A bittersweet life von Akai-chan ================================================================================ Kapitel 2: -----------    Mein Wecker klingelt und reißt mich damit aus meinen Träumen. Grummelnd taste ich danach und brauche ein wenig, um ihn auch zu finden. Doch dann ist endlich wieder Ruhe. Einen Moment schließe ich meine Augen noch einmal und gebe mir dadurch etwas Zeit, wach zu werden. Vielleicht zwei Minuten später kämpfe ich mich aus dem Bett und streiche mir das Haar aus dem Gesicht. Ich bin noch ziemlich müde und normalerweise wäre ich auch noch liegen geblieben. Aber nicht heute. Heute gibt es wichtigeres, als zu schlafen. Viel wichtigeres sogar. Als ich so daran denke, dass ich ihn gleich wiedersehen werde, muss ich wieder lächeln und bekomme ein wenig Herzklopfen. Und das schon am frühen Morgen! Richtig schlimm, was dieser Mensch so mit mir machen, was er alles in mir auslösen kann... Scheinbar bin ich ihm doch schon hoffnungslos verfallen. Ganz ehrlich, so etwas hätte ich noch vor kurzem niemals für möglich gehalten. Und nun schau mich an, mich liebeskranken Trottel. Es kommt wohl doch immer anders als man denkt.    Da fragt man sich auch immer gleich, was die nächsten Jahre nun tatsächlich alles bringen werden. So manch einer gäbe sonst was für einen kleinen, winzigen Blick in die Zukunft. Ob ihm dann auch gefällt, was er dort sieht, ist wieder eine ganz andere Frage. Aber ich versinke schon wieder zu sehr in Gedanken. Und das kurz nach dem Aufstehen. An manchen Tagen kann ich mich wirklich nur noch über mich selbst wundern. Während ich das tue, gehe ich ins Bad und nehme eine Dusche. Immerhin muss ich nachher ordentlich aussehen. Danach stehe ich im Handtuch und mit nassen Haaren vor meinem Kleiderschrank und überlege hin und her, was ich nun anziehen soll. Dabei kümmert es mich sonst so ganz und gar nicht, was ich nun genau an habe. Genauso war mir meine Frisur auch immer relativ egal, solange es eben nicht ungepflegt aussah. Heute dagegen stehe ich mehrere Male vorm Spiegel und überprüfe, ob auch jede einzelne Strähne so sitzt, wie sie sitzen soll. Dafür muss ich mich beim Frühstück ein wenig beeilen, denn ich bin schon ein bisschen spät dran - und wenn mich meine Mutter die Straße hinunter rennen sieht, gibt es nur wieder Ärger. Zum Glück habe ich meine Tasche gestern schon gepackt. Bald verabschiede ich mich von meiner Mutter und Hanako und verlasse das Haus.    Wir treffen uns wieder einmal im Park an der gewohnten Stelle. Diesmal ist er zuerst da und wartet bereits auf mich. Es ist selten, dass ich ihn einmal allein beobachten kann, daher gehe ich etwas langsamer auf ihn zu und spreche ihn auch nicht gleich an. Er lehnt an einem Baum und hat die Augen geschlossen. Er wirkt sehr ruhig und vielleicht auch ein klein wenig nachdenklich oder sogar besorgt. So etwas zeigt er mir sonst nicht. Mich lächelt er stets an. Und wieder einmal fällt mir auf, wie fein seine Gesichtszüge doch sind. Sein Gesicht findet vielleicht nicht jeder hübsch, es hat schon ein paar kleine Makel. Doch welches Gesicht, welcher Mensch hat das nicht? Tetsu aber hat unglaublich weiche, zarte Haut. So weich und zart, dass man sie am liebsten den ganzen Tag nur anfassen möchte. Inzwischen schleiche ich mich schon an ihn heran, doch er bemerkt mich und sieht mich lächelnd an. Gott, dieses Lächeln macht mich schwach!    "Hey...", lächel auch ich ihn an und er setzt sich wieder richtig auf, während ich mich neben ihm niederlasse. Doch schon im nächsten Moment hat er mich in seine Arme gezogen und einen kurzen Augenblick lass ich es geschehen, atme seinen Geruch ein und genieße diese wenigen Sekunden, in denen ich ihm unbedacht so nah sein kann. Dann aber löse ich mich wieder von ihm.    "Wie geht es dir heute?", erkundigt er sich und ich kann wieder einmal nur eines sagen, um ihn nicht anzulügen, ihn aber auch nicht zu sorgen.    "Wie immer.", antworte ich wenn auch ehrlich, immer noch mit schlechtem Gewissen. Er nickt etwas und grinst dabei.    "Lass mich raten...", grinse nun auch ich, "Dir geht es super, weil irgend etwas ganz tolles passiert ist." Da muss er wieder lachen und nickt.    "Sieht man mir das so sehr an?"    "Ja.", antworte ich ohne Umschweife, auch wenn ich eher glaube, dass 'man' das nicht unbedingt sieht, dafür aber ich. Mittlerweile weiß ich ganz genau, welcher Ausdruck zu welchem Gefühl oder zu welcher Stimmung gehört. Ich schätze mal, ich habe ihn eine sehr lange Zeit unbewusst beobachtet. Doch jetzt bin ich neugierig.    "Also? Erzähl schon!", fordere ich ihn auf und er lacht wieder ein wenig. Dann zieht er einen kleinen Schlüssel hervor und hält ihn mir vor die Nase. Doch natürlich weiß ich so absolut nichts damit anzufangen. Wie denn auch? Ich kann daher also nichts weiter tun, als ihn verwirrt anzusehen.    "Was...?"    "Was glaubst du, wo der hinführt?", fragt er mit einem weiteren Grinsen. Ich überlege kurz. Doch wohin soll der führen? Wohin könnte er führen? Ich habe nicht den blassesten Schimmer    "Zu... einem Raum?", rate ich daher eher etwas allgemeiner gehalten. Er nickt.    "Aber was für einer?", hakt er nach. Woher soll ich denn das wissen? Ich kneife nur einen Moment die Augen bedrohlich zusammen und zuckte dann mit den Schultern.    "Ein Proberaum.", lässt er schließlich die Katze aus dem Sack. Meine Augen werden dabei ein klein wenig größer.    "Ein Proberaum? Hast du denn nun eine Band?" Da nickt er heftig und freut sich, wie ich es noch nie gesehen habe.    "Wow... Das ist fantastisch.", fällt mir als einziges dazu ein. Ich bin sprachlos. Wirklich sprachlos. Aber das ist einfach großartig. So ist er seinem Traum wieder ein Stückchen näher gekommen.    Noch bevor ich danach fragen kann, zieht er einen Zettel hervor und drückt ihn mir in die Hand. Darauf stehen Notizen für ein Lied. Ein wenig Text und Noten dazu. Es ist noch nicht ganz fertig, aber einige Teile sehen durchaus vollständig aus. So als eigener Bestandteil des Ganzen... Wie es aussieht kann er doch ein wenig meine Gedanken lesen, denn ich wollte ihn gerade fragen, ob sie denn auch schon Lieder haben. Oder es war einfach nur Zufall. Ich lese mir alles genau durch und versuche mir dabei vorzustellen, wie es klingen würde. Das klappt allerdings nicht so ganz, weshalb ich anfange, es ein wenig vor mich hin zu singen. Es hört sich wirklich schön an, lässt sich auch gut singen. Wenn das mal kein Erfolg wird, weiß ich auch nicht... Es ist zwar noch nicht aufnahmebereit, aber ich bin sicher, es wird wundervoll. Allein diese kleineren Teile, die ich hier in der Hand halte, sind sehr harmonisch und eingängig. Dieser Junge ist nicht nur wunderbar, er hat auch unheimlich viel Talent. Als ich ihm das Blatt Papier wieder reiche, bemerke ich, dass er mich ganz seltsam anschaut. Diesen Blick habe ich noch nie gesehen. Dummerweise kann ich ihn deshalb auch nicht recht deuten und vergesse darüber glatt, ihm meine Meinung über das Lied zu sagen.    "Was... Was hast du?", frage ich statt dessen. Doch er antwortet mir nicht gleich. Dafür kommt er etwas näher an mich heran und legt eine Hand auf meine, die noch immer das Blatt festhält. Er sieht mir direkt ins Gesicht und so langsam macht er mir damit doch ein wenig Angst.    "Sei mein Sänger.", bittet er mich schließlich. Ich bin so überrascht, dass mir wieder nichts dazu einfällt. Mir steht nur der Mund ein wenig offen.    "Was? Ernsthaft!? Wieso?", will ich dann doch wissen. Ich meine... Ich und Sänger? Nein, wirklich. Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Am Ende versaue ich ihm sogar noch seinen Traum? Das kann doch nur ein Scherz gewesen sein.    "Weil das gerade einfach nur... unglaublich klang.", erklärt er mit einem Leuchten in den Augen, das mir nicht so ganz geheuer ist, "Du hast eine tolle Stimme, wirklich! Sie hat etwas ganz eigenes, markantes. Dieses leichte rauhe gefällt mir sehr." Mein Blick scheint immer noch ziemlich unbegeistert zu sein, denn sein freudiges Lächeln verschwindet aus seinem Gesicht und er seufzt etwas enttäuscht.    "Du willst nicht...", stellt er vollkommen richtig fest. Ich nicke also nur leicht.    "Ich glaube ehrlich nicht, dass ich der Richtige dafür bin. Außerdem, hattest du nicht gesagt, du hast schon eine Band zusammen?"    "Ja...", druckst er ein wenig herum, "Aber uns fehlt eben noch ein Sänger." Da muss ich nun doch wieder leise lachen und schüttle den Kopf dabei. Das ist so typisch. Es ist noch nicht alles richtig sicher, aber er sprüht nur so vor Euphorie und Optimismus. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, er ist einfach nur naiv. Aber das ist er ja nicht. Er ist nur ungewöhnlich zuversichtlich und arbeitet hart dafür, dass seine Hoffnungen nicht enttäuscht werden. Das ist bewundernswert.    "Und du willst wirklich nicht mit mir berühmt werden?", versucht er es noch einmal, doch ich lehne wieder ab.    "Tut mir leid, aber ich sehe mich so absolut nicht als Sänger. Oder allgemein als Entertainer. Schon allein, weil ich ziemlich empfindlich auf so ziemlich jede Art von Stress reagiere." Er sieht ein wenig überrascht aus bei dieser Aussage.    "Ah ja?", fragt er leise und ich kann einen leisen, besorgten Unterton ausmachen.    "Ja... Es ist zum Kotzen, aber was soll ich machen? Ich kann ja auch nicht aus meiner Haut raus." Er nickt wieder.    "Schade...", seufzt er. Scheinbar hat er wirklich noch darauf spekuliert, mich irgendwie herum zu kriegen. Ja... wenn er sich einmal was in den Kopf gesetzt hat, lässt er nur selten locker. Das habe ich schon oft genug miterleben dürfen.    "Aber...", bitte ich nach einer kleinen Weile, "Es wäre schön, wenn ich die anderen mal kennen lernen kann. Und wenn ich euch ab und zu mal begleiten könnte..." Wieder lächelt er mich auf seine wirklich umwerfende Art an und legt mir dann eine Hand auf den Kopf.    "Klar. Für unseren ersten Fan doch immer. Du bist doch unser Fan, oder?" Die letzte Frage stellt er so niedlich, dass ich ihn am liebsten als Haustier mit nach Hause nehmen würde. Wie kann ein einzelner Mensch nur so liebenswert sein?    "Na, dafür muss ich euch erst einmal als Band hören... Ich bin immerhin nicht von irgendwem Fan.", grinse ich, "Aber falls dir das für den Moment reicht: Ich bin schonmal dein Fan." Du meine Güte, was rede ich denn da eigentlich? Wenn ich noch ein bisschen weiter herum sülze, endet das noch in einer Liebeserklärung. Wer weiß, was er sich jetzt ohnehin schon dabei denkt - zumal er mich so strahlend ansieht und ein wenig rot geworden ist. Nicht viel, aber doch genug, dass ich es bemerken kann. Meine Worte scheinen ihm doch recht viel zu bedeuten. Klar, warum auch nicht, wenn er in mich verliebt ist? Da freut man sich über solche Aussagen doch ganz besonders. Trotzdem sollte ich es in Zukunft vermeiden, ihm vielleicht noch falsche Hoffnungen zu machen. Das muss nun wirklich nicht sein. Das würde ihm doch nur unnötig weh tun und das ist das Letzte, was ich will. Nein, eigentlich würde ich ihn sehr gern glücklich machen. Im Moment wäre das wohl auch gar nicht allzu schwer. Doch für wie lange würde dieses Glück anhalten? Ich weiß ja, im Grunde ist alles vergänglich, doch für diese kurze Zeit, die mir noch bleibt, würde sich das einfach nicht lohnen. Schon allein, weil meine Niere schon nächste Woche ganz versagen könnte. Man weiß es einfach nicht genau. Und warum muss ich jetzt schon wieder an diesen ganzen Mist denken? Wirklich, ich sollte damit aufhören.    "Möchtest du es sehen?", fragt er und ein paar Sekunden weiß ich nicht, wovon er redet.    "Was?", platzt es mir daher sofort heraus.    "Den Raum... möchtest du ihn mal sehen?"    "Geht das denn?", hake ich etwas verwundert nach und er nickt.    "Sicher. Immerhin hab ich den Schlüssel.", grinst er. Einen Moment zögere ich noch, sage dann aber doch zu. So machen wir uns auf den Weg, verlassen den Park und laufen gemütlich die Straßen entlang. Es dauert ein wenig, bis wir da sind, doch dann betreten wir ein kleines Gebäude und gehen in den Keller. Dort schließt er eine Tür auf und ich werde doch ein wenig aufgeregt. Er schaltet das Licht ein und ich sehe mich mit großen Augen und klopfendem Herzen um. Der Raum ist nicht besonders groß und auch nicht großartig eingerichtet, doch letztlich muss er das ja auch nicht sein. So, wie er ist, spürt man die Hingabe und die Liebe zum Detail, mit der er eingerichtet wurde. Man fühlt sich hier irgendwie ganz automatisch wohl, auch wenn man mit der Band an sich nun nicht so viel zu tun hat. Tetsu stellt sich in die Mitte des Raums, breitet die Arme aus und grinst mich glücklich an.    "Und? Was sagst du?", will er wissen. Ich nicke ihm zu, zucke gleichzeitig ein wenig mit den Schultern.    "Ja... Sieht gut aus." Ein kurzer Moment der Stille entsteht. Er schaut ein wenig enttäuscht und ich muss etwas schmunzeln. Manchmal kann er wirklich niedlich sein.    "Nun guck mich nicht so an.", bitte ich ihn, "Es gefällt mir gut." Einen Augenblick sieht er mich prüfend an, nickt dann aber ebenfalls.    "Na gut. Das lass ich mal gelten." Ohne weiteren Kommentar gehe ich zu ihm und sehe mich weiter um.    "Schade, dass die anderen nicht hier sind.", überlegt er kurz darauf, "Dann könnten wir mal ausprobieren, wie deine Stimme so zu uns passen würde. Also... nur so, mein ich." Er scheint meinen unbegeisterten Gesichtsausdruck bemerkt zu haben. Er weiß, dass ich ihn gut genug kenne um zu wissen, dass das nur ein weiterer Versuch wäre, mich umzustimmen. Und wenn die anderen beiden dann noch seiner Meinung wären, würde das drei Personen bedeuten, die auf mich einreden. Oh Gott, allein der Gedanke! Darauf kann ich gut und gerne verzichten, wirklich. Auf einmal bin ich gar nicht mehr so erpicht darauf, die zwei kennen zu lernen...    "Tja...", murmel ich als Antwort, "Du kannst sie schlecht herzaubern, oder?" Er nickt etwas nachdenklich.    "Nein, das kann ich nicht. Aber ich kann sie fragen, ob sie Zeit haben herzukommen.", sagt er und zieht dabei schon sein Handy aus der Tasche, woraufhin sich in mir leichte Anflüge von Panik bemerkbar machen.    "Nein!", rufe ich ein wenig zu laut und zu schnell, weshalb er mich doch etwas irritiert ansieht. Nun lass dir mal ganz schnell was einfallen, Hideto Takarai! Irgendwas glaubwürdiges, warum du etwas dagegen haben könntest, dass sie hier auftauchen.    "Also...", fange ich ein wenig unsicher an und hoffe einfach, dass er das nicht bemerkt, "Ich dachte, wir haben heute für uns? Nur wir beide..." Er steht wie versteinert da und scheint nachzudenken. Schließlich regt er sich doch wieder und lässt das Handy wieder in seiner Hosentasche verschwinden.    "Hast ja recht, entschuldige bitte.", lächelt er mich um Verzeihung bittend an und ich atme innerlich auf. Hätte mich auch sehr gewundert, wenn das jetzt nicht gezogen hätte. Ich nutze seine Gefühle zu mir wirklich nicht gern aus, doch manchmal lässt er mir auch keine andere Wahl.    "Mach dir keine Gedanken.", nicke ich mit einem Lächeln und umarme ihn kurz, "Ich kann ja verstehen, dass du mit allem irgendwie weiter kommen willst, gerade wenn es jetzt so gut aussieht. Aber glaub mir, ich wäre keine Bereicherung und würde euch nur aufhalten." Er sieht mich ganz traurig an. Wie ein Hündchen, das nun endlich verstanden hat, dass man es ausgesetzt hat, nachdem es schon zig mal wieder nach Hause gefunden hat. Gut, ganz so schlimm ist es hier sicher nicht, aber sein Blick erinnert mich irgendwie daran. Jetzt ist nur die Frage, wie ich ihn trösten kann.    "Sei nicht traurig, ja?", bitte ich leise und lege eine Hand an seine Wange, "Ihr findet sicher jemanden, der viel besser ist. Ich kann ja nicht mal richtig singen." Er schließt kurz die Augen und nickt leicht, aber überzeugt habe ich ihn wohl noch nicht damit. Es tut mir so leid für ihn. Er hat sich das sicher richtig toll vorgestellt, mit mir zusammen in einer Band. Gemeinsame Aufnahmen, gemeinsame Touren und alles, was so dazu gehört. Wobei auch die Frage ist, ob es gut wäre, so viel miteinander zu verbringen. Das hätte für uns beide nicht unbedingt angenehm werden können. Doch nun ja, wir werden es ja sowieso nie erfahren.    "Hideto?", fragt er leise und reißt mich aus meinen Gedanken.    "Hm?", mache ich und sehe ihn etwas verwirrt an. Erst jetzt fällt mir auf, wie nah ich seinem Gesicht eigentlich bin und gehe sofort wieder auf Abstand. Verdammt, wir haben uns ja fast geküsst! Wie konnte das denn jetzt passieren? Verdammt! Scheinbar war es auch noch ich, der sich ihm genähert hat und nicht umgekehrt. Nein, er würde das niemals tun. Selbst, wenn er mich küssen wollte, würde er es nicht versuchen. Was heißt da, wenn er wollte? Sicher will er. Aber er hat meine Entscheidung bisher auch immer respektiert und nie irgend etwas versucht. Verdammt, verdammt, verdammt! Noch offensichtlicher kann man sich doch gar nicht mehr verraten! Zumal ich ihm gerade auch nicht mehr ins Gesicht sehen kann. Bei meinem Glück bin ich auch noch rot angelaufen. Grah, wie kann man nur so bescheuert sein! Ich kann nur vollkommen zusammenhangslos eine Entschuldigung vor mich hin stammeln.    "Mach dir keine Gedanken.", sagt er ruhig und wiederholt meine Worte von gerade eben. Vorsichtig schaue ich ihn nun doch an und er lächelt mich an. Ich nicke leicht und sehe wieder betreten zu Boden. Es ärgert mich so sehr. Nun hab ich ihm wohl wieder Hoffnungen gemacht. Immerhin ist er nicht dumm. Er hat garantiert etwas bemerkt. Was mach ich denn nun?    Wieder reißt er mich aus meinen Gedanken, als er sich in Bewegung setzt und nach einer Bassgitarre greift. Etwas unsicher sehe ich ihm dabei zu.    "Du kannst doch Gitarre spielen, oder?", fragt er und ich nicke leicht.    "Nicht besonders gut, aber... ja.", antworte ich. Daraufhin winkt er mich zu sich und reicht mir eine Gitarre. Ich setze mich neben ihn und nehme das Instrument auf den Schoß, streiche einmal kurz über die Saiten. Meine Güte, ich habe schon ewig nicht mehr gespielt. Es ist irgendwie ein ungewohntes Gefühl. Dennoch beginne ich nach kurzem Überlegen ein Lied zu spielen. Es tut ganz gut. Musik beruhigt doch immer wieder. Moment mal, hat er das ganz bewusst getan? Damit ich mir nicht mehr so einen Kopf mache? Zuzutrauen wäre es ihm... Prüfend schiele ich zu ihm hinüber. Er hat die Augen geschlossen und wirkt zufrieden. Manchmal denke ich wirklich, er ist zu gut für diese Welt. Aber vielleicht bin ich auch nur voreingenommen.    So spielen wir zusammen ein wenig weiter. Ich probiere mich einmal am Schlagzeug und es macht richtig Spaß, auch wenn ich ziemlich langsam bin und den Takt dennoch noch nicht wirklich vorgeben kann. Immer wieder verspiele ich mich und wir haben viel zu lachen. Der Tag vergeht viel zu schnell. Zwischendurch gehen wir zwar wieder ein wenig in die Straßen, um etwas zu essen, aber die meiste Zeit verbringen wir doch in diesem Raum. Am Nachmittag bringt er mich heim. Nicht, dass er das unbedingt müsste, aber er möchte es irgendwie immer. Beim Abschied hält er mir die Arme auf und ich schmiege mich einen kurzen Augenblick an ihn.    "Komm gut nach Hause.", bitte ich leise und er nickt.    "Natürlich. Wieso sollte ich nicht?" Gleich darauf geht er wieder und ich sehe ihm etwas hinterher, bevor ich die Tür zu unserem Haus öffne. Immer noch mit den Gedanken bei ihm und der Frage, was nun aus meinem Ausrutscher von vorhin wird, begrüße ich meine Familie. Meine Mutter will natürlich gleich wieder wissen, was ich so alles gemacht habe. Er erzähle also ein klein wenig, lasse aber bewusst bestimmte Dinge dabei unter den Tisch fallen. Ich will sie nicht beunruhigen. Sie macht doch immer aus jeder Mücke gleich einen Elefanten. Aber das bin ich ja schon gewohnt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)