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Weihe des Siegelschwerts

von

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Capitulum IV: Mons Mortuorum - Der Elfenjäger


 

I.
 

Früh beginnt für uns alle der Tag. Obwohl ich am Vorabend nur gescherzt habe, staune ich nicht schlecht, als ich tatsächlich wieder in aller Herren Früh' aus dem Bett geschmissen werde, nur um festzustellen, dass Alex und Carlo bereits kurz nach uns in voller Montur aus dem Gasthaus treten.

Vor der Kulisse eines wie ausgestorbenen Ardsteds im Morgengrauen satteln die Exorzisten ihre Pferde.

"Guten Morgen.", gähnt Craylo.

"Habt ihr eine gute Nacht gehabt?", erkundigt sich Dorac sogleich im Anschluss. Das schwache Kopfnicken, mit dem wir anderen ihm antworteten, ist weniger als überzeugend.

Sira beliebt wieder, in meinem Kragen Verstecken zu spielen. Das wird jetzt auch nichts mehr helfen, so wie du Craylo gestern angefallen hast, aber ich fühle mich noch zu müde, um ihr jetzt reinzureden. Vielleicht hat der Magier ja doch verschwitzt, Alex von der Víla zu erzählen.
 

Erst, als wir die Stadt verlassen haben und mit der aufgehenden Sonne im Rücken über die Hochwiesen reiten, beginne ich ein zaghaftes Gespräch: "Sag mal, Craylo, woher hast du diese beiden Plaudertaschen von Dolchen überhaupt?"

"Von meinem Vater. Sie waren ein Geschenk für meine Aufnahme in die Magierakademie Schola Olspa."

"Und da haben sie schon die ganze Zeit so geschwätzt?"

"Geschwätzt! Schwätzen nennt der das!", ruft Carod ereifert aus.

"Ich bin auch nicht ganz angetan von dieser Bezeichnung…"

"So behandelt man also die Stimme der Vernunft heutzutage, man tut ihre Weisheiten als plumpes Geschwätz ab! Schleimen wäre für Dorac ja noch ganz zutreffend, aber Geschwätz!"

Ich will etwas erwidern, da macht der lautstarke Dolch gleich weiter: "Nun sperr mal deine langen Ohren auf, ja? Denn du wirst es kaum glauben, aber tatsächlich habe ich erst begonnen, mein Wissen weiterzugeben, als ich Craylo in die Hände gegeben worden bin!"

"Soweit ich mich erinnern kann, waren wir vorher normale Dolche wie alle anderen.", erklärt Dorac, erntet aber ein wütendes "Hä?!" von Carod. "Gar nicht wahr, ich konnte mich schon lange vorher hervorragend artikulieren! Nur erst bei einem armen Kerlchen wie Craylo erweichte ich mich dann, das wohlgehütete Geheimnis zu lüften." Craylo weiß nicht so recht, wohin mit seinem bösen Blick, als er knirschend sagt: "Manchmal wünschte ich, Euch nie bekommen zu haben, wisst Ihr das? Und nun seid ruhig!"

"Hm, das muss aber ganz schön gewöhnungsbedürftig gewesen sein - besonders für Euch, Alex, nicht wahr?", wirft Griselda da eine Frage auf.

Alex dreht sich nicht ein mal um, während er antwortet: "Bevor ich diese beiden Tratschtanten kennen gelernt hab', musste ich mich schon mit ganz anderen Quälgeistern rumplagen."

"So wie der sich teilweise verhält, könnte ich mir gut vorstellen, auch zu der Liste von 'Quälgeistern' zu gehören.", rutscht es da mir mit festem Blick auf dem in einem schwarzen Tuch eingehüllten Gegenstand auf Alex' Rücken heraus. Ich fahre augenblicklich zusammen, warum hab ich das grade laut gesagt?! Ich hoffe inständig, dass der Exorzist es nicht gehört hat.

Kaum starrt mich das türkise Augenpaar im Schatten des schwarzen Hutes an, weiß ich, dass mir dieses Glück nicht beschert ist.

Aber zu meiner unverhofften Überraschung nimmt Alex es locker, lässt sich sogar zu einem herausfordernden Grinsen herab.

"Glaub mir, Kleiner: wenn mich diese zwei Dolche nicht groß aufregen können, kannst du das mit deinem Mumm erst recht nicht! Ich find's sogar stark von dir, deine Meinung nicht hinter'm Berg zu halten, das ist mir lieber als das Geschwafel manch anderer Leute!"

"Damit meint er dich, Dorac!"

"Oh, sei doch ruhig!"
 

II.
 

Die Reise dauert mehr als einen Tag, doch die Stunden verfliegen rasch. Nur langsam kann man den Weg von Ardsted auf der heruntergekommenen Via Aevi zurücklegen, ständig windet sich die zu den Seiten abschüssige Straße in langen Serpentinen um die Auswüchse des Bergrückens. Die Pferde scheuen ständig neben den steilen Abhängen und manchmal gehen sie wirklich mit sich selbst durch und haben Griselda und mich fast ein mal abgeworfen, als wir die klippenhafteren Züge des Gebirges passiert haben.

Zudem besteht Alex des Öfteren auf längere Pausen und nach Sonnenuntergang wird schon mal gar nicht weitergereist, verdeutlicht er uns: "Im Dunkeln durch diese Gegend? Das ist ja mehr als lebensmüde, Kleiner!"

Dennoch ist die Reise kurzweilig, zum größten Teil der Verdienst Craylos und dessen ungleichen Dolchpaares. Der Magier weiß Einiges zu erzählen, kennt viele lustige Schwänke und lässt sich immer wieder zu kleineren Magiekunststücken überreden, während Dorac und Carod munter Kommentare abgeben und immer wieder neue Diskussionen anregen.

Etwas stiller ist es dafür am nächsten Tag.

Bei unserer Ankunft an den schmiedeeisernen Toren des Friedhofs bewegt sich Sols feuriger Haarschopf bereits auf den Zenit zu. Einem kurzen Hohlweg folgend gelangen wir in das weite Tal vor dem sagenumwobenen Bergriesen Mons Mortuorum. Unebene Graslandschaft, welche von Kieswegen durchzogen und von Grabplatten getupft ist, erstreckt sich vor uns. Die verkrüppelten Arme der krummen Zypressen wiegen im Wind. Ihr Rauschen vertreibt die andächtige, aber auch unheimliche Stille des leeren Totenackers. Während im Norden die Serpentinen beginnen, die zum Gipfel des Berges und der dort liegenden Stadt Titania führen, steht nicht weit entfernt im Osten ein kleiner Tempel. Schlichte Arkaden zieren das rechteckige Bauwerk, aus dem der Duft geopferter Öle und Kräuter zieht.

Zu unserer Linken und Rechten haben sich unzählige Grabplatten, kreisrunde Marmor- und Obsidianstücke mit den eingravierten Namen der Verstorbenen und Glückwünschen für das nächste Leben, angesammelt und im Schatten der Bäume befinden sich vermutlich noch viele mehr, die von Sterblichen aller Völker und Stände berichten, die nun vielleicht bereits wiedergeboren sind.

Menschen, Elfen, Nymphen, Harpyien, Zwerge, Titanen und Kraniosteonen liegen hier begraben; ein Handwerker neben den Gebeinen eines Ritters, ein niederer Adeliger Fuß an Fuß mit einer Jägerin, selbst Tagelöhnerleichen sind nahe der sterblichen Überreste erfolgreicher Kaufleute begraben.

Lediglich die Verstorbenen von Hochadel können einen eigenen, abgetrennten Teil der heilig gesprochenen Erde ihr Eigen nennen, erzählt Griselda. Sie seien unter dem Tempel in einer separat angelegten Krypta begraben. Mit zunehmender Begeisterung erklärt sie mir, dass vom ehemaligen König Johann II. angeblich nur noch sein Schädel und sein linker Arm übrig gewesen seien, als man ihn zur Gottesmutter Terra entsendet hat.

"Sein Grab soll sogar das Zentrum der gesamten Krypta bilden, hab ich gehört!", überschlägt ihre Stimme sich fast, "Nur Angehörige der oberen sechs Adelsfamilien oder deren engste Vertraute dürfen die Grabkammern unter dem Tempel betreten!"

"Sag mal, Mädel, du weißt ja ganz schön viel über die Gräber dieser hohen Tiere. Ihr seid doch nicht etwa hier, um einen Fürsten zu besuchen, oder?", fragt Alex scherzhaft, woraufhin Griselda schnellstens ihren Kopf schüttelt.

"Nein, nein!", ruft sie, als sei er ihr auf den Fuß getreten, "Ich hab das bloß in der Stadt mal gehört!"

Kurz denkt sie nach. "Sagt doch, Alex, wen besucht Ihr hier eigentlich?"

"Ist das so wichtig?", erwidert der Blonde so bärbeißig, dass Griselda zum Stillstand kommt und ihn empört anstiert.

Sie erwidert nichts darauf, sondern packt mich am Handgelenk und geht weiter. Sie ordnet an: "Komm, wir schauen, ob wir Großvaters Grab finden!"
 

Als wir außer Sichtweite von Alex und dem Zauberer sind, traut sich auch nach langer Zeit Sira wieder hervor. Das Erste was sie zu beklagen hat, ist: "Bei allen Sides am Himmel, Maljus, weißt du eigentlich, wie oft du mich fast zerquetscht hättest mit deinem Hals?!"

"Genauso oft, wie mir wegen dir fast der Nacken verkrampft ist.", gebe ich giftig zurück und lasse mich von Griselda Richtung Tempel zerren. Ihr Griff lockert sich mit jedem Schritt, bis sie mich schließlich ganz loslässt. Vor dem Tempel selbst ist der Kräutergeruch beinahe schon penetrant und brennend in der Nase.

Seufzend lasse ich mich an einer der Säulen des Tempels nieder. "Und was machen wir nun? Jetzt dürfen wir wohl warten, bis Alex fertig ist, hier wem-auch-immer mal wieder die Ehre zu erweisen? Wer weiß, wie lang das dauert."

"Nicht halb so lang wie dein Gejammer!", meint Sira.

"Es ist anzunehmen, dass er uns nicht gerne dabei hätte." Die Hexe klingt beleidigt, hat sich jedoch schon wieder größtenteils beruhigt. "Aber nun zu etwas anderem…" Ich horche auf.

Anfangs spricht Griselda nicht weiter, reibt sich unruhig den Arm und versucht, meinem forschenden Blick zu entkommen. "Ich hab vorgestern im Wirtshaus und gestern auf der Reise noch ein mal nachgedacht…"

"Hey, hey, das klingt jetzt aber gar nicht gut!", findet Sira, welche wenig später bereits winzige Zornesfalten in ihrem Gesicht hat. Kaum hat sie ihren voreiligen Schluss gezogen, fliegt sie näher an Griselda heran und quetscht sie aus: "Du hast dir doch nicht etwa überlegt, doch nicht mit uns zu reisen?! Genau deswegen wollte ich von Anfang an nicht, dass wir sie mitnehmen!"

"Nein!", ruft Griselda, den Kopf einziehend, "Darum geht's nicht… sondern-"

Ich springe alarmiert auf, da war was!

Die anderen beäugen mich verwirrt. Ich erkläre: "Jemand kommt." und drehe mich herum zum Tempel, aus dem langsam jemand tritt. Dumpf knirschen kleine Stöckchen oder Kieselsteine unter verstärkten Lederstiefeln. Man sieht anhand der dunklen Kleider gleich, dass es sicherlich kein Geistlicher ist, welcher sich zu uns gesellt. Die maskuline Gestalt, die ihr Gesicht unter einer schwarzen, eng anliegenden Stoffmaske verbirgt, begutachtet Griselda und mich, erhascht mit ihren dunklen Augen womöglich sogar einen Blick auf Sira.

Der hochkragige Gehrock, den der Fremde sich über die Schultern geworfen hat, ist bereits löchrig und unansehnlich, der schmucklose Brustpanzer zerkratzt und matt, genauso wie der alte Helm, den er mit hochgeklappten Visier auf dem Kopf trägt. All seine Kleidung ist so dunkel wie die Schatten zwischen den Bäumen.

Als er aus dem unbeleuchteten Tempel hervorkommt, sieht es aus, als erscheine er aus dem Nichts.

"Guten Tag, junges Volk.", grüßt er mit tonloser, flüsternder Stimme, die den Klang des heulenden Windes nachahmt. "Könnt ihr mir sagen, wo ich einen Exorzisten namens Alex finde?"

"Wenn Ihr uns noch Euren Namen verraten könntet, ließe sich da vielleicht was machen." Suspekt. Wer taucht auch mit so einer Maskierung auf? Und was will so jemand von Alex?

Der Unbekannte lässt ein hustendes Lachen verklingen. "Natürlich. Wie unhöflich von mir. Ich bin den Leuten als Ventosus geläufig."

"Ventosus? So wie der Frühlings- und der Herbstmonat?", wundert sich Griselda stirnrunzelnd, "Das ist aber ein seltsamer Name."

"Ich war es nicht, der sich aussuchte, im Ventosus Secundus geboren zu sein.", erwidert Ventosus ein wenig grob, "Also, könnt ihr mich nun zu Herrn Alex führen, oder nicht?"

"Was wollt Ihr denn von ihm?"

"Ein Geschäft abschließen. Nichts weiter als eine kleine Formalität unter Exorzisten." Ventosus ist also ebenfalls Exorzist? Das ist dann wohl der Grund für seinen merkwürdigen Aufzug.

Aber das ist einfach, so etwas zu behaupten, also wundere ich mich: "Wenn das stimmt, wo ist dann Euer Cyclobol? Das hat meines Wissens nach jeder geprüfte Exorzist!" Ventosus verbleibt zuerst ruhig, dann aber spannt sich der Stoff seiner Maske, als er grinst. Er wispert: "Was für ein kluges Kerlchen du doch bist… dann muss ich eben doch unfreundlich werden!"

Zischend enthüllt er plötzlich, dass er an seinem Gürtel zwei Kapuzenkatare versteckt hat, mit denen er auch gleich nach mir schlägt. Im letzten Moment springe ich aber zurück und ziehe mein Schwert. Ein Kampf also!

Ventosus' trockenes Lachen dringt an meine Ohren, als aus dem Tempel und hinter einigen dicht stehenden Bäumen weitere Gestalten auftauchen. Sechzehn Untote an der Zahl sind es, die beginnen, uns einzukreisen.

Da schnellt Ventosus auch schon hervor und befördert mich zu Boden, wo ich ein ganzes Stück entlang rutsche, nachdem ich den Angriff pariert habe. Verflucht, schon wieder ein Kerl, der so viel Wucht in seinen Angriffen hat!

Kaum bin ich zum Stillstand gekommen, sehe ich den vermeintlichen Exorzisten über mir, der schon im Begriff ist, seine spitz zulaufenden Faustdolche nach unten zu stoßen. Mein Herz bleibt fast stehen.

Mit einer Rolle zur Seite kann ich entkommen und sehe mit rasendem Puls bereits die nächste Schneide, die direkt neben mir in die Erde gerammt wird. Ich bin gerade mal um Haaresbreite entkommen, rappele mich schnell auf, bloß um wieder in die Defensive getrieben zu werden. Ventosus ist unheimlich schnell. Er führt einen horizontalen Hieb aus, der mir fast das Schwert aus der Hand reißt.
 

Griselda ließ derweil einen Blitz los auf die nahenden Gerippe und halbverrotteten Leichen in klappernden, dünnen Rüstungen. Ein Wiedergänger büßte seinen Kopf ein, zerfiel geräuschlos zu Staub, während Waffe und Rüstzeugs scheppernd zu Boden fielen. Die restlichen Untoten nutzten den Verlust ihres Kameraden, um umso schneller vorzurücken.

Griselda kreischte: "Haut ab, ihr Pöbel!" und deckte sie mit einem weiteren Blitz ein. Geduckt und springend wichen sie aus und nahmen gleich erneut die Verfolgung der Hexe auf, die irgendwie versuchte, zu Maljus zu gelangen.
 

Ich kreuze gerade Klingen mit Ventosus. Mit nur einem seiner Katare hält er mich bereits in Schach, der andere liegt locker an seiner Hüfte. Provokant fragt er: "Machst du bereits schlapp, Jungspund?" Der Schweiß, der sich so langsam auf meiner Stirn bildet, spricht Bände. Ich verwende all meine Kraft darauf, standzuhalten.

"Wieso überfällst du uns?! Was wollen diese Kerle von Griselda?!"

"Und was zum Diabolus soll das hier werden?!", tönt Alex' Stimme da über den kleinen Platz vor dem Tempel.

Ventosus zieht seine Waffe kurz zurück, so unerwartet, dass ich nach vorne stolpere, bis der Katar von unten gegen mein Schwert rast und mich gleich wieder zurück schleudert.

Ventosus klingt zufrieden, als er mit wachsamen Blick auf Alex und Craylo, die hinter mir aufgetaucht sind, feststellt: "Ah, endlich ist auch Herr Alex aufgetaucht. Nun können wir wirklich zum Geschäftlichen kommen."

"Mir ist ziemlich neu, dass ich mit Heinis wie dir irgendein Geschäft am Laufen hab. Was bist du denn, ein Umbramant?!"

"Nicht im Geringsten, Herr Alex. Mein Auftraggeber ließ mir als Hilfe dieses Gefolge, um das Mädchen zu schnappen. Aber ichbin nur an Euch und dem Burschen interessiert. Ich fordere euch beide zu einem Kampf heraus!"

"Uns beide? Machst du Witze, du dahergelaufener Fatzke?", ruft Alex, "Sieh lieber mal, ob du mir überhaupt was anhaben kannst, bevor du mir den Kleinen als Unterstützung gönnen willst!"

"Wie Ihr wünscht, Herr Alex.", spottet Ventosus, ehe er sich auf den Blonden stürzt. Alex springt aus seinem Angriffsfeld, öffnet den Gürtel, an dem der verhüllte Gegenstand auf seinem Rücken hängt und reißt das Tuch beiseite. Binnen Sekunden ist er kampfbereit und pariert Ventosus' Hieb.

Das Heft seines Beidhänders ist glänzend rot, erst beim zweiten Hinsehen erkenne ich, dass es sich tatsächlich um ein Heft aus purem Rubin handelt. Der Stein ist so fein geschliffen, dass man im Inneren die verankerte Klinge sehen kann. Unglaublich! Der Schmied, welcher diese Waffe geschaffen hat, muss ein Meister seines Fachs sein. Und wie kommt ausgerechnet jemand wie Alex an so eine kostbare Waffe?!

Alex drückt Ventosus von sich weg, der wiederum hüpft zur Seite und versucht erneut sein Glück.

"Hey, nicht glotzen!", ruft Crayo plötzlich und gibt mir eine leichte Ohrfeige, "Hier gibt es noch mehr Gegner und um die muss sich auch jemand kümmern!" Er hat bereits Dorac und Carod gezogen und schleudert sie mit seiner Gedankenkraft den Monstern entgegen. Doracs silberne Klinge hackt sogleich einem Untoten die Hand ab, während einem Skelett der Schädel von Carods Aufprall zerbirst.

Die restlichen Wiedergänger lassen von Griselda für eine Zeit lang ab und schauen den fliegenden Klingen hinterher, bis sie wie Bumerange zu Craylo zurückfliegen. Die Untoten stürmen auf ihn zu, doch er beschwört schnell einen Blitz, der sie dieses Vorhaben ganz schnell abbrechen lässt. Eine Schneise hat sich zwischen den ausweichenden Ungetümen gebildet. "Los, komm hier rüber!!", ruft er Griselda zu.

Nickend nimmt sie die Beine in die Hand, als bereits einer der lebenden Toten die List versteht. Doch kaum stürzt er sich auf das Mädchen, bin ich auf ihn zu gerannt, um ihm meine Klinge über den Rücken zu ziehen. Matschiges, braun verfärbtes Fleisch wird aufgerissen, der Wiedergänger aber dreht sich um, als sei nichts passiert und stößt mir seinen Ellbogen gegen das Kinn.

Im nächsten Moment frisst eine von Griseldas Magiekugeln den Kopf der laufenden Leiche. Bevor sich die Schneise gar schließen kann, sehe ich zu, dass ich nun auch aus ihr herauskomme. Craylos Dolche, die zwei weitere Untote enthaupten, helfen dabei - bis zwei der Untoten die Messer in der Luft fangen und mit Craylos eigenen Waffen auf ihn und Griselda los gehen.

Ich muss ihnen helfen!, denke ich noch, da landet Ventosus leichtfüßig vor mir und fragt: "Wo willst du denn hin? Ich sagte doch, dass ich dich und Herrn Alex herausfordere!" Breitbeinig und mit einer Hand an der Klinge gebiete ich den Kataren Einhalt, obwohl ich schon wieder merke, wie schwach ich im Vergleich zu dem hoch gewachsenen Lügner bin.

Es ist genauso wie Forsiano gesagt hat, ich kann nicht erwarten, ihn mit diesem Mangel an Körperkraft zu besiegen, ich muss mir was anderes einfallen lassen! Ich gehe Ventosus gerade mal bis zum Bauch und spüre, wie meine Füße auf dem Kies langsam den Halt verlieren, ich werde abrutschen und-

Wie gegen Aaron kommt mir die Idee in der hoffnungslosesten Situation. Absichtlich winkele ich meine Füße schräg an, nutze den Druck vom oben, um über den Weg zu rutschen, direkt zwischen den gespreizten Beinen meines Kontrahenten hindurch. Hab ich ihn! Ich bin hinter ihm!

"Zu langsam, Jungspund!", lacht Ventosus und rammt in einer Rundumdrehung seinen Fuß in meinen Bauch, wodurch er mich an den nächsten Baum schleudert.

"Sag das noch mal, Alter!" Alex, ein wenig verschrammt und schmutzig, taucht wieder auf, um Ventosus' ungedeckte Seite zu treffen. Um Haaresbreite entgeht er aber dennoch, nur sein Gehrock reißt ein. "Vergiss nicht, dass du dich hier mit zwei Leuten angelegt hast!"

"Zwei Nichtskönner oder ein Nichtskönner, der Unterschied ist gering.", erklärt Ventosus. Enttäuscht merkt er an: "Ich hätte mir vor Allem von Euch mehr versprochen, Herr Alex. Dieses Schwert, das ihr tragt, lässt auf größeres Können schließen."

"Als ob du eine Ahnung hättest, was das für ein Schwert ist! Wart nur ab, bis ich dir damit erst mal ein paar ordentliche Wunden beigebracht haben werde!"

"Oh, glaubt mir, mir ist mehr als genug darüber bekannt, welche Bedeutung diese Waffe hat… oder sollte ich sagen 'hatte'? Ich bin mehr als enttäuscht von Eurem Können. Aber wir können diese Aufwärmübung gerne fortsetzen, Herr Alex, wenn Ihr denn unbedingt möchtet." Unter seiner Maske zeichnet sich ein breites Lächeln ab. Das wird dir noch vergehen!
 

III.
 

Mit noch einem weiteren magischen Schuss verschwand ein weiteres Scheusal vor Griseldas Augen und so hatte Craylo zumindest schon Dorac wieder bei sich, während die lernende Hexe sich keuchend ihre Hand hielt.

"Versuch noch etwas durchzuhalten!", machte Dorac ihr Mut, jedoch schüttelte sie ihren Kopf und keuchte: "Ich… ich kann nicht mehr. Ich bin nur eine Anfängerin!"

"Über deine Qualitäten als Magierin kann man auch später reden, wenn Ihr mich endlich diesem wortwörtlichen Hohlkopf entrissen habt - und nicht vergessen, du bist immer noch besser als Craylo!", erinnerte Carod sie, wobei er sich in der Hand eines lederberüsteten Skeletts befand. Es war dabei anzugreifen, daher schnappte Craylo sich Griselda und riss sie mit sich an dem Angriff vorbei. Allerdings ließ er es sich nicht nehmen zu sagen: "Bei deiner Dankbarkeit überlege ich mir zwei mal, ob ich dich rette, Carod!"

"Du willst mir doch nicht erzählen, dass du mich der Gewalt dieses abgemagerten Kriegers überlässt?!" Craylo tat, als zöge er dies tatsächlich in Erwähnung, was den schwarzen Dolch noch mehr echauffierte.

Seinem Ärger konnte er keine Luft machen, denn offenbar war er weniger redselig, wenn er dann tatsächlich mal als Waffe diente. Nach dem Magier stechend, rückten die untoten Soldaten ihnen wieder auf die Pelle. Dorac vor seiner Handfläche rotierend, immer schneller, bis nur noch silbern leuchtende Schemen vor seiner Hand kreisten, wehrte er Carod ab und ließ die telekinetisch betriebene Kreissäge Bekanntschaft mit dem Schädel des Wiedergängers machen. Besiegen konnte er ihn damit nicht, aber zumindest so erschrecken, dass Carod dem Ungeheuer entglitt und mit telekinetischer Präzision durch die Wirbelsäule des umbramantisch Beschworenen raste. Erstaunt beobachtete Griselda, wie Craylo sich durch die Angreifer kämpfte, geschickt das ungleiche Waffenpaar durch die Lüfte dirigierend und hin und wieder ein paar magische Geschosse als Finten gebrauchend. Ihr Blick wanderte zu Maljus und Alex, welche immer noch mit Ventosus kämpften.

Doch nein, ging ihr auf, sie kämpften nicht, sie jagten ihn, erfolglos, ihn immer knapp verfehlend. Er ließ die beiden aussehen wie blutige Anfänger und hatte inzwischen Maljus an der Schulter erwischt, die dieser sich keuchend hielt. Fast durchstieß der Maskierte Alex' Lederrüstung, doch ein Ausfallschritt von Seiten des Exorzisten ließ den Stich daneben gehen. Alex' Angriff parierend zog Ventosus sich zurück.

Ruckartig musste Griselda sich von dem fesselnden Schauspiel abwenden, ein Monster war über Craylo hinweg gesprungen und mit langen Schritten zu ihr geeilt. Fast berührten sich ihre Gesichter, da riss Griselda reflexartig ihre Hand nach oben und feuerte aus direkter Nähe einen Blitz in das verfaulte Antlitz vor ihren Augen. Beide glitten sie zu Boden, er lautlos und sich in Staub auflösend, sie schreiend und mit versengter Hand. Sie selbst war von der Entladung erwischt worden, weil sie sich zu sehr verausgabt hatte. Sie konnte nicht anders, als Tränen ob des stechend-brennenden Schmerzes zu vergießen. Verkrampft zuckten ihre Finger, die sich erschreckend taub anfühlten.
 

"Traurig, traurig.", kommentiert Ventosus mit gespieltem Mitleid. Sein kleiner Kampf mit uns beiden ist zum Stillstand gekommen, sobald Griselda aufgeschrieen hat, "Aber so ist Verzweiflung nun mal, nicht war? Man macht seltsamerweise dennoch weiter, selbst wenn es den eigenen Untergang bedeutet."

"Falls es dir nicht aufgefallen ist, Ventosus…", zische ich, wütend und von meiner Verletzung eingeschränkt, "… haben Craylo und Griselda… fast all deine Handlanger besiegt!"

"Und glaub' mir, mit den drei bis vier Übrigen wird er locker fertig!", stimmt Alex in das Lied mit ein, obwohl Ventosus bereits in Gelächter ausbricht. Dir wird das Lachen schon noch vergehen!

Mit überlegener Stimmlage spricht er: "Dass Ihr Euch da mal nicht täuscht, Herr Alex. Mein Auftraggeber hat nicht nur einfache Untote, die er seine Diener nennen kann…" Mit der Spitze seines rechten Katars zeigt er auf ein ganz bestimmtes Skelett, das sich wenig von den anderen unterscheidet. In der Parierstange seines Gladius' sitzt ein unscheinbarer, gelber Kristall.

Die leeren Augenhöhlung starren zu Ventosus. Er nickt. Der Unterkiefer des Knochengesichts bewegt sich klappernd auf und ab, als kichere der Tote. Er hebt sein Schwert, hält es mit der Klinge nach unten, da beginnt der Stein zu leuchten. Ist das etwa ein Seelenstein?!

Alex' Augen weiten sich. Er macht sich daran, zu dem Untoten zu rennen, doch Ventosus ist schneller und drängt ihn wieder zurück. Auch Craylo startet einen Angriff und lässt einen Fluch fallen: "Verdammt, das ist ein Lich!"

Dorac und Carod rasen auf den unbekümmerten Lich zu - unbekümmert, weil zwei der anderen Untoten sich selbstlos in die Klingen werfen und sie aufhalten.

Was soll denn bitte ein Lich sei- da rammt das Skelett sein Kurzschwert in den Boden. Kurz leuchtet der Edelstein noch, nichts geschieht für eine Weile.

Bis es plötzlich rundum im Boden zu rumoren beginnt, manche der Gräber erzittern auf einmal, als von unten etwas die Steinplatten anhebt.

Schmerzvoll verzerrten Gesichts fasst Craylo sich an die Schläfe, besorgt will Griselda wissen: "Was… was ist los?!"

"Craylo ist nicht nur ein ausgezeichneter Telekinetiker… sondern auch sehr zuverlässig, wenn es um schwarze Magie geht!"

"Sein Schädel fängt wie wild zu hämmern an, wenn eine umbramantische Beschwörung in der Nähe geschieht - ein Zeichen, dass in seinem Kopf wohl doch nicht alles tot ist.", fährt Carod fort. Griselda erschrickt und im selben Moment, wie sie fragt: "Heißt das, dieser Untote ist selber Umbramant?!", steigen bereits neue Wiedergänger aus den Gräbern. Teilweise nackt bis auf die Knochen und unbewaffnet, aber reich an der Zahl. Zwanzig sind es, die unter den Gräbern hervorkriechen und die Magier einkreisen.

"Ganz recht!", lacht Ventosus, "Ein Lich ist ein Untoter, der selbst ein wenig schwarze Magie beherrscht. Entweder weil er sie sich beibringen ließ von seinem Meister, oder selbst zu den Adepti Umbrarum gehört hat. Sehr selten… aber nun ja, ihr seht ja, wozu sie gut sind."

"Du hast uns wohl extra hier angegriffen, damit es sich auch lohnt, diesen stinkenden Beschwörer dabei zu haben, was?!"

"Herr Alex, ich hätte keinen Lich an meiner Seite gehabt, hätte ich nicht gewusst, dass wir uns hier begegnen würden.", erläutert Ventosus ruhig, woraufhin Alex' Gesicht in eine irritierte Grimasse übergeht. "Vielleicht solltet ihr beide euch damit abfinden, dass ich nicht zufällig hier bin, nicht zufällig mit genau euch beiden kämpfen wollte." Verwirrt schauen Alex und ich erst uns gegenseitig, dann Ventosus an. Kein Zufall, sagt er also? Na, da bin ich aber mal gespannt, was er damit meint.

Er seufzt nur und lässt die Schultern hängen. "Wie schade, dass der Groschen wohl nicht gefallen ist… von euch kann man nur eine andere Pleite nach der anderen erfahren, wie?"

"Und aus deinem Mund kommt auch immer nur nichtssagende Scheiße!", bellt Alex, "Ich wüsste nicht, was mich und den Kleinen so interessant für dich macht."

"Offenbar wisst Ihr nur wenig über Eure Gefährten, Herr Alex. Jedoch, ich fürchte, für lange Erklärungen ist jetzt nicht mehr die Zeit!" Er schaut zum Himmel, an dem langsam dunkle Wolken aufziehen. "Bringen wir diesen Kampf endlich zu Ende!" Und mit diesen Worten stürzt Ventosus sich wieder auf uns, die Untoten gleichzeitig auf Griselda und Craylo.
 

Nun waren die Angreifer noch stärker in der Überzahl als zuvor, mit ihren dürren Armen haschten sie nach den Magiern. Craylo gab sich alle Mühe, sie das Fürchten zu lehren, aber für über zwanzig Ungeheuer reichten zwei Dolche und ein wenig Schaumagie einfach nicht, selbst wenn die Angreifer unbewaffnet waren.

"Kannst du nicht auch noch kämpfen?!", drängte Craylo also Griselda.

Seine Hoffnungen sanken gewaltig, als sie mit Tränen in den Augen den Kopf schüttelte. Verflucht, sie waren hilflos ausgeliefert! Im Gegensatz zu den Untoten würden sie irgendwann müde von dem ständigen sich Befreien und hoffnungslosen Schlägen und Tritten.

Selbst Dorac und Carod waren still geworden, als Craylo erkannte, dass sie verloren hatten.

"Craylo…" Griseldas Stimme klang leise an sein Ohr, er horchte mühsam auf. "Noch gibt es etwas, das wir versuchen können… aber dazu brauch ich deine Hilfe."

"Was kannst du schon tun?", fragte er mutlos, "Selbst wenn wir sie uns vom Leib schaffen, gibt es immer noch diesen Lich!"

"Ich könnte ihn außer Gefecht setzen… ich habe noch einen letzten Trumpf im Ärmel, aber den kann ich nur spielen, wenn ich irgendwie nah genug an den Lich herankomme."

"Denk nicht lange nach, Craylo!", war Doracs Stimme da auf einmal wieder da. Im nächsten Moment sagte auch Carod: "Was fackelst du so lange, anstatt endlich was zu unternehmen?! Los, zeig diesen halben Portionen, dass sie dich nicht komplettumsonst in die Exorzistenakademie gesteckt haben!" Schließlich nickte Craylo, aus seiner Apathie erwachend.

"Lass es uns wenigstens versuchen!" Er boxte drei Untote aus dem Weg, während Griselda ihm den Rücken deckte, indem sie den anderen die Beine wegzog. Craylo steckte Dorac und Carod weg, er musste beide Hände frei haben, um einen Feuerball aufzuladen. Er ließ ihn in seinen Händen wachsen, da packten miefende, von einer feuchten Erdkruste überzogene Hände Griselda, hielten ihre Arme fest.

Sie brüllte nur "Lasst mich los, ihr Widerlinge!", brachte einen mit einer Kopfnuss los, dem anderen trat sie in den Bauch, wobei sie dünne Knochen splittern hörte. Der Untote zerfiel vor ihr in zwei Hälften, landete mit seinem eingefallenen Gesicht im Dreck.

Craylo hatte den Feuerball endlich groß genug werden lassen. Es kostete keine Anstrengung und nichts würde von dieser medizinballgroßen Feuerkugel auch nur erhitzt, geschweigedenn angekokelt werden, aber sie erzielte den gewünschten Effekt, als sie in einem weiten Bogen durch die Menge der Verstorbenen raste. Angstvoll wichen sie zurück, manche wurden auch erwischt und starrten verwundert das bisschen ihrer Überreste an, das nicht verletzt worden war. Griselda an der Hand nehmend rannte er zwischen ihnen hindurch, zu auf den Lich. Schon stellten sich die anderen bewaffneten Toten in seinen Weg. Er ließ Griselda los, zog seine treuen Dolche und hetzte die letzte Verteidigungslinie davon, sodass das Mädchen weiterlaufen konnte. Nur zwei Meter trennten es noch von dem untoten Zauberer, der es mit seiner Klinge erwartete. Beinahe schnitt er Griselda in den Arm, sie griff ungehindert in ihr Gewand und zog ein eigenartig beschriftetes Papier hervor. Die Zeichen bestanden aus einfachen, geraden Linien und ein paar wahllos verteilten Kreisen, es war definitiv nicht Cardighnisch.

Sie packte den langen Streifen und schleuderte ihn dem Lich mitten ins Gesicht. Zischend begann das Papier, sich in den Schädel des Wiedergängers zu brennen, es fesselte seinen Kopf und verschmolz mit ihm. Die Untoten krümmten sich reglosen Blickes auf ihren Befehlshaber und auch Griselda wich erschrocken zurück, als der Leib des Lichs violett erstrahlte. Craylo verspürte ein schlagartiges Pochen in seinem Kopf, bevor sich um den sich verkrampfenden Totenzauberer eine dunkle Feuersäule bildete.
 

Ventosus wird unaufmerksam, ist zu abgelenkt von dem grellen Licht und der plötzlichen Hitzewelle, um Alex' Schwert zu parieren. Eine tiefe Wunde wird in seinen Torso unterhalb des Brustpanzers gerissen. In dem schwarzen Stoff seines Hemdes klafft ein tiefer Riss, abblätternd rutscht es etwas herunter.

Während die Flammen sich in Luft auflösen, kommt rechts unter seinem Bauchnabel eine hässliche verquollene Narbe zum Vorschein.

Halt, das stimmt nicht, sie schnappt auf und präsentiert ein blutunterlaufenes dunkelbraunes Auge, das mich feindselig anstarrte. Mir wird schwummrig, der widerliche Anblick überwältigt mich und übertrifft sogar die abstoßenden Untoten. Rückwärts stolpernd und mich abwendend entferne ich mich von Ventosus, ehe ich mich auf die Knie fallen lasse und nach Atem ringe.

Mit ebenfalls einem gewissen Maß an Abscheu schaut Alex sich den trüben Augapfel an.

"Also bist du ein Rachedämon…", schlussfolgert er. Ventosus verbleibt stumm, er macht einige Schritte zurück. Alex geht ihm genauso langsam hinterher, während ich versuche, mein Essen bei mir zu behalten. Aus… aus welcher Hölle ist dieser Kerl gekrochen?!

"Geht Euch nun vielleicht ein Licht auf, Herr Alex? Jetzt, wo Ihr wisst, was ich bin?" Sein Tonfall wird von einem widerlichen Krächzen begleitet. Alex starrt ihn fest an. Er schüttelt dennoch seinen Kopf.

Ventosus lässt ein trockenes Lachen auf dem Friedhof verhallen. "Wieder mal… ernüchternd. Vorbei ist diese Angelegenheit, noch nicht, Herr Alex. Ihr und der Jungspund solltet euch bereit halten. Das nächste Mal… erwarte ich, dass ihr mir mehr zu bieten habt."

"Du willst dich verziehen? Nicht mit mir, Alter!" Er rennt auf Ventosus zu. Mit gesenktem Kopf klemmt der Alex' Schwert zwischen seine zwei Katare.

"Ihr solltet dankbar sein, dass ich Euch noch einmal davon kommen lasse. Ich fliehe, weil ich noch immer Erwartungen an Euch habe. Seht lieber zu, dass Ihr sie nächstes Mal erfüllen könnt, sonst zögere ich nicht noch einmal, Euch und den Jungen zu töten, … Alex Maresa." Alex erstarrt, erahnt wieder ein schäbiges Grinsen unter Ventosus' Maske, als dieser vor ihm zersplittert und die schwebenden Fragmente beginnen, sich aufzulösen, ehe nur noch die Bluttropfen auf dem Boden von Ventosus' Dasein künden.

Jetzt… jetzt bin ich platt. Ich bin wieder mal kein bisschen schlauer als vorher, sondern hab nur noch mehr Fragezeichen in meinem Kopf. Was… was war das bitte für ein Wesen, doch ganz sicher kein normaler Zweibeiner! Und was will er von Alex und mir… was verbindet uns überhaupt?! Bis vor Kurzem kannte ich diesen Exorzisten doch nicht mal!

Nachdenklich lassen wir unseren Blick zu den anderen schweifen, wo die Untoten plötzlich richtig aufgemischt werden. Alex' Stirn legt sich in verwunderte Falten.

Ist das Craylo, der da plötzlich so aufräumt?

Eine Klinge zeigt aus dem Hinterkopf eines Ungetüms, das sogleich nicht mehr ist und die Sicht freigibt. Ich erkenne sofort die Rüstung des Lichs wieder, aber der junge, schwarzhaarige Mann, der darin steckt, ist mir völlig fremd. Bewaffnet mit dem Schwert des Totenmagiers, zerschneidet er einen Wiedergänger nach dem anderen.

Sein unordentliches Haar bäumt sich gegen den Wind auf. Gelbe Augen leuchten in dem dunkelhäutigen Gesicht und kleine spitze Ohren schauen zwischen den dicken Strähnen zu beiden Gesichtsseiten hervor.

Ich beobachte gebannt den Elfen, der gerade mit den letzten lebendigen Leichen abrechnet. Und genauso wie allen anderen fällt mir die gelbliche Hauttönung auf seiner Wange auf. Gelb und leicht dreizackförmig ist sie.

Das ist ein Dunkelelf, ein Alba Occulta!
 

IV.

Ich quäle mich auf die Beine, um dem Dunkelelfen direkt in die Augen blicken zu können. Dieser schwingt sein Schwert gerade durch die Luft, um den gröbsten Dreck an der Klinge hinfortzuschleudern, ehe er die Klinge in die abgenutzte Schwertscheide zurücksteckt.

Sein Körper scheint genau in die zerkratzte Rüstung zu passen. Misstrauisch beäugen er und wir uns. Griselda steht etwas abseits und schaut ihn mit einer Mischung aus Verwunderung und Schrecken an.

"Wer von euch hat mich beschworen?", fragt der Kerl, den ich auf etwa siebzehn Lebensjahre schätze. Noch nicht ganz erwachsen, aber kräftiger und athletischer als ich selber. "Keine Antwort?" Seine kalte Stimme schneidet durch die abkühlende Luft.

Er besieht sich Alex' immer noch gezogenes Schwert und Craylos Dolche. Zögernd hebe auch ich mein Schwert. Wer weiß, ob das nicht ein weiterer Trick von Ventosus ist.

Der Unbekannte fragt: "Soll das eine Aufforderung sein, dass ich euch auch noch erledige?"

"Ich…"

Verunsichert wagt Griselda sich näher an ihn heran. Augenblicklich schaut er sie abschätzig an. Er bleibt ruhig. "Ich war es, die Euch… gerufen hat.", beendet sie ihren Satz und erntet unsere fragenden Blicke - bis auf den von Craylo, der offenbar beginnt, die Situation zu verstehen, denn er vermutet: "Dann hat dieses unscheinbare Papier diesen Kerl hierhergebracht?"

"Irgendwann werde sicher auch ich mich daran gewöhnen, dass Leute heutzutage einfach aus dem Nichts auftauchen! Was… was genau soll dieser Papierelf denn sein?"

"Wer auch immer von euch das war, sollte seine Zunge zügeln.", stellt der Dunkelelf herablassend klar, "Ich bin kein 'Papierelf', ich bin ein Dienergeist - ein Shikigami."

"Sowas gibt es?" Verwundert versuche ich, irgendetwas aus Griseldas genauso verdutztem Gesicht zu lesen, wobei ich mich düster an Geschichten erinnere, in denen von ähnlichen Gestalten die Rede war. Doch diese magischen Helfer aus Büchern sind nicht zu vergleichen mit den Geistern, die ich in letzter Zeit treffe. Ein Dienergeist… den sollte ich besser im Auge behalten, bis ich weiß, wie hilfreich er wirklich ist.

"Ich wusste nicht, dass das ein Dienergeist war!", ruft Griselda wie angeklagt, "Ich habe diesen Papierstreifen nur zufällig auf einem Magiermarkt erstanden! Die alte Hexe, von der ich das gekauft habe, sagte, es sei sinnvoll gegen Untote oder Dämonen… deswegen hab ich es benutzt, um diesen Lich zu besiegen!" Sie räuspert sich hastig. "Oh, aber bitte verzeiht, Herr Shikigami, wie ich spreche, muss Euch sicher kränken…"

"Nicht im Geringsten. Ihr seid meine Meisterin. Ich habe kein Recht, einen Groll gegen Euch zu hegen." So unterwürfig seine Worte auch klingen, so dominant ist sein Ton dennoch, der Griselda noch etwas kleinlauter macht. "Darf ich Euren Namen erfahren, Meisterin?"

"… Oh, selbstverständlich. Ich heiße Griselda." Ihr Kleid zu beiden Seiten anhebend macht Griselda einen Knicks vor ihm, den er mit einer Verbeugung beantwortet. Anschließend stellt sie den Rest unserer Gruppe vor: "Und das da sind Maljus, Herr Alex und Herr Craylo, der außerdem noch zwei sprechende Dolche besitzt namens-"

"Nichts für ungut, kleine Hexe, aber wir ziehen es vor, uns selber vorzustellen! Du hast das Vergnügen, Carod zu begegnen… und na ja, Dorac musst du auch kennen lernen."

"Hey, sagtest du nicht, wir stellen uns selber vor?!"

"Oh, ups. Hehehe." Nachdem der Dolch zu Ende gelacht hat, schaut Griselda ihren Diener erwartungsvoll an und ist ganz neugierig: "Und wie lautet dein Name? Möchtest du ihn uns nicht verraten?"

"Wenn ihr es wünscht, Meisterin Griselda, werde ich Euch meinen Namen nennen. Ich heiße Rio de Dschanehro."

Alex hat inzwischen sein Schwert weggelegt und stolziert verschränkter Arme um Rio herum. Beide begutachten sich argwöhnisch. Alex meint: "Ich sag's gleich, damit das mal klar ist - wenn mir jemand suspekt ist, dann ist es dieser Kerl. Ich hab nie von so etwas wie 'Shikigamis' gehört!"

"Das zeugt allenfalls von mangelndem Wissen."

"Was sagst du da?!" Alex ist kurz davor, Rio am Kragen zu packen. Dorac ruft: "Halt, halt! Nun prügelt euch doch nicht! Ich finde, wir sollten die Sache ruhig angehen und keine voreiligen Schlüsse ziehen! Mir erscheint Rio gesittet." Rio lässt sich zu einem Schmunzeln herab und sagt: "Weise Worte."

Prompt lacht Carod auf. Hämisch sagt er zu Craylo: "Pass auf, Craylo! Er mag vielleicht ungefährlich sein, aber auch wahnsinnig dämlich! Dorac zu loben, das ist auch eine neue Erfahrung!"

"Rio weiß einen guten Rat zu schätzen und wie ich bereits ausführte, sich zu benehmen!"

"Nun seid ruhig!", befiehlt Craylo sich am Kopf kratzend. So ganz überzeugt ist er nicht, wie ich ihm an der Nasenspitze ansehe. Mit einem Seufzen beendet er seine Überlegungen, stimmt im Stillen zu, Rio eine Chance zu geben.

Dafür interessiert ihn etwas anderes viel mehr: "Griselda, eines versteh' ich aber immer noch nicht: Was um Sols Willen wollten denn diese Untoten hier? Genauso, wie ich nicht verstehe, warum der Rachedämon es auf Alex und Maljus abgesehen hat."

"Was ist denn überhaupt so ein Rachedämon?", platze ich abrupt dazwischen. Postwendend schaut Craylo mich an und erläutert: "Das weißt du nicht? Rachedämonen sind Tote, die als Dämonen wieder auferstanden sind. Wie der Name sagt, geschieht dies aus Rachegelüsten, die sie fortan in die Tat umsetzen wollen. Das ließe eigentlich nur den Schluss zu, dass Ventosus sich an euch irgendwie rächen wollte?" Er selbst klingt nicht so, als glaube er das wirklich, und Alex stößt ein unbeeindrucktes "Pff!" aus. "Als ob… ich kenne keinen maskierten Attentäter wie den! Und der Kleine bestimmt erst recht nicht, oder?"

"Stimmt genau.", entgegne ich mit einem überzeugten Nicken, "Ventosus hat auch durchblicken lassen, dass er den Auftrag erhalten hat, uns aufzuhalten." Und ich soll verdammt sein, wenn ich nicht weiß, wer dieser Auftragsgeber ist - Dyonix hätte von Aaron ins Bild gebracht werden können, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind, und schnell alles in die Wege geleitet haben, um uns aus dem Weg zu haben.

Vielleicht weiß er sogar, dass genau wir es waren, die Cheeta über den Weg gelaufen sind.
 

Maljus wusste nicht, dass Craylo immer noch dachte, dass mehr dahinter steckte, aber der Magier behielt es lieber für sich. Auch als Dorac erfragte, worüber er nachsinne, log er: "Nichts, ehrlich."
 

"Na ja… vielleicht haben wir ja nächstes Mal die Möglichkeit, Ventosus auszuquetschen - wenn ich ihm nicht vorher den Hals umdrehe!", fasst Alex einen Entschluss und murmelt noch: "Würde mich interessieren, woher er überhaupt meinen Nachnamen kennt…" Mögen Craylo und Griselda das überhören, bekomme ich es sehr wohl mit - vielleicht auch Rio, aber der verhält sich ruhig und positioniert sich einer Leibgarde gleich neben Griselda.

Alex geht wieder, vermutlich zu dem Grab, das er ursprünglich hat besuchen wollen. Ich bedenke Rio noch mit einem ernsten Blick und will folgen, aber Craylo stellt sich mir in den Weg und sagt: "Bleib mal hier! Schon vergessen, dass du verwundet worden bist? Du und Griselda müssen verarztet werden!"

Er bringt ein paar Verbände ans Tageslicht und wickelt meine Schulter, sowie Griseldas Hand ein. "Einen Heiler solltet ihr auch besuchen. Vielleicht solltet ihr wieder nach Ardsted zurückkehren."

Ich zucke zusammen - nicht direkt wegen Craylos Nahelegung, sondern wegen der Reaktion der Víla in meinem Nacken, die mir schnell zu verstehen gibt, dass ihr das gar nicht in den Kram passt. Ich schüttele meinen Kopf.

"Nein, wir müssen weiter zum Mons Mortuorum!" Irgendwann zerr ich dirmal an den Haaren, du Biest, nehme ich mir insgeheim vor.

"In Titania gibt es doch bestimmt auch einen Heiler, oder?", fragt Griselda. "Bis wir dort sind, dauert das nicht mal halb so lange wie zurück nach Ardsted zu reisen!"

"Wohin immer Ihr wollt, Meisterin Griselda, ich werde als Euer Diener willens sein, Euch zu beschützen." Griselda wird ganz rot, als Rio das mit solcher Entschlossenheit schwört. Verlegen räuspert sie sich. Meine Güte, der lässt es aber krachen...

"Äh… wie… wie du meinst."

Ich derweil sehe nun zu, dass ich mich an die Fersen des anderen Exorzisten heften kann, kein großes Interesse mehr an diesem beschworenen, kühnen Ritter hegend.
 

Ich finde Alex am anderen Ende des Friedhofes an einem Grab sitzend, wo er eine dickbäuchige Flasche hingestellt hat. Offenbar ist Wein für den toten Knaben eine von den besten Gaben.

Wie vom Blitz getroffen schnellt Alex hoch, als er mich kommen hört, und glotzt mich feindselig an.

"Was machst du hier? Solltest du nicht aufpassen, dass dieser 'Shikigami' sich nicht an deiner Freundin vergreift?" Ich verziehe zwar beleidigt mein Gesicht, gehe auf das Letzte aber lieber erst gar nicht ein, sondern widme mich gleich dem Grund, wieso ich gekommen bin: "Ich wollte nur etwas wissen. Ich hab dein Schwert gesehen und-"

"Du willst wissen, wo ich sowas herhabe?", vollendet Alex prompt den Satz, als stelle man ihm diese Frage mindestens ein dutzend mal am Tag. Ein wenig aus dem Konzept gebracht, nicke ich.

Alex packt es wieder aus, das kostbare Schwert mit dem Diamantheft und zeigt mit der Klinge auf den Grabstein, vor dem er gesessen hat. In altcardighnischen Lettern ist der Name Hellar Maresa dort eingraviert, sogar noch unterstrichen und mit dem Titel eines Mitglieds des Ordo Equestri versehen.

"Das Schwert gehörte einst meinem Vater. Nachdem er gestorben war, geriet es in meinen Besitz und ich halt's bis heute in Ehren." Für einen Augenblick lächelt er, als er sich scheinbar an alte Zeiten erinnert fühlt. "Lass' die Leute dieses Schwert sehen und sie werden aufschrecken wie ein Haufen toll gewordener Hunde. An diesem Schwert hängt eine ganz eigene Geschichte, die viele in diesem Land kennen. Dir sagt das wohl nichts?" Kopfschüttelnd antworte ich: "Nein. Ich komme aus dem großen Wald im Süden, da ist es gut möglich, dass ein paar Sachen noch nicht angekommen sind."

"Verstehe… gut, dann erzähl aber keinem von diesem Schwert, ja? Wir haben jetzt schon genug Ärger am Hals dank diesem Ventosus… und dieser Rio wird sicher auch noch ein Nagel in eurem Sarg sein, wenn ihr nicht aufpasst!"

"Wir werden sehen, ob er vertrauenswürdig ist. Aber ich denke, selbst wenn mit ihm was nicht stimmen sollte, haben wir wenig zu befürchten - mit zwei Exorzisten von dieser Schlagkraft!" Ich grinse, als ich das sage. Alex verfällt in lautes Gelächter, ehe er mir auf die Schulter schlägt - zum Glück auf die unverletzte.

"Jetzt schleim dich doch nicht ein, Kleiner!", lacht der Dämonenjäger, "Das heute war noch gar nichts! Ich kann dir ja auf der Weiterreise mal erzählen, wie Craylo und ich ein paar Anhänger der Ungesühnten Armee das Fürchten gelehrt haben! Und außerdem… du hast dich auch reingehangen heute. Das war schon allemal besser als dein Kampf in Keslynth!"

"Meinst du wirklich?"

"Klar! Wenn ich Lügner nicht ab kann, werd' ich wohl der Letzte sein, der dir falsche Hoffnungen macht." Er schultert sein Schwert, nachdem er es sorgfältig eingewickelt hat.

"So, jetzt sollten wir weiter. Ich hab meinen Alten besucht, jetzt kann ich mich auch wieder auf den Weg machen!" Alex gibt mir einen kleinen Schubs und geht zurück. Über seine Schulter schauend meint er noch keck: "Damit unser großer Held wieder mal einen Heiler reich macht!"

"Haha, sehr witzig!"

Ich bin bereits dabei, ihm hinterher zu gehen, als Sira wieder ein mal aus ihrem Unterschlupf auftaucht und vor meinem Gesicht herumschwirrt. Sie weist mich an: "Warte kurz noch… ich muss auch noch mit dir reden."

"Was ist denn? Geht es um Ventosus?"

"Weniger um den als um Rio.", gibt die Víla ein wenig unsicher zu, wobei ihre Flügel zwischendurch mal schneller und mal langsamer schlagen. Ob das ein Zeichen bei Víly ist, dass sie nervös sind? "Ich möchte dir bloß raten, auch ja vorsichtig in seiner Gegenwart zu sein!" Zu meiner Empörung sagt sie: "Falls Alex' Warnungen bei dir bereits zu einem Ohr rein und zum anderen wieder raus sind, meine ich." Meine Güte, bloß nicht so verschwenderisch mit deinem Vertrauen um dich werfen, Sira! Sonst werd ich ja noch übermütig.

"Vorschnell werde ich mich sicherlich nicht mit ihm anfreunden.", verspreche ich rollender Augen, "Und vom Umgedrehten König erzähle ich ihm besser auch nichts, oder?"

"Ich sehe, du hast mich wenigstens einmal verstanden.", ist Siras dürftige Feststellung, nach der sie auch wieder ihr Versteck aufsucht. Sie flüstert nur noch, mehr an sich selbst als an mich gewandt: "Und es wäre besser, wenn das unsere Hexe auch nicht täte..."
 

V.
 

Alex verliert gar nicht erst viele Worte, als wir wieder zurückkommen, er will bloß wissen: "Also, jeder bereit, oder müsst ihr noch 'n Geschäft verrichten, oder sonst was?"

Weil niemand mehr etwas dagegen einzuwenden hat, sich wieder auf den Weg zu machen - besonders nicht Rio, der anteilnahmelos die Luft anstarrt - vergeht auch nicht mehr viel Zeit, bis wir wieder in den Satteln sitzen.

Nur ich nicht. Ich muss hinter Craylo auf dessen Pferd sitzen. Der schwarze Rappe, der mehr oder weniger mir gehört, ist bereits mit Griselda und Rio voll besetzt. Der Kerl hat nicht das kleinste bisschen Einsicht gezeigt, als ich meinen zugegebenermaßen fahlen Anspruch geltend machen wollte.

"Als Shikigami Meisterin Griseldas bin ich verpflichtet, nicht von ihrer Seite zu weichen! Außer natürlich sie wünscht es explizit.", hat er gesagt und ich hab Griselda erwartungsvoll angeschaut - Rio sie stechend. Davon ist sie ganz unruhig geworden, bis sie schließlich ihr gesenktes Haupt geschüttelt hat, ihren Hut tiefer ins Gesicht ziehend.

"Nein, nein, ich wünsche nichts dergleichen…"

So hat sich mein Blick deutlich verfinstert, wie wir die langgezogenen Sperentinen am Berg hochreiten. Das langsame Tempo, das unsere Pferde nur noch mitmachen, tut sein Übriges zu meiner Stimmung.

Craylo versucht, die Zeit bis zu unserer Ankunft zu überbrücken und erzählt uns von der Stadt, die wir ansteuern. Wissbegierig sauge ich all die Erzählungen auf. Titania heiße die Stadt und sei schon immer Wohnort der riesengroßen, kräftigen Titanen gewesen, die sich gerne von anderen Völkern den Beinamen 'Söhne der Götter' haben geben lassen.

Markant sei an der Stadt nicht nur ihre beachtliche Höhenlage - oder das landbekannte Titanenbier mit einem Schuss Bergziegenmilch, wie Craylo erwähnt - sondern vor Allem ihre Bauart. Angeblich ist die gesamte Stadt direkt aus den Felsen des Berges gehauen, von den in die Höhe ragenden Rundtürmen über die aus dem Stein ragenden Höhlenhütten bis hin zu der kleinen Burg, wo nun der zuständige Consultor Majoris seinen Sitz hat.

Einzig und allein das Kloster der Terra ist erst viel später und aus herangeschafften Baumaterialien errichtet worden. Was das wohl für ein Bau sein mag?

"Titanen sind nicht so~ religiös orientiert, obwohl auch sie schon von Anfang an dem Terrakult gefrönt haben. Ihre Rituale haben ausschließlich im Freien stattgefunden."

"Stimmt es, dass die Titanen früher kein besonders kontaktfreudiges Volk waren?", entsinne ich mich einiger Erzählungen aus Welsdorf. Der Dorfälteste hat oft von diesen Dingen gesprochen, obwohl er wohl schon genauso lang wie ich das Dorf nicht verlassen hat. Aber na ja, der hatte bestimmt vorher mehr als genug Zeit, die Welt zu sehen.

Craylo nickt.

"Manche von ihnen sind heute noch nicht wirklich davon überzeugt, mit den Völkern jenseits des Berges zu verkehren."

"Wer geht denn auch von zuhause weg, wenn er überall sonst nicht mal durch die Türen passt?"

"Jede neue Erfahrung, die man auf einer Reise macht, ist eine Bereicherung, die selbst die größten Strapazen wettzumachen vermag!", entgegnet Dorac altklug.

"Oh je, du fängst ja schon an wie der Wandermönch von Julianus Merctor! Hey, Craylo, wie wäre es, wenn wir ihn am Kloster abgeben?"

"Ich weiß, du meinst es nur gut mit dir, aber ich denke, bei Craylo bin ich besser aufgehoben! Stimmt's?"

"Jedenfalls habe ich sogar schon von ein paar noch konservativeren Titanen gehört, die nicht mehr auf dem Berg, dafür aber wieder komplett abgeschottet von der Außenwelt leben.", erzählt der Adeptus Elementorum weiter, ohne auf die beiden Dolche einzugehen. Scheinbar reicht, sie zu ignorieren, aus, um sie zum Schweigen zu bringen. Da frage ich mich doch, ob das auch gegen Víly hilft.
 

VI.
 

Die Mittagszeit ist bereits vorbei, als wir endlich die letzte Schräge hinter uns bringen und sich uns Titania offenbart. Trotz Craylos Ausführungen bin ich immer noch schwer beeindruckt, als ich die riesigen Bauwerke sehe, die für die bis zu drei-ein-halb Meter großen Titanen, welche überall durch die Stadt laufen, gerade mal ein Erdgeschoss sind.

Ob es überhaupt Titanen gibt, die nicht bullig und sehnig sind wie die, die überall die Straßen säumen? Selbst die Frauen kommen eher einem Mannsweib nahe, als einer schlanken Nymphenschönheit.

Noch ehrfurchtsgebietender als die normalen Titanen sind aber die Stadtwachen, ganz adrett gekleidet in der Uniform Cardighnischer Soldaten: Ein enger, zugeknöpfter, roter Wams mit tunika-artigem Auslauf nach unten, klimpernde Pteryges und ein schwarzer Hakama, der bei jedem Schritt anmutig weht. Dass unter dieser Tracht versteckt, viele, robuste Metallplatten sich an den Leib der Ordnungshüter schmiegen, ist nicht zu sehen.

Bevor wir uns allerdings großartig in der Stadt umsehen oder gleich Siras Drängen nachkommen und zum Kloster gehen können, suchen wir einen Heiler auf - kein sehr häufiges Handwerk in der Stadt, stellt sich heraus, aber wir finden wenigstens einen eingewanderten Alba, der sich um Griselda und mich kümmert. Alex und Craylo haben nur Schrammen davon getragen und lehnen gezielt das Angebot, sich trotzdem untersuchen zu lassen, ab.

"Die beiden Herren müssen Exorzisten sein, wenn ich die Kreiszeichen richtig deute. Seid Ihr hier, um im Kloster Steckbriefe gesuchter Sündedämonen abzuholen?"

"Ganz genau. In der Hauptstadt ist uns bereits alles weggeschnappt worden, jetzt schauen wir, ob hier nicht noch ein paar Aufträge abzugreifen sind."

"Oh, das wird schwierig.", entgegnet der Heiler.

"Wieso?"

"Das Kloster hat namhaftesten Besuch. Um den Gast vor jeglicher Gefahr zu schützen, besonders in jenen Zeiten, da Untote immer wieder die Dörfer und Städte überfallen sollen, wird niemand von nicht vergleichbarem Wert eingelassen."

"Ach, und welches hohe Tier residiert grade im Kloster?"

"Niemand anderes als die Tochter des Königs höchstpersönlich! Selet von Ardsted beehrt Titania!" Ganz unterschiedliche Reaktionen ruft diese Neuigkeit in uns allen hervor: Alex knirscht mit den Zähnen, Craylos Augenbrauen zucken blitzschnell nach oben, ich mache ein erstauntes Gesicht, die Víla in meinem Nacken zuckt regelrecht zusammen, während Rio ganz in stoischer Ruhe verharrt, aber Griselda geradezu aufspringt und fassungslos fragt: "Was?! Die Prinzessin, aber das ist doch nicht möglich!"

"Aber wenn ich es doch sage!", beharrt der Heiler mit verblüffter Miene ob der heftigen Wiederrede. "Ich muss es wissen, mich hätte die Kutsche der feinen Dame ja fast überfahren, als sie hier vorbei gerast ist."

"Weshalb seid Ihr so unstet, Meisterin?", möchte Rio wissen. Griselda schnauft richtig, als habe sie der Schlag getroffen. Was ist denn jetzt in sie gefahren?

Besorgt will der Heiler wissen, ob sie noch anders verletzt sei und nicht ein stärkendes Tonikum bräuchte. Leichenblass verneint sie: "Es… es ist nichts, danke. Ich… ich bin nur ganz aufgeregt, dass die Prinzessin hier ist." Ihre krampfhaft verzogene Miene, als sie leiser anfügt: "Ich gäbe alles dafür, sie einmal persönlich zu sehen." gibt mir ein Rätsel auf. Deswegen rastet sie so aus? Oh je, heute ist wohl Mysterientag…
 

Gemischter Gefühle verlassen wir die kleine Praxis wieder, nachdem der Mann entlohnt worden ist, und ziehen uns zur Beratung in ein nahes Lokal zurück. Sitzplätze, die auf unsere Größe zugeschnitten sind, gibt es keine in der mit Lehm vertäfelten Höhle, wir müssen an den Tischen stehen, die uns fast bis zum Hals gehen. Das gibt mir ein deutliches Bild, wie ein Zwerg sich im Vergleich zu uns fühlen muss, während ich eine trübe Brühe aus gemahlenen Luzernesprossen löffele.

"Tja, ich glaube das war's dann fürs Erste mit Bier und gutem Wein! Wir hocken ohne Arbeit hier herum und dürfen warten, bis die zukünftige Königin wieder ihren adeligen Popo aus der Stadt bewegt!"

"So spricht man doch nicht über eine Prinzessin!", empören sich Griselda und Dorac unisono. Ein paar Titanen sehen schwerfällig zu uns herüber.

Ich zische: "Nun beruhigt euch mal…"

"Genau.", stimmt Alex zu, nachdem er einen Schluck Wasser genossen hat, "Mir stinkt die Sache zwar genauso, aber wir werden noch weniger davon haben, die Stadt jetzt zusammenzuschreien."

"Sag ich ja: Abwarten und Tee trinken - falls wir das Geld dafür noch übrig haben."

"Von wegen.", erwidert Alex.

Craylo seufzt, als sein Kamerad uns andere alle so überrascht. "Wenn die Königstochter am Kloster residiert, ist das Pech - aber garantiert nicht für uns!"

"Gewagt, indirekt vorzuschlagen, sich in dieses Kloster zu schleichen.", merkt Rio skeptisch an, was ihm einen weiteren schrägen Blick von Alex beschert. Ihn schreckt die hauchdünne Warnung in den Worten des Dunkelelfen offenbar nicht, so spricht er gedämpft: "Was soll uns schon erwarten? Ein paar Wachmänner vielleicht… na gut, es werden Titanen sein, aber ich habe schon mit Dämonen von derselben Statur gerungen."

"Mir fällt auf, dass du die ganze Zeit von 'uns' sprichst.", äußere ich da frei aus dem Bauch heraus etwas, das in meinem Hinterkopf gelauert hat. Dem Anschein nach betrachtet Alex uns jetzt schon als Gefolge, dass er so offen mit uns spricht.

Sira zieht mir unangenehm am Ohr, zischt mir zu: "Was soll das denn?! Das kann uns doch nur recht sein, wenn er uns mitnimmt!"

"Oh, das stimmt… eigentlich hat das ja gar nichts mehr mit Euch zu tun.", reagiert Dorac zurückhaltend, "Aber - ich hoffe, ihr gestattet mir, das zu fragen - wieso seid ihr dann überhaupt hierher gekommen?"

"Nun, ei… eigentlich wollen wir auch zum Kloster!", plappert Griselda drauf los, was Sira sich verkrampft in meinen Nacken krallen ließ. Verdammt noch mal, kann diese Víla sich denn nicht zurückhalten?! Wenn die anderen meine entgleitenden Gesichtszüge bemerken, wäre unserer Sache genauso wenig gedient, wie wenn Griselda jetzt alles ausplaudert! "Ich hab nämlich von meinem alten Lehrmeister erfahren, dass sich dort Schriften befinden sollen, die für mich von Interesse wären!"

Alex beginnt zu grinsen, dass man jeden Moment von ihm erwarten könnte, ihr durchs silberne Haar zu fahren.

"Gut, dann denke ich mal, wird es auch in eurem Interesse zu sein mitzukommen."

"Wir sollten lieber aufpassen, dass sie diese Schriften nicht ganz zufällig mitnehmen, wenn wir uns schon einschleichen.", scherzt Carod, "Sonst erfreuen wir uns am Ende noch der Sündedämonen, die sie damit womöglich in die Welt entlassen."

"Lasst mich wissen, wenn ich dieses respektlose Stück Metall entzweibrechen soll, Meisterin Griselda."

"Ich liebe es, wie du deine Zähne zeigst, Spitzohr, aber ich glaube, ich bin noch schlank genug, um keine Gewichtsreduzierung zu benötigen!"

"Hört auf, ihr zwei!", geht Craylo dazwischen zu Doracs klar erkennbarer Freude. Der silberne Dolch lacht schadenfroh, worauf Carod einsilbig "Klappe!" ruft.

Wir beenden unser Mahl und machen uns gestärkt und mit festen Plänen auf den Weg, uns dieses Kloster etwas näher zu besehen.
 

VII.
 

Der Weg zum Kloster führt weg von der riesigen, stufenförmigen Hauptstraße, die sich zum Verwaltungssitz der Stadt erstreckt. Zur einen Seite ragen die Felswände empor, zur Anderen gähnt der Abgrund, wo tiefdunkler Nadelwald seine nur diffus erkennbaren Spitzen nach oben reckt. Ein Fall aus dieser Höhe wäre unter allen Umständen tödlich, das weiß jeder von uns auch ohne großes Nachprüfen.

Nach kurzer Zeit wird der Weg am Berg entlang breiter, lenkt langsam zum Massiv - und auch zu zwei massiven Wachposten, die mit Speeren bewaffnet und gesichtsfreien Helmen bewehrt schon beim ersten Blickkontakt rufen: "Halt! Ihr könnt gleich wieder umdrehen, der Zugang zum Kloster ist dem reisenden Volke untersagt!"

"Ach, das sagt wer?", entgegnet Alex vorlaut dem um die drei Meter hohen Koloss.

"Wir unterstehen dem Kommando von Consultor Maioris und oberstem Richter Gerdonis! Er hat angeordnet, dass, solange das Kloster den Besuch der Königstochter samt Gefolge genießt, der Zugang für Fremde untersagt ist! Und nun verschwindet, wenn Ihr nicht verurteilt werden wollt!"

"Was… was droht uns denn, sollten wir uns widersetzen?", bekommt Dorac kalte Füße, wobei gleichzeitig auch Craylo anzweifelt, dass das wirklich eine gute Idee ist. Diese beiden Brocken lassen sich sicher nicht mit einfachen Menschendolchen aus den Stiefeln schubsen - auch nicht, wenn sie wohl die einzigen sind, die Leute niederquasseln können.

Der eine Wachmann stöhnt genervt, fährt sich durch sein fleischiges, hochrotes Gesicht. "Von einer Tageshaft bis zu wochenlanger Verwahrung, wenn Ihr noch länger unsere Zeit beansprucht!"

"Hm, mehrere Wochen gesiebte Luft für nichts weiter als Euch vom Arbeiten abzuhalten?", meint Alex, während er sich nachdenklich sein unrasiertes Kinn reibt, "Das lohnt sich ja gar nicht, da sollten wir Euch wenigstens mal schubsen und dann schauen, was uns blüht!"

"Macht Euch nicht lustig, oder wir transportieren Euch gleich ab, jetzt geh-"

Mitten im Satz bricht er ab, denn Alex rennt auf ihn zu, sein eingewickeltes Schwert wie einen Stab haltend, mit dem er auf das Kinn des Titanen zielt. Von unten stößt er ihm den harten Schwertgriff gegen den Kiefer, ein abgewürgter Schrei dringt aus der Kehle des Wachmanns, welcher röchelnd nach hinten taumelt.

Sein Kamerad aber macht sich bereit, Alex gleich für seine Tat büßen zu lassen, indem er mit seinem Speer nach ihm sticht.

Ich bin noch ganz verwirrt. Ganz einem Bauchgefühl folgend entscheide ich mich aber, Alex zu helfen, anstatt weiter Gedanken daran zu verschwenden, ob das denn wirklich der richtige Weg ist. Pfeilgeschwind ziehe ich meinen Anderthalbhänder, schlag auf den dicken Speer ein, um ihn zu durchtrennen.

Was so einfach geplant war, erweist sich in Wirklichkeit als viel schwieriger. Mir tritt der kalte Angstschweiß auf die Stirn, als ich mein Schwert im Holz feststeckend finde.

Den Titan belustigt das schon fast, grimmig grinsend ist er dabei, mich zu Boden zu schleudern. Aber Rios Initiative auf Bitte Griseldas macht dem einen Strich durch die Rechnung. Er stößt sein Gladius durch den Pilum, befreit mein Schwert aus dem zweigeteilten Holz und will schon mit mir aus Reichweite des Titanen laufen, als dieser mit einer seiner riesigen Pranken seinen Speer loslässt und nach uns greift.

Dass er dadurch aber der Parierstange schutzlos ausgeliefert ist, die Alex ihm von unten in den Nacken schlägt, wo der Helm einen Spalt freilässt, entgeht dem Hünen. Betäubt ist er davon nicht, genauso wenig wie der andere Wächter, der sich inzwischen wieder gefasst hat - bis ihm zwei ganz bestimmte Dolche direkt gegen den Helm fliegen. Für den armen Titanen muss es so sein, als stünde er nicht bloß direkt in einem Glockenturm, sondern als wäre er der Klöppel selber, der die gesamte Lautstärke der Glocke zu spüren bekommt.

Auch der andere kriegt die Dolche an seinen Helm geschleudert und während die Titanen sich schreiend die Helme vom Kopf reißen, prüfen, ob sie überhaupt noch hören können und nun bestimmt mit bösen Kopfschmerzen kämpfen, rennen Craylo und Griselda zu Alex, Rio und mir, ehe wir die beiden Wächter im Spurt hinter uns lassen.

"Ich hoffe, wir können uns irgendwann dafür entschuldigen… sie haben uns ja eigentlich nichts Böses gewollt."

"Ich bin sicher, sie werden uns mit Tee und Kuchen anhören, wenn wir ihnen irgendwann näher bringen wollen, wieso wir ihnen grade fast das Trommelfell gesprengt haben!"

"So ähnlich sehe ich das auch!", werfe ich ein.

"Quatscht nicht so viel!", ruft uns Alex zwischen zwei Atemzügen zu, "Sonst holen die uns ein, wenn sie erst mal wieder auf den Beinen sind!"

Wir hasten einvernehmlich weiter, der feste Stein unter unseren Füßen weicht fort vom Abgrund, hin zum Gipfel. Zu beiden Seiten erheben sich nun die steil aufragenden Felsen, dazwischen befindet sich eine hohe Mauer. Ein riesiges, hölzernes Tor mit Metallstreben und großen, dicken Nieten ist geschlossen und verriegelt worden, wie wir nach kurzem Rütteln an der Pforte feststellen. Über dem blassgrün angemalten Torbogen voller Fresken prangt eine Aufschrift: TERRAE COENOBIUM MONTE MORTUORUM

Das ist also der Eingang zum Kloster, dem ersten Ort, wo eines der vier Wunder gewirkt haben soll - bis heute noch wirken soll. Sira hat erzählt, sie seien bis heute noch aktiv.

Und nicht weit entfernt hinter diesen Mauern über welchen sich zunehmend die Wolkendecke zuzog, lauert auch ein Priester mit Namen Basgorn, welcher all unsere Arbeit zunichte machen will. Nicht die besten Aussichten, finde ich, während ich skeptisch die meterhohe Mauer hochstarre und meinen Atem beruhige. Wir müssen da rüber, das ist mir klar, besonders weil uns die beiden Wächter auf den Fersen sind. Aber wie?

Alex bereitet sogleich eine Räuberleiter vor. Zusammen mit Craylo käme er vielleicht etwas über drei Meter nach oben, doch die Mauer, welche gut sechs bis sieben Meter nach oben reicht, werden sie so nie zu überwinden wissen. Dies verleitet den jungen Mann gleich zum Schimpfen: "Verflucht aber auch! Was machen wir denn jetzt?!"

"Na was wohl!", nörgelt Carod, "Wir warten auf unsere Verfolger und bitten sie, uns zur Hand zu gehen! Sie wollten uns ja schließlich nichts Böses!"

"Ich sagte ja nie, dass wir uns sofort mit ihnen versöhnen müssten… und daher bezweifle ich auch, dass sie gut genug aufgelegt sein werden, um uns nun doch durchzulassen."

"Tja! Dann bleibt wohl doch nur zu Terra zu beten, im nächsten Leben als Harpyien geboren zu werden, dann fliegen wir einfach über die Mauer hinweg! Dann könnten wir sogar mit etwas Geschick über die Mauer HÜPFEN!"

"Hüpfen können wir vielleicht nicht…", grübele Maljus, "Aber was wäre, wenn Alex einen von uns nach oben schleudert?"

"Flugstunden mit Elfen, ja! Eine famose Idee!", tönt Carod noch aufgebrachter. Wäre er nicht nur ein Dolch, hätten wohl verwerfliche Gesten und eine spöttische Miene seine blöden Worte begleitet - und ich womöglich die Lust verspürt, ihm den Hals umzudrehen. "Und wer soll sich bitte blind nach oben werfen lassen?"

Darauf weiß Alex sofort eine Antwort und macht sich plötzlich bereit: "Natürlich derjenige, der diese tolle Idee hatte!"

"Wa- was?!", stammele ich, "Ich?!" Nie im Leben!

"Du scheinst der leichteste hier zu sein, Meisterin Griselda ausgenommen.", erläutert Rio hektisch Alex' Gedankengang, "Und wenn du es jetzt nicht machst, werden die Titanen gleich hier sein. Ich glaube, bereits ihre Häupter dort drüben sehen zu können." Ich wünsche mir, nie etwas gesagt zu haben, was ist das denn auch für eine Schnapsidee gewesen?!

Aber die Situation ist zu hektisch gewesen, um großartig nachzudenken, und jetzt ist sie es, um sich noch lang und breit zu sträuben. Ich schlucke, gehe ein paar Schritte zurück und laufe auf Alex zu, reiße mein Bein hoch und platziere meinen Fuß in Alex' gefalteten Händen. Ehe ich noch mit dem anderen Fuß nachziehe, reißt Alex ächzend seine Hände nach oben und wirft mich in die Höhe. Fast pralle ich gegen die Mauer.

Es ist Todesangst, die mich durchströmt, als ich schnell noch nach den Zinnen greife, wegen meiner Handschuhe kaum Halt findend. Überstürzt ziehe ich mich hoch, verschnaufe nur kurz. Ich kann nicht glauben, dass das ernsthaft geklappt hat. Ich bin auf der Mauer!

Flink renne ich die erste Treppe hinunter, nachdem ich die Titanen in einiger Entfernung erblickt habe. Ich habe keine Augen für die Bauweise des Innenhofes und die Verzierungen an den Mauern. Ich laufe zum Tor, stemme mich gegen den mächtigen Riegel und reiße die Pforten auf. Kaum zehn Meter trennen die anderen noch von den Titanen. Sie stürmen an mir vorbei, Alex schlägt das Tor zu und Craylo verriegelt die Pforte wieder. Keiner von uns ist nun nicht aufgeregt und überglücklich, es geschafft zu haben.

"So… und jetzt ab in irgendeines der Gebäude, bevor die Großen das Tor einschlagen!", nimmt Alex dann das Ruder in die Hand, Griselda und mich in Richtung des zweistöckigen Hauptgebäudes schubsend. Rio folgt uns, welche die Köpfe noch zu Alex und Craylo gedreht weiterstolpern, notgedrungen. "Schaut zu, dass ihr diese Bücher findet und euch das Wichtigste rausschreibt bis heut Abend! Dann treffen wir uns wieder und hauen in der Dämmerung ab!" Sobald er zu Ende gesprochen hat, läuft er auf eine der Stallungen zu, um sich dort zu verstecken.

Na, das kann ja heiter werden...



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Azahra
2012-04-22T20:47:45+00:00 22.04.2012 22:47
Der Name des Dunkelelfen .... ich musste so lachen XDD
Sorry ... aber ... einfach nur genial!!! XD
Der Kampf mit den Untoten war wirklich sehr gut gemacht.
Dieser Venetous (ich weiß nicht mehr wie man ihn schreibt ><) ist echt unheinmlich O.o
Ich hoffe sie finden die Bücher mit den Schriften >< Diese Wächter sind ja nicht gerade von ihrem Besuch begeistert.

cucu
Azahra


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