Großmutters Hände von Ito-chan ================================================================================ Kapitel 1: Großmutters Hände ---------------------------- Ihre weiche, fleischige Hand war warm, und ihre Augen ruhten wohlwollend auf ihm. So war sie eben, seine Großmutter. Sie hatte ihn schon immer gerne gehabt und auch jetzt waren es ihre Hände, die ihn beschützend hielten und ihn trösteten. „Was heißt das, Daddy kommt nicht mehr nach Hause?“ Seine Stimme zitterte und die Großmutter seufzte, ehe sie lächelte. „Dein Daddy ist nach Amerika gefahren, um dort eine neue Mami zu heiraten und er hat gesagt, er will mit ihr dort eine Zeit lang leben.“ Ihre Augen waren warm und liebevoll, während sie den kleinen Jungen auf ihrem Schoß beruhigte. Er war erst sechs Jahre alt und seine Mutter war schon vor drei Jahren gestorben. Nun wollte der Vater, dass der Junge bei ihr blieb, während er ein neues Leben anfing. „Und warum gehen wir nicht mit ihm?“, wollte der kleine Mann wissen. „Weil dein Daddy das nicht wollte Kleiner. Er wollte, dass wir beide hier bei deiner Mami bleiben und auf sie aufpassen.“ Diese warmherzige alte Dame kümmerte sich wirklich rührend um den Jungen, dessen Vater gerade gegangen war. Viele Monate zogen ins Land. Ihr Sohn schrieb weder Briefe noch Postkarten und der Junge hörte irgendwann auf zu fragen. Er wartete nur. An Geburtstagen, Feiertagen, Weihnachten, ja sogar am Todestag seiner Mutter saß er am großen Giebelfenster des großelterlichen Anwesends und wartete auf seinen Vater, der nicht kommen würde. Ihm war diese Tatsache durchaus bewusst, dennoch wartete er, wie alle kleinen Kinder warteten. Bis viele Jahre ins Land gezogen waren und der Junge eingesehen hatte, dass sein Vater keine Briefe aus dem fernen Amerika schicken würde oder zu ihm kommen würde. Seine neue Familie war wichtiger. Eines Tages, der kleine Junge war bereits ein Mann und wollte heiraten, verstarb seine Großmutter und so trug es sich zu, dass der Junge seinen Vater anrufen musste. „Schneider“, meldete sich jemand mit texanischen Akzent. „Hello, I want to talk to Mr. Schneider please. His mother died yesterday“, sagte der Sohn in einem gebrochenen englisch. Seine Verlobte saß neben ihm und wartete. „Hello?“, hörte er schließlich eine Bassstimme fragend. „Hallo, ich rufe aus Deutschland an, Vater. Großmutter ist gestern gestorben und ich dachte... du würdest vielleicht herkommen.“ Der junge Mann wartete auf eine Antwort. „Ich habe keinen Sohn in Deutschland. Was erlauben Sie sich anzurufen! Meine Mutter ist vor Jahren gestorben!“ Dann wurde aufgelegt. Der junge Mann rief noch einige Male an, doch er erreichte wenig. Schlussendlich gab er auf. Sein Vater hatte ihn nicht gewollt und deswegen seine Familie verleugnet. Er hatte so lange gewartet und nun war er ein letztes Mal enttäuscht worden. Von seinem eigenen Vater verstoßen und enttäuscht, doch von seiner Großmutter nie alleine gelassen. Als er an ihrem offenen Grab stand lächelte er traurig und flüsterte: „Danke Großmami.“ Am Abend erinnerte er sich an ihre warmen, runzligen, rosa Hände und den Geruch von 4711. Sie hatte den Duft, wie viele alte Menschen geliebt und jetzt würde dieser Geruch ihn immer an seine Großmutter erinnern, die ihm so viel ersetzt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)