er den Vorfall im Wald als etwas Positives sah? Ich schüttelte langsam meinen Kopf. Psychopathen konnte man nicht verstehen, sie hatten ein anders Denken, andere verzweigte Synapsen, die „normale“ Menschen nicht nachfühlen konnten. Welch unbehagliches Gefühl, wenn ich mir vorstellte, wie nahe er mir gewesen sein musste, als ich am wehrlosesten war ... Eine Gänsehaut überkam mich, die mich sofort dazu veranlasste, einen Blick in den Rückspiegel zu werfen. Doch die Straße war frei, niemand folgte mir. Zumindest nicht ersichtlich. Doch es war nicht nur seine Stimme, die mir im Gedächtnis geblieben war, es war auch sein süßlicher Geruch und die Weise, wie ich diesen im bewusstlosen Zustand empfunden hatte ... Sein Duft war wie ein samtener Nebel gewesen, der sich um meine Atemwege gelegt hatte und den ich nicht aufhören konnte einzuatmen. In diesem Moment, als ich mit geschlossenen Augen irgendwo zwischen Realität und Traumwelt geschwebt war, seine Stimme gehört, seine Finger gespürt, wie sie meine Hand streichelten, und seinen Duft gerochen hatte, fühlte ich mich so wohl wie noch niemals zuvor in meinem Leben. Ich schnaubte, denn es war einfach nur so ... lächerlich. Nicht mehr, als ein weiteres Armutszeugnis für meine sinnlose und traurige Existenz ... Betäubt von diesem Gedanken, der meinen gesamten Körper träge machte und mich, als hinge ein schweres Gewicht an meinen Füßen, immer tiefer nach unten zog, fuhr ich eine Weile monoton vor mich hin. Vielleicht war ich den Cullens ähnlicher, als ich gedacht hatte. Ich war seltsam – sie waren seltsam. Nur mit dem gewaltigen Unterschied, dass mein Hass sich gegen mich selbst richtete, nicht gegen andere. Aber wer wusste schon, was die Zukunft brachte? Vielleicht würde ich eines Tages auch noch komplett austicken. Aber die Cullens waren keine normalen Psychopathen, dessen war ich mir seit meinem Besuch im Krankenhaus absolut sicher. Sie waren kalt, unnatürlich blass und übermenschlich schön. Wenn das die Symptome einer Geisteskrankheit waren, dann fraß ich einen Besen. Irgendetwas stimmte generell nicht mit ihnen. Alles an den Cullens wirkte auf dem ersten Blick einladend, so sehr, dass mir der Vergleich mit einer Venusfliegenfalle kam, welche ihre ahnungslosen Opfer durch eine verführerische Färbung und einem aromatischen Lockstoff anzog, bevor sie ihre Fangblätter eiskalt und hinterlistig zuschnappen ließ. Die Cullens waren heimtückisch, genauso wie diese Pflanze. Aber was war ihr Geheimnis? Die Idee von mutierten Genen konnte sich in meinem Kopf nicht lange halten, da jeder von ihnen adoptiert war. Nur die zwei Blonden waren blutsverwandt. Wahrscheinlich war es albern, aber mir fiel dazu dieser blöde Film ein, den ich vor längerem Mal gesehen hatte. „Der Tod steht ihr gut“ hieß er und hatte von einem Elixier gehandelt, welches einem die ewige Jugend bescherte. Wobei ich „ewige Jugend“ natürlich nicht mit den Cullens in Verbindung brachte, es war viel mehr so eine Art ähnliches Prinzip, das ich darin zu entdecken glaubte. Denn was, wenn Edward keine Ausnahme - zumindest keine innerhalb seiner Familie - war? Was, wenn sie sich alle im gleichen Stil ernährten? Wenn dem so war, was ich inzwischen stark vermutete, war dann ihre Optik und ihre anziehende Wirkung womöglich das Ergebnis einer abartigen Lebensweise? Kaum vorstellbar, aber irgendeine Lösung musste es schließlich geben. Wieder kamen mir die Bruchstücke der Unterhaltung zwischen Edward und Dr. Cullen in den Sinn. „Du bringst die ganze Familie mit deinem derzeitigen Verhalten in Gefahr ...“ „Und was gedenkst du, sollte ich tun?“ „Du musst sie in Ruhe lassen.“ „Ich kann nicht.“ Letzteres ließ augenblicklich mein Herz unangenehm höher schlagen. Die Vorstellung, er würde niemals aufhören, würde mich nie in Ruhe lassen, mir bis an mein Lebensende Angst machen, war einfach nur schrecklich und nicht auszuhalten. Ich war kein starker Mensch, war ich nie gewesen. All das trieb mich in die pure Verzweiflung, machte mich noch kleiner, als ich es ohnehin schon war, und richtete in meiner Seele täglich neue und irreparable Schäden an. Eigentlich wollte ich überhaupt nicht erfahren, was sie waren. Wünschte mir nur, dieser Albtraum, der nun schon zweieinhalb Wochen andauerte, würde endlich aufhören. Doch genau das Gegenteil war der Fall, denn er wurde von Tag zu Tag schrecklicher und die Hoffnung auf ein Aufwachen hatte ich längst aufgegeben. Ich konnte hier nicht mehr bleiben, ich wusste ja noch nicht einmal, wie ich den morgigen Tag, an dem ich wieder gezwungen sein würde in die Schule zu gehen, überstehen sollte. Dass ich diese fürchterliche Prozedur noch bis zu meinem Abschluss durchhalten musste, war unvorstellbar. Ein Jahr. Zwölf Monate. Dreihundertfünfundsechzig Tage. – Nein, ausgeschlossen, absolut unmöglich! Aber was hatte ich für Möglichkeiten? Nur jene, bei der ich meinen Vater verletzte und zurück zu meiner Mutter nach Phoenix ging. Auch wenn mein Dad seine Gefühle nicht zeigen konnte und es ihm nicht leicht fiel, sein Haus nach all den Jahren der Einsamkeit auf einmal mit seiner Tochter teilen zu müssen, so wusste ich dennoch, dass ich ihm das Herz brechen würde, wenn ich ihn ebenfalls verließ. Von dem Schmerz, den meine Mom bei ihm auslöste, als sie vor vielen Jahren das Gleiche tat, konnte er sich, so glaubte ich, bis heute nicht erholen. Zurück nach Phoenix zu gehen bedeutete also, Charlie ein Messer in den Rücken rammen zu müssen, während ich gleichzeitig für Renée wieder ein Klotz am Bein wäre ... Es war alles so aussichtslos. Ich gönnte meiner Mom ihr Glück mit Phil wirklich ... Aber es machte den Eindruck, als hätte sie mich abgestempelt. „Seltsames Mädchen - kann ich nicht gebrauchen, soll sich doch ihr gleichermaßen komischer Vater darum kümmern ...“ Wahrscheinlich war es gemein, so von ihr zu denken, aber nachdem ihr Interesse an mir immer mehr zu schwinden schien, schaffte ich es nicht mehr, diese furchtbaren Vermutungen zu verbannen. Nach ungefähr einer Stunde Fahrt erreichte ich den kleinen Supermarkt, der direkt am Ortseingang von Port Angeles lag. Ich parkte meinen Truck auf dem großen, ziemlich leeren Parkplatz und wischte mir diese eine Träne, gegen die ich solange gekämpft und doch verloren hatte, noch weg, bevor ich meinen Korb nahm, mich in alle Richtungen umblickte und ausstieg. Ich wusste nicht, ob ich auch so aussah, aber ich fühlte mich wie ein Zombie. Der Supermarkt war ganz gewöhnlich. Kaum hatte man die Schiebetüren passiert, wurde man von kühler Klimaanlagenluft und Neonlicht, unter dem die Nahrungsmittel besser aussehen sollten, empfangen. Auf dem Fußboden waren weiß-grau gesprenkelte und inzwischen verkratzte Fließen verlegt; die drei Kassiererinnen saßen desinteressiert an ihren jeweiligen Kassen und sahen nur für einen Sekundenbruchteil emotionslos zu mir auf, als ich den Laden betrat und an ihnen vorbei in die Flure ging. Zu meinem Glück herrschte wenig Betrieb, nur vereinzelt kamen mir andere Kunden entgegen, weswegen mein Plan, alles Nötige eilig zusammenzusuchen, damit ich schnellstmöglich wieder nach Hause fahren könnte, bestens aufging. Brot, Milch, Joghurt, Käse, Orangensaft, Cornflakes und noch ein paar weitere, übliche Sachen landeten nacheinander in meinem Korb. Auch in der Obst- und Gemüseabteilung legte ich – obwohl davon natürlich nichts auf Charlies Liste stand – einen kurzen Zwischenstopp ein. Seine Ernährung hatte größtenteils aus Burgern und Pommes bestanden, womit - sehr zu seinem Leidwesen - seit meiner Ankunft in Forks natürlich Schluss war. Nach rekordverdächtigen zehn Minuten hatte ich alles, was ich brauchte und machte mich, vorbei an den Backwarenregalen auf den Weg zur Kasse. Doch noch ehe ich diese erreichen konnte, hörte ich plötzlich ein abgehetztes und nervöses „Entschuldigung?“, hinter mir, das mich augenblicklich zusammenzucken ließ. Erschrocken und mit allem rechnend drehte ich mich ruckartig um und blickte direkt in ein Paar seltsam vertrauter brauner Augen, deren anfängliche Ungläubigkeit nach und nach in ein freudiges Leuchten umschlug. „Sie sind es tatsächlich“, konnte er es ebenso wenig fassen wie ich. Nein, die Wahrheit war, ich konnte es noch viel weniger fassen als er, da ich ihn gedanklich bereits für tot erklärt hatte. Doch er war nicht tot. Stand leibhaftig und kerngesund vor mir. Ich war vollkommen durcheinander, wusste nicht, ob ich vor Glück lachen oder weinen sollte, und konnte diese unerwartete Begegnung innerhalb der wenigen Sekunden, die wir uns erst gegenüberstanden, überhaupt noch nicht realisieren. „Ich dachte, ich würde Sie nie wieder sehen ... Ich wusste ja noch nicht mal Ihren Namen, sodass ich im Telefonbuch nach Ihnen suchen hätte können ... Und jetzt stehen Sie auf einmal vor mir ...“ Diese Worte sprudelten nur so aus ihm heraus und das Verwirrende daran war, dass sie genauso gut aus meinem Mund hätten kommen können. Doch er war es, der sie aussprach und sie mit einem bezaubernden Strahlen in seinem Gesicht unterlegte, indessen ich ihn immer noch anstarrte, als wäre er eine optische Täuschung. „Ich war sehr besorgt um Sie, Miss ...“ „Besorgt?“, fand ich meine Stimme, die sehr heißer klang, weswegen ich mich verlegen räusperte. „Ja, Sie sind einfach zusammengeklappt.“ „Ach so ...“, stammelte ich, war vollkommen durcheinander von der Intensität seines Blickes und blinzelte kurz. „Das ehm ... war nur mein Kreislauf ... der spielt öfter mal verrückt.“ Er nahm das zwar still zur Kenntnis, aber anhand seiner Augenbrauen, die sich kurz und kaum merklich zusammenzogen, konnte ich eine gewisse Skepsis bei ihm entdecken. „Und jetzt geht es Ihnen wieder besser?“, erkundigte er sich und ließ sich nichts weiter davon anmerken. „Ja, alles wieder okay“, zwang ich mich zu einem Lächeln. „Schön“, sagte er mit seiner weichen Stimme, woraufhin eine kurze und auf mich äußerst unangenehm wirkende Gesprächspause aufkam. Ich war noch nie gut, im Small Talk halten - um genau zu sein, lag mir Reden allgemein nicht besonders. Von den tausend Fragen, die mir wegen des Vorfalls auf der Landstraße durch den Kopf jagten, traute ich mich keine einzige auszusprechen. Aber er schien, obwohl ich es kaum glauben konnte, vollkommen unverletzt zu sein, nicht mal einen Kratzer konnte ich bei ihm finden. Ohne es bemerkt zu haben, waren meine Augen seinen schlanken Körper hinuntergewandert, um nach möglichen Verletzungen zu suchen. Als ich bei seinem dunkelblauen Pulloverärmeln angelangte, um seine Hände genauer anzusehen, interpretierte er meinen Blick jedoch falsch. „Trostlos, ich weiß ...“, lächelte er beschämt, und nach kurzer Verwirrung begriff ich, dass er auf den spärlichen Inhalt seines supermarkteigenen Plastikeinkaufskorbes anspielte, der aus einer Tiefkühlpizza und einer Flasche Rotwein bestand. „Ich würde gerne etwas anderes behaupten, aber die Gerüchte, die über das Essverhalten von allein stehenden Männern kursieren, treffen leider alle zu.“ Er fasste sich bei seinen Worten an den Nacken, schien ein wenig peinlich berührt zu sein und machte fast den Eindruck, als wolle er sich für seine ungesunde Ernährung bei mir entschuldigen. Dieses Verhalten brachte mich zum Schmunzeln, wirkte er doch dadurch auf einmal ziemlich niedlich und überhaupt nicht so Respekt einflößend, wie ich unbekannte Männer normalerweise empfand. Ein bisschen schüchtern und mit einem Funkeln in seinen tiefbraunen Augen erwiderte er mein Schmunzeln und irgendetwas sagte mir, dass von ihm keinerlei Gefahr ausging, dass er einfach nur ein höflicher Fremder frei von bösen Hintergedanken war. Ich konnte mir dieses Gefühl selbst nicht erklären, stand es doch im absoluten Gegensatz zu meiner sonstigen, misstrauischen Natur – aber bei Fynn schienen meine Vorbehalte absolut nicht gerechtfertigt zu sein. „Verraten Sie mir denn dieses Mal Ihren Namen? Oder habe ich mit der Tiefkühlpizza jetzt alles ruiniert? Ich kann sie auch wieder zurücklegen, wenn sie möchten!“ Ich wusste selbst nicht, was in mich gefahren war, als ich amüsiert gluckste und meinen Kopf schüttelte. Für einen Moment war ich vor mir selbst erschrocken, hatte ich doch ein Geräusch, das auch nur annähernd an ein Lachen erinnerte, schon seit mehr als zwei Wochen nicht mehr aus meinem Mund gehört. Aber es war einfach passiert, sein charmantes und in keiner Sekunde aufdringliches Lächeln hatte mich angesteckt, mich für einen kurzen Moment ausgelassen gestimmt. Ein Funkeln trat in seine Augen; er schien sich zu freuen, mich mit seinem dezenten Scherz erheitert zu haben. „Mein Name ist Isabella ... Isabella Swan.“ Ohne, dass ich darüber nachgedacht hätte, war es einfach so über meine Lippen gekommen, wie ein Reflex, den ich nicht steuern konnte. „Sehr angenehm. Fynn Agapiou“, stellte er sich zu meinem Glück der Höflichkeit halber noch einmal vor und ersparte mir somit die Peinlichkeit, seinen Namen nicht mehr gewusst zu haben. Agapiou ... „Oh, ich weiß, was Sie denken. Der Name hört sich nicht unbedingt amerikanisch an, richtig?“, lächelte er, woraufhin ich, weil er mich vollkommen durchschaut hatte, verlegen lächelnd mit meinen Schultern zuckte. „Das liegt daran, dass ich ursprünglich aus Ägypten stamme“, erklärte er freundlich. Ägypten ... das erklärte seine hellbräunliche Hautfarbe mit dem leichten Olivstich. Ein bisschen zu blass erschien er mir trotzdem noch, aber womöglich kränkelte er tatsächlich, so wie ich es bereits bei unserer ersten Begegnung vermutet hatte. Oder vielleicht war ja auch eines seiner Elternteile hellhäutig gewesen? Ich hatte jedenfalls noch nie einen Ägypter getroffen und fand es irgendwie beeindruckend, aus einem Land zu kommen, bei dem man sofort an die alten Pharaonen und Jahrtausende alte Pyramiden dachte. „Ihr Amerikanisch ... Sie sprechen so akzentfrei ...“, warf ich ein. Denn um genau zu sein, war seine Aussprache noch viel klarer, als die eines jeden Amerikaners. Ausgenommen ... Nein, nichts ausgenommen, verbannte ich diesen seltsamen und nur kurzweilig aufflackernden Gedanken, der noch während des Denkprozesses seinen Zusammenhang verloren hatte. Er kicherte leise, schien sich über meine Aussage leicht zu amüsieren, weswegen ich mir augenblicklich blöd vorkam und sie am liebsten sofort wieder zurückgenommen hätte. „Das liegt daran, dass meine Mutter Amerikanerin war, ich bin zweisprachig aufgewachsen“, erwiderte er, fühlte sich anscheinend geschmeichelt und ließ wider Erwarten nicht die geringste Belustigung heraushören. Ein Elternteil war wirklich hellhäutig gewesen, ich hatte also richtig gelegen mit meiner Vermutung. Aber etwas in seinem Satz stimmte mich betroffen, denn er hatte von seiner Mutter in der Vergangenheit gesprochen. Offenbar lebte sie nicht mehr und bei mir zog sich alles zusammen, wenn ich mir vorstellte, wie schrecklich es sein musste, seine Muter zu verlieren. „Außerdem lebe ich schon einige Jahre in den Vereinigten Staaten, Isabella“, fuhr er in angenehmer Stimme fort. „Und seit einer Weile bin ich auf der Durchreise.“ „Oh ... Sie gehen also bald wieder“, entwich es mir und klang noch dazu viel enttäuschter, als ich es mir erklären konnte. Was war nur los mit mir? Auf seine Lippen legte sich ein unglaublich liebevolles Lächeln und seine tiefbraunen Augen, deren schwarze Pupillen auf einmal einen sehnsüchtigen Ausdruck bekamen, nahmen mich für einen Moment vollends gefangen. „Nicht, wenn ich etwas finde, für das es sich zu bleiben lohnt ...“ Ich spürte, wie mir diese Bemerkung augenblicklich durch Mark und Bein fuhr. Seine Worte, die er so intensiv betonte und sein einnehmender Blick, den er keine Sekunde von mir abwandte, paralysierten mich vorübergehend. Meinte er damit mich? War ich der Grund, für den es sich zu bleiben lohnte? Nein, er konnte mich nicht meinen, er kannte mich überhaupt nicht. Würde er das, würde er auch sicher nicht meinetwegen bleiben wollen. Im Gegenteil. Aber doch, seine Augen sagten mir, er würde von niemand anderem als mir sprechen. Ich verstand es nicht, war verwirrt, fühlte aber ganz deutlich, dass er mich nicht anlog, dass er mir die Wahrheit sagte. Als mir das bewusst wurde, spürte ich prompt, wie mir die Röte ist Gesicht stieg, und weil mir auffiel, dass Fynn die Verfärbung meiner Wangen lächelnd und eingehend musterte, fühlten sich diese schlagartig noch heißer an. Schnell wandte ich meinen Blick von ihm ab, wusste nicht, in welche Richtung ich ihn stattdessen lenken sollte und entschied mich unterbewusst für die Kasse, was Fynn dummerweise falsch verstand. „Oh, entschuldigen Sie, ich halte Sie wahrscheinlich auf. Sie scheinen es eilig gehabt zu haben, ich bin Ihnen ja vorhin kaum hinterhergekommen.“ Wieder dieses Lächeln, wieder diese anziehende Wirkung, die davon ausging. Hatte ich es eilig? ... Oh ... ja, ich hatte es eilig, denke ich ... Ich zog meine Stirn in Falten und versuchte mich zu sammeln, ehe ich antwortete. „Ehm ... Ja, so ein bisschen habe ich es tatsächlich eilig“, war jedoch das traurige und vor allem dünne Ergebnis. Tolle Antwort, Isabella ... Bedauern spiegelte sich in seiner Miene wider, die er mit einem leichten Lächeln zu überspielen versuchte. „Hm ...“, murmelte er leise, bevor erneut ein Glitzern in seine Augen trat. „Aber ich bestehe darauf, Sie noch bis zur Kasse und zu Ihrem Auto begleiten zu dürfen. Das sind Sie mir schuldig, wenn Sie mich schon so unverfroren abwimmeln wollen, Isabella.“ Meine Mundwinkel zuckten nach oben, bildeten sich zu einem Schmunzeln, und mein Kopf nickte wie von selbst. Erfreut über meine wortlose Zusage machte er eine ausladende Handbewegung, mit der er mir signalisierte, mich vor sich gehen zu lassen. Nur ziemlich unsicher, weil ich so etwas nicht gewohnt war, ging ich dieser Geste nach. Schweigend und schon nach wenigen Metern erreichten wir die Kassen, wo Fynn, sehr zu meiner Erleichterung, eine andere nahm als ich. Es wäre mir unangenehm gewesen, wenn er jeden meiner Handgriffe beobachten hätte können, was dann letztendlich nur darauf hinausgelaufen wäre, dass ich mich mit einer daraus wahrscheinlich entstandenen Ungeschicktheit ziemlich blamiert hätte. Auch währenddessen ich meine Waren aufs Band legte und er, weil sein Einkauf wesentlich geringer ausgefallen war als meiner, bereits neben den Türen stand und auf mich wartete, sah er kaum und wenn dann nur sehr kurz in meine Richtung. Nur ich war in dieser, wie in vielerlei anderer, Hinsicht so komisch. Vermutlich hätte sich kein normaler Mensch was dabei gedacht, bei so einer herkömmlichen Tätigkeit, wie im Supermarkt an der Kasse zu stehen, von jemandem beobachtet zu werden. Deswegen war ich ihm, obwohl er das sicher nicht bewusst tat, für seine Zurückhaltung sehr dankbar und fühlte mich den Umständen entsprechend behaglich. Abschließend bedankte ich mich bei der Kassiererin, nahm meinen Korb und lief zu Fynn, der mich mit einem freundlichen Lächeln empfing, bevor wir gemeinsam nach draußen auf den Parkplatz gingen. Unauffällig erhaschte ich dabei den ein oder anderen Blick auf ihn und fand, dass er zwar keinem klassischen Schönheitsideal entsprach, aber dennoch ein männlich markantes und hübsches Gesicht hatte. Seine dunklen, wuscheligen Haare, seine braunen Augen, und sein leicht exotisches Aussehen gefielen mir ... irgendwie ... Als wir meinem roten Truck näher kamen und ich wie durch ein Wunder kein einziges Mal gestolpert war, wurden wir immer langsamer, bis wir letztendlich stoppten und uns etwas unbeholfen gegenüberstanden. „Es hat mich sehr gefreut, Sie wieder getroffen zu haben, Isabella“, strahlte er mich an und klang bei jeder Silbe aufrichtig. Ich errötete ein wenig, biss mir verlegen auf die Unterlippe und nickte schließlich, weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen. „Wenn ich mir Ihren Einkauf so ansehe“, ließ er seinen Blick schmunzelnd über meinen Korb schweifen, bevor er ihn wieder in meine Augen richtete. „Dann scheint ihre Ernährung weitaus gesünder zu sein, als die meinige. ... Wissen Sie, ich mag es, wenn Frauen sich gesund ernähren ...“ Seine Stimme klang wie eine Melodie, löste ein undefinierbares Gefühl in mir aus, während ich zu nichts anderem fähig war, als vollkommen gebannt in seine tiefschwarzen Pupillen zu sehen. „Vielleicht ...“, fing er sachte an und schien mich mit jedem Wort zu hypnotisieren. „Hätten Sie ja Lust, so einem hoffnungslosen Fall wie mir Abhilfe zu leisten, indem sie mich mal besuchen kommen und wir zusammen etwas kochen?!“ Ich war kurz davor, einfach ja zu sagen. Meine Lippen wollten das „J“ schon formen, nur eine Stimme in meinem Hinterkopf, die ich mal gedämpft und mal deutlicher verstehen konnte und die mich immer wieder fragte, ob ich vollkommen verrückt geworden war, hielt mich im letzten Moment davon ab. „So ein schlechter Koch bin ich eigentlich nicht, wie Sie wahrscheinlich denken, für mich alleine lohnt sich der Aufwand nur meistens nicht. Sie brauchen also nichts zu befürchten. Außerdem bin ich leidenschaftlicher Weintrinker, ich habe ein paar sehr Auserwählte in meinem Apartment ... Mit gutem Bouquet kenne ich mich aus, Isabella“, lächelte er und überzeugte mich auf eine seltsame Weise mit jedem Wort mehr. „Sagen Sie ja, Isabella.“ Ja. Ja. Ja. Nichts wünschte ich mir in diesem Atemzug plötzlich sehnlicher, als Ja zu sagen, als ihn wieder zu sehen, als gemeinsam mit ihm etwas zu kochen. Außerdem wollte sonst nie jemand Zeit mit mir verbringen, ich wäre dumm, wenn ich ihn genauso vergraulen würde wie alle anderen. Aber ... Irgendwo in meinem Kopf gab es ein Aber. Isabella Swan würde niemals zu so etwas Ja sagen und ich verstand nicht, warum ich in diesem Fall den Drang hatte, es zu tun. Völlig konfus blinzelte ich, wandte meinen Blick von seinen Augen ab und versuchte, meine Kontrolle wieder zu erlangen. Was mir wenige Sekunden später, als ich auf einmal realisierte, was ich fast in Begriff gewesen wäre zu tun, auch gelang. „Ehm ... Nein, tut mir leid, Fynn ... Ich ... Nein ...“, stammelte ich, war immer noch durch den Wind, jedoch hatte mein Verstand wieder die Oberhand gewonnen. Fynn zog seine Stirn kraus, schien ein bisschen verwirrt zu sein, doch schon kurz darauf nahm sein Gesicht wieder die gleichen weichen Züge wie zuvor an. „Oh“, bedauerte er, sah kurz auf den Boden und steckte seine freie Hand in seine hintere Hosentasche. „Möchten Sie mir dann vielleicht wenigstens ihre Handynummer geben? Verstehen Sie mich nicht falsch ... Ich möchte Sie nicht belästigen, ich würde Sie nur unheimlich gerne wieder sehen.“ Er klang von Grund auf ehrlich, schien jedes Wort so zu meinen, wie er es sagte - auch wenn ich seine Beweggründe dafür absolut nicht nachvollziehen konnte. „Ich habe leider kein Handy ...“, entgegnete ich ihm und es tat mir regelrecht weh, ihm erneut und unbeabsichtigt eine Abfuhr erteilen zu müssen. „Sie haben kein Handy?“, wiederholte er ein bisschen ungläubig, war dieser Aspekt doch ziemlich unüblich für die heutige Zeit. Nein, natürlich hatte ich kein Mobiltelefon. Warum auch? Wer brauchte schon ein Handy, wenn einem ohnehin nie jemand anrief? Und da ich nicht zu der Gruppe von Menschen gehörte, die zumindest den Eindruck erwecken wollten, als würde es doch jemand tun, besaß ich keines. Entschuldigend schüttelte ich leicht meinen Kopf, woraufhin er eine Weile nachdenklich wirkte, ehe er mich durch seine Wimpern hindurch ansah und mir eine Frage stellte. „Wollen Sie mich allgemein nicht wieder sehen ... oder liegt es an ihrem eifersüchtigen Freund?“ „Ei ... Ei ... Eifersüchtigen Freund?“, brachte ich schleppend hervor und war aus allen Wolken gefallen, weil ich keine Ahnung hatte, worauf er hinauswollte. Ich, einen Freund? Wollte er sich über mich lustig machen? „Der junge Mann, der auf einmal aus dem Wald gerannt kam und sie ziemlich unsanft aus meinen Armen riss, als sie ihr Bewusstsein verloren hatten“, half er mir auf die Sprünge und wirkte irritiert. Augenblicklich erstarrte ich, konnte mir die Szenerie, jetzt wo er sie beschrieben hatte, bildlich vorstellen und bekam Probleme mit meiner Luftzufuhr. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Isabella? Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Besorgt musterte mich Fynn, dem mein unkontrollierter Ausbruch leider nicht entgangen war. „Ehm, nein ... Ich-“ Kurz hielt ich inne, atmete tief durch und bemühte mich, wieder Klarheit in meinen Kopf zu bekommen. „... Er ist nicht mein Freund.“ Wie grotesk. Edward Cullen war vieles, bestimmte sogar meine Leben - aber er war genau das Gegenteil von einem Freund. „Nicht?“, zog Fynn seine Augenbrauen zusammen und wirkte ziemlich überrascht. „Nein“, sagte ich schnell, schüttelte meinen Kopf und fand die Vorstellung, dass jemand meinen Peiniger als meinen Freund vermutete, einfach nur schrecklich. „Oh ... und ich dachte, weil ...“ Er brach ab und bekam einen ernsthaft beunruhigten Gesichtsausdruck. „Weil was?“, bat ich ihn weiter zu sprechen und war sofort alarmiert. Fynn kam ins Grübeln und rang eine Weile mit sich, ehe er antwortete. „Ach nichts, vergessen Sie’s“, lächelte er schließlich und wollte so tun, als hätte er nie etwas erwähnt. Doch in seinen Augen konnte ich ganz deutlich sehen, dass er mir nur etwas vorspielte und mir etwas Wichtiges verschweigen wollte, weswegen ich von Sekunde zu Sekunde nervöser wurde. „Nein, bitte, was meinen Sie“, drängte ich. „Ich dachte nur, wahrscheinlich klingt es absurd ...“ „Was dachten Sie?“ Meine Stimme war mindestens zwei Oktaven zu hoch und ich spürte die Panik, die, je länger er rumdruckste, immer mehr Besitz von mir ergriff. „Na ja ... es machte den Eindruck, als wäre er Ihnen ... gefolgt ... aber das ist natürlich albern.“ Er lächelte über seine Worte, als wären sie nur ein haltloses Hirngespinst, wofür er sich schämte, es überhaupt geäußert zu haben. Mir hingegen war nicht im Geringsten nach Lachen zumute. Er hatte den Nagel direkt auf den Kopf getroffen und ich konnte förmlich fühlen, wie jegliche Farbe aus meinem Gesicht verschwand. Fynn hatte das ausgesprochen, was ich seit nun mehr fast drei Wochen vollkommen alleine mit mir herumtrug und was mich von innen heraus auffraß. Ich war geschockt, fühlte mich aber in der gleichen Sekunde seltsam befreit. Denn für einen klitzekleinen Moment wirkte es auf mich, als müsste ich das Gewicht der niederdrückenden Last nicht mehr nur selbst tragen. Fynns Lächeln verschwand allmählich von seinen Lippen, während sich seine Augen zeitgleich immer weiter verengten. Ihm war meine Reaktion nicht entgangen und er deutete sie richtig. „Isabella? Tat er das tatsächlich, war er Ihnen gefolgt?“ Augenblicklich hätte ich anfangen können zu weinen. Es tat so gut, diese Frage von jemandem gestellt zu bekommen. Es schien so greifbar, die mich zermürbende Mauer des Schweigens endlich brechen zu können, jemandem von dem Horror und der Todesangst, die mich plagten, zu erzählen. Doch ich brachte keinen Ton hervor und starrte stattdessen nur wie betäubt in seine, von einer bösen Vorahnung erschütterten, tiefbraunen Augen. „Werden Sie von diesem Typen bedrängt? - Isabella, wen dem so ist, dann müssen Sie mir davon erzählen, hören Sie?“ Er sprang so eindringlich, klang so ernsthaft besorgt um mich, dass ich das dringende Bedürfnis bekam, am liebsten sofort und ohne Punkt und Komma alles auszuplaudern, meiner Seele Luft zu verschaffen, die unter dem Druck der letzten Tage immer mehr einging. Fynn wirkte plötzlich so vertraut auf mich, als würde ich ihn schon mein Leben lang kennen und als könnte ich mit ihm über alles reden. Er war nicht so wie Edward, er war ganz anders, das spürte ich. Von ihm ging keine Gefahr aus, ich hätte nichts zu befürchten bei ihm. In seinen Augen strahlte nichts als Aufrichtigkeit und ehrliche Sorge. Das Geräusch eines an uns vorbeifahrenden Autos ließ mich abrupt aufblicken und lenkte meine Aufmerksamkeit kurzzeitig von Fynn ab. Doch es war nicht der silberne Volvo, den ich befürchtet hatte. Dafür ließ mir dieser kleine paranoide Schub aber eine andere Sache ganz deutlich bewusst werden: Ich dürfte Fynn, auch wenn die Verlockung noch so groß war, kein Sterbenswörtchen von dem Ganzen erzählen, wenn ich nicht wollte, dass es ihm ebenso erging wie mir. Und das wollte ich keinesfalls. Ich würde ihn durch meinen Egoismus in Gefahr bringen und ihn in etwas hineinziehen, mit dem er nichts zu tun haben sollte. Es reichte, wenn mein Leben zu Ende war, Fynn sollte seines sorgenlos weiterführen können und mit all dem nicht in Verbindung kommen. Es war mein Schicksal, nicht seines und ich schämte mich dafür, überhaupt in Betracht gezogen zu haben, ihn in mein Leid einzubeziehen. Nur dieser Erkenntnis und Fynns Sicherheit wegen schaffte ich es, diese folgende und fatale Lüge aus meinem Mund zu bekommen. „Nein, er verfolgt mich nicht.“ Ich zwang meine steifen Mundwinkel zu einem Lächeln und hoffte, dieses würde überzeugend wirken. „Er kam zufällig vorbei und weil er Sie nicht kannte, dachte er einfach ... ich würde Hilfe benötigen.“ Ausgiebig musterte mich Fynn, schien erneut kurzzeitig verwirrt zu sein und suchte nach einem Anzeichen in meinem Gesicht, welches ihm meine Lüge verraten würde. Offenbar, und obwohl ich es nicht glauben konnte, wurde er nicht fündig. „Sind Sie sicher?“, vergewisserte er sich trotzdem noch einmal, klang jedoch bereits sehr viel entspannter. Ich nickte. „Gut“, sagte er. „Mit solchen Typen habe ich nämlich ein echtes Problem.“ Das glaubte ich ihm aufs Wort und ich war davon überzeugt, dass er so etwas wie Edward niemals tun würde. „Darf ich Ihnen dann wenigstens meine Handynummer geben?“, fragte er freundlich, nachdem wir uns eine Minute schweigend gegenübergestanden waren. „Natürlich“, bestätigte ich heißer und räusperte mich. „Einen Moment“, bat er mich mit einem zufriedenen Lächeln und lief kurz zu seinem nur wenige Meter entfernten Auto, wo er im Handschuhfach nach Stift und Papier kramte. Er fand schnell, was er gesucht hatte und notierte seine Telefonnummer darauf, bevor er die Autotür schloss und anschließend wieder zu mir zurückkam. „Hier“, reichte er mir den Papierstreifen, welchen ich ihm, darauf bedacht, seine Finger nicht zu berühren, schüchtern abnahm. Mein Blick fiel auf das weiße Blatt, auf dem in schwarzen Lettern sowohl Name als auch Telefonnummer stand. Fynn Agapiou 360 – 72 38 90 Die Buchstaben und Zahlen waren untypisch geschwungen, gefielen mir, auch wenn ich so eine ähnliche Handschrift noch nie gesehen hatte. „Was ist? Sind sie verwundert, dass es keine Hieroglyphen sind?“, zog er mich mit einem schalkhaften Leuchten in seinen Augen auf. Ich musste schmunzeln, spürte dabei aber deutlich, wie meine Wangen einen Roséton annahmen. „Nein“, meinte ich verlegen. „Ich habe nur Ihre schöne Handschrift bewundert.“ „Gefällt sie Ihnen? Das freut mich. – Aber noch mehr würde es mich freuen, wenn Sie die damit geschriebene Nummer auch anrufen würden.“ Hoffnungsvoll zog er eine Augenbraue nach oben und schien auf ein Versprechen zu warten, das ich ihm nicht geben konnte. Trotzdem nickte ich, weil ich ihn nicht enttäuschen wollte. „Ist das ein Versprechen? Damit würden Sie mir nämlich die Peinlichkeit ersparen, mich von heute an täglich im Supermarkt rumdrücken zu müssen, nur wegen der kläglichen Hoffnung, Ihnen dadurch vielleicht wieder begegnen zu können.“ Seine charmante Art war einfach zu mächtig, denn wieder hatte er mich zum Lächeln gebracht. Natürlich scherzte er nur, keine Frage, aber die Weise, in der er mich ansah, ließ vermuten, er wäre wirklich bereit, das zu tun. „Gut, ich werde Sie anrufen, Fynn“, versicherte ich es ihm ein weiteres Mal, obwohl ich in Wirklichkeit erst noch darüber nachdenken musste und mir eigentlich überhaupt nicht vorstellen konnte, mich telefonisch bei ihm zu melden. Aber in diesem Moment wollte ich es, genauso wie ich ihn unbedingt wieder sehen musste. „Ich verlasse mich auf Sie“, grinste er nachdrücklich, gab sich aber mit meiner Antwort zufrieden. „Dann möchte ich Sie nicht länger aufhalten, ich habe Ihnen schon genug Zeit gestohlen. Passen sie gut auf sich auf, Isabella.“ Er schenkte mir noch ein letztes, betäubendes Lächeln und senkte seinen Kopf ein bisschen, deutete eine Verbeugung an, ehe er sich umdrehte und zu seinem Wagen lief. Weder ein Handschlag noch ein Kuss auf die Wange zum Abschied - er war einfach gegangen. Und das war das Beste, was er tun konnte, denn alles andere hätte mich unwohl fühlen lassen. Erst nach ein paar Sekunden bemerkte ich, dass ich ihm immer noch nachstarrte, weswegen ich mir mit einem Mal total blöd vorkam und mich schnell abwandte. Ich konnte es nicht beschreiben, aber ich fühlte mich irgendwie komisch. Immer wieder kniff ich meine Augen zusammen und war komplett durch den Wind. Diese Begegnung ... sie wirkte so irreal auf mich, war abgelaufen, als wäre sie ein Film gewesen, bei dem ich nicht mitspielte ... Nachdem ich noch ein paar Mal geblinzelt und vergeblich versucht hatte, meine Gedanken zu sortieren, verstaute ich meinen Einkauf auf dem Beifahrersitz und stieg anschließend selbst ins Auto, bevor ich den Motor startete und losfuhr. Schon nach wenigen Metern hatte mich mein altes Leben wieder komplett eingeholt. Die Paranoia, auf einen der Cullens zu treffen, beherrschte mich aufs Neue, und meine Blicke in den Rückspiegel glichen dem Abfeuern eines Maschinengewehrs. Erst jetzt, als ich von dieser Angst wieder vollends übermannt wurde, bemerkte ich, wie sicher und geborgen ich mich in Fynns Gegenwart gefühlt hatte, was mir innerhalb der Situation gar nicht bewusst gewesen war. Diese zehn, vielleicht fünfzehn Minuten, die ich mit ihm verbracht hatte, kamen mir im Nachhinein wie ein erholsamer Urlaub vor. Es war fast so, als wäre ich in einer anderen Welt gewesen, in einer Art Paralleluniversum, in dem es die Cullens nicht gab. Warum ich das so empfunden hatte, war für mich unerklärlich. Ich verstand es nicht, wusste nur, dass es so war und dass ich mich ungeheuerlich nach diesem Gefühl zurücksehnte. Aber nicht nur das war mir schleierhaft ... eigentlich war mir alles ein Rätsel. Fynn hatte mich angesehen, wie mich nie jemand ansah, und er hatte mit mir gesprochen, wie sonst keiner mit mir sprach ... Und das, obwohl ich mich so dermaßen blöd benommen hatte. Ständig hatte ich nur unbeholfen rumgestammelt, blöd gegrinst, oder gar nichts gesagt und mich noch nicht einmal verabschiedet von ihm. Warum um Himmels willen wollte er mich wieder sehen? Er war älter als ich, viel klüger, gut aussehend, wirkte souverän und war zusätzlich auch noch charmant. Weshalb gab er sich dann mit so jemandem wie mir überhaupt ab? War ihm denn nicht aufgefallen, wie seltsam ich war? Ich schnaubte verächtlich, denn mein heutiges Verhalten hatte eigentlich definitiv keinen Zweifel daran offen gelassen. Jetzt, da ein paar Minuten verstrichen waren, konnte ich mir überhaupt nicht mehr vorstellen, dass er mich mochte ... aber als ich in seine Augen gesehen hatte, da war ich, so absurd es klang, felsenfest davon überzeugt gewesen. Es war, als stände es dort geschrieben und man könnte nichts anderes tun, als die Worte in sich aufzusaugen, sie regelrecht zu inhalieren. So sehr ich während der gesamten Fahrt meine Gedanken auch wälzte, ich wurde nicht schlauer. Die Begegnung mit Fynn blieb merkwürdig, mysteriös, befremdend und doch irgendwie vertraut. Nach gut einer Stunde erreichte ich unser Haus am Waldrand, parkte den Truck und stieg, nachdem ich mich durch Blicke in alle Richtungen abgesichert hatte, aus. Mit dem Korb in der Hand stolperte ich zur Haustür, öffnete diese schnell und fühlte mich erst wieder sicherer, als ich die gewohnten Wände der Küche um mich herum hatte. Ich verstaute den Einkauf, räumte den Korb weg und begab mich anschließend hoch in mein Zimmer, weil ich mich dort immer noch am wohlsten fühlte. Doch schon, als ich die Tür öffnete und mein Blick sofort auf das geöffnete Fenster fiel, erstarrte ich in meiner Bewegung. Ich hatte es verschlossen, ganz sicher war es verschlossen gewesen, als ich ging. Ich hätte es niemals offen gelassen, hatte es, um genau zu sein, aus Angst schon seit einigen Tagen nicht mehr geöffnet. Mein Herz begann zu rasen, während mein Körper wie steif gefroren da stand und sich keinen Millimeter bewegen konnte. Mein Blick schweifte hektisch durch den Raum, entdeckte, dass der Kleiderschank offen stand, dass sich das Buch, welches ich auf den Schreibtisch gelegt hatte, auf meinem Bett mit der - nicht von mir - zerwühlten Bettwäsche befand. Innerhalb von Sekundenbruchteilen und wie im Zeitraffer prasselten diese schrecklichen Eindrücke auf mich ein, nahmen mir die Luft zum Atmen, während meine Augen unaufhörlich jede kleinste Veränderung in sich aufsogen. Zwei Schubladen von meinem Regal standen offen; auf meinem Schreibtisch waren all meine Unterlagen durcheinander gebracht worden. Ich fing an zu hyperventilieren. Jemand war hier gewesen. Nein, nicht jemand. Er war hier gewesen. Edward Cullen war in den einzig sicheren Ort, den ich noch hatte, eingedrungen. Und dann überkam mich in meiner Schockstarre noch der grauenvollste Gedanke überhaupt: Wer sagte mir, dass er weg war? Vielleicht befand er sich noch im Haus? Lauerte womöglich hinter der offen stehenden Kleiderschranktür, die ich nicht einsehen konnte. Ich begann zu zittern. Spürte die Todesangst in dieser Sekunde genauso intensiv wie damals im Wald und wusste nicht, was ich tun sollte. Kapitel 5: Verstanden und Beschützt ----------------------------------- So, nachdem das letzte Kapitel doch recht lange her ist, hab ich mich beeilt, das neue Chapter endlich fertig zu schreiben. Ich hoffe, die Länge entschädigt. 15.413 Wörter ist ne Menge! Hehe... Auch vielen Dank für eure tollen Kommentare =) Also viel Spass mit dem neuen Kapitel! =) -------------------------- Meine Lunge fühlte sich an, als würde sie in Flammen stehen, als wäre ich gerade einen Tausend-Meilen-Marathon gelaufen. Unbeholfen und viel zu schnell stolperte ich rückwärts aus meinem Zimmer und streifte mit meinen ausgestreckten Armen den Rahmen meiner Tür, in der Hoffnung, irgendeinen Halt zu finden und nicht zu fallen. Ich stieß gegen das Geländer im Flur, meine Hände zitterten, als sie sich in das Holz krallten und ich mich Richtung Treppe zog, mein Rücken gegen das Holz gepresst. Ängstlich huschte mein Blick dabei zur Seite, um sicher zu gehen, dass sich auch in den Ecken des Flures niemand versteckte, ehe ich den Pfeiler der Treppe erreichte, meinen Körper mehr um meine Achse schleuderte und anschließend die Stufen panisch hinunterlief. Ich verzichtete darauf, jede einzelne zu nehmen, übersprang stattdessen gleich ein paar und konzentrierte mich nur darauf, endlich von hier zu verschwinden. Doch dann spürte ich, wie mein Ballen nur noch die Kante einer Stufe streifte, als ich meinen Fuß zu weit nach vorn setzte. Ich verlor das Gleichgewicht und bevor ich mich richtig am Geländer festhalten konnte, fiel ich auch schon vorn über. Instinktiv streckte ich meine Arme aus, um den Aufprall abzufedern. Ich spürte, wie mein Handgelenk unter meinem Gewicht eingeklemmt wurde, als ich über die letzten Stufen ins Erdgeschoss rollte. Augenblicklich durchzuckte mich ein nie gekannter Schmerz und ich schrie auf, als ich gleich darauf unten auf dem Boden zum Halt kam. Es fühlte sich an, als hätte mein rechtes Gelenk Feuer gefangen. Während ich bäuchlings vor dem Treppenabsatz lag, hob ich meinen Kopf, starrte auf den Schmerzpol und biss meine Zähne zusammen, um nicht noch einmal so laut zu sein. Das brennende Gefühl schien mit jeder Sekunde zuzunehmen und ich wagte es nicht, meinen Arm auch nur einen Millimeter zu bewegen. Dabei musste ich eigentlich sofort wieder auf die Beine. Ich hatte noch immer keine Garantie dafür, dass ich allein im Haus war. Mein Kopf wanderte langsam in alle Richtungen und ich versuchte, leiser zu atmen, um etwaige, fremde Geräusche herauszufiltern. Vorsichtig hob ich meinen Oberkörper ein Stück und stützte mich auf meinen unverletzten Arm. Doch schon diese kleine Bewegung reichte aus, um mich aufstöhnen zu lassen. Nicht nur mein Handgelenk litt Höllenqualen, auch der Rest meines Körpers schmerzte an jeder erdenklichen Stelle - zwar nicht allzu stark, aber immer noch genug, um mich innehalten zu lassen. Noch langsamer als zuvor richtete ich mich auf, darauf bedacht, keine zu großen Bewegungen zu machen. Es kam mir fast wie eine Ewigkeit vor, bis ich die kalte Flurwand an meinem Rücken spüren konnte. Ich erlaubte mir nur ein paar Sekunden zu verschnaufen, dann stützte ich mich mit einer Hand an der Wand ab und rappelte mich auf. Ein Hissen entwich mir, als mein schmerzendes Gelenk aus Versehen mein Bein streifte und ich verbot mir, auch nur eine weitere Sekunde daran zu denken. Erst musste ich hier raus. Mit einem Seufzer lehnte ich meinen Kopf gegen die Wand und schloss für einen kurzen Augenblick die Augen. Tief atmete ich durch, dann stieß ich mich sachte ab und machte mich den Umständen entsprechend zügig auf den Weg zur Haustür. Noch ein letzter ängstlicher Blick Richtung Küche, Wohnzimmer und Flur, dann drehte ich den Türknauf und verschwand hastig nach draußen. Dummerweise hatte ich meinen Autoschlüssel im Haus liegen gelassen, also konnte ich nicht mit dem Transporter weg. Ob das überhaupt mit meiner Hand möglich gewesen wäre, war eine andere Sache. Mit schnellen Schritten lief ich auf die Straße zu, überquerte diese, ohne wirklich darauf zu achten, ob ein Auto kam. Ich verließ mich da auf mein Gehör. Und weil ich nichts dergleichen vernehmen konnte, ging ich automatisch davon aus, dass auch keines in der Nähe war. Auf dem gegenüberliegenden Bürgersteig angelangt, blickte ich während des Laufens ständig nach links und rechts, während ich meinen rechten Arm hielt. Bei jeder ungeschickten Bewegung sog scharf ich die Luft ein. Eine Weile lief ich durch die Straßen von Forks. Ich traute mich nicht, in abgelegenere Gegenden zu wandern. Dort würde eine weitaus größere Gefahr bestehen, von jemandem überfallen zu werden. Von ihm überfallen zu werden. So wie damals im Wald. Hier, wo ihn jeder sehen konnte, würde er es nicht wagen, auch nur in meine Nähe zu kommen. Das redete ich mir jedenfalls ein. Die Realität aber war, dass es Leute gab - und ich wusste nicht, ob er zu diesen gehörte -, denen Zeugen überhaupt nichts ausmachten. Auch war es leider sehr, sehr oft der Fall, dass Letztere eher zuschauten, statt einzugreifen und dem vermeintlichen Opfer zu helfen. Sie hatten zu viel Angst um ihr eigenes Leben und wollten mit solchen Dingen nicht konfrontiert werden. Und die Bevölkerung von Forks war da sicher keine Ausnahme. In so einem kleinen Ort bewahrte man viel eher die sorglose Ruhe und vermied es, in irgendeinen größeren Trubel zu geraten. Der schnellste Weg, Ärger loszuwerden, war, ihn zu ignorieren und abzuwarten, nicht mit hineingezogen zu werden. Ich schnaubte und bemitleidete mich wieder selbst, in so eine Gegend gezogen zu sein - und das alles nur zum Wohl meiner Mutter. Langsam fühlten sich meine Beine wie Blei an, jeder weitere Schritt wurde schwerer. Der ohnehin schon graue Himmel war noch dunkler geworden und ich wusste, dass ich nicht ewig so umherlaufen konnte. Bald würde die Nacht hereinbrechen und spätestens dann hätte ich keine andere Wahl, als nach Hause zurückzukehren, wenn ich nicht auf der Straße schlafen wollte. Wie dumm, dass ich keine Freunde hatte, bei denen ich jetzt klopfen und fragen hätte können, ob ich bei ihnen übernachten durfte. Einer dieser Nachteile, wenn man nicht wirklich existent in dieser Welt war. Nicht weit entfernt von mir entdeckte ich eine kleine Grünfläche auf der rechten Seite hinter dem Bürgersteig. Sie war nicht sonderlich groß, ein paar vereinzelte Bäume standen dort. Gleich dahinter breitete sich der Wald von Forks aus. Ein paar Bänke aus schwarzem Eisen und mit braunen Holzsprossen standen verteilt auf der freien Fläche. Ich passierte das letzte Haus und schritt auf die nahe liegendste zu. Sie stand neben einem riesigen Weidenbaum, deren Äste tief hinunter hingen. Langsam lief ich darauf zu und ließ mich mit einem leisen Ächzen nieder. Schmerz durchzuckte meinen Arm wie ein Lauffeuer, als ich damit dummerweise gegen die metallene Seitenlehne stieß. Ich kniff meine Augen zusammen und presste meine Lippen aufeinander, um den kleinen Aufschrei zu unterdrücken. Als wäre mein Handgelenk aus Glas, stützte ich es mit meiner linken Hand nach oben und krempelte meinen Ärmel sachte ein Stück nach hinten, damit ich mir mein Dilemma genauer ansehen konnte. Noch immer waren zarte Spuren der Blutergüsse zu erkennen - schmale, grünlichgelbe Linien, die nur langsam verblassten; jetzt etwas deutlicher durch die leicht pink leuchtende, pochende Haut. Mit Bedacht tippte ich mit meinem Zeigefinger auf das Gelenk. Es fühlte sich seltsam taub an und ich konnte die Schwellung spüren; als wäre meine Haut zum Zerreißen gespannt. Ich hatte während meiner kleinen Untersuchung die Luft angehalten und atmete sie jetzt laut aus, als ich wieder von meinem Arm ab- und ihn in der Luft schweben ließ, um weitere schmerzhafte Berührungen zu vermeiden. Normalerweise hätte ich wahrscheinlich damit zum Arzt gehen müssen. Ich ging nicht davon aus, dass er gebrochen war, wahrscheinlich nur verstaucht. Hieß es nicht immer, dass Verstauchungen viel mehr wehtaten als ein glatter Bruch? Egal was es war, es würde mich nicht dazu bringen, noch einmal das Krankenhaus aufzusuchen und diesem Dr. Cullen zu begegnen. Das letzte Treffen hatte mich schon jede Menge Nerven gekostet. Ein zweites Mal würde ich es nicht durchstehen. Auf gar keinen Fall. Ich würde nicht freiwillig in die Höhle des Löwen gehen. Soviel Verstand besaß mein Selbsterhaltungstrieb dann doch noch. Wenn ich wieder Zuhause war, würde ich das Gelenk mit einem Eispack kühlen und hoffen, dass es möglichst schnell heilte. Zuhause… Eigentlich wollte ich nicht wieder dorthin. Aber ich musste. Charlie würde heute Abend von der Arbeit kommen und wenn ich nicht dort war, würde er sich bestimmt Sorgen machen. Seit ich in Forks wohnte, war ich zu dieser Tageszeit nämlich so gut wie nie weg - ehrlich gesagt traf das für Phoenix ebenfalls zu. Der Zustand, ohne Freunde zu leben, schien sich auch durch den Wechsel der Bundesstaaten nicht ändern zu lassen. Bei dem Gedanken an meinen Vater kam mir noch ein ganz anderes Horrorszenario in den Sinn. Edward war bei uns gewesen und hatte mein Zimmer verwüstet. Als ich geflohen war, wusste ich noch nicht einmal, ob er noch dort war oder nicht. Was, wenn er Charlie auflauerte? Was, wenn er ihn benutzen würde, um an mich heranzukommen? Was, wenn er ihn töten würde? Mit einem Schlag war meine Panik, die ich eben für ein paar Minuten ausblenden konnte, wieder gegenwärtig und ich richtete mich kerzengerade auf. Ich musste um jeden Preis zurück und das so schnell wie möglich. Wie konnte ich überhaupt erst auf die Idee kommen wegzulaufen? Nervös blickte ich in alle Richtungen. Es war weit und breit kein Mensch zu sehen. Weder in diesem kleinen Park, noch auf dem Bürgersteig ganz in der Nähe. Noch nicht einmal Autos fuhren auf der Straße. Das einzige Geräusch, das ich hören konnte, war der Wind, der langsam aufkam und mich frösteln ließ, als er mich streifte und mir ein paar Strähnen ins Gesicht wehte. Ich war allein. Mutterseelenallein. Einerseits war das gut, weil es bedeutete, dass wirklich niemand außer mir hier war, auch keine ‘ungebetenen’ Personen - rein theoretisch jedenfalls. Allerdings trug diese erdrückende Einsamkeit auch dazu bei, die Gänsehaut meinen Nacken erklimmen zu lassen. Mein Körper spannte sich soweit an, dass ich bei der kleinsten, ungeahnten Bewegung wahrscheinlich sofort umgefallen wäre. Das Gefühl verfolgt zu werden, konnte ich einfach nicht abschütteln. Und obwohl ich über diese Tatsache äußerst beunruhigt sein sollte, gab es auch einen Teil in mir, der es als etwas Positives sah. Ich knirschte leise mit den Zähnen. Es war reine Ironie, dass ich gerade den gleichen Wortlaut wie Edward benutzt hatte. Und dabei passte es sogar unwahrscheinlich gut. Als hätte mein Unterbewusstsein plötzlich den Sinn seiner Worte verstanden. Denn es war wirklich gut, wenn ich gerade gestalkt wurde. Denn da es realistisch betrachtet nur eine Person gab, die solche Absichten verfolgte, bedeutete es auch gleichzeitig, dass Charlie in Sicherheit war. Ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen - nur damit ich gleich darauf schnaubte. Bisher musste ich mir nie die Frage stellen, ob ich mich selbst den Hunden zum Fraß vorwerfen würde, wenn ich dadurch einen geliebten Menschen beschützen konnte. Und nun hatte ich es gerade mit meinen Gedanken bestätigt. Dabei versuchte ich selbst schon seit Tagen, wie ein Feigling vor ihm wegzulaufen und mein eigenes Leben in Sicherheit zu bringen. Ich wusste noch nicht einmal, wie lange das noch so weitergehen sollte. Auf die Dauer würde ich das unmöglich aushalten. Vielleicht war es besser, mich ein für alle Mal zu stellen und Edward das beenden zu lassen, was er damals angefangen hatte. So würde ich auch niemand weiteren mit hineinziehen… Ich strich mit meiner linken Hand meinen Oberschenkel auf und ab, bis mir plötzlich etwas einfiel und ich meine Finger langsam in meine Hintertasche schob. Ich holte den kleinen, weißen Zettel hervor, den ich heute Mittag dort hinein gesteckt hatte. Während ich den Namen und die kleinen Zahlen darauf, die ich niemals wählen würde, immer wieder von Neuem las, wurden meine Augen feucht. Nein, ich würde garantiert niemanden mehr mit in meine Angelegenheiten verwickeln. Weder meinen Dad, noch Fynn. Einen kurzen Augenblick verfluchte ich meine aussichtslose Lage. Ich konnte nicht sagen, wie es unter anderen Umständen gelaufen wäre. Vielleicht hätte es eine schöne Richtung eingeschlagen, allein schon, weil er sich scheinbar wirklich für mich interessierte. Es formten sich sogar schon die ersten Bilder in meinem Kopf, in denen ich mich mit ihm verabredete, wir uns ausgelassen unterhielten, als würden wir uns schon Jahre kennen, und er mich mit diesen unglaublich tiefbraunen Augen ansah. Vielleicht würde es aber auch dennoch nichts werden, weil er rechtzeitig merken würde, dass man mit mir nichts anfangen konnte. Aber all diese Möglichkeiten würde es niemals geben. Nicht mit Fynn und auch mit niemand anderem. Mein Unterkiefer spannte sich an und ich biss meine Zähne zusammen, als ich versuchte, die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Dabei hatte ich gar keinen Grund, die Gefühle zu verbergen, die das Unvermeidbare mit sich brachten. Ich hatte Angst vorm Sterben. Wahnsinnige Angst. Jeder normale Mensch könnte diese Reaktion bestätigen, wäre er in meiner Lage. Verdammt! Ich schluchzte auf, als ich mein Gesicht in meine freie Hand legte. An meinen Fingern spürte ich die ersten Tränen, die den Kampf gewonnen hatten und jetzt über meine Wangen liefen. Ich wollte das Wimmern stoppen, dass immer deutlicher meiner Kehle entwich und kaute so fest auf meiner Unterlippe, dass ich jeden Moment damit rechnete, Blut in meinem Mund zu spüren. Wütend schrie ich auf, nur um gleich danach wieder ins Weinen zu verfallen. “Alles in Ordnung mit Ihnen?” Ich schrie auf und schreckte hoch, als ich hinter mir eine männliche Stimme vernahm. Panisch drehte ich mich um. Als ich sah, wer hinter mir stand, beruhigte ich mich augenblicklich. Es war Fynn und sein eben noch freundliches Gesicht wurde schlagartig ernst und nahm immer besorgtere Züge an, je länger er mich betrachtete. “Oh mein Gott…”, flüsterte er, sprach gleich darauf aber lauter weiter. “Was ist passiert? Geht es Ihnen nicht gut? Hat Ihnen jemand wehgetan?” “Nein, nein!” Hastig winkte ich ab und versuchte zu lächeln. Dass ich aber ausgerechnet jetzt mein Gesicht verzog, weil mein Handgelenk durch die ruckartige Bewegung von vorhin wieder stärker zu schmerzen anfing, half auch nicht gerade, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Er musterte mich eindringlich und schien sich dann dafür zu entscheiden, mir nicht zu glauben. “Ich bin nicht blind, Isabella. Ich sehe doch, dass es Ihnen schlecht geht.” Er kam um die Bank herum und näher auf mich zu. Automatisch wich ich einen Schritt zurück, dabei wollte ich das gar nicht. Davon ließ er sich aber nicht beirren, stattdessen stoppte er erst, als er nur noch weniger Zentimeter von mir entfernt war und beugte seinen Kopf nach vorn, um mir tief in die Augen zu sehen. Mit offenem Mund und rasendem Puls erwiderte ich seinen intensiven Blick, der mich buchstäblich paralysierte. “Isabella…”, sprach er mit tiefer Stimme. Einerseits leicht vorwurfsvoll, andererseits irgendwie… verlockend. Die Furcht und die Aufregung… All das war mit einem Mal verschwunden. Als wäre eine Last von mir gefallen, fühlte ich mich plötzlich sicher. Vergessen war Edward Cullen und die Tatsache, dass er mir eventuell gefolgt war. Bis ich abermals Schmerzen in meiner rechten Hand wahrnahm. Ich kniff meine Augen zusammen und ließ ein leises “Au!” verlauten, als ich eiskalte Finger an meinem Handgelenk spürte. Ich sah zu, wie Fynn es sachte anhob, mich dabei aber nicht aus den Augen ließ. Er lächelte, teils besserwisserisch, teils entschuldigend. “Es tut mir leid. Der Abendwind scheint meine Hände etwas ausgekühlt zu haben, allerdings hat Ihre Reaktion eben nicht nur etwas mit der Kälte meiner Haut zu tun, oder?” Ich zögerte mit der Antwort. Sein Ton verriet mir, dass er längst über meine Verletzung Bescheid wusste. Ich hätte meine Hand gerne seinem vorsichtigen, aber dennoch festen Griff entzogen, nur leider befürchtete ich, mir selbst dadurch weiteres Leid zuzufügen. “Ich bin vorhin gestürzt”, gab ich schlussendlich zu und sah verlegen zur Seite. Mein Geständnis quittierte er mit einem verständnisvollen Lächeln. “Das muss Ihnen nicht peinlich sein. Andererseits sehen Sie wirklich süß aus, wenn Sie rot werden.” Mein Kopf schoss in seine Richtung und ich starrte ihn völlig verblüfft an. Verblüfft über seine Offenheit, verblüfft über seine charmante Art. Verblüfft über dieses Kompliment, das mir galt. Noch nie hatte jemand etwas Vergleichbares zu mir gesagt, geschweige denn mir soviel Aufmerksamkeit geschenkt, sodass ich überhaupt die Möglichkeit hatte, rot zu werden. Und jetzt stand ich hier vor einem unglaublich gut aussehenden, jungen Mann, der scheinbar wirklich Interesse an mir hatte. Seine Ehrlichkeit war unverkennbar, das Einzige, das mich ihm nicht ganz glauben ließ, waren meine Selbstzweifel. Zweifel, die mir sagten, dass ich für Jedermann unattraktiv schien und es daher auch so gut wie unmöglich war, einen Jungen für mich zu gewinnen. “Egal, was ich tue, ich scheine Sie in Verlegenheit zu bringen”, schmunzelte er. Seine Worte rissen mich aus meinen Überlegungen, doch noch bevor ich etwas erwidern konnte, wechselte er bereits das Thema und löste zu meinem Bedauern den Blickkontakt und ließ ihn nach unten wandern. “Wir sollten zu einem Arzt gehen. Das muss wirklich behandelt werden.” Das Wort ‘Arzt’ löste bei mir die Alarmglocken aus. Sofort wurde ich mir meiner Situation wieder bewusst. “Nein! Kein Arzt!” Fynn runzelte verwirrt die Stirn. Ganz sicher hatte er nicht mit so einer heftigen Reaktion gerechnet. Was immer er dachte, ich würde mich garantiert nicht in ein Krankenhaus schleifen lassen und auf diese Weise Gefahr laufen, Dr. Cullen ein zweites Mal zu begegnen. Schnell schüttelte ich meinen Kopf und flehte ihn stumm an, diesen Vorschlag nicht mehr in Erwägung zu ziehen. Dabei sollte ich eigentlich versuchen, ruhig zu bleiben und ihn nicht noch misstrauischer zu machen. Denn genau das wurde er. Seine Augenbrauen zogen sich immer weiter zusammen, bis seine Miene entschlossen wurde. “Isabella-”, fing er an, doch ich unterbrach ihn. “Was machen Sie eigentlich in Forks?” Obwohl die Frage eher der Ablenkung diente, interessierte es mich wirklich, zumal unser Wiedersehen noch gar nicht solange her und es zwischen Port Angeles und Forks eine weite Strecke war. Überrumpelt von meiner Frage runzelte er die Stirn und zögerte einen Augenblick, ehe er antwortete. “Ich wollte ein paar Lichtbildaufnahmen machen.” Seine Wortwahl irritierte mich ein wenig und erst in diesem Augenblick registrierte ich die Kameratasche an seiner Seite. Sie war ziemlich groß, was bedeutete, dass dort eines der teureren Modelle drinstecken musste. “Fotos…?” “Ich benutze gerne die alten Begriffe. Die haben so etwas Romantisches an sich”, nickte er leicht amüsiert. Gleich darauf wurde er aber wieder ernst. “Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Viel mehr sollten wir endlich Ihre Hand versorgen lassen.” Mein Versuch, ihn von seiner Idee abzubringen, hatte leider keine Früchte getragen. Ich ahnte schon, dass es nicht einfach werden würde, das Ganze zu verharmlosen. Er schien ebenso stur wie ich zu sein. Endlich schaffte ich es, ihm meine Hand sachte zu entziehen und ein paar Schritte rückwärts zu gehen. Erst da bemerkte ich, wie nahe wir uns mittlerweile gekommen waren und sofort wurden meine Wangen wieder heiß. “Hören Sie, Fynn. Es ist halb so schlimm, wie es aussieht. Wenn ich Zuhause bin, werde ich es kühlen und einen Verband umlegen. Es ist nur leicht angeschwollen, mehr nicht.” Ich pflasterte ein Lächeln auf mein Gesicht, um meinen Worten mehr Überzeugungskraft zu verleihen. Ich hätte jedoch wissen müssen, dass er sich damit nicht zufrieden gab. Er sah mich einen Moment frustriert an, bevor er geräuschvoll ausatmete und lächelte. “Ich weiß, dass wir uns noch nicht sehr lange kennen und Sie haben auch allen Grund, mir kein einziges Wort zu glauben.” Mir klappte der Mund auf. Er lag vollkommen daneben. “Aber das stimmt nicht. Ich vertraue Ihnen!” Mein Mund war schneller als mein Kopf und ich presste meine Lippen aufeinander, als ich mir dessen bewusst wurde. Wieso hatte ich das überhaupt gesagt? Fynn wirkte überrascht, lächelte dann aber traurig. “Wenn dem wirklich so ist, warum erzählen Sie mir dann nicht die ganze Wahrheit? Ich habe schon heute Vormittag bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Sie haben zwar gemeint, dass alles in Ordnung sei, aber Ihr Blick ist mir nicht entgangen, als ich Sie nach diesem Jungen gefragt habe.” Mit weit aufgerissenen Augen starrte ich ihn an. Mein Herz schlug erbarmungslos gegen meinen Brustkorb, ich vergaß beinahe das Atmen. Also war es ihm doch aufgefallen, dass ich ihn angelogen hatte. Dabei war es nur zu seinem Wohl. Ich konnte ihn da doch unmöglich mit hineinziehen. Wenn er durch mich in Gefahr geriet und ihm etwas geschah, würde ich mir das nie verzeihen. Noch immer sah er mich freundlich, aber ungeduldig an. Ich atmete tief durch. „Tut mir leid, aber ich kann nicht einfach einen Wildfremden mit meinen Problemen belasten.“ Er lachte leise und senkte kurz seinen Blick, dann sah er wieder auf. „So fremd sind wir uns doch gar nicht mehr.“ „Fynn…“, stöhnte ich mitleidig auf. „Tut mir leid, aber ich kann das Offensichtliche nicht einfach so ignorieren. Vor allem nicht, wenn es um jemanden geht, den ich sehr gern habe.“ Meine Augen wurden größer und meinen Wangen röteten sich merklich. Allerdings ging ich nur auf einen Teil seines Kommentars ein. „Das Offensichtliche?“ Er schaute mich an, als müsste ich eigentlich wissen, wovon er sprach, doch ich hatte nicht die geringste Ahnung. Als ich immer noch nichts erwiderte, seufzte er ergeben. „Dass Sie dieser Edward bedrängt. Auch wenn Sie es nicht direkt gesagt haben. Allein schon bei der Erwähnung seines Namens zucken Sie zusammen. So wie gerade eben auch.“ Ich konnte nicht fassen, wie schnell er mich durchschaut hatte. Ich war mir zwar bewusst, dass ich nicht besonders gut darin war, Anderen etwas vorzumachen, aber dass ich so sehr darin scheiterte… Mein Unterkiefer spannte sich an, als mir bewusst wurde, dass ich ihn nicht länger belügen konnte. Nur wie konnte ich mir sicher sein, dass er mir auch alles glauben würde? Zugegeben schien er von allein darauf gekommen zu sein, dass ich aus einem bestimmten Grund vor jemandem Angst hatte. Und ich wollte mich wirklich endlich jemandem anvertrauen, die Qual nicht mehr allein mit mir herumtragen, meine Sorgen mit jemandem teilen. Dabei konnte ich mir aber nicht vorstellen, dass er mich für zurechnungsfähig halten würde, sobald er wirklich alles wusste. Ich zweifelte ja selbst schon an meinem gesunden Menschenverstand. Das Ganze war absurd. Nur leider nicht absurd genug, um den Horror zu lindern. Minuten vergingen, die mir vorkamen wie Stunden, in denen keiner von uns etwas sagte und wir uns einfach nur gegenseitig musterten. Bis Fynn schließlich seine Augen für einen Moment schloss und scheinbar nachzugeben schien. „Na schön“, begann er und schaute mich wieder an. „Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Sie behalten Ihr Geheimnis erst einmal für sich und ich darf Sie dafür zu einem Arzt fahren, damit man Ihren Arm untersucht, einverstanden?“ Seine Beharrlichkeit machte mich sprachlos und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er endlich damit aufhörte, mich kontinuierlich mit diesen Themen zu quälen. Seltsamerweise war ich aber auf der anderen Seite auch froh, dass er nicht aufgab. Da war etwas in seinem Blick, etwas Einvernehmendes, etwas, das mir sagte, ich bräuchte mir keine unnötigen Gedanken zu machen. Etwas, das mir versicherte, ich könnte mich ihm offenbaren und ihm alles erzählen. Der Wald, Edward, die Verfolgung, meine Todesangst… „Ich kann nicht“, brachte ich nur sehr schwer hervor. Meine Stimme war ein einziges Flüstern und klang weinerlich. Ich sah ihm an, dass er sich offensichtlich große Sorgen machte und mir tat es leid, ihn so enttäuschen zu müssen. Er schüttelte den Kopf, wirkte aber keineswegs verärgert. Das wunderte mich, da ich selbst es an dieser Stelle ganz sicher schon wäre. „Isabella… Warum sträuben Sie sich so sehr davor, ein Krankenhaus zu besuchen? Die Wahrscheinlichkeit, diesen Jungen dort zu treffen, ist mehr als gering. Er wird wohl kaum dort arbeiten.“ „Nein, aber sein Vater“, flüsterte ich vor mich hin. Sobald die Worte gesprochen waren, schlug ich mir die Hand auf den Mund. Wie konnte ich so leichtsinnig sein? Ich hatte nicht nachgedacht, als ich geantwortet hatte. Nach diesem kleinen, lächerlichen Geständnis musste er mich einfach für verrückt halten. Seine Augen verengten sich, als er mich aufmerksam beobachtete. „Soll das heißen, dass nicht nur dieser Junge Ihnen solchen Schrecken einjagt, sondern auch sein Vater?“ Was sollte ich ihm darauf sagen? Sollte ich es zugeben, oder es einfach abstreiten? Letzteres würde er mir sowieso nicht glauben, zumal ich es bereits einmal selbst gesagt hatte. Aber ich hatte Angst, er würde mich auslachen, sobald ich es noch mal bestätigte. Das Resultat war, dass ich schwieg und wegsah, während ich nervös auf meiner Unterlippe kaute. Ich konnte seinem bohrenden Blick nicht standhalten. „Sie müssen mir nicht antworten. Ihre Stummheit spricht für sich. Und so ungern ich auch nachgebe, ich werde Sie zu nichts zwingen, was Sie nicht wollen. Schließlich will ich das frisch entgegengebrachte Vertrauen von Ihnen nicht gleich wieder aufs Spiel setzen.“ Verblüfft sah ich ihn an, woraufhin er verständnisvoll lächelte. „Aber es wäre schön, wenn Sie mir trotzdem einen Gefallen tun würden.“ Zögerlich sah ich ihn an, da ich keine Ahnung hatte, welchem Problem ich mich vermutlich als nächstes stellen musste. Ich schämte mich bereits im Vorfeld dafür, ihm wahrscheinlich eine weitere Absage erteilen zu müssen. „Da Sie ja die Behandlung durch einen Fachmann verweigern, würde ich selbst ganz gerne Ihre Verletzung versorgen, wenn ich Sie nach Hause gebracht habe. Es wäre dann zwar nur provisorisch, aber immer noch besser als gar nichts.“ Ich runzelte die Stirn und wusste nichts darauf zu antworten. Das Einzige, was ich tat, war ihn permanent anzustarren. Meine Augen folgten den Konturen seines Gesichts, hinauf zu seinen perfekt geformten, tiefschwarzen Brauen, die sich ein Stück weit nach oben gezogen hatten und unter denen es ein Paar Augen gab, die nun erwartungsvoll funkelten. Mein Blick wanderte weiter entlang seiner geraden Nase, über seine dunkle und dennoch bleiche, makellose Haut, die schon allein beim Betrachten einen dermaßen weichen Eindruck machte, dass ich gegen den Drang ankämpfen musste, einfach meine Finger zu heben und sie zu berühren. Letztendlich blieben meine Augen an seinen wohlgeformten, roten Lippen hängen, die sich seltsam träge bewegten. Bis mir klar wurde, dass er mit mir sprach und ich gerade kein einziges Wort verstanden hatte. „W-Wie bitte?“, fragte ich nach und blinzelte ein paar Mal, ehe ich ihn wieder direkt ansah. Er schmunzelte leise, wiederholte dann aber netterweise seinen Satz. „Ich habe gesagt, dass Sie mir diese Bitte nicht ausschlagen können, weil ich Sie bestimmt nicht allein im Dunkeln nach Hause laufen lassen werde.“ „Dunkeln?“, wiederholte ich ihn verwundert. Als ich gleich darauf zur Seite sah, registrierte ich, dass ich so vertieft in unser Gespräch gewesen war, dass ich nicht mitbekommen hatte, wie aus der Dämmerung von vorhin tiefste Finsternis wurde. Der Himmel war verhangen mit dicken Wolken, die keinen einzigen Lichtstrahl des Mondes durchließen. Nur ein paar Laternen am Straßenrand spendeten ein wenig Licht, sodass mir die Lichtverhältnisse also nicht sofort aufgefallen waren. „Oh…“, stieß ich überrascht aus. „Also sind Sie damit einverstanden, dass ich Sie fahre?“ Ich sollte Nein sagen, doch aus irgendeinem Grund hatte ich das Gefühl, dass er dieses Wort nicht akzeptieren würde. Wozu also etwas versuchen, wenn man eh keine Chance hatte? Leider wurde mir gerade bewusst, dass das auch noch auf eine andere Sache sehr gut passte. Betrübt senkte ich meinen Blick auf einen Fleck auf den Boden und atmete tief durch. „Alles in Ordnung?“ Schnell sah ich wieder auf und lächelte schwach. „Ja, alles bestens“, log ich. „Und ich habe nichts dagegen, dass Sie mich nach Hause bringen“, fügte ich noch hinzu, um von meinem Gemütszustand abzulenken. Seine Miene hellte sich auf und er schien sich wirklich darüber zu freuen. Selbst mir zauberte es ein kleines Lächeln auf die Lippen, fast so, als würde ich mich ebenfalls darüber freuen. „Wunderbar. Dann brechen wir am Besten sofort auf, denn wie es aussieht, wird es bald regnen.“ Er machte eine ausladende Bewegung mit seinem Arm, die mir bedeutete, vor ihm zu laufen. Ich sah kurz in den Himmel. Er könnte mit seiner Vermutung Recht haben. Die schweren Wolken waren pechschwarz. „Mein Auto steht etwas weiter hinten am Straßenrand“, informierte er mich, als wir den kleinen Park so gut wie verlassen hatten und jetzt den Bürgersteig ansteuerten. Es dauerte nicht lange, bevor ich ein ziemlich großes Auto im Dunkeln ausmachen konnte - das Licht der Laterne reichte nicht bis ans Fahrzeug. Ich erkannte die Form wieder, hatte ich es doch erst heute Mittag gesehen gehabt. Normalerweise kannte ich mich mit Marken nicht aus, aber auf diesem schimmerten selbst in der Schwärze der Nacht die Lettern silbern über dem Autogrill: LANDROVER. Bei unseren letzten beiden Treffen hatte ich weniger auf sein Auto geachtet, als mich vielmehr mit der jeweiligen Situation beschäftigt, sei es der Beinahe-Zusammenprall mit einem Baum oder Fynns Handynummer gewesen. Aber nun sollte ich mit ihm mitfahren. Natürlich sah ich mir da auch das Auto genauer an und ich konnte mir zwar nicht erklären warum, aber dieser Geländewagen passte irgendwie zu Fynn. Beide hatten etwas… raues an sich - und doch boten sie besonderen Schutz. Kleine Lampen am Wagen blinkten orange auf, kurz danach überholte mich Fynn und eilte zur Beifahrertür, um sie mir aufzuhalten. Mit einem schüchternen Lächeln bedankte ich mich für diese Geste, als ich einstieg. Nur ganz leicht stützte er mich, indem er seine Hand auf meinen Rücken legte, während die andere seitlich vor mir in der Luft schwebte. Ich nahm an für etwaige Notfälle von Gleichgewichtsproblemen. Immerhin musste ich mir mit nur einer Hand behelfen. Ich wollte gerade meinen Gurt anlegen, als mir Fynn zuvor kam. Er hatte ihn bereits in der Hand und beugte sich nun leicht über mich, um an den Verschluss zu kommen. Seine plötzliche Nähe brachte meine Durchblutung in Wallung und ich konnte spüren, wie warm meine Wangen schon wieder wurden. Selbst meine Atmung ging stockender. Was dieses Mal aber neu dazukam, war sein unglaublich süßlicher Geruch. Wenn ich mich genauer festlegen sollte, würde ich sagen, dass er nach Honig und Milch duftete, vermischt mit Rosen und Hibiskus. Eine kaum wahrnehmbare, erdige Note begleitete das Ganze unterschwellig. Der Geruch war so intensiv und gleichzeitig so dezent gehalten, dass es keinesfalls penetrant wirkte, ich aber dennoch den Wunsch hegte, mich weiter nach vorn zu lehnen und noch mehr davon einzuatmen. Mir fiel auf, dass ich etwas Ähnliches schon einmal gerochen hatte. Damals im Krankenhaus, als ich unter der Narkose stand, hatte ich die gleiche verlockende Note wahrgenommen, nur das sie Edward Cullen gehörte. Sie vernebelte mir die Sinne und ließ es in meinen Ohren rauschen. Schnell schob ich den Gedanken beiseite, weil es einfach unvorstellbar war, ihn mit Fynn zu vergleichen. Letzterer lehnte sich gerade wieder zurück - allerdings nicht, ohne mir kurz ein verschmitztes Lächeln zu schenken. Dann stieg er auf der Fahrerseite ein, schaltete die Scheinwerfer ein und fuhr los. Die Stille zwischen uns wurde einzig durch das Radio durchbrochen und ich versuchte mich wie besessen auf mein Handgelenk zu konzentrieren, doch wirklich helfen tat es nicht. Ich hätte auch gut ein Gespräch mit ihm anfangen können, z.B. warum er um diese Uhrzeit im Park war, aber für so etwas war ich einfach zu schüchtern. Also beobachtete ich ihn unauffällig, während er sich auf die Fahrt konzentrierte. Voller Erstaunen wurde mir klar, dass ich mich schon viel wohler fühlte. Meine Sorgen schienen nur noch halb so schlimm zu sein und das wegen seiner bloßen Anwesenheit, genauso wie heute Vormittag. Mit einem Seufzen lehnte ich mich tiefer in den Sitz und fing langsam an, mich zu entspannen. Allmählich wurde ich schläfrig, als im Radio nur noch langsame Songs gespielt wurden. Bevor ich aber gänzlich wegnickte, riss mich Fynns melodiöse Stimme aus meinem Dämmerschlaf. „Isabella?“ „Hm…?“, murmelte ich leicht benommen, woraufhin ich ein leises Kichern vernahm. „Haben Sie eigentlich Verbandszeug und Kühlsalbe bei sich Zuhause?“ Die Müdigkeit verschwand gänzlich und ich dachte angestrengt über seine Frage nach. „Ich, ähm, bin mir leider nicht sicher.“ „Macht nichts“, antwortete er freundlich. „Dann werden wir eben auf Nummer sicher gehen.“ Irritiert musterte ich ihn. Er bog in eine Seitenstraße und als ich in der Ferne ein hell erleuchtetes, kleines Gebäude entdeckte, wusste ich, worauf er hinaus wollte. Die Vorderseite war fast komplett verglast und im Inneren gab es mehrere Reihen mit kleinen, hellen Packungen, Tuben und anderen diversen Arzneimitteln. Er parkte direkt vor dem Eingang und schnallte sich in einer einzigen Bewegung ab. „Ich glaube nicht, dass die noch geöffnet haben“, warf ich unsicher ein, als ich auf die verschlossenen Glastüren starrte. „Jede Apotheke hat einen Bereitschaftsdienst. Auch diese“, klärte er mich höflich auf. Als ich mich von meinem Gurt befreien wollte, legte er mir kaum spürbar seine Hand auf meinen Arm. „Sie können ruhig im Auto sitzen bleiben. Solange wird es nicht dauern.“ „Sind Sie sicher?“ Er nickte, dann stieg er aus und ging zum Eingang. Ich beobachtete, wie er auf einen Knopf auf einer silbernen Metallplatte an der Wand drückte und sich dann ein Stück vorbeugte, um etwas in die Sprechanlage zu sagen. Es verging höchstens eine Minute, ehe sich die Schiebetüren einen Spalt breit öffneten und ein älterer Mann mit kurzen, weißen Haaren, einem ebenso weißen Schnauzbart und einem langen Kittel an die Öffnung trat. Fynn gab ihm einige Dollarscheine, dann nahm er dem Angestellten einen kleinen Plastikbeutel ab und kam wieder zurück, während der Apotheker die Tür schloss und wieder in seinem Hinterzimmer verschwand. „So“, meinte er lächelnd und legte mir die Tüte auf meinen Schoß, nachdem er wieder auf dem Fahrersitz saß. „Das hätten wir auch erledigt.“ Mir wurde etwas ganz anderes klar, als ich den Beutel betrachtete. Ein wehleidiger Ausdruck legte sich auf mein Gesicht, als ich ihn anschaute. „Sie haben doch jetzt nicht wirklich Geld für mich ausgegeben.“ Überrascht hob er seine Augenbrauen. „Wenn ich mich an das eben recht erinnere, dann denke ich schon. Warum?“ „So etwas ist mir unangenehm. Wenn Leute ihr Geld für mich verschwenden“, erklärte ich kleinlaut. Er verstand, worauf ich hinaus wollte, wirkte aber nicht im Mindesten beeindruckt. „Ich tue das gerne, wenn ich Ihnen damit eine Freude machen, oder Ihnen helfen kann… Isabella.“ Der Klang seiner Stimme hatte sich verändert und verschlug mir die Sprache. Es war nicht das erste Mal, dass mir diese mysteriöse Tonlage auffiel. Ich wandte meinen Blick ab und lehnte mich zurück. Fynn startete den Motor. Ich konnte ein leises Glucksen vernehmen, traute mich aber nicht, noch einmal in seine Richtung zu sehen. Es war unglaublich, dass ich hier mit einem Mann saß, der offensichtlich viel älter war als ich und bei jeder Geste und jedem Wort verlegen wegschauen musste, weil ich diese Art von Aufmerksamkeit einfach nicht kannte. Dabei durfte ich mich im Moment eigentlich gar nicht um solche Dinge kümmern. Ich sollte mich voll und ganz auf meine derzeitige Situation konzentrieren und nicht irgendwelchen Wunschträumen hinterher laufen. Noch dazu bestand ebenfalls die Gefahr, ihn in die Sache mit hineinzuziehen. Und das wollte ich nicht. Aber vielleicht war es auch genau das, was ich gerade brauchte. Eine Abwechslung zu dem ganzen Stress in den letzten Wochen, der mich einfach nicht mehr richtig schlafen ließ. Fynns Interesse an mir, welches ich immer noch für unfassbar hielt, schenkte mir ein paar Minuten bzw. Stunden der Ruhe und der Geborgenheit. Er ließ mich entspannen und alles andere um mich herum vergessen. Er hielt mich nicht für verrückt oder seltsam. Aber die Vorstellung, dass er mich wirklich gern hatte, war so idyllisch, dass ich es eigentlich gar nicht wirklich glauben konnte, es eher als Wunschdenken abtat. Trotzdem gab ich mich dieser Illusion jedes Mal hin, wenn er aus heiterem Himmel bei mir auftauchte. Aber wenn unsere gemeinsame Zeit dann vorbei war – eigentlich war es lächerlich, von ‚gemeinsamer Zeit’ zu reden, immerhin kannte ich ihn erst zwei, drei Tage -, wurde ich zurück in die Realität geholt und wieder mit der Gegenwart konfrontiert, welche mir deutlich sagte, dass es so etwas wie eine gemeinsame Zukunft mit jemandem nicht geben würde. Ich wäre einfach nicht in der Lage, so etwas wie eine Beziehung zu führen. Selbst wenn es Edward Cullen nicht geben würde. Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, dass, egal wo ich mich befand, er immer auch dort sein würde. Diese Tatsache würde sich niemals ändern. Er war mein Schicksal. „So, da wären wir.“ Ich schreckte beim Klang von Fynns Stimme hoch, was ihn wieder schmunzeln ließ, als er mich neugierig beobachtete. Doch dann wurde seine Miene besorgt. „Haben Sie Schmerzen?“ „Warum?“ Ich verstand seine Frage nicht und runzelte die Stirn. „Weil Sie weinen“, antwortete er schlicht. Meine Stirn legte sich noch mehr in Falten, dann klappte ich den Sonnenschutz nach unten und betrachtete mich in dem kleinen Spiegel. Als ich sah, dass sich eine einzelne Träne davon gestohlen hatte, weiteten sich meine Augen. „Oh!“ Schnell wischte ich sie weg und murmelte ein „Es geht mir gut“, ohne Fynn dabei anzusehen. Ich musste nicht hinschauen, um zu wissen, dass er mir nicht glaubte. „Woher wussten Sie, wo ich wohne?“, fragte ich, als ich entdeckte, dass wir genau vor unserem Haus standen, dabei hatte ich Fynn gar keine Wegbeschreibung gegeben. Ich wusste nicht, ob er rot geworden war, im Halbdunkel konnte ich das schlecht erkennen, aber ich hörte, dass er verlegen wurde, als er antwortete. „Es war eher eine Vermutung. Ich bin heute bereits einmal diese Straße entlanggefahren, als ich auf dem Weg zum Park war, und da habe ich den roten Truck in der Einfahrt entdeckt. Wie soll ich sagen, das Auto, das meines fast gerammt hätte, vergisst man nicht so schnell.“ Jetzt war ich es, die verlegen dreinschaute. Der ruhige und freundliche Miene meines Gegenübers nach zu urteilen, schien er mir aber keinen Vorwurf machen zu wollen. Während ich mich vom Gurt befreite - und darauf achtete, mit meinem rechten Gelenk nirgends anzustoßen -, lief er um das Auto herum und öffnete mir die Tür, um mir anschließend herauszuhelfen. Charlies Dienstwagen stand nicht in der Einfahrt. Einerseits war ich froh darüber, da ich immerhin zu so später Stunde einen männlichen Gast bei mir hatte - selbst wenn ich noch nicht die Erfahrung eines Dads, der das erste Mal auf männlichen Besuch seiner Tochter traf, gemacht hatte, konnte ich doch erahnen, dass diese Begegnung nicht sonderlich friedlich verlaufen würde. Andererseits war es ungewöhnlich, ihn um diese Uhrzeit noch nicht Zuhause anzutreffen. Mit jedem Schritt, den wir dem Haus näher kamen, wurde meine Unruhe größer und die Realität, in der ich mich eigentlich befand, wurde wieder klarer. Die Angst, er könnte noch hier sein und auf mich lauern. Und dann brachte ich auch noch jemand Unschuldiges mit. Wie viel Egoismus konnte eigentlich in einem stecken? „Fynn, ich glaube, es ist besser, wenn Sie jetzt nach Hause fahren“, meinte ich so ruhig wie möglich, als wir die Haustür erreicht hatten. „Ich wusste, dass Sie das sagen würden“, seufzte er, was mich überrascht aufsehen ließ. „Das bedeutet aber nicht, dass ich Ihrem Wunsch auch nachkomme. Erst, wenn ich sicher bin, dass es Ihnen seelisch als auch körperlich wieder besser geht.“ „Aber ich-“, setzte ich an, wurde aber von Fynns Zeigefinger auf meinen Lippen unterbrochen. „Widerrede akzeptiere ich nicht“, antwortete er bestimmend und sah mich mit einem beschwörerischen Lächeln an. Ein Lächeln, das mir merkwürdigerweise keine andere Wahl ließ. Ich nickte stumm. Als er seine Hand wieder senkte, öffnete ich die Tür, die vermutlich den ganzen Nachmittag offen gestanden hatte. In all der Hektik war ich einfach nicht dazu gekommen, sie abzuschließen. Ich konnte mir nicht helfen, ins Haus zu schleichen, anstatt ganz normal einzutreten. Vorsichtig lugte ich in jede Ecke, während mein Herz einen kleinen Sprint einlegte. Ich war erst ein paar Schritte gegangen, als plötzlich das Flurlicht anging und mich beinahe zu Tode erschreckte. Meine Hand fasste reflexartig an meine Brust und ich stieß einen kleinen, spitzen Schrei aus. Als ich mich nach hinten drehte, sah ich Fynn mit der Hand am Lichtschalter; ein etwas unsicherer Ausdruck auf seinem Gesicht. „Vielleicht sollten Sie das Licht einschalten, Isabella. Dann müssen Sie auch nicht im Dunkeln durchs Haus laufen.“ Einen Moment starrte ich ihn völlig perplex an, dann besann ich mich aber schnell wieder. „Oh, ja… Wahrscheinlich hab ich es instinktiv aus gelassen.“ „Instinktiv?“ „Weil mein Dad noch nicht Zuhause ist. Normalerweise müsste er schon längst Feierabend haben.“ Fynn schien mir diesen kleinen Schwindel tatsächlich abzukaufen, wofür ich sehr dankbar war. „Verstehe. Ich bin mir sicher, er wird seine Gründe haben.“ Ich erwiderte nur schwach sein Lächeln, spukten mir doch ganz andere Sorgen im Kopf herum. Zum Beispiel könnte Charlie bereits hier gewesen sein, wurde dann aber von jemandem angegriffen, oder erst in eine Falle gelockt und dann verschleppt. Oder er hatte mein Zimmer gesehen und suchte jetzt irgendwo nach mir. Ich schalt mich selbst für die letzte Theorie. Mein Raum war zwar unordentlich, aber nicht so sehr, dass man denken könnte, es wäre durchwühlt worden. Nur ich wusste, dass etwas nicht stimmte, da ich jeden noch so kleinen Platz meiner Besitztümer dort kannte. Andererseits hatte ich meine Tasche mitten im Eingang fallen gelassen und einige Schränke waren ebenfalls offen. „Vielleicht hat er Ihnen ja eine Nachricht hinterlassen.“ Fynns Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Während ich noch im Flur stand, war er schon vom Eingang verschwunden. Hastig blickte ich mich um, nur um ihn mitten im Wohnzimmer zu entdecken. Ich hatte überhaupt nicht mitbekommen, wie er an mir vorbeigegangen war. Er sah mich kurz an, dann deutete er auf das rot blinkende Lämpchen des Anrufbeantworters. Ich ging auf ihn zu und drückte dann auf die Abspieltaste. Isabella. Hier ist dein Vater. Wir haben hier ein bisschen mehr als üblich zu tun, deshalb komme ich etwas später nach Hause. Du brauchst nicht mit dem Essen auf mich zu warten. Bestell dir eine Pizza, oder was du gerne isst. Hauptsache, du isst. Wahrscheinlich wirst du schon im Bett sein, wenn ich nach Hause komme. Schlaf gut. Bis morgen früh.“ Erleichtert atmete ich aus. Es ging ihm also gut. Selbst seine unnötige Sorge machte mir nichts aus, ich fand sie in diesem Moment sogar recht amüsant. „Das ist das erste Mal heute Abend, dass ich Sie von allein lachen höre, selbst wenn es nur ein kleines Kichern war“, meinte Fynn auf einmal. „Darf ich fragen, was Sie so erheitert?“ Mein Körper spannte sich bei seiner Frage an. Gern hätte ich ihm den Grund genannt und doch bewahrte mich mein Instinkt davor, ihm diese kleine Information zukommen zu lassen, die ihn am Ende eventuell zu dem gleichen Schluss wie Charlie brachte: Dass ich wegen einem Schönheitsideal hungern würde. Bevor ich allerdings etwas sagen konnte, hob er entschuldigend seine Hände in die Luft. „Tut mir Leid, das was mein Fehler. Ich bin zu weit gegangen. Ich werde nicht nachfragen, solange Sie es für sich behalten wollen.“ Ich schenkte ihm ein dankbares Lächeln. „Und jetzt sollten wir erstmal Ihr Handgelenk versorgen, sonst schwillt es noch mehr an.“ Höflich streckte er seine Hand zu mir aus. Ich übergab ihm den kleinen Beutel aus der Apotheke, dabei war es mir immer noch unangenehm, dass er so viel für mich tat. Er setzte sich auf das Sofa und holte den Inhalt der Tüte hervor, um ihn auf dem Couchtisch auszubreiten. Kurz las er sich die Beschriftung der Salbe durch, dann sah er zu mir auf. „Ich bräuchte eine Schüssel mit warmem Wasser. Wenn Sie mir zeigen könnten, wo das Badezimmer ist…“ „Ja, natürlich“, nickte ich. „Es befindet sich im ersten Stockwerk. Ich zeige Ihnen den Weg.“ Ich verließ das Wohnzimmer und lief Richtung Treppe. Bevor ich meinen Fuß auf die erste Stufe setzte, hielt ich kurz inne und starrte nach oben. Der Flur dort lag noch im Dunkeln. Eine Gänsehaut überkam mich, wenn ich daran dachte, wieder dort hinauf zu gehen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich diesen Teil des Hauses für den Rest meines Lebens gemieden. Aber das konnte ich momentan nicht. Fynn würde noch mehr Verdacht schöpfen und weitere Fragen stellen, die ich ihm sowieso nicht beantworten konnte, oder wollte. Ich musste mich jetzt zusammenreißen. Langsam erklomm ich die Stufen, bis ich endlich am oberen Ende der Treppe stand. Ich drehte mich nach rechts, um mit meiner gesunden Hand den Schalter zu ertasten und das Licht einzuschalten. Es ging mir bereits viel besser, als die Schatten, in denen sich alles Mögliche verstecken konnte, verschwunden waren. Auch hier sah ich mich nach allen Seiten um, nur um sicher zu sein, dass wir immer noch alleine waren. Alles stand still, nichts regte sich. Erleichtert darüber schritt ich voran. Um zum Badezimmer zu gelangen, musste man an meinem Zimmer vorbei. Und wie nicht anders zu erwarten, stand die Tür immer noch offen. Reglos blieb ich davor stehen und lugte in mein eigenes Zimmer, dessen Geborgenheit und Schutz seit heute völlig verschwunden waren. Es sah genauso aus, wie ich es bei meiner abrupten Flucht verlassen hatte: Offene Schränke und Schubladen, durchwühlte Unterlagen auf meinem Schreibtisch, zerwühltes Bettlaken. Ich ging einen Schritt näher, sodass ich jetzt im Türrahmen stand. Die Anspannung befiel meinen Körper, es war, als könnte ich nur noch meinen stetig lauter werdenden Atem hören und spüren, wie mein Herz grob gegen meinen Brustkorb schlug. „Ziemlich unordentlich für ein Mädchenzimmer“, schmunzelte jemand direkt hinter mir, woraufhin ich laut nach Luft schnappte und mich um hundertachtzig Grad drehte. „Fynn!“ Ich hatte überhaupt nicht mehr daran gedacht, dass er auch noch da war. Seine funkelnden Augen musterten mich einen Augenblick und allein dieser Blick schien mich zu lähmen. Ich war unfähig, mich zu regen. „Sie sind heute wirklich sehr schreckhaft, Isabella.“ Seine Stimme war plötzlich tief und rauchig, er hatte die Worte so leise gesprochen, dass ich anfangs nicht wusste, ob er wirklich etwas gesagt, oder ob ich mir seine Worte nur eingebildet hatte. Doch sein süßlicher Atem auf meinem Gesicht war Beweis genug. Je dichter er kam, desto mehr inhalierte ich davon - je dichter er kam, desto mehr schien sich mein Bewusstsein zu verabschieden. Meine Lider wurden schwer und ich sehnte mich danach, mich einfach fallen zu lassen. Eine winzige Stimme in meinem Unterbewusstsein schrie auf, ich sollte Fremden nicht so leichtfertig vertrauen, aber sie war viel zu leise, als dass ich ihr Gehorsam schenkte. Ich war gefangen in dem verlockenden Paradies vor mir, das Millimeter um Millimeter näher kam, mich gleichzeitig zu sich zog und dem ich mich einfach hingeben wollte. Sein Duft umhüllte meine Sinne und machte sie für alles andere untauglich. Meine Augen, deren Sicht durch den Nebel in meinem Kopf getrübt war, versuchten, mein Gegenüber zu fixieren. Doch alles, was sie wahrnahmen, waren verschwommene Bilder. Meine Lider waren fast geschlossen. Was mich daran hinderte, dieser Versuchung gänzlich nachzugehen, war diese Stimme, die einfach keine Ruhe geben wollte. Von Mal zu Mal wurde sie lauter, bis ich sie irgendwann nicht mehr ignorieren konnte. Zur selben Zeit, wie mein Verstand allmählich wieder die Oberhand gewann, gab es hinter mir ein lautes Klicken, das mich schlagartig zurück in die Realität holte. Fynn stand immer noch sehr dicht vor mir, ein kleines Grinsen auf dem Gesicht. Sein Arm war nach vorne gestreckt und ein kurzer Blick zur Seite zeigte mir, dass seine Hand hinter mir auf dem Griff meiner Tür lag, die… jetzt geschlossen war. Also hatte er einfach nur die Tür zumachen wollen? Und ich hatte mich von seiner Aura, von ihm so einhüllen lassen. Hatte er bemerkt, wie ich auf ihn reagiert hatte? Aber eigentlich konnte ich mir nicht vorstellen, dass er es nicht registriert hatte. Augenblicklich schoss mir das Blut in die Wangen. Er zog seinen Arm zurück, brachte ein bisschen Abstand zwischen uns und räusperte sich dann. „Verzeihen Sie. Ein Mann sollte ohne Erlaubnis nicht in das Zimmer einer Dame schauen.“ „Was?“, japste ich beinahe lautlos, wodurch mir die Peinlichkeit der Situation nur noch mehr bewusst wurde. Aber da war es wieder. Diese Gabe von ihm, mich in der größten Angst plötzlich in eine ganz andere Gefühlsebene zu versetzen und mich all meine Sorgen für ein paar Minuten vergessen zu lassen. Vermutlich wusste er noch nicht mal selbst, dass er mich so durcheinander brachte. Er antwortete nicht und ich nutzte die kurze Stille, um wieder auf unser eigentliches Vorhaben zurückzukommen. Mit dem Zeigefinger deutete ich auf das Ende des Flures. „Das Badezimmer befindet sich dort.“ Seine Augen folgten meiner Anweisung und er nickte. Ich ging voran, während er mir folgte. Im Bad angekommen, zeigte ich ihm, wo alles stand. Nachdem er warmes Wasser in die Schüssel eingelassen und ich Handtuch und Waschlappen aus dem Schrank geholt hatte, gingen wir zurück ins Erdgeschoss und brachten die Sachen ins Wohnzimmer. Jedes Mal, wenn ich eine ungeschickte Bewegung mit meinem rechten Arm machte, zischte ich leise, was Fynn dann immer kurz aufblicken ließ. Er setzte sich auf die Couch, als er die Schüssel auf dem Tisch abgestellt hatte, und tauchte den Waschlappen ins Wasser. Während er ihn mehrmals auswrang, stand ich etwas unbeholfen neben der Szene, bis er zu mir aufsah. „Setzen Sie sich doch.“ Er wischte eine Hand kurz auf dem Handtuch ab, das neben der Schüssel auf dem Tisch lag, und klopfte damit dann auf den Platz neben sich. Ich zögerte, weil es bedeutete, dass ich ihm wieder sehr nah kommen würde und ich hatte Angst, dass ich dann abermals so kindisch reagierte wie schon vor ein paar Minuten oben im Flur. Da er aber ziemlich ungeduldig wirkte, kam ich seiner Bitte nach und setzte mich neben ihn - allerdings nicht, ohne ein bisschen Abstand zwischen uns zu lassen. Er lächelte mich an, ehe er sich wieder daran machte, den Lappen ins Wasser zu tauchen. „Könnten Sie Ihren Ärmel nach oben krempeln?“, bat er mich. Ich nickte und tat, wie mir geheißen, dann streckte ich ihm mein Handgelenk entgegen. „Das könnte jetzt ein wenig wehtun“, murmelte er, ohne mich dabei anzusehen. Er trocknete seine Hände und legte eine davon vorsichtig unter mein Gelenk, um es ein Stück empor zu heben. Nur minimal durchzuckte mich der Schmerz, als seine warme Haut die meine berührte. Ich presste meine Lippen aufeinander, um keinen Laut von mir zu geben, während seine andere Hand sachte mein Handgelenk abtastete. Seine Finger waren durch das Wasser nur minimal erwärmt. Ich spürte seine Körpertemperatur kaum, was mich auch nicht wunderte. Unter meiner Schwellung pochte es viel zu heiß, weswegen seine Haut sogar fast kälter als meine wirkte. Ich verzog jedes Mal qualvoll das Gesicht, wenn er hin und wieder etwas fester auf einige Stellen drückte, konnte mich aber beherrschen, nicht laut aufzujammern. „Scheint glücklicherweise tatsächlich nur verstaucht zu sein und nicht gebrochen“, stellte er erleichtert fest und ließ mein Gelenk los. Meine Augenbraue hob sich in Unverständnis. „Woher wissen Sie das so genau?“ Fynn lächelte verhalten. „Mein Vater war Arzt und da bekommt man einige Sachen mit, wenn man es ursprünglich als Berufswunsch hatte.“ „War?“, fragte ich nach, doch schon während ich sprach, überkam mich eine ungute Vorahnung. Fynns Miene wandelte sich in Traurigkeit, als er leise antwortete. „Er ist gestorben, als ich gerade mit meinem Medizinstudium angefangen hatte.“ „Das tut mir leid. Ich wollte nicht indiskret sein“, murmelte ich, als mir klar wurde, dass ich wirklich eine alte Wunde aufgerissen hatte. Er lächelte, der Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand aber nicht. „Kein Grund, sich zu entschuldigen. Solche Dinge passieren nun mal. Nach dieser Sache hatte ich allerdings keine besondere Lust mehr, in seine Fußstapfen zu treten.“ Ich nickte mitfühlend. „Verständlich.“ Näher ging ich nicht darauf ein, es war offensichtlich, dass er nicht darüber reden wollte. Dennoch verspürte ich den inneren Drang, ihm etwas Trost zu spenden, immerhin hatte ich schon während unseres letzten Treffens indirekt erfahren, dass auch seine Mutter nicht mehr unter uns weilte. Nur die Tatsache, dass wir uns gar nicht richtig kannten, hielt mich davon ab, ihn in die Arme zu schließen. Seine Mundwinkel schoben sich nach oben, als er wieder anfing, den Lappen im Wasser auszuwringen. Dann nahm er wieder vorsichtig mein Gelenk in seine Hand. „Dieses Mal versuche ich, etwas sanfter zu sein.“ Das bedeutete, dass er meine Pein doch mitbekommen hatte. Dabei wollte ich eigentlich nicht wie ein kleines, verletzliches Mädchen wirken. Als er mit dem feuchten Lappen zaghaft über meine Haut strich, stellte ich fest, dass er sich durchaus mehr Mühe gab, schonender mit der Verstauchung umzugehen, wofür ich sehr dankbar war. Danach trocknete er meinen Arm und öffnete die Tube mit der Kühlsalbe. „Achtung, jetzt wird´s frostig“, scherzte er, was ich mit einem leichten Lächeln reflektierte. Dabei hatte er nicht Unrecht. Die Salbe war wirklich etwas kühl und bei der ersten Berührung hisste ich durch meine zusammengebissenen Zähne. Fynn gluckste bei dem Geräusch. „Das kommt ja fast schon einem Raubtier gleich.“ „Wie bitte?“, entgegnete ich konfus. Er sah kurz auf, stoppte aber nicht das Einmassieren der Creme. „Na ja, Raubtiere haben auch die Angewohnheit zu zischen, wenn sie sich in Gefahrensituation befinden… bzw. davon ausgehen.“ „Ich versteh nicht ganz. Ich bin weder so eine Art Tier, noch werde ich von der Salbe bedroht.“ „Das stimmt“, grinste er. Bis sich seine Augen verengten und sein Ausdruck etwas Düsteres annahm. „Aber vielleicht bin ja ich die Gefahr.“ Einen Moment starrte ich ihn reglos an und eine eigenartige Spannung legte sich zwischen uns. Sie war soviel anders als die, die ich vorhin gespürt hatte. Diese hier verursachte eine leichte Gänsehaut auf den Rücken. Doch je mehr einer seiner Mundwinkel nach oben zuckte, desto klarer wurde mir seine Absicht, bis ich irgendwann zu kichern anfing. Ich war mir nicht ganz sicher, ob er mir nur einen kleinen Schrecken einjagen wollte, denn das hatte er tatsächlich geschafft, aber meine Gemütszustand gehoben hatte er allemal. Spätestens jetzt konnte ich ihn einfach nicht mehr ernst nehmen. Sein Gesicht hellte sich wieder auf und er stieg in mein Lachen ein, nebenbei wusch er sich die Hände im Wasser und trocknete sie ab, ehe er die Binden auspackte. Während er beinahe professionell mein Gelenk verband, realisierte ich, wie sehr ich doch diese kleine Ablenkung nötig hatte und wie gut es tat, mal wieder zu lachen. Aus einem unerklärlichen Grund vertraute ich Fynn bereits mehr als erwartet. Ich würde ihm niemals solche Dinge zutrauen, wie ich es von Edward Cullen kannte. Keine Sekunde. Mein Lachen erstarb bei dem Gedanken an ihn. Stillschweigend beobachtete ich, wie Fynn das letzte Stück Verband umwickelte und das Ende mit weißem Klebeband befestigte. „So, das hätten wir“, sagte er und legte kurz seine Hand auf das nun verarztete Gelenk. Ich bedankte mich bei ihm und gleich darauf fielen wir in ein nachdenkliches Schweigen. „Isabella…“, begann Fynn nach ein paar Minuten. Sein Gesicht war ernst und am Klang seiner Stimme hörte ich, dass es sich dieses Mal nicht um einen Witz handeln würde. „Ja?“, antwortete ich vorsichtig. Er sah unter seinen langen, dunklen Wimpern zu mir auf und schien mit sich selbst über das zu hadern, was er sagen wollte. „Ich habe vorhin nichts gesagt, weil ich mich erstmal um Ihre Hand kümmern wollte. Aber ich kann durchaus gewisse Situationen richtig einschätzen, wenn ich sie vor mir sehe. Als wir vor Ihrem Zimmer standen… Sie müssen selbst zugeben, dass das nichts mehr mit Unordentlichkeit zu tun hatte.“ „Fynn-“, wollte ich dazwischen reden, doch er hob Einhalt gebietend seinen Finger in die Luft. „Bitte lassen Sie mich ausreden.“ Schwerfällig atmete ich aus und ließ meine Schultern hängen. Ich hätte wissen müssen, dass er dieses Thema nicht einfach ruhen lassen würde. Dafür war sein gesamtes Verhalten viel zu fürsorglich und hilfsbereit. „Es ist nicht schwer, sich selbst zusammenzureimen, was passiert ist, wenn man die verschiedenen Aspekte miteinander verknüpft. Ihr durchwühltes Zimmer und Ihre Reaktion darauf. Dann Ihr Zustand, als ich Sie im Park gefunden habe. Sie kamen mir wirklich wie ein alleingelassenes, verängstigtes… Rehkitz vor, das gerade einem Jäger entkommen ist.“ Bei diesem Vergleich musste ich unweigerlich schlucken, war es doch fast dieselbe Szene, die ich im Wald beobachtet hatte und wegen der ich überhaupt in diesem ganzen Schlamassel festsaß. In gewisser Weise ähnelte ich wirklich diesem Reh, das Edward getötet hatte, nur dass ich bisher noch entkommen konnte. Fragte sich nur, für wie lange. Ich verspürte den Drang, etwas zu sagen, konnte mich aber noch zurückhalten, schließlich hatte ich ihm versprochen, nicht dazwischen zu reden. „Ich weiß, wenn ich Ihnen noch einmal die Frage stellen würde, die ich Ihnen heute in Port Angeles gestellt habe, würde ich die gleiche Antwort ein zweites Mal hören. Aber ich bin mir fast hundertprozentig sicher, dass Sie einfach nur Angst haben, sich jemandem anzuvertrauen, weil sie denken, man würde Ihnen nicht glauben. Dieser Junge… Der, der vor ein paar Tagen bei dem Unfall aus heiterem Himmel aufgetaucht ist. Das war nicht einfach nur jemand, der Ihnen aus Besorgnis gefolgt ist. Alles, was ich bisher beobachten konnte, sind Anzeichen dafür, dass er Sie verfolgt und Ihnen eine Höllenangst einjagt. Und so, wie es jetzt aussieht, scheint er sogar in Ihr Haus eingedrungen zu sein.“ Mit jedem weiteren Satz war mein Unterkiefer mehr nach unten gesackt, doch kein Wort wollte mir entweichen. Zu geschockt war ich von dem, was er sagte. Meine Augen waren feucht geworden, mein Blick leicht verschleiert, eine einzelne Träne hatte sich ihren Weg entlang meiner Wange gebahnt. Immer wieder bewegte sich mein Unterkiefer zittrig auf und ab, weil ich dem Gesagten entgegen reden wollte, aber ich konnte nicht, mein Kopf war wie leergefegt. Das Einzige, was ich tun konnte, war, ihn einfach stumm anzusehen. „Wenn ich mit meiner Vermutung wirklich richtig liege, dann müssen wir das der Polizei melden“, sprach er weiter. „Fynn…“, krächzte ich endlich. Doch was sollte ich ihm sagen? Dass er es lassen sollte? Ich hatte wenig Chancen, ihn zu überzeugen. Ich hatte es schon den ganzen Tag versucht und es hatte nichts gebracht. Er war sich seiner Meinung bereits sicher, er hatte mich perfekt durchschaut, auch wenn er den Grund für all das nicht kannte. Alles, was ich zustande brachte, war mit dem Kopf zu schütteln. Ich schloss meinen Mund, spürte dabei das Salz von weiteren Tränen, die über meine Wimpern quollen. Zitternd schlang ich meine Arme um meinen Leib, als ich zu frösteln begann und eine Gänsehaut meinen Körper befiel, während ich unserem Blickkontakt nicht mehr standhalten konnte. Ich fixierte eine Stelle auf dem Teppich, wo die Fasern leicht verfärbt waren. Der Rest der Auslegware war beige, doch diese kleine Stelle war leicht gräulich. Ich vermutete, dass Charlie dort aus Versehen mal etwas fallen lassen oder ausgeschüttet hatte. Eine Bewegung neben mir ließ mich wieder aufsehen. Fynn war aufgestanden und um die Couch herumgelaufen. Ich drehte meinen Kopf nach hinten, um zu sehen, was er vorhatte, doch da spürte ich bereits, wie mir eine Decke um die Schultern gelegt wurde. Dieses Mal setzte Fynn sich auf meine andere Seite, sehr viel dichter als zuvor. Er wickelte mich regelrecht in dem dicken, flauschigen Stoff ein und legte einen Arm um mich. Mit sachtem Druck bedeutete er mir, mich an ihn zu lehnen. Ich zögerte nicht lange. Ich konnte mich gar nicht mehr dagegen wehren, denn tief im Inneren musste ich zugeben, dass es gut tat, sich endlich einmal zu öffnen und alles herauszulassen. Und Fynn schien mich wirklich nicht für verrückt zu halten. Ich fühlte mich zum ersten Mal verstanden und das, obwohl er nicht die ganze Geschichte kannte. Ich ließ den Tränen nun freien Lauf und versuchte nicht mehr, sie zu unterdrücken. Es tat so gut, die Qualen und Aggressionen nicht mehr verstecken zu müssen. Noch kräftiger zog ich die Decke an mich, krallte mich in den Stoff, während Fynn mich sachte drückte und mir immer wieder beruhigend zuflüsterte. Und doch konnte ich das Zittern nicht abstellen. Mir war kalt und es wurde nicht besser. Immer wieder kroch mir die Gänsehaut über den Rücken. Nur langsam erstarb das Schluchzen, je mehr ich versuchte, mich auf sein unglaublich anziehendes Aroma zu konzentrieren. Die Zeit verging wie im Fluge. Ohne es zu bemerken, inhalierte ich Fynns Duft fast schon, der mich mehr und mehr umhüllte und mich leicht schlaftrunken machte. Das Gefühl seiner Finger, die so zaghaft durch meine Haarsträhnen fuhren, als würden sie die Beschaffenheit jedes einzelnen Haares ertasten wollen, trug fabelhaft dazu bei und geleitete mich tiefer in einen Dämmerzustand. Ab und an hörte ich Fynn tief einatmen und dann hatte ich manchmal das Gefühl, eine hauchzarte Bewegung über meinem Kopf zu spüren. Diese war allerdings so schwach, dass es sich durchaus auch um meine Einbildung handeln konnte. Die Zweisamkeit fühlte sich merkwürdig gut an… Und trotzdem konnte ich es nicht verhindern, dass die kleine Stimme von vorhin wieder laut wurde. In gewisser Weise musste ich ihr sogar Recht geben. Ich saß hier, in den Armen eines Mannes, den ich gerade mal ein paar Tage kannte, und schüttete ihm buchstäblich mein Herz aus. Gut, vielleicht nicht ganz, aber dennoch weit mehr, als ich es je vorhatte. Außerdem war ich mit ihm allein und betört von seinem Geruch. Ich sollte ihm für seine Hilfe und Fürsorge danken und ihn dann nach Hause schicken. Es war einfach nicht richtig, soviel auf ihn zu bauen. Ich durfte mir keine Stütze erlauben, die durch mich höchstwahrscheinlich noch zu Bruch ging. Fynn war wirklich ein netter Kerl, der mich rührenderweise ernst nahm, im Gegensatz zu den meisten Menschen, aber ich sollte seine Freundlichkeit nicht ausnutzen. In dem Moment, als ich mich aufsetzen wollte, schien auch er seine Sitzposition ein wenig zu ändern. Fragend schaute ich ihn an, als er seinen Arm sinken ließ und aufstand. „Ich sollte besser nach Hause“, lächelte er entschuldigend. „Wie ich sehe, geht es Ihnen schon ein wenig besser. Ich mache mir zwar immer noch Sorgen um Sie, aber es wäre nicht richtig, auch noch die Nacht hier zu verbringen. Dafür kennen wir uns leider noch zu wenig.“ Ich wollte ihm „Nein“ entgegen schreien, ich war schon kurz davor und alles in meinem Gesicht sagte das deutlich, aber er hatte Recht. Es war fast so, als könnte er meine Gedanken lesen, hatte er doch dieselben wie ich. Vorsichtig erhob ich mich vom Sofa und bevor ich etwas sagen konnte, hörte ich jemanden unsere Auffahrt hochfahren. „Das muss mein Dad sein. Sieht so aus, als wäre er von der Arbeit zurück.“ Fynn nickte und machte sich auf den Weg zur Haustür. Plötzlich bekam ich Panik. Wie würde wohl Charlie auf ihn reagieren? Auf einen fremden Mann in unserem Haus und das, während er selbst nicht anwesend war? Ich hatte ehrlich gesagt nicht eingeplant, die beiden aufeinander treffen zu lassen - ich war ja noch nicht mal davon ausgegangen, dass Fynn so lange blieb. Schnell lief ich hinter ihm her und konnte ihn an der Eingangstür abfangen. Verwirrt sah er zu mir, allerdings öffnete sich die Tür bereits in dem Augenblick, als ich zum Reden ansetzte. Charlie sah nach unten und hantierte in der einen Hand mit seinen Schlüsseln umher, in der anderen hielt er eine Papiertüte mit… Einkauf. Dabei war ich erst heute deswegen weg gewesen. Wie weit war er überhaupt gefahren, um jetzt noch einen geöffneten Laden zu finden? „Dad!“, meinte ich gespielt überrascht. Er blickte auf und sah erst mich verblüfft, dann Fynn misstrauisch an. Sein Kopf wanderte zwischen uns beiden hin und her, während seine Augen immer schmaler wurden. Ich bemerkte, wie ihm zusehends die Worte, die er noch nicht mal gesprochen hatte, ausgingen und entschied mich, als Erste etwas zu sagen. „Das ist Fynn. Er… war so freundlich und hat mich nach Hause begleitet.“ Charlies Stirn legte sich in Falten. „Also gehört Ihnen das Auto da draußen?“ „Richtig, Sir. Es freut mich, Sie kennen zu lernen“, begrüßte Fynn ihn. „Ich habe Ihre Tochter im Park entdeckt. Sie war gestolpert und hatte sich das Handgelenk verstaucht. Ich habe mich verpflichtet gefühlt, die junge Dame erst zu einem Arzt und dann nach Hause zu bringen.“ Mein Vater starrte ihn stumm an. Kein Ton kam über seine Lippen und in seinem Kopf schien es heftig zu arbeiten. Ich derweil war erstaunt, dass Fynn ihn einfach so anlog. Nicht, dass es mir nicht recht gewesen wäre. Es war nur einfach so, als hätte er gewusst, dass ich das Gleiche gesagt hätte. Als nach unendlich langen Minuten der Stille immer noch nichts kam, deutete Fynn erst auf mein verbundenes Handgelenk, dann hob er es sachte in die Höhe. Nur kurz flackerten Charlies Augen in diese Richtung, ehe er endlich etwas sagte. „Bei welchen Arzt wart ihr denn?“ „Dr. Cullen“, antworte ich wie aus der Pistole geschossen. Fynn hatte gar keine Möglichkeit, darauf zu reagieren. Charlie schien wieder zu überlegen, während seine Augen wieder zwischen uns hin und her wanderten. „Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Die Uhr schlägt gleich Zwölf!“, fragte er mich dann vorwurfsvoll, wobei sein Blick immer wieder zu Fynn huschte. „Es tut mir Leid, wir haben die Zeit total vergessen.“ „Und außerdem ist es ja nicht so, dass wir uns nicht kennen“, ergänzte Fynn. Charlie schaute ihn ebenso irritiert an wie ich. Bis mir ein Licht aufging. Wollte er auf den Unfall hinaus? Ich hatte ihn bisher mit keiner Silbe meinem Vater gegenüber erwähnt. Warum, wusste ich selbst nicht richtig. Zu dem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung gehabt, was mit Fynn passiert war und womöglich hatte ich Angst, weniger gute Neuigkeiten zu hören, wenn die Frage erstmal gestellt war. Andererseits war ich mir mittlerweile sicher, dass es ihm gut ging. Vielleicht mochte es für Edward ein leichtes sein, ihn ohne großen Aufwand verschwinden zu lassen, weil außer mir niemand hier Fynn kannte. Da mein Vater ihn jetzt aber auch gesehen hatte, änderte sich die Lage. Und wenn neben mir noch eine weitere Person wusste, dass er beim Unfall dabei war, wäre diese kleine Offenbarung doch ein Garant für Fynns zukünftige Sicherheit. Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass Edward soweit gehen würde und einen Polizisten umbrachte. Die paar Zweifel, die gerade aufkommen wollten, unterdrückte ich mit aller Kraft, denn immerhin hatte ich diese Möglichkeit heute bereits in Betracht gezogen. „Fynn war ebenfalls bei dem Unfall dabei gewesen“, erklärte ich endlich. „Damals hast du aber noch was anderes gesagt“, konterte mein Dad. „Der Junge von Dr. Cullen hat dich doch auf der Straße entdeckt.“ Ich nickte. „Ich hab mich nicht sofort daran erinnert. Edward hat mich ins Krankenhaus gebracht, das stimmt. Aber Fynn war ebenfalls am Unfallort. Ich nehme an, dass Edward ihm einfach nicht getraut hat, weil er ein Fremder war, und mich deshalb allein weggebracht hat.“ Es fiel mir verdammt schwer, Charlie so anzulügen, zumal die Rollen von Gefahr und Schutz zwischen Edward und Fynn gerade eindeutig vertauscht wurden. „Als wir uns im Park getroffen haben, wollte er einfach nur nachfragen, ob es mir wieder besser geht. Das ist alles.“ Charlie sagte nichts. Vermutlich dachte er gerade über meine Aussage nach, jedoch ließ er uns dabei nicht aus den Augen. Während ich mich unwohl unter seinem Starren fühlte, erwiderte Fynn seine Blick mit der gleichen Intensität, hatte dabei jedoch ein Lächeln auf den Lippen. Mein Vater konnte ihm doch eigentlich gar keine Vorwürfe machen. Fynns aufrichtige Hilfsbereitschaft stand ihm förmlich auf die Stirn geschrieben. Nach schier unendlichen Minuten rührte sich Charlie. Er seufzte laut. „Das nächste Mal würde ich gerne eher über so was Bescheid wissen, hörst du, Isabella?“ Auch ich atmete jetzt erleichtert aus. „Ja, versprochen.“ „Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe, Mr. …“ „Agapiou“, beendete Fynn den Satz höflich. Charlie nickte, er wirkte jetzt schon viel entspannter. „Mr. Agapiou. Was soll ich sagen? Meine Tochter ist von Natur aus leider sehr ungeschickt. Ich hoffe, Sie nehmen es ihr nicht allzu übel.“ Meine Wangen wurden feuerrot und Fynn lachte leise. „Das würde ich niemals. Sie haben wirklich eine sehr nette Tochter und ihre Tollpatschigkeit hat durchaus etwas liebreizendes.“ Sowohl Charlies als auch meine Augenbraue schossen in die Höhe, allerdings war nur mein Vater in der Lage, darauf etwas zu erwidern, auch wenn es etwas ungläubig klang. „Ganz wie Sie meinen.“ „Das tue ich durchaus“, grinste sein Gegenüber. „Wie dem auch sei, ich wollte eigentlich gerade gehen.“ „Ah, ja. Natürlich.“ Charlie nickte, ging weiter ins Haus hinein und stand jetzt nicht mehr mitten im Eingang. „Dann noch eine angenehme Nacht. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.“ Ich runzelte die Stirn. Normalerweise war Charlie nicht gerade kontaktfreudig, in dem Part waren wir uns ähnlich. Aber nun wirkte es auf mich so, als würde er Fynn wirklich nett finden. Er hatte überhaupt nicht diese misstrauische Vater-und-Hüter-des-Gesetzes-Aura um sich. Mein zweimaliger Retter gab mir einen kurzen Seitenblick, als er schmunzelnd auf Charlies letzten Satz antwortete und mir damit wieder mehr Farbe ins Gesicht zauberte. „Dagegen hätte ich überhaupt nichts einzuwenden.“ Mein Vater ging nicht weiter darauf ein, sondern wandte sich um und verschwand in der Küche, um den Einkauf wegzuräumen. „Bis dann, Isabella“, meinte Fynn, als er sich wieder zu mir drehte, ein Lächeln auf den Lippen, das ich schüchtern erwiderte. „Ja, bis dann… Ach, und eine Sache noch.“ Abwartend schaute er mich an. „Ich wäre Ihnen wirklich sehr dankbar, wenn Sie niemandem - und damit meine ich wirklich niemanden - von dem Ganzen erzählen. Ich will nicht, dass das irgendjemand und vor allem mein Vater mitbekommt.“ Nervös beobachtete ich, wie er über meine Bitte nachdachte. Ich betete, dass er mich wenigstens ansatzweise verstand. „Na schön. Einverstanden. Auch wenn ich eigentlich anderer Meinung bin.“ „Versprechen Sie es“, bat ich zusätzlich und mit etwas Nachdruck. „Versprochen“, entgegnete er ohne zu zögern. Ich schenkte ihm ein dankbares Lächeln und nickte ihm zu, kurz darauf wandte er sich zum Gehen. „Und danke noch mal für Ihre Hilfe“, rief ich, als er bereits in der pechschwarzen Nacht stand, einzig erhellt durch das Eingangslicht. Er grinste süffisant. „Das war mein Ausgleich dafür, dass ich Sie nicht schon das erste Mal retten durfte.“ Hätte er es doch bloß getan… Aber es war falsch von mir, so etwas zu denken. Es war egoistisch und würde nur dazu führen, ihn in Gefahr zu bringen. Fynns plötzliche Kopfbewegung holte mich aus meinen Gedanken. Er schien in die Nacht hineinzusehen, in den schwarzen Himmel und auch in den Wald hinter uns, als würde er nach etwas Ausschau halten und horchen. Seine schwarzen Haare tanzten im Wind und ihr Spiel wurde vom Rascheln der Blätter begleitet. Es war frisch draußen und allein beim Zusehen bekam ich eine Gänsehaut. Dennoch war dieser Anblick ein Bild für die Götter. Ich konnte es gar nicht richtig beschreiben, es war einfach nur unglaublich faszinierend. Starr wie eine Statue stand er da, während die Strähnen, die ihm ins Gesicht fielen, dem Bild Leben einhauchten. „Stimmt was nicht?“, konnte ich mich dann doch noch dazu bringen zu fragen. Er beendete seine ‚Nachtforschung‘ und sah mich verschmitzt an - als würde er sich über einen unbekannten Witz amüsieren. „Ein seltsamer Wind, der heute weht.“ Der rätselhafte Unterton in seiner Stimme war mir nicht entgangen und ich verstand nicht, worauf er hinaus wollte. Vielleicht schrieb er nicht mit Hieroglyphen, aber im Moment sprach er mit welchen. Als er meinen verwirrten Gesichtsausdruck sah, schüttelte er nur seinen Kopf. „Machen Sie´s gut, Isabella. Und lassen Sie den Kopf nicht hängen. Sie werden sehen, mit ein bisschen Geduld löst sich jedes Problem von allein.“ Er lächelte mich noch kurz an, bevor er sich umdrehte und zu seinem Auto ging. Ich starrte ihm noch eine Weile hinterher, auch als sein Wagen längst um die Ecke gebogen war. Die Erinnerung an seine Worte hatten einen seltsamen Beigeschmack. Ich konnte mir nicht helfen, aber ich ahnte böses. Ich wollte nicht daran denken, dass Fynn eventuell auf eigene Faust etwas unternahm. Nicht auszudenken, was dann passieren würde. „Isabella, kommst du endlich rein? Die ganze Kälte zieht ins Haus“, hörte ich Charlie aus der Küche rufen. Schnell schloss ich die Tür und ging zu ihm. Er saß am Küchentisch und hatte sich ein Sandwich zubereitet. Brot, Wurst und Käse, Salat und Erdnussbutter lagen immer noch auf dem Tisch verteilt, während er genüsslich in seine Mahlzeit biss. Er war fast fertig. „Setz dich und iss was“, meinte er und nickte zu einem freien Stuhl. Zwar nahm ich Platz, rührte aber nichts von dem Essen an. „Ich hab keinen Hunger. Ich werde auch gleich ins Bett, morgen ist wieder Schule.“ Charlie beobachtete mich misstrauisch, bis mir einfiel, worauf er anspielte - oder was er versuchte. „Dad, ich hab schon gegessen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich würde zu wenig Nährstoffe bekommen“, erklärte ich augenrollend. Er fixierte mich noch einen Moment, dann schien er sich damit zufrieden zu geben. „Warum hast du eigentlich so lange gearbeitet? Ist irgendwas Besonderes passiert?“ Ein Themenwechsel würde gut tun und mit meinem Vater über seine Arbeit zu reden, lenkte definitiv von meiner angeblichen ‚Hungerdiät‘ ab. Er zuckte mit den Schultern. „Ein Mädchen wurde heute überfallen, ihr geht´s aber soweit gut. Der Angreifer ist geflüchtet.“ … Warum fing mein Herz plötzlich an zu rasen? Assoziierte ich diesen Vorfall jetzt gleich unbewusst mit Edwards Angriff? Mein Blick glitt ins Leere, mein Körper verkrampfte sich, dabei könnte es überhaupt nichts mit meiner Situation zu tun haben. Zufälle gab es schließlich überall, warum also nicht auch hier? Der Täter hatte einfach nur ein ungünstiges Timing für seinen Angriff gehabt und diese beiden Dinge hatten bestimmt nichts miteinander zu tun. „Was weiß man denn alles darüber?“, fragte ich tonlos. „Tut mir leid, mehr kann ich dir nicht sagen. Ich würde dich aber trotzdem bitten, in nächster Zeit nachts nicht mehr allein vor die Haustür zu gehen und unnötige Alleingänge vermeiden. Sei einfach vorsichtig, ja?“ Er steckte das letzte Stück Sandwich in seinen Mund und klopfte sich die Hände, bevor er aufstand und die Lebensmittel zurück in den Kühlschrank legte. „Ist gut“, murmelte ich vor mich hin, während ich krampfhaft versuchte, meine Vermutungen abzuschütteln. Meine Vermutung, dass Edward der Angreifer war. Dass er dieses unschuldige Mädchen überfallen hatte, weil er seine Wut darüber, mich noch nicht in die Finger bekommen zu haben, an irgendjemandem auslassen musste. Ich sollte nicht mehr daran denken. Das war völlig absurd. „Ich geh ins Bett. Schlaf gut, Isabella“, sagte Charlie, als er sich gähnend reckte und die Küche verließ. „Was? Oh… ja, du auch.“ Er war schon weg, als ich aufsah, und hatte meine Worte wahrscheinlich gar nicht mehr gehört. Ich blieb noch ein paar Minuten sitzen und redete mir immer wieder ein, nicht mehr daran zu denken, auch wenn es mir ein wirklich ungutes Gefühl in der Magengegend bescherte. Aber ob es nun so war oder nicht, ändern würde es an meiner derzeitigen Situation eh nichts. Als ich es endlich geschafft hatte, mich weitestgehend zu beruhigen, stand auch ich auf. Jetzt gab es ein ganz anderes Problem zu lösen. Mein Zimmer. Ich konnte da nicht einfach so wieder hinspazieren, als wäre nichts gewesen. Wie konnte ich mich dort denn noch sicher fühlen? Das war unmöglich. Nicht, nachdem er dort gewesen war. Ich könnte überhaupt keinen Schlaf finden, weil ich ständig Angst bekommen würde, er könnte wieder auftauchen. Jedenfalls heute Nacht. Ich beschloss, die Nacht auf der Couch zu verbringen, mochte es auch noch so unbequem sein. Das Einzige, was ich aus meinem Zimmer holen musste, waren meine Schlafsachen. Langsam stieg ich die Treppen hinauf und als ich vor meinem Zimmer stand, zögerte ich. Mein Atem ging flach und meine Hände zitterten, als ich sie auf den Griff legte. Vorsichtig drückte ich ihn nach unten und ließ die Tür aufschwingen. Im Innern war es natürlich stockdunkel, nur das Flurlicht spendete ein wenig Helligkeit. Alles sah noch immer so aus wie vorher. Das Fenster stand immer noch einen Spalt offen und die Gardine bewegte sich leicht durch den eindringenden Wind. Meine Hand tastete nach dem Lichtschalter und als ich ihn endlich betätigt hatte, beeilte ich mich, die nötigsten Sachen zu holen. Es stellte sich etwas schwierig heraus, das alles mit links zu bewerkstelligen. Meinen rechten Arm konnte ich nur dazu verwenden, die Schlafsachen darüber zu hängen, während ich darauf aufpasste, mein Gelenk so wenig wie möglich zu beanspruchen. Ich musste zugeben, dass Fynn wirklich gute Arbeit geleistet hatte, es tat nämlich schon viel weniger weh - jedenfalls war das Pulsieren weniger geworden. Sobald ich alles hatte, was ich brauchte, verschwand ich wieder aus dem Zimmer und ging ins Bad, um mich für die Nacht fertig zu machen. Es fühlte sich unheimlich gut an, den ganzen Stress vom Tag von sich zu spülen, obwohl ich feststellen musste, dass es weitaus schwieriger war, mit nur einer freien Hand zu duschen. Ich konnte mich nicht mal mehr daran erinnern, wie ich es geschafft hatte, aber mein Verband war vom Wasser verschont geblieben. Nachdem ich mir dann noch die Haare gefönt und die Zähne geputzt hatte, ging ich wieder nach unten ins Wohnzimmer. Auf dem Tisch stand noch immer die Schüssel mit Wasser. Ich hätte sie weggestellt, wenn ich beide Hände hätte benutzen können, so musste ich sie stehen lassen und Charlie morgen darum bitten. Meinen Wecker hatte ich ebenfalls mit nach unten genommen. Ich stellte ihn neben die Schüssel, schnappte mir ein Sofakissen und legte es mir zu recht, dann kuschelte ich mich in die Decke, in welche Fynn mich vorhin eingewickelt hatte. Ich zog sie mir bis tief unters Kinn, noch immer hing sein Geruch daran. Ich konzentrierte mich einzig und allein darauf und auf seine starke, schützende Umarmung von heute Abend, die mir soviel Geborgenheit wie schon lange nicht mehr gab. Es verging nicht viel Zeit, bis mich der Schlaf übermannte. Seitdem waren einige Tage vergangen. Fynn hatte ich bisher nicht wieder gesehen, was mich ein wenig melancholisch stimmte. Natürlich konnte ich nicht erwarten, ihn rund um die Uhr bei mir zu wissen und wenn ich ihn wirklich wieder sehen wollte, dann hatte ich immer noch seine Telefonnummer. Aber ich traute mich einfach nicht, ihn anzurufen. Einerseits wollte ich ihn nicht unnötig bedrängen, andererseits wollte ich ihn nicht bewusst irgendeiner Gefahr aussetzen. Denn die schien intensiver denn je. In der Schule versuchte ich mich noch unsichtbarer als vorher schon zu machen. Ich wusste nicht, ob sich mein Verstand langsam verabschiedete, Fakt aber war, dass mir die Blicke der Cullens penetranter vorkamen. Es war jetzt nicht mehr nur Edward, der mich ständig beobachtete. Auch die Anderen schienen ihr Interesse an mir gefunden zu haben. Sicher konnte man das auch als eine von mir ausgehende Einbildung abstempeln, so ganz überzeugen tat mich das aber nicht. Trotz meiner Panik vor ihnen funktionierte mein Überlebensinstinkt nämlich noch sehr gut. Kurse hatte ich zum Glück mit keinem von den Cullens und in den Pausen hielt ich mich so weit wie möglich von ihnen entfernt auf - sobald ich jemanden von ihnen entdeckte, rannte ich in die entgegen gesetzte Richtung. In der Mittagspause zog ich mich in das alte Klassenzimmer zurück, sodass sie mich in der Cafeteria nicht zu Gesicht bekamen. Mittlerweile wurde dieser verlassene Raum mehr und mehr zu meinem Schutzbunker, ich fühlte mich bald sicherer als in meinem Zimmer. Leider musste ich in Letzterem wieder übernachten, so sehr ich mich auch dagegen sträubte. Aber wie sollte ich Charlie mehrere Übernachtungen auf dem Sofa erklären? Beim ersten Mal hatte ich ihn noch davon überzeugen können, beim Schauen eines Films eingeschlafen zu sein, aber ein zweites Mal würde das nicht funktionieren. Ein drittes Mal war ausgeschlossen. Also hatte ich mich dazu überwinden müssen, es wieder zu betreten. Gleich darauf hatte ich das Fenster so fest wie möglich verschlossen und den Raum so schnell wie möglich aufgeräumt, um das Bild eines wüsten Zimmers und dem damit verbundenen, wahrscheinlichen Täter aus meinem Kopf zu verbannen. Nichtsdestotrotz blieb ich den größten Teil der Nacht wach. Das ständige Gefühl, er könnte sich jeden Moment in mein Zimmer schleichen, blieb einfach nicht aus. Erst wenn die Müdigkeit zu groß wurde, schlief ich ungewollt ein. So fingen meine Tage in der Schule nach der Krankschreibung also von Neuem mit Schlafmangel an. Das Einzige, was sich somit nach meinem Zusammenbruch änderte, war mein Essverhalten - Charlie zuliebe, damit er sich keine Sorgen machte. Heute war wieder einer dieser Tage, an denen ich kaum aus dem Bett kam, weil ich erst eine Stunde zuvor eingeschlafen war. Das Sonnenlicht, das in mein Zimmer schien, war viel zu grell, das Klingeln des Weckers viel zu laut, meine Sinne kamen mir heute empfindlicher vor als normalerweise. Und während ich zur Schule fuhr, änderte es sich nicht sonderlich, außerdem schien mein Kopf immer wieder zur Seite nicken zu wollen. Ich musste mich zusammenreißen, die Augen offen zu halten. Der Vormittag zog sich schleppend dahin. Die Lehrer brachten ihren Lehrstoff nur sehr zähflüssig an uns weiter und jedes Mal kam es mir so vor, als hätten sie den Uhren an der Wand die Batterien absichtlich entnommen, um uns länger zu quälen. Doch das war eigentlich noch nicht mal das Schlimmste. Wegen meines Handgelenks konnte ich mir keine richtigen Notizen machen. Die einzige Möglichkeit war, mir die Buchseiten mit links aufzuschreiben, um den Stoff Zuhause zu büffeln und mir irgendwann später das Nötigste zu notieren. Ich konnte von Glück reden, dass diese Woche keine Tests anstanden. Was die Cullens anging, schien ich Glück zu haben, ich sah sie in den Pausen nicht ein einziges Mal. Doch das änderte nichts daran, dass ich immer wieder mit erhöhtem Herzschlag in einen neuen Gang einbog und mein Magen rebellierte, wenn ich auch nur den Hauch eines bronzenen Haarschopfes in der Masse der Schüler erkannte. Auch änderte sich nichts an dem Gefühl, permanent Blicke im Nacken zu spüren, selbst wenn weit und breit nichts von ihnen zu sehen war. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als es endlich zum Ende der letzten Stunde klingelte und ich geradezu aus dem Raum stürmte, als wäre dort der Sauerstoff knapp geworden. Meine Tasche presste ich an meine Brust und mit schnellen Schritten ging ich den Flur entlang, während ich versuchte, möglichst nicht in ein Rennen zu verfallen. Ich konnte es nicht erwarten, endlich wieder Zuhause zu sein. Wenn auch nicht mehr so wie früher, so fühlte ich mich dort immer noch sicherer als hier in der Schule, wo sie mir uneingeschränkt über den Weg laufen konnten. Der Ausgang war nicht mehr weit und bis jetzt waren noch relativ wenig Schüler auf den Gängen. Ich war dermaßen stur geradeaus gelaufen, dass ich nicht gemerkt hatte, wie ich beinahe in jemanden hineingelaufen wäre. Nicht weit entfernt von mir - vielleicht zehn Meter - standen Edward und seine schwarzhaarige Schwester Alice. Sie sahen nicht so aus, als wollten die das Gebäude verlassen, sie hatten sich an den Rand des Ganges gedrängt. Ich wusste nicht, ob sie sich gerade unterhalten hatten, oder ob sie dort einfach nur auf jemanden warteten - und ich hoffte, dass dieser Jemand nicht ich war. In dem Moment, als ich sie bemerkte, starrten sie schon in meine Richtung. Wie angewurzelt blieb ich stehen und starrte angsterfüllt zurück. Als ich Edward ansah, kamen mir sofort wieder die Erinnerungen an mein durchwühltes Zimmer in den Sinn, welche den Klang und die Geschwindigkeit meines Pulses rasant ansteigen ließen. Wenn ich hier weg wollte, musste ich nicht einmal an ihnen vorbei, sondern brauchte einfach nur geradeaus weiterlaufen und trotzdem bewegte ich mich keinen Millimeter. Vielleicht sollte ich mich ihnen wirklich einfach stellen und das über mich ergehen lassen, was sowieso irgendwann passieren würde. Dann hätte dieses Katz-und-Maus-Spiel endlich ein Ende. Als ich mir die Idee durch den Kopf gehen ließ, wusste ich, dass ich dazu niemals in der Lage gewesen wäre. Dazu war ich einfach zu egoistisch, ich hing viel zu sehr an meinem Leben. Alice‘ überraschter Blick verschwand, stattdessen grinste sie jetzt und wandte sich an ihren Bruder, um ihm etwas zuzuflüstern. Als sie gerade losgehen wollte, packte er sie am Arm und hielt sie zurück, während er leise auf sie einsprach. Ich nutzte die kurze Unterbrechung, um mich zu sammeln und rannte dann doppelt so schnell in Richtung Ausgang. Bevor ich aber das Foyer verlassen konnte, spürte ich, wie etwas Feingliedriges mein rechtes Handgelenk umschlang. Ich schrie laut auf, obwohl sie überhaupt nicht stark zugefasst hatte und die Schwellung selbst auch gar nicht mehr so sehr schmerzte. Alice zuckte verwirrt zurück und sah mich mit großen Augen an. Mir fiel sofort auf, dass ihre Augenfarbe die gleiche war wie die von Edward. Dasselbe karamellfarbene Braun, nur dieses Mal eine Nuance dunkler. Einige Schüler hatten sich ebenfalls zu uns umgedreht, wandten sich aber schnell wieder ab. „Es… tut mir leid. Ich wollte nicht…“, fing sie an zu stottern und wirkte reichlich überrascht über meine Reaktion, während sie immer wieder zwischen mir und ihrer Hand hin und her blickte. Als hätte man so was nicht erahnen können! Panisch und mit Tränen in den Augen starrte ich sie an und ich wunderte mich plötzlich, wie sogar Wut in mir aufquoll. „Könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe lassen?“, presste ich zornig zwischen meinen Zähnen hervor. „Habt ihr noch nicht genug? Reicht es euch nicht, mich psychisch fertig zu machen?“ Ich machte eine kurze Pause und schluckte den Schwall Tränen hinunter, der aufkommen wollte. Dann fuhr ich leise und mit schriller Stimme fort. „Musste dein verdammter Bruder auch noch in unser Haus einsteigen und mein Zimmer durchkämmen?!“ Die Augen der Schwarzhaarigen wurden noch größer, sie brachte keinen Ton heraus. Ich musste zugeben, dass jetzt ich von ihrem Verhalten irritiert war. Ich hatte damit gerechnet, dass sie mir drohen würde, oder dass sie versuchen würde, es abzustreiten, aber nichts dergleichen geschah. „Aber Edward würde nie…“, murmelte sie, ihre Stirn legte sich in Falten. „Das hätte ich…“ Vielleicht wusste sie ja wirklich nichts davon. Vielleicht handelte ihr Bruder tatsächlich auf eigene Faust und ich hatte seine Familie zu Unrecht verurteilt. Aber selbst wenn es so wäre, sie alle machten mir immer noch Angst. Und genau deswegen wartete ich jetzt auch nicht darauf, dass das Mädchen vor mir eine plausible Antwort fand, und verließ geradewegs das Gebäude. Draußen angekommen orientierte ich mich kurz, um meinen Transporter ausfindig zu machen, und als ich ihn endlich gefunden hatte, verlor ich keine Zeit. Ich hastete auf ihn zu und sobald ich vor der Fahrertür stand, kramte ich mit zitternden Händen in meiner Tasche nach dem Schlüssel. „An Ihrer Stelle würde ich das lassen“, hörte ich auf einmal eine Stimme direkt neben mir, welche mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Meine Hand stellte das Suchen ein, der Schlag meines Herzens verdoppelte sich und mein Körper wirkte schwer wie Blei. Es benötigte eine Ewigkeit, bis ich mich selbst endlich dazu überwinden konnte, meinen Kopf zu heben. Ich hatte jemand ganz anderen erwartet, umso verdutzter war ich, als ich in das ziemlich finster dreinblickende Gesicht von Fynn schaute. Nur waren seine Augen nicht auf mich gerichtet, sondern auf etwas hinter mir. Ich folgte seinem Blick und erkannte Edward nur weniger Meter vor uns stehen. Meine Atmung setzte aus, als ich feststellte, mit welchem mörderischen Gesichtsausdruck er uns anvisierte - oder vielmehr Fynn. Es war derselbe, den ich damals im Wald miterleben musste und der mit Schuld an meiner ganzen Misere war. Der, der mich fast jede Nacht heimsuchte und mich nicht schlafen ließ. Der, der mich sogar in meinen Tagträumen verfolgte. In diesem Moment wollte ich einfach nur noch rennen. So schnell und so weit wie möglich. Instinktiv wusste ich, dass das hier kein gutes Ende nehmen würde und ich betete, dass Fynn es auch spüren konnte. Wie von selbst wich ich ein paar Schritte nach hinten. Meine rechte Hand griff nach meinem Herzen, die andere suchte von allein Fynns Arm, während ich ihm rückwärts näher kam - ohne dabei jedoch Edward aus den Augen zu lassen. Endlich fühlte ich den Stoff seiner Jacke und krallte mich fest, gleichzeitig zog er seinen Arm nach hinten, um sich selbst schützend vor mich zu stellen. Ich nahm die Geste an und versteckte mich hinter ihm, auch wenn ich es eigentlich besser wissen sollte. Nur mein Kopf schaute an seinen muskulösen Schultern vorbei zu Edward. Der hatte plötzlich eine ganz andere Miene. Er schien schockiert und gleichzeitig verletzt zu sein. Warum? War es ihm nicht recht, dass ich auf einmal nicht mehr alleine dastand? Dass es jemanden gab, der sich nicht so schnell einschüchtern ließ wie ich? Dabei wartete ich eigentlich jeden Moment darauf, dass Fynn vor Angst die Flucht ergriff. Ich musste zugeben, dass ich mich durch seine Anwesenheit schon ein klein wenig stärker und gefasster fühlte, doch im Grunde war es nicht weiter als Feigheit, ihn als Schutzwall zu benutzen. Die Sicherheit, die ich durch ihn verspürte, verschwand ziemlich rasch, als ich realisierte, dass Edward nicht der einzige Cullen hier war. Der Rest seiner Geschwister hatte sich um uns gescharrt. Zwar waren sie sehr viel weiter weg als ihr Bruder und im beim ersten Hinsehen sah es überhaupt nicht danach aus, doch es war trotzdem beklemmend, so eingekesselt zu sein. Sie musterten uns argwöhnisch und unschlüssig. Aber nicht nur uns, auch Edward. Wahrscheinlich wollten sie ihn einfach nur beschützen. „Vielleicht sollten wir von hier verschwinden“, flüsterte ich Fynn unruhig zu, doch er reagierte gar nicht auf mich. Er schenkte seine gesamte Aufmerksamkeit der Person vor sich. Edwards Augen waren derweil wieder auf sein männliches Gegenüber gerichtet und versprühten regelrechte Funken. “Phinnaeus.“ Seine Stimme war ruhig und bebte zur selben Zeit, nichts war mehr von dieser samtenen, wohlklingenden Melodie zu erkennen, die ich noch vor ein paar Tagen während meines Krankenhausaufenthaltes vernommen hatte. Sie jagte mir Angst ein. Aber mir fiel noch etwas anderes auf. Es wirkte fast so, als würde er Fynn kennen. Zugegeben, er hatte ihn bereits bei meinem Autounfall getroffen, aber trotzdem. Es wirkte gerade irgendwie… vertrauter. Allein die Tatsache, dass er ihn anders genannt hatte, widerlegte meine Theorie. Phinnaeus… Ein wirklich ungewöhnlicher Name, den ich bisher noch nie gehört hatte. Wieso nannte er ihn so? Edward starrte Fynn immer noch hasserfüllt an. „Das, was du dir vor ein paar Tagen geleistet hast, war zuviel und das weißt du auch. Also geh weg von ihr“, befahl er eisig. Mir lief es kalt den Rücken herunter. Auf was wollte er hinaus? Wusste er, dass Fynn mir an dem Abend Gesellschaft geleistet hatte, als er selbst in mein Zimmer eingestiegen war? Natürlich… Er verfolgte mich eh auf Schritt und Tritt. Da war es nicht ungewöhnlich, dass er auch von Fynns Besuch wusste. Wie konnte ich mir je etwas anderes einreden? „Ich weiß nicht, was Sie meinen“, antwortete Fynn ruhig. Überraschenderweise schien er überhaupt nicht verängstigt oder eingeschüchtert zu sein. „Aber wenn es um Isabella geht, rate ich Ihnen, sich besser von ihr fernzuhalten, oder Sie werden die Konsequenzen tragen. Sie ist bereits am Rande ihrer Nerven und das nur, weil Sie das arme Mädchen nicht in Ruhe lassen können.“ Ich war beeindruckt von seinem Mut, sich Edward auf diese Weise entgegenzustellen, gleichzeitig hatte ich aber auch tierisch Panik. Edwards Ausdruck wurde wütender und seine Nasenflügel blähten sich auf. Ich rechnete jeden Moment mit einem Wutausbruch, doch er hielt sich unter Kontrolle und atmete ein paar Mal tief durch. „Ich warne dich“, sagte er bedrohlich tief und kam plötzlich einen Schritt näher. „Wenn du auch nur…“ Weiter hörte ich ihm nicht zu. Alles, was ich in diesem Moment registrierte, war der Abstand zwischen uns, der mit jedem Schritt kleiner wurde, und alles, woran ich gerade denken konnte, war Fynn und dass ich es nicht zulassen würde, ihn als Opfer in diesem Spektakel enden zu lassen. Er hatte rein gar nichts mit der Sache zu tun. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als Edward nicht mal mehr zwei Meter von uns entfernt war. Auch die anderen Cullens waren ein Stück näher gekommen. Lass ihn in Ruhe… Lass ihn in Ruhe! „LASS IHN IN RUHE!“ Ich war selbst erstaunt über meinen unerwarteten Ausbruch, ebenso Fynn, während Edward mich fassungslos anstarrte, bis schließlich der Zorn in ihm anschwoll. Ich sah, wie er einmal tief einatmete, sein Brustkorb hob sich deutlich. Er presste seine Lippen aufeinander, als wollte er vermeiden, etwas zu sagen und er schien mit sich zu ringen, seine Beherrschung nicht zu verlieren. Ja, auf einem Parkplatz voller Schüler wäre es sicherlich ungünstig, andere Leute zu attackieren. Er legte Daumen und Zeigefinger auf seinen Nasenrücken, als er seinen Blick letztlich senkte und langsam wieder ausatmete. Ein paar weitere Atemzüge folgten, bevor er mich wieder ansah, dieses Mal gefasster. „Isabella…“, setzte er noch einmal an, gab es dann aber auf. „Fein! Aber tu mir bitte einen Gefallen. Es ist mir gerade ziemlich egal, für wen oder was du mich hältst, oder ob du mir nicht glaubst. Aber halte dich in Zukunft von diesem Mann fern. Du hast keine Ahnung, auf was du dich da einlässt.“ Noch einmal schaute er mich an, sein intensiver Blick bohrte sich in meinen. Eigentlich wollte ich wegsehen, aber nach meinem kleinen Aufschrei konnte ich jetzt unmöglich zurückweichen - auch wenn ich überhaupt keine Chance gehabt hätte, meinen Blick abzuwenden. Noch eine lautlose Warnung an Fynn, bis er sich umdrehte und ziemlich wütend zu seinem eigenen Auto ging. Stumm nahm ich seine Worte zu Kenntnis, aber ich dachte nicht im Traum daran, auf ihn zu hören. Gerade er sollte das am Besten wissen. Ich wusste genau, auf wen ich mich verlassen konnte und wem ich auf keinen Fall vertrauen durfte. Und Letzteres traf eindeutig auf Edward Cullen zu. ------------------------------- Wir hoffen, es hat euch gefallen und wieder eine Menge Fragen aufgeworfen. Vielleicht auch ein paar Vermutungen? ;) Kapitel 6: Bestärkt ------------------- Es geht weiter!!!! Nach fast drei Monaten. Das tut mir (Zespri) sehr Leid, ich bin die Schuldige ;) Ich bin davon überzeugt, dass dubdug das nächste Kapitel weitaus schneller online stellt. Wir hoffen, ihr hattet alle schöne Weihnachten und einen guten Rutsch. Viel Spaß beim Lesen!!! ------------------------------------------------------------- Wie jeden Schultag parkte ich meinen Transporter weit weg von dem silbernen Wagen der Cullens. Weit weg von Edward und der Gefahr, die von ihm und vermutlich auch seiner Familie ausging. Schon allein sein Auto löste in mir eine kleine Panikattacke aus, schon sein Fahrzeug machte mir Angst, ließ mich nachdenken. Nachdenken darüber, warum er frei war. Warum er keine Behandlung erfuhr, denn normal war er auf keinen Fall. Er sollte in irgendeiner Klinik sitzen. Ganz weit weg von mir und all den Anderen, die er verletzen konnte und mit Sicherheit auch würde. Ich wusste, dass ich ihn, irgendjemandem von Edward Cullen und seinem dunklen Geheimnis erzählen müsste, für das Allgemeinwohl, aber das war mir unmöglich. Niemand außer mir wusste, dass zumindest Edward tödlich war. Sollte man mir nicht glauben und Edward Cullen weiter sein Leben und sein Grauen so fortführen lassen, so hätte das schreckliche Konsequenzen für mich. Ich war mir sicher, dass er mich nicht nur einfach umbringen würde. Nein, Edward Cullen würde es so fürchterlich, so entsetzlich, so abscheulich gestalten, wie es ihm nur möglich war. Und das war etwas, was ich nie erfahren wollte. Deswegen hielt ich den Mund, sprach nicht. Und hoffte auf Fynn. Eigentlich wollte ich ihn nicht in irgendetwas mit hereinziehen, aber seit er und Edward vor einer Woche so aneinander geraten waren, war das vollends unmöglich geworden. Fynn hatte sich zu meinem ständigen Begleiter entwickelt, war immer da, immer in meiner Nähe und gab mir ein Gefühl der Sicherheit. Ich wusste, dass er mich im Fall der Fälle nicht schützen konnte, aber es tat gut zu wissen, dass ich Edward nicht mehr alleine begegnen würde, und das Risiko sein endgültiges Opfer zu werden, sank. Außer in der Schule. In der Schule konnte Fynn nicht auf mich aufpassen, mich nicht besänftigen, nicht für mich da sein. Und das beunruhigte mich und machte mich nervös. Ich konnte es nicht haben, hasste es. Ich war immer auf der Hut, aber ich wusste, dass das einfach nicht genug war. Ich versuchte allen fünf Cullens auszuweichen. Alice, Edward, Emmett, Jasper und Rosalie. Es gelang mir nur bei den beiden letzten. Alice versuchte nie, mich anzusprechen, aber jedes Mal, wenn wir aneinander vorbeigingen oder sie mich von weitem sah, lächelte sie mich an oder schenkte mir einen aufmunternden Blick. Ein Geschenk, auf das ich gerne verzichtet hätte. Ich wollte nur, dass sie mich ignorierte, mich wie Luft behandelte, dass ich ihr egal war. Ich wusste nicht, wie ich ihr Verhalten zu deuten hatte. Emmett war anders. Emmett schien hinter jeder Ecke zu lauern, immer darauf bedacht, in meiner Nähe zu sein. Ich war mir sicher, er war genauso krank wie Edward und wahrscheinlich von ihm auf mich angesetzt worden. Jedes Mal, wenn ich seinen großen, bulligen Körper sah, floh ich in die entgegengesetzte Richtung, nur, um kurz darauf auf Edward zu treffen. Die beiden spielten ein hinterhältiges Spiel mit mir, trieben mich in die Enge, trieben mich in die Arme des jeweilig Anderen. Es war eine Jagd. Ich war das Opfer, sie die Jäger. Sie hatten alles, ich hatte nichts. Ich seufzte leise auf und schloss die Tür meines Transporters. Sie knatschte dabei laut und zog viel zu viel Aufmerksamkeit auf mich. Eine kleine Gruppe Teenager sah kurz zu mir, wandte sich dann aber wieder ab, als sie erkannten, was das Geräusch gewesen war. Nur Isabella Swan. Nicht wichtig. Belanglos. Langweilig. Ja, ich würde gerne mit einem von ihnen tauschen. Noch nie war der Wunsch so groß gewesen, wie in den letzten Wochen. Einfach normal zu sein. Einfach dazuzugehören. Schon in Phoenix hatte ich mir manchmal Freunde gewünscht, aber es war dort in Ordnung gewesen. Hier in Forks war es eine Katastrophe. Wäre ich nicht so verdammt introvertiert, wäre ich nie in den verfluchten Wald gegangen und hätte nie Edward entdeckt, hätte nie herausgefunden, wie schrecklich, grausam und psychotisch er war. Er wäre für mich der attraktive, junge Mann gewesen. Mehr nicht. Aber das Schicksal schien mich zu hassen, schien mich direkt zu ihm hingeführt zu haben. Ich erschauerte leicht, als ich an die Szene im Wald zurückdachte. An die pechschwarzen Augen, die auf mich gerichtet waren, an das dunkelrote Blut, das langsam sein Kinn herabgeronnen war, an das tote Reh, das neben ihm gelegen hatte, seltsam verdreht. Mein Herz schlug wild gegen meine Brust und ich hörte, wie mein Atem schneller ging. Die Erinnerung an diesen verhängnisvollen Moment nahm meinen Kopf und meinen restlichen Körper ein. Immer wieder flackerten Bilder dieses Tages in mein Gedächtnis. Ich spürte, wie mein Körper zu zittern begann. Ich sehnte mir Fynn herbei. Es fiel mir schwer, die Treppenstufen zum Eingang hinauf zu gehen. Meine Knie wollten nachgeben, aber ich wollte ihnen das nicht eingestehen. Immer wieder ermahnte ich mich, einen Fuß vor den anderen zu setzen und stark zu sein. Ich versuchte, mir selbst klar zu machen, wie lächerlich ich mich verhielt. Edward würde mich nicht in der Schule angreifen. Zu viele Leute, zu viele Zeugen. Es wäre zu gefährlich für ihn und seine Familie. Die Maskerade könnte fallen, er könnte alles verlieren. Aber, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf, die anderen Schüler halten ihn auch nicht von seinem Psychospielchen ab. Er verfolgt dich systematisch, er hat eine Strategie und all die Anderen sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als das sie merken würden, in was für einer Situation du dich befindest. Du bist ihnen egal. Sie würden es nicht bemerken, wenn er sich dazu entscheidet, es hier und jetzt zu beenden. Ich stolperte. Zu sehr hatte ich auf die Stimme gehört, meine Konzentration war abgedriftet und ich hatte eine der Treppenstufen übersehen. Meine Hände schossen nach vorne, stützten meinen restlichen Körper ab. Ein scharfer Schmerz durchzuckte mich und ich fluchte leise. Schnell rappelte ich mich wieder auf, versuchte mir den Dreck von den Klamotten zu klopfen und bemerkte dann die Ursache des Schmerzes. Viele kleine, blutige Schrammen an den Innenseiten meiner Hände. Sie bildeten ein komisches Muster und sie taten weh. Es quoll kein Blut aus den winzigen Wunden, aber die roten Striche schmerzten. Vorsichtig berührte ich mit dem Zeigefinger meine andere Handfläche und zuckte leicht zurück. Autsch. Auch das pochende, unangenehme Gefühl stellte sich wieder an. Das, was ich die ganze letzte Woche hatten, nachdem ich mir leicht das Handgelenk verstaucht hatte. Sowas konnte nur mir passieren und ich wollte all die Schuld Edward Cullen zuschieben. Ich sah mich um, wollte wissen, ob jemand meinen kleinen Unfall bemerkt hatte, aber es schien nicht so. Die anderen Schüler standen auf dem Schulhof zwischen ihren Autos und unterhielten sich, lachten und scherzten herum. Ihr Leben war einfach. Ich wollte es auch. Seufzend wand ich mich ab und wünschte mir sofort, ich hätte es nicht getan. Nein, mein Unfall war nicht unbemerkt vonstattengegangen. Am Ende der Treppenstufen standen die Cullens. Alle fünf. Sie starrten mich an, ihre Augen bohrten sich tief in meinen Körper und ich erzitterte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, ich wollte wegrennen. Aber meine Beine bewegten sich kein Stück. Weder vor, noch zurück. Ich stand auf der Treppe und starrte hoch zu der Familie, die mein Leben beherrschte. „Hast du dir wehgetan?“, fragte eine helle Stimme, die zwar freundlich klang, aber trotzdem Alice Cullen gehörte. Ihr war genauso wenig zu trauen wie Edward. Ich antwortete nicht, war still, während Rosalie ihr einen ungläubigen Blick zuwarf. Ihre Stimme war kalt wie Eis, als sie sagte: „Wir wissen doch alle, dass sie sich wehgetan hat. Was soll diese lächerliche Frage?!“ Ihre Lippen kräuselten sich leicht und ohne Alice Zeit zum Antworten zu geben, verschwand sie in der Eingangstür des Schulgebäudes. Jasper folgte ihr sofort. Wieso konnten die anderen drei das nicht auch tun? Ich wollte nicht an ihnen vorbei gehen, aber genauso wenig wollte ich weiter vor ihnen stehen und auf mein Schicksal warten. Edwards Blick war nach unten gerichtet und erst jetzt bemerkte ich, dass er meine Hände musterte. Schnell versteckte ich sie hinter meinem Rücken, woraufhin er aufsah, meine Augen suchte. Ich versuchte ihm auszuweichen, versuchte meinen Blick irgendwo anders hinzurichten, aber es gelang mir nicht. Unsere Augen trafen sich und mein Herz schlug vor lauter Angst schnell und heftig gegen meine Brust. Alice stieß Edward leicht mit dem Ellenbogen in die Seite und er wand sich von mir ab, nickte ihr zu. Sie lächelte kurz, bevor sie nochmal zu mir sah. „Tschüss, Isabella.“ Mit diesen Worten ging auch sie, gefolgt von Edward, nachdem sie sich noch einmal umgedreht hatte. Nur noch die wuchtige Figur ihres anderen Bruders stand oben am Treppenende. Er stand da und musterte mich. Seine goldbraunen Augen starrten zu mir herab und abermals überkam mich der Drang, davonzurennen. Ganz, ganz weit weg. Ich verstand es nicht. Wieso folgte Emmett ihnen nicht, wieso stand er immer noch da und sah zu mir? Ich wollte, dass er wegging… Stumm schielte ich zu ihm hoch. Ein leichtes Grinsen bildete sich auf seinen Lippen und sofort wich ich einen Schritt zurück, eine Treppenstufe niedriger. Was plante er? Was hatten die Anderen geplant? Mein fester Herzschlag tat fast weh, ich konnte das Blut in meinen Ohren rauschen hören. Auf einmal verschwand sein Grinsen, ich hörte Emmett seufzen. „Ich fresse dich schon nicht“, murmelte er und schüttelte den Kopf. Sein massiger Körper bewegte sich auf mich zu, ich wollte weglaufen, war aber wie erstarrt. „Du bereitest uns ganz schön Probleme. Edward ist noch angespannter und tickt bei jedem kleinen Scherz aus…“, sagte er, seine Stimme klang freundlich und trotzdem starb ich beinah vor Angst, fragte mich aber gleichzeitig, ob das tatsächlich so schlimm wäre. Immerhin wäre dann alles vorbei…. Irgendjemand rempelte mich von hinten an und ich stolperte wieder nach vorne, konnte mich dieses Mal aber noch auffangen und fiel nicht wieder auf den dreckigen Beton. „Ups, sorry!“, sagte ein brünetter Schüler, vermutlich ein oder zwei Klassen unter mir. „Schon okay…“, murmelte ich und als ich wieder aufblickte, waren er als auch Emmett verschwunden. Erleichtert atmete ich auf. Der restliche Schultag verlief normal. Normal für meine Verhältnisse. Ich wich den Cullens aus, aß verbotenerweise in der winzigen Bibliothek, nur weil ich ihnen auf keinen Fall noch einmal begegnen wollte und lugte vorsichtig um jede Ecke, aus Angst, sie würden dort stehen. Ich war beruhigt, als ein greller Ton, die Schulglocke, den Unterricht und damit den gesamten Schultag beendete. Beruhigt, weil ich wusste, dass ich für den heutigen Tag sicher war. Beruhigt, weil ich gleich Fynn sehen würde. Ich schulterte meinen Rucksack, der Riemen schnitt leicht in meine Schulter ein, aber das war mir egal, ich bemerkte es kaum. Ich wollte nur schnell das Schulgebäude verlassen, nur schnell ganz weit weg von den Cullens sein… Meine Füße trugen mich ohne groß darüber nachzudenken aus dem Klassenzimmer, über die Flure hinweg, hinaus aus der Schule. Ein Blick genügte und ich sah Fynn. Er stand an der gleichen Stelle, wie in den letzten Tagen auch schon, lehnte lächelnd an der Wand und sah mir abwartend entgegen. Ich atmete aus. Ich fühlte mich sofort sicherer, sofort geschützter. Eilig lief ich zu ihm, blieb aber mit einem Satz stehen, als ich Edward an seinem silbernen Auto stehen sah. Sein Blick war auf Fynn gerichtet, dunkel, böse, furchteinflößend. Ich wusste genau, würde er mich so ansehen, würde ich umdrehen und ins Mädchenklo flüchten. Ob ich dort vor ihm sicher war, bezweifelte ich zwar, aber mit Sicherheit würde ich nicht so ruhig hier stehen, wie Fynn es tat. Da ich keine weiteren Anstalten machte, zu ihm zu gehen – ich war noch viel zu erschrocken von Edwards Blick – kam Fynn auf mich zu. Er sah leichtfüßig aus, so, als wäre alles in bester Ordnung, so, als würde er nichts von den Mordgedanken wissen, die vermutlich in Edwards Kopf herumschwirrten. Aber er hatte Edwards Blick gesehen, da war ich mir sicher… „Hallo, Isabella.“ Seine weiche, sanfte Stimme, die jedes Mal so warm und heimelig wirkte, ließ mich lächeln. „Hallo, Fynn.“ „Hatten Sie einen angenehmen Schultag?“ Ich seufzte leise und zuckte mit den Schultern, wusste nicht wirklich, was ich sagen sollte. Aber Fynn schien zu wissen, was ich fühlte und sein Anblick nahm mir die vorangegangene Angst. „Ich wünschte, ich könnte ihn beseitigen“, hörte ich ihn sagen, nicht wirklich laut, aber so, dass ich es noch wahrnahm. „Er starrt uns an. Kommen Sie, ich bringe Sie nach Hause“, fuhr er weiter fort und ich nickte nur. Möglichst weit weg von Edward Cullen zu sein, war das, was ich mir wünschte, was ich mir jeden Tag aufs Neue herbeisehnte. Fynn begleitete mich zu meinem Wagen, sein Auto war direkt daneben geparkt, aber ich war mir sicher, er wäre auch mit mir mitgegangen, wenn es am anderen Ende des Schulhofes gestanden hätte. „Ich begleite Sie nach Hause“, sagte er, seine Stimme geschmeidig wie Honig. Ich lächelte. „Danke, Fynn. Wirklich.“ Er erwiderte mein Lächeln nur. Während der Fahrt nach Hause dachte ich über die vergangenen Tage nach, in denen Fynn immer an meiner Seite gewesen war. Wir waren zusammen nach Port Angeles gefahren, er hatte mir das Haus gezeigt, in dem er wohnte, wobei wir aber nicht hineingegangen waren. Wir waren in der kleinen, örtlichen Mall gewesen, er hatte mir ein Eis spendiert und vor allem hatten wir in den letzten Tagen viel miteinander gesprochen. Die Cullens waren ein Thema gewesen, welches aber recht kurz abgehandelt worden war. Ich wollte nicht über sie sprechen, nicht wirklich. Über etwas zu sprechen, machte es meistens noch viel realer. Und die Cullens waren mir real genug…viel zu real. Ich wollte nicht noch mehr über sie nachdenken, meine Ängste nicht noch weiter schüren. Aber Fynn hatte mich abgelenkt. Er hatte mir viel über seine Heimat erzählt, über Ägypten, und ich hatte viele Fragen gestellt. Ich war fasziniert von den alten Mythen, von den Geheimnissen dieser unglaublich mysteriösen und rätselhaften Kultur und hörte seine Geschichten gerne. Er stellte aber auch Fragen über mich. Wollte wissen, wie das Leben früher für mich war, wie Phönix war, wie ich mit dem kühlen, nassen Wetter hier zu Recht kam. Ich hatte lachen müssen und stellte sie ihm gleich zurück. Ägypten war sicherlich noch trockener, noch heißer als Phönix und er musste seine Heimat schrecklich vermissen. Aber das war nicht das Einzige. Er wollte wissen, wie das Zusammenleben mit Charlie war und wie mit Renée. Er fragte, was die beiden unterschied und wo ich lieber sein würde. Er interessierte sich für mich und war dabei nicht aufdringlich, sondern immer höflich und auf seine Art und Weise sehr liebevoll. Es machte mich glücklich und nahm mir einen Teil meiner Sorgen und Ängste. Ich schmunzelte leicht und sah in den Rückspiegel meines Transporters, als ich um die Kurve fuhr und in Charlies Einfahrt das Auto zum Stillstehen brachte. Fynn parkte direkt hinter mir und ich konnte sein schönes Gesicht lächeln sehen, als er seinen Wagen verlies und mit schnellen, kräftigen Schritten auf mich zu kam. Seine Augen waren fest auf mich fixiert, so, wie fast immer. Er öffnete meine Tür und half mir heraus. Seine, mit einem schwarzen Lederhandschuh bedeckte Hand griff nach meiner und wieder spürte ich die körperliche Kälte, die von ihm ausging. Vermutlich war sein Körper nur die warmen Temperaturen Ägyptens gewohnt und hier fror er sich fast zu Tode. Ich hatte Mitleid mit ihm. Zusammen betraten wir das Haus, die Eingangstür quietschte leise und ich schrieb mir im Innern eine Erinnerung, es Charlie zu sagen, damit er sie ölen konnte. Fynn zog seinen Mantel aus, ich meinen übergroßen Parka. Unsere Unterschiede waren erdrückend und wieder einmal fragte ich mich, wieso er sich eigentlich mit mir abgab. Aber vielleicht suchte er einfach nur Kontakt zu Mitmenschen, vielleicht hatte er auch niemanden, vielleicht vermisste er seine Heimat, vielleicht gab ich ihm ebenso Trost und Unterstützung wie er mir. Vielleicht taten wir uns beiden einfach gut. Er sah zu mir, als er seine Handschuhe auf die alte, hölzerne Kommode im Flur legte. Ich lächelte ihn an. „Willst du was trinken? Was Warmes vielleicht? Tee? Kaffee?“, fragte ich, aber wie immer schüttelte er den Kopf. „Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Isabella, aber ich lehne dankend ab. Ich habe keinen Durst und die Wärme der Heizung genügt mir vollkommen.“ Ich nickte. „Okay….dann setz dich doch ins Wohnzimmer…Ich hole mir eben ein Glas Wasser aus der Küche…“ Als ich mir etwas zu trinken geholt hatte und das Wohnzimmer betrat, saß Fynn auf dem alten Sofa. Sein Blick war auf die Fotos gerichtet, die auf dem Kaminsims standen. Fotos von mir, Fotos von Charlie und Billy… „Sie haben sich verändert, Isabella.“ Natürlich hatte ich das. Auf den Bildern war ich ein Kind. Vier, neun und elf Jahre alt. Jetzt war ich siebzehn… „Ja….auf den Bildern bin ich doch noch ein Kind….“, sagte ich ihm, aber er schüttelte erneut den Kopf. „Das ist es nicht, Isabella. Die Fotografien sind wunderschön, Ihre kindliche Unschuld ist entzückend, aber Ihre Augen auf den Bildern, ihre Mimik, ist zauberhaft. Sie sehen glücklich aus, unbefangen und fröhlich. Sie strahlen eine Lebensfreude aus.“ Ich sah auf die Bilder, konnte seine Begeisterung aber kaum teilen. Ich sah nur ein Kind, das an Charlies Hand lachte, ein Mädchen, das eine Nikolausmütze trug und in die Kamera starrte und eine Elfjährige, die in Phönix im Garten stand, lachte. „Wenn ich heute eine Fotografie von Ihnen machen würde, Isabella, wäre mit Sicherheit immer noch das liebreizende Mädchen auf dem Bild, aber ihre Augen würden nicht mehr so funkeln. Ein anderer Ausdruck hat diesen Platz eingenommen. Die Angst, die Besorgnisse, die Lähmung. Sie sind nicht mehr das fröhliche Mädchen, Sie sind eine junge Frau, die sehr große Furcht hat und am liebsten unsichtbar sein würde. Dabei könnten Sie so viel mehr sein, Isabella. So viel mehr….“ Seine Hand berührte kurz die meinige, aber ich war so in Gedanken vertieft, dass ich mich erschrak und sie schnell wegzog. Seine Worte waren ehrlich und ich wusste, dass er Recht hatte. Ich wollte unsichtbar sein, richtig unsichtbar. Für so viele war ich es schon, aber für den, für den ich es am liebsten sein wollte, war ich es nicht. Edward Cullen wusste nur zu gut, dass ich existierte und er machte mir jeden Tag aufs Neue klar, dass ich für ihn und seine Familie definitiv nicht unsichtbar war. Im Gegenteil. Ich war das rote Tuch. Das Mädchen, das zu viel wusste, zu viel gesehen hatte. „Denken Sie nicht so viel über ihn nach. Es tut Ihnen nicht gut“, unterbrach Fynn meine Gedanken und ich lächelte gequält. „Wenn das so einfach wäre….“, murmelte ich. Ich wünschte mir doch fast nichts sehnlicher, als nicht jede freie Minute an Edward zu denken. „Er ist nur jemand, der viel zu viel von sich hält“, meinte Fynn und zum ersten Mal war sein Tonfall hart, passte nicht zu seinem Wesen, zu dem Fynn, den ich kannte. Mir fiel die Szene ein, in der Fynn und die Cullens aufeinander getroffen waren und Edwards eisige Stimme die den Namen Phinnaeus gezischt hatte. „Kennt ihr euch?“ Mein Herz klopfte schnell und wild gegen meine Brust. Ich hatte Angst vor der Antwort. Unglaublich große Angst. „Nein. Ich kenne Edward Cullen nicht. Wir sind einander fremd, Isabella. Ich verstehe, was in Ihrem Kopf vor sich geht, woran Sie sich erinnern, aber ich sprach auf dem Schulhof die Wahrheit. Ich habe keinerlei Ahnung, wovon er gesprochen hat, worauf er hinauswollte und das Einzige, was ich von Edward Cullen will, ist, dass er Sie in Ruhe lässt….“ Ich hörte, wie seine Stimme immer sanfter wurde. „…dass er Sie wieder leben lässt…dass das Mädchen auf den Fotografien zurückkehrt.“ Ich schwieg und wusste nicht, was ich sagen sollte. Wieder einmal. „Ich möchte Ihnen etwas schenken, Isabella“, hörte ich Fynn auf einmal sagen und seine Worte ließen mich aufsehen, ihn ansehen. „Was schenken? “, fragte ich und sah irritiert in sein hübsches Gesicht. Seine Augen funkelten mich an, sein Ausdruck war entschlossen, dennoch liebevoll und sehr wohltuend. „Sie lehnen mein Geschenk ab, Isabella?“, fragte er und neigte sich leicht zu mir, kam mir näher. Er musste meine Ablehnung bereits in der Tonlage meiner Stimme gehört haben. „Uhm..ja…es ist unnötig. Ich will nicht, dass jemand für mich Geld ausgibt“, murmelte ich, seine Augen hielten mich gefangen und strahlten eine unglaubliche Stärke, aber auch Wärme aus. Ich lächelte leicht. „Ich habe keinerlei Geld dafür verschwendet, es ist ein Erbstück und ich möchte, dass Sie es bekommen. Es wird Ihnen helfen“, wisperte er, seine Stimme dabei dennoch ungewöhnlich klar. Er hob leicht seine Hand, brachte sie auf meine Augenhöhe und öffnete sie. In seiner bleichen Handfläche lag eine goldfarbene Kette mit einem etwas größeren Anhänger, dessen Form mir irgendwie bekannt vorkam. Ich konnte sie aber nicht direkt einordnen. Irgendetwas Medizinisches. Der Anhänger war, so wie die Kette selbst, auch golden. Es war ein länglicher, etwa drei Zentimeter breiter Stab. Oben, an der Spitze des Stabes saß ein tiefroter Kristall, vielleicht ein Rubin. Ich kannte mich damit nicht wirklich aus, aber ich hoffte, dass er, wie alles andere an dieser Kette eigentlich auch, nicht echt war. Unter dem Kristall waren zwei Flügel angebracht und darunter verflochten sich zwei Schlangen kunstvoll um den Stab. Sie hatten die Köpfe einander zugewandt und waren unglaublich detailliert ausgearbeitet. Meine Augen krümmten sich leicht, versuchten, noch mehr der sehr feinen und großartigen Verzierungen zu erkennen, aber ich hatte das Gefühl, dass ich nur die Hälfte der großartigen Arbeit wirklich wahrnahm. Zu stümperhaft war mein Blick, viel zu laienhaft, zu dilettantisch. Still folgte ich Fynns Zeigefinger, der langsam den Anhänger hoch fuhr. „Es ist ein Caduceus, ein Gefährte, der Ihnen Schutz gewähren wird“, sagte er sanft, seine Augen auf mein Gesicht gerichtet, als er fortfuhr. „Es ist ein altes, ägyptisches Amulett. Es dient dazu, unser Wohlbefinden zu fördern und unsere eigenen, heilenden Kräfte zu unterstützen. Ich habe gesehen und natürlich auch von Ihnen gehört, wie unwohl Sie sich ganz besonders in der Schule fühlen. Ich weiß, dass dieses Amulett kein Ersatz für mich ist, wenn Sie sich verlassen und unruhig fühlen, aber es soll Sie daran erinnern, dass Sie nie allein sind, dass ich an Sie denke. Es wird Ihnen die nötige Kraft und den Mut geben, Edward Cullen und seine Familie zumindest zu ignorieren.“ Er hob seine Hand leicht und nahm die Kette mit der anderen, lächelte mich an. „Darf ich sie Ihnen umlegen, Isabella?“ Unsicher sah ich ihn an, zuckte mit den Schultern und wusste gar nicht genau, was ich sagen oder tun sollte. Die Kette war wunderschön und selbst mit meinem laienhaften Blick konnte ich erkennen, dass sie ein Meisterstück und somit sicher auch sehr wertvoll war. Ich wusste nicht, warum Fynn mir ein solches Geschenk machen wollte. Wir kannten uns nicht sonderlich lange und obwohl er mittlerweile für mich eine wichtige Bezugsperson geworden war, so konnte das unmöglich auf Gegenseitigkeit beruhen und ein so wertvolles Geschenk erklären. „Fynn….die Kette ist wirklich toll und auch die Geschichte des Amuletts ist wirklich schön und es freut mich, dass du mir ein Geschenk mit diesem Hintergedanken machen willst, aber ich kann das wirklich nicht annehmen“, erklärte ich ihm, woraufhin er leise seufzte. „Ich möchte sie Ihnen aber schenken, ich möchte, dass sie Ihnen gehört und Ihnen hilft. Bitte, nehmen Sie mein Präsent an, ich habe niemanden, dem ich sie sonst schenken könnte. Sie passt wunderbar zu Ihnen. Ja, sie ist wertvoll, aber wie ich bereits sagte…es ist ein altes Erbstück, ich habe kein Geld ausgegeben, Isabella“, antwortete er mir und versuchte mich zu überzeugen. Er lächelte, seine Augen verbanden sich mit meinen und ich spürte, wie mein Entgegensetzen langsam schwand. „Aber…“, begann ich leise, „dass es ein Erbstück ist, macht die Kette noch wertvoller. Sie war lange im Besitz deiner Familie und jetzt willst du sie einfach mir schenken? Einem Mädchen, dass du kaum kennst?“ Fynns Lippen waren immer noch zu einem Lächeln verzogen, er rutschte näher zu mir, seine Arme glitten nach vorne und ich spürte kalte Hände, die sachte meine Haare beiseiteschoben. Ich erschauerte leicht. „Ich kenne Sie, Isabella. Sie sind eine so faszinierende Frau. Bitte verwehren Sie mir diese Geste der Zuneigung nicht.“ Seine Finger tanzten leicht auf meiner Haut und nach einem kurzen Augenblick spürte ich das kühle Gold der Kette an meinem Hals. „Perfekt…“, hörte ich Fynn flüstern und errötete leicht. „Ich-ich weiß wirklich nicht, Fynn…Du solltest sie jemand Besonderem schenken“, murmelte ich noch einmal. „Sie sind für mich etwas Besonderes, Isabella“, widersprach er mir mit sanfter Stimme und sah wieder zu mir, nahm mich mit seinen warmen, funkelnden Augen gefangen. „Aber…du kennst mich kaum. Du siezt mich die ganze Zeit...und dann machst du mir so ein Geschenk“, protestierte ich schwach, meine Hände umfassten den verzierten Anhänger, als Fynn den Verschluss der Kette schloss und ich das Gewicht an meinem Dekolleté spürte. „Würden Sie mein Geschenk annehmen, wenn ich Sie mit dem Du ansprechen würde, Isabella?“ Ich zuckte still mit den Schultern und sah zu Boden, betrachtete meine dreckigen Schuhe. So, wie er es sagte, klang es auch nicht richtig. „Sieh mich an, Isabella“, flüsterte Fynn und mein Blick hob sich, traf auf seine Augen. „Der Anhänger ist wie geschaffen für dich, geradezu wie für dich angefertigt. Er wird dich beeinflussen, sodass du keine Angst mehr vor Edward Cullen haben musst. Bitte Isabella…weise mein Geschenk nicht ab. Es würde mir viel bedeuten, wenn du es trägst und ich sehe, dass es seinen Sinn erfüllt, am Hals einer wunderschönen Frau getragen zu werden.“ Seine Finger berührten leicht den golden Anhänger, glitten über die verschlungenen Schlangen. „Viele tragen es in Ägypten…oder haben es getragen. Sie fühlen sich geschützt, gestärkt und die Legenden, die den Caduceus umranken, erzählen, dass der Körper und der Geist des Menschen unter Einfluss dieses Schutzmedaillons alles bewältigen können. Er soll dir die Lebensfreude zurückgeben, dir die Angst nehmen…und dich ein bisschen an mich erinnern.“ Die Kette zu tragen, war ein komisches Gefühl. Sie war nicht gerade unauffällig und als Jessica mich zwei Tage, nachdem Fynn sie mir geschenkt hatte, während Mathe fragte, woher ich ein solch teures Schmuckstück hätte und warum ich es tragen würde, wusste ich, dass die Kette zu viel Aufmerksamkeit auf mich lenkte. Kurz vorher war Alice Cullen an mir vorbeigegangen und ich hatte das Amulett fest an meine Brust gedrückt, versuchte mir Fynns Worte wieder ins Gedächtnis zu rufen. Ich musste keine Angst vor den Cullens haben, Fynn war bei mir, er würde mich schützen. Ich war nicht allein. Meine Zuversicht und mein Mut waren allerdings ziemlich schnell wieder gesunken und verschwunden, als die kleine Frau plötzlich gestoppt und sich zu mir umgedreht hatte. Ihre goldbraunen Augen waren auf meine Faust gerichtet gewesen, die das Amulett auf meiner Brust fest umschlossen hatte. Das kühle Gold schnitt mir in die Haut, aber ich spürte es kaum. Die Angst vor Alice Cullen war viel zu groß. Erst als sie sich wieder umgedreht hatte – Augen irritiert und wütend zusammengekniffen – und um die Ecke gebogen war, hatte sich meine Hand gelockert und den roten Abdruck des Anhängers offenbart. Es hatte wehgetan. Seit dem Vorfall mit Alice und kurz darauf mit Jessica waren drei Tage vergangen und auch genau seit dieser Zeit trug ich das Amulett unter meiner Kleidung. So zog es keine Aufmerksamkeit auf sich, so stellte niemand Fragen. Und auch Charlie sah es so nicht, der mir gegenüber gerade am Küchentisch Platz genommen hatte, geruhsam seinen Kaffee schlürfte. Er sah kurz auf. „Morgen, Isabella.“ „Morgen“, murmelte ich, aß weiter meine Cornflakes, obwohl ich kaum Hunger hatte. Ich fühlte mich seit zwei oder drei Tagen nicht sonderlich gut, ich vermutete, dass mich die Grippe erwischt hatte, bei dem Wetter in Forks aber auch kein Wunder… „Siehst blass aus“, warf Charlie über seinen Kaffee ein. „Bist du krank?“ „Ein bisschen erkältet vielleicht…“, antwortete ich. „Nichts Ernstes…“ Er nuschelte irgendetwas Unverständliches und ich stand auf und schulterte meinen Rucksack. „Ich fahr dann los, bis heute Abend“, verabschiedete ich mich von ihm und machte mich auf den Weg zur Schule. Der Regen prasselte gegen die Autoscheiben und das monotone Geräusch der aufprallenden Tropfen auf das Dach des Transporters machte mich schläfrig. Ein kalter Schauer durchrann meinen Körper, ich drehte die alte Heizung im Wagen auf, hoffte, dass sie mich wenigstens ein bisschen wärmte. Vielleicht hätte ich lieber zuhause bleiben sollen, dachte ich, als ich auf dem Schulhof parkte und das Auto verließ. Die letzten Tage hatte ich mich immer schummerig gefühlt, aber heute war es besonders schlimm. Das Schulgebäude verschwamm leicht und ich musste meine Augen ein paar Mal zusammenpressen, bis ich es wieder klar sah. Ich seufzte leise und überlegte kurz, ob ich wieder nach Hause fuhr, entschied mich aber dagegen. Ich war gerade hier, es wäre Verschwendung, wieder zurück zu fahren und vermutlich saß Charlie noch am Küchentisch. Ich wollte ihm keine unnötigen Sorgen bescheren oder mit Fragen bombardiert werden, auf die ich eh keine Antwort hatte. Ich würde diesen Tag schon überstehen, ich musste schließlich einfach nur auf meinem Platz sitzen und den Lehrern zuhören. Meine Hand umschloss kurz Fynns Amulett und ich lächelte leicht. Ja, ich würde den Tag schon überstehen. Ich nahm meinen Rucksack vom Beifahrersitz und schloss die Tür mit einem lauten, knarrendem Geräusch, das mich leicht das Gesicht verziehen ließ und als ich mich umdrehte, um in die Schule zu gehen, fuhr gerade das allzu bekannte, silberne Auto auf den Schulhof, das ich so sehr fürchtete. Ich spürte, wie mein Herz schneller gegen meinen Brustkorb schlug, eine mittlerweile ebenso allzu bekannte Reaktion, wenn ich jemanden aus dem Cullen-Clan sah. Ich atmete schnell durch und beeilte mich ins Schulgebäude zu kommen, bevor sie das Auto verließen. Ich lächelte, als ich die sicheren Wände des Biologieraumes betrat, ohne ihnen begegnet zu sein. Still nahm ich an einem der vielen weißen Tische Platz und lehnte mich leicht im Stuhl zurück. Der Regen hatte immer noch nicht aufgehört, im Gegenteil. Er schlug so fest gegen die Fenster, dass ich kaum erkennen konnte, was sich dahinter verbarg. Ich wusste, dass ich eigentlich auf den Schulhof sah, aber der Regen verbarg mir die Sicht aus dem Fenster. Während ich dasaß und die Regentropfen beobachtete, füllte sich der Klassenraum, ich hörte Mike über das Wetter fluchen und wünschte, er würde leiser sprechen, wünschte, alle würden leise sein, denn das laute Murmeln bereitete mir Kopfschmerzen, ich stöhnte leise. Ich war froh, als Mr. Banner kurze Zeit später seinen Unterrichtsraum betrat, es wurde augenblicklich ruhiger. Er begrüßte uns und wies uns an, eine bestimmte Seite im Biologiebuch zu lesen. Ich holte es aus meiner Tasche, es fühlte sich schwerer an als sonst und ich wusste, dass das nur so war, weil mein Körper geschwächt war, weil die Grippe mich auslaugte. Morgen würde ich zuhause bleiben. Im Bett. Den ganzen Tag. Ich schlug die von Mr. Banner angesagte Seite auf und verzog leicht das Gesicht. Humanpathogene Viren und ausgelöste Erkrankungen. Wie passend… Ich begann zu lesen und versuchte, das Wichtigste herauszufiltern, aber schon nach wenigen Zeilen verschwammen die Wörter, tanzten die Buchstaben. Ich stöhnte leise und legte meinem Kopf auf den kalten Tisch. Es war angenehm, obwohl mein Körper vor Kälte bereits zitterte. Trotzdem hatte ich das Gefühl zu brennen. Ich wollte nach Hause, unter eine kalte Dusche oder am besten noch, in eine mit kaltem Wasser gefüllte Wanne. Meine Theorie einer Grippeerkrankung löste sich damit auf. Ich war kein Ass in Biologie, aber selbst ich wusste, dass man fror, wenn die Grippe einen erwischte. Man wollte es so warm wie möglich haben und auf keinen Fall sehnte man sich ein Eisbad her… Aber was wusste ich schon…Ein Ass in Biologie war ich sicher nicht. „Miss Swan?“ Ich hob leicht meinen Blick, versuchte mich aufzurichten, als ich Mr. Banner erkannte, der vor meinem Tisch stand. „Geht es Ihnen nicht gut? Vielleicht gehen sie besser zur Schulkrankenschwester.“ Ich nickte leicht und stand auf, meine Knie zitterten leicht, aber ich versuchte, mir das nicht anmerken zu lassen. Ich wollte stark sein. „Mr. Newton, begleiten Sie Miss Swan“, hörte ich Mr. Banner sagen, aber ich schüttelte schnell den Kopf. Ich wollte allein sein. „Nein, das ist nicht nötig. Ich finde den Weg allein. Er muss wegen mir keinen Unterrichtsstoff verpassen. Ehrlich“, murmelte ich und zwang mich zu einem Lächeln, bevor Mr. Banner nickte und ich das Klassenzimmer verließ. Die weißen, kahlen Wände im Schulflur wirkten unglaublich einladend. Müde lehnte ich mich an die kalte Mauer und schloss meine Augen… Kapitel 7: Kifāya ----------------- Hey! endlich mal wieder ein schnelleres update =) wir arbeiten daran, wie man sieht. ich hoffe so sehr, dass euch das neue chap gefallen wird. ganz liebe grüße dubdug Kifāya Draußen dämmerte es bereits und in meinem Zimmer bildeten sich immer dunkler werdende Schatten. In letzter Zeit hatte bereits mein eigener ausgereicht, um mich zu erschrecken, und auch diese seltsamen Gebilde an den Wänden machten mir Angst. Die Reflektion des Regens, der gegen das Fenster peitschte, untermalte das ganze Szenario mit einem gespenstischen Muster, erweckte die Schatten auf eine unheimliche Weise zum Leben. Von meinem Bett aus beobachtete ich das Spiel; fürchtete mich davor, was in der Finsternis alles verborgen liegen könnte, und doch war ich nicht in der Lage dazu, dem ein Ende zu bereiten, in dem ich aufstehen und das Licht anmachen würde. Dafür war ich viel zu müde, viel zu schläfrig, allein der Gedanke daran erschöpfte mich. Gleich nachdem ich von der Schule heimgekommen war, hatte ich mich in mein Bett gelegt und war seither nicht mehr aufgestanden. Doch der Schlaf war nicht erholsam gewesen, im Gegenteil, ich fühlte mich matter denn je. Selbst meine Gedanken waren träge, hingen wie Blei in meinem Kopf. Vollkommen normale Anzeichen für eine Grippe, versuchte ich mir einzureden, und dennoch war es irgendwie … anders. Wie genau sich dieses anders verhielt, konnte ich nicht beschreiben. Es war eher ein Gefühl, eine Art Intuition – nichts Greifbares, woran ich das ausmachte. Und doch war die Empfindung so intensiv, dass in mir eine gar schauderhafte Vermutung aufkam. Sie war so schrecklich, dass sie eine Gänsehaut auf meinem Körper auslöste, mir das Atmen erschwerte und Tränen in meine Augen trieb. Nein, widerholte ich gedanklich immer wieder und verbannte die Vorahnung aus meinem Kopf. Ich hatte nur eine Grippe. Nichts weiter. Die letzten Wochen hatten mich psychisch einfach zu labil gestimmt - nur das war der Grund, warum meine Gedanken überhaupt in so eine absurde Richtung sprühten. Ich hatte eine ganz gewöhnliche Grippe, alles andere waren Hirngespinste. Wenn es mir auch nicht gelang, mich wirklich selbst zu überzeugen, so schaffte ich es wenigstens, meine Aufmerksamkeit wieder auf die Schatten zu lenken. Ich lag nicht lange da, als mein Zimmer plötzlich kurzeitig von Scheinwerferlicht erhellt wurde und wenig später eine zuschlagende Autotür zu hören war. Mein Körper versteifte sich, wie jedes Mal, wenn ich ein Geräusch nicht einhundert Prozent einem bestimmten Verursacher zuordnen konnte. Doch meine Panik schwand dem Schrecken, als ich einen Blick auf meine Nachttischuhr warf. Charlie! Das Schwindelgefühl, das mich prompt überkam und das Bedürfnis, mich sofort wieder hinzulegen, ignorierend, stolperte ich aus meinem Bett. Mein Kopf schwirrte regelrecht, als ich die Treppen nach unten stieg, um Charlie zu empfangen, weswegen ich mir Halt am Geländer suchen musste. Als ich das Erdgeschoss erreichte, stand er bereits Tropfnass im Eingangsflur und entledigte sich seiner triefenden Jacke. „Mistwetter“, motze er murmelnd vor sich hin. „Charlie! Tut mir leid, ich habe den ganzen Tag verschlafen und völlig vergessen, dir was zu essen zu machen, und der Haushalt ist auch liegen geblieben … Ich-“ „Na, dann werde ich dir jetzt wohl den Kopf abreißen müssen“, unterbrach mich Charlie, zugleich er sich seine schweren Stiefel von den Füßen zog. Ich war irritiert. Charlie hingegen seufzte und kämpfte weiterhin mit seinen Schuhen. „Beruhig dich, Isabella. Ich habe dir schon mal gesagt, dass du nicht mein Hausmädchen bist. Ich werde es überleben, wenn ich einmal kalt essen muss.“ Es war nicht das erste Mal, dass er so etwas sagte. Trotzdem fühlte ich mich nach wie vor dafür verantwortlich meinen Beitrag zu leisten, wenn er schon sein Haus mit mir teilte. Ohne etwas zu erwidern, lief ich in die Küche und spürte, wie mein kurzer Adrenalinschub langsam abebbte und mich die Kraftlosigkeit wieder einholte. Ich werkelte umher, wollte Charlie zumindest den Tisch decken, wenn ich ihm schon nichts Gekochtes anbieten konnte. Teller und Besteck schaffte ich noch halbwegs anzurichten, doch als ich ein Stück Gurke in Scheiben zu schneiden versuchte, musste ich immer wieder abrechen. Es war total lächerlich, aber ich konnte mich nicht darauf konzentrieren. Die Gurke und das Messer verschwammen ständig vor meinen Augen, sodass ich nicht mehr wusste, was ich tat und das Messer absetzen musste. „Was macht deine Grippe?“, hörte ich Charlie hinter mir sagen und zuckte ein bisschen zusammen. Ich drehte mich zu ihm um; er stand im Türrahmen und musterte mich. „Geht so“, log ich leise. „Du siehst aber nicht nach ‚geht so‘ aus, Mädchen. Du bist noch blasser als heute Morgen.“ Um eine Antwort verlegen zuckte ich mit meinen Schultern und sah zurück auf das Schneidebrettchen, woraufhin erneut diese unbehagliche Stille zwischen uns einkehrte, die schon seit meinem Umzug nach Forks wie ein Fluch auf uns lastete. „Ich mach das schon, leg dich lieber ins Bett“, meinte er schließlich nach einer Weile. Ihm fiel es schwer, Sorge zu zeigen, und doch spürte ich sie in diesem Moment ganz deutlich. Zu gerne hätte ich widersprochen, doch mir erschien es selbst nahezu unmöglich, noch länger als eine Minute auf den Beinen zu bleiben. „Okay Charlie, dann lege ich mich gleich schlafen“, sagte ich gedämpft und nickte ihm zu, ehe ich mich die Stufen nach oben quälte. Jeder Schritt tat weh und nur widerwillig bog ich ins Bad, um mir kurz meine Zähne zu putzen und mein Schlafoutfit anzuziehen. Ich hielt es nicht lange in diesem Raum aus, viel zu grell erschien mir das Licht, das meine Augen blendete. Als ich in meinem Zimmer ankam, vergewisserte ich mich, ob mein Fenster auch richtig verschlossen war und legte mich danach ohne Umwege ins Bett. Auch wenn es mir schwer fiel, nahm ich Fynns Geschenk von meinem Hals. Es war viel zu wertvoll, um es beim Schlafen anzubehalten – schlimm genug, dass ich es vorhin vergessen hatte. Das helle Gold glitzerte sogar im Dunkeln und ich betrachtete es eine Weile, ehe ich es in greifbare Nähe auf mein Nachtschränkchen legte. Fynn … Es war seit einer Woche der erste Tag, an dem ich ihn nicht gesehen hatte. Ob er sich Sorgen machte, weil er mich nach der Schule nicht angetroffen hatte? War er überhaupt dort gewesen? Eigentlich hätte ich ihn gerne angerufen, aber ich kam mir ohnehin schon wie ein nerviges Anhängsel vor und wollte ihn nicht noch mehr auf den Geist gehen. Aber er fehlte mir, gerade jetzt. Er war mein einziger Anlaufpunkt, nur bei ihm fühlte ich mich einigermaßen sicher. Fynn war wie ein Geschenk des Himmels, anders konnte ich es nicht beschreiben. Er gab mir so viel, und vermutlich war er sich darüber nicht einmal bewusst. Fynn wurde mehr und mehr zu so etwas wie einem Freund, mein einziger Freund, und auch wenn ich bis dahin nie andere gehabt und somit keinerlei Erfahrung hatte, so genügte nur ein Blick in seine Augen und ich wusste, ihm absolut vertrauen zu können. Tief kuschelte ich mich in meine Bettdecke; ich fror, während mir gleichzeitig auf eine seltsame Art zu warm war. Als ich bereits kurz vorm Einschlafen war, öffnete sich meine Tür und in dem hereinscheinenden Ganglicht ließ sich die Silhouette meines Vaters erkennen. „Soll ich dir noch was bringen, Isabella?“ „Nein, Danke“, entgegnete ich überrascht. „Aber sehr nett, dass du fragst“, fügte ich noch hinzu, bevor uns die Stille wieder erdrücken konnte. „Hm“, machte er, dachte einen Moment nach. „Eigentlich wollte ich dich fragen, ob ich meinen Angelausflug vielleicht nicht doch lieber verschieben sollte.“ „Oh! – Nein, nein. Das brauchst du nicht!“, lamentierte ich sofort erschrocken, wusste ich doch, wie sehr er dem verlängerten Wochenende schon seit Tagen entgegenfieberte. „Ich bin mir nicht sicher, ob ich dich wirklich alleine lassen kann.“ „Ich habe doch nur eine Grippe, daran stirbt man heutzutage nicht mehr“, sagte ich und hatte bei dem zweiten Part Schlucken müssen. „Nun ja, wenn man zum Arzt ginge, bevor man daran sterben würde, nicht“, antwortete er mit einem Seufzen. „aber so wie ich dich kenne, wird man dich dort erst hin prügeln müssen.“ Ehrlich gesagt hatte ich Angst vor der Vorstellung, in diesem Haus ganz alleine zu sein, aber die Gewissheit, Charlie weit weg und somit wenigstens ein paar Tage in Sicherheit zu wissen, überwog alles andere. „Noch ist es ja nicht nötig“, versuchte ich ihn zu beruhigen, „aber falls es dir hilft, dann kann ich dir versprechen, hinzugehen, falls es schlimmer werden sollte.“ Das war gelogen, und schlecht noch dazu. Niemals würde ich zu Dr. Cullen gehen, egal wie miserabel ich mich fühlen sollte. Ich konnte nur hoffen, dass mein Dad diese Lüge nicht bemerkt hatte. „Ich weiß nicht …“, rang er mit sich. „Ich habe irgendwie kein gutes Gefühl, wenn ich dich alleine lasse.“ „Ich bin siebzehn, Charlie. Ich habe schon weitaus-“ schlimmere Dinge in meinem Leben durchgemacht, wollte ich eigentlich sagen, was ich mir tunlichst verkniff und stattdessen den Satz anders weiter stammelte. „… schlimmere Erkältungen überstanden. Du könntest eh nichts für mich tun, ich schaffe das schon.“ „Bist du sicher?“, vergewisserte er sich, war deutlich unschlüssig. „Ich werde vor Dienstagabend nicht zurück sein, das sind vier Tage. Außerdem zelte ich, was heißt, dass ich telefonisch nicht zu erreichen sein werde.“ „Ja, ich bin mir sicher. Mach dir keinen Kopf, ich bin es gewohnt, alleine zurechtzukommen.“ Da war es wieder, das bedrückende Schweigen. Der Grund, warum wir uns ähnlich waren, stand im Raum. Wir waren beide allein. Wir hatten niemals darüber gesprochen, und doch wussten wir es. Nur weil es Fynn jetzt in meinem Leben gab, hatte sich daran nicht viel geändert. Die meiste Zeit des Tages war ich weiterhin einsam - und auch das Gefühl der Leere in meinem Kopf blieb beständig. Er und ich kannten uns kaum, gerade mal ein paar wenige Tage, und ob unsere Freundschaft wirklich Bestand haben konnte, würde sich erst noch zeigen. Ich traute mich nicht, mich daran zu klammern. Charlie sah auf den Boden. „Okay. Aber bitte geh‘ tatsächlich zum Arzt, wenn es dir schlechter geht.“ Ich bemühte mich, so überzeugend zu klingen wie es ging. „Werde ich tun. Mach dir keine Sorgen, das ist wirklich nicht nötig. Genieß deinen Angelausflug, ich wünsche dir ganz viel Spaß.“ Es dauerte einen Moment, ehe er antworte. „Gut“, seufzte er, schien aber trotzdem noch in einem Zwiespalt zu stecken. „Dann wünsche ich dir eine gute Besserung.“ „Danke.“ „Schlaf gut. Bis Dienstag.“ „Du auch. Bis Dienstag.“ Er nickte, ließ seinen Blick noch eine Weile stumm auf mir ruhen, machte letztendlich kehrt und ging. Ich war zu erschöpft, um darüber nachzudenken; das Gespräch und der Versuch, mir meinen eigentlichen Zustand beim Reden nicht anmerken zu lassen, hatten mich endgültig ausgelaugt. Ich warf noch einen letzten Blick auf meine Kette, hoffte, sie würde mir die Nacht über Sicherheit spenden, ehe ich meine Augen schloss und der ersehnten Dunkelheit unter meinen Lidern entgegentrat. ~~~~ Der nächste Tag brachte ein kleines Wunder mit sich, denn mir ging es besser. Nicht gut – aber bei weitem nicht mehr so schlecht wie am Vortag. Das Gefühl der Erleichterung war so intensiv, dass ich es nur mit den Momenten vergleichen konnte, in denen ich eine Begegnung mit Edward Cullen lebend überstanden hatte. Meine Vermutungen waren irrsinnig gewesen, es war nur eine Grippe, die ganz dem Anschein nach bereits am Abklingen war. Ich lauschte der Ruhe im Haus und brauchte trotzdem noch einige Minuten, bevor ich mich wegen meines körperlichen Zustands aus dem Bett quälen konnte. Doch immerhin konnte ich überhaupt aufstehen, etwas, was mir noch gestern stundenlang unmöglich erschienen war. Gleich das erste Bedürfnis, das mich überkam, war eine Dusche. Längere Zeit im Bett zu liegen, vor allem, wenn man krank war, hatte meistens den Nebeneffekt, dass man sich unreinlich vorkam. Meine Beine fühlten sich immer noch sehr schwach an, als sie mich ins Bad trugen, doch der Euphorie über meine offenbare Genesung konnte das nichts anhaben. Ich verriegelte die Tür hinter mir – sicher war sicher. Und damit meinte ich nicht eine unerwartete Wiederkehr von Charlie. Das Wasser tat so unendlich gut auf meiner Haut, gab mir ein bisschen von meiner Lebendigkeit zurück. Und je länger ich unter dem Strahl stand, so erschien es mir, desto besser wurde mein Zustand. Selbst der dämmrige Nebel in meinem Kopf schien sich ein bisschen zu lichten, sodass meine Gedanken zumindest teilweise klarer wurden. Ja, ich war eindeutig auf dem Weg der Besserung. So erholsam diese Dusche auch war, so schlauchend war sie auch für meinen ohnehin erschöpften Körper im Nachhinein. Am liebsten hätte ich mich wieder ins Bett gelegt, doch der Haushalt, den ich sowieso schon in den letzten Tagen vernachlässigt hatte, wartete auf mich. Also zwang ich mich in meine Klamotten und wollte schon die Stufen nach unten in den Wohnraum gehen, als mir plötzlich auffiel, etwas Entscheidendes vergessen zu haben. Ich war normalerweise kein abergläubischer Mensch, doch jetzt, als meine Hand gerade nach dem Amulett greifen wollte und nichts anderes als meine Haut tastete, fühlte ich mich auf einmal ungeheuer schutzlos. Es war albern, sich an ein Schmuckstück zu klammern und sich Sicherheit einzureden, die angeblich davon ausging. Noch dazu, wenn es vor so jemanden wie Edward Cullen schützen sollte, der von nichts in der Welt abgeschirmt werden konnte. Aber die Kette war das Einzige, was ich hatte. Deswegen lief ich zurück in mein Zimmer, fand sie genauso vor, wie ich sie am Vorabend zurückgelassen hatte und legte sie mir vorsichtig um, ehe ich nach unten in die Küche ging und mich an den kleinen Berg Abwasch machte. Wenn das Amulett schon höchstwahrscheinlich nicht meinem Körper helfen könnte, so half es wenigstens meiner Psyche. Außerdem war es ein wunderschönes und bedeutungsvolles Geschenk von Fynn, und Geschenke musste man in Ehren halten. Nach etwa einer dreiviertel Stunde war der Abwasch erledigt und ich spürte deutlich, wie mich die Arbeit ausgelaugt hatte und mir zusätzlich schrecklich warm geworden war. Körperliche Tätigkeiten waren so anstrengend, wenn man nicht vollkommen Fit war. Aber heute war Samstag und ich hatte mir vorgenommen, zumindest den gröbsten Teil hinter mich zu bringen, damit ich den Rest der Zeit zum Lernen nutzen konnte. Meine körperlichen Signale ignorierend begab ich mich in die kleine Waschküche, versuchte die Wäsche zu sortieren, was mir, je mehr Zeit verging, immer schwerer fiel. Ich bemerkte, wie der Dämmerzustand in meinem Kopf abermals mehr und mehr überhandnahm und meine Konzentration stark beeinträchtigte. So etwas Belangloses wie Wäschesortieren schien auf einmal ein unüberwindbares Hindernis zu sein und die kleinegedruckte Schrift auf den Etiketten nahezu unmöglich zu entziffern. Was war nur mit mir los, verdammt? Ich wurde ärgerlich, verlor die Geduld mit mir selbst und war einige Male kurz davor gewesen, die Wäsche einfach unsortiert in die Maschine zu werfen. Vielleicht hätte ich das auch getan, wäre ich nicht gleichzeitig so schlaff gewesen. Ich war so antriebslos, dass jede Bewegung wie eine Qual erschien, trotzdem kämpfte ich mit mir, bis ich die Wäsche tatsächlich nach einer geschlagenen Stunde in der Waschmaschine hatte. Alle Krankheitsanzeichen, die sich heute Morgen verbessert hatten, verschlimmerten sich wieder. Den Verdacht, einen Rückfall zu erleiden, schob ich mit aller Gewalt aus meinen Kopf und redete mir stattdessen ein, mich einfach nur überanstrengt zu haben. Es wartete noch so viel Arbeit auf mich, aber ich hatte das Gefühl, früher oder später umzukippen, wenn ich mich jetzt nicht hinsetzte. Eine kleine Pause - danach würde es mir sicher besser gehen, sprach ich mir zu und schleppte mich ins Wohnzimmer. Ich setzte mich aufs Sofa und wickelte die Decke, die dort lag, um mich, weil ich erneut zu frieren begann. Doch kaum hatte ich mich darin eingekuschelt, wurde mir warm und ich musste sie weglegen. Es war kein Schwitzen, viel mehr war meine Haut brottrocken, während sie gleichzeitig glühte. Vielleicht hatte ich Fieber? Wenn ich jetzt nur wüsste, wo Charlie in diesem gottverdammten Haus ein Thermometer hatte - wenn er denn überhaupt eins besaß. Doch nach einem zu suchen bedeute aufzustehen und nach oben zu gehen, was mir nahezu wie die Besteigung des Mount Everests vorkam. So blieb ich sitzen, legte meinen Kopf auf die Sofalehne und starrte vor mich hin ins Leere. Ich hatte mich nur überanstrengt, nichts weiter, ich hätte einfach vorsichtiger sein müssen, das war alles. Nach einer Weile fiel mein Blick auf das Geschichtsbuch, das auf dem tristen, braunen Wohnzimmertisch lag. Meine ohnehin schon miserablen Zensuren hatten sich nach dem Geschehnis mit Edward Cullen im Wald und seinen nachträglichen Verfolgungen noch weiter verschlechtert. Dieses einzelne, unerklärliche „A“ hatte nicht ausgeglichen, was ich in den Jahren zuvor versäumt hatte. Eine Gänsehaut überkam mich, als ich wieder an das ausgefüllte Stück Papier dachte. Dringend müsste ich einige Kapitel aus dem Buch lesen, wenn ich bei der nächsten Klausur nicht erneut kläglich versagen wollte. Deshalb streckte ich mit aller Kraft meinen Arm aus, um es zu nehmen. Doch kaum hatte ich es aufgeklappt, verschwammen die Buchstaben vor meinen Augen, genau wie bei den Etiketten von den Klamotten und der Gurke gestern Abend. Selbst das Weiß der Seiten erschien mir so hell, dass es mich blendete. Vielleicht wurde ich blind? Ich hätte weinen können vor Angst und vor der Ungewissheit, was mit mir los war. Ich legte das Buch neben mich, verdrängte die böse Vermutung, die wieder unweigerlich in mir aufkam und starrte einfach nur vor mich hin. Mein Mund war trocken und ich hatte unheimlichen Durst, doch ich war nicht in der Lage dazu, dem Abhilfe zu leisten. Und ich wurde müde. Schrecklich müde. Als ich zum nächsten Mal meine Lider öffnete, war es stockdunkel im Raum. Ich wusste im ersten Moment nicht, wo ich war, spürte nur, wie mein Kopf dröhnte und ich meine brennenden Augen kaum offen halten konnte. Mein Hals kratzte, wirkte wie ausgedorrt, als hätte ich zwei Monate nichts mehr getrunken. Und mir war warm, furchtbar warm, während mein Körper wie Blei auf dem Sofa lag. Die Lichter der Elektrogeräte flimmerten vor meinen Augen, bildeten einen nebligen, leuchtenden Schleier. Der Raum um mich schien sich zu drehen, wollte nicht damit aufhören und zog mich immer tiefer in einen Strudel. All die Symptome der seltsamen Erkrankung waren zurück, hatten sich nur noch verschlimmert. Ich war wie ein Wrack, fühlte mich halbtot. Und in diesem Augenblick, in dem ich mich jenseits von Gut und Böse befand, wusste ich, dass mein Verdacht, meine Intuition, die ich als Paranoia eingestuft hatte, von Anfang an richtig gewesen war: Ich würde sterben. Nicht an einer Grippe, nicht an einem seltsamen Virus, sondern an meiner Angst. All die Wochen, all die Stunden der Todesangst hatten mich erschöpft, meinen Körper müde gemacht. Und nun war es vorbei. Mein Körper konnte nicht mehr, war genauso am Ende wie meine Psyche. Hatte aufgegeben, weil es sich für mein erbärmliches Leben ohnehin nicht zu kämpfen lohnte. Ich hatte es seit den ersten Anzeichen innerlich gespürt, nur wollte ich es nicht wahrhaben. Hatte mir einfach gewünscht, dass ich Unrecht hätte, mein Gefühl mich nur täuschte. Aber gewusst hatte ich es immer. Mein Organismus hatte seit Wochen kontinuierlich auf Hochtouren gearbeitet, jede Minute einen weiteren Marathon bestritten und war nie zur Ruhe gekommen. Selbst in meinen Träumen hatte mich Edward Cullen verfolgt, mich keine einzige Minute alleine gelassen und sogar im Schlaf meine Angst noch weiter geschürt. Nun würde es bald vorbei sein. Endgültig. Die Frage war nur, wie lange es noch dauern, wie schmerzhaft es werden würde. Und das seltsame war, dass ich mich auf einmal vor dem Tod, vor dem Sterben nicht mehr fürchtete. Nein. Hatte genau dieser Gedanke noch gestern Abend die pure Verzweiflung in mir ausgelöst, so war es jetzt auf einmal … okay. Ich fühlte mich seltsam friedlich. Sehnte mich sogar nach dieser Erlösung. Wahrscheinlich hatte es schon immer einen Teil in mir gegeben, der nach der endlosen Ruhe begehrt hatte. Nur hatte ich ihn unterdrückt, weil ich mein Leben nicht loslassen konnte. Doch mit einem Mal konnte ich es. Ich ließ los … und plötzlich erschien alles ganz leicht. Ich schloss meine schmerzenden Lider und dämmerte eine Weile vor mich hin, als mich plötzlich das Geräusch eines aufheulenden Motors und ein kurz danach auftretendes und ruckartiges Bremsen zusammenzucken ließ. Meine Gedanken waren viel zu gelähmt, als dass der Verdacht auf die Cullens mich beängstigen konnte, trotzdem waren sie die ersten, an die ich gedacht hatte. Stille kehrte ein. Keine Fußtritte - nichts, obwohl das Auto ganz deutlich vor dem Haus gehalten hatte. Und dann hörte ich plötzlich, wie die Hintertür, die zum Garten führte, geöffnet und wieder geschlossen wurde. Ich hatte sie abgeschlossen, ganz bestimmt hatte ich sie abgeschlossen. Jemand war im Haus. Ich spürte, wie mein Herz all seine Kräfte mobilisierte und panisch gegen meine Brust klopfte. „Isabella?“ Mein Puls setzte aus. Fynn. Noch in der gleichen Sekunde, als ich seine Stimme zuordnen konnte, sah ich auch schon seinen verschwommen Schatten im Wohnzimmer. „Ich … Wie bist du hier … reingekommen?“, stammelte ich erbärmlich, brachte kaum einen Ton heraus und stand immer noch unter Schock. Doch er gab mir keine Antwort, kam stattdessen auf mich zugelaufen und schaltete die kleine und nur spärlich beleuchtende Stehlampe neben dem Sofa ein. Das Licht blendete mich. Fynn musterte mich skeptisch. Ich musste furchtbar aussehen, aber seltsamerweise schien ihn das nicht zu erschrecken. Vielleicht war es ihm auch einfach nur egal, das wusste ich nicht. Irgendetwas beunruhigte mich; er war noch nie so aufgetreten, wie er es heute tat. Ohne ein Wort zu verlieren setzte er sich an meine Seite und zog erst mein linkes und dann mein rechts Lid nach oben, so als wäre er ein Arzt, der meine Pupillen überprüfte. Danach legte er mir ohne Vorwarnung seine Finger auf die Halsschlager und tastete meinen Puls. Seine Haut war kühl, stand im starken Kontrast zu meiner erhitzten Haut. „Hm, ziemlich schwach“, murmelte er, mehr zu sich selbst, als zu mir. Er klang nicht so, als wäre er in Sorge, sondern als hätte er lediglich eine Feststellung getroffen. Er verhielt sich komisch, so kannte ich ihn überhaupt nicht. Außerdem machte er den Eindruck, als würde er unter Zeitdruck stehen, all seine Bewegungen hatten etwas Hektisches an sich. „Hör zu“, sagte er schließlich, „wir müssen hier weg.“ „Aber … weshalb?“, flüsterte ich, konnte nicht verstehen, was vor sich ging. „Deine verehrten Cullen-Freunde gehen mir langsam ziemlich auf die Nerven. Wenn du nicht willst, dass sie jeden Moment hier auftauchen, dann sollten wir schnellst möglich verschwinden.“ In seiner Stimmlage schwang Gereiztheit mit. Die Cullens? Panik überkam mich. Auch wenn ich ohnehin sterben würde, wollte ich keinesfalls, dass es durch die Hand von Edward Cullen geschah. „Aber … woher weißt du das?“, stotterte ich und bekam eine böse Vorahnung. „Haben sie dir etwas getan?“ Ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, warum er das tat, aber er lächelte amüsiert. „Nein. Wobei mir der halbstarke Braunhaarige wohl gerne den Hals umdrehen würde.“ Er gluckste. Edwards Haare waren nicht braun, sie waren eher bronzefarben. Und im Gegensatz zu Fynn fand ich Edwards Vorhaben überhaupt nicht lustig. Was war nur mit Fynn los? Er wirkte so verändert. „Aber wir haben jetzt keine Zeit für Plänkeleien. Hast du draußen irgendwo eine Decke liegen? Eine, die nicht nach dir riecht?“ ‚Warum draußen? Und warum eine, die nicht nach mir riecht?‘, wollte ich fragen, doch mein Kopf war ohnehin schon viel zu überfordert und mein Hals brannte von den nur wenig gesagten Worten wie Feuer. Am liebsten würde ich jetzt einfach nur schlafen … „Hey!“, schrie er plötzlich, zugleich er mir unsanft die Wange tätschelte. „Nicht schlafen! Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Wir müssen hier weg.“ Ich blinzelte und versuchte meine Augen offen zu halten. Mir kam alles so irreal vor, vielleicht halluzinierte ich nur und das passierte alles gar nicht wirklich. „Herrgott, dann suche ich eben selbst nach einer Decke“, murrte er ungeduldig, stand auf und war auch schon verschwunden. „Die hier tut‘s“, sagte er, als er nur kurze Zeit - fast schon unerklärlich kurze Zeit – später wieder auftauchte und die braune Decke von der Veranda in der Hand hielt. Eilig kam er auf mich zu und fing an, meinen Oberkörper anzuheben. Ich protestierte verzweifelt, wollte so gar nicht in meiner Ruhe gestört werden und mich stattdessen weiterhin meinem Delirium hingeben. „Ich kann nicht weg ...“, jammerte ich. „Mir geht’s nicht gut … Ich bin krank.“ Doch er ignorierte mich einfach und wickelte mich schon beinah grob in die Decke, ohne dass ich auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte. Er warf noch einen kurzen, prüfenden Blick auf meine Verpackung, ehe er mich schließlich in seine Arme hob und mit mir Richtung Haustür steuerte. Gegen meinen Willen sank mein Kopf gegen seine Brust, weil er zu schwer war, um ihn halten zu können. Ich fühlte mich kein bisschen wohl dabei, von einem Mann so getragen zu werden. Und eigentlich wollte ich überhaupt nicht von Zuhause weg. „Ich habe so Durst, Fynn“, nuschelte ich gegen sein Hemd. „Ich gebe dir was, wenn wir dort sind“, versprach er, zugleich ich spürte, wie ein lauer Windhauch meine Wange streifte. Mit aller Mühe hob ich meinen Kopf und stellte fest, dass wir unser Grundstück bereits fast verlassen hatten. Wie waren wir so schnell nach draußen gekommen …? Fynn stoppte vor einem dunklen Auto und öffnete die Tür. „Das ist nicht dein Auto …“, murmelte ich benommen, war es doch nicht der Wagen, mit dem er sonst immer fuhr. „Nein, das ist so eine Art Leihwagen“, erklärte er und manövrierte mich auf den Beifahrersitz. Kaum hatte er die Tür geschlossen, stieg er auch schon auf der anderen Seite ein und startete den Wagen. Die enorme Beschleunigung drückte mich gegen den Sitz und erhöhte mein Schwindelgefühl, weswegen ich meine Augen immer nur kurz offen halten konnte. „Wo fahren wir hin?“, fragte ich, konnte mir diese seltsam vonstattengehende Flucht nach wie vor nicht erklären. „Dorthin, wo die Cullens uns nicht finden.“ Er sah zu mir rüber, hatte auf einmal wieder sein vertrautes, charmantes Lächeln im Gesicht. „Du möchtest doch nicht von den Cullens gefunden werden, oder?“, vergewisserte er sich, woraufhin ich meinen Kopf schüttelte. „Siehst du“, lächelte er und streckte seine Hand aus, um mir damit sanft über die Stirn zu streicheln. „Mir ist so warm, Fynn“, sagte ich leise, woraufhin seine Berührung, die ich so gar nicht einschätzen konnte, noch zärtlicher wurde. „Schlaf ein bisschen“, flüsterte er mir zu, sah dabei tief in meine Augen. Und wie aus Reflex schlossen sich meine Lider, gaben ohne Widerstand dem Drang nach, gegen den ich mich vergeblich versuchte hatte zu wehren. Wie viel Zeit vergangen war, konnte ich nicht sagen, es hätten sowohl fünf Minuten als auch fünf Stunden gewesen sein können. Jedenfalls war es immer noch dunkel, als ich zum ersten Mal wieder zu mir kam und der Wagen stand bereits. Kühle Finger streichelten über meine Wange und eine melodische Stimme sagte immer wieder meinen Namen. „Isabella …“ Ich blinzelte, musste fünf Mal hinsehen, ehe ich Fynn erkannte, der sich zu mir seitlich auf den Beifahrersitz gesetzt hatte, sich leicht über mich beugte und mich anlächelte. Lauwarme Nachtluft traf durch die geöffnete Tür auf meine Haut. Es roch nach Erde, Moos und Pflanzen. „Wir sind da“, sagte er, woraufhin ich leicht meinen flirrenden Kopf drehte. Doch es war zu finster, um etwas zu erkennen; alles was ich sah, war die Kontur eines riesen großes Waldes, in dessen Mitte wir uns offenbar befanden. „Es tut mir leid, dass ich vorhin so ruppig zu dir war“, blickte er mir in die Augen. „Ich stand einfach unter Stress. Das wird nicht mehr vorkommen, versprochen.“ Ich nickte, war zu nichts anderem fähig gewesen. „Gut“, meinte er zufrieden und holte etwas hervor, was er draußen, neben seinen Füßen, abgestellt hatte. „Ich habe hier etwas zu trinken für dich.“ Er hielt mir eine kleine Wasserflasche, in der ein Strohhalm steckte, entgegen und ließ mich davon trinken. Nur schwer schaffte ich es, die Flüssigkeit durch das dünne Röhrchen zu ziehen, und schon nach wenigen Malen Schlucken musste ich abbrechen. „Schön langsam“, lächelte er behutsam und ließ mich erneut davon trinken. Dieses Mal funktionierte es ein bisschen besser, auch wenn mein übermenschlicher Durst, selbst, nachdem ich fast die halbe Flasche geleert hatte, nur wenig gemildert wurde. „Genug?“, erkundigte er sich, woraufhin ich nickte und er die Flasche wieder verstaute. „Gut, dann lass uns reingehen.“ Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte, doch er ließ mir nicht die Zeit, danach zu fragen, sondern stand auf und fasste unter mich, um meinen schlaffen Körper hochzuheben. Er trug mich direkt auf eine große, mit dicken Stämmen gebaute Holzhütte zu, die wie ein Versteck mitten im Wald wirkte. Der helle Mond ließ mich die Konturen erkennen. „Wohnst du hier?“, nuschelte ich gegen seine Brust, an der mein Kopf lehnte. „Nein, ich habe es mir nur geborgt. Aber du brauchst keine Angst haben, hier wird uns niemand finden.“ Wie ein Film, der sich über meinen Körper legte, stellten sich all meine Härchen auf. Es war kein positives Gefühl. Fynn öffnete die morsche Tür, trug mich durch die Dunkelheit, ehe er mich auf etwas Weiches legte, das sich wie ein Bett anfühlte. „Bin gleich zurück“, hauchte er. Ich hörte, wie sich seine Schritte entfernten, bevor etwas leise knarrte und quietschte, als hätte er einen alten Schrank geöffnet. Danach ertönten dumpfe Geräusche, die für mich nicht zu entziffern waren, aber offenbar holte er dort etwas heraus, was er anschließend im Raum verteilte. Seine Fußtritte klangen so gezielt, kein einziges Mal stieß er irgendwo gegen und ich fragte mich, wie ihm das gelang, da ich nicht mal meine eigene Hand vor Augen sah. Die Finsternis verschwand allerdings im nächsten Moment mit einem Zischen. Fynn hatte ein Streichholz entfacht und jetzt erkannte ich auch, was er verteilt hatte: Weiße Kerzen. Er ließ sich alle Zeit der Welt, lief bedächtig zu jeder einzelnen, und zündete sie fast schon ehrwürdig an. Ich beobachtete ihn dabei, bemerkte, wie ein immer wärmer werdender Schein von den kleinen Flammen ausging, welche die alte Holzhütte in ein gedämpftes Licht tauchten. Mein Kopf war zu träge, um ihn anzuheben, nur meine Augen erkundeten den Raum. Es war gemütlicher, als man es von einem Verschlag mitten im Wald annahm. Wirkte nicht wie ein verlassenes Jägerdomizil, sondern eher wie eine kleine Behausung für ein Pärchen, das fern ab von der Gesellschaft und mitten in der Natur Urlaub machen wollte. Ein Pärchen … hallten die Worte in meinem Kopf nach und ließen mich den Raum anders bertachten; ja, man könnte ihn auch als kleines, geheimes Liebesnest sehen. Mein müder Blick wanderte weiter, ging nach oben, wo weiße Schleier aus dünnem Stoff von der Decke hingen, die an der vorderen, offenen Seite an den Bettpfeilern zusammengebunden waren. Ich lag in einem Himmelbett. Langsam, fast Zeitlupenartig sickerte diese Erkenntnis zu meinem Bewusstsein, und mit einem Mal bekam ich Angst. Mysteriös, so als hätte er ein unausgesprochenes Zeichen erhalten, unterbrach Fynn seine Arbeit und wandte den Kopf in meine Richtung. Er legte die Streichhölzer beiseite und kam langsam und mit bedachten Schritten auf mich zugelaufen. Vor mir ging er in die Hocke, sah mir mit einem betörenden Blick in die Augen und strich mit seinen Fingerspitzen vereinzelte Haarsträhnen von meiner Schläfe. „Es gibt nichts, wovor du dich fürchten musst, Nefertari.“ Er sprach, als wolle er mich mit seinen Worten hypnotisieren, und ein wenig gelang ihm das auch. Ich nickte. „So ist es gut“, hauchte er mit einem Lächeln und sah mich eine ganze Weile mit diesem alles durchdringenden Blick an, ehe er sich langsam zu mir beugte und seine Lippen auf meine Stirn legte. Ich zuckte vor der Kälte seines Mundes leicht zusammen. Er seufzte leise, ließ einen Hauch Enttäuschung darin mitklingen. „Ich werde dir was zum Kühlen holen, deine Stirn glüht förmlich.“ Er wartete auf meine Zustimmung und als ich sie ihm gab, verschwand er durch eine kleine Tür, von der ich nicht wusste, wohin sie führte. Nefertari … das klang nach einer fremden Sprache. Was es wohl bedeutete? Fynn kehrte zurück, schloss die Tür und trug eine mit Wasser gefüllte Schale bei sich, die er neben mir ans Kopfende des Bettes stellte. Ganz vorsichtig, als wolle er nicht, dass mich auch nur die kleinste seiner Bewegungen erschreckte, legte er sich zu mir ins Bett, kam an meine Seite und stütze seinen Kopf auf seinen angewinkelten Arm. Seine Hand griff über meinen Körper hinweg in die Schale, holte einen mit wassergetränkten Lappen hervor, mit dem er anfing, sanft über meine Stirn zu streicheln, zugleich er seine Augen keine Sekunde von meinen löste. Fynn war mir so nah; die ganze Situation wirkte zu intim für mich und ich fühlte mich unwohl, doch gefangen in meinem lethargischen Zustand ließ ich es über mich ergehen. Immer wieder tupfte er über meine Stirn, verschaffte meiner heißen Haut ein bisschen Linderung. Manchmal, da war etwas in seinen Augen, das in mir ein Bedürfnis erweckte, Dinge zu tun, die ich eigentlich überhaupt nicht tun wollte. Wenn ich nicht bei ihm war, empfand ich nichts als platonische Zuneigung zu ihm. Doch wenn er mich ansah, war ich mir dessen plötzlich nicht mehr sicher. Es war, als würde in den Tiefen seiner Iris irgendetwas verborgen liegen. Irgendetwas, von dem man in einen Sog gezogen wurde, irgendetwas, was einen verwirrte. Ich wich seinem Blick aus. „Sieh mich an, Isabella“, flüsterte er. Mit gemischten Gefühlen gab ich seiner Bitte nach und verfing mich augenblicklich wieder in diesem mysteriösen Strudel. Es war still um uns herum, nur sein Blick, der auf mir ruhte, schien tausend Wörter zu sprechen. Es war mir unheimlich. Doch er wandte seine Augen keine Sekunde ab, schien mich mit ihnen beschwören zu wollen, und je mehr Zeit verging, desto weniger konnte ich mich an meinen eigenen Namen erinnern. Meine Umwelt löste sich auf - alles wurde zu Schall und Rauch, nur noch Fynn schien zu existieren. Seine Hand griff zum widerholten Male über meinen Körper hinweg zu der Wasserschale, feuchtete den Lappen an. Doch dieses Mal legte er mir diesen nicht auf die Stirn, sondern fing an, ihn langsam über meine Wange nach unten wandern zu lassen. Ich konnte die Konturen seiner Finger durch den dünnen, erfrischend kalten Stoff spüren, fast so, als würde er mich mit ihnen indirekt streicheln. Ruhig glitt er über die Senke meines Kiefers, fuhr meinen Hals entlang nach unten. Tranceartig hatte ich es zugelassen, keinerlei Einwände gehabt, doch als sich seine Hand plötzlich auf den Reißverschluss meines Zip-Hoodies legte, sank mein Kopf, wie von einem Reflex getrieben, nach unten. Doch noch ehe seine Hand in mein Blickfeld gekommen war, legten sich seine Finger unter mein Kinn und hoben es an, zwangen mich dazu, ihm wieder in seine Augen zu sehen, die mich regelrecht fixierten. Als er eine Weile später erneut an den Reißverschluss griff, hielt ich meine Luft an, doch widersprechen tat ich nicht. Millimeter für Millimeter zog er ihn nach unten, entblößte meine nackte Haut, die darunter zum Vorschein kam. Noch niemals zuvor hatte ich mich einem Mann in BH gezeigt und ich fühlte mich auch jetzt, trotz meines dämmrigen Zustands, absolut nicht wohl dabei. Ganz im Gegenteil, es war mir deutlich unangenehm; am liebsten hätte ich meine Jacke sofort wieder bis obenhin verschlossen. Langsam zog er mit dem Tuch eine feuchte Linie über mein Dekolleté, ließ es zwischen meinen Brüsten hindurch fahren und über meinen Bauch gleiten. Ich zuckte bei jedem Zentimeter zusammen, wurde nervös und begann zu zittern. „Schtt...“, machte er, wollte mich mit diesem Laut beruhigen. Aber das Gefühl, dass hier irgendetwas falsch lief, wollte nicht schwinden. Er streichelte weiter über meinen Bauch, bis ich irgendwann keinen rauen Stoff mehr spüren konnte, sondern nur noch seine Finger selbst. Mein Unbehagen stieg ins Unermessliche, während mich gleichzeitig die Wirkung seines Blickes auf diese seltsame Weise lähmte und mich von jeglichem Protest abhielt. Es war so merkwürdig. „Weißt du, dass du einen sehr verführerischen Duft an dir hast?“ Seine Stimme war so weich, schien mich mit einem Mantel aus Zucker zu umhüllen. Schwach schüttelte ich meinen Kopf. „Du duftest nach Jasmin. Wusstest du, dass das eine uralte ägyptische Pflanze ist?“, lächelte er, behielt seine samtene Tonlage bei. Wieder schüttelte ich meinen Kopf. „Sie ist viele tausend Jahre alt und war damals, vor langer Zeit, sehr wertvoll. Nur Reiche konnten sich das teure Jasmin-Öl leisten, das für seine verführerische Wirkung bekannt war. Deswegen nannte man es den Duft der Königinnen.“ „Aber du, Isabella“, fuhr er fort und trug ein Funkeln in seinen Augen, „du hast diesen Geruch an dir, obwohl du niemals mit diesem Öl in Berührung gekommen bist. Du bist etwas ganz Besonderes.“ Es klang so schön, was er sagte, dass ich es ihm am liebsten geglaubt hätte. Aber etwas Besonderes war ich nicht, würde ich auch niemals sein. Ich konnte mir nicht vorstellen, nach dieser Blume zu riechen. Selbst hatte ich derartiges nie an mir gerochen. „Du trägst diesen Duft nur sehr dezent an dir und es ist unverzeihlich, dass ich ihn am Anfang fast gar nicht wahrgenommen habe. Aber wenn ich nun eine Weile in deiner Nähe bin, dann wird er so intensiv, dass ich kaum an mich halten kann.“ Seine Worte waren unheimlich, verängstigen mich aufs Neue. Auch wenn seine Augen versuchten, mich von dem Gegenteil zu überzeugen. Seine Kühlen Finger strichen meinen Bauch empor, ließen mich auf eine unangenehme Weise erzittern. „Deine Haut ist so zart“, flüsterte er mit einer leicht rauen Stimme, die meine Furcht noch weiter schürte. Ich fühlte mich vollkommen ausgeliefert, wollte nicht, dass er diese Sachen mit mir tat, dennoch kam kein einziger Ton aus meiner Kehle, noch regten sich meine Arme, um ihn Einhalt zu gebieten. Immer mehr bekam ich eine böse Vorahnung, worauf er hinauswollte. Er streichelte mich weiter, sah mich dabei einfach nur an und hielt mich in seinem Blick gefangen. „Hast du schon mal einen Mann geküsst, Isabella?“, fragte er, seine Stimme nur ein Hauch. Mein Zittern verstärkte sich, als ich abermals mit meinem Kopf verneinte. Doch er ging nicht auf meine körperliche Reaktion ein, lächelte stattdessen. „Es ist ganz einfach“, versprach er und näherte sich mit seinem Gesicht langsam dem meinen. Seine Hand verließ meinen Bauch, legte sich auf meine Wange und hielt mein Gesicht in seiner Position. Meine Atmung ging schneller und ich spürte, wie irgendetwas in mir immer stärker zu rebellieren begann. Ich wollte ihn nicht küssen, nein, ganz und gar nicht wollte ich ihn küssen. Ohne Rücksicht auf meine Abwehrhaltung zu nehmen, kam er mir unaufhaltsam näher, sah mir mit geringem Abstand tief in die Augen, während sein Atem über meine Haut streifte. Und dann spürte ich auf einmal, wie seine Lippen meine berührten, sachte anfingen, sie zu küssen. Nein, nein, das fühlte sich nicht richtig an. Mein Puls schien ins Unendliche zu beschleunigen. Ich erwiderte seinen Kuss nicht, sondern versuchte stattdessen mit meinem Gesicht zurückzuweichen, aber er ließ mich nicht, hielt mich mit seiner Hand fest und küsste mich einfach weiter. Ich fühlte mich so hilflos, Panik überkam mich und ich spürte, wie aus Verzweiflung die ersten Tränen über meine Wange liefen. Ich war vielleicht unerfahren, aber es gehörte nicht viel dazu, sich zusammenzureimen, was Fynn mit mir vorhatte. „Fynn“, bettelte ich zwischen seine Lippen, doch sein Mund wurde immer drängender, der Druck seiner Hand auf meinem Gesicht immer fester. Ich schluchzte, startete einen neuen Versuch, ihm meinen Kopf zu entwenden, doch alles, was ich damit erreichte, war, dass sein Griff noch härter wurde. Er tat mir weh. Sehr weh. Auch mit seinem Körper kam er mir näher, presste ihn förmlich an meinen und engte mich somit noch mehr ein. Mit zusammengepresstem Mund und geschlossenen Augen weinte ich vor mich hin; meine Hände krallten sich in sein T-Shirt und flehten ihn vergeblich darum an, aufzuhören. Doch es nützte nichts, ich war viel zu schwach und Fynn versuchte weiterhin mit aller Gewalt diesen Kuss zu erzwingen. Wo war der Fynn, den ich kennengelernt hatte? Verschwunden wie Rauch, hatte sich verwandelt in ein Monster. Niemand würde mir helfen, niemand würde kommen und mich von ihm befreien. Er könnte tun und lassen mit mir, was er wollte, keiner würde ihn daran hindern. Ich verzweifelte immer mehr, wurde von Weinkrämpfen geschüttelt und hätte am liebsten geschrien, dass er aufhören solle. Immer wieder wollte ich schreien, dass er doch bitte aufhören solle. Ich würde doch ohnehin sterben, warum war das die letzte Erfahrung, die ich machen musste? Warum musste alles immer noch schlimmer werden? Der Griff seiner Hand zerdrückte fast meinen Kiefer, löste unermessliche Schmerzen in mir aus. Ich war wie gefangen in meinem eigenen Körper. Fynn nahm mir einfach meine Menschenrechte, für ihn spielte es keine Rolle, dass ich das nicht wollte. Schon immer hatte ich Macht für etwas Schreckliches gehalten, doch jetzt spürte ich am eigenen Leib, was es bedeutete, wenn einem der eigene Wille einfach genommen wurde. Wenn man keine Chance hat, über seinen Körper, über sein Leben zu bestimmen, weil diese Entscheidungskraft einfach von jemand anderem übernommen wurde. Fynn würde es nicht bei diesem Kuss belassen, das wusste ich. Er fing gerade erst an. Meine Lippen pressten sich zusammen, längst floss kein Blut mehr hindurch. Es war der einzige Widerstand, den ich leisten konnte, und doch erbrachte es nicht den geringsten Erfolg. Ich wollte das alles nicht mehr miterleben, wollte auf der Stelle sterben und diesem Horror entrinnen. Mit einem Mal drang ein tiefes, furchterregendes Knurren aus Fynns Kehle, das so wütend klang, dass ich meine Augen aufriss und vor Angst zu einer Salzsäule erstarrte. So knurrte kein Mensch; er klang wie ein Tier, das kurz davor war, seine Beute zu zerfleischen. Das laute, krachende Geräusch, das seine Faust auslöste, als sie hinter meinem Kopf gegen die hölzerne Wand schlug, ließ mich fürchterlich zusammenschrecken. Er musste ein Loch hinein geschlagen haben, so laut war der Knall gewesen. Fynn wich zurück, schwebte mit seinem Gesicht nah über meinen und starrte mit einem wütenden, hasserfüllten Blick tief in meine Augen. Seine Nasenlöcher bebten, seine Gesichtsmuskeln und sein Kiefer waren zum Zerreisen gespannt. Ich begann zu wimmern. „Kifāya! Ich habe es so satt!“, sagte er mit bedrohlicher, entzürnter Stimme; jede Silbe jagte mir neue Angst ein. „Ich hatte genug Geduld mit dir, aber jetzt ist Schluss damit. Es hätte wesentlich angenehmer für dich werden können, doch dafür ist es jetzt zu spät. Du hast mich wütend gemacht und es ist nicht gut, wenn man mich wütend macht. Dir wären einige Schmerzen erspart geblieben.“ „Nein … nein…“ Ich schluchzte, schüttelte immer wieder meinen Kopf und weinte bitterliche Tränen, die meine Worte erstickten. „Ich sehe Frauen nur sehr ungern entstellt – aber das wird sich jetzt leider nicht vermeiden lassen. Zu schade, Isabella, ich habe dir eine Geduld widerfahren lassen, die ich nur selten jemandem zugestehe.“ Kein Wort kam mehr aus meiner Kehle, es waren nur noch flehende, verzweifelte Laute, die ich von mir gab. „Gott, dieses Geheule“, seine Augen blitzten voller Hass. „Bist du es nicht selbst langsam leid? Dein Geist ist so schwach, leichter als Glas zu zerbrechen, hilflos wie ein Grashalm, der den Naturgewalten ausgeliefert ist. Schon die kleinste Windböe bringt dich zu Boden. Du hättest ohnehin keine Chance gehabt, in dieser Welt zu bestehen. Ich tue dir nur einen Gefallen.“ Das fieseste, bösartigste Grinsen, das ich je bei einem Menschen gesehen hatte, schlich über seinen Mund. „Ich wünschte nur, ich könnte Cullens Gesicht sehen, wenn er dich findet. Zu schade, dass er nicht dabei sein kann. Aber er ist leider gerade mit anderen Dingen beschäftigt … Angeln, wenn du verstehst, was ich meine.“ Dad. Ich bekam fast keine Luft mehr, mein Körper zuckte nur noch. Er löste seine Hand von meinem Gesicht, ließ stattdessen seine Fingerspitzen über meine Wange streichen. „Wehr dich nicht, Isabella, du würdest dir nur unnötig wehtun.“ Ich schluchzte, gab jämmerliche Geräusche von mir und konnte nichts dagegen tun, als er sein ganzes Gewicht auf mich legte und meine Arme gewaltvoll über meinem Kopf zerrte. „Glaub mir, es ist besser, wenn du sie dort lässt“, flüsterte er drohend und ich tat, was er verlangte. Ich könnte sowieso nichts mehr tun. Erneut presste er seine widerlichen Lippen auf meine, doch dieses Mal leistete ich keinen Widerstand. Niemals könnte er mich dazu zwingen, den Kuss, der nichts als Demütigung verkörperte, zu erwidern, aber ich hörte auf, meinen Mund zusammenzupressen. Es war ohnehin schon zu spät. Alles war zu spät. Ich kam mir vor wie in einem Film, mein ganzer Körper, meine Gedanken waren taub. Brutal wanderte seine Hand meinen Körper hinab; nur der Schmerz signalisierte mir, noch lebendig und nicht schon längst das Opfer von ihm geworden zu sein. Tief gruben sich seine Fingernägel in meine Haut, bohrten sich nahezu in mein Fleisch, hinterließen Kratzer und verletzten mich. Ich jammerte leise vor mich hin, konnte nicht verhindern, wie mir ein Schluchzer nach dem anderen entwich. Aus seinem Mund kamen schreckliche, animalische Laute. Wie ein Tier wurde er in Erregung versetzt, begann sich wie besessen auf mir zu bewegen, rieb seinen Körper an meinem. Am liebsten hätte ich mich tot gestellt, nein, vielmehr wünschte ich mir, wirklich tot zu sein, damit ich diesem Horror entkommen konnte. Immer mehr schien er sich in das reinzusteigern, was er gerade mit mir tat, immer ungehaltener und rücksichtsloser wurde sein Verhalten. Für einen Moment stoppte er, wich wenige Millimeter zurück und starrte mich irrsinnig an. Durch meinen tränenverschleierten Blick konnte ich sein groteskes, zu einer Fratze verzogenes Gesicht erkennen, und ein durchdringendes Grollen entrann aus seiner Brust, ehe er mich plötzlich schonungslos auf meinen Bauch schleuderte und mich im Genick packte. Gewaltsam, bestialisch, vollkommen erbarmungslos. Der Trieb hatte von ihm Besitz ergriffen. Ich hoffte, betete, es würde schnell vorbei sein. Als ich bereits mit allem abgeschlossen und mich, sofern das überhaupt möglich war, auf das Unausweichliche vorbereitet hatte, ließ Fynn von mir ab, sein Kopf schnellte nach oben und drehte sich Richtung Tür. Er hielt inne und für den Bruchteil einer Sekunde kehrte Totenstille ein, ehe erneut ein wütendes und noch viel lauteres Knurren seiner Kehle entsprang. Plötzlich ertönte ein ohrenbetäubendes Klirren, was genau aus der entgegengesetzten Richtung kam, in welche Fynn seinen Kopf gedreht hatte. Wie ein Fenster, das zerbrochen wurde. Wie aus dem Nichts wurden wir beide von irgendetwas Hartem mit enormer Geschwindigkeit getroffen. Von dem Aufprall wurde ich regelrecht aus dem Bett katapultiert, landete auf dem Boden zwischen tausenden von Glasscherben und wusste nicht, was geschah. Knurren war zu hören, noch viel markerschütternder als zuvor. Und es war nicht nur ein einzelnes Knurren, es waren Angriffslaute von mehreren, die sich immer mehr zu einer kaum auszuhaltenden Geräuschkulisse verwandelten. Klirren, ein Krachen, Schatten, die sich viel zu schnell bewegten. Laute Schreie und immer wieder dieses Knurren. Alles spielte sich innerhalb von Sekunden ab, in denen weder meine Augen dazu fähig waren, etwas zu erkennen, noch mein Verstand auch nur die leistete Ahnung hatte, was hier vor sich ging. Ein Knurren wurde lauter, irgendetwas rempelte mich hart. Männer, die miteinander kämpften. „Bring sie hier raus! Bring sie um Gottes Willen hier raus!“, schrie eine Stimme, die mir seltsam vertraut erschien. Jemand beugte sich über mich, doch mein Blick war verschwommen, ließ mich nur Konturen erkennen. Alles wirkte so irreal. Am liebsten hätte ich mich tief irgendwo verkrochen. Irgendwer rief meinen Namen, doch es hörte sich von Silbe zu Silbe gedämpfter an, so als würde sich die Person immer weiter von mir entfernen. Jeglicher Versuch, meine Augen offen zu halten, war vergebens. Es schien, als würde die Dunkelheit über mich siegen, mich mitreißen. Alles um mich herum wurde Schwarz. Und dann war es still. ----------------------------------------------- „Kifāya“ bedeutet in etwa: „Es reicht!“ „Genug jetzt!“ „Nefertari“ bedeutet „die Schönste“. und bevor ichs vergesse, bei dem nächsten chap habt ihr mich auch wieder an der backe. sorry mädels =) Kapitel 8: Die Ruhe nach dem Sturm ---------------------------------- Hallo, Hallo? Ist da noch jemand? Oh mein Gott, ich schäme mich zutiefst =( Ich, der einzige Hoffnungsträger in diesem Horror-Updatezeiten-Team, habe dieses mal nun auch lange für ein Kapitel gebraucht. Also falls ich hier Selbstgespräche führe, dann werde ich mich nicht wundern. Falls doch noch jemand das ist: Sorry =( Aber bei mir war so viel los, dann gabs noch einige Überarbeitungsbedürftige Stellen und ich bin einfach nicht voran gekommen. Ich habe das Chap vorzeitig beendet, sonst wäre es noch viel länger geworden. Mal schauen, ob absinthe_fairy die eigentlichen Ideen übernimmt oder sich was Neues einfallen lässt - egal wie, sie wird es bestimmt toll machen! Jetzt erst mal viel Spaß mit diesem Kapitel hier. Anregungen, Meinungen und Kritik sind wie immer erwünscht! Und was ich auch noch loswerden wollte: Wir haben kein einziges Mal Werbung gemacht und sind trotzdem für den DH-Award nominiert worden! Vielen Dank, das hat uns sehr gefreut! Und ja, jetzt halte ich ja schon die Fresse, damit ihr lesen könnt ... =) Als kleine Überraschung gibt es anfangs übrigens einen kurzen EPOV. so long, dubdug --------------------------- Edward Die Fassade unseres Wohn-und Esszimmers war komplett verglast, ein einziges großes Fenster. Ich stand davor, sah in mein Antlitz, das mir seit über hundert Jahren auf spiegelnden Oberflächen entgegenblickte, und doch starrte ich daran vorbei nach draußen in die Nacht. Der Mond schien, warf ein bläuliches Licht auf den Vorgarten. Der leichte Wind versetzte die dünnen Ästchen der Bäume in kaum wahrnehmbare, beinah rhythmische Bewegungen. Ein Schauspiel, das eine hypnotisierende Wirkung auf mich ausübte. Schön, leicht und grazil - und doch unbeschreiblich schwermütig. Wie die Ruhe nach dem Sturm, als hätte es diesen Vorfall am Samstagabend niemals gegeben. Das Rascheln drang selbst durch die Gemäuer an meine Ohren, untermalte meine Melancholie auf eine nahezu gespenstische Weise. Es verschaffte mir ein bisschen Ruhe, ein bisschen Stille, auch wenn die Luft wie immer voller Gedanken hing. Carlisle saß in seinem Arbeitszimmer. Bewusst war er nach oben gegangen und machte sich schon seit einer Weile Sorgen um Isabellas Psyche. Er überlegte, dass sie zu einem Psychologen müsse, der ihr helfen könnte, ihre erlebten Traumata zu verarbeiten. Ich lächelte bitter. Und auch Carlisle kannte die eigentliche Antwort, denn es gab nur eine: Es war unmöglich für sie, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Würde sie diese irrsinnigen Erlebnisse jemandem schildern, würde sie sich entweder selbst schaden oder unsere Existenz in Gefahr bringen. Dass uns an Letzterem etwas lag, ernannte uns zu schrecklichen Heuchlern. Auch Carlisle wusste das, wenngleich er sich das nicht eingestehen wollte. Jasper war einfach nur ungeheuer wütend, denn genau das, was er prophezeit hatte, war eingetreten. Es war unausweichlich gewesen, dass wir uns viel zu sehr in Isabellas Leben einmischten, dass wir nicht nur sie, sondern auch unser Geheimnis gefährdeten. Natürlich war er sofort zur Stelle gewesen, als er begriff, wie ernst die Situation war, aber mit sich im Reinen war er nicht. Und er hatte Recht. Meine ganze Familie hatte Recht gehabt, als sie es nach dem … Übergriff im Wald für klüger gehalten hatten, Forks zu verlassen. Nur ich hatte mich gesträubt, wollte meiner Familie unter keinen Umständen schon wieder einen Umzug zumuten. Nicht für etwas, was ich selbst verbockt hatte. Es würde einen Weg geben, hatte ich mir immer wieder eingeredet, so sehr, dass ich es am Ende selbst geglaubt hatte. Dabei war von Anfang an klar gewesen, dass es keinen Weg geben würde. Zumindest keinen, bei dem nicht nur unser, sondern auch Isabellas Leben einher gehen könnte. Ich war zu blind gewesen, wollte das Offensichtliche nicht wahrhaben. Die plagenden Schuldgefühle und das Bedürfnis, wiedergutzumachen, was ich angerichtet hatte, verschleierten meine Sicht. Jetzt musste ich damit leben, alles noch viel schlimmer gemacht zu haben, und diese Last erdrückte mich fast; verschaffte mir die einzigen Schmerzen, die einem Untoten wirklich etwas anhaben konnten: seelische. Und sie waren grauenvoller, als es körperliche je sein konnten. Emmett hatte mich vor einigen Stunden gefragt, was mit mir los sei, da wir schließlich noch rechtzeitig gekommen wären. Aber was bedeutete schon rechtzeitig? Das Schlimmste konnten wir verhindern, ja, aber wenn man bedachte, was Isabella bis zu diesem Zeitpunkt bereits alles durchmachen hatte müssen, dann kamen wir viel zu spät. Nicht nur seine Prophezeiung belaste Jasper, auch sein Blutdurst setzte ihm zu. Beinahe wäre er derjenige gewesen, der bei dem Versuch, Phinnaeus, diesen Bastard, zu übermannen, selbst über sie hergefallen wäre. Und das wurmte ihn mehr als alles andere. Auch jetzt, wo das Schlagen von Isabellas Herzen unser sonst so totenstilles Haus erhellte, hatte er mit sich zu kämpfen. Er hatte es unter Kontrolle, es bestand keine akute Gefahr, aber die Tatsache, dass er zu einer potentiellen werden könnte, ließ ihn leiden. Alice spürte das, war an seiner Seite und hielt schweigend seine Hand. Esme saß nicht weit entfernt von mir, neben der auf dem Sofa schlafenden Isabella. Sie betrachtete sie seit langer Zeit, war tief in ihre Gedanken versunken. Esme war die Einzige, die mich immerhin annähernd verstanden und sogar versucht hatte, mich zu unterstützen. Auch wenn sie selbst der Meinung gewesen war, dass ein Umzug vermutlich das Beste gewesen wäre, hatte sie zu mir gehalten. Und jetzt, wo sie dieses zarte, zerbrechliche Wesen vor sich liegen hatte, verstand sie mich besser denn je. Durch Isabella entsinnte sie sich an ihre eigene Zeit als Mensch, zumindest an die wenigen Momente, die ihr noch in Erinnerung geblieben waren. Ein Stück weit erkannte sie sich selbst in ihr wider. Das beschäftigte sie und ging ihr nahe. Auch zog sie Vergleiche zwischen Alice, Rosalie und der kleinen Miss Swan, bemerkte, welch essentielle Unterschiede es unter den Dreien gab. Stark und selbstbewusst war die eine Seite, hilflos, allein und verloren die andere. Esme konnte nicht verstehen, warum dieses Mädchen von seiner Mutter so sehr im Stich gelassen wurde, konnte nicht nachvollziehen, wie man sein Kind hinter die eigenen Bedürfnisse stellen konnte. Mir gefiel die Wendung nicht, die auf einmal ihre Überlegungen annahmen. Ich kam ins Spiel, Momente aus den vergangenen Jahren, die alle mich zeigten, abwesend, zerstreut, grübelnd. Abseits stehend von den anderen Mitgliedern dieser Familie, abseits von den Pärchen, als Einziger allein. Immer der stille Beobachter aus dem Hintergrund, aber nie ins Geschehen integriert. Zärtlichkeiten, welche die Liebespaare in diesem Haus untereinander austauschten, und ich, der ohne diese Attribute still nebenher lebte. Traurige Lieder am Klavier spielend mit einem Blick, der weit in die Ferne gerichtet war. Am Fenster sitzend, versunken und tief in mich gekehrt. Sie wollte mich nur glücklich sehen, mehr wünschte sie sich nicht. Trotzdem fühlte ich mich äußerst unwohl und beschämt, wenn sie sich solche Gedanken machte. Mit einem Mal wurde ein Bild in ihrem Kopf projiziert, dass mir noch weniger als die vorangegangen gefiel. Es war keines aus der Vergangenheit, es war etwas, was niemals passiert war und auch niemals passieren würde. Es zeigte Isabella und mich, wie wir uns gegenüberstanden und uns anlächelten. Nur eine harmlose Geste, und doch wirkte sie unendlich vertraut. Es steckte so viel mehr dahinter als nur ein Lächeln. Ich gab ein leises, unzufriedenes Knurren von mir. Esme schmunzelte leicht. „Das kommt davon, wenn man anderer Leute Gedanken belauscht.“ Ich schwieg, versuchte zu verdrängen, was ich gesehen hatte. „Setz dich zu mir, Edward“, bat sie mich mit einem mütterlichen Lächeln, doch ohne sie anzusehen schüttelte ich verneinend meinen Kopf. „Isabella wird bald aufwachen“, entgegnete ich und verfiel zurück in mein Schweigen. Eigentlich sollte ich um ihretwillen überhaupt nicht anwesend sein, wenn sie aus ihrem Schlaf erwachte. Aber ich konnte nicht. War nicht in der Lage, den Raum, das Haus zu verlassen. Das Mindeste, was ich für sie tun konnte, war, den Abstand so groß wie möglich zu halten. Aber es würde nichts bringen, sie würde sich trotzdem erschrecken, wenn sie mich sah. So, wie sie jedes Mal bei einer Begegnung zu zittern anfing und sich wegen meiner bloßen Anwesenheit zu Tode fürchtete. Seit so vielen Stunden sehnte ich mir ihr Aufwachen herbei, und gleichzeitig ängstigte ich mich jede Minute mehr davor. Ich wollte mir nicht ausmalen, wie sie reagieren würde. Fühlte mich ungeheuer elend, wenn ich nur daran dachte. Dennoch blieb ich, unfähig mich zu bewegen, stehen und starrte weiterhin aus dem Fenster. Lauschte ihrem regelmäßigen Herzschlag, der von Stunde zu Stunde kräftiger wurde. Sie war so ahnungslos, schlief wie ein geschundener Engel und hatte nicht den blassesten Schimmer, dass sie seit Wochen unser aller Leben bestimmte. Isabella Schemen formten sich zusammen. Eine helle, weiße Zimmerdecke in einem nur vage beleuchteten Raum. Mein Blick war milchig und trüb, mein Hals brannte vor Trockenheit und mein Körper fühlte sich an, als hätte er an jeder einzelnen Stelle Muskelkater. Ein Gefühl, das komische Erinnerungen und vereinzelte Bilder in mir hochkommen ließ, die ich noch nicht zu einem Ganzen zusammenformen konnte. Es erschien mir alles total wirr, wie Fetzen von einem Albtraum. Langsam erkundeten meine müden Augen den mir unbekannten Raum, der seltsam fremd auf mich wirkte. Hier war alles so edel, teuer und geräumig, ganz im Gegensatz zu der Umgebung, die ich sonst gewohnt war. Ich wusste nicht, wo ich mich befand, wusste nicht, wie ich hier hergekommen war. Mein Blick fiel nach rechts, wo ich direkt in den goldbraunen Augen einer Frau landete, die sich an meine Seite gesetzt hatte. Ihr Lächeln strahlte etwas sehr Warmes, Herzliches aus; ihre Schönheit war befremdlich und doch irgendwie vertraut. Ich hatte diese Frau noch niemals zuvor gesehen. „Hallo, Isabella. Wie fühlst du dich?“, fragte mich die Brünette. Sie versuchte, ihr Lächeln aufrechtzuerhalten, trotzdem konnte sie den mitleidigen Tonfall, der in ihrer Stimme mitschwang, nicht vertuschen. Ich starrte sie einfach nur, konnte nichts entgegnen, stattdessen wurde der Nebel in meinem Kopf klarer, die Bilder deutlicher und alles nahm immer mehr Formen an. Eine Erinnerung nach der anderen übermannte mich. Ich hatte nicht geträumt. „Du kennst mich nicht, mein Name ist Esme“, erklärte die Frau weiter und schien sehr darauf bedacht zu sein, behutsam mit mir zu sprechen. „Esme … Cullen“, fuhr sie nach kurzem Zögern fort. Cullen. Löste normalerweise schon allein der Name Angst und Schrecken bei mir aus, so blieb dieser Effekt wie durch wundersame Weise in diesem Augenblick vollkommen aus. Wirkte nur wie eine Antwort auf eine Frage, die mir Gewissheit verschaffte. Eine emotionslose Notiz. „Wir haben dich mit zu uns genommen“, fuhr sie fort. Die Cullens waren diejenigen gewesen, die mir zur Hilfe gekommen waren. Mich aus dem Bett geschubst und mich von dort herausgeholt hatten. Vielleicht sollte mich diese Tatsache wundern, und irgendwie tat sie das auch. Aber irgendwie auch nicht. Wie ferngesteuert streifte mein Blick durch den Wohnraum, suchte nach einer ganz bestimmten Person, die ich in meinem Kopf mit dem Namen Cullen regelrecht verschmolzen hatte. Und meine Augen wurden fündig, sahen seine schlanke Silhouette einige Meter von mir entfernt mit gesenktem Kopf vor dem Fenster stehen. Als könnte er spüren, dass ich ihn ansah und als würde er sich schlecht deswegen fühlen. Vermutlich hätte ich schreiend davon laufen sollen, doch ich tat es nicht, schaute ihn einfach nur an. Es ergab keinen Sinn, dass ich von den Cullens gerettet wurde, es ergab keinen Sinn, dass Edward in meiner Nähe war und nicht nach meinem Leben trachtete. Also hörte ich auf, nach einen Sinn zu suchen. Nahm es einfach hin. Ich empfand nichts. Es war, als wären meine sämtlichen Gefühle eingefroren, nichts als Taubheit umgab mich. Alles erschien mir egal, vollkommen gleichgültig. Ob ich nun lebendig oder tot war, was spielte das schon für eine Rolle … „Du hast sehr lange geschlafen“, sagte die Frau mit den braunen Haaren, und aus Anstand sah ich zu ihr zurück. Ich fühlte mich unsagbar schwer, als würde mich eine Last von fünfhundert Kilo in das Polster drücken. Es war keine körperliche Empfindung, eher eine geistige. Die Dumpfheit in meinem Kopf schien Tonnen zu wiegen, drückte sogar auf meine Lider. „Genau genommen fast zwei Tage. Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht und wussten lange Zeit nicht, ob das Gegengift anschlägt.“ Gegengift. Ihre Wörter drangen zu mir durch, ich nahm sie auf, aber mein Kopf verarbeitete sie nicht. Als würde es eine Sperre geben, die mich von sämtlichen Emotionen abschirmte. Ich starrte die Frau an und sah doch durch sie hindurch. Sie erwiderte meinen Blick, wirkte besorgt und schien nicht zu wissen, wie sie mit mir umgehen sollte. Ihr Lächeln war schwacher geworden, trotzdem behielt sie es bei, auch als sie schließlich aufstand. „Du musst erst mal wieder zu Kräften kommen. Vermutlich überfordere ich dich gerade. Ich habe dir eine Suppe gekocht, magst du Suppe?“ Ich gab ihr keine Antwort, war nicht fähig zu sprechen. Sie wartete trotzdem noch einen Moment ab, ehe sie mir noch einmal zulächelte und aus dem Raum verschwand. Ich wusste, dass ich nun mit ihm allein war, müsste nur meinen Kopf drehen, um ihn sehen zu können. Ich spürte einen ganz leichten, minimalistischen Anflug von Unheimlichkeit, doch das Gefühl schwand, noch ehe ich es richtig deuten konnte, und wurde durch Gleichgültigkeit ersetzt. Monoton blicke ich vor mich hin, bis die Frau nach wenigen Minuten wieder zurück ins Wohnzimmer kam und eine dampfende Tasse bei sich trug. Mit einem kleinen Abstand stoppte sie vor mir, wollte mir das Gefäß schon übergeben, als sie jedoch umdisponierte. „Am besten ist es, wenn du dich aufsetzt“, schlug sie vor und behäbig folgte ich ihrer Anweisung. Wie eine Maschine, der ein Befehl erteilt wurde. Ich kauerte mich in die Ecke des Sofas, zog meine zugedeckten Beine an und nahm ihr die Suppe ab. „Ich bin keine besonders gute Köchin“, lächelte sie entschuldigend, „aber vielleicht schmeckt es ja trotzdem.“ Die Tasse mit dem heißen Inhalt wärmte meine Hände, die ich fest darum geschlungen hatte. Die Brühe war klar, vereinzelt schwammen ein paar Gemüsestücke darin herum. Weil mein Hals sich regelrecht nach Flüssigkeit sehnte, nippte ich daran und verbrannte mir prompt die Zunge, was ich mir nicht anmerken ließ. Auch den furchtbar faden Geschmack behielt ich für mich und starrte stattdessen auf die flüssige Oberfläche, bis mein Blick auf meine rechte Hand fiel, auf dessen Rückseite ein Pflaster klebte. Tausend Fragen kamen in mir hoch, und doch interessierte mich keine einzige Antwort darauf. „Es war das Amulett“, meinte plötzlich eine männliche, gedämpfte Stimme, die mich kurz aufschauen ließ. Es war der Arzt aus dem Krankenhaus, Edwards Vater, Dr. Cullen. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass er den Raum betreten hatte. Mit Absicht schien er den Abstand zu mir groß zu halten, als er langsam auf uns zugelaufen kam und sich hinter den Sessel, auf den sich Mrs. Cullen gesetzt hatte, stellte. „Im Stab in der Mitte war hochkonzentriertes Gift“, sprach er weiter. Das Amulett. Ich senkte meinen Kopf und fühlte mich, als hätte ich einen dumpfen Schlag bekommen. „Der Anhänger ist wie geschaffen für dich, geradezu wie für dich angefertigt. Er wird dich beeinflussen, sodass du keine Angst mehr vor Edward Cullen haben musst.“ Abwertend atmete ich durch und hasste mich für meine Dummheit selbst. So etwas konnte nur so jemandem wie mir passieren. Nur ich war erbärmlich genug, um darauf reinzufallen. Armselig wie ich war, hatte ich mich an so etwas Utopisches, an so etwas Absurdes geklammert, dass mich jemand mögen könnte. Mich. Jemand mögen. Wie irrsinnig das war, wurde mir erst jetzt bewusst. Ich hasste mich dafür, empfand nichts als Abscheu für mich. „Es war das Öl einer uralten, ägyptischen Pflanze“, ergänzte Dr. Cullen ruhig. „Falscher Jasmin.“ Falscher Jasmin. „Du duftest nach Jasmin, Isabella …“ Ich schloss meine Augen. Spürte die Erinnerungen, die sich wie Nadelspitzen in mein Fleisch bohrten. Hätte ich nicht diese Dumpfheit, die mich umgab, wäre ich vermutlich zusammengebrochen. „Es ist nicht leicht, das richtige Gift zu identifizieren. Sowas kann oftmals Stunden, Tage, vielleicht sogar Wochen andauern. Die Symptomatik ist oftmals dieselbe und man braucht einen Anhaltspunkt, um nach dem entsprechenden Gift zu suchen. Wir haben es Alice zu verdanken … Sie hatte da den richtigen … Riecher.“ Ich hörte Dr. Cullen zu, und irgendwie auch nicht. Was er sagte, klang rätselhaft, genauso rätselhaft, wie eigentlich alles war. Rätsel, die ich in diesem Moment einfach nicht lösen wollte. „Ich habe vorhin deine Blutergebnisse erhalten. Wie es aussieht, hat deine Leber keinen größeren Schaden erlitten. Du solltest in nächster Zeit aber trotzdem noch eine gewisse Diät einhalten, damit sich deine Leber wieder vollkommen regenerieren kann. Wenn du möchtest, kann ich dir nachher einen Plan dafür ausdrucken.“ Ein leichtes Nicken, mehr brachte ich nicht zustande. Ich wusste nicht einmal, weshalb ich überhaupt genickt hatte, da mir eigentlich alles egal war. Ich starrte auf die Oberfläche der Suppe, verfolgte die kleinen aufsteigenden Rauchschwaden, die sich grazil in die Luft erhoben und sich dort letztendlich ineinander verwirbelten. Dieser Anblick hielt mich eine lange Weile gefangen, bis die Temperatur der Flüssigkeit leider so weit abkühlte, dass keine Rauchschwaden mehr kamen. Stille war eingekehrt, niemand schien sich mehr zu trauen, etwas sagen. Ich wünschte mir, ich wäre allein, wünschte mir, dass ich ihre Blicke nicht auf mir spüren müsste. Wünschte mir, das alles wäre nicht passiert, auch wenn ich zugleich wusste, dass es nichts in der Welt gab, was das rückgängig machen könnte. Vorsichtig schielte ich über den Rand meiner Tasse hinaus. Edward hatte an seiner Position nichts verändert. Seine Arme hingen schlaff an seinem Körper hinab, sein Blick ging nach draußen. Noch niemals hatte ich gewagt, ihn solange anzusehen. Auch jetzt tat ich das nur sehr vorsichtig, aber selbst das wäre in der Vergangenheit nahezu undenkbar gewesen. Er trug einen grauen, kaschmirartigen Pullover, eine legere, dunkelblaue Jeans und schwarze Schuhe. Hätte man mich gefragt, welche Art von Klamotten er für gewöhnlich trug, so hätte ich bis zu diesem Moment keine Antwort darauf geben können, wurde es mir bewusst. Irgendwie krank, wenn man bedachte, dass er seit Wochen die Hauptrolle in meinem Leben spielte. Er senkte seinen Kopf, neigte ihn wenige Millimeter in meine Richtung, hielt kurz inne, ehe er mich über seine Schulter hinweg aus dem Augenwinkel heraus ansah. Dieser plötzliche Blickkontakt erschreckte mich und bereits nach zwei Sekunden senkte ich schnell meinen Blick, weil mir die Erinnerungen an seine pechschwarzen Augen ins Gedächtnis schossen. So furchterregend, so angsteinflößend. Erneut trat ein Schweigen ein in dem ich hin und wieder an der beinah geschmacksneutralen Brühe nippte. Ich hatte das Gefühl, dass es meinem Magen gut tat. Die Stimmung war bedrückt, nahezu unerträglich beklemmend. Es war mir unangenehm, hier zu sein. Nach einiger Zeit kam aus Edwards Richtung ein sehr ernüchtert klingender Laut, was seine Eltern dazu veranlasste, zu ihm zu sehen. Es war komisch. Für einen Moment wirkte es wie ein kurzer, stiller Dialog, den sie untereinander führten, bis wie aus dem Nichts Geräusche aus einer komplett anderen Richtung herrührten. Eigenartigerweise überraschten die Geräusche niemanden außer mir. Es war fast so, als hätten alle Anderen damit gerechnet. In der Entfernung wurde eine Tür geöffnet und geschlossen, Schritte näherten sich. Und dann kamen auf einmal dieser braunhaarige Riese und die blonde Schönheit um die Ecke. Emmett und Rosalie Cullen. Ihre Kleidung war verdreckt, ihre Schuhe durchnässt und hinterließen feuchte Spuren auf dem vermutlich teuren Parkett. Doch Esme schien das nicht zu stören. Während die Blondine nur einen abwertenden Blick für mich übrig hatte, wirkte der Wikinger-Typ fast schon erfreut, mich zu sehen. Doch sein Lächeln hielt nicht lange an. Und mir fiel auf, dass alle bis auf Edward angespannt in seine Richtung sahen. Langsam, so als brächte er schlechte Nachrichten, schüttelte Emmett seinen Kopf. „Wir waren bis in den Bergen, aber dort haben wir seine Spur verloren. Es ist mir ein verdammtes Rätsel, wie er das in seinem Zustand geschafft hat.“ Berge? Ich begriff nicht, worum es ging. Hier gab es hunderte von Meilen keine Berge in der Nähe. Sowohl die braunhaarige Frau als auch Dr. Cullen nahmen einen tiefen Atemzug. Wirkten beide gleichermaßen ihrer Hoffnungen - welche auch immer das gewesen waren - beraubt. „Ihr dürft nicht vergessen, wie alt er ist“, seufzte Dr. Cullen schließlich. „Er hat sehr viel Kraft und ist reich an Erfahrungen. Wir haben Phinnaeus einfach komplett unterschätzt.“ Phinnaeus. Fynn. Der Name durchzuckte mich wie ein Stromschlag. Ich spürte seinen dreckigen Atem auf meiner Haut, seine Lippen auf meinen. Seine groben Hände auf meinem Körper. Sein Gewicht, das auf mir lastete. Ich begann schneller zu Atmen, schloss meine Augen und versuchte all diese schrecklichen Dinge abzuschütteln. „Liebes“, hörte ich Esme sagen, während ich innerlich mit meinen unkontrollierbaren körperlichen Reaktionen kämpfte. Ich presste meine Lider förmlich zusammen, wollte die Bilder damit auf Ewigkeiten verbannen. Sie sollten raus aus meinem Kopf. Ich wollte sie nicht sehen, mich nie wieder daran erinnern, dieses Erlebnis nie wieder spüren müssen. Gerade, als ich allmählich Erfolg damit hatte und die Projizierungen in meinem Kopf immer dunkler und schwärzer wurden, spürte ich auf einmal eine Hand auf meinem Arm, die mich augenblicklich zusammenfahren ließ. Esme, die der Besitzer derer war, zuckte aufgrund meiner Reaktion ebenfalls zusammen und zog ihre Hand schnell wieder zurück. Unbeholfen wollte sie sich mit ihrem Blick bei mir entschuldigen und das so intensiv, dass ich mich meiner vollkommenen Überreaktion schämte. Trotzdem kauerte ich mich fester zusammen, zog meine Beine noch mehr an meinen Oberkörper. Die Suppe war bei meinem Zucken übergeschwappt und auf die Fleece-Decke getropft, was mein ohnehin schon mieses Gefühl noch einmal ansteigen ließ. „Das macht doch nichts“, winkte Esme ab, als sie mich die Decke mustern sah. Sie war durch den Wind, auch wenn sie versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen. Mir hingegen war dieser Vorfall einfach nur ungeheuer peinlich. Alle Blicke ruhten auf mir, ich fühlte mich wie ein Außerirdischer, der fünf Beine und drei Köpfe hatte. Noch nie konnte mich jemand verstehen oder meine Handlungsweisen nachvollziehen. Dieses Gefühl war mir also bestens vertraut, trotzdem tat es jedes Mal aufs Neue weh. Ich starrte vor mich hin und wünschte mir, nicht hier zu sein. Wünschte mir, ich wäre allein. Ruhe kehrte ein und nach einigen Minuten stand Carlisle auf. „Lasst uns hoch in mein Arbeitszimmer gehen“, sagte er an Emmett und Rosalie gerichtet, die ihm daraufhin wortlos nach oben folgten. Meine Taubheit kehrte allmählich zurück, ließ mich die Situation ein bisschen verdrängen und mich besser fühlen. Ich wusste nicht woher, aber mit einem Mal hörte ich die Stimme meiner Mutter summen. War es anfangs noch ganz leise, so nahm es nach einer Weile immer mehr Deutlichkeit an, so als würde sie direkt neben mir sitzen. (Bettina Wegener – Sind so kleine Hände http://www.youtube.com/watch?v=v5e9k1t0e_g ) Ich kannte die Melodie, kannte sie in-und auswendig, auch wenn es lange her ist, dass ich sie zum letzten Mal gehört hatte. Als ich noch kleiner war, hatte mich meine Mom jeden Abend mit diesem Lied in den Schlaf gesungen. Damals war ich noch zu jung, um den Sinn dieser Worte zu verstehen; ich begriff sie erst, als ich älter wurde. Irgendwann hatte Renée dann einfach aufgehört, es für mich zu singen. Meinte, ich wäre zu alt dafür und müsse selbstständig einschlafen. Aber in diesem Moment hörte ich ihre Stimme so klar, als hätte sie es noch gestern Abend für mich gesungen. Sah ihren Blick, wenn sie mich zudeckte. Fühlte mich wie das kleine Mädchen, das unter die Bettdecke kroch und die Schönheit seiner Mutter bewunderte. Die Atmosphäre so friedlich, so voller Liebe. Ich spürte den Kuss auf meiner Stirn, bevor sie aufstand und zu meinem Vater ging, der wie jeden Abend im Türrahmen stand und uns beobachtete. Er legte seinen Arm um meine Mutter und gemeinsam sahen sie mich noch für einen Moment mit einem Lächeln an, ehe sie die Tür schlossen und es dunkel wurde. Ein Stück heile Welt, das mit der Dunkelheit verschwand. Denn ich war nicht das kleine Mädchen, das anschließend sein Kuscheltier fest umklammerte und friedlich einschlummerte. Ich war meilenweit davon entfernt. Diese Welt gab es nicht mehr, würde es niemals mehr geben. Ich verstand nicht, wie sich alles derart ändern konnte, verstand nicht, wie ich von dort jemals hier landen konnte. Verstand nicht, warum mein Mutter nicht bei mir war, wo ich mir doch jetzt nichts sehnlicher wünschte, als von ihr in den Arm genommen zu werden. Ohne es bemerkt zu haben, war mir eine vereinzelte Träne über die Wange gelaufen, und als ich deren feuchte Spur spürte, wischte ich sie mit samt den Erinnerungen weg. Eine Frage drängte sich mir auf, die ich mich nicht zu stellen wagte. Ich wollte wissen, wo mein Dad war und wie es ihm ging… ob er noch lebte. Aber diese Worte kamen nicht über meine Lippen, zu sehr fürchtete ich mich vor der Antwort. Wenn es ihm nicht gut ginge, dann würde ich den letzten Halt verlieren. „Darf ich mich zu dir setzen?“ Ich sah auf, blickte in die Augen von Esme, die so voller Sorge erschienen, dass es mir nahezu wehtat. Es war zu überzeugend für Schauspielerei und gleichzeitig zu irreal, als dass sie es ernst meinen könnte. Ich nickte und sie setzte sich zu meinen Füßen an den Rand des Sofas. Ich sah an ihr vorbei, erkannte hinter ihr Edward, der ein bisschen näher gekommen war, aber immer noch Abstand hielt. Sein Blick war nicht mehr nach draußen gerichtet, er hatte sich mir zugewandt und sah mich geradewegs an. Sein Gesichtsausdruck und seine Augen wirkten mitleidig, voller Reue und beinah gequält. Er wirkte so anders als der Edward, der mich jede Nacht in meinen Träumen verfolgte, anders als der, der mich töten wollte. Ich verstand das alles nicht, war komplett überfordert. „Wir können uns nur annähernd vorstellen, was du durchmachen musstest“, begann Esme und bekam meine Aufmerksamkeit, insofern ich zu dieser überhaupt fähig war. Ich senkte meinen Kopf. War mir nicht sicher, ob ich hören wollte, was sie mir zu sagen hatte. „Wir haben die Situation zwar gesehen, aber es ist etwas anderes, sie selbst erlebt zu haben. Und auch wenn mir in meinem Leben selbst schon viele schreckliche Dinge widerfahren sind, so wäre es doch vermessen, zu sagen, dass ich nachempfinden kann, wie du dich fühlst. Ich kann es mir nur in etwa ausmalen … und was ich mir ausmale, ist die Hölle.“ Ihre mit Bedacht gewählten Worte gingen mir nah, obwohl ich nicht wollte, dass sie dies taten. Trotzdem konnte ich nichts dagegen tun. Ich wünschte mir, sie würde aufhören zu sprechen. Ich schämte mich für das, was passiert war. Schämte mich, hier zu sein. Schämte mich für alles. „Aber weißt du, was ganz wichtig dabei ist und was ich dir ohne Zweifel versichern kann?“, fragte sie, woraufhin ich ohne sie anzusehen langsam meinen Kopf schüttelte. „Dass du dir nicht die Schuld daran gibst, Isabella. Das darfst du unter keinen Umständen, um nichts in der Welt tun. Und weißt du, warum? Weil es nicht deine Schuld ist. Absolut nicht. Du kannst nichts dafür. Das musst du dir immer wieder sagen.“ Es war nicht meine Schuld? Wessen sollte es denn dann gewesen sein. Natürlich war es meine Schuld. Niemand außer mir war schuld daran. Hätte ich mich nicht so naiv auf einen völlig Fremden eingelassen, wäre niemals etwas passiert. Jetzt im Nachhinein verstand ich selbst nicht, wie ich so dumm sein konnte. Normalerweise hielt ich vor jedem Menschen lieber einen Schritt zu viel Abstand, als einen zu wenig. Doch auf Fynn war ich einfach zugelaufen, hatte mich selbst geradewegs ins Verderben gestürzt. Wie konnte ich mir unter Anbetracht dieser Dummheit nicht die Schuld daran geben? Mich für meine Leichtgläubigkeit nicht hassen? All die Jahre wusste ich, dass ich nirgends dazugehörte, dass niemand etwas mit mir zu tun haben wollte. Und dann kam auf einmal jemand, der das Gegenteil behauptete, und anstatt skeptisch zu sein, hatte ich ihn mit offenen Armen empfangen, ihn zu dieser Tat vielleicht sogar noch animiert. „Manche Menschen sind einfach schlecht“, fuhr sie fort, nachdem sie vergeblich auf ein Nicken gewartet hatte. „Dafür kann niemand etwas, und du schon gar nicht.“ „Außerdem“, fing sie neu an, richtete ihren Blick kurz auf ihre Hände, die sie auf dem Schoß liegen hatte, „bist du nicht die Einzige, die von Phinnaeus getäuscht worden ist.“ „Wir kennen ihn schon seit einer Weile“, gab sie leise zu, was ihr offenbar nicht leicht über die Lippen ging. „Allerdings hatten wir ihn als netten jungen Mann kennengelernt, genau wie du auch. Niemals hätten wir uns auch nur in unseren kühnsten Albträumen ausgemalt, wer oder was tatsächlich hinter dieser vermeintlich freundlichen Fassade steckt. Er hat uns ebenso hinters Licht geführt wie dich.“ Sie atmete tief durch, schien zu überlegen, wie sie ihre nächsten Sätze formulieren sollte. „Weißt du, Isabella …. Es ist nur sehr schwer zu beschreiben … aber Phinnaeus hat eine Art Aura um sich herum, eine Art Talent. Er kann die Leute glauben lassen, was er möchte, dass sie glauben.“ Meine Stirn legte sich in Falten, glich der eines trotzigen Kindes. Was meinte sie mit Aura und Talent? Es war mehr als verwunderlich, was sie behauptete. Auch wenn ich, obwohl alle irdischen Instinkte in mir augenblicklich versuchten, zu widersprechen, nicht gegenargumentieren konnte. Dieser Strudel, wenn er mich angesehen hatte, dieses Gefühl, als würde er meine Gedanken verwirbeln, bis ich selbst nicht mehr wusste, was ich eigentlich wollte. Irgendetwas war immer sehr seltsam an ihm gewesen, das konnte ich nicht abstreiten. Trotzdem hatte ich mich viel zu leicht von ihm verleiten lassen, viel zu sehr von der Hoffnung verlocken lassen, jemand würde sich für mich und mein erbärmliches Leben interessieren. Vielleicht war er wirklich begabt darin, andere Menschen zu manipulieren. Aber das änderte nichts an Letzterem, an meiner Leichtsinnigkeit. „Das muss sich total verwirrend für dich anhören“, sprach Esme weiter. „Ich wünschte, ich könnte es dir plausibler erklären – aber das kann ich leider nicht.“ Bedauernd sah sie mich eine Weile an. „Wir bereuen es alle zutiefst, dass wir selbst auf ihn reingefallen sind, dass wir nicht früher, so wie Edward es wollte, eingeschritten sind. Ich weiß nicht, wie wir diesen Fehler jemals wieder gut machen können. Wir alle machen uns große Vorwürfe.“ Sie machten sich Vorwürfe? Für was denn? Immerhin hatten sie mir mein Leben gerettet, mich von der wahrscheinlich grausamsten Sache, die einem Menschen passieren könnte, bewahrt. Ohne sie wäre ich vermutlich tot. Und auch wenn ich momentan noch nicht wusste, ob ich darüber froh sein sollte, so war diese Tatsache doch keine, die man einfach unter den Teppich kehren konnte. Aber verspürte ich Dankbarkeit? Eigentlich nicht. Diese Dinge gingen zwar durch meinen Kopf, doch es war, als hätte ich keinen Bezug dazu. Als würde ich teilnahmslos einem Film folgen. Trotzdem hatte ich den Drang, etwas dazu zu sagen, doch ich konnte einfach nicht. Kein Wort kam über meine Lippen. „Auch dass er entkommen konnte, macht uns unglaublich zu schaffen“, ergänzte sie. Fynn war entkommen. Nur nach und nach sickerte diese Erkenntnis in mein Bewusstsein. Es war nicht so, dass ich mir bisher Gedanken über sein Verbleiben gemacht hatte, trotzdem hatte ich insgeheim die Hoffnung gehegt, dass er nicht mehr dort draußen frei herumlaufen würde. Doch er tat es. Kam ungestraft davon. War nicht bei der Polizei, im Gefängnis, wo die Welt vor ihm sicher war, sondern könnte gleich morgen erneut mich oder ein anderes Mädchen aufsuchen, das dumm genug war, seinen gelogenen Worten Glauben zu schenken. Hatte Dr. Cullen vorhin von ihm gesprochen? Waren Emmett und Rosalie aufgebrochen, um ihn zu suchen? „Es wird dir wahrscheinlich kein Trost sein …“, begann eine Stimme zu sprechen, die nicht Esme gehörte. Sie war tiefer, männlicher und unverwechselbar melodisch. Auch wenn sie in diesem Moment gebrochener und zugleich hasserfüllter klang, als ich sie jemals zuvor wahrgenommen hatte, so erkannte ich sie sofort. Edward. Ich erschreckte mich. Wagte es nicht, meinen Kopf anzuheben, sondern schielte nur vorsichtig nach oben. Ich war darauf gefasst gewesen, in seine Augen zu blicken, doch wider Erwarten hatte er sich erneut gen Fenster gedreht und sah nach draußen, als er mit zusammengepresstem Mund sprach. „Er läuft zwar immer noch dort draußen herum, aber das, was er dir angetan hat, wird er niemals mehr jemand anderem antun könnten. Er wird nie wieder Menschen täuschen können. Das versichere ich dir.“ Seine Worte waren so voller Gewicht, in ihnen steckte eine unheimliche Aussagekraft, die selbst durch meinen tauben Zustand ein bisschen Angst zu mir durchsickern ließ. Ich wusste nicht, was hinter dieser kryptischen Andeutung steckte. Weder was sie bedeutete noch was er damit meinte. Aber ich spürte, dass etwas Größeres darin verborgen lag. Viel mehr, als er ausgesprochen hatte. Wie sollte es gehen, dass Fynn nie wieder Menschen täuschen konnte? Ich wollte es erfahren, wollte fragen, woher er diese Gewissheit nahm, doch ich traute mich nicht, schaute ihn einfach nur ehrfürchtig an. Aber das Warten war vergebens, Edward redete nicht weiter, schien alles gesagt zu haben, was er zu sagen hatte. Und so kehrte wieder Stille ein. Jeder schien auf seine eigene Weise seinen Gedanken nachzuhängen. Edward tat das, in dem er, ohne auch nur ein einziges Mal seine Haltung zu verändern, in den Garten sah, Esme setzte sich zurück auf den Sessel und schloss ihre Augen, so als wäre sie sehr erschöpft. Ich hingegen starrte auf die die Suppe, die inzwischen kalt geworden war und spürte nichts als Leere in meinem Kopf. Die Erinnerungen, die sich immer wieder einen Weg in mein Bewusstsein bahnen wollten, verdrängte ich. Stunden des Schweigens vergingen, bis allmählich der Morgen anbrach, der den Raum in ein grau- bläuliches Licht tauchte, das immer heller wurde und irgendwann gänzlich die Schatten der Nacht mit sich nahm. Es war der trostloseste Morgen, den ich jemals erlebt hatte. Schritte waren das erste Geräusch, das seit ewig langer Zeit zu hören war. Sie kamen von oben, näherten sich über die Treppe dem Wohnraum, bis schließlich Emmett, Rosalie und mit ein bisschen Verzögerung ein blonder junger Mann zum Vorschein kamen. Letzterer hörte auf den Namen - zumindest soweit ich wusste - Jasper und war der Freund von der kleinen Schwarzhaarigen, die ich, seitdem ich hier war, noch kein einziges Mal gesehen hatte. Jasper würdigte mich keines Blickes, behandelte mich, als wäre ich Abschaum. Wahrscheinlich war ich das in seinen Augen auch. „Na, Isabella?“, sagte der Riese plötzlich und ließ mich in Anbetracht seiner tiefen Stimme zusammenzucken. „So ganz frisch siehst du immer noch nicht aus“, stellte er weiter fest. Seine Erscheinung, sein Auftreten war so angsteinflößend. Das reinste Muskelpaket; bei einem einfachen Handschlag würde er mir wahrscheinlich all meine Finger brechen. Ich wusste ohnehin nie, wie ich mich in der Gegenwart von Männern verhalten sollte, so jemand wie Emmett, der vor Maskulinität nur so strotze, schüchterte mich doppelt ein. Bestimmt nahm er Steroide. „Viel reden tust du auch nicht, was?“, fuhr er fort, nachdem ich nicht geantwortet hatte. „Davon könnten sich gewisse Damen hier in diesem Haus ruhig mal eine Scheibe abschneiden.“ Er grinste verschmitzt. Was jedoch nicht lange anhielt, da Rosalie ihre Augen verdrehte und ihm daraufhin einen ordentlichen Schlag auf die Brust gab. Er rieb sich die Stelle, warf ihr einen gespielt echauffiertem Blick zu und lachte schließlich lauthals. „Brecht ihr wieder auf?“, fragte Esme, woraufhin alle drei mit den Köpfen nickten. Es machte ganz den Anschein, als wollten sie wegen meiner Anwesenheit nicht mehr dazu sagen, was mein Gefühl, dass ich hier fehl am Platz war, erhöhte. „Hier, die Nachricht für Mr. Swan“, kam Dr. Cullen ebenfalls die Treppe hinunter und händigte Emmett einen weißen Zettel aus. Mr. Swan. „Heißt das, Charlie geht es gut?“, kam es wie von einem innerlichen Instinkt getrieben aus mir heraus, woraufhin sämtliche überraschte Blicke auf mir lagen. „Weshalb sollte es ihm nicht gut gehen?“, erkundigte sich Dr. Cullen irritiert. „Ich wünschte nur, ich könnte Cullens Gesicht sehen, wenn er dich findet. Zu schade, dass er nicht dabei sein kann. Aber er ist leider gerade mit anderen Dingen beschäftigt … Angeln, wenn du verstehst, was ich meine“, hallten mir Fynns Worte durch den Kopf, woraufhin ich für einen ganz kurzen Moment zu Edward schielte. „Ich weiß nicht …“, sagte ich leise und durcheinander, wenngleich ich unheimlich erleichtert war, dass Charlie offenbar nichts fehlte. Zumindest, wenn ich Dr. Cullen Glauben schenken konnte. „Legt es so hin, dass er es auf alle Fälle findet. Unten habe ich noch unsere Telefonnummer drauf geschrieben.“ Emmett nickte, faltete den Zettel und steckte ihn anschließend ein. „Okay, dann danke, Jungs“, sagte Dr. Cullen mit einem sehr dankbaren Lächeln. „Keine Ursache“, antwortete Rosalie, leicht angesäuert wegen der vorangegangenen Bezeichnung. Ihr Kommentar brachte Emmett und Carlisle zum Schmunzeln. „Du weißt, wie ich das gemeint habe, Rose“, lächelte der Arzt. „Ja ja, schon gut“, gab sich Rosalie geschlagen, verzog aber dennoch ihr Gesicht, als sie zusammen mit Emmett und Jasper nach draußen ging und verschwand. Das war so eine kleine, unbedeutende Situation, trotzdem strahlte sie etwas ungeheuer Familiäres auf mich aus. Ich beneidete die Cullens für die Familie, die sie hatten, für die Zusammengehörigkeit, die deutlich spürbar im Raum lag. Ich kannte so etwas nicht, hatte so etwas nie erfahren, mir erschien das vollkommen fremd. Und jetzt, wo ich mir nichts sehnlichster wünschte, als irgendeine Form von Halt zu besitzen, wurde es mir bewusster als jemals zuvor in meinem Leben. „Weißt du, wann dein Vater wieder nach Hause kommt?“, riss mich Dr. Cullen aus den Gedanken. Ich zuckte mit den Schultern und sagte dann ganz leise „Dienstag.“ „Heute ist Dienstag, Isabella“, lächelte er. „Ich meinte eher die Uhrzeit.“ Dienstag war heute? Hatte ich seit der Nacht von Samstag auf Sonntag ununterbrochen geschlafen? Ich war geschockt, kam mir auf einmal vor, als hätte ich einen Zeitsprung gemacht. Zwei Tage waren einfach vergangen, ohne dass ich es mitbekommen hatte. Ich war vollkommen vor den Kopf gestoßen, konnte mir diese lange Zeitspanne nicht erklären, da ich sie nicht als solche empfunden hatte. „Vermutlich gegen Abend“, antwortete ich gedämpft, kämpfte immer noch mit der Vorstellung, solange nicht bei Bewusstsein gewesen zu sein. „Dann …“, stammelte ich, „werde ich wohl jetzt langsam gehen“. Es war wie ein innerer Impuls, der mir sagte, ich müsse Zuhause sein, bevor Charlie heimkehrte. Um nichts in der Welt wollte ich ihm erklären müssen, was mir widerfahren war und wie es dazu kam, dass ich bei den Cullens übernachtet hatte. Es war mir viel zu peinlich, um auch nur ein Wort darüber zu verlieren – ganz zu schweigen von den Schuldgefühlen, die sich Charlie machen würde, welche ich wiederum nicht verkraften könnte. Nein, Dad durfte nie erfahren, was in seiner Abwesenheit geschehen war. „Isabella“, zog Dr. Cullen verwirrt seine Augenbrauen zusammen. „Wir sind eigentlich davon ausgegangen, dass wir dich noch ein paar Tage hier behalten werden. Du bist immer noch deutlich angeschlagen und in deinem Zustand solltest du unter ständiger Überwachung stehen.“ Überwachung. Wie grotesk es sich anhörte, wenn diese Worte plötzlich von einem der Cullens laut ausgesprochen wurden. Sie taten doch seit Wochen nichts anderes, als mich zu verfolgen, mir nachzujagen und mich zu überwachen. „Dann haltet ihr mich hier fest …?“, fragte ich mit zittriger Stimme, senkte meinen Kopf und wusste die Antwort eigentlich schon selbst. Niemand half jemand anderem ohne Gegenleistung, das hätte ich eigentlich wissen müssen. Und auch wenn ich keine Ahnung hatte, woraus diese Gegenleistung bestehen sollte, so wurde mir augenblicklich klar, dass ich zwar von dem einem, der mich gefangen gehalten hatte, gerettet wurde, dafür jetzt aber in einem anderen Gefängnis steckte. „Was? – Um Gottes willen, nein, Isabella“, meinte Dr. Cullen bestürzt. „Niemand hält dich hier fest, das würden wir niemals tun. Wir dachten nur, dass es das Beste wäre. Dein Zustand sollte sich erst wieder stabilisieren, bevor wir dich guten Gewissens gehen lassen können. Alles andere wäre verantwortungslos. Nur darum geht es uns.“ Ich konnte kaum glauben, was ich gehört hatte. „Dann haltet ihr mich nicht gefangen?“ „Natürlich nicht“, schüttelte Dr. Cullen seinen Kopf und schien geschockt zu sein, dass ich diese Annahme getätigt hatte. „Ich weiß, Isabella“, fuhr er nach kurzer Zeit besonnen fort, „dass dein Eindruck von uns wahrscheinlich nicht der Beste ist. Und mit Sicherheit hast du auch berechtigte Zweifel daran … Aber ich kann dir versichern, dass wir dir niemals etwas Schlechtes wollten. Keiner von uns.“ Das „keiner“ hatte er so betont, dass kein Zweifel offen blieb, auf wen er damit angespielt hatte. Seine Familie wusste also von dem Vorfall im Wald. Er hatte es ihnen erzählt. Und ich hatte keine Ahnung, ob ich das gut oder schlecht finden sollte. Es hatte etwas Erschreckendes an sich. Mir kamen wieder die Vermutungen in den Sinn, die ich über diese Familie hegte, das Gefühl, dass irgendetwas nicht mit ihnen stimmte. „Ich würde gerne gehen …“, gab ich leise von mir. Dr. Cullen seufzte, schien nicht zu wissen, wie er mich vom Gegenteil überzeugen konnte und fuhr sich mit seiner Hand durch die Haare. „Und wenn du wenigstens noch einen Tag bleibst? Zumindest so lange bis …“, er brach ab und ich bemerkte, wie Esme und er sich besorgte Blicke zuwarfen. „Bis?“, erkundigte ich mich, spürte ich doch, dass sie mir etwas verschweigen wollten. „Nun ja“, seufzte Dr. Cullen widerwillig. „Bis deine äußerlichen Verletzungen, zumindest die offensichtlichen, verheilt sind.“ Wovon sprach er? Ich sah an mir herunter, blickte auf meine Hände, die zwar ein bisschen verkratzt waren, was man aber sicherlich nicht als Verletzungen bezeichnen konnte. Die kleinen Wunden hätte ich mir genauso bei der Gartenarbeit oder sonst wo hinzuziehen können, sie waren der Rede nicht wert. Falls ich noch irgendwo anders am Körper Verletzungen hatte, was ich stark vermutete, da einige Stellen immer wieder schmerzten, dann könnte man diese aufgrund meiner Kleidung nicht sehen. Also wo war das Problem? Ich war verwirrt und die Art, wie sich Dr. Cullen und seine Frau ansahen, verunsicherte mich. „Es kann sein, dass du es wegen der Schmerzmittel, die ich dir gegeben habe, nicht spürst. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, es nichts Schlimmes. Du hast nur ein paar Kratzer im Gesicht“, versuchte er zu beschwichtigen. Meine Hand tastete erschrocken an meine Wange, doch zu meiner Verwunderung konnte ich keine Schürfwunden spüren. Trotzdem war ich alarmiert. „Beruhige dich, es ist wirklich keine Katastrophe. - In ein, zwei Tagen wird man keinerlei Spuren mehr sehen können“, meinte Esme in einem mitleidigen Tonfall, der mir erst recht zu denken gab. „Haben Sie einen Spiegel?“, fragte ich verstört, woraufhin sich das Ehepaar erneut einen betroffenen Blick zuwarf. „Bleib doch erst mal hier und ruh dich noch ein bisschen aus. Es ist wirklich nicht so schlimm, wie du jetzt vielleicht denkst“, bemühte sich die braunhaarige Frau erneut, doch vergebens. Die Andeutungen, die sie bereits getätigt hatten, waren zu viele gewesen. Was stimmte mit meinem Gesicht nicht? Hilfesuchend sah ich die beiden an, ehe Carlisle schließlich seufzte, mit seinen Schultern zuckte und, obwohl es ihm offenbar widerstrebte, nach oben deutete. „Erster Stock, zweite Tür links.“ Ohne noch einmal über mein Vorhaben nachzudenken, schob ich die Decke beiseite und stand auf. Mir wurde leicht schummrig im Kopf und meine Schritte wirkten auf mich, wie die eines Schlafwandlers. Auf den Beinen zu sein verlangte mir mehr ab, als ich es von der sitzenden Position heraus eingeschätzt hatte. Trotzdem begab ich mich zur Treppe und schleppte mich Stufe für Stufe nach oben. Im ersten Stock landete ich in einem geräumigen Flur, suchte nach der zweiten Tür auf der linken Seite und öffnete diese schließlich. Vorsichtig betrat ich das große und edle Badezimmer, das sich dahinter verbarg. Alles glänzte, alles war auf Hochglanz poliert. Jede Fliese schien die noch so kleinste Bewegung sofort zu Reflektieren. Ein Duft von einem gutriechenden Badeschaum lag in der Luft. Ich kam mir vor wie in einem Möbelhaus. Langsam und mit bedächtigen Schritten näherte ich mich über den flauschigen, bordeauxroten Teppich dem großen Waschbecken, über dem ein überdimensionaler Spiegel angebracht war. Ich stellte mich davor, ging für einen Moment tief in mich und blickte schließlich direkt hinein. Was ich sah, ließ mich augenblicklich gefrieren. Ich hatte blaue Striemen an Hals und Gesicht. Dunkelbläulich verfärbte Druckstellen, die in länglichen Formen meine Haut zierten. Sie sahen aus wie ... Abdrücke von Fingern. Wie in einem Zeitraffer blitzten Bilder durch meinen Kopf. Fynns Gesicht direkt über meinem, seine Hände, die mit aller Gewalt mein Gesicht fixierten. Ich spürte es, als würde es in diesem Moment passieren und schloss schnell meine Augen, um diese Erinnerungen nahezu zwanghaft zu verbannen. Am liebsten hätte ich sie mit einem Messer aus meinen Gedanken geschnitten, sie wie ein Stück Papier verbrannt und die Asche für immer verstreut. Ich versuchte, meine Atmung zu regulieren, appellierte immer wieder an mich, tief durchzuatmen. Doch es half nichts, ich spürte die Abdrücke trotz geschlossener Augen, spürte, wie sie entstanden waren. Auch die Erinnerung an meine Hämatome an den Handgelenken, die mir Edward vor einigen Wochen zugefügt hatte, schossen durch meinen Kopf. Es war, als würde es einen Zusammenhang geben. Ein plötzliches Klopfen an der Tür ließ mich regelrecht zusammenfahren. „Ich bin‘s, Alice. Darf ich reinkommen?“, fragte eine hohe Stimme leise. Ich wusste nicht, was ich erwidern sollte, starrte einfach nur auf die verschlossene Tür. Natürlich wollte ich nicht, dass sie oder irgendjemand anderes reinkam, doch meine Lippen bewegten sich einfach nicht, und so öffnete sich vorsichtig die Tür und die zierliche Schwarzhaarige steckte ihren Kopf hinein. Sie lächelte mich an, ehe sie durch den kleinen Spalt zu mir ins Badezimmer schlüpfte und die Tür hinter sich wieder verschloss. Sie begutachte mich kurz, schenkte mir erneut ein Lächeln, als sie auf mich zugelaufen kam und vor mir stoppte. Bedeutungsvoll grinsend hielt sie einen kleinen schwarzen Beutel vor ihre Brust und tippte mit ihrem Finger drauf. „Ich habe meine besten Freunde mitgebracht“, verkündete sie. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie redete; noch dazu war mir ihre Anwesenheit äußerst unangenehm. Sie bemerkte, dass ich ihr nicht folgen konnte und leerte prompt und ohne sich in ihrer leichten Euphorie bremsen zu lassen den Inhalt ihres Täschchens auf dem Rand des Waschbeckens aus. Nacheinander drapierte sie kleine Fläschchen mit bräunlichen Inhalten, Stifte und Puderdosen sorgfältig in einer Reihe. Allesamt Kosmetikartikel, die teuer und edel aussahen und von deren Marken ich teilweise noch nie etwas gehört hatte. Was bei mir aber nicht unbedingt etwas heißen musste. „Glaub mir, ich weiß bestens, wie es ist, mit Haut-Typ 1 gestraft zu sein“, sie verdrehte ihre Augen. „Ich bin sozusagen ein Perfektionist, wenn es ums Schminken geht und vertrau mir, wenn ich mit dir fertig bin, wird man nicht mal mehr den Hauch eines blauen Fleckes sehen.“ Nach wie vor blieb sie vollkommen überzeugt, hingegen ich sie anstarrte, als wäre sie gerade einer Irrenanstalt entsprungen. „Jetzt guck nicht so wie ein Eichhörnchen. Setzt dich auf den Badewannenrand, na los.“ Sie hatte so ein bestimmendes Auftreten, dass ich überhaupt nicht wusste, was ich tun sollte und vollkommen eingeschüchtert war. Nachdem sie drei weitere Male gen Eckbadewanne deutete, folgte ich schließlich etwas überfordert ihrer Anweisung und setzte mich. Sie hatte mich total überrumpelt. Sie stellte sich vor mich, stemmte ihre Hände in die Hüften und musterte mein Gesicht nahezu fachmännisch, als würde sie sich einen Plan zurechtlegen. „Am besten, wir fangen mit einer Grundierung an. Was meinst du?“ Ich … meinte gar nichts. „Schön, dann sind wir uns ja einig“, sagte sie zufrieden und bediente sich an den Fläschchen hinter sich. Aus einer kleinen, dünnen Tube drückte sie eine dickliche, grüne Flüssigkeit auf ein weißes Wattepad, mit dem sie sie sich anschließend meinem Gesicht näherte. Doch als sie nur noch wenige Zentimeter von meiner Haut entfernt war, zuckte ich mit meinem Kopf reflexartig zurück. Überrascht und entschuldigend blickte sie mich an. „Ich möchte dir nichts tun, wirklich nicht“, versicherte sie. Weil ich mir wegen meiner Ängstlichkeit unheimlich blöd vorkam, hielt ich still, als sie es ein zweites Mal versuchte. Doch ich fühlte mich deutlich unwohl dabei und konnte es nur sehr schwer über mich ergehen lassen. Langsam fing sie an, die cremeartige Substanz auf meiner Haut zu verteilen. Was danach folgte, war eine in etwa fünfundvierzigminütige Prozedur, in der sie diese Schritte immer wieder mit anderen Pasten oder Pudern wiederholte. Jede einzelne Vorgehensweise kommentierte sie und versuchte mir zusätzlich Tipps zugeben, wie ich das zukünftig am besten selbst tun könnte. Nicht, dass ich auch nur eine Sekunde ernsthaft zuhörte; ich nahm ihr kontinuierliches Reden eher wie ein monotones Hintergrundgeräusch wahr, ähnlich wie bei einem Radio. Im Prinzip war ich froh, dass sie so viel sprach, denn somit machte sie mir diese Situation nicht noch unangenehmer, als sie es ohnehin schon war. Und zu meinem Glück stellte sie mir weder irgendwelche Fragen noch kam sie auf den Vorfall vom Samstag zu sprechen. Darüber war ich sehr dankbar. Und so schaltete ich einfach ab, starrte ins Leere und wartete, bis sie fertig war. „Jaaa“, meinte sie überlegend, ging ein paar Schritte zurück und betrachtete mich ausgiebig, „ich glaube, so ist es gut.“ Sie grinste und war offenbar stolz auf sich. „Na los, steh schon auf und guck dich an“, drängelte sie eifrig, als könne sie es nicht erwarten, bis ich ihr „Meisterwerk“, wie sie es selbst vorhin bezeichnet hatte, in Augenschein nahm. Also tat ich ihr den Gefallen, stand auf, stellte mich vor den Spiegel und wurde augenblicklich … sprachlos. Ich konnte nicht sagen, dass ich viel erwartet hätte, um genau zu sein, hatte ich eigentlich gar nichts erwartet. Mit einem Makeup, das mir meine Mutter mitgegeben hatte, hatte ich damals versucht, die Blessuren, die mir Edward zugefügt hatte, an meinen Handgelenken zu überdecken. Aber es war vergebens gewesen. Das einzige, was ich damit erreicht hatte, waren schmutzige Pulloverärmel. Doch jetzt, als ich in mein Spiegelbild sah, konnte ich meinen Augen nicht trauen. Es war fast so, als hätte ich mir den Anblick, den ich noch vor einer dreiviertel Stunde betrachtet hatte, nur eingebildet gehabt. Wenn man nicht genau wüsste, wo die Flecken gewesen waren, dann sah man nichts. Es waren nur noch minimale Andeutungen darauf vorhanden, die man zweifelsohne für einfach Schatten halten konnte. Auch an meinem Hals waren die Spuren kaum noch zu erahnen, wenn ich sie zusätzlich mit meinen Haaren verdecken würde, dann waren sie nahezu unsichtbar. Dabei war es nicht mal so, dass meine Haut einen anderen Teint hatte, ich sah genauso aus wie immer, nur vielleicht ein bisschen besser. So würde ich mich definitiv trauen, Charlie über den Weg zu laufen. „Und, was sagst du?“, fragte Alice aufgekratzt, die neben mir stand und zusammen mit mir in den Spiegel blickte. „Es ist toll, oder?“ „Ja“, meinte ich leise, woraufhin sie über ihr ganzes Gesicht strahlte. „Freut mich, dass ich dir helfen konnte.“ „Hier“, griff sie nach einer Tube und einem Puder, welche sie mir anschließend entgegenhielt. „Es sind ja noch ein paar Stunden, bis dein Vater nach Hause kommt. Kann sein, dass du es noch mal auffrischen musst. Einfach auftragen, wie ich es dir gesagt habe.“ Unsicher nahm ich ihr die Utensilien ab, die sie mir regelrecht aufdrängte. „Ich weiß nicht … ob ich das annehmen kann.“ Sie winkte ab. „Ich hab Tonnen von dem Zeug. Du kannst es gerne behalten.“ Ich wollte erneut Widerstand leisten, doch sofort schüttelte sie ihren Kopf und signalisierte mir ganz deutlich, keinerlei Widerrede zu dulden. Weil ich nicht wusste, was ich tun sollte, starrte ich auf die Sachen, die sie mir offenbar schenken wollte. Ich hatte keine Ahnung, warum sie das tat. Um genau zu sein, hatte ich nicht die geringste Vorstellung, warum sie all diese Sachen für mich getan hatten. Sie retteten mich – Warum? Und warum half mir Alice jetzt noch dabei, dass ich halbwegs wie ein normaler Mensch aussah? Warum taten das die Cullen für mich? Ich verstand das alles nicht, meine ganze Welt schien Kopf zu stehen. Verwirrt steckte ich die Kosmetikartikel schließlich vorsichtig in meine Tasche und suchte in meinem Kopf nach irgendwelchen passenden Worten, die ich ihr sagen konnte. „Keine Ursache“, meinte sie plötzlich, woraufhin ich irritiert zu ihr aufsah, da ich noch keinen einzigen Ton von mir gegeben hatte. Sie grinste und tippte sich mit dem Finger gegen ihre Stirn. „Ich hab manchmal so eine Art Intuition. Nichts dabei denken.“ Ich nickte zögerlich, auch wenn ich absolut nicht verstand, was sie damit gemeint hatte. Wortlos standen wir uns noch für einen Moment gegenüber. Ich wusste weder, wo ich hinsehen noch was ich sagen sollte. Nach kurzer Zeit entschied ich mich zu gehen, nickte ihr schüchtern zu und wollte mich schon wegdrehen, als sie mich auf einmal aufhielt. „Isabella“, begann sie und suchte anscheinend nach einer passenden Formulierung, während ich innehielt und sie irritiert ansah. Sie seufzte. „Ehrlich gesagt weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Wahrscheinlich gibt das für dich alles keinen Sinn. Und ich kann so gut verstehen, wenn du keine Minute mehr länger hier bleiben möchtest. Wir müssen wie Monster auf dich wirken und du hast guten Grund, uns keinen Millimeter zu trauen. „Aber weißt du, wir wollen dir nichts Schlechtes. Das wollten wir niemals. Auch Edward beziehungsweise gerade Edward nicht. Manchmal lernt man Leute einfach auf dem falschen Fuß kennen.“ Sie machte eine kurze Pause. „Du musst gar nichts dazu sagen, wahrscheinlich kannst du das auch nicht. Das Ganze wird dich komplett überfordern. Alles, was ich möchte, ist, dass du darüber nachdenkst, Isabella. Der erste Eindruck muss nicht immer der richtige sein.“ Sie hatte Recht, ich konnte dazu nichts sagen. Aber ihre Worte waren mit Sicherheit zu mir durchgesickert, auch wenn ich noch nicht wusste, was ich mit ihnen anfangen sollte. „Das wollte ich nur loswerden, entschuldige bitte“, lächelte mich die Schwarzhaarige verhalten an. Ich nickte nach ein paar Sekunden, ehe ich mich ihrer Geste folgend aus dem Badezimmer begab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)