Große Möhren, die das Herz bewegen von Benjy ================================================================================ Prolog: Aufwärmphase -------------------- Mihashi starrte auf die unmodische Uhr an seinem Handgelenk und verzog ängstlich das Gesicht. Er würde zu spät kommen und das, obwohl er gestern extra früh ins Bett gegangen war. Seufzend ließ er den Kopf hängen. Er befand sich in der Bahn auf dem Weg zur Urawa Universität, auf deren Sportgelände ein kleines Baseballturnier stattfinden sollte. Dort wollte er sich mit Tajima und Kanou treffen, um es sich gemeinsam anzusehen. Davon erfahren hatte er von Izumi, der es beiläufig in der Teambesprechung nach dem gestrigen Training erwähnte. Izumi selbst hatte während der Nachbesprechung nicht sagen können, ob er dort vorbeischauen würde. Tajima dagegen hatte aber augenblicklich losgebrüllt, dass er auf alle Fälle hingehen werde – und das am liebsten mit dem kompletten Team. Sein Wunsch ging natürlich nicht in Erfüllung, denn es stellte sich heraus, dass nur er und Mihashi bereit waren, definitiv zu gehen. Halt. Das war nicht ganz richtig, denn Kanou war auch dabei. Dieser hatte Mihashi nämlich am gleichen Tag abends überraschend angerufen und gefragt, ob er von dem Turnier gehört hätte und Lust habe, zusammen mit ihm dorthin zu gehen. Zum Zeitpunkt des Telefonats war aber das Treffen mit Tajima schon längst abgemacht, so dass er Kanou einfach mit dazu einlud. Er ging davon aus, dass Tajima mit seiner allein getroffenen Entscheidung kein Problem haben würde. So hatte Mihashi also geplant, frühs um sieben aufzustehen, damit er um acht das Haus verlassen konnte. Denn dann würde er in jedem Fall pünktlich mit der Bahn zum ausgemachten Treffpunkt vor dem Haupteingang der Universität fahren können – so war der Plan gewesen. Die Realität sah anders aus. Er würde knapp eine Stunde zu spät kommen, hatte nicht gefrühstückt, und sein eigenes allmorgendliches Training hatte er auch ausfallen lassen müssen – das empfand er sogar weitaus schlimmer, als nichts gegessen zu haben. Mihashi seufzte ein weiteres Mal, welches sich unerwartet ein Duell mit seinem plötzlich protestierenden Magen lieferte. Sieger dieses Zweikampfes war eindeutig der Magen. Verlegen hob er hastig den Kopf und stierte nervös umher. Niemand schien die kläglichen Laute seines Bauches vernommen zu haben, so dass er sich erleichtert tiefer in den Sitz sinken ließ. Er schloss die Augen, und dachte wehmütig an das vergangene Sommerturnier zurück. Bei diesem hatten sie die ersten zwei Runden mehr schlecht als recht überstanden, mussten dann aber in der dritten Runde aufgeben, weil er als Pitcher einfach nicht mehr mithalten konnte – er war körperlich völlig am Ende gewesen. Da hatte es auch nicht geholfen, dass Oki drei oder vier Innings in einem Spiel pitchte. Ihr Ausscheiden war mit seiner fehlenden Ausdauer besiegelt gewesen. Er war enttäuscht gewesen. Sauer. Aber vor allem hatte er Angst gehabt, dass Abe ihn nun weniger mochte, und ihm womöglich keine Zeichen mehr gab, so dass er wieder zu einem lausigen Pitcher mutierte. So sehr ihn diese Gedanken auch die ganze Zeit quälten, bewahrheitet hatten sie sich bisher nicht – im Gegenteil. Das erste Training nach ihrem verlorenen Spiel war entspannt verlaufen, trotz der bedrückten Atmosphäre. Lediglich Tajima schien völlig unberührt von ihrem Ausscheiden. Dieser überschüttete sie wie eh und je mit seiner Lebensfreude und prophezeite, dass sie im nächsten Jahr unter allen Umständen nach Koshien gehen würden. Schließlich hätten sie bis dahin genug Zeit, an den Schwachpunkten ihres Teams zu arbeiten, neue Mitglieder zu werben, aber vor allem, sie wären dann keine Neulinge mehr. Mihashi hatte Tajima natürlich zugestimmt, dennoch löste diese aufbauende Betrachtungsweise nicht sein Dilemma, dass er sich für die Niederlage verantwortlich fühlte – schlimmer noch, er hatte Abe verlieren lassen. Dieser hingegen hatte sich während dieses ersten Trainings beinah wie immer benommen. Beinah jedenfalls. Abe war lauter gewesen, fluchte reichlich unverschämter und hatte sich als Vizekapitän mehr als sonst aufgespielt, so dass einige Teammitglieder den einen oder anderen hilfesuchenden Blick in Richtung Hanai warfen, der aber nur unsicher mit dem Kopf geschüttelt hatte. Mihashi hatte sofort gewusst, dass Abes Verhalten das einzige ihm mögliche Ventil gewesen war, um damit den innerlichen Druck auf sein Gemüt abbauen zu können. Es war zwar nicht die mitmenschenfreundlichste Art, aber sie wurde ihm von allen im Team verziehen – Mihashi sah darin absolutes Vertrauen, das der Nummer Zwei des Teams entgegen gebracht wurde. Dazukam, dass Abe bisher nicht ein Wort über sein körperliches Versagen verloren hatte. Mihashi war sich bis heute nicht sicher, ob er das als gutes oder eher schlechtes Zeichen einordnen konnte. Das Klingeln seines Handys riss Mihashi aus seinen Gedanken, und ließ ihn alarmiert aufspringen. Während er in seiner Hosentasche nach dem Telefon griff, sah er sich beschämt um und entdeckte zwei Mädchen, die für einen Moment kichernd in seine Richtung starrten, ehe sie sich hastig wegdrehten. Seine daraufhin noch betretenere Miene führte dazu, dass ihm eine gegenüber sitzende ältere Frau freundlich zulächelte. Er senkte kurz den Kopf, bevor er sich wieder hinsetzte und das Gespräch annahm. „Shu- ... chan?!“, fragte Mihashi schüchtern, der anschließend schweigend die Lippen aufeinander presste. „Wer sonst! Wo steckst du? Tajima und ich sind schon zur Tribüne gegangen, weil wir dachten, du bist schon dort – aber Fehlanzeige.“ Mihashi konnte an Kanous Stimme erkennen, dass dieser sauer war, und fühlte sich dadurch gleich noch viel schlechter, als er sich ohnehin schon fühlte. „I- ich habe dir doch eine Sms ge- geschrieben. Ha-“ Kanou unterbrach Mihashi. „Das war aber vor mehr als einer dreiviertel Stunde! Egal. Wo bist du jetzt?“ Nachdem Kanou zu Ende gesprochen hatte, hörte Mihashi in der Sprechpause die Geräusche auf der Zuschauerbühne im Hintergrund – allen voran Tajimas Stimme, die ihm freundlich zurief, er solle sich beeilen und Kanous Geschimpfe einfach ignorieren. Tajimas Worte halfen Mihashi, sich wieder zu entspannen, so dass er das Gespräch mit zuversichtlicherem Gefühl weiterführen konnte. „Ich bin gleich da. Noch drei Stationen und etwas Fußweg. Ich komme dann direkt zu euch. Haltet mir bitte einen Platz frei. Ja?!“ „Wirklich? Du kommst dann auch wirklich hier an? Ich muss dir nämlich etwas Wichtiges sagen...“, entgegnete Kanou mit anfangs ungestümer Stimme, die zum Ende hin immer leiser und brüchiger wurde. Kanou so reden zu hören, irritierte Mihashi. Er fasste sich unbewusst an den Kopf und strich sich eine Strähne seines hellen Haares hinter das Ohr. „Hm. Wirklich. Bis gleich dann also.“ „Ja. Bis gleich.“ Während Mihashi das Telefon zurück in seine Tasche steckte, sah er gedankenverloren aus dem gegenüberliegenden Fenster, vorbei an der älteren Dame. Er hatte Kanou noch nie mit solch einer erregten Stimme sprechen hören. Selbst damals nicht, als er ihm erzählt hatte, dass er Mihoshi verlassen würde, und wohl in keinem anderen Baseballteam mehr spielen könnte, da er als Pitcher einfach zu schlecht war. Was war es also, was ihm sein bester Freund unbedingt sagen musste, und das so wichtig schien, dass es diesen dazu veranlasste, mit solch einer Leidenschaft zu sprechen. Mihashi seufzte ein drittes Mal, während er nun noch ungeduldiger auf das Ende seiner Fahrt wartete. Die Tribüne war voller als er gedacht hatte. Mihashi reckte sich daher in die Luft, um so besser nach den beiden Freunden suchen zu können, als er seinen „Namen“ hörte. „Hey Ren-Ren! Ren-Reeeeen! Hier oben! Hier oben sind wir!“ Mihashi spürte augenblicklich Hitze in sich aufsteigen, als er dem Rufen mit verlegenem Blick entgegenstarrte. Dort oben, in der drittvorletzten Sitzreihe, konnte er Kanou und Tajima sehen, die ihm breit grinsend zuwinkten. Tajima liebte es, ihn mit diesem „Namen“ aufzuziehen – aber nicht nur dieser. Izumi und Sakaeguchi waren da noch eine Spur gemeiner. Sie würden diesen Spitznamen am liebsten unter die von Tajima gezeichnete Eins auf seinem Trikot schreiben, und zückten daher jedes Mal den Stift, wenn er sich unbedacht während des Trainings ausruhte. Mihashi verdrängte diesen unliebsamen Gedanke und machte sich auf den Weg nach oben. Er war keine fünf Schritte gegangen, als er neben sich eine Stimme vernahm, die ihm irgendwie bekannt vorkam. „Oh!? Ist das nicht der Pitcher des Nishiura Baseballteams?!“ Mihashi blickte neben sich, und traf auf die neugierigen Augen der Nummer Eins des Tosei Baseballteams, Takase Junta. Neben diesem saß zudem Shimazaki, der ihm freundlich zunickte. „Äh- Ha- Hallo!“, stotterte Mihashi verkrampft, der es nicht fassen konnte, das Takase sich an ihn erinnerte und ihn außerdem auch noch ansprach. Er verbeugte sich auffallend vor dem ein Jahr älteren Jungen. „Auch hier, um ein wenig vom harten Training zu entspannen?“, fragte Takase lächelnd, der einen kurzen Blick auf seinen Sitznachbarn warf. Mihashi folgte dem Blick und hatte das Gefühl, dass Shimazaki Takase ein verliebtes Lächeln schenkte. Er wollte diesen idiotischen Gedanken schon beiseite schieben, als sein Blick auf Takases Schoss fiel. Dort sah er Shimazakis Hand, die entspannt in Takases lag. Mihashi konnte den Blick nicht abwenden und überlegte angestrengt, ob er Opfer einer optischen Täuschung geworden war, als ihn Takases Stimme aus den Gedanken riss. „Wo ist dein Partner? Sind Catcher und Pitcher nicht ein Herz und eine Seele, und treten daher immer zu zweit auf?!“ Mihashi starrte von Takase zu Shimazaki und von Shimazaki wieder zurück zu Takase, der ihn nun wissend anlächelte. „Ja. Es ist so, wie es aussieht, daher nimm meine Worte von eben nicht so ernst. Natürlich muss dein Fänger nicht gleichzeitig dein Liebhaber sein!“ Mihashi glotzte daraufhin Takase so benebelt an, dass dieser in lautes Lachen ausbrach. „Tut mir leid, wenn ich dir zu nahe getreten bin!“ Takase blickte ihm für einen Augenblick entschuldigend in die Augen, ehe er sich Shimazaki zuwandte, um diesen zu küssen. Mihashi stand mit offenem Mund da, und konnte seinen Blick nicht abwenden. Er war überrascht – nicht geschockt, immerhin lebten sie in einer sich verändernden Gesellschaft. Aber das sich die beiden hier so offen küssten, war doch irgendwie seltsam. Er trat einen Schritt zurück, entschuldigte sich unbeholfen und hastete, ohne auf eine Erwiderung der beiden zu warten, die letzten Meter zu seinem Ziel hoch. Dort angekommen, setzte er sich völlig verwirrt und mit fahlem Gesicht zwischen Tajima und Kanou, die ihn irritiert ansahen. „Was ist denn mit dir los?“, fragte Kanou mit besorgt klingender Stimme neben seinem Ohr. Mihashi zuckte zurück und stieß mit Tajima zusammen, dem daraufhin der Schokoriegel aus der Hand fiel. „Oh nein! Mein Essen...“, hörte Mihashi Tajima jammern, als dieser sich auf die Suche nach dem Riegel machte. Mihashi sah zu Kanou, der ihn mit ernsten Augen beäugte. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sich sein bester Freund heute anders als sonst verhielt. „Es ist alles in O-ordnung. I-ich habe eben nur eine seltsame Begegnung gehabt.“ „Inwiefern?“ Mihashi blickte nach unten, und versuchte Takase und Shimazaki in der Menge auszumachen. „Hm. Ach, keine Ahnung. Sie war e- eben komisch, nicht der Rede wert.“, erwiderte er ausweichend, während sein Blick auf den Eingang der Tribüne fiel. Dort entdeckte er plötzlich Izumi, der zusammen mit Hamada auftauchte, und nach einem freien Platz Ausschau hielt. Mihashi wollte gerade nach den beiden rufen, als ihm dieses Vorhaben buchstäblich im Hals stecken blieb. Er beobachtete, wie Hamada nach Izumi langte und diesen in eine Umarmung zog. Ehe Mihashis Mund gänzlich offen stand, hatten sich die beiden auch schon geküsst. Er konnte nichts anderes tun, als mit ungläubigem Blick die beiden bis zu dem anvisierten freien Platz zu verfolgen. Es war unglaublich. Nein, es war mehr als das. Es war falsch. Irgendetwas stimmte hier nicht, und Mihashi wusste nicht was. Aber zur Ruhe sollte er auch nicht kommen, da er aus heiterem Himmel Tajima neben sich verärgert aufbrüllen hörte. „Riou! Was soll das? Der war mir...“, meckerte Tajima betroffen, der aufgelöst auf die leere Schokoriegelverpackung in Rious Hand starrte. Mihashi blickte entgeistert zwischen Tajima und Riou hin und her, und bekam ein ungutes Gefühl. Er wollte Tajima gerade danach fragen, was der Reserve Catcher von Tosei hier machte, aber er kam nicht dazu, da sich Riou stürmisch auf Tajimas Schoss setzte. „Mich anmeckern wegen des Riegels, aber kein Ton darüber verlieren, dass du hierher gehst – und das auch noch mit zwei Rivalen!“ Mihashi konnte sehen, dass Riou erst Kanou und anschließend ihm einen bösen Blick zuwarf, der es ihm eiskalt den Rücken runter laufen ließ. „Ey Riou! Lass meine Freunde zufrieden! Die haben damit nichts zu tun, und außerdem hast du nichts zu befürchten. Also, beruhige dich!“, entgegnete Tajima besänftigend, der entzückt durch dessen blondes Haar wuselte. Mihashi traute seinen Augen nicht und wandte sich Kanou zu, um diesen zu Fragen, ob er sich das alles nur einbildete, aber er bekam kein Wort raus. Kanou starrte ihn mit einem äußerst fraglichen Gesichtsausdruck an, der weit schlimmer als der Blick von Riou eben war – sah er da etwa Verlangen in Kanous Augen aufblitzen?! Mihashi schluckte, und rückte soweit es nur ging von Kanou weg. Dieser ließ sich durch den Rückzug nicht beirren, und rutschte einfach hinterher. Mihashi spürte Panik in sich aufsteigen und streckte beide Arme aus, um damit seinen Freund auf Abstand zu halten. „Stopp! Komm nicht näher...“, rief Mihashi aufgelöst, der damit die abwehrende Geste seiner Arme untermalte. „R- en... Ich muss dir etwas sagen. Also, ich-“ Mihashis böse Vorahnung auf das, was jetzt kommen würde, ließ ihn seine Arme zurückziehen, damit er mit seinen Händen die Ohren bedecken konnte. „Ich w- w- will das nicht hö- hören, Shu-chan!“, rief er aufgewühlt und kniff die Augen zusammen. Eine Sekunde später spürte er Kanous warme Hände, die dieser sanft auf seine legte. Überrascht riss Mihashi die Augen und blickte in das Gesicht seines Freundes, welches nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt war. „Ich liebe dich.“ Mihashi sah, dass Kanou nun vorhatte, ihn zu küssen, als plötzlich eine Person hinter diesem auftauchte, und ihn von dem küssenden Mund, der unaufhaltsam auf ihn zukam, ablenkte. „A- Abe-kun...“, murmelte Mihashi in sein Kopfkissen, während er sich langsam zur Seite drehte und prompt aus dem Bett fiel. Der Aufprall ließ ihn wach werden und er richtete sich stöhnend auf. Er sah sich für einen Moment irritiert um, krabbelte dann wieder zurück in sein Bett, wo er sich die Decke bis unter die Nase zog. Er starrte verzweifelt an die Zimmerdecke, die aufgrund der Dunkelheit kaum zu sehen war, und versuchte sich innerlich zu beruhigen. Nicht schon wieder so ein Traum! Was soll ich bloß machen, damit das aufhört?! Wenn das so weiter geht, dann kann ich bald keinem mehr ins Gesicht sehen, ohne dabei an die Bilder aus meinen Träumen zu denken... Mihashi suchte aufgewühlt nach dem Ball, den er an seinem linken Fuß spürte. Er rollte diesen mit seinem Fuß soweit es ging nach oben, um dann mit seiner linken Hand danach greifen zu können. Den Ball wieder in der Hand haltend, rollte er sich auf die Seite, und schloss seine Augen. Augenblicklich hatte er der Person vor Augen, die als letzter in seinem Traum erschien. „Takaya...“, flüsterte er sanft, während er den Ball in seiner Hand liebevoll drückte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)