Für eine Handvoll One-Shots von _Delacroix_ (eine "Hollows"-Fanfiction) ================================================================================ Childhood --------- Childhood Die Reifen seines grauen Zweisitzers quietschten protestierend, als sie sich ruckartig in Bewegung setzten, um den Wagen durch die vom Regen überfluteten Straßen zu tragen. Regentropfen prasselten auf die Windschutzscheibe und wurden von den stetig nach links und rechts schwingenden Scheibenwischern zur Seite geschoben, nur um gleich wieder durch neue Tropfen ersetzt zu werden. Der Himmel war eine einzige graue Masse und nicht ein Zentimeter blau war zwischen den Hochhäusern der Gilbert Avenue“ zu erkennen. Seit drei Tagen hatte es nicht aufgehört zu regnen und das sonst so lebhafte Cincinnati wirkte fast wie ausgestorben. 'Bei diesem Wetter schickt man doch keinen Hund vor die Tür', dachte David, während er versuchte das Leuchten der Ampel vor sich zu erkennen. 'Ist die überhaupt an?' Er kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung etwas mehr zu erkennen, doch er musste sich eingestehen, dass es bei diesen Verhältnissen einfach nicht möglich war. Die Dunkelheit und der Regen hatten sich gegen ihn verbunden und seine Autoscheinwerfer waren dabei einen hoffnungslosen Kampf zu verlieren. Viel zu langsam für seine Verhältnisse lenkte er den Wagen um eine Kurve. Links von ihm schimmerte der „Eden Park“ wie ein schwarzes Loch in der Dunkelheit. 'Vielleicht hätte ich Howard doch bitten sollen mich abzuholen', überlegte er und schaltete das rauschende Radio einfach ab. Bei diesem Wetter würde er ohnehin keinen Sender störungsfrei empfangen. Erst schemenhaft und dann immer deutlicher erkannte er die Umrisse einer Frau vor sich auf der Straße. Sie lief schnell, doch ihre Kleidung schien bereits völlig durchnässt zu sein. 'Wie irre muss man sein um bei diesem Wetter spazieren zu geh-“ Davids braune Augen wurden groß, während sein Fuß die Bremse mit einer Wucht traf, die den Wagen zu einer Vollbremsung veranlasste. Seine Hand suchte nach dem Fensterschieber und noch bevor die Scheibe ganz nach unten gefahren war, hatte er ein: „Rachel?!“ durch den Wagen gebrüllt. Schon als die Bremsen quietschend griffen, hatte sich die Frau zu ihm umgedreht, doch nun kam sie vorsichtig näher. Ihr schlichtes, dreiviertellanges Kleid klebte auf ihrer Haut und das glatte, rote Haar war von einigen grauen Strähnen durchzogen. Hatte er sich getäuscht? Die Ähnlichkeit mit Rachel war wirklich gravierend, aber glattes Haar und graue Strähnen? Fragend hob er die Augenbraue, doch sie lächelte ihm weiterhin entgegen. „Sie kennen meine Rachel?“ fragte sie in einem Ton, der sowohl Neugier als auch Argwohn bedeuten konnte. Durch das offene Fenster drang der Geruch nach Feuchtigkeit, Haarspray und Rotholz in den Wagen, was David dazu veranlasste zu nicken. „Rachel Morgan, ja. Und Sie sind -“ Beinahe hätte er „verrückt“ gesagt, doch die Frau unterbrach ihm glücklicherweise. „Alice Morgan, Rachels Mom.“ Sein Gefühl verriet David, dass er besser nicht angehalten hätte, doch es war zu spät um die Flucht zu ergreifen und diese Frau einfach ihrem Schicksal zu überlassen. Mit den Gedanken bei seinem armen Auto, dem mit Sicherheit nicht gefallen würde, was er im Begriff war zu tun, formulierte er den nächsten Satz dieser seltsamen Konversation. Wäre er doch bloß mit Howard gefahren. „Sehr äh erfreut. David Hue. Wollen Sie mitfahren? Sie tropfen.“ „Wirklich?“ Das Lächeln in dem Gesicht, das ihn so stark an Rachel erinnerte, wurde noch breiter und noch bevor er noch einmal über seine Alternativen nachdenken konnte, öffnete sich bereits die Beifahrertür und die Hexe stieg flink in den Wagen. „Dieses beschissene Wetter wird vermutlich nie wieder besser“, murrte sie und begann ihre feuchte Kleidung neu anzuordnen, während immer größere Pfützen im Fußraum des Wagens erschienen. „Es ist so reizend von Ihnen, dass sie eine durchnässte, alte Dame mitnehmen. Sie sagten, Sie kennen meine Rachel?“ Davids Hände verkrampften sich am Lenkrad. Er würde die Feuchtigkeit bestimmt ewig nicht aus seinem Auto bekommen und spätestens nach dem Vollmond in drei Tagen würde der ganze Wagen nach feuchtem Hund riechen. Fantastisch. Hatte er eigentlich eine Versicherung für Wasserschäden? „Geschäftsbeziehung“, antwortete er einsilbig. Kam es ihm nur so vor oder wurde er gerade wie das Sonderangebot an der Fleischtheke gemustert? Vorsichtig blickte er zu Mrs. Morgan und das unangenehme Gefühl ließ schlagartig nach. „Oh, das ist Schade. Ich meine, natürlich wünsche ich mir Enkelkinder, aber wenn der Richtige kommt, sollte Rachel ihre Chance ergreifen. Sie hatte ja noch nie viele Verabredungen schon in der High School musste ich mich fragen, ob sie nicht vielleicht das Ufer wechseln wolle. Und dann bringt sie erst diesen reizenden, jungen Mann mit und dann treffe ich Sie. Verdienen Sie eigentlich gut?“ Wäre David nicht damit beschäftigt gewesen auf die verregnete Straße zu starren, hätte er vermutlich seine seltsame Beifahrerin angestarrt. Dachte diese Frau allen Ernstes, dass er mit ihrer Tochter- Krampfhaft versuchte er ein Schaudern zu unterdrücken, doch es gelang ihm nicht ganz. Sex mit einer Hexe? Das war eindeutig eine Idee, die ihm sehr missfiel. „Wissen Sie“, fuhr die Frau ungerührt fort – Offensichtlich hatte sie nicht bemerkt, wie sehr David dieses Thema anwiderte, was bedeutete, dass sie entweder blind oder sehr in ihrer eigenen Welt versunken war - „Man braucht den richtigen Mann um Kinder zu bekommen und Rachel tut sich ja so was von schwer. Dabei hatten wir so viel Glück mit ihr. Stellen Sie sich vor, wir hätten sie damals fast verloren. Rachel wurde mit einer seltenen Blutkrankheit geboren und ach es war schrecklich. Wir haben es erst so spät erfahren. Rachels Bruder hatte Glück, das hat uns die nette Ärztin alles erklärt, aber unser nächstes Kind wäre zu fünfundzwanzig Prozent wieder mit diesem Defekt zur Welt gekommen und es fiel unserer kleinen Rachel ja so schwer. Eine Kombitherapie aus Kräuterheilmitteln und traditioneller Medizin hat sie schließlich gerettet. Sie ist ein Wunderkind! Um nichts in der Welt hätte ich das noch einem Kind zugemutet.“ Fasziniert von der Tatsache, dass eine einzelne Frau soviel erzählen konnte, ohne auch nur einmal Luft zu holen, nickte David. Er nahm die plötzliche Stille im Wagen als Zeichen, dass es nun an ihm war etwas zum Gespräch beizutragen. Blöd nur, dass er, erschlagen von dem Schwall an Informationen und der Tatsache, dass er immer noch versuchte zu fahren, kaum etwas mitbekommen hatte. „Hmm“, murmelte er als Antwort, musste aber schnell merken, dass die Frau mehr erwartete, als nur eine Silbe. „Rachel war sicher ein sehr lebhaftes Kind“, improvisierte er eilig und wünschte sich einmal mehr, er wäre heute nicht in sein verdammtes Auto gestiegen. „Oh nein, ganz im Gegenteil. Sie war ja auch ständig im Krankenhaus und sie war eigentlich immer müde, aber eigentlich kommt sie ganz nach ihrem Vater. Wissen Sie, ich habe Monty in der Universität kennen gelernt. Ich habe mich nur wegen einem hübschen Mann in „Kraftlinienmagie“ eingeschrieben und am Ende verliebte ich mich in seinen besten Freund. Es hat Rachel so sehr getroffen als ihr Vater-“ Die wandelnde Plappertasche stockte plötzlich und blickte deprimiert auf die feuchte Pfütze im Fußraum. „Das tut mir leid“, murmelte David ein wenig verunsichert, doch die Frau lächelte ihn schon wieder breit an. „Muss es nicht mein Lieber. Würde es Ihnen etwas ausmachen hier anzuhalten? Ich muss hier raus und Sie sollten es sich wirklich überlegen, Rachel mag keine gute Hausfrau sein, aber sie könnte in die Rolle hineinwachsen und so ein paar Jahre Altersunterschied sind ja nun wirklich nicht schlimm.“ David hatte den Wagen beinahe ruckartig zum Stehen gebracht und starrte Mrs. Morgan nun wieder mit großen Augen an. Er und Rachel? Sie teilten noch nicht einmal den gleichen Genpool. Wieder hatte er das Gefühl als würde sich sein Magen verknoten um seinen Protest zum Ausdruck zu bringen. Er und Rachel? Eher würde er den Vampir flach- Jetzt hatte sie es endgültig geschafft: Ihm war übel! „Ich glaube Sie verstehen nicht, Mrs. Morgan, wir sind wirklich nur Geschäftspartner“, versuchte er die Situation aufzulösen. Doch die Frau, die gerade leichtfüßig aus seinem Wagen sprang, lachte nur, als habe er einen besonders guten Witz gemacht. „Sicher, ganz wie Sie meinen. Oh und nennen Sie mich Alice, Mr. Geschäftspartner. Wenn Sie und Rachel mich Mal besuchen kommen, werde ich Ihnen all die schönen Fotos von meiner Kleinen zeigen. Das wird sicher ein Spaß.“ Freudig lächelnd drehte sie um und lief in eines der Häuser der Menschensiedlung. David seufzte. Die Geschichte würde Howard ihm sicher nie glauben, auch wenn er ihm die Wasserflecken in seinem Wagen zeigen würde. Vielleicht sollte er sich Mal mit Rachel unterhalten und das möglichst, bevor ihre Mutter die Namen für seine noch ungeborenen Kinder ausgesucht hatte. Hartnäckig klopfte der Regen gegen seine Windschutzscheibe und riss ihn aus seinen Gedanken. Er hatte ganz vergessen, dass er immer noch vor dem Haus von Mrs. Morgan parkte, oder besser gesagt, die ohnehin schon enge Straße versperrte. Ein weiteres Mal klopfte es gegen die Scheibe; lauter und eindringlicher als zuvor, während ein dunkler Schatten in den Wagen fiel und ihm den letzten Rest Sicht nahm. Erst jetzt bemerkte er die hellen Scheinwerfer in seinem Rückspiegel. Vermutlich hatte er Jemanden zugeparkt. Ein leises Knurren entfuhr ihm, als er das Fenster ein weiteres Mal an diesem Abend öffnete. Wenn irgendein Welpe Streit wollte, konnte er ihn haben. Einen bissigen Kommentar im Kopf blickte er hinaus, doch das Fluchen verging ihm. An seinem Wagen lehnte ein ziemlich durchnässter FIB-Detective, der ihn von oben herab wütend anfunkelte und was noch viel schlimmer war: Er kannte diesen Mann und nach seinem überraschten Gesichtsausdruck zu schließen, erinnerte sich der Andere wohl auch noch ganz gut an ihn. „Detective Glenn?“ fragte er, bemüht so unschuldig wie eine seiner Freundinnen zu klingen, wenn ihnen etwas unangenehmes blühte. „Mr. Hue? Was tun Sie hier mitten in der Nacht und bei dem Wetter? Sie stehen mitten auf der Fahrbahn. Das ist eine Gefahr für jeden Autofahrer. Ich wäre Ihnen eben beinahe hinten drauf gefahr- Wieso haben Sie einen See im Fußraum ihres Beifahrersitzes?“ Neugierig lehnte sich der dunkelhaarige Detective ein wenig weiter in den Wagen und tropfte nun seinerseits auf das Amaturenbrett. „Ich habe Mrs. Morgan heim gefahren“, murmelte der Werwolf, während sich seine Finger um das Lenkrad verkrampften. Was glaubten die eigentlich alle, was das hier war? Ein Regenschirmersatz? „Rachel? Aber Rachel wohnt hier doch gar nicht“, stellte Glenn skeptisch fest und verschränkte die Arme vor der Brust. Kein gutes Zeichen. „Nein, nicht Rachel, sondern ihre Mu-“ Im schwachen Kegel seiner Scheinwerfer erschien Mrs. Morgan auf der Straße. Sie hatte noch immer keinen Regenschirm dabei, aber der Teller in ihrer Hand wirkte verdächtig. „Ein Glück, Sie sind noch da!“ flötete sie. Davids Knöchel traten weiß hervor, so sehr krallte er sich in das Lenkrad. Er wollte hier weg. Am besten nach Hause und in sein Bett oder wenigstens vor Howards Haustür, wo er sich in Ruhe ausjaulen konnte. Aber vielleicht konnte er ja- Ein wölfisches Grinsen erschien in seinem Gesicht, als er „Aber natürlich Mrs. Mor- Alice“ säuselte. „Kennen Sie eigentlich schon Detective Glenn. Er ist einer von Rachels engsten menschlichen Freunden. Nicht Detective?“ „Was? Wer? Oh ähm, sehr erfreut Mrs. Morgan“, stammelte der sichtlich überfallene Glenn. Gut so. Mit etwas Glück würde er so gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und wäre in etwa einer Stunde zu Hause. Sein Plan schien auf zu gehen. Die rothaarige Frau schenkte Glenn gerade eben den Fleischthekenblick, den er selbst vor nicht ganz zwanzig Minuten schon einmal abbekommen hatte. „Es freut mich wirklich so viele von Rachels Freunden kennen zu lernen. Möchten Sie ein paar Kekse?“ Die ehemals hübschen, braunen Kekse schwammen in einem kleinen See aus Regenwasser, aber Glenn griff trotzdem ungerührt zu. „Vielen Dank Mrs. Morgan“, murmelte er, während David nur den Kopf schüttelte. Er würde so ein Ding mit Sicherheit nicht essen. Zu gut erinnerte er sich daran was die Kekse in Rachels Kirche so alles bewirkten. „Rachel kennt das Rezept übrigens auch. Sie kann sehr gut backen, ganz wie es sich für eine ordentliche Hausfrau gehört. Sie mag noch ein wenig wild sein, aber das wird sie spätestens mit dem ersten Kind ablegen.“ Einen Moment lang wirkte Glenn als wäre ihm der Keks in der Speiseröhre stecken geblieben, doch dann fing er sich, um David einen verwirrten Blick zu zuwerfen. Mit der Erkenntnis in seinen Augen, wuchs auch die Angst. „Ähm, Mrs. Morgan, es tut mir sehr leid, aber ich muss jetzt leider weiter“, versuchte er einen kläglichen Fluchtversuch und marschierte um Davids Auto herum, um sich dort eilig auf den Beifahrersitz fallen zu lassen. Misstrauisch beäugte David die wieder größer werdende Pfütze. An seinem Fenster erzählte Mrs. Morgan irgendwas von Babyfotos, aber das bekam er nur mit einem Ohr mit. „Haben Sie nicht ein eigenes Auto?“ flüsterte er ein wenig verstört, wurde allerdings von einem Bettelblick zum Schweigen gebracht. Alles klar. Der Mensch traute sich nicht die fünf Meter zu dem anderen Wagen zurückzulegen, weil Mrs. Morgan ihn mit Sicherheit begleiten würde. Plötzlich schob sich ein Bild vor seine Augen und David entwich alle Farbe. Das hatte er wirklich nicht sehen wollen. Rachel im Adamskostüm auf etwas, was ein Lammfell hätte sein können, war zu viel für ihn. Der Motor röhrte, als er das Gaspedal so heftig trat, dass es den Boden des Wagens berührte. Mrs. Morgan sprang eilig ein Stück zur Seite. „Diese Jugend, immer in Eile“, murmelte sie kopfschüttelnd, bevor sie langsam zurück ins Haus lief. Der nette Detective würde schon wieder kommen. Er hatte sein Auto vor ihrer Tür vergessen. Ende Flowers ------- Flowers „Jonathan, fahr in den Blumenladen und kauf mir einen großen Strauß für Ellasbeth“, hatte Trent hinter dem Bildschirm seines neuesten Notebooks hervor gebellt und er war – ganz der vorbildliche Angestellte – gesprungen, um dem Wunsch seines Herrn und Meisters nach zu kommen. Nicht, dass es nicht genügend Grünzeug im Garten gegeben hätte, dass man ohne weiteres ausrupfen und in eine Vase stellen konnte, aber Trent hatte gesprochen und so stand er nun schon seit fünf Minuten in dem winzigen Laden, der bis unter die Decke mit Gewächshausblumen vollgestopft war und wartete. Vor ihm in der Reihe tuschelten zwei männliche Hexen über die Bedeutung der Rosen, die von der schlaksigen Verkäuferin mit der Geschwindigkeit einer Schnecke auf der Rennstrecke zu etwas gesteckt wurden, was wohl Mal ein Strauß werden sollte. Vermutlich hatten die Beiden den Valentinstag genauso vergessen wie Trent. Nicht das Letzterer das jemals zugegeben hätte. Der schwere Geruch nach Pflanzen, die auf engstem Raum standen, lag in der stickigen Luft und ließ ihn deutlich schwerer atmen. Kein normaler Inderländer sollte gezwungen werden in so einem Laden zu stehen, davon war Jonathan überzeugt. Die kleine Glocke oberhalb der hellblau gestrichenen Tür klingelte fröhlich und ein kurzer Schwall an Straßengeräuschen durchflutete zusammen mit einer angenehm kühlen Brise den Verkaufsraum. Ein feiner Schauer glitt über seine Haut, als er den Temperaturabfall spürte, doch er erlaubte es sich nicht sich etwas anmerken zu lassen. Der schwere Geruch nach Sandelholz stieg ihm in die Nase, als sich der nächste Kunde in die kleine Schlange einreihte. Kunde war gut. Hinter ihm stand eine ganz in Schwarz gekleidete Vamp-Gothic-Göre, die mehr Ketten um den Hals trug, als Ellasbeth in ihrer Schmuckschatulle hatte. Misstrauisch musterte er das Mädchen mit den schwarzen Haaren und dem fröhlichen Lächeln. Irgendwie wirkte sie unbeschwert und glücklich, etwas was Jonathan nicht alle Tage zu sehen bekam. Gerade wollte er sich wieder abwenden, als die Kleine den Mund öffnete: „Hi, ich bin Erica und du?“ fragte sie mit einem Lächeln, das Eisberge hätte schmelzen lassen. „Ähm...“ „Ähm? Das ist ein komischer Name. Ist der typisch für Tiermenschen? Du bist doch ein Tiermensch oder? Ich habe noch nie einen richtigen Tiermenschen aus der Nähe gesehen. Ich meine, du könntest auch ein Mensch sein. Ein Pixie bist du jedenfalls sicher nicht, da bin ich mir sicher. Du riechst nur so gar nicht wie ein Tiermensch riechen sollte, oder ein Mensch. Aber vielleicht irre ich mich ja auch. Man, das ist so cool. Meine Schwester Ivy sagt, meine Nase wäre katastrophal schlecht, aber eigentlich sagt sie das nur, weil sie mich ärgern will. Ich rieche nämlich viel, viel besser als sie. Könnte daran liegen, dass meine Freunde nicht so scheußlich viel Parfum tragen. Würde es in meiner Kirche – Ja, Ivy wohnt in einer Kirche. Ist das nicht endgeil? - immer so stark nach Zitrone riechen, würde ich vermutlich bald gar nichts mehr erschnüffeln. Ich meine, nicht das es hier drinnen besser wäre. Ich rieche hier ja auch nur Blumen. Apropos Blumen: Findest du die nicht auch wunderschön? Es ist so gemein, dass heute jeder Blumen bekommt, nur ich nicht. Wieso schenkt mir nie Jemand Blumen? Am Valentinstag kriegen doch alle Mädchen Blumen, aber da sich niemand traut, muss ich mir meine Blumen selbst schenken. Eine von den großen Gelben da drüben wäre doch cool. Die schicke ich mir dann per Boten wenn meine Freundinnen nachher zum Abhängen kommen und dann sind sie alle neidisch, weil ich so hübsche gelbe Blumen habe und Ivy fällt sicher aus allen Wolken, wenn sie nächste Woche Dad besuchen kommt.“ Strahlend blickte das junge Mädchen Jonathan an und klimperte ein wenig, als sie sich mit beinahe vampirischer Schnelligkeit durch die Vasen mit den verschiedenen Blumensorten bewegte. Gerade öffnete sie den Mund um ihren Monolog fortzuführen, als sich die beiden Hexen panisch an Jonathan vorbei in Richtung Tür schoben. Offensichtlich hatte Ericas Gequassel die Beiden endgültig verschreckt. Die Verkäuferin warf dem jungen Vamp einen bösen Blick zu, bevor sie sich ihrem letzten, normalen Kunden zu wandte und sich zu einem Lächeln zwang. Anscheinend glaubte sie, das Mädchen würde zu ihm gehören. „Die Blumen für Mr. Kalamack“, knurrte Jonathan und schon wirkte das Lächeln der Frau wieder echter. Den Effekt hatte Trents Name in der Öffentlichkeit häufiger. „Einen Augenblick bitte. Ich bin gleich wieder bei Ihnen“, flötete sie übertrieben hilfsbereit und stöckelte auf ihren roten Pumps laut über den hellblauen Boden in ein Hinterzimmer davon. Eine Sekunde lang herrschte so etwas wie wohltuende Stille in dem Raum, dann spürte Jonathan ein leichtes Zupfen an seinem Ärmel und blickte in Ericas blitzende Augen. „Ähm? Sag Mal, wie ist es für Mr. Kalamack zu arbeiten? Das macht doch sicher Spaß. Daddy will, dass ich mir auch einen Nebenjob suche, aber das ist ja so langweilig. Weißt du wenn, dann will ich in einen richtig coolen Laden, was mit Mode, oder Piercings oder so und Daddy denkt viel mehr an eine Fastfoodkette. Ich und fettige Pommes. Ihh!“ Das Mädchen zog die Nase kraus und quietschte auf einer Frequenz, die einem Pixie Konkurrenz gemacht hätte. „So ein Blumenladen“, nahm sie den Faden augenblicklich wieder auf und Jonathan begann sich zu fragen, ob das Mädchen überhaupt Luft holte, „würde ihm sicher auch gefallen, aber ganz ehrlich. Hier zu arbeiten muss doch scheiße sein. Da hast du nie Zeit für ein kleines Schwätzchen und musst ständig rein stürmenden Leuten Blumen zurecht binden. Das ist doch kein Job, der abwechs-“ „Ihre Blumen!“ unterbrach die Stimme der Verkäuferin den jungen Vampir. Vermutlich hatte sie Ericas Kommentar über den Laden gehört, denn sie kniff wütend die Lippen zusammen und bedachte sie mit einem „Geh-Sterben-Blick“, der Jonathan ein fieses Grinsen entlockte, als er nach den feuchten Stängeln griff. „Oh, die sind aber hübsch“, quietschte Erica entzückt. „So ein großer Strauß. Da wird sich aber Jemand sehr freuen. Ich finde große Sträuße toll und ich glaube, es gibt keine Frau auf der Welt, die nicht meiner Meinung wäre. Schau dir nur die Farben an. Hinreißend!“ Jonathan stöhnte leise, als er seine Kreditkarte über den Tresen schob, stets bemüht sie nicht in irgendwelche Pflanzenreste oder Wasserpfützen zu schieben. Mit einem Ohr hörte er Erica schon wieder zu einem Vortrag über Blumen ansetzen. Wie konnte man nur so ein großes Mitteilungsbedürfnis haben? Die quatschte einem ja die Haare grau. Dennoch, irgendetwas in ihrer Art hielt ihn davon ab, wie die Hexen einfach aus dem Laden zu flüchten und die unglückliche Verkäuferin mit dem kleinen Plappermaul zurück zulassen. Seufzend fuhr er sich mit der Hand durch das Gesicht. Morgen würde er sich für das hassen, was er im Begriff war zu tun, besonders wenn es die halbe Stadt erfahren würde und das war im Anbetracht seiner neuen „Freundin“ irgendwie ziemlich wahrscheinlich. Mit einer langsamen Bewegung verschwand seine Hand in dem bunten Strauß aus Rosen, Lilien, und anderen Blümchen, die er nicht näher benennen konnte und zog eine etwa handtellergroße, dotterblumengelbe Blüte hervor, an deren Stängel sich ein schmaler Blumendraht schmiegte. Er betrachtete die Blume einen Augenblick lang nachdenklich. Sollte er das wirklich tun? Ellasbeth würde sicher nicht auffallen, dass eine ihrer Blumen fehlte. Vermutlich würde sie den Strauß eh nie richtig wahrnehmen. Doch da war es schon zu spät. Seine Hand war zu Erica gewandert und hielt ihr das bunte Blümchen entgegen. „Schenk ich dir“, knurrte er dem plötzlich verstummten Vampirmädchen entgegen und machte auf dem Absatz kehrt um mit seinen Blumen aus dem Laden zu fliehen. Als das Glöckchen an der Ladentür fröhlich klingelte, hörte er noch ein fröhliches: „Küsschen, Küsschen“ aus dem Inneren, bevor Ericas Stimme zusammen mit dem Geruch nach Frühling und Blumen im kalten Februarwetter und dem Lärm der Stadt unterging. Tomate ------ Tomate „Dad.“ Edden blickte von seiner Zeitung auf, hinter der er sich nach dem Essen versteckt hatte und runzelte die Stirn. Eigentlich war Glenn doch aus dem Alter heraus, wo er mit treuem Hundeblick und einem leidigen „Dad“ um Taschengeld betteln musste. Misstrauisch musterte er seinen Sohn über den Rand der Zeitung hinweg und wartete darauf, dass dieser mit der Sprache herausrückte. Einer Gehaltserhöhung würde er jedenfalls in keinem Fall zustimmen. „Dad, ich habe doch bald Geburtstag“, fuhr Glenn fort und Edden sah sein Konto bereits in den roten Zahlen untergehen. Das war ja schlimmer als er angenommen hatte. Sein Sohn wollte über sein Geschenk reden und wenn er den Unterton in Glenns Stimme richtig beurteilte, konnte es nur in die Richtung: „neues Auto“ gehen. „Hmm“, murrte er als Zeichen seiner Zustimmung, während er den Artikel über Trent Kalamack scheinbar interessiert ins Auge fasste. Wenn er so tat, als wäre er nicht bei der Sache, würde Glenn vielleicht einfach aufgeben. Doch Fehlanzeige. Der Junge fuhr stur seine Schiene weiter: „Ich weiß jetzt was ich mir wünsche.“ „Hmm“, murrte Edden nun resignierend und wechselte die Seite ohne seinen Sohn auch nur eines Blickes zu würdigen. So sehr er ihn liebte, er würde ihm kein Auto, Boot, Hausboot oder Einfamilienhaus kaufen. „Ich möchte eine Paradiesapfelpflanze“, eröffnete der reichlich nervös auf seinem Stuhl herum rutschende Glenn und Edden legte die Zeitung endgültig zur Seite. „Du willst was?“ „Eine Paradiesapfelpflanze“, wiederholte sein Sohn ohne mit der Wimper zu zucken. „Rachel hat so eine und die sind toll. Ich würde auch zwei nehmen. Ganz wie du willst, Dad.“ Damit erhob er sich und lief eilig in Richtung Tür davon. Aus dem Flur hörte Edden noch ein: „Sorry, ich muss los“, dann war sein Sohn auch schon verschwunden. 'Eine Paradiesapfelpflanze also?' Was auch immer das sein sollte, teuer war es vermutlich nicht. Also würde er schauen, ob er eine für seinen Sohn bekommen würde. „Vampirische Hexenkunst, Morgan, Jenks und Tamwood. Tamwood am Apparat, was kann ich für Sie tun?“ hauchte die Stimme des lebenden Vampirs in den Hörer. „Edden hier, ist Rachel da?“ fragte Edden, während er das Sandwich misstrauisch beäugte. Glenn hatte darauf bestanden ihm eines seiner „Spezial-Sandwichs“ abzugeben und er war sich nicht ganz sicher wie spezial dieses Spezial-Sandwich wirklich war. „Edden? Es ist gerade ganz schlecht. Rachel ist ähm beim Kartenspielen.“ erklärte Ivy mit einem Unterton, der nichts Gutes verheißen konnte. „Beim Spielen? Und wieso kannst du sie dann nicht einfach kurz holen?“ „Sie ist der Preis.“ Mit einem Stöhnen biss Edden in das Sandwich, dass für Glenns Verhältnisse sogar gut schmeckte. „Ich muss aber dringend mit ihr reden. Ich brauche eine Paradiesapfelpflanze und im Baumarkt gibt es sie nicht.“ klagte er mit halbvollem Mund und schob einen Stapel Akten zur Seite. Er sollte aufhören Geschenke auf den letzten Drücker zu beschaffen. Wäre er gleich nach Glenns seltsamer Ankündigung einkaufen gegangen, hätte er jetzt kein Problem. Noch zehn Stunden bis zum Frühstück X und Glenn erwartete vermutlich bereits seine Pflanze oder war gerade im Land der Träume was vermutlich sogar wahrscheinlicher wahr. Trotzdem wollte er seinen Sohn nicht enttäuschen. „Eine Paradiesapfelpflanze“, wiederholte Ivy mit leichtem Unglauben in der Stimme. „Das ist doch kein Problem, die gibt es in jedem Inderlandershop.“ Edden knallte den Hörer auf die Gabel und biss herzhaft in den Rest Sandwich, bevor er aus dem Büro stürmte. Er musste eine Pflanze kaufen. „Sie wünschen?“ fragte die junge Hexe mit den rosa gefärbten Stachelhaaren, die in alle Richtungen gleichzeitig zeigten und musterte Edden von oben bis unten. Vermutlich kauften hier für gewöhnlich keine Menschen ein. In der gläsernen Vitrine lagen einige größere Stücke Rotholz mit Preisschildern, die Eddens Magen ernsthafte Schmerzen zufügten. Offensichtlich hatten Hexeneltern auch ein schweres Los zu tragen. Ein 2345 Dollar-Los um genau zu sein. „Ich möchte Paradiesapfelpflanzen für etwa 25 Dollar“, erklärte er und die Augen der Hexe wurden größer. „Sicher?“ fragte sie überrascht, lief aber schon zu einem der unzähligen Regale und holte zwei kleine, grüne Pflanzen hervor, die nicht besonders ungewöhnlich aussahen und genauso gut auch Unkraut aus dem Vorgarten sein konnten. Das waren also Glenns besondere Pflanzen? Edden schüttelte den Kopf. So genügsam war sein Sohn noch nie gewesen. Während die Hexe die Pflanzen abrechnete – Sie kosteten weit weniger als von Edden vorgegeben - musterte er die kümmerlichen Pflänzchen. Und diese Dinger sollten toll sein? Irgendwie schien ihm dabei etwas zu entgehen. Die Verkäuferin lächelte breit, als er auf die Verpackung verzichtete und die grünen Dinger einfach per Hand aus dem Laden trug. Vielleicht hatten Rachel und ihre Freunde doch einen guten Einfluss auf den Jungen Zwei Monate waren vergangen, seit er Glenn die Pflanzen geschenkt hatte und nun hatte er die Quittung bekommen. Sein Sohn war für zwei Wochen weg und er sollte das Grünzeug gießen. Edden fühlte sich lächerlich, als er die kleine Plastekanne mit Wasser füllte und durch das Wohnzimmer in Richtung Schlafzimmer stapfte, wo Glenn seine Paradiesäpfel aufbewahrte. Warum auch immer er die Pflanzen neben sein Bett stellen musste. Manche Dinge musste ein Vater einfach nicht verstehen. Leise öffnete er die Tür und blickte sich im Zimmer um. Hier war er nicht mehr gewesen, seit er seinem Sohn beim Einzug geholfen hatte. Er erinnerte sich an das Gewicht des großen Doppelbettes und an den Kleiderschrank, der sich partout nicht hatte aufbauen lassen wollen. Es waren drei sehr anstrengende Tage gewesen, doch er war stolz, dass sein Sohn inzwischen auf eigenen Beinen stand und höchstens noch ab und zu zum Frühstück vorbei kam um mit ihm zu reden. Sein Blick schweifte durch das Zimmer und blieb an den Pflanzen hängen, die in den letzten Monaten ein gutes Stück gewachsen waren. Groß waren sie geworden und an ihren Ästen hingen dick und schwer- Edden wurde leichenblass. 'Tomaten!' schoss es ihm durch den Kopf. Sein Sohn hatte Tomaten in seinem- Er hatte Tomaten angefasst! Die Welt um ihn herum begann sich zu drehen und der ehemalige Soldat spürte, wie ihm die Beine weg glitten, als er in Ohnmacht fiel. Rated ----- Rated Ein fauliger Rest Kotelett flog durch die aufgrund der Abfälle beinahe unerträglich stinkende Luft und krachte klirrend in eine weitere Mülltonne, was tausende kleine und kleinste Fliegen zum Anlass nahmen, aufgescheucht durch die Luft zu flattern und den Aufenthalt in der engen, dunklen und stinkenden Gasse noch unerträglicher zu machen. Angewidert blickte Ivy Tamwood auf ihren schwarzen Lederstiefel, auf dem nun ein fettig-fauliger Abdruck des Knochens prangte. 'Ekelhaft!' Lautlos wie eine Raubkatze schlich der lebende Vampir auf die größte der Mülltonnen zu und verharrte. Hier musste es sein. Sie hatte sich zwar bereits den halben Tag gefragt, warum sie dieses Treffen ausgerechnet in einem dreckigen Hinterhof abhalten mussten, aber Rachel, die den Auftrag organisiert hatte, hatte sie mit großen Augen angesehen, so dass sie einfach nicht hatte „Nein“ sagen können. Plötzlich spürte sie etwas kleines, Pelziges an ihrem Bein und wich angewidert gegen den stinkenden Container zurück. Ihre braunen Augen wurden eine Nuance dunkler, während sie der Ratte nachblickte. Sie hasste Ratten. Tierische wie Menschliche. Alleine der Gedanke, dass unter dem Container vielleicht noch weitere Pelztiere saßen, die nur darauf warteten, dass sie einen falschen Schritt machte – Nach einem schnellen Blick in alle Richtungen gestattete sie sich ein Schaudern. Das nächste Mal sollte Rachel ihre dummen Aufträge entweder absagen oder das Treffen bei Piscarys organisieren. Dort würde sie jetzt an einem hübsch gedeckten Tisch sitzen, von Vampirschatten umschwärmt werden und der einzige Geruch der ihr in die Nase steigen würde, wäre der verlockende Duft von frischer, heißer Pizza mit langsam verlaufendem Käse und Tomaten. Verärgert verstärkte sich ihr Griff um den grauen Stoffbeutel. Noch fünf Minuten. Ivy strich sich angewidert durch das schwarze Haar mit den blonden Spitzen. Wenn sie hier umsonst warten würde, würde sie Jemandem die Kehle aufreißen. Entsetzt über sich selbst machte sie einen weiteren Schritt zurück und zuckte überrascht zusammen, als sie das kalte Metall des Müllcontainers in ihrem Rücken spürte. Sie würde stinken wie ein Penner, wenn sie später zu Rachel in die Kirche zurückkehren würde. 'Hoffentlich zerstört sie nicht ausgerechnet heute versehentlich meine Badewanne', fuhr es ihr durch den Kopf und sie konnte ein Fangzahn-zeigendes Lächeln nicht verbergen. Nicht das Ivys Fangzähne schon die beeindruckende Größe eines untoten Vampirs gehabt hätten. Sie würde sie erst bei ihrem Tod erhalten, im Austausch für ihre Seele. Ivy schüttelte den Kopf um die negativen Gedanken zu verscheuchen. Bitte, dann stand sie eben mit beiden Stiefeln im Dreck und dann war ihr langer Mantel eben reif für die Reinigung, weil eben jener Dreck nicht auf dem Boden hatte bleiben wollen. Wenigstens war sie alleine hier. Noch. Alleine die Vorstellung von Jenks Kommentaren, hätte er sie begleitet, lies ihr einen weiteren Schauer über den Rücken laufen. 'Ivy der Drogenkurier', dachte sie scherzhaft und seufzte. Sie würde sich vermutlich wohler fühlen, hätte Rachel ihr gesagt, was genau in dem Paket war, dass sie hier übergeben sollte. Aber die Hexe mit den roten Locken hatte sich geweigert irgendetwas zu sagen. Nicht einmal den Empfänger hatte sie preisgeben wollen. Vielleicht war sie gerade dabei Biodrogen zu schmuggeln ohne es zu wissen. Natürlich hatte sie die Chance genutzt das Paket zu beschnüffeln, als sie sich damit auf ihr Motorrad geschwungen hatte, doch außer Rachels feinem Rotholzduft hatte ihre feine Nase nichts ausmachen können. Vielleicht waren es ja doch Biodrogen. Ivy hätte es Rachel zugetraut in derartigen Situationen zu landen ohne das sie wirklich etwas dafür gekonnt hätte, denn schließlich zog ihre Hexe den Ärger förmlich an. Vorsichtig spähte Ivy ein weiteres Mal in den Beutel, um dort ein kleines, rosa Päckchen mit blauen Teddybären darauf zu sehen. Wenn das Mal nicht nach Ärger stank. Ein plötzliches Rascheln und eine warme Hand auf ihrer Schulter ließen Ivy aufschrecken. Sie hatte nicht damit gerechnet überrascht zu werden und in ihrer Panik brach der Vampir in ihr durch. Mit einer Geschwindigkeit, die nur ein lebender Vampir erreichen konnte, packte sie den vermeintlichen Angreifer und warf ihn ohne größere Anstrengung in den stinkenden Müll. Ein heiserer Schrei war alles, wozu er noch in der Lage war. Mit größter Anstrengung unterdrückte Ivy die Versuchung hinterher zu springen um ihrem Opfer an die Kehle zu gehen. Irgendetwas war hier faul. Selbst für einen Menschen hatte ihr Angreifer faszinierend wenig Gegenwehr geleistet und irgendetwas an dem Geruch nach Müll, Angst und Gasse kam ihr sonderbar vertraut - „Tamwood!“ krächzte es in dem Müllcontainer und Ivy wurde schlagartig blasser als der toteste Untote. Sie kannte diese Stimme. „Glenn?!“ Sie hatte sich offensichtlich verschätzt und Glenn als potenzielle Gefahr eingestuft. Verunsichert und mit brennenden Wangen blickte sie in den Container, aus dem nach einem leisen Stöhnen diverse Essensreste flogen. „Ist alles in Ordnung?!“ fragte Ivy, nicht sicher ob sie die Antwort wirklich hören wollte. Wenn er das Rachel erzählen würde, würden sie und Jenks sicher noch in drei Jahren über sie lachen, weil sie sich hatte von Glenn überraschen lassen. Wäre es wenigstens David gewesen, hätte sie damit leben können. Aber ein Mensch? Ein Mensch wie Glenn? Ihre Haltung versteifte sich augenblicklich noch mehr, während sie versuchte nicht von alten Lebensmitteln getroffen zu werden, die der Detective bei dem Versuch aus dem Müll zu kommen, durch die Gegend warf. Schuldbewusst streckte sie ihre Hand in den Container. So ganz konnte sie das alles noch nicht glauben. Sie hatte Glenn in den Müll befördert. Sie hatte ihn als Gefahr eingestuft. Wenn sie ganz ehrlich war, konnte er froh sein, dass er noch lebte. Seine Hand griff nach der ihren und der Druck verstärkte sich, als sich der FIB-Detective mit ihrer Hilfe aus dem Müll zog. Für den Bruchteil einer Sekunde wirkte der sonst so steife junge Mann einfach nur lächerlich, wie er in seinen jetzt völlig verdreckten Klamotten auf dem Rand des Müllcontainers hing, bevor er wenig elegant nach vorne in ihre Richtung fiel. Skeptisch beobachtete sie, wie er, um einen Rest Würde bemüht, aufsprang und begann den Müll von seiner Kleidung zu sammeln. „Du bist der Empfänger?“ fragte sie leise, während sie mit zwei Fingerspitzen nach einer Bananenschale griff, die auf seiner Schulter prangte. Sie würde Rachel etwas erzählen, wenn sie zurück in der Kirche war. Beinahe hätte sie Glenn umgebracht! „Ich dachte Rachel würde kommen“, antwortete ihr Gegenüber nervös und wirkte plötzlich sehr an seinen Schuhen und Ivys Beutel interessiert. „Ihr ist eine Kleinigkeit dazwischen gekommen“, erklärte Ivy und überlegte ob ein Dämonenangriff wirklich so eine Kleinigkeit war. Aber sie würde Glenn sicher nichts erzählen, was ihn unter Umständen misstrauisch stimmen würde. Apropos misstrauisch - „Was tut ihr hier eigentlich?“ Eine feine Augenbraue wanderte in die Höhe, während Ivy das Wasser im Mund zusammen lief. Glenn roch noch immer verdächtig stark nach Angst. Nein, sie würde sich beherrschen. Glenn war schließlich nur ein Mensch und eine Existenz als Schatten konnte und wollte sie ihm nicht zumuten. Inzwischen schien er sich trotz des Geruchs einigermaßen gefangen zu haben und griff nach Ivys Tüte. „Nur ein kleines Geschäft unter Freunden“, versuchte er zu versichern, doch Ivy dachte nicht daran sich mit dieser Antwort abspeisen zu lassen. „Verkauf mich nicht für dumm, Glenn!“ Sie konnte spüren, wie der Vampir in ihr wieder stärker wurde, als sie die Oberlippe ein wenig anhob um ihm ihre kleinen Reißzähne zu präsentieren. Hielt er sie wirklich für so blöd? Dann hatte er sie mächtig falsch eingeschätzt. Wütend verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und betrachtete den reichlich verunsicherten jungen Mann, der gerade zu überlegen schien ob die Sache es wert war ein paar gebrochene Knochen zu riskieren und wie erwartet versteifte sich seine Haltung, als er nachgab. „Ich will nur nicht, dass mein Vater etwas davon mitbekommt“, murmelte er deprimiert und fuhr leise fort: „Es sind nur ein paar Tomatensamen.“ Für den Bruchteil einer Sekunde starrte ihn Ivy einfach nur wortlos an. 'Tomatensamen?! Ich mache mir die ganze Mühe wegen ein paar Tomatensamen?!' dachte sie, während ihre Augen vor Wut immer dunkler wurden. Nein! Dieses Mal würde sie sich nicht von ihrem inneren Monster beherrschen lassen. Sie würde Rachel nicht erklären, dass sie Glenn umgebracht hatte. Mit all ihrer verbliebenen Selbstbeherrschung sah sie ihn an: „Vergessen wir diesen Tag“, schlug sie leise vor und atmete erleichtert auf, als sie ihn nicken sah. 'Vielleicht habe ich mich doch in ihm getäuscht', ging ihr durch den Kopf, während sie auf dem Absatz umdrehte und durch die stinkende Gasse zu ihrem Motorrad ging. Vielleicht war Glenn ja doch ein ganz netter Kerl. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)