Immer wieder, noch einmal. von Norden ([TAITO & JOMATO]) ================================================================================ Kapitel 4: Der Junge und das L-Wort ----------------------------------- Jeder von uns hat Tag für Tag beide Hände voll damit zu tun seine Pläne umzusetzen und seine Ziele zu erreichen; sein Ding durchzuziehen. Am Rande dieses stressigen Weges, strikt entlang des berüchtigten roten Fadens, versucht man maximal noch nicht ganz und gar dem gefräßigen Maul des Wahnsinns zum Opfer zu fallen und dann – ZACK – sind vierundzwanzig Stunden, sieben Tage und letzten Endes auch zwölf Monate vergangen. Wie rasch die Jahre vorbei ziehen realisiert man erst, trifft man zufällig auf sein wieder ein wenig gealtertes, Spiegelbild. Diese Begegnung ereignet sich tatsächlich eher selten vor einem Spiegel, sondern zumeist in einem feinen Café oder Restaurant, manchmal auch direkt auf der Straße oder im Supermarkt um die Ecke. Ein schockierendes Spiegelbild muss nicht immer dem eigenen Angesicht entsprechen, sondern überfällt einen meist in Form eines alten Freundes; einer Person, der man lange nicht mehr begegnet ist und deren Anblick einem plötzlich die Wahrheit wie Schuppen von den Augen rieseln lässt. Im Gesicht eines Anderen sehen wir all das, was wir bislang erlebt, den ganzen lieben langen Tag getan haben und vor allem auch was uns entgangen ist. Leben und leben lassen. Wenn man gänzlich in den eigenen Problemen und Lösungen verstrickt ist, bemerkt man selten noch etwas um einen herum geschieht. Wie soll man sich auch noch mit Anderen auseinandersetzen können, bringt man es innerhalb eines Tages kaum zu Stande die Toilette aufzusuchen oder gar gute vier Stunden zu schlafen. Und trifft man nun auf den alten Kameraden sieht man es klar und deutlich vor sich, hört von all den Geschehnissen, die in den vergangenen Jahren Leben verändert haben und die nach so viel mehr klingen, als das womit man selber die Zeit hinter sich gebracht hat. Ohne finanzielle Probleme, Krankheit oder schockierenden Unglücken innerhalb der Familie, war Yamatos roter Faden im Leben gesponnen worden von nervenzehrenden Diskussionen mit seinem eigenen Unterbewusstsein und seinem Herzen. Andere Menschen versanken im Sumpf ihrer Arbeit, in ihrer Beziehung oder Derartigem und sahen wehmütig all dem zu, was sie verpassten, aber zu dem sie nicht durchdringen konnten, da es einfach Wichtigeres zu tun gab. Yamato hingegen bastelte sich seine Probleme selbst und kam sich später dafür vor wie eine Witzfigur, sah er denn mal in das Gesicht der vergangenen Jahre, die er so missachtet hatte. Wie konnte sich ein Mensch nur so an Kleinigkeiten aufhängen und sich obsessiv in sie hinein steigern, dass er letzten Endes keinen Blick mehr für die wichtigen Dinge des Lebens hat? ‚Er liebte ihn, er liebte ihn nicht. Irgendwo standen Rosen, irgendwer anders wachte neben ihm im Bett auf. Liebte er ihn nun oder nicht? Sollte er etwas in seinem perfekten Leben ändern? Warum gerade dieser spießige Glastisch?‘ Sicherlich lachten Menschen mit wirklichen Problemen nur über ihn. Entweder das oder sie schüttelten den Kopf und ließen ihn mit seinen wirren Gedanken alleine. Mit den Gedanken die ihn bitter lächeln ließen, während er doch eigentlich versonnen summend in der blau-weiß gestreiften Hollywoodschaukel schwingen sollte, mit dem kleinen Menschen in seinem Arm, der glücklich lachend an seinem Hemdsärmel zog und damit versuchte seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Es gab einfach so viel Wichtigeres in seinem Leben, als die ewige Frage nach seinen Gefühlen und was nun das Richtige für ihn war. „Yama? Ich wusste gar nicht, dass du auch hier bist!“ Erfreut darüber endlich mal richtig abgelenkt zu werden, wandte Yamato seinen Blick vom blauen Himmel über ihnen ab und sah in Richtung der Glastür, die zurück in das kleine Haus seiner Mutter führte. Nur um direkt in das Gesicht seines jüngeren Bruders zu blicken. Alleine sein fröhliches Lächeln, das so viel offener und herzlicher war als das Yamatos, besänftigte dessen unruhiges Gemüt ein wenig. Yamato konnte es sich selber nicht erklären, aber immer wenn Takeru in seiner Nähe war, rutschte er ganz automatisch wieder in die Rolle des großen Bruders und in ihn kehrte diese erwachsene Ruhe ein, die er sich nach der Scheidung ihrer Eltern schnell antrainiert hatte, um sich anständig um den Haushalt seines schwer arbeitenden Vaters und auch Takerus Wohlbefinden kümmern zu können. Sobald sie zusammen waren, vergaß er alles andere und es gab nur noch ihn und seinen geliebten kleinen Bruder. Sie beide gegen den Rest der Welt. „Ich versuche schon seit Wochen dich zu erreichen. Warst wohl schwer beschäftigt?“ Der ältere der beiden blickte verlegen drein und nickte, signalisierte dem anderen Blondschopf dabei allerdings auch schon wortlos wie Leid es ihm tat einmal nicht für ihn da gewesen zu sein. Egal wie alt und erwachsen Takeru nun schon war, Yamato würde niemals auch nur auf die Idee kommen, sich einmal nicht mehr verantwortlich für ihn zu fühlen. Es war zwar nicht so, dass er seinem ‚Kleinen‘ nicht zutraute, auf eigenen Beinen stehen zu können, aber loslassen? Seinen süßen Babybruder, dem er vor gefühlt einer Woche erst die Nutellareste vom Mund hatte wischen müssen, alleine in die große, böse Welt ziehen lassen? Nur über Yamatos Leiche und sicherlich würde er im äußersten Grenzfall selbst aus der Nachwelt noch einen Weg dafür finden über Takeru wachen zu können. Seine Familie war Yamato schon immer das Wichtigste gewesen und sein Bruder spielte in dieser seiner Gefühlswelt noch einmal eine ganz spezielle Rolle. Yamato interessierte es dabei nicht, wie oft man ihm noch vorwerfen würde, versessen auf sein eigen Fleisch und Blut zu sein; einen Bruderkomplex zu haben. Dann vergötterte er ihn eben, wo lag das Problem? Takeru war ganz klar immer das niedlichste, drolligste Kind der Welt gewesen und verkörperte inzwischen einen Mann - groß, durchtrainiert, sexy bis aufs Äußerste - der selbst seinem schwulen großen Bruder ab und an unangenehme, kalte Schauer über den Rücken jagte. Nicht, dass Yamato jemals in dieser Konnotation über Takeru denken würde. Ebenfalls nur über seinen toten Körper! Sein kleiner Bruder hatte keinen Sex zu haben - mit niemandem - und Yamato wollte am liebsten jedes Weib, das ihn auch nur eine Millisekunde zu lang ansah, das Make-Up aus dem Gesicht schlagen. Alleine der Gedanke daran, irgendeine blöde Schrulle wagte es diesen perfekten Körper zu berühren und sich an ihm zu vergehen - Sofort unterbrach er sich an dieser Stelle und verscheuchte den Horror aus seinem Kopf. Takeru war noch Jungfrau. Punkt. Er wollte in diesem Märchen leben solange es ihm passte und niemand würde ihn diesem entreißen können. Kurz drückte er brav in schwuler-großer-Bruder Manier Takeru einen Kuss auf die Wange, als dieser sich zu ihm vorbeugte, um sich besagte Begrüßung abholen zu können und auch, damit sich der kleine Junge von Yamatos Schoß nun in seinen Arm begeben konnte, hatte dieser doch schon beim Anblick des Neuankömmlings angefangen rum zu zappeln. „Na, mein Großer! Hat Yama dich wieder zu Tode gelangweilt, ja? Das darfst du ihm nicht übel nehmen. Er ist einfach immer in seinem Kopf.“ Der Benannte schnaubte auf die Worte seines Bruders hin und langte nach der Kaffeetasse, die neben der Hollywoodschaukel auf dem kleinen Gartentisch stand und eine ganze Weile nicht mehr angerührt worden war. Natürlich war ihr Inhalt inzwischen schon kalt, was sich Yamato allerdings nicht anmerken ließ, als er einen großen Schluck trank. Schließlich wollte er ja Takerus Vorwurf nicht noch bestätigen. Dann war er eben nicht so ganz bei sich gewesen und hatte fast schon die Anwesenheit seines jüngsten Bruders vergessen gehabt, anstatt mit ihm zu spielen. „Kann nicht jeder so hyperaktiv sein, wie ihr beide!“ Und trotz seiner bissigen Worte konnte der junge Journalist gar nicht anders, als das Bild vor ihm lächelnd zu beobachten. Es war immer wieder aufs Neue erfrischend harmonisch und friedvoll Takeru zusammen mit ihrem neuen Familienmitglied zu sehen, ob nun beim Spielen oder friedlich zusammen auf der Couch schlummernd. Yamato selbst reichte allein schon das aufkeimende Strahlen in den zwei blauen Augenpaaren, sahen sie einander an. War Takeru schon der perfekte jüngere Bruder gewesen, so konnte der Älteste der Bande es kaum in Worte fassen, was für eine gute Figur er als Älterer zweier Geschwister abgab. Er selbst hätte selber gerne einen so guten großen Bruder sein Eigen nennen dürfen, aber was nicht war, war eben nicht und anstelle etwas nicht Vorhandenem hinterher zu trauern, erfreute er sich viel lieber an den beiden Schätzen, mit denen er gesegnet worden war. Als ihre Mutter ein zweites Mal vor den Traualtar getreten war, hatte in Yamato noch der Zorn auf sie und seine zerstörten Kindheitsträume regiert. Immerhin war der Traum einer vollständigen Familie in einem kleinen Teil des kindlichen und naiven Yamatos niemals ausgelöscht worden, egal wie offensichtlich unmöglich eine Wiedervereinigung ihrer Eltern gewesen war. Erst mit der Zeit und vor allem nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters hatte er nach und nach seiner Mutter vergeben können. Dafür, dass sie ihn zurückgelassen und sich nicht mehr bei ihm gemeldet hatte. Für all die Streitigkeiten seiner Eltern, die auf seinem Rücken ausgetragen worden waren. Sobald er diese Mauer erst einmal heruntergerissen hatte, waren sie recht aneinander gewachsen. Er für seinen Teil genoss es wohl ein wenig zum ersten mal richtig mütterlich umsorgt und ermahnt zu werden und Natsuko – nun ja – laut Takeru, der ihre Mutter ja weitaus länger und besser kannte als Yamato, sah sie in ihm nicht einen weiteren wilden Sohn, der ihr nur Sorgen und Probleme bereitete. Sie betrachtete ihn fast schon als einen Gleichgestellten, den sie zwar bemutterte, aber mit dem sie auch Kaffeekränzchen abhalten und dabei über Frauenprobleme reden konnte. Anscheinend brauchte wirklich jede Frau einen schwulen Freund, ob nun als Sohn oder nicht. Sowieso war für Yamatos Familie seine Sexualität niemals ein Diskussionsthema gewesen. Mal davon abgesehen, dass man ihm diese ja angeblich auch aus einer Entfernung von dreihundert Kilometern, bei Unwetter, Nacht und Nebel, noch immer ansehen konnte; anscheinend wussten sie einfach alle gut funktionierende Beziehungen und Liebe zu schätzen und hinterfragten dabei nicht auch noch das Geschlecht der Partner. Zu viel hatten sie zusammen durchgemacht, zu lange nur Hass und Streit ertragen müssen. Seine Eltern waren letzten Endes wohl einfach nur glücklich für ihn gewesen, mehr oder minder seinen Weg gefunden zu haben und nicht unglücklich an der Seite von irgendeiner Frau sterben zu müssen, für die er keine Gefühle hegte. Würde er dafür nun unglücklich an der Seite eines Mannes sterben, den er nicht liebte? Takeru setzte nach schier endloser Zeit Kentaro endlich zu Boden und wuschelte ihm nur noch herzlich durch den ebenfalls goldblonden Haarschopf, dabei allerdings zu seinem zweiten Bruder schielend. „Schon wieder in deinem Kopf?“ – „ Ach sei still!“ Yamato räusperte sich laut, setzte sich in der Hollywoodschaukel etwas auf und deutete neben sich. „Pass auf, wie du mit Älteren sprichst. Setz dich lieber hin und erzähl deinem großen Bruder was die Uni so macht.“ Zwar folgte Takeru seinem Angebot und ließ sich, plötzlich anscheinend durchweg erschöpft, wie ein nasser Sack, neben Yamato plumpsen, verdrehte jedoch erst einmal nur genervt die Augen. „Ätzend und anstrengend, wie immer. Ich glaube unser ITM Professor will uns noch einmal die letzten Nerven rauben!“ „ITM?“, fragte der ältere Ishida verwirrt zurück. Manchmal verwunderte es ihn noch immer, wie Takeru von einem Tag auf den nächsten einen Narren an Wirtschaft und dergleichen gefressen und sich nach seinem Abschluss direkt an der Universität für einen so genannten ‚International Business‘-Studiengang eingetragen hatte. Weit entfernt schienen die Abende, an denen sie in ihren Schwärmereien von späteren Karrieren als Basketballprofi und Rockstar versunken waren. In der langweiligen Realität, fernab von Kinderträumen und Wunschvorstellungen, verkörperten sie gegenwärtig einen angehenden Finanzhai und einen Möchtegern-Autor, getarnt als erfolgloser Journalist. „International Trading and Marketing. Scheißfach! Interessiert niemanden und besteht nur aus blöden Statistiken und Grafiken. Lass uns bitte über etwas anderes reden, ja?“ Yamato zuckte etwas ratlos mit seinen Schultern. „Entschuldige, dass ich mich für dein Leben interessiere. Seit du am anderen Ende der Stadt wohnst, sehen wir uns immerhin kaum noch.“ „An mir alleine soll das aber nicht liegen. Du verbringst deine ganze Freizeit doch nur noch mit deinem Ehemann und deiner Busenfreundin. Na, läuten bei euch und Mimi und ihrem Schatz schon die Hochzeitsglocken?“ Wobei sie nun wiederum bei einem Thema angekommen waren, über das Yamato ungerne reden wollte. Um genau zu sein, wollte er ja nicht einmal selber über seinen so genannten ‚Ehemann‘ nachdenken. Die Einladung seiner Mutter zu Kaffee und Kuchen, in ihrem kleinen Einfamilienhaus ganz am Rande der Stadt, war Yamatos Rettung und Hilfe zur Flucht gewesen. Eine ganze Woche lebten er und Jõ nun schon wieder ihr routiniertes Leben und während seinem Freund entweder der kleine, nächtliche Ausrutscher entgangen war oder Jõ ihn einfach nur ignorierte, schwebte dieser über Yamatos Kopf wie eine tiefschwarze Gewitterwolke. Wie sehr wünschte er sich inzwischen einfach nur noch von dem dunkelhaarigen Arzt angeschrien und geohrfeigt zu werden für all seine Dummheiten und jede Sekunde, die er ihn verletzte. So sehr quälten ihn seine eigenen Taten. Wieso musste Jõ noch immer den liebevollen Unwissenden spielen? Es drehte Yamato fast schon den Magen um. „Ich hab Jõ schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Am besten wir gehen bald mal wieder zu einem Spiel, dann kann ich ihn über meinen großen Bruder ausfragen.“ Auch wenn Yamato nicht einmal eine Unterhaltung führen wollte, die nur annähernd etwas mit seiner Beziehung zu tun hatte, wurde er aufmerksam bei Takerus Worten und erwiderte das Grinsen seines Bruders mit einem neugierigen Blick. „Über mich? Du weißt doch alles über mich.“ Immerhin verheimlichte er dem jüngeren Mann so gut wie nichts. Natürlich führte er seine früheren Abenteuer in der Welt der brotlosen Musiker zwischen Partys, Sex und Alkohol nicht vollständig aus, aber er hatte Takeru auch nie den braven Abstinenzler vorgespielt. „Ach nur, wie du so im Bett bist und das alles. Worüber man unter Männern eben spricht und da du Basketball langweilig findest und lieber mit Mimi Cocktails schlürfen gehst, fällst du in die Rolle der Frau.“ Beinahe wären Yamato die Gesichtszüge entgleist, als er sein Gegenüber so locker flockig über seine Bekanntschaft zu Jõ und die damit einhergehenden Vorteile sprach. Sollte er ihm diese Worte wirklich abkaufen? Immerhin passte es so gar nicht zu seinem erwachsenen, ernsten Lebensabschnittsgefährten mit seinem kleinen Bruder über Sex zu sprechen. Vielleicht nur über die richtige Verhütung und einige Ermahnungen - ja, so etwas würde er Jõ schon eher zu trauen, aber niemals würde er vor Takeru ausplaudern wie sich Yamato im Bett benahm. Trotz allem spürte Yamato deutlich wie ihm die Hitze in die Wangen stieg und er konnte gar nicht anders, als sich verlegen zu räuspern und seinem Bruder anschließend einen Klaps gegen den Hinterkopf zu verpassen. Brüder hin oder her, da Takeru für ihn keinen Sex zu haben hatte und Yamato nach jeder diesbezüglichen Konversation mit dem Jüngeren eine einwöchige Therapie gebrauchen konnte, erzählte er ihm sicherlich nichts aus seinem persönlichen Intimleben. Gerade als Takeru zu einem seiner altbekannten Versuche ansetzte, aus Yamato irgendetwas Intimes und Perverses raus zu kitzeln – meist unter dem missmutigen Vorwurf, Mimi würde er ja auch alles erzählen, unterbrach ihn die sich öffnende Terrassentür. „Da sind meine Jungs ja! Ich hab euch in Kentaros Zimmer vermutet.“ Besagten Jüngsten direkt in Empfang nehmend, wandte sich Natsuko an ihre beiden älteren Söhne und schenkte ihnen ein warmes Lächeln. Es war recht offensichtlich wie sehr auch ihr der Anblick der fast vollständigen Familie gefiel. Anscheinend hatte auch ihr der mangelnde Kontakt zu Yamato sehr auf dem Herzen gelegen. „Kommt ihr rein? Ich habe Kaffee gekocht und“, sie zwinkerte Takeru zu und gluckste. „dein Bruder hat Kuchen gebacken, Takeru. Wenn ich mich nicht ganz täusche sogar deinen Lieblingskuchen.“ Yamato sah nur noch ein erfreutes Funkeln in den Augen seines Bruders, ehe dieser schon aufgesprungen war, eben Natsuko noch Kentaro aus dem Arm gehoben hatte und nun schon gen Küche im Inneren des kleinen Hauses verschwunden war. „Schatz, kommst du auch?“ Zwar hörte Yamato seine Mutter deutlich, jedoch regte er sich nicht weiter, als dass er sich eine Zigarette aus der Schachtel auf dem Tisch angelte und sich diese ansteckte. „Ich komme gleich nach.“ „Du sollst nicht rauchen, dass schadet dir nur! Und wenn du schon deine Gesundheit ignorierst, denk wenigstens an deine schöne Stimme, die wird sonst nur kratzig und rauchig. Willst du das?“ Ein flegelhaftes Grinsen konnte sich der blonde Schönling einfach nicht mehr verkneifen, erfreuten ihn die Worte seiner Mutter doch ebenso sehr, wie sie ihn erheiterten amüsierten. Es fühlte sich gut an mal zur Abwechslung etwas ermahnt zu werden. Nervte diese elterliche Angewohnheit bestimmt nicht nur die erwachsenen Kinder in seinem Alter, so genoss Yamato sie in vollsten Zügen, hatte er sie schließlich zuvor nicht erfahren dürfen. Dafür war sein Vater einfach weder der Typ Mensch gewesen, noch hatten sie für eine liebevolle Beziehung jemals genügend Zeit miteinander verbracht. „Eigentlich fänd ich das ziemlich reizvoll. Meinst du nicht, so eine rauchige Stimme wäre sexy bei mir?“ Mitsamt seiner Zigarette erhob er sich von der Hollywoodschaukel, die sofort etwas hin und her schwang, und nahm einige Schritte in Richtung seiner Mutter. Natsuko war inzwischen ein wenig kleiner als er und Takeru überragte sie beide selbst sogar schon um einen guten Kopf. Irgendwie ließ diese Begebenheit die einzige Frau des Hauses noch besonderer und behüteter erscheinen, denn egal wie sehr sie noch auf ihre ‚Jungs‘ zu achten pflegte, so waren es eher sie, die ihre Mutter inzwischen an die helfende Hand nahmen und so manches Mal zu Recht wiesen. Immerhin waren sie die ‚großen und starken‘ Söhne, die ihre Mutter zu schützen wussten - dies sozusagen als ihre Pflicht ansahen. Wusste Gott, selbst Yamato fühlte sich in seinen realitätsnahen Momenten, fernab seines Bruderkomplexes, etwas eingeschüchtert und gleichermaßen gesichert durch Takerus imposante Erscheinung. Es war offensichtlich wer die Gene ihres Vaters geerbt hatte und wer, im Gegensatz dazu, Natsuko fast wie aus dem Gesicht geschnitten schien. Es war spannend abzuwarten und zu erleben, wie sich Kentaro wohl entwickeln würde. Natsuko schüttelte resigniert den Kopf und schenkte Yamato einen ihrer ermahnenden Blicke, den er inzwischen schon perfekt deuten konnte: Er sollte nicht so oberflächlich sein und etwas besser auf sich achten. Nachdem Yamato seine Zigarette zur Hälfte aufgeraucht hatte, bot er seiner Mutter seinen Arm an und führte sie zurück ins Wohnzimmer. Takeru hatte bereits Kaffee eingeschenkt und sich ganz ungeniert über den pompösen Maulwurfkuchen hergemacht. Mit vollem Mund hinderte er Yamato sowie auch ihre Mutter daran, irgendetwas zu sagen, und deutete beim Sprechen mit der Gabel hinter sich auf die Couch, auf der die kleine Tasche des blonden Journalisten lag. „Dein Handy hat gerade geklingelt. Isch kannte die Nummer nischt, schonscht wär isch rangegangen.“, so viel konnte er den genuschelten Worten des anderen entnehmen, weswegen er sich nun selbst der Couch näherte und besagtes Mobiltelefon von dem weichen, champagner farbigen Polster aufhob. Die Nummer, die zu dem unbeantworteten Anruf angezeigt wurde, ließ Yamato für einen Wimpernschlag zur Salzsäule erstarren und Gott für den Anstand seines Bruders danken. Er mochte sich gar nicht ausdenken, mit welchen Fragen er gelöchert worden wäre, hätte Takeru einige Worte mit einem verwirrten und wütenden - weil bislang ignorierten -Taichi gewechselt? „Und wer war es?“ Die am Tisch versammelten Familienmitglieder sahen nun alle zu Yamato herüber und Takeru schenkte ihm einen neugierigen Blick. Eine nicht sehr gute Eigenschaft des Jüngeren war definitiv seine unstillbare Gier nach allen Informationen, die auch nur ansatzweise interessant für ihn sein könnten. Wie er wohl reagieren würde erfuhr er von den unsittlichen Dingen, die sein heroischer, großer Bruder so in seiner Freizeit trieb? Takeru mochte Jõ und war in die Vorstellung verbissen, sein geliebtes ‚Brüderchen‘ irgendwann mal zu ihm zum Altar führen zu können, auch wenn die Ehe zweier Homosexueller in Japan nicht anerkannt wurde. Wie sollte er ihm, der so zufrieden und glücklich mit Jõ als Partner Yamatos war, erklären wie viel Unglück sich in ihm dabei ausgebreitet hatte? Natürlich würde der Jüngere es letzten Endes verstehen, wollte dieser schließlich auch nur sein Bestes, aber trotz allem wollte er sich eine solche Unterhaltung nicht einmal vorstellen. Vor allem: Wollte er nun weg von Jõ? Und wenn ja, wohin sollte er dann gehen? Etwa zu Taichi? Der Blick seiner, meist so ernst und düster dreinschauenden, Augen glitt hinab zu dem goldenen Gerät in seiner Hand, auf dessen äußeren Klappe das Wort „Gucci“ in kleinen Swarovski Steinen geklebt war. Das Designerhandy war einst ein Geschenk Mimis gewesen und brachte ihn in all seiner glitzernden und tussigen Pracht nur allzu oft von Sorgen und Ängsten ab, grämte er sich gerade davor einen Anruf zu tätigen oder entgegen zu nehmen. So versuchte Yamato auch in diesem Moment wieder seine Gedanken entweder auf Mimi oder aber seine Familie zu lenken und nicht etwa hin zu dem, laut seines Handys ‚unbekannten‘ Anrufers. Er wollte und konnte noch nicht mit ihm reden. Nicht während er noch nicht wusste, wo er mit Jõ und dem Rest seines Lebens stand. Das Ablenkungsmanöver sollte nicht funktionieren, setzte das Klingeln des Handys noch ein, während er es in der Hand hielt und deutlich erkannte er erneut Taichis Nummer. Wie sollte er nun reagieren? Rangehen wollte er nicht, doch würde er den Anruf ignorieren, hätte er für den restlichen Tag unter Garantie Takerus Ohren an seinen Lippen kleben. Einmal so unauffällig wie eben möglich tief Luft holend, ließ Yamato sein Handy aufschnappen und peilte, noch während er sein zögerliches „Hallo?“ in den Hörer murmelte, die Tür am Ende des Wohnzimmers an, die ihn direkt in den schmalen Eingangsflur des Hauses führte. Wenn er Taichi nun schon so karg abwimmeln musste, war dies nicht unter Obacht seiner Mutter und seines Bruders von Nöten. Ihm genügte schon der Tonfall, in dem Taichis tiefe, samtige Stimme seinen Namen aussprach. Dieser Ton, mit dem er ihn fragte, wo er sei und was geschehen wäre. Yamato räusperte sich, lehnte seine plötzlich ganz tauben Glieder dabei gegen eine Wand des Flurs, sobald die Tür zum Wohnzimmer hin erst einmal verschlossen war. „Ich war beschäftigt, entschuldige bitte.“ Wieso ahnte er nur, dass ihm Taichi diese Ausrede nicht abkaufen würde? „Zu beschäftigt, um sich mal melden zu können? Um an dein Handy zu gehen? Ich versuche seit Tagen, dich zu erreichen.“ Und das wusste der blonde Fremdgeher nur zu gut, immerhin war er jedes Mal vor Schreck fast einem Herzversagen erlegen, war Taichis Nummer auf seinem Handydisplay aufgetaucht, während Jõ sich direkt neben ihm befunden hatte. Ihm war danach, Taichi eben diesen Vorwurf an den Kopf zu schmettern und ihn zu ermahnen, er solle sich vorsichtiger verhalten, allerdings realisierte Yamato in diesem Moment mal wieder nur zu gut, wie er nicht nur seinem Partner etwas vormachte, sondern ebenso seine Affäre in dieses missglücktes Schauspiel hineinzog. Taichi wusste nichts von Jõ. Was Yamato dazu verleitete sich vor die Stirn zu schlagen, als die Stimme am anderen Ende der Leitung erneut das Wort ergriff. „Ich vermisse dich“, hörte er ihn murmeln und dieses gefühlvolle Zugeständnis schien ihm die Kehle zuzuschnüren. Gab es in dieser Situation eine richtige Reaktion? Eine Antwort für Taichi und für Yamato selbst, die ihn aus seiner Misere erretten konnte? „Ich dachte wir“, dieses Mal war es Taichi, der sich räusperte und nach Worten zu suchen schien. Hätte Yamato es nicht besser gewusst, wäre er dem Glauben verfallen, sein sonst so wortgewandter und schlagfertiger Adonis dankte im Stillen nur für sein eigenes Schweigen. Anscheinend wollte er gar nicht von ihm unterbrochen werden. Aber was wollte er ihm eigentlich sagen? Ihm was gestehen? Seine Gefühle – „Also ich dachte eigentlich, ehm… Ist das mit uns nun etwas…“, abermals unterbrach er sich und gerade als Yamato eingreifen wollte, schien er sich wieder gefangen zu haben. „Ich dachte, es liefe ganz gut mit uns. Das ist alles. Habe ich da irgendetwas missverstanden?“ Wieder etwas, das er erwartet – nein, halt – sogar befürchtet hatte. Wieder Gefühle, die er für sich und seinen Egoismus missbrauchte und hinterging. War er denn der einzige Depp der Nation, der nicht nur seinen eigentlichen Mann betrog, sondern auch noch den, mit dem er eigentlich nur betrügen sollte? Innerlich verfluchte Yamato sich. Sich und seine Zunge, die wie gelähmt in seinem Mund hing und kein einziges Wort zu Stande brachte. Er wollte etwas sagen - Taichi beschwören, er empfände ebenfalls etwas für ihn und würde ihn gerne wiedersehen. Außerdem versuchte er sich dazu zu zwingen, ihm die Wahrheit zu sagen – hier und jetzt. Aber würde ihm Taichi seine Lügen verzeihen? Leugnen konnte Yamato nicht, wie leichte Furcht vor der Reaktion des hitzköpfigen Mannes in ihm hinauf kroch. Bei Jõ waren es seine eigene Unsicherheit und auch der Wunsch danach, ihn nicht zu verletzten, die ihn davon abhielten, endlich reinen Tisch zu machen. Er wollte Jõ das einfach nicht antun, nicht die Trauer und den Schmerz in seinen Augen lesen können, auch wenn er bei diesen Gedanken wieder nur um sich und seine eigenen Gefühle besorgt war. Solange er nicht mit seinem schlechten Gewissen konfrontiert wurde und mit diesem umgehen musste, schien es für ihn ‚in Ordnung‘ Jõ weiter zu verletzen. Bei Taichi hingegen sorgte Yamato etwas Anderes. Vielleicht war es wirklich eine Form der Furcht, die seine Knie weich werden und seine Hände erzittern ließ. Zwar kannte er ihn nun noch nicht lange genug, um sich anzumaßen ein perfektes psychologisches Profil über ihn erstellen zu können, aber dennoch glaubte Yamato eine Art der Vorstellung davon zu haben, wie Taichi auf eine direkte Konfrontation reagieren würde: Nicht erfreut. Nein, alles andere als erfreut, um es genauer zu sagen. Vor Yamatos innerem Auge formte sich eine Szene, die sich aus nicht sehr viel mehr als lautem Schreien, wütenden Flüchen und fliegenden Tellern zusammensetzte. Er glaubte nicht daran, dass Taichi auf einmal die Diva raushängen lassen und ein oscarreifes Drama inszenieren würde, jedoch schien eine Komödie auch fernab der potentiellen Filmverläufe zu sein. Was auch immer Yamato unbewusst für Worte aussprechen wollte, es gelangte nur ein trockenes Husten aus seiner Kehle. Der typische Yama – große Klappe und noch größere Taten, nur leider verbarg sich absolut gar nichts hinter den wilden, goldenen Strähnen, die er so gerne als Versteck nutzte. „Yamato“, wieder war es Taichi, der als Erster seine Fassung zurückerlangte. Kein Wunder eigentlich, bedachte man die Inkompetenz seines Gegenübers, einmal zu seinem Handeln zu stehen und dieses mit anständigen, grammatikalisch richtigen Sätzen zu verteidigen. Wieso suchte er denn nicht wenigstens nach billigen, schmierigen Rechtfertigungen? Versuchte sie sich händeringend aus dem Hut zu zaubern? So viele Männer vor ihm hatten das doch schon ganz gut geschafft und manchen von ihnen war es dabei sogar gelungen, ihre verkorkste Beziehung zu retten. Blieb nur die Frage: Wollte er überhaupt eine Beziehung retten? Und wenn ja: Welche von Beiden? „Habe ich irgendetwas falsch gemacht? Wenn ja, dann sag es mir doch bitte einfach. Ich meine, ich bin echt nicht perfekt und das weiß ich auch. Auch wenn ich gerade nicht wüsste, was schief gegangen sein könne. Aber dennoch, ich würde echt alles“- Er sollte nicht erfahren, was Taichi alles so machen würde, unterbrach seine Stimme zumindest für Yamato doch ein weiteres Geräusch, das ihm sein Mobiltelefon in den Gehörgang jagte. Sein Anklopf-Ton. Jemand versuchte ihn zu erreichen und schon einen schier endlosen Moment, bevor er das kleine Gerät von seinem Ohr zog und einen Blick auf das leuchtende Display warf, hatte er den Namen des zweiten Anrufers gekannt. Ausnahmsweise fiel es Yamato leicht sich vom Anblick Jõs Nummer loszureißen und wieder seinem eigentlichen Telefonat zuzuwenden. Ein wenig hatte ihn das monotone Tuten im Ohr aus der Starre gerissen, wenn auch nur sofern es seine Gedankenwelt betraf. In seiner Kehle herrschte weiterhin die wüstengleiche Austrocknung, wie noch vor einer guten Sekunde. Er räusperte sich einmal und noch ein weiteres Mal, ehe er sich zu einem kehligen „Ich habe einen zweiten Anruf auf der Leitung.“ zwang, im Begriff dabei Taichis Anruf zu beenden. Nur ging ihm, der wohl langsam doch etwas gereizte, Taichi recht schnell dazwischen. „Wag es nicht jetzt aufzulegen, sonst…“ Zwar erfuhr Yamato nicht, was sonst mit ihnen geschehen würde, jedoch hielt ihn alleine dieser emotionale Ausruf seines Anrufers davon ab, ihn sang- und klanglos abzuwürgen. „Hör mal, Yamato. Ich weiß wirklich – bei allem, was mir heilig ist – nicht, was plötzlich geschehen ist. Also gib mir wenigstens einen Tipp, ja, wenn du mir schon nicht einfach die ganze Wahrheit sagen willst.“ Yamato nickte, wohlwissend dabei ungesehen von Taichi zu bleiben. „Ich habe momentan einfach viel um die Ohren.“ Und was war das nur wieder für eine armselige Ausrede? Yamato konnte nicht anders, als sich eine Hand flach vor die Stirn zu legen und mit Zeige- und Mittelfinger an einigen goldenen Strähnen zu raufen. Himmel – Herr – Gott! Er war Schriftsteller! Sollte es gerade ihm dann nicht besonders leicht fallen, die hoch poetischen Ausreden und Erklärungen aus dem Hemdsärmel zu schütteln? „Ich meine“, Nun, es brachte ja irgendwie alles nichts, oder? „Ich weiß ehrlich gesagt selber nicht, was los ist.“ Und damit hatte er seit einer ganzen Weile zum ersten Mal wieder der Wahrheit einen Platz in seinem Leben eingeräumt. Wieso auch immer, aber er hatte keine weitere Lüge über seine Lippen bringen können. Nicht schon wieder. Yamato wartete einen Moment lang, ob Taichi bereits auf das Gesagte reagieren würde, ehe er selbst wieder die selbst erzeugte Stille brach. „Tut mir Leid, dass ich mich nicht gemeldet habe und du hast keinen Fehler gemacht. Derjenige, der hier Mist baut, bin ich selber und“, Was auch immer in ihn gefahren war, wusste Yamato zwar nicht, allerdings löste es geradezu einen Redeschwall in ihm aus. Einen Drang danach, sich wenigstens einige seiner wirren Gedanken einmal von der Seele zu reden. „Du bist so ziemlich der Letzte, der darunter leiden sollte.“ Natürlich mit Jõ zusammen. Oder trug der ältere Mann etwa doch etwas Mitschuld an seiner jetzigen Situation? Immerhin ließ er Yamato ja nicht zum ersten Mal einen Fehltritt durchgehen und verschloss seine Augen vor der Realität. Blieb die Frage, was wohl ein Psychologe zu ihrem Miteinander sagen würde. „Verzeih“, „Yamato. Ich sagte doch, ich bin dir nicht böse. Ich verstehe lediglich nicht wieso du nicht einfach mit mir redest. Vielleicht könnte ich dir ja helfen?“ Wie, indem er anstelle Yamatos zu Jõ ging und ihm ihre Affäre gestand? Der ihm schilderte wie schwer es dem blonden Journalisten fiel ihn loszulassen, obwohl er nicht die gleichen Gefühle für ihn hegte? Oder noch besser: Wie wenig er selber seine eigenen Gefühle einschätzen und handhaben konnte. Ja, wieso ging Taichi nicht einfach zu seinem Lebensgefährten und erklärte ihm mal gehörig, mit was für einem erbärmlichen Vollidioten er doch zusammen wohnte und an den er sein Herz verjubelte? Yamato holte einmal tief Luft, schüttelte den Kopf. Anscheinend benötigte er selber diese visuellen Untermalungen, um Kraft für nötige Worte anzustacheln. „Das kannst du definitiv nicht, Tai. Aber es ist lieb von dir mir deine Hilfe anzubieten. Ich denke… Ich brauche einfach etwas Zeit. Zeit für mich, wenn du verstehst.“ – „Du willst also Schluss machen?“ Himmel, waren sie denn überhaupt zusammen gewesen? Wenn ja, hatte Yamato wohl einige wichtige Details irgendwann zwischendurch nicht ganz richtig aufgefasst. „Schluss machen? Also“, Taichi unterbrach ihn sofort, klang dabei ein wenig verlegen. „Man! Du weißt, wie ich das meine. Nicht so… so.. Ach ist doch egal. Können wir nicht noch einmal von Angesicht zu Angesicht darüber reden?“ Und was genau erhoffte sich Taichi dabei? Mehr Antworten oder geradezu gigantische Ausbrüche von Emotionen? Da kannte er Yamato aber noch nicht sehr gut. Vielleicht war er angesichts seiner beruflichen Ausrichtung recht wortgewandt auf dem Papier, kam es allerdings zum direkten Kontakt mit anderen menschlichen Wesen, stolperte er nur noch über seine eigenen „Ehms“ und „Ahs“. Anspruchsvolle Konversationen oder gar Diskussionen waren absolut nicht eins seiner Steckenpferde. „Ich weiß nicht, Taichi. Lass mir einfach etwas Zeit. In Ordnung? Ich rufe dich an, sobald“, - Ja, was auch immer. Irgendetwas würde ihm vielleicht über Nacht noch in den Kopf kriechen und wenn es nur die lückenlose Vortäuschung seines eigenen Todesfalls war. Am anderen Ende der kratzigen Leitung war ein Laut der Resignation zu vernehmen, wenn auch keine Widerrede – sehr zu Yamatos Erleichterung. Wenigstens konnte er dieses Kapitel vorerst schließen. „Nun gut, aber das hier ist noch nicht beendet, in Ordnung? Nicht einfach so. Gib mir einfach eine kleine Chance.“ – „Ich werde es versuchen, versprochen“. Weil er ja sowieso der Mann für große Versprechungen war. Immer! „OK. Meld dich, ja?“ Wieder ein Nicken, und wenigstens ein sanftes „Ja.“, als die kleinstmögliche Antwort, die sich der blonde Schriftsteller abverlangen konnte. In diesen Situationen der absoluten Verzweiflung, wer steht uns noch zur Seite und sagt uns, wann genug - genug ist? Immerhin tendieren wir gerne dazu, nicht aufzugeben. Wir wollen stark sein, uns nicht unterkriegen lassen und auf keinen Fall andere Leute mit unseren Problemen belasten. Nein, DIESES MAL müssen wir da alleine durch. AB JETZT schaffen wir das auch so und diese ganzen Schwierigkeiten sind sowieso nur eine Projektion unseres hauseigenen Wahnsinns. Es ist doch alles gar nicht so schlimm wie wir denken und vor allem müssen wir uns jetzt mal am Riemen reißen. Am Ende klappt alles. Am Ende stehen wir als die Sieger da. Am Ende war doch alles gar nicht so schwer. … Echt? Aber was ist, wenn es eben nicht alles so einfach ist? Auch im Nachhinein nicht? Und was, wenn eben dieses „Nachhinein“ die schlimmsten Ängste überhaupt hervorruft. Natürlich kann man einen bestimmten Weg gehen, Entscheidungen treffen und stolz auf diese sein. Nur bleibt die Frage: Sind auf der letzten Seite wirklich alle glücklich mit dem, was sie geschafft haben? Denn es bleibt die Ungewissheit darüber, ob denn diese wunderbar beflügelnden und erleichternden Schritte auch in der Fortsetzung noch richtig erscheinen. Hat sich schon einmal wer Gedanken über die großen Liebes- und Erfolgsgeschichten dieser Welt gemacht? Hinterfragt, was im potentiellen zweiten Teil wohl passieren würde? Vielleicht scheitert die Ehe der beiden Helden doch noch oder das arme Bauernmädchen, was plötzlich zur Prinzessin wurde, stellt fest, dass das Leben im Hochadel so ziemlich jeglichen Spaß dieser Welt verdirbt. Plötzlich sieht Teil zwei ganz anders aus. Vielleicht dreht er sich ja um die arme Prinzessin, die nur einmal mit einem Mann ihrer Wahl zum Tanzen will. Die Bewältigung einer Krise bedeutet nicht ewiger Frieden. Eventuell sogar nur noch mehr Krieg oder schlimmer noch: Reue. Zusammengefasst lässt sich davor warnen, dass es gefährlich ist, sich nur von seinem Traum von einem perfekten Happy End leiten zu lassen. Und wenn es aber nun dieser Traum ist, der einem bei Entscheidungen in Krisensituationen helfen soll? Dabei helfen soll, sie alleine und richtig zu treffen? Was tun, wenn man nun einmal hinter die rosafarbene Wolkenfassade blicken konnte? Wer springt im richtigen Moment in den Weg und deutet auf eventuelle Probleme hin, die sich jenseits des glücklichen Endes befinden. Abseits von blumigen Traumvorstellungen, die von Heldentaten und großen Schritten berichten. Wer zieht für uns die Reißleine, wenn man alleine nicht mehr weiß, welcher der Weg ins Glück und welcher der ins Verderben ist? Yamato war sich nicht recht sicher, ob er selber noch wusste, was für ihn das Beste war. Eigentlich würde er nur wieder sich und seinen nicht allzu beneidenswerten Charakter bestätigen, brach er aus der Beziehung mit Jõ aus, die ihm ja eigentlich nie wirkliche Beschwerden eingebracht hatte. Es passte nur zu gut zu seiner Natur bei der nächstbesten Flaute – einem plötzlich auftauchenden Adonis – die Flinte ins Korn und alles andere hin zu werfen, was bis dato sein Leben noch zusammengehalten hatte. Auf der anderen Seite war er aber auch vielleicht einfach so. So primitiv es auch klang. Eventuell entsprach er ja genau einem dieser Hauptrollen, die dafür bestimmt waren immer ihren eigenen steinigen Weg zu gehen, egal wen sie dabei zurückließen und wie schlecht überdacht ihr Vorgehen doch war. War das seine Vorbestimmung? Selbst wenn es sich bei seinem Verhalten um keinerlei Vorbestimmung handeln sollte, so war Yamato trotz allem erst einmal direkt wieder aus der nächstbesten drohenden Situation geflohen. Nämlich der, seinem Bruder und seiner Mutter entgegen zu treten und ihnen in die Augen zu sehen, während er doch gerade mit dem Mann gesprochen hatte, mit dem er ihren geliebten ‚Schwiegerbruder/-sohn‘ betrog. Ihm war plötzlich nicht mehr nach ihrer Anwesenheit. Nicht, wenn er innerlich so zerwühlt war und keinen anständigen Hauptsatz mehr formulieren konnte. Und genau so sollte er sich noch die folgenden zwei Wochen verhalten. Er wich Telefonaten aus, indem er sein blinkendes und klingelndes Hand sowie auch den zum Festnetz zugehörigen Telefonhörer nur böse anstarrte und mit nicht vorhandenen Psi-Kräften zum Schweigen zu befehligen versuchte. Von direkten Gesprächen war natürlich bei diesem seinen Verhalten auch so gar nicht mehr die Rede. Zwar ging er Jõ nicht aus dem Weg, aber von ausschweifenden Unterhaltungen wurde die geräumige Stadtwohnung auch nicht unbedingt erfüllt. Yamato wollte ja eigentlich mit seinem Lebensgefährten reden. Aber er konnte dem anderen Mann einfach nicht eine Gelegenheit dafür geben, ihn nach seinem seltsamen Verhalten und diversen unbeantworteten Anrufen zu fragen. Zudem wusste Yamato ja auch nicht einmal, was er Jõ sagen sollte. Wusste nicht, wie er es schaffen sollte, bei einer Artikulation von mehr als zwei Worten nicht direkt in Tränen und Verzeihungs-Beschwörungen auszubrechen. Inzwischen brachte ihm dieses Leben zwischen den Stühlen keinen Spaß mehr – wenn dies denn überhaupt irgendwann einmal der Fall gewesen war. Wusste Gott oder irgendwer anders: Es machte verdammt noch einmal keinen Spaß mehr. Gar keinen. Und viel mehr noch als das, blockierten seine wilden Gedanken und Sorgen auch noch Yamatos kreative Ader. Stunden lang hockte er vor seinem geliebten Mac und starrte auf leere ‚pages‘ Seiten. Würde er bald also nicht nur seine Beziehung und seine Affäre, sondern auch noch seinen Job verlieren? Nicht zum ersten Mal in den vergangenen Tagen, ließ Yamato sein Gesicht in den Händen versinken und rieb sich müde über die Augen. Alleine schon, dass er seine Brille nicht mehr trug, wenn er sich an den Rechner setzte, zeigte wie wenig Hoffnung er in einen plötzlich eintretenden Schreibfluss steckte. Das durfte doch wohl nicht wahr sein! Ihm ging der Gedanke durch den Kopf, diesen vielleicht einfach mal zur Unterstützung seiner Produktivität auf den Rechner zu schmettern, jedoch hielt ihn in letzter Sekunde vor Umsetzung der Idee das ohrenbetäubende Schreien der Türklingel gerade noch einmal vor Zerstörung des teuren Geräts ab. „Schon wieder Liefer-Service?“, rief er Jõ nur zu und drehte sich direkt wieder weg von der offen stehenden Bürotür. Es war nichts Neues mehr, dass Jõ für sie einfach Chinesisch oder Pizza orderte, hatte Yamato auch den Elan zum Kochen – oder Rasieren und Duschen, wenn man schon einmal beim Thema war – verloren. Oder er hatte ihn verlegt, er wusste es nicht mehr und es interessierte ihn auch nicht. Wieso sollte er kochen oder aufräumen, gar seine Körperhygiene beachten, wenn er doch viel lieber einfach aus seinem Zimmerfenster fetzen wollte? Eigentlich war es ein Wunder, dass Jõ seinen sonst so pedantisch oberflächlichen Freund noch nicht eingewiesen hatte, so wie Yamato derzeit in seinem Büro vor sich hinvegetierte. „Yamato, für dich!“ Dem Gerufenen gefror von einer Sekunde auf die nächste das Blut in den Adern, als er diese Worte vernahm. Nein, eher aufgrund der gedämpften Worte einer recht bekannten männlichen Stimme, die nun an seine Ohren drang. Es bedurfte ihn nur den Bruchteil einer Sekunde, um zu realisieren, wer da gerade vor seiner Tür stand und mit seinem Lebensgefährten sprach, und schließlich aufzuspringen. Himmel, was in Gottes Namen tat Taichi in ihrer Wohnung und wie hatte er überhaupt seine Adresse herausgefunden? Yamato scherte sich wenig um sein ungepflegtes Erscheinen, welches für seine Affäre ja ein ganz neues Bild abgeben musste, immerhin hatte er gerade ganz andere Probleme. Im Prinzip war hier ja nicht seine Präsenz das Problem, sondern viel eher die der besagten Affäre, die in diesem Moment von Jõ zu ihm blickte und ihn mit gefühlt einer Milliarde unausgesprochener Fragen durchlöcherte. Entweder dies oder aber nur mit großer Unverständnis: Yamato, wer ist dieser Mann, der mir die Tür zu deiner Wohnung geöffnet hat? Erst als Yamato auch den fragenden Blick seines Freundes auf sich spürte, brachte er ein Räuspern und ein sanftes „Hi Taichi.“ raus. Irgendwie musste er in dieser Situation retten, was noch irgendwie zu retten war. „Was machst du denn hier? Normalerweise reicht dir doch das Telefon zur Zermürbung meiner Nerven!“ Er presste sich ein – leider recht missglückendes – gespieltes Lachen heraus und schob dabei Jõ ein Stück von der Tür weg. Sie standen nun direkt nebeneinander, gegenüber des braunhaarigen „Eindringlings“, mit welchem Yamato wohl nicht viel mehr anzufangen wusste, als der unwissende Jõ. Diesem wandte sich Yamato nun zu und schenkte ihm ein verlegendes Lächeln. „Mein stellvertretender Herausgeber. Anscheinend hat Minamoto keine Nerven mehr für mich übrig und schickt ihn nun persönlich vorbei.“ Erneut zwang er sich zu einer guten Miene, die hoffentlich auch seines bösen Spieles würdig war. Was trieb er hier gerade? Es war offensichtlich, dass Jõ und Taichi sich haargenau die gleiche Frage stellten, aber zumindest Jõ wusste anscheinend wie er seinen Kopf ausschalten und das Zittern in Yamatos Stimme ausblenden konnte. Er lächelte nun und öffnete die Tür vollständig, um Taichi ein wenig weiter vorbitten zu können. „Oh, dann tut es mir natürlich leid, dass ich Sie nicht sofort herein gebeten habe. Wollen Sie vielleicht einen Kaffee?“ Jõ setzte gerade noch dazu an, sich dem unbekannten Mann vorzustellen, als dieser im Schritt nach vorne stockte, um die Türklingel zu inspizierten und selbst „Kido Jõ.“ murmelte. Yamato folgte Taichis Blick zu dem leicht zerknitterten Blatt Papier, welches in dem kleinen Plastikkästchen neben der Klingel zur weiteren Anstachelung seines Leids bereit stand. Natürlich standen ihre beiden Namen auf ihm. Wieso auch nicht? „Ishida Yamato und Kido Jõ.“ – „Ja, stimmt, ich hab meinen Lebensgefährten dir gegenüber noch nie namentlich erwähnt, nicht wahr?“ Ihre Blicke trafen aufeinander und Yamato hielt für diesen Moment seinen Atem an. Taichi hatte keineswegs auch nur irgendeinen Grund dazu, Yamato in seiner Lügengeschichte zu stützen und somit sein Gesicht zu wahren, aber irgendetwas ließ den bereits Verurteilten noch hoffen. Vielleicht Taichis Blick? Sein guter Charakter, mit dem er Yamato so schnell für sich hatte gewinnen können? Er schluckte, als Taichi die Augen niederschlug und sich anschließend wieder an Jõ wandte, welcher den Moment der Stille einfach geduldig auf irgendeine Reaktion gewartet hatte. „Achso, natürlich. Freut mich, Yagami Taichi. Es tut mir Leid, so unangekündigt bei Ihnen reinzuplatzen.“ Er fuhr sich glucksend durchs Haar und verblüffte Yamato dabei nicht wenig mit seinem perfekten Spiel, welches dieser selbst für einen Moment zu glauben dachte. „Es ist nur so, dass ich nun schon seit geschlagenen zwei Wochen versuche Yamato zu erreichen und er jegliche Anrufe des Verlags ignoriert.“ Sofort bestätigte Jõ die Worte Taichis mit einem eifrigen Nicken und einem Achselzucken. „Das habe ich schon mitgekriegt, aber ich dachte, dass ich mich besser nicht in Yamatos Arbeitsangelegenheiten einmische. Aber jetzt kommen Sie doch erst einmal rein, das muss ja nicht auf dem Hausflur geklärt werden.“ Für Yamato war es offensichtlich, wie unwohl sich Taichi nun fühlen musste, auch wenn sich dieser nach außen wenig von negativen Gefühlen ansehen ließ. Wie musste er sich wohl dabei fühlen von Yamatos Liebhaber in ihre gemeinsame Wohnung gebeten zu werden? Von dem niemals erwähnten Liebhaber und in die niemals zuvor zur Sprache gekommene Palast-Wohnung, um es genau zu sagen. Also, wenn er sich auch nur annähernd so schlecht fühlte, wie Yamato etwa, dann wusste dieser nur allzu genau, wie sich Taichis Magen gerade umdrehte. Er musste sie beide unbedingt so schnell es ging aus dieser Situation retten. „Komm doch mit in mein Büro, Taichi. Da können wir in Ruhe reden. Jõ, ich hoffe dich stört das nicht?“ Mit seinem typischen warmen Lächeln schüttelte Jõ nur den Kopf und hatte sie dann auch schon im Wohnzimmer alleine gelassen. Taichi warf an dieser Stelle noch einmal einen Blick zurück auf seine zurückgelassene Tasche und seine Schuhe, ehe er dann Yamatos erwartungsvollen Blick auffing und ihm in das angesprochene Büro folgte. Yamato ließ den braunhaarigen Mann vor sich eintreten und lehnte sich geschafft gegen die geschlossene Tür, als er endlich eine gewisse Art von Beruhigung empfand. Natürlich trennte sie von Jõ nur eine Tür und eine schlechte Lüge, aber das war immerhin ein Anfang. Wenn auch nur ein kleiner Anfang, denn sofort stand Taichi keine drei Zentimeter entfernt vor Yamato und zwang ihn mit einem festen Griff am Kinn dazu ihm direkt in die Augen zu sehen. „Du hast einen Freund? Ihr lebt zusammen? Was soll das Yamato?“ Taichis Stimme war nicht mehr als ein leises Zischen und trotzdem konnte Yamato seine volle Wut regelrecht aus seinen Worten erspüren. Aber was hatte er erwartet? Verständnis? Da er nicht genügend Kraft in seinem noch immer vom Schrecken erstarrten und zittrigen Körper verspürte, um Taichis Griff lösen zu können, schlug Yamato nur – als einzig ersichtlicher Fluchtweg – seine Augen nieder. „Es tut mir leid“, wisperte er zurück und wollte seinen Gegenüber gerade noch darum bitten, ihn loszulassen, als dieser von selbst mehr Distanz zwischen sie brachte und wütend schnaubte. „Es tut dir leid? Das ist nicht dein Ernst, oder? Du weißt, wo du dir das hinstecken kannst?!“ Taichi trat weiter in den Raum hinein und lachte leise auf. „Gott, ich bin so dumm. Ich hätte mir denken können, dass mit deinen ganzen Geschichten irgendetwas nicht stimmt.“ War dem wirklich so? War sein Verhalten die ganze Zeit schon so ersichtlich – so leicht zu durchschauen - gewesen? Yamato löste sich von der Tür und trat auf den anderen Mann zu, der nur einen weiteren Schritt von ihm zurückwich und wütenden Blickes gen Wohnzimmer gestikulierte. „Ich weiß selber nicht, wieso ich dich jetzt gedeckt habe! Das hast du sicherlich nicht verdient, aber ich schätze mal, dass du schon eine Weile mit diesem Typen da draußen zusammen bist und er genauso blind vor Gefühlen ist, wie ich es war, und demnach eine ruhige Erklärung verdient hat.“ Er seufzte schwer und alles, was Yamato nun noch aus seiner Stimme heraushören konnte, waren Unverständnis und Reue. „Es reicht, wie ich deine kleine Lüge aufgedeckt habe. Ihm muss es ja nicht genauso ergehen. Er hat wohl eine Aussprache mit dir verdient. Wann auch immer du diese geplant hast – wenn du sie denn überhaupt in Erwägung ziehst.“ – „Was tust du eigentlich hier?“ Im Prinzip hatte er Taichi gar nicht mehr zugehört, sondern einfach nur den Boden zu seinen Füßen angestarrt und sich selbst gefragt, wie er in diese Misère hineingerutscht war und vor allem: Wie er wieder aus ihr rauskommen wollte. Wenn er denn überhaupt entkommen wollte. Vielleicht – und hier war sich Yamato seiner Sache wirklich nicht mehr sicher – wollte er ja auch einfach mal ausbaden, was er Jahrelang so schön vorbereitet hatte. Im Prinzip hatte er den großen und berüchtigten Knall doch mal gehörig verdient, oder nicht? „Wie bitte?“ – „Ich habe gefragt, was du hier tust. Woher hast du meine Adresse?“ Als Antwort erhielt er nur ein Kopfschütteln Taichis und, als Yamato zu ihm vortrat, schob dieser sich an ihm vorbei und öffnete die Bürotür erneut. „ Ich muss mich vor dir ganz sicher nicht rechtfertigen. Ich gehe.“ „Woher hast du meine Adresse? Was willst du jetzt von mir hören, ich“, Taichi fiel ihm auf halber Strecke ins Wort, ehe Yamato sich noch weiter hatte in Fahrt reden können. „Spar es dir einfach. Aus deinem Mund kommen doch sowieso nur Lügen.“ Und damit stapfte er durch ihr feines Wohnzimmer und zurück zu seinen Schuhen, Yamato dabei hinter sich her stolpern lassend. Es war offensichtlich, dass der blonde Journalist neben sich stand und nicht gesammelt genug war für eine irgendwie fruchtende Konversation – oder gar eine Diskussion. „Taichi“, setzte Yamato noch einmal an, stoppte dieses Mal aber selber, als Jõ zu ihnen trat und ihm einen fragenden Blick schenkte. Dieses Mal konnte oder wollte er Yamatos aufgelöste Erscheinung wohl nicht mehr ignorieren. Nun, immerhin waren Taichi und er zuvor auch ein wenig lauter geworden, als man es wohl von einem Herausgeber und seinem Klienten bei einer kleinen Unterredung erwarten würde. „Gibt es Probleme?“, fragte er sanft und ergriff zumindest physisch direkt die Seite seines Freundes, indem er sich zu ihm stellte. Taichi schüttelte nur den Kopf und zog sich seine Schuhe an. In diesem Moment schien es ihn nicht mehr zu interessieren, inwiefern sein Verhalten aus der Rolle des freundlichen Vorgesetzten Yamatos herausfiel. Er wollte recht offensichtlich einfach nur so schnell wie möglich weg von ihnen und Yamato konnte es ihm nicht einmal verübeln. Die Sache hatte er gekonnt in den Sand gesetzt. Zu seiner eigenen Verwunderung und erst als der erste Schock so langsam vergangen war, realisierte Yamato, wie wenig es ihn eigentlich störte, dass Taichi nun gegangen war, ohne ihn anzuhören. In dem Moment, als Jõ seine Arme um ihn schlang und ihn ruhig fragte, was denn geschehen sei und ob er helfen könnte, fiel jeder Gedanke Taichis bezüglich von ihm ab. Natürlich war da ein kleiner Teil in ihm drin, der auch mit Taichi die Angelegenheit klären und ihre Beziehung zueinander aufrecht erhalten wollte, aber es überwog einfach jene Verpflichtung, die er auf schlicht ergreifend menschlicher und emotionaler Ebene Jõ gegenüber empfand. Dieser Mann, der ihn hier gerade im Arm hielt, war es dem er zunächst Rede und Antwort stehen musste, ehe er sich mit anderen Gefühlen beschäftigen konnte. Und so findet schlussendlich alles ein Ende. Denn egal, wie ausweglos eine Situation erscheint und egal, wie lange sie sich schon hinzieht, irgendwann löst sie sich auf. Egal, auf welche Art und wer am Ende auf den Prozesskosten sitzen bleibt. Irgendwie endet alles einmal. So lange ist es an einem selbst, sich durchzubeißen und an dem festzuhalten, was noch (von?) einem übrig ist. Auch wenn noch kein Ausweg in Sicht ist, so ist darauf zu bauen, dass er sich bald noch auftun wird. Oft raten einem andere Menschen, sich selbst auf ewig treu zu bleiben, was ja im Prinzip erst einmal eine gute Basis darstellt. Aber wenn man durchgehend seinen Kopf durchsetzt und von Tag zu Tag, Monat zu Monat und Jahr zu Jahr immer handelt, wie man es zuvor schon getan hat und sich einfach nichts ändert, dann muss man sich selbst eingestehen, dass etwas nicht recht läuft. Natürlich darf man sich nicht verstellen oder für andere ändern, aber nur weil man ist, wie man ist. Aber dieser Grundsatz ist keine Garantie für jeden immer richtig zu handeln. Man muss seine Fehler einsehen und durchgehend an sich arbeiten. An den eigenen Taten, Worten, sogar an Gedanken, die man zuvor immer so hingenommen hatte. Niemand ist unfehlbar und jeder sollte sich einmal überdenken. Und so fällt man dann aus seinem normalen Verhaltensschema heraus. Wenn man sich denn einfach nur einmal im Spiegel angesehen und für einen längeren Moment inne gehalten hat. Eventuell hat man ja erkannt, dass nicht die Welt unfair ist, sondern man sich selbst die Welt unfair macht. Arbeite doch einmal selbst an dir und der Scheiße, in der du steckst, und warte nicht auf das nächste Wunder oder den nächsten stärkeren Menschen, der dir hoffentlich zur Seite steht und zufällig gerade die passenden aufbauenden Worte parat hat. „Ich kann nicht einfach Scheiße schreiben.“ Yamato löschte den letzten Absatz des geschriebenen Textes wieder und tippte ein paar Minuten willkürlich auf der abgenutzten Tastatur herum, ehe er den Laptop einfach schloss und sich von der Couch erhob. Zwei Tage lang hatte er nun nichts anderen getan, als abwechselnd zu arbeiten und dann zu Jõ zu gehen, einen Satz anzufangen und mit einem „Ach nichts.“ wieder zu seiner Arbeit zurückzukehren. Eigentlich ja nichts Neues für ihn, wenn man denn davon absah, wie sich das Verhalten seines Lebensgefährten seit Taichis Auftauchen geändert hatte. Man merkte dem ruhigen Mann an, dass ihn etwas beschäftigte – wenn nicht sogar regelrecht zermürbte. Anscheinend fiel es inzwischen auch Jõ schwer den Unwissenden und Uninteressierten zu spielen, was Yamato vor allem die letzte Nacht aufgefallen war, in der sein sonst so zärtlicher Liebhaber ihn kurzer Hand einfach ruppig auf dem Schlafzimmerboden genommen hatte, ohne dabei einen zweiten Gedanken daran zu verschwenden, was Yamato wollte. Nicht einmal das halbherziges Zappeln und Wehren des blonden Mannes waren von dem Älteren beachtet worden. Man merkte deutlich, dass etwas zwischen ihnen in der Luft lag und auch, wie dieses Etwas sie aufzufressen schien. Auch in diesen Moment wieder, suchte Yamato nach der halbwegs vollendeten Arbeit wieder Jõ auf. Er schlich sich leise in sein Büro, um nicht sofort die Aufmerksamkeit des anderen Mannes zu erregen. Yamato liebte es, Jõ von hinten dabei zu beobachten, wie er so versunken in seine Arbeit war. Nichts konnte ihn in diesem Moment ablenken. Nichts diese Liebe zu seiner Bestimmung nehmen. Er war eben ein Arzt mit Leib und Seele und so lange er diese Beschäftigung leben konnte, würde kein Yamato dieser Welt ihn jemals zerstören können. Vielleicht war es dieser Gedanke, der Yamato ein wenig Sicherheit verschaffte. Für ihn war seine Liebe Jõ gegenüber offensichtlich. Vielleicht war sie das nicht immer gewesen, aber zumindest wurde ihm langsam klar, wie wichtig ihm Jõs Wohlbefinden war. Wie sehr es ihm am Herzen lag. Eigentlich und tief in seinem Innersten hatte Yamato seine Gefühle ja auch nie in Frage stellen wollen. Er hatte lediglich nie verstanden, wieso er sie einerseits so sicher und geschützt in sich hegte und andererseits aber sich immer wieder bei widersprüchlichen Taten erlebte. Wie zum Beispiel das nächtliche Aufsuchen diverse Bars und das Folgende Liebesspiel mit fremden Männern, die ihnen eigentlich so nichts gaben. Wie er es auch drehte, er verstand sich selbst nicht mehr. Mit einem leisen Seufzen auf den Lippen trat Yamato schließlich hinter Jõ und beugte sich ein wenig zu ihm runter, um seine Arme um die breiten Schultern des attraktiven Arztes schlingen zu können. Er merkte sofort, wie sich Jõ ein wenig verspannte – etwas, was vor Taichis Auftauchen niemals der Fall gewesen war – ehe er sich wohl wieder an Yamatos Präsenz und Berührung gewöhnt hatte und sich in die Umarmung zurücklehnen konnte. „Hey, schon fertig mit Schreiben?“, fragte Jõ ihn leise, während er seine freie Hand, mit der er nicht zuvor in der Krankenakte geschrieben hatte, über die Hände Yamatos legte. Sein Lebensgefährte antwortete ihm nicht, sondern stand eine Weile einfach nur so da, Jõs Wärme und das bekannte Gefühl von Ruhe und Schutz genießend. Das war wohl seine Angst. Seine größte Angst. Er konnte und wollte dieses Gefühl nicht mehr missen. Diese Ruhe, die er nie zuvor im Leben hatte verspüren dürfen – weder alleine, geschweige denn in der Anwesenheit eines anderen menschlichen Wesens. Und das war wohl auch sein Problem. Man muss auch mal aus seinen alten Verhaltensmustern rausfallen. „Jõ, ich…“, auch wenn er wieder ins Stocken geriet, so dachte Yamato dieses eine Mal nicht daran, den Schwanz einzuziehen und den einfach Weg raus zu nehmen. Denn dieses Verhalten seinerseits war nur für ihn der einfache Weg raus. Für Jõ hingegen war es die pure Folter und Yamato wollte nicht mehr nur auf sich und sein eigenes Wohlbefinden achten. „Ich werde für eine Weile bei Takeru bleiben.“ Langsam löste er sich wieder von seinem Freund und trat einige Schritte zurück, so dass Jõ sich zu ihm umdrehen konnte. Yamato wusste nicht, was er erwartet hatte, aber vielleicht nicht das verständnisvolle Nicken des anderen Mannes und sein trauriges Lächeln. „Das dachte ich mir schon. Du musst erst einmal selbst wissen, was du mir sagen willst, ehe du mit mir sprechen kannst. Nicht wahr?“ Er nickte, sah ratlos zu Jõ, dann gen Boden und der Zimmertür, nur um wieder bei seinem Gegenüber hängen zu bleiben. Wie recht er doch hatte und wie Leid es Yamato in diesem Moment tat, das er wieder einmal keine passenden Worte fand, um dem Anderen wenigstens ein wenig Wärme schenken zu können. „Ich liebe dich, Yamato.“ Yamato nickte wieder und drehte sich langsam in Richtung Tür, peilte diese an. „Ich dich auch, Jõ.“ Deswegen ja. Deswegen musste er gehen und erst einmal für sich selbst herausfinden, was er wollte und wieso. - tbc. Die Widmung geht (wie immer) an , weil sie wohl meine treuste Leserin ist und ausnahmsweise noch an ZERSTREUUNG, die dieses Mal Beta gelesen hat, nachdem ich etwa 4 Monate nach wem gesucht habe, der das übernehmen kann... Dementsprechend weiß ich auch nicht, wann das nächste Kapitel erscheinen wird... Habe halt niemanden mehr, der das immer mal machen kann. Ich hoffe dennoch, dass es schnell weitergeht. Das 5. Kapitel ist schon fast fertig geschrieben. Danke für's Lesen :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)