Immer wieder, noch einmal. von Norden ([TAITO & JOMATO]) ================================================================================ Kapitel 5: Der Junge und das Happy End? --------------------------------------- Wir nähern uns dem Ende. Ich danke allen, die so lange dabei waren und vor allem denen, die mir einen Kommentar mit ihrer Meinung hinterlassen haben. Da ich mich nicht sonderlich mit den Animexx-Gepflogenheiten auskenne, weiß ich nicht, wie man es hier mit der Beantwortung der Kommentare hält, aber ich lese sie immer voller Freude. Die Widmung geht dieses Mal an , die mir als Beta-Leserin zur Seite stand. 5. Kapitel - The boy and the happy ending? „Was tust du da?“ „Aufräumen. Hast du dich hier mal umgesehen?“ Takeru gab nur einen abfälliges „Tz“ von sich und schob sich an Yamato und dem Wäscheberg vorbei, mit dem sein Bruder gerade kämpfte. „Ich hab dich vorgewarnt! Außerdem tu ich dir einen Gefallen damit, dass ich dich mit mir in dieser winzigen Bude wohnen lasse.“ Dieses Mal war es Yamato, der einen abfälligen Laut in den Raum warf und dem anderen Mann dabei einen bösen Blick schenkte. „Ich bin dein Bruder und habe dich quasi aufgezogen. Du MUSST mich bei dir wohnen lassen.“ Nicht, dass Yamato Takeru diese abweisende und unkameradschaftliche Attitüde abnahm, aber dennoch musste er ihm ja klarmachen, wer hier wem untergeordnet war. Obwohl, eigentlich waren bei ihnen die Machtverhältnisse glasklar verteilt. Es war recht offensichtlich, wie einfach Takeru seinen Bruder um den kleinen Finger wickeln konnte, indem er ihm einfach nur eines seiner berühmt berüchtigten Lächeln schenkte. Ja, Yamato war auf seine alten Tage weich geworden. „Vielleicht, aber trotzdem ist es umständlich. Die Bude ist viel zu klein und was soll ich den Mädels sagen?“ Yamatos Kopf schnellte herum und der Blick der tiefblauen Augen durchlöcherte böse den breiten Rücken des Jüngeren, den dieser gerade von seinem T-Shirt befreite. „Mädels?“, fragte er skeptisch, unsicher darüber, wie er mit irgendeiner Form von Antwort Takerus umgehen sollte. Irgendwo ahnte er ja auch schon, wie sein Babybruder seine ‚Männlichkeit auslebte‘. Es war irgendwie logisch, dass jemand mit diesem Aussehen sich nicht an die Erstbeste binden wollte. Trotz allem bescherte dieser Gedanke Yamato Übelkeit. „Stell dich nicht dümmer, als du bist, Yama! Hast du mich mal angesehen?“ Nun er tat es in diesem Moment und erschrak etwas über den sehr ansehnlichen und vor allem nackten Oberkörper, mit dem sein Bruder gerade vor ihm posierte. Vor Schreck über diesen Anblick warf Yamato ein dreckiges T-Shirt nach dem Jüngeren, gezielt in dessen Gesicht. Natürlich wollte er stolz auf seinen gut aussehenden Bruder sein, aber alles, was dann weiter in eine auch nur ansatzweise verdorbene Richtung führte, ging einfach zu weit. „Zieh dir was an, du Idiot!“ Grummelnd drehte sich der Ältere wieder der Wäsche zu, innerlich eine Hand gegen seine Stirn schlagend. Takeru hatte die gleiche Arroganz entwickelt, die ihm in seiner Jugend so manches Mal zum Verhängnis geworden war. Oder immer noch wurde. „Tu nicht so! Ich weiß genau, dass du genauso bist, wie ich! Du weißt auch genau, wie dir alle Männer hinterher rennen und mit dir ins Bett wollen und das hast du früher auch definitiv ausgenutzt.“ Früher? Yamato stockte in seiner Tätigkeit und ließ ein wenig den Kopf hängen. Er hatte Takeru gegenüber kein Wort über die Gründe für seinen Auszug verloren und plante auch nicht dies zu ändern. Er wollte sich gar nicht ausmalen, wie sein kleiner Bruder über ihn denken würde, erzählte er ihm von seinen Machenschaften. So gesehen war es wirklich Takeru, der intelligenter und erwachsener handelte. Immerhin ließ er sich auf keine feste Beziehung ein, weil er eben dies noch nicht als den richtigen Weg für sich betrachtete. „Yama? Alles OK?“ Erst durch Takerus Stimme wurde er wieder aus seiner Starre gerissen. Der Jüngere hockte nun direkt neben ihm und beobachtete ihn mit einer Mischung aus Sorge und Skepsis im Blick. Nun ja, er war ja auch nicht dumm und konnte sich wohl denken, dass irgendetwas zwischen seinem Bruder und Jõ vorgefallen war, wenn Erster plötzlich vor seiner Tür auftauchte und bei ihm einziehen wollte. „Ja, ja.“ Yamato erhob sich flink und griff den bereits sortierten Wäschekorb, den er bis zur Wand transportierte, dort abstellte und anschließend das Bad anpeilte. „Ich gehe duschen.“ -- Es war nicht so, dass Yamato es seinem kleinen Bruder verübeln konnte, wie dieser sich um ihn sorgte und nach seinem Befinden erkundigte und dennoch zwang seine andauernde Fragerei Yamato dazu rasch das Weite zu suchen. Er verbrachte die meiste Zeit in der Stadt, im Park, im nächsten Coffeeshop und wenn er dann einmal heimkam, machte er Takeru sein Abendessen und zog sich anschließend mit einem Buch zurück. Ein Verhalten, das Takerus Unruhe weiter anstachelte. Auch dies war etwas, das Yamato nicht verwunderte, bedachte er denn, wie auffällig er seinem geliebten Bruder aus dem Weg ging – von Jõs ausbleibenden Anrufen einmal abgesehen. Natürlich wurde Takerus Misstrauen durch die Abwesenheit des Arztes aus Yamatos Leben nur noch verstärkt. So ergab es sich wohl auch, dass der jüngere der Brüder Yamato eines frühen Abends vor der Wohnungstür abfing und ihn zielstrebig zurück ins Innere des winzigen Wohnraums führte. „Wir müssen reden.“ Womit Yamato zwar gerechnet hatte, nun aber trotzdem nicht so recht wusste, wie er auf die Situation eingehen sollte. War es an der Zeit mit der Wahrheit herauszurücken oder konnte er ein weiteres Mal ausweichen? Anlügen würde er ihn nicht, so viel stand für Yamato fest. Vielleicht log er seine Freunde an, seinen Partner und maximal noch seine Mutter, aber niemals würde er etwas zwischen sich und Takeru bringen. Niemals und aus keinem Grund der Welt. „Ich habe mit Jõ gesprochen.“ „Du hast was?!“ Egal, welche Erklärungen sich Yamato auch auf die Schnelle im Kopf zurecht gelegt hatte, sie waren in diesem Moment alle wie ausgelöscht. Es war definitiv überraschend, dass sich Takeru in seine Probleme einmischte und sogar Jõ aufgesucht hatte. War er zu ihrer Wohnung gegangen oder – „Ich war mit ihm in der Mittagspause etwas essen und habe ihn gefragt, was los ist.“ Yamato wollte gerade schon zu seiner eigenen Verteidigung ansetzen, als Takeru einfach fortfuhr. Der Jüngere ließ sich mit einem frustrierten Grunzen auf sein Futon fallen und verschränkte die Arme vor der Brust. „Natürlich wollte er mir nichts sagen. Du kennst ihn ja.“ „Du hattest auch kein Recht dazu dich in meine Angelegenheiten einzumischen.“ Und Yamato dankte Jõs bedächtigem Verhalten einmal mehr. Es trieb ihm fast schon die Tränen in die Augen, wie sehr sein Partner selbst knapp vor dem Zerbrechen ihrer Beziehung noch versuchte ihn zu schützen – sogar vor seinem eigenen Bruder. Jõ musste gewusst haben, wie viel Yamato daran lag Takeru nicht in ihre Probleme hineinzuziehen. „Auf jeden Fall meinte ich, dass ihr euch vertragen müsst und er im Notfall auf dich zukommen soll, egal, was du schon wieder angestellt hast.“ „Wieso bin ich in deinen Augen so offensichtlich der Schuldige?“ Etwas, was zwar gar nicht von Yamatos Interesse war, ihn aber dennoch wurmte und einer Aussprache bedurfte. Takeru sollte ihm diese Aussprache nicht genehmigen, fuhr er einfach fort ohne dabei auf seinen Bruder einzugehen. „Jõ meinte, ihr hättet euch nicht gestritten. Er denkt, dass du etwas Abstand brauchst und“, er zögerte und blickte weg von der gegenüberliegenden Wand, in Yamatos Richtung. „du unglücklich seist. Er hat gefragt, wie es dir geht und ob du ordentlich isst.“ Wie konnte Jõ sich noch immer so um ihn sorgen? Wieso drehte er die Geschichte und stellte nun Yamato an die Stelle des Opfers? Anstatt einer wörtlichen Reaktion verließ ein unerwartetes Schluchzen die Kehle des älteren Mannes, welches nicht nur ihm, sondern auch Takeru einen kleinen Schrecken einjagte. Der Jüngere eilte sofort an Yamatos Seite, als sich dieser geschafft an der Zimmerwand herabsinken ließ und verzweifelt versuchte seine Tränen von den Wangen zu wischen, diese vor seinem Bruder zu verstecken. Yamato konnte es nicht in Worte fassen, wie unangenehm es ihm war, vor Takeru zu weinen und trotzdem krallte er sich sofort in die Umarmung, die dieser ihm aufzwang. Sobald sein Gesicht im Verborgenen lag, ließ Yamato auch seinen Tränen freien Lauf. Vielleicht hatte er es gebraucht seinen Emotionen mal ungebremsten Lauf zu lassen. Vielleicht brachen nun endlich all seine Ungewissheit und Trauer, seine Ängste und die brennende Wut aus ihm raus. Eine Weile saßen sie einfach nur so da und hielten einander fest. Ab und an spürte Yamato die Hand seines Bruders in seinem Haar und gedachte zu Beginn noch sie von sich zu schieben, ergab sich aber schnell der sanften Geste. So sehr er sich auch gegen Takerus Schutz zu wehren versuchte – immerhin war er der Ältere und Stärkere von ihnen - musste sich Yamato eingestehen, wie sehr ihn die feste Umarmung beruhigte. Vielleicht hätte er seine Verzweiflung ohne Takeru niemals raus lassen können und wäre an ihr erstickt. Sobald er sich ein wenig beruhigt hatte, schob Yamato den Jüngeren, noch immer leise schluchzend, von sich und schenkte ihm ein trauriges Lächeln. Er schämte sich für seinen Ausbruch und dennoch fühlte er sich ein wenig befreiter. Takeru musste nicht einmal etwas zu ihm sagen, damit Yamato endlich zu erklären begann. „Ich bin ausgezogen, weil ich nicht mehr sicher bin, ob ich bei Jõ bleiben will.“ Takeru schien jeglichen Missmut über diese Aussage hinunter zu schlucken und nickte nur leicht. „Um genau zu sein“, Yamato seufzte und wandte den Blick aus Takerus aufmerksamen, dunkelblauen Augen ab. Er konnte ihm bei diesem Geständnis nicht ins Gesicht sehen. „war ich mir noch nie so sicher, ob ich das alles will, was ich überhaupt will und von wem. Natürlich war das immer recht hart für mich, aber derjenige, der leiden musste, war immer nur Jõ. Wegen meiner Unsicherheit und Unzufriedenheit habe ich ihn betrogen.“ Er unterdrückte einen weiteren Ausbruch seiner Gefühle und Tränen. „Da ist ein anderer Mann und auch wegen ihm weiß ich einfach nicht weiter.“ -- Wie lange sie noch so da gesessen und geredet hatten, wusste Yamato später des Abends nicht mehr. Takeru war irgendwann zum Training gegangen und er an Ort und Stelle verharrt. Wo hätte er auch hingehen sollen? Er wollte niemanden sehen, mit niemandem mehr sprechen. Er hatte genug gesagt und schlussendlich war es an ihm, endlich eine Entscheidung zu treffen. Natürlich hatte Takeru ihn nicht verurteilt oder ihm Vorwürfe gemacht. Es war nicht an ihm zu urteilen und zu handeln. Es war an Yamato. Niemand sonst konnte über ihn und seine Zukunft richten und niemand seiner Freunde und auch nicht seine Familie würden ihm diese Aufgabe abnehmen können. Niemand konnte ihn vor dem Schmerz bewahren, den er sich selbst und auch den Anderen zu fügen würde, die er in diese Misère hinein gezogen hatte. Wenn er auch keine Hilfe bei Takeru hatte finden können, so war zumindest Yamatos Kopf so klar wie lange schon nicht mehr. Er konnte wieder denken, sich selbst sehen und dazu aufraffen zu handeln. Wie lange wollte er sich noch verstecken und den eigenen Gefühlen aus dem Weg gehen? Wie lange verdrängte er nun schon seine Sehnsucht nach Jõ, nach seinem Schutz und der Ruhe ihrer gemeinsamen Wohnung? Wie viele Nächte hatte ihn Taichis Antlitz vor den geschlossenen Augen nicht schlafen lassen? Sein Gesicht, seine Berührungen und seine Nähe. Und wann traute er sich endlich aus dem Schutz Jõs hinaus? Yamato erkannte endlich den Unterschied zwischen den Emotionen, die ihn an Jõ und auch an Taichi banden. Jõ hatte ihm alles gegeben, was er gedacht hatte zu suchen, zu brauchen. Er liebte ihn, verehrte den Boden, auf dem er ging und schützte ihn vor allem, was ihn zu erschüttern suchte – sogar vor sich selbst. So lange waren sie Hand in Hand ihren Weg hinab gegangen und Jõ war niemals von seiner Seite gewichen. Immer wieder war da seine Stärke und Vernunft gewesen, die Yamato zurück an seine Seite gezogen hatten, war er vom Pfad abgewichen oder in die Knie gegangen, zu erschöpft um alleine auch nur einen weiteren Schritt zu tun? Viel zu lange nun hatte Yamato sich auf Jõ verlassen. Es war so simpel und einfach gewesen… Damals, als Jõ in sein Leben getreten war, hatte er dieses gerade biegen und Yamato vom sinkenden Schiff seines verqueren Lebens - irgendwo zwischen tausenden von Liebschaften, Partys und viel zu viel Alkohol und zu wenig Geld – retten können. Er war einfach alles gewesen. Sein Retter, sein Liebhaber und alles, was ihm bis dahin gefehlt hatte. Aber hatte dieser Schleier einer perfekten Welt Yamato nicht die Sicht genommen? Wie viele Nächte war Yamato fernab des Schlafens gewesen und hatte sich den Kopf über ‚die Liebe‘ zerbrochen. ‚Die Liebe‘… ‚Liebe‘ … ‚jemanden lieben‘… Nie hatte er die Geschichten der Anderen verstehen können. Derer, die ‚liebten’ und nicht mehr ohne ihre bessere Hälfte sein wollten. Dieses Gefühl, ohne den Partner an der Seite nicht mehr leben zu wollen. Was war dieses Gefühl? – hatte sich Yamato immer gefragt. Oder viel mehr noch als das: Würde er dieses Gefühl auch jemals verspüren dürfen oder war er nicht dafür gemacht (worden)? Vielleicht – so war es ihm erschienen – übertrieben sie alle auch einfach nur? Vielleicht hatten sie alle von diesen Gefühlen einmal gehört, sie eventuell in einem kitschigen Hollywood-Film vorgelebt bekommen und dachten nun, sie selbst empfinden zu können. Wollten sie Yamato eifersüchtig machen? Eifersüchtig auf etwas, was ihm so fern schien, wie eine Karriere als einer der besagten Romanzen-Darsteller aus Los Angeles? Er fühlte sich fern jener, die ihre Liebe lebten. Ein Außenseiter, der nur am Rand steht und stumm zusieht, zu schüchtern, um etwas zu sagen und zu schwach, selbst mit einzutreten. Er würde auf ewig nur ein Zuschauer sein. Oder nicht? Zwar war er immer schon ein großer Denker, versunken in sich selbst und seiner eigenen Welt, ein wenig melancholisch und theatralisch gewesen, aber niemals hatte es Yamato Ishida in die Tiefe einer Depression gezogen. Es war nicht sein Stil in Selbstmitleid und Unmut zu versinken... Wieso auch? Dafür hatte der Mensch ja einst Alkohol und Sex erfunden – damit sich eben niemand mehr schlecht und unwohl in seiner Haut zu fühlen hatte. Jeder konnte Sex und Alkohol haben. Jeder konnte der normalen Welt entfliehen und sich ein wenig gut fühlen und wenn es nur in einem widerlichen Rausch war. Nein, es war niemals sein Ding gewesen, den Kopf in den Sand zu stecken. Vielleicht lief Yamato gerne vor schwierigen Situationen und speziell der Konfrontation mit seinen eigenen Taten davon, aber er verharrte niemals und verzweifelte im Stillen. Es gab also nur eins zu tun: Weitermachen. Er musste weg. Weg von Jõ und ebenso weg von Taichi. Weg von seiner sicheren Wohnung und erst recht von den Mauern, hinter denen er Schutz vor sich und der Wahrheit gesucht hatte. -- „Ich habe nicht mit dir gerechnet.“ Yamato ließ Jõs Verwirrung unkommentiert, während er sich an ihm vorbei und ins Innere ihrer gemeinsamen Wohnung schob. Einige Tage lang hatte Yamato ja noch mit dem Gedanken gespielt, seinen Lebensgefährten per Telefon zu kontaktieren, ihn bei der Arbeit aufzusuchen oder beim Einkaufen abzufangen, aber er hatte sich rechtzeitig eines Besseren besinnen können. Natürlich nur mit der Hilfe seines Bruders und Mimi, die beide gehörig auf ihn eingeredet und mit mehreren Flaschen Wein ruhig gestellt ans Bett gefesselt hatten. Nun war er, wie es sich gehörte, zu ihnen nach Hause gegangen. Zwar schwirrte es in seinem Kopf noch ein wenig und seine Knie fanden ihre gewöhnliche Stärke nicht wieder, seinen Körper zu tragen ohne dabei Unheil verkündend ins Schwanken zu geraten, aber immerhin war er da und dazu bereit, sein Leben wieder in Einklang zu bringen. Ohne Jõ noch eines Blickes oder Wortes zu würdigen, kehrte er ihm den Rücken zu, ging in die Küche und brühte sich einen Kaffee auf. Er wusste, dass sein Partner ihn so lange in Frieden lassen würde, bis er sich selbst dazu bereit fühlte, mit ihm das zu besprechen, weswegen er zu so früher Stunde an einem Sonntag morgen bei ihm vor der Tür aufgetaucht war. Nun gut... es war ja immer noch ihre gemeinsame Wohnung und rein theoretisch durfte Yamato kommen und gehen wann und wieso er wollte, allerdings war er ja irgendwie ausgezogen und hatte auch irgendwie Jõ seine Unsicherheit gestanden. Dementsprechend war es eigentlich das gute Recht des Anderen – „Yamato?“ Angesprochener fuhr fast aus der Haut, so sehr erschrak er über die Stimme des älteren Mannes und dessen Gestalt im Türrahmen. War er sich nicht gerade noch so sicher darüber gewesen, dass ihn Jõ erst einmal zu seinen Sinnen kommen lassen würde? Was wollte er also in diesem Moment von ihm und wieso war sein Blick verhangen von Trauer und ...Endgültigkeit? „Hör auf damit.“ Da er nicht reagiert hatte, war Jõ zu ihm getreten und hatte ihn der Kaffee-Zutaten entledigt. Er drängte sich zwischen ihn und die Küchentheke, schob ihn gen Tür und somit ins Innere ihres Wohnzimmers. Es war offensichtlich, dass sein Freund nicht weiter warten und ihr altbekanntes Spiel spielen wollte. Anscheinend war es selbst jemandem wie Jõ einmal genug. „Ich habe lange genug gewartet.“ Yamato spürte Jõs Hände auf seinen Schultern, wie er ihn mehr oder weniger sanft auf die Couch drückte. Er selber blieb stehen, fuhr sich mit einer Hand durch sein schwarzes Haar. Erst jetzt fielen Yamato der zerzauste Zustand der sonst so seidig glänzenden Strähnen und die dazu passenden, dunklen Augenringe seines Lebensgefährten auf. Hatten in der Küche nicht dutzende benutzte Kaffeetassen gestanden? „Hast du durchgearbeitet?“ – „Yamato.“ Anscheinend wollte Jõ nicht einmal mehr ansatzweise um das Hauptthema herumschiffen. Er wirkte angespannt, übermüdet und Yamato verspürte das tiefe Bedürfnis danach, den Älteren zu sich zu ziehen und ihm die Schläfen zu massieren, so wie er es immer nach sehr langen und anstrengenden Arbeitstagen Jõs getan hatte. Ein Gefühl, welches sich fest in ihn verankert hatte und Yamato nun fast die Tränen in die Augen trieb. Wieso konnte er selbst jetzt noch nicht ganz von Jõ ablassen? Wieso ließen ihn seine eigenen Gefühle nicht gehen? Es war kein Wunder, dass der blonde Journalist sich direkt wieder von Jõ abwandte und sich suchend nach einem Ausweg umsah, wenn man den Krieg bedachte, der in seinem Innersten tobte. Selbst nach den langen Tagen des Grübelns, der Diskussionen mit sich selbst, Takeru und Mimi und diversen alkoholischen Getränken, wusste Yamato noch immer nicht, welche Emotion in ihm überwiegte: Die Liebe zu Jõ, die ihn an ihn kettete oder aber sein Drang nach Freiheit und nach diesem verschwommenen Etwas, das er zu greifen versuchte und was ihm das Leben vielleicht lebenswerter gestalten würde. Zweites war zwangsläufig verankert mit der reinen Gewohnheit, die ihn bei Jõ hielt. Unbewusst ließ Yamato seine Finger über die Glasfläche des so verhassten Sofatisches wandern. Die weißen Lilien, die er selbst vor einer ganzen Weile so liebevoll arrangiert hatte, waren inzwischen verwelkt und hatten ihre Blätter über den ganzen Tisch verstreut. Er stoppte bei einer nicht weniger alten Schachtel Zigaretten und dem weißen Keramikaschenbecher, wollte sich gerade eine der geliebten Selbstmordwerkzeuge anzünden, als ihm die schlanken Finger Jõs dieser und des Feuerzeugs entledigten. Es war offensichtlich, dass der Geduldsfaden seines Freundes bis zum Zerbersten angespannt war und er nicht weiter auf ihn und seine Marotten Rücksicht nehmen wollte. Yamato hatte es geschafft: Jõ war am Ende seiner Kräfte angelangt. Von hier aus gab es keinen Weg zurück mehr. „Ich weiß, dass du mich betrogen hast.“ Die Aussage traf Yamato wie ein Schlag in den Magen, ließ ihn schlucken. Einen Moment lang glaubte er, sich direkt über den Glastisch übergeben zu müssen. Hatte er mit einer derartig direkten Ehrlichkeit seines Partners gerechnet? Und durfte er überhaupt jetzt noch von Jõ als sein ‚Partner’ denken? „Ich weiß nicht, ob du mich gerade noch betrügst oder ob“, - „Ich wohne wirklich bei Takeru!“ Anscheinend schwang genug Verzweiflung in Yamatos plötzlich so dünner und gebrochener Stimme mit, denn Jõ ging nicht weiter auf seine aktuelle Wohnsituation ein. Der ältere Mann war inzwischen gen Wohnzimmertür getreten, dann wieder umgekehrt und verharrte inzwischen an der Seite des Sofas. Seine Hände waren in seinen Hosentaschen vergraben, öffneten und schlossen sich im Schutz des hellen Stoffes fortwährend. Alles an Jõ schrie förmlich nach purer Verzweiflung. Anscheinend wusste er nicht mehr mit sich und seinen Gefühlen anzufangen, wie Yamato selbst, nur mit dem Unterschied, dass er sich trotzdem zu laut formulierten Worten aufraffte und sein jüngerer Freund hingegen nur im Stillen seine Unterlippe mit den Zähnen malträtierte. „Ich weiß auch, dass du nicht gehen kannst. Du kannst nicht los lassen und“, Und das war der Teil, an dem weder Yamato, noch Jõ weiter wusste. „du kommst immer wieder.“ Ja, er war stets an Jõs Seite zurückgekehrt. Nur wieso? Erneut entfernte sich Jõ und ebenso kehrte er an Yamatos Seite zurück. Er schwieg nun, setzte einige Male neu an und schluckte alle Worte dann einfach runter. Je öfter er Yamato zwischendurch einen Blick aus diesen müden, dunklen Augen zuwarf, desto stärker stieg in diesem die Angst. Langsam dämmerte es ihm, dass der Ältere keines Wegs nach Worten suchte. Nein, in ihm tobte etwas, was er nicht raus lassen wollte. Angst? Wut? Hass? Abscheu? Er wollte Yamato nicht verletzen, ihn nicht anschreien und all den Gefühlen, denen er so lange Einhalt geboten hatte, ihren wohlverdienten freien Lauf lassen. Noch immer überwog in Jõ sehr deutlich die Liebe, die er von der ersten Sekunde an für den blonden Rebellen gehegt hatte. Und dennoch – „Wieso?!“ Jõs Stimme überschlug sich fast und er brach direkt nach der knappen Frage ab – wohl, um sich selbst irgendwie beruhigen zu können. Es schien nicht zu funktionieren, denn keine Sekunde später baute sich der Ältere schon vor Yamato auf und schien nur einen Atemzug davon entfernt, ihm eine gehörige Ohrfeige zu verpassen. Wie lange hatte Jõ wohl nun schon diese Wut in sich eingeschlossen gehalten? Wie hatte er die ganzen Jahre über das Lächeln auf den Lippen versiegeln können? Yamato schwieg noch immer, während die Fragen auf ihn ein prasselten. Er schwieg, als Jõ verzweifelt nach Atem und Worten gleichermaßen suchte und wieder begann durch die gesamte Wohnung zu stiefeln. Einen Moment lang verschwand er im Schlafzimmer, kehrte allerdings unverändert zurück und begann erneut damit, Yamato unverständliche und meist nur gemurmelte Sätze an den Kopf zu werfen. Verständlicherweise wuchs in ihm die Wut nur noch mehr, je länger Yamato schwieg. Das gesamte Gemurmel versiegte nach einer gefühlten Ewigkeit in einem leisen „Warum? Liebst du mich nicht mehr?“ und ließ Yamato sich von Jõ abwenden. Zwar hatten die blauen Augen ihren Blick sowieso die ganze Zeit nur stur auf Jõs Füße gehalten, aber zumindest war er ihm so in jeder seiner Bewegungen gefolgt. Nun versuchte er sich mit seinem gesamten Körper von dem Älteren abzuwenden. „Hast du mich überhaupt jemals geliebt?“ Egal, was Jõ vorher schon gesagt hatte – seine letzten Worte hätten von Anfang an ausgereicht, um dem Blonden die Tränen in Strömen über die bleichen Wangen rollen zu lassen. Yamato interessierte sich nicht mehr für seine Position als Verräter, Betrüger und verabscheuenswertes Geschöpf und noch weniger um seinen sonst so riesigen Stolz. Nun kehrte er innerhalb von Sekunden sein gesamtes Gefühlsleben nach Außen. Er schluchzte laut. Der zitternde und bebende Körper presste sich immer tiefer in die weichen Couchkissen bis er einfach zur Seite auf die Polster kippte und dort liegen blieb. Yamatos Hände verkrampften sich vor Ort direkt in den glatt gespannten Stoff, so gut es eben ging, so dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Jeder laute Schluchzer schien die Flut von Tränen nur noch zu verstärken und Yamato war sich – soweit er sich überhaupt der gesamten Situation im Klaren war – unsicher, ob die Distanz, die Jõ seiner verletzlichen Gestalt über aufbaute, ihn gerade noch tiefer in den Abgrund stieß oder aber als letzter Seidenfaden in der Luft hielt. Was hatte er auch anderes erwartet? Hatte er wirklich geglaubt, ein paar Tränen würden Jõ alles vergessen lassen? Wäre Yamato nicht schon vollkommen mit Weinen ausgelastet gewesen, hätte er wohl über seine eigenen Gedanken bitter aufgelacht. Nichts hatte er mehr von Jõ zu erwarten und auch keine nette Geste des Älteren verdient. Lange genug war dieser noch liebevoll und umsorgend ihm gegenüber gewesen. Viel zu lange. „Tut mir leid.“ Auch Jõs Stimme zitterte ein wenig. Nun gut, so wie Yamato ihn kannte, zerriss es ihm gerade das Herz, seinen Geliebten so bitter weinen zu sehen. Es musste ihm alles abverlangen, zum ersten Mal nicht direkt weich zu werden und ihn trösten zu kommen. Nur wieso war es Jõ nun, der sich entschuldigte? War es nicht an Yamato, auf Knien vor dem Anderen rumzurutschen und um Vergebung zu betteln? Als der leisen Entschuldigung nichts weiter folgte, gewann ein wenig Verwirrung über die tiefe Trauer, die in Yamato herrschte und er schaffte es, sich aufzusetzen, nun nur noch leise und stockend schluchzend. Der Blick der blauen Augen war noch immer Tränen verhangen, aber ansonsten klar und fragend, wie er sich auf der Gestalt Jõs festigte. „Wieso?“, fragte er stockend. Seine Stimme war brüchig und rau. Sie klang ein wenig, wie nach einer durchzechten Nacht mit anschließendem Übergeben und Schlafen auf den kalten Badezimmerfliesen. Generell fühlte sich Yamato wie nach einem schlechten Trip, der ihn noch immer in einer Horror-Halluzination gefangen hielt. Es sollte eine Weile Stille im Raum einkehren. Keiner der beiden Männer gab auch nur einen Mucks von sich, geschweige denn, dass sie sich regten. Yamato stierte wieder auf Jõs Hausschuhe, während dieser ins Leere blickte. Sie schienen beide nach Worten zu suchen – ihre Gedanken zu ordnen – beide ungewiss darüber, was ihnen der weitere Verlauf dieses Gesprächs noch bringen würde. Es war Jõ der letzten Endes die Kraft aufbrachte, sich neben den blonden Journalisten zu setzen und eine der bleichen, verkrampften Hände zu ergreifen. Diese Geste ließ Yamato aufsehen, direkt in die dunklen Augen des Mannes, mit dem er nun schon so viele Jahre zusammen verbracht hatte. „Es tut mir leid, dass ich nicht früher etwas gesagt habe.“ War das nun eine ernst gemeinte oder gehässige Aussage? Jõ war nie der Typ Mensch gewesen, der absichtlich Leute verletzen wollte – schon gar nicht die, die ihm wichtig waren. Dementsprechend musste er seine Worte wirklich so meinen, wie er sie Yamato gerade vortrug. Dieser sah jedoch nur verdattert drein. Es erschien ihm aberwitzig, dass das vermeidliche Opfer nun Schuld auf sich nehmen wollte. Was wollte Jõ mit dieser Tat bezwecken? „Ich wusste so lange, was in dir los ist und“, er stockte und räusperte sich, zuckte ratlos mit den Schultern. „dass du fremdgehst, wusste ich auch. Ich habe es geahnt. Du fühltest dich gefangen und wolltest ausbrechen und anscheinend bist du nur nicht gegangen, um mich nicht zu verletzen. Du wolltest erwischt werden.“ An dieser Stelle wurde er leiser und wandte den Blick aus Yamatos Augen ab. „Du wolltest mich dazu bringen mit dir Schluss zu machen.“ Yamato fühlte sich nackt und klein, wie er auf der Couch kauerte und sich von Jõ seine eigenen Taten erklären ließ. Die Taten, die ihm selbst meist doch schleierhaft und unverständlich gewesen waren. Innerhalb von einer kurzen Minute war ihm das offenbart worden, was er selbst zu stur und kindisch gewesen war zu erkennen. Alle hatten es gewusst. Nur er selbst nicht. Er war blind durch sein Leben gewandelt, selbstsüchtig und starrsinnig. Und nun war es Jõ, der ihm alles erklärte – der ihn aus seiner Trance herausriss und dazu zwang, die Probleme direkt anzugehen. Wer wusste schon, ob Yamato selbst jemals den Mut hätte aufbringen können, diese Thematik vor dem anderen anzusprechen? Gut, es war sein Ziel gewesen, als er sich diesen Morgen bei Takeru aufgemacht hatte, aber wer konnte schon sagen, ob er es wirklich übers Herz gebracht hätte? „Ich wollte dir nicht unterstellen, mich niemals geliebt zu haben“, fuhr Jõ einige Minuten des Schweigens später fort. „Ich weiß genau, dass du mich geliebt hast. Ich denke sogar, noch immer ein Fünkchen Liebe in dir zu sehen. Ein kleines bisschen, was nur mir gebührt und auch niemals einem anderen Mann gehören wird.“ Unbewusst brannte etwas Stärke in Yamato auf und ließ ihn heftig nicken. Er wusste nicht recht wieso, aber wenigstens in diesem Moment wollte er sich regen und Jõ beweisen, dass er nicht vollends versteinert war. Zumindest dieses bisschen Gefühl wollte er dem Anderen zusichern, mit allem, was er noch hatte. „Aber es reicht nicht, Yamato.“ Eine warme Hand an seiner Wange hielt ihn von einer weiteren Reaktion ab, ließ ihn zurückzucken und sich dann direkt wieder dem bekannten Gefühl entgegen lehnen. Jõ strich ihm sachte einige verbliebene Tränen weg, durch seine blonden Ponniesträhnen und verharrte dann in seinem Nacken. Er zwang Yamato dazu, ihn abermals direkt anzublicken. „Es reicht nicht aus, um diese Liebe am Leben zu halten und selbst wenn sich alles in mir dagegen weigert, dich gehen zu lassen,“ wieder schluckte er hart und schien sich nun selbst einige Tränen verkneifen zu müssen. „so kann ich das hier nicht mehr fortführen.“ Da war es: Endgültig und ebenso erschreckend, wie auch erwartet. „Ich kann sie nicht mehr an dir riechen, kann nicht wegsehen, wenn du morgens von ihnen kommst und zu mir ins Bett kriechst und noch weniger ertrage ich deine Blicke. Wie du aus dem Fenster oder in die Leere starrst und unglücklich bist. Wie du nach etwas suchst und es nicht bei mir finden kannst. Denkst du, ich sehe nicht die Verzweiflung in dir? Verstehst du nicht, dass sie mich nicht minder zerreißt, als dich? Aber irgendwann muss Schluss sein, Yamato! Ich will dich nicht verlieren, aber wir müssen beide einsehen, dass wir auf diesem Wege niemals glücklich miteinander werden können. Wir –“, Yamato unterbrach Jõ in seinem Redeschwall, in dem er seine Hand von sich drückte und sich ihm um den Hals warf. Er klammerte die Hände in das eh schon zerknitterte Hemd seines Freundes, versuchte kläglich in dem dünnen Stoff Halt zu finden. Diese Worte, er konnte sie nicht mehr hören. Er wollte sie nicht hören. „Nein!“ Es kam eher wie ein erstickter Schrei, als ein kraftvoller Ausruf des trotzigen Kleinkinds, das in Yamatos Kopf so laut schrie, dass er meinte, dieser würde jede Sekunde zerbersten. „Nein! Ich – Nein!“ Gut, er merkte in diesem Moment nicht recht, wie wenig Ausdruck sein Gebrabbel hatte, aber irgendwo in ihm drin, wusste Yamato um sein klägliches Handeln Bescheid. Er wusste, dass nun mehr von ihm kommen musste. Wenn er auch vorher nur weggerannt war, so war es nun an ihm, seinen Mann zu stehen oder zumindest zu sich selbst. „So kann es nicht enden! Schrei mich an, schlag mich! Bitte!“ Es war dieses Mal an Jõ verblüfft dreinzusehen und dieses Yamato auch zu zeigen, indem er ihn sachte von sich drückte und auf eine Armlänge Abstand von sich selbst brachte. „Wie, ich – Yamato“ – „Los! Schrei mich an! Ich habe dich betrogen und ausgenutzt und – und –“ Er durfte jetzt einfach nicht weiterhin nett und nachsichtig ihm gegenüber sein. Sie hatten dieses Gespräch doch so gut angefangen – Jõ voller Wut und Yamato am Boden vor ihm – wieso war es nun wieder wie immer? Wieso war Jõ es nun wieder, der sich entschuldigte und versuchte den Jüngeren zu beruhigen? Denn auch, wenn er gerade quasi mit ihm Schluss gemacht hatte, so war ihm dennoch wieder Yamatos Wohl am wichtigsten gewesen. ‚Deine Trauer’, ‚deine Angst’ und ‚deine Suche nach mehr’. Wieso konnte er denn nicht einmal nur an sich selbst denken? „Wieso, Jõ? Wieso denkst du immer nur an mich? Wieso kannst du nicht ein einziges Mal dich selbst an erster Stelle sehen? Du bist der perfekte Freund. Du bist so perfekt, es jagt mir manchmal Angst ein!“ Yamato löste sich aus Jõs Griff und erhob sich von der Couch, stapfte einige Meter von dieser weg und drehte sich schließlich auf dem Absatz um. Ihm fehlte die Kraft dazu, sich vor Jõ aufzubauen, aber der Blick der nun lodernden, blauen Augen reichte aus, um die Wut in ihm zu beschreiben, die gerade auszubrechen drohte. „Du denkst immer nur an Andere und trägst mich auf Händen, wie einen gottverdammten Prinzen! Und das, obwohl du genau wusstest, was ich hinter deinem Rücken tu. Himmel, du hast dir sogar die Nächte mit mir um die Ohren geschlagen, wenn ich zu betrunken war, um noch irgendetwas auf die Reihe zu kriegen und das, obwohl wir beide genau wussten, dass ich nicht alleine getrunken habe. Wieso?!“ Jõ sagte nichts dazu. Er zuckte mit den Schultern und lächelte sogar ein kleinwenig. Sie wussten beide ganz genau, wieso er Yamato so behandelt hatte. Sie wussten beide, dass er ihn niemals anschreien oder schlagen würde, denn egal wie perfekt Jõ auch in den Augen des Blonden zu sein schien, so übersah er offensichtlich seine größte Schwäche: Yamato. Genau so, wie Yamato aufgrund seiner Schwächen Jõ betrogen und halbherzig geliebt hatte, so war es diesem wiederum nicht möglich gewesen, sich gegen dieses Verhalten aufzulehnen. Er hatte stumm dabei gesessen und mit sich umspringen lassen, als wäre er Yamatos Diener. Während diese Gedanken in Yamatos Kopf schossen, ließ er entkräftet die Hände gen Boden sinken. Seine Tränen waren versiegt und sein Blick verwirrt. Waren sie wirklich beide in etwas reingeraten, was sie an ihre Abgründe getrieben hatte? Es war nicht so, als würde Yamato nach dieser Erkenntnis sich besser fühlen oder gar die Schuld der Situation bei ihnen beiden suchen, aber irgendwie beruhigte ihn das Wissen, in Jõ auch nur einen normalen Menschen zu haben, der selbst nicht weiter gewusst und wohl manche Nacht verzweifelt wach gelegen hatte, einen Ausweg suchend. Sie hatten nur leider beide Keinen rechtzeitig finden können. „Wieso schaust du so verwirrt drein? Überrascht es dich? Hast du dich kein einziges Mal gefragt, wieso ich dich nicht einfach vor die Tür setze, wenn ich denn weiß, was du des Nachts so getrieben hast?“ Er ließ ein leises, verzweifeltes Lachen folgen. „Ich konnte einfach nicht anders, Yama. Ich wollte nicht sehen, wie du mich betrügst und ich wollte noch weniger wahrhaben, dass ich dich nicht glücklich mache. Ich wusste um deine Angst, mich zu verletzen und wieder alleine zu sein. Niemals würdest du mich verlassen und das alles habe ich verstanden und dennoch wollte ich nicht gehen. Ich dachte mir, so lange du nicht gehen würdest, könnte ich dich an mich binden und heile Welt spielen. Ich scheine mich getäuscht zu haben.“ „Es tut mir Leid.“ Endlich war Yamato es, der die passenden Worte fand. Das einzige, was Jõ von ihm hören sollte. Es war zu spät für erfundene Märchen und Ausreden. Sie standen eh schon am Abgrund, wenigstens den Sprung wollte Yamato anständig beenden. Dieses Mal würde er nicht wegrennen. „Ich war viel selbstsüchtiger, als du. Ich wollte nicht gehen und nicht bleiben, deswegen habe ich beides probiert. Ich dachte mir, dass ich all das, was ich hier nicht finden konnte, von anderen Männern kriegen würde. Ich wollte nicht alleine sein und dennoch auch nicht gefangen.“ Yamato brabbelte einfach darauf los, ignorierte nötige Atempausen, bis ihn seine Lunge dazu zwang und nach Luft schnappen ließ. Nur damit er direkt weiter reden konnte, sobald er wieder über genug Sauerstoff im Körper verfügte. „Es hat mich zerrissen und ich weiß, dass das keine Rechtfertigung oder Entschuldigung ist – niemals eine sein kann –, aber ich will dir dennoch beschwören, dass ich es nicht genossen habe. Es war kein Spaß und es war nicht, um dich zu demütigen. Ich weiß selbst nicht, was es und wofür es war, aber es hat nicht geholfen und, und –“ An dieser Stelle brach er ab und ließ mitgenommen den Kopf hängen. Fakt war: Ihm fehlten die passenden Worte, um Jõ die Gefühle zu beschreiben, die in ihn so zerwühlten. Er wollte ihm sagen, wie sehr er ihn irgendwie noch liebte und wie sehr er ein Leben ohne ihn fürchtete. Auch wie Leid ihm alles tat, aber nichts davon schien seinen Mund in irgendeiner annährend plausiblen Form verlassen zu können. War es das nun? „Jõ“, als der Ältere gerade wieder zu etwas hatte ansetzen wollen, fiel Yamato ihm direkt ins Wort. Er fühlte sich leer und schwach, aber wie auch immer er es anstellen würde, durfte er ihre Beziehung nicht so enden lassen. „Es tut mir Leid, dich verletzt zu haben und ich hoffe, dass du mir irgendwann vergeben kannst.“ „Ich bin froh darüber, dass du dich nicht mehr dazu zwingen musst, mit mir glücklich zu sein...“ Yamato erschauerte kurz und war im gleichen Moment erleichtert, nicht etwas wie „Ich hoffe du findest jemand anderes.“ hören zu müssen. Es wäre ihm definitiv auf den Magen geschlagen. So etwas wollte er nicht von Jõ hören und es blieb ihm zu hoffen, dass der Ältere nicht Ähnliches dachte und es sich gerade nur verkniff. Zögerlich trat Yamato zu Jõ und zog ihn von der Couch, in seine Arme. „Es tut mir so Leid.“ Jõ murmelte irgendeine Antwort, während er seinerseits die Arme um Yamato schlang, jedoch konnte dieser sie nicht verstehen. Es kümmerte ihn allerdings auch nicht, denn alleine diese Reaktion des Älteren reichte aus, um ihm zu zeigen, dass sie von nun an zwar getrennte Wege gehen würden, aber sich zumindest nicht dafür verabscheuten. „Danke für alles, Jõ.“ - „Oh man... das klingt hart.“ Yamato antwortete nicht, sondern nahm lediglich einen großen Schluck von seinem Wodka. Dabei ignorierte er auch den erschrockenen Blick, den Mimi abwechselnd ihm und seinem kleinen Bruder schenkte, der zu ihrer anderen Seite an der Bar saß. Fast eine ganze Woche war seit seiner Trennung von Jõ vergangen und bis zu diesem Abend hatte er keinen Schritt aus Takerus kleiner Wohnung hinausgewagt. Zwar waren keine Tränen mehr geflossen, aber er hatte sich wie gelähmt – all seiner Kräfte beraubt – gefühlt. Erst als Takeru auch noch Mimi zu Hilfe gerufen hatte, um Yamato ein wenig nach draußen bewegen zu können, war dieser den beiden in ihre Stammkneipe gefolgt. „Und jetzt ist es vorbei?“ „Jetzt ist es vorbei.“ Wieder Schweigen, wenn auch nur von Yamatos Seite aus, denn Takeru gab wohl etwas in die Richtung „Besser ist es.“ von sich, wenn er auch etwas unsicher dabei wirkte. Für seine Freunde schien die Trennung von Jõ nicht weniger schwer von Statten zu gehen. Sie hatten sie wohl schon vor einem imaginären Traualtar gesehen ... oder etwas in dieser Art. „Und dieser“, – „Taichi?“ „Ja, Taichi. Was ist mit ihm?“ Ein Zucken mit den Schultern und ein weiterer tiefer Schluck des alkoholischen Getränks sollten die einzige Reaktion des älteren Ishidas bleiben. Ja, was war mit Taichi? Yamatos Ohren klingelten noch immer von dem Geschrei, mit dem der temperamentvolle Physiotherapeut ihn begrüßt und später wieder verabschiedet hatte. Die meisten hätten ihm wohl davon abgeraten nach seinem tränenreichen Gespräch mit Jõ direkt bei seiner Affäre vor der Tür aufzutauchen, aber Yamato hatte gefürchtet, sich zu einer weiteren Trennung nicht mehr aufraffen zu können, wäre er erst einmal heimgekehrt und dort erneut auf dem Bett zusammengebrochen. Stattdessen war er also zu Taichi gegangen und hatte sich von ihm anschreien lassen. Er selbst war eigentlich kaum zu Wort gekommen und dennoch fühlte es sich auf eine seltsame Art und Weise gut an, beide Gespräche hinter sich gebracht zu haben. „Und wie hat er alles aufgenommen?“ - „Was tust du hier? Wo ist dein Ehemann?“ – „Wir haben uns getrennt.“ Eine gute Sekunde schien Taichi das ehrliche Geständnis seines Gegenübers aus der Bahn geworfen zu haben. Diesen Moment war es noch still zwischen ihnen gewesen und Yamato hatte zu hoffen gewagt. Aber nur diesen kurzen Wimpernschlag lang. Er hatte keinen ersten Schritt hinter Taichi her, in dessen Wohnung hinein gewagt, da waren die starken Hände des Größeren schon an seinen Schultern gewesen, hatten sie gegen die so eben geschlossene Tür gedrückt. „Und deswegen tauchst du hier auf? Willst du mir jetzt weiß machen, dass du bei mir bleiben willst?! Dass du deswegen mit ihm Schluss gemacht hast?“ Yamato war regungslos geblieben, den Blick gesenkt haltend. Es war nicht so gewesen, als hätte er die Wut des anderen Mannes gefürchtet, aber er hatte zunächst genügend Kraft für die Worte sammeln müssen, die er auszusprechen gedachte. Eine Weile hatte er Taichi fluchen und sich aus dem Flur ins Wohnzimmer schleifen lassen, wo er letzten Endes mitten im Weg stehen geblieben war. Erst, als sich Taichi beruhigt hatte und seine Beleidigungen und Vorwürfe ein wenig versiegt waren, hatte er „Ich verlasse dich auch“, gesagt. Ein wenig bereute Yamato es noch immer, in diesem Moment zu Taichi aufgesehen zu haben. Einerseits hatte er stark sein und zu seinen Worten stehen wollen, aber andererseits war der Anblick des sonst so taffen und eindrucksvoll starken Mannes derartig schockierend gewesen, dass Yamato selbst später noch auch nur annähernd passende Erklärungen fehlten, als er versuchte Takeru die Situation zu schildern. „Das kannst du nicht tun.“ Er hatte seinen Blick nicht von ihm abgewandt, die Hände zu Fäusten geballt und die Zähne fest zusammengebissen. Dieses Mal war es ihm unmöglich gewesen vor Taichis Emotionen wegzulaufen – ihnen den Rücken zu zukehren. „Doch, ich gehe“, hatte er sich wiederholt und dabei einen Schritt in Taichis Richtung gewagt. Dieser war direkt ein wenig zurück gewichen, die Hände abwehrend erhoben. „Nein. Nein, nein, nein! Ich lasse das nicht zu!“ Die Worte Taichis hatten wenig Sinn ergeben und dementsprechend war Yamatos eigener Unmut gewachsen. Niemals hätte er geglaubt gehabt, seine Affäre mit seinen Taten fast schon stärker zu treffen, als seine langjährige Beziehung. Vielleicht hatte sich Jõ aber auch schon früher auf ihre bevorstehende Trennung einstellen können? „Ich weiß, dass wir nicht lange etwas miteinander hatten! Ich weiß, dass wir uns kaum kennen, aber... aber“, Taichi kam ins Straucheln, wusste anscheinend nicht, wie er Yamato seine Gefühle nahe bringen und erklären sollte. Seine Gefühle trieben dem Blonden die Übelkeit in den Magen und dies gewiss nicht aus Ekel oder Ablehnung. Sie berührten etwas in ihm. Etwas, vor dem er sich am meisten gefürchtet hatte, als er die Klingel von Taichis Wohnung betätigt hatte. Gerne konnte er ihn hassen und verabscheuen, ihn anschreien, beleidigen oder gerne auch schlagen – es interessierte Yamato nicht. Diesen erschreckten nur die Emotionen, die ihm der Größere gerade entgegenbrachte. Die tiefe Verletzung, die ihm in den Augen geschrieben stand und die ihn nun erzittern und stottern ließen. Vor ihnen hatte Yamato sich am meisten gefürchtet, dabei befürchtend, Taichi bereits in diesem Maße an sich gekettet zu haben. Und wieso ihm schlecht bei der Ansicht des gebrochenen Mannes vor sich wurde: Er genoss sie ein wenig, diese Zuneigung, die ihm Taichi entgegenbrachte. Anders als Jõ, der ihn immer lieben würde, aber schon vor Jahren aufgegeben hatte, ebenso den Kampf und ihn und ihre Beziehung. Taichi kämpfte um ihn, um sie beide und auf eine perfide Art berührte Yamato dieser Kampf. Der Blonde biss sich wütend auf die Unterlippe und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Er konnte sich nicht an Taichis Liebe zu ihm ergötzen und sich über die Trauer des Anderen freuen. Er hatte sein Recht auf diese Gefühle vertan und musste den Hass in ihm schüren. Taichi sollte ihm nicht hinterher trauern – nicht ihm, der ihn so hinterhältig hintergangen und dabei nicht nur seins, sondern auch Jõs Herz gebrochen hatte. Er durfte diese Wohnung nicht so verlassen. „Genau, wir kennen uns doch überhaupt nicht.“ Yamato sprach ohne über seine Worte nachzudenken. Er sagte sie einfach, wie sie ihm gerade in den Kopf schossen, in seiner Verzweiflung, Taichi weiter zu verletzen und sich wieder ekelhaft fühlen zu wollen. Die Gefühle Taichis sollten ihn nicht weiter berühren und ins Zweifeln bringen. „Wieso denkst du, dir so etwas rausnehmen zu können, wenn wir gerade erst ein paar Wochen lang miteinander gefickt haben?!“ Seine Stimme überschlug sich fast und Takeru oder Mimi vielleicht hätten erkannt, dass Yamato sich selbst mit seinen Worten mehr verletzte, als es vielleicht bei Taichi der Fall war. Dieser allerdings war selbst viel zu festgefahren in der Mischung aus Verzweiflung und Wut auf Yamato, als dass er dessen Spiel hätte durchschauen können. Natürlich tappte er genau in die Falle und verlor das letzte bisschen an klaren Verstand, als Yamato noch ein „Wieso denkst du, dass du auch nur annähernd mehr für mich warst, als ein guter Fick?!“ hinter her schob. Er schien nicht noch einmal zu Sinnen kommen zu können, da hatte er schon ausgeholt und Yamato einen heftigen Faustschlag ins Gesicht verpasst. Endlich wieder Schmerzen. Endlich Ruhe im Kopf und Besinnung. Yamato ließ sich zurückfallen und blieb benommen auf dem Boden sitzen. Seine Wange pochte wild, aber das kümmerte ihn nicht. Im Gegenteil: Der Schmerz beruhigte ihn und ordnete seine Gedanken für ihn. Endlich verabscheute Taichi ihn. Endlich hatte er das erhalten, was er verdient hatte. - Niemals hatte Yamato mit dieser Reaktion gerechnet. Damit, wie er ihn festgehalten und angefleht hatte, ihn nicht zu verlassen. Obwohl ‚angefleht’ vielleicht auch nicht ganz der richtige Begriff war, bedachte man, dass er etwa alle drei Minuten zwischen „Ich brauch dich nicht!“, „Bitte, wirf das hier nicht so einfach weg!“ und „Verlogenes Miststück!“ gewechselt hatte. Was er davon wohl am ehesten empfunden hatte, wusste Yamato nicht genau, aber er tippte mal darauf in Taichi ein ähnliches Gefühlschaos ausgelöst zu haben, wie er es selbst noch vor kurzem empfunden hatte. Es war nur seltsam, diese Unruhe mal in einem fremden Gesicht sehen zu können. „Willst du nicht mitkommen?“ Er war aus seinen Gedanken geschrocken, als er Takerus Hand auf seiner Schulter spürte. Takeru und Mimi standen neben ihm, vollständig angezogen und bereit zum gehen. Eine Weile hatten sie seiner Erzählung gelauscht, ehe er dann einfach verstummt war und gute zwei Gläser Wodka geleert hatte. Wie lange sie so da gesessen hatten, er in Gedanken und Takeru und Mimi über sein Liebesleben philosophierend, wusste Yamato nicht mehr. „Nein, ich bin gerade betrunken genug, um mich in dem Lärm und Rauch geborgen zu fühlen. Nimm es mir nicht übel, kleiner Bruder.“ Angesprochener sah ihn etwas ratlos an, nickte aber schließlich. Anscheinend hatte er begriffen, dass Yamato lieber noch ein wenig ‚allein’ sein wollte. Das hieß: Zumindest alleine im Kreis von Fremden und alleine mit einigen Gläsern Wodka an seiner Seite. Vielleicht konnten die Beiden seine Sehnsucht nach diesem ‚Alleine’ verstehen, nachdem er sich die letzte Woche nur vom Klo und zu seinem Futon hin bewegt hatte, denn sie verabschiedeten sich nur noch knapp von ihm und Takuro, ehe sie die Bar verließen. Auf einen Fingerzeig hin tauschte Takuro noch das leere Glas vor Yamato gegen ein volles aus, dann widmete auch er sich wieder den anderen Kunden, die am anderen Ende der Theke gerade eine große Bestellung aufzugeben schienen. Auf jeden Fall konnte Yamato ihn eine ganze Weile dabei beobachten, wie er sein linkes Ohr dem Geschrei der Meute zuwandte und nach dreimaligem Nachfragen etwas auf seinen kleinen Block kritzelte, den er zwischendurch seiner Kollegin zeigte, damit diese schon einmal mit dem Bereitstellen der einzelnen Getränke beginnen konnte. Ganz typisch für Yamato, merkte dieser erst recht spät, dass Mimis alter Platz inzwischen wieder besetzt war. Ein wenig verwirrt warf er aus seinen Augenwinkeln einen Blick auf den Neuankömmling, der sich als dunkelhaariger, gut aussehender Mann, Mitte 30, herausstellte. Auch er schien Yamato beobachtet zu haben und begann zu lächeln, als sich ihre Blicke trafen. Beide Männer verharrten kurz in ihren Bewegungen, ehe der Neuankömmling sich ein Bier bestellte und Yamato sich einen tiefen Schluck Wodka genehmigte. Es wunderte ihn ein wenig, dass er überhaupt wieder den einzig anderen homosexuellen Mann angezogen hatte, wie ein Magnet. Eigentlich war er doch gar nicht herausgeputzt – zumindest für seine Verhältnisse nicht – und hatte auch kein bisschen mit Körperhaltung oder allgemeiner Sitzposition irgendwelche Signale zur Paarungsbereitschaft ausgesandt. Man konnte es halten wie man wollte, aber er schien selbst in seinem Trauerkloß-Zustand noch einen gewissen Reiz zumindest auf all die zu haben, die auf blonde Haare und blaue Augen standen. Ob Mann oder Frau spielte dabei keine Rolle. „Kann ich Ihnen danach noch einen von denen“, die schlanke Hand des Fremden deutete auf seinen – schon wieder – halbleeren Wodka, „kaufen oder zumindest ein Glas Wasser zum Runterspülen?“ Zweiter Satzteil sollte wohl definitiv auf seine Trinkgewohnheit anspielen, selbst starken Alkohol in drei großen Schlucken zu leeren, selbst wenn er sich gerade nicht innerhalb eines Trinkspiels oder einer Wette befand. Yamato beantwortete die Frage mit einem leisen, rauen Glucksen. Ganz gewohnt wandte er sich seinem Sitznachbarn zu, stützte lässig den Kopf in eine Hand und schenkte ihm ein Lächeln, das sich so perfekt auf der schmalen Grenze zwischen arrogant und sinnlich bewegte, dass niemand ihm widerstehen konnte. „Noch einen Wodka.“, hauchte Yamato, ohne dabei seine eigenen Taten kontrollieren zu können. Er konnte sich nicht helfen, sobald ein gutaussehender Mann ihn ansprach – an ihm vorbei ging, sich neben ihn setzte, ihm einen Blick zu warf – spielte er einfach sein Programm ab. Wieso sollte er auch nicht? Immerhin ging er eigentlich anschließend nie alleine nach Hause und hatte zumindest in 70 Prozent dieser Fälle guten Sex. Also ließ er sich auch diesen Abend wieder auf das übliche Spiel ein. Es fielen ein paar banale Fragen und Antworten, eine Hand schob sich kaum spürbar seinen Oberschenkel hinauf und Yamatos berührte ebenso federleicht die seines Gönners, als dieser ihm einen neuen Wodka reichte. Der Journalist ignorierte dabei Takuros argwöhnische Blicke, wie gehabt, und erhob sich schlagartig, als Mimis Verlobter sich vor ihnen aufzubauen gedachte. Ohne ein Wort zu sagen, zog er den Fremden mit sich in Richtung der Klos, wobei er schon auf dem Weg die ungestümen Hände an seinem Hinterteil und seiner Hüfte spürte. Dieser Kerl schien ihn wirklich schnell rumkriegen zu wollen, hatte er immerhin gerade mal ein Bier und einen Whisky getrunken und konnte noch nicht betrunken genug sein, um so ungehemmt und dann auch noch in der Öffentlichkeit, an Yamatos Wäsche gehen zu können. Diesem sollte es ganz recht sein. Seit der Typ sich neben ihn gesetzt hatte, waren zumindest oberflächlich einmal alle Gedanken bezüglich Jõ und Taichi aus seinem Kopf verschwunden. Aus diesem Grund wehrte sich Yamato auch nicht, als er gegen die Wand des Flures gedrückt wurde und die heißen, fremden Lippen seinen Mund eroberten. Es war auf eine gewisse Art ungewohnt und dann wieder bekannt. Es fühlte sich an, als könnte er sich in dem Gefühl verlieren, vergessen und – Mit einem unerwarteten Ruck trennten sich ihre Körper und der Kuss wurde gelöst. Yamato hatte kaum die Augen geöffnet, um Zeuge dabei werden zu können, wie ein rücksichtsloser Faustschlag den fremden Mann zu Boden streckte. Der Faustschlag eines nur zu bekannten Mannes, wenn er denn seinen Augen glauben konnte. „Taichi! Halt!“ Noch leicht benebelt von dem schweren Alkohol in seinem Blut, stieß sich Yamato von der Wand ab und schritt leicht wankend in Taichis Richtung. Er hielt den Arm des Anderen fest und schob ihn, so gut es ihm in diesem Zustand möglich war, in die entgegengesetzte Richtung. Der Fremde saß recht bedröppelt zu ihren Füßen und schien sich nicht ganz im Klaren darüber zu sein, was gerade geschehen war. Es war Yamato, der ihm andeutete, besser zu verschwinden und ein gemurmeltes „Es tut mir Leid“ mit auf den Weg gab. Glücklicherweise befolgte der Typ seinen Rat und versuchte nicht noch trotzig seinen Mann zu stehen. Für eine Schlägerei hätte Yamato wirklich keinen Nerv gehabt und wäre – so dachte er nun zumindest, wo die Gefahr abgewandt zu sein schien – einfach abgehauen. „Taichi! Was tust du hier und was zur Hölle sollte das?“ Er lallte ein wenig beim Sprechen, aber das interessierte Yamato gerade am allerwenigsten. „Was ich hier tue? Was tust du hier?“ Taichi schien vor Wut zu brodeln, wie er sich immer mehr vor dem Kleineren aufbaute und sich recht deutlich zusammenreißen musste, um diesem nicht auch noch eine zu setzen. Ihm war anzusehen, wie sehr ihm der Anblick Yamatos und des Fremden zugesetzt haben musste. „Wenn du mir nicht nachtrauerst, meinetwegen, aber bist du nicht gerade erst aus einer ernsten Beziehung raus? Musst du dich sofort wieder durch ganz Tokyo vögeln?! Du bist nichts weiter, als ein verlogenes Miststück!“ Seine Faust traf zum Glück nicht Yamato selbst, sondern nur die Wand neben seinem Kopf, doch es reichte aus, um dem Journalisten die Knie erzittern zu lassen. Langsam fürchtete er sich doch vor einem weiteren Schlag des anderen Mannes. „Ich mag diesen neuen Spitznamen nicht.“ Was auch immer Yamato dazu bewegte, in seiner Situation gerade einen Witz zu machen, er verfluchte es im gleichen Moment wieder, als Taichi ihm einen äußerst wütenden Blick schenkte. Er schien am Rande seiner Vernunft angelangen zu sein und Yamato schien gut daran zu tun, den Mund zu halten und mehr an die Wand zurückzuweichen. Nicht, dass er irgendeinen gewaltvollen Übergriff des Anderen erwartete... aber dennoch, wollte er nichts riskieren, was seine Wange wieder für eine Woche in dunkellila-grün tauchen würde. Als Taichi erneut ansetzen wollte, fiel Yamato ihm rasch ins Wort. „Taichi, jetzt komm mal wieder runter.“ Nun ja, er war nie ein Freund von einfühlsamen und beruhigenden Ansprachen gewesen, weswegen er wohl auch nun wieder den radikalen Weg einschlug. Yamato ergriff Taichis Hand und führte sie langsam weg von der Wand, nur um sie dann wieder loszulassen. So ganz genau wusste er selbst nicht, was er sagen wollte oder welche Worte in dieser Situation angemessen waren. „Pass auf!“ Ja, das war doch schon einmal ein passabler Anfang. Nur, wie sollte es nun weitergehen? „Das mit uns ist vorbei. Ich habe Scheiße gebaut und du darfst mich hassen. Reicht das nicht?“ Es war wohl der viele Wodka, der gerade für ihn das Denken übernommen hatte, denn ein winziger und vor allem nüchterner Teil im Inneren des blonden Mannes brach gerade lieber in Tränen aus, als dass er so abgedroschene Worte sagen konnte. Aus einem unbestimmten Grund traf ihn diese Situation noch immer mehr, als Taichi selbst, wie es schien. Nur wieder wollte er sich das nicht anmerken lassen. Er wollte mit ihm ebenso abschließen, wie auch schon vorher mit Jõ. Dieser hatte ihn doch auch gehen lassen, wieso fiel Taichi es dann so schwer, wenn sie sich doch weitaus schlechter kannten? Er sah in Taichis Augen und registrierte erneut aufflammende Wut. Auch er schien Yamatos Worte widerwertig zu finden. In etwa so, wie der blonde Journalist selbst es tat. „Das ist kompletter Scheiß, den du da redest! Du bist verdammt betrunken und eine Hure.“ Da war sie wieder, die Beleidigung die Yamato einen Stich ins Herz versetzte. Nun hatte ihn Taichi schon des Öfteren als Miststück und Hure betitelt und das Schlimmste daran war ja die Wahrheit, die hinter der Bezeichnung steckte. Er war eine dreckige Hure und der Liebe dieser beiden Männer niemals wert gewesen. Das wusste Yamato selbst und dennoch wollte er sich der verstrickten Situation lieber entziehen, als sich Vorwürfe machen zu lassen. Wenn er sich selbst schon seit Wochen fertig machte, dann musste Taichi das nicht auch noch übernehmen. „Vielleicht, bin ich das.“ Yamato seufzte, fuhr sich durch das blonde Haar und versuchte seine Sicht wenigstens ein wenig zu fokussieren. Gott wusste, dass er viel zu betrunken für eine Konversation dieses Gewichts war. „Aber ich habe mit dir Schluss gemacht und dich damit von meiner Gegenwart in deinem Leben befreit, also sei zu Hause auf mich wütend und erzähl deinen Liebhabern in zehn Jahren noch von dieser dreckigen Hure, die dich damals so hintergangen hat. Können wir es bitte dabei belassen?“ Sah Taichi denn nicht, dass er weg wollte? Wie wenig Yamato seinen Anblick ertrug, weil er ihn nur wieder in Gedanken stürzte, mit denen er nichts anzufangen wusste? Taichis Anhänglichkeit, seine Wut und sein Wille danach, Yamato nicht ungeschoren davon kommen zu lassen, überforderten diesen maßlos. Jõ hatte ihm nicht einmal hinterher gesehen, als er die Wohnung verlassen hatte und Taichi folgte ihm sogar in seine Stammbar, riss ihn von einem potentiellen One-Night-Stand weg und machte ihm in der Öffentlichkeit eine Eifersuchtsszene? Die Unterschiede in den beiden Männern, mit denen er die letzten Monate über sein Bett geteilt hatte, waren nie deutlicher gewesen. „Du denkst wohl, du kannst dich jetzt einfach drücken?! Wer hat dir das Recht dazu gegeben einfach in das Leben Anderer einzudringen und einfach alles auf den Kopf zu stellen, nur damit du dich dann wieder verpissen kannst? Für was hältst du dich eigentlich?“ Die Frage war leicht zu beantworten: Abschaum, ein Feigling, eine Hure und ein Lügner. Trotz allem schwieg Yamato nur. Was wollte Taichi nun erreichen? Eigentlich waren sie schon ‚getrennt’ und hatten nichts mehr mit dem Leben des jeweils Anderen zu tun oder nicht? „Verdammte Scheiße!“ Abermals schlug Taichi gegen die naheliegende Wand. Er fuhr sich mit beiden Händen verzweifelt durch den braunen Mob und lief einige Male unruhig auf und ab. Sie ignorierten die betrunkenen Bargäste, die ab und an mal vorbeikamen, um die Kloräume aufzusuchen. Es war klar, dass ihre Szene Aufmerksamkeit erregte, nur war Taichi wohl zu wütend und Yamato selbst viel zu betrunken. Er lehnte inzwischen wieder an der Wand und musste sich wirklich zusammenreißen, sich nicht an Ort und Stelle zu übergeben. Der Wodka, kombiniert mit dem Durcheinander in seinem Kopf und dem dazu gehörigen Gefühlschaos, taten seinem Magen so gar nicht gut. „Taichi,“ – „Nein! Ich will nichts mehr von dir hören. Das bringt alles nichts. Es ist ja meine eigene Schuld. Ich hätte es wissen müssen – es dir ansehen müssen.“ Und was sollte das nun wieder heißen? Yamato rümpfte die Nase und zog die Augenbrauen zusammen. In seinem momentanen Zustand wurden alle seine Emotionen noch einmal mit etwa zwölf multipliziert und so ließ ihn dieser Kommentar direkt wieder wütend aufkochen. Innerhalb der letzten Minuten war er sicherlich hundertmal zwischen wütend, traurig und verzweifelt hin und her geschwankt. „Wie bitte?! Ansehen?“ „Ja, ansehen! Man sieht es dir an. Du schläfst doch mit allem, was nicht bei drei auf dem Baum ist.“ „Erstens stimmt das nicht und zweitens geht dich das gar nichts an!“ Yamato war vielleicht nicht gerade schlagfertig unterwegs, aber immerhin noch dazu fähig überhaupt zu antworten. „Es geht mich etwas an, wenn ich betroffen bin oder? Mit wie vielen Typen hast du sonst noch in der Zeit gefickt, häh?! Hast du die nun auch alle abgeschossen?“ „Du hast keine Ahnung, wovon du sprichst! Mein Leben und meine Sorgen haben dich nicht zu interessieren!“ Inzwischen lehnte Yamato vollends an der Wand, versuchte sich mit Händen und Schultern irgendwie zu festigen. Jede Sekunde würde er definitiv den Inhalt seines Magens verlieren. Wie schaffte er es überhaupt ordentliche Sätze zu formulieren? Vielleicht verhalf das Adrenalin, das durch seine Adern schoss, ihm ja zu einer nüchternen Zunge? Was sagte er eigentlich? Der Yamato, der gerade mit dem Alkohol in seinem Kopf kämpfte und der, der sich mit Taichi ein mittelmäßig-vernünftiges Wortduell lieferte, waren zwei vollkommen unabhängig voneinander handelnde Persönlichkeiten. „Deine Sorgen? Du interessierst dich doch nicht einmal dafür, wie es denen geht, die du verarschst.“ Und eben das war der Beweis dafür, dass sie sich kaum kannten. Egal, in wen sich Taichi verliebt hatte, es schien nicht der wahre Yamato zu sein, denn dieser wurde von Sorge und Angst um Andere regelrecht zerfressen. So sehr, dass er nicht mehr in der Lage dazu war, anständig zu handeln. Das Interesse an seinen Mitmenschen lähmte ihn und dies machte im Endeffekt alles nur noch schlimmer! „Du hast keine Ahnung.“ Er versuchte sich abzuwenden, wurde aber von Taichis starken Händen an Ort und Stelle festgenagelt. Der größere Mann presste ihn für einen Moment an die kalte Wand, ehe er sich ruckartig wieder von ihm löste, so dass Yamato kraftlos zu Boden sank. Er blieb sitzen. „Was nun? Wie viele Andere?“ „Zeitgleich? Nur Jõ.“ „Und davor?“ „Genug.“, gestand Yamato resigniert. „Und was war mit denen?“ „Es ist mit niemandem je so ernst geworden, wie mit dir.“ Beide Männer verstummten. Yamatos Kopf war seitlich gen Boden gesackt und einzig und allein aufgrund der Furcht, sich selbst zu bespucken, drehte er sich ein wenig zur Seite. Der kalte Stein fühlte sich ganz gut gegen seine heiße Wange an. Taichis versteinerter Blick auf ihm dagegen war die reinste Folter. Anscheinend wusste Taichi auf das Zugeständnis Yamatos nichts mehr zu erwidern. Er wirkte ein wenig verwirrt, was Yamato allerdings nur an seinen unruhigen Schritten festmachen konnte. Aufsehen tat der blonde Journalist nicht mehr; wenn er es denn überhaupt noch geschafft hätte. „Du siehst erbärmlich aus da unten.“ „Fresse!“ Seine nüchterne Gesprächsader schien ausgeblutet zu sein, denn weder verstand Yamato noch richtig, was Taichi sagte, noch vernahm er sich selbst. Er hatte irgendetwas zurück gepfeffert, aber was dies gewesen war, wusste er nicht. Taichi sollte gehen. Er sollte ihn alleine lassen. „Verdammt.“ Yamato vernahm Taichis Schritte nur noch, verfolgte sie nicht mehr. Er hatte seine Augen inzwischen geschlossen und konzentrierte sich nur noch auf seine Atmung – das letzte, was ihm gegen den aufsteigenden Brechreiz noch ansatzweise helfen konnte. „Ich kann nicht glauben, dass direkt wieder so jemand, wie du, es mir angetan hat. Ich fall immer wieder auf die Selben rein. Ich sollte mich darüber freuen, dass es so ‚früh’ ans Licht gekommen ist, ehe ich“, Taichi stoppte an dieser Stelle. Nicht, dass Yamato ihm zugehört hätte, aber plötzlich verstarb auch das leise Gemurmel, was bis zu ihm durchgedrungen war. „Mach’s gut, Yamato.“ Am Ende des Tages können wir nur hoffen, dass uns jemand abholt und nach Hause trägt. Egal, ob diese Person ein Verwandter, ein Freund oder ein Liebhaber ist. So lange uns nur irgendjemand nicht vergisst und nach uns suchen kommt – so lange ist noch nichts verloren. „Takuro ist ziemlich angepisst.“ „Hm.“ „Er meinte, er lässt dich in Zukunft nicht mehr in die Bar.“ „Aha.“ „Ich glaube, er sagt das nur so. Aber dennoch: Musstest du den ganzen Flur voll kotzen? Wie alt bist du?“, gluckste Mimi fröhlich. Sie nahm die ganze Angelegenheit nicht so ernst. „Ich fühl mich, als wär ich Siebzig.“ „Ich hab dich natürlich in Schutz genommen. Ich meine, ich versteh das! Wenn man gerade eine schwere Trennung durchmacht – zwei Trennungen, wenn man es genau nimmt – dann geht es manchmal mit einem durch. Ich finde, es ist vollkommen legitim sich dann umzuschießen. Nur musst du es in der Bar meines Verlobten tun?“ „Es ist meine Stammbar.“ Und er hatte die beiden ja überhaupt miteinander bekannt gemacht. Yamato drehte sich mit einem missmutigen Murmeln auf die andere Seite, versuchte das verbleibende Stück Laken, welches momentan noch seine Beine bedeckte, von sich zu treten. Er war bei Takeru eingekehrt und nüchterte dort nun schon seit gut zwei Tagen aus. Sein kleiner Bruder hatte ihn wortlos schlafen und sich übergeben lassen und schließlich die ‚Wache’ an Mimi abgegeben, als er selbst zum Training gemusst hatte. Nicht, dass man Yamato bewachen musste, schließlich wollte er sich nicht die Pulsadern aufschneiden oder sich mit einer Überdosis Schlaftabletten die Lichter ausblasen. Dennoch hatte sein kleiner Bruder ihn nicht alleine in der Wohnung zurücklassen wollen. „Man sollte meinen, du würdest mehr ertragen – also so als Hobbyalkoholiker.“ Yamato lachte trocken auf, drehte sich weiter auf seinen Bauch und vergrub das erwärmte Gesicht in dem ebenso warmen Kissen. „Ist das ein neues Sternzeichen?“ Schon seit Ewigkeiten hatte er nicht mehr solch immense Nachwirkungen eines Katers ausbaden müssen. Auch Mimi lachte. Natürlich war sie keinesfalls böse auf ihn und darauf, dass er ihrem Verlobten den Club besudelt hatte. Gott wusste, wie oft die braun-gefärbte Partymaus sich ebenfalls schon auf diversen Tanzflächen hatte übergeben müssen. „Und Taichi ist einfach gegangen?“ „Anscheinend, nicht?“ So genau wusste es Yamato selbst nicht. Woher auch? Er konnte sich nicht mal mehr an ihre Unterhaltung erinnern. Einzig und alleine Taichis Anwesenheit an besagtem Abend war ihm im Gedächtnis hängen geblieben. Der Rest war das Klo hinunter gespült worden. „Wieso taucht er eigentlich in der Bar auf, wenn du schon vorher mit ihm Schluss gemacht hast? Aus deinen Erzählungen heraus hätte ich niemals geschlossen, er sei so eine Drama-Queen. Ich meine, so etwas haben wir beide ja noch nicht einmal gebracht und wir sind schon – nun ja – hart drauf, wenn es darum geht, jemandem eine Szene zu machen.“ Wo sie Recht hatte... Mimi und Yamato waren schon diverse Male auf offener Straße übereinander, über andere Freunde oder ihre Partner hergefallen. Und das sicherlich nicht im positiv-versauten Sinne. „Ich hätte es auch nie erwartet.“ Nun lag der blonde Mann auf dem Rücken, eine Hand auf seine Stirn gelegt und die andere auf seinen entblößten Bauch. Er trug nur Unterwäsche, scherte sich vor Mimi allerdings nicht darum. Wie oft hatten sie sich schon nackt gesehen? Wie viele Male hatten sie früher miteinander die Nächte verbracht und hier und da mal etwas ‚rumprobiert’? Vor Mimi musste er sich für nichts schämen – absolut gar nichts mehr. Es tat Yamato schon ein wenig Leid, wie er Takeru mit Schweigen belastete und nur mit Mimi über das Geschehen sprach, aber vor seinem kleinen Bruder wollte er eben noch sein Gesicht bewahren. Vielleicht sollte das unter Brüdern nicht der Fall sein, allerdings waren sie ja auch nicht unbedingt wie normale Geschwister miteinander aufgewachsen. Yamato hatte schon immer mehr als Takerus Vaterfigur fungiert, als wie sein großer Bruder und dementsprechend wollte der Ältere der beiden sich auch keine Blöße geben. Welcher ‚Vater’ sprach schon mit seinem ‚Sohn’ über seine Suff- und Sex-Eskapaden? „Ihr seid ja auch nicht die männlichen Gilmore-Girls. Allerdings verstehe ich nicht, wieso du von Takeru und dir als Vater und Sohn denkst. Du solltest wirklich einen Psychologen aufsuchen. Ich meine, irgendetwas läuft da bei dir ziemlich quer.“ Hatte er das laut gesagt? „Oh, habe ich das laut gesagt?“ Mimi schlug sich die fein manikürte Hand vor die Stirn und rollte die Augen. „Ganz ehrlich, Schatz, diese Frage unterstützt meinen Einwand nur noch. Echt, Yama: Psychologe? Hilfe? Therapie?“ Yamato zuckte mit den Schultern, sah ratlos an die Zimmerdecke. Sein Kopf dröhnte noch immer, allerdings konnte er sich nicht wirklich sicher sein, dass sein Zustand nur aus der durchzechten Nacht rührte. Sicherlich schlug ihm doch sein seelischer Umstand auf die Gesundheit. „Vielleicht.“ Yamato war nie ein großer Freund der Therapie gewesen, behielt er seine Probleme ja lieber für sich. Und wollte er dann doch einmal mit einer Person über diverse Dinge sprechen, erschien ihm der Preis für einen Cocktail doch weitaus erschwinglicher, als der einer Therapiestunde. „Kann ich nicht einfach einschlafen, aufwachen und dann ist alles niemals geschehen?“ Mimi sah von ihrem Energy-Drink auf und in seine Richtung. Yamato sah sie aus seinen Augenwinkeln, wie sie ihn mit ihrem fragenden Blick durchlöchern wollte. „Was ‚alles’?“, fragte sie ihn neugierig. Mimi sah hübsch aus, wenn sie so kindlich fragend dreinsah. Mit ihren langen, tiefschwarzen Wimpern und den großen, braunen Augen, den rosanen, vollen Lippen. Wieso konnte er nicht einfach mit ihr zusammen sein und alle seine Probleme vergessen? Diese Probleme niemals gehabt haben? „Wir könnten schon verheiratet sein und Kinder haben.“ „Wie bitte?“ Yamato setzte sich plötzlich auf und langte nach vorne, zog Mimi zu sich. Er küsste sie, leidenschaftlich und innig. Natürlich fühlte er nichts dabei. Seine Freundin entzog sich ihm nicht. Für sie beide war es nichts Besonderes. Da waren keine Emotionen und Gedanken. „Und?“ „Das Leben ohne Männer wäre einfacher.“ „Dann wäre ich lesbisch.“ „Dann wäre das alles nicht geschehen.“ „Und du würdest nicht existieren.“ „Ich bin kein Mann, ich bin eine Maus.“ Mimi verpasste ihm eine sanfte Kopfnuss, die Yamato zurück auf sein Kissen sacken ließ. Er hatte doch Recht: Wie gut könnte es ihm gehen, wäre er einfach schon mit seiner besten Freundin verheiratet, fest im Job und liebender Vater? Aber nein, er hatte sich ja für ein Leben voller Alkohol und Sex mit Männern entscheiden müssen. „Als ob es nur diese beiden Möglichkeiten gäbe.“ „Hör auf meine Gedanken zu lesen.“ „Hör auf sie laut auszusprechen!“ Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit konnte Yamato wieder einmal lachen. Es war kein zynisches, höhnisches Lachen, sondern wirklich ehrlich und frei. Wenigstens in diesem Moment war alles in Ordnung. Er witzelte mit Mimi über seine Lebenssituation, ohne diese dabei als die eigene annehmen zu müssen. So musste er sich noch nicht damit konfrontieren, dass er alleine war und auf der Straße saß – mit all seinen Sachen noch in seiner alten Wohnung, in der sein Exfreund wohl gerade dabei war, ihn aus seinem Leben zu radieren. Eine Weile kehrte Stille zwischen ihnen ein. Er hörte, wie Mimi mit ihrem Verlobungsring gegen ihre Red Bull Dose klimperte und den Lärm einer Baustelle von weiter weg. Wieso war ihm eigentlich noch immer so warm, auch wenn das Fenster weit offen stand? „Wie geht’s dir?“ Der Ernst und das Mitgefühl, die bei dieser Frage plötzlich mitschwangen, erschraken Yamato; rissen ihn aus seinen Gedanken. Er hatte sich vor diesem Thema gefürchtet. Was sollte er sagen? Er wollte sich ablenken und vergessen, was geschehen war, auch wenn das nicht gehen würde. Yamato war ja nicht dumm und er wusste nur zu gut, dass sein Leben weitergehen musste und es wohl auch tun würde. Mimi ergriff als erste wieder das Wort, ehe ihr Freund ihre Frage hätte beantworten können. „Sieh es von der guten Seite: Du hast den Horror endlich beendet. Kein Fremdgehen mehr, keine Schuldgefühle.“ Sie kannte ihn wirklich zu gut oder war er nur so leicht zu lesen? Stand ihm ins Gesicht geschrieben, was in seinem Innersten vor sich ging? „Ja. Keine Beziehung. Kein Jõ und kein Taichi. Keine Wohnung und keine Ahnung, was mein Problem ist.“ Yamato – negativ, wie eh und je – fiel es schwer die gute Seite seiner aktuellen Taten zu sehen, auch wenn Mimi sie so hingebungsvoll und bemüht versuchte zu verdeutlichen. So schnell würde er das Geschehen nicht vergessen können. Ebenso wenig, wie Taichis Blicke, Jõs zurückgehaltene Tränen – die Gefühle der beiden Männer, die er so verletzt hatte. „Wieso hat es ihn so getroffen?“ „Hm? Was meinst du?“, fragte Yamato verwirrt. „Taichi. Er wirkte fast betroffener, als Jõ und dabei kennen wir uns doch kaum.“ Mimi erhob sich seufzend. Sie wirkte auch etwas ratlos, wenn auch so, als beschäftigte sie die Frage ebenfalls. Natürlich, sie kannte Taichi noch weniger, als Yamato selbst und konnte so nur schwer eine Prognose für das Verhalten des hitzköpfigen Physiotherapeuten abgeben. „Vielleicht hat er sich echt in dich verschossen gehabt. Kennst du dieses Gefühl nicht mehr?“ Yamato verneinte. Er wusste nicht mal mehr, wie lange es her war, dass er Schmetterlinge im Bauch gehabt hatte. Diese Zeit, in der man nur noch an diese andere Person denken konnte und die Nervosität jedes Gespräch mit ihr versaute. Wo waren diese jugendlichen Gefühle bloß hin verschwunden? „Nun, ich hoffe, ich werde es irgendwann mal wieder kennen lernen. Ich bin jetzt ja wieder Single.“ Und wie lange war er bitte schon kein Single mehr gewesen? Er war jetzt wieder offiziell auf dem Markt und ‚zu haben’. Diese Begebenheit erschien Yamato weniger fern, hatte er schließlich oft genug mit anderen Männern angebandelt – Beziehung hin oder her. Eben dieses Verhalten hatte ihm ja seine Probleme erst eingebracht. „Vielleicht werde ich hetero.“ „Yama, können wir nicht einmal ernst darüber reden?“ „Worüber? Ich meine das ernst. Ich scheine im Umgang mit Männern nicht so gut zu sein, wie ich immer dachte.“ „Und du glaubst, das wird mit Frauen anders? Du bist einfach beziehungsunfähig.“ Er schnaufte. So etwas musste er sich nun auch noch anhören? Ihm waren doch innerhalb der letzten paar Tage genug Beleidigungen um die Ohren gepfeffert worden. Yamato Ishida war also nicht nur verzweifelt und ängstlich, sondern obendrein noch ein Flittchen, eine Hure, ein Miststück, selbstsüchtig, arrogant und natürlich: Beziehungsunfähiger Abschaum. Yamato war sich unsicher darüber, ob er sich jemals in seinem Leben so schlecht gefühlt hatte. Es war normal für ihn, selbst nicht gerade positiv über sich und sein Verhalten zu denken, aber es von den Leuten zu hören zu bekommen, denen man nahe stand – das war noch einmal eine ganz andere Form der Demütigung. „Ich glaube, du hast dich in Taichi verguckt.“ „Wie bitte?“ Wo war die Ansage denn plötzlich hergekommen? Verwirrt sah sich Yamato im Raum um, auch wenn natürlich niemand anderes, als Mimi, ihm diese Phrase an den Kopf gedonnert hatte. Sie hatte doch vor einer Sekunde erst festgestellt, dass seine Ex-Affäre in ihn verschossen gewesen war. Wie kam sie denn nun auf den Rückschluss, es habe sich bezüglich der Gefühle um Wechselseitigkeit gehandelt? „Du hast so von ihm geschwärmt. Die Male, die du bei ihm warst, wirktest du so locker und frei. Er hat dich gefordert und auch mal gerügt. Er war all das, was du bei Jõ nicht mehr finden konntest und, wenn ich mir mal genauer darüber Gedanken mache, dann hast du dir das alles nicht nur eingeredet. Er war wirklich so. Für ihn war es ja auch der Anfang einer Beziehung – oder zumindest so etwas in der Art. Du hast diese neuen Gefühle also vor kurzem erst erleben dürfen.“ Hätte Yamato normalerweise direkt, ohne Umwege, die Route der Verleugnung eingeschlagen und Mimi irgendwie blöde angemacht - was sie sich denn denken würde – so schwieg er dieses Mal. Er hatte inzwischen vielleicht doch ein wenig dazu gelernt und sah ein, dass er selbst mit seiner Meinung oftmals daneben lag. Hatte Mimi Recht? Hatte auch er sich in Taichi verschossen? - Nun endet also alles einmal. Und wenn es dann beendet wurde, ist es der Anfang von etwas neuem. Vor uns: Das neue und ungewisse. Hinter uns: Das vergangene und ebenfalls ungewisse. In welche Richtung geht es also weiter? Viele weise Männer haben bereits vor Jahrhunderten klargestellt, dass der einzige Weg nach vorne geht. Nur, haben sie dabei auch den Ballast bedacht, den man unweigerlich noch aus dem Vergangenem mit sich herumschleppt? Und ist es nicht ratsam den Weg zurück wenigstens mal zur Hälfte zu gehen, um nachzusehen, wo man noch gleich falsch abgebogen war? In der Gegenwart leben und nach vorne sehen – schön und gut. Aber mal im ernst: Erst einmal begreifen, was man falsch gemacht hat und bitte diese Fehler in Zukunft vermeiden, ja? Von wegen, der Weg geht nur nach vorne. Nichts geht irgendwohin, so lange man nicht an sich arbeitet. Man steht letzten Endes nur auf der Stelle und Wege gibt es in diesem winzigen Gefängnis aus Gefühlen und Gedanken sowieso keine. Man kann sich alles schön und einfach zitieren – sich an diesen hohen Worten wieder auf die Beine bringen und Hoffnung aus ihnen schöpfen. Das bringt am Ende des Tages nichts, steht man im Prinzip noch genau da, wo man das letzte Mal vergessen hat nachzufragen, wo lang man noch einmal musste. Wo lang man eigentlich wollte. Wohin wollen wir? Hält uns unser Ballast nur auf oder bringt er uns doch voran? -tbc. Danke für's Lesen. Hosted by Animexx e.V. 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