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Weihe des Siegelschwerts

von

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Capitulum III: Ardsted - Eine Stadt mit vielen Gesichtern


 

I.
 

Wahnsinn! Und das in mehrerlei Hinsicht. In eine Stadt wie Ardsted zu kommen, ist Wahnsinn! Es ist der auslegungsfreundlichste Begriff, den ich finden kann, den ich im Angesicht dieser engen überfüllten Straßen innerhalb der Stadtmauern und jenseits des Wassergrabens finden kann.

Überall tummeln sich die verschiedensten Wesen, die in unserem Vielvölkerreich hausen: Hochelfen, blasse Schneeelfen mit eis- und wasserfarbenen Haaren, vereinzelte Alba Occulta, unzählige Menschen, Zwerge und Nymphen, deren aalglatten Häute mal blau-, mal grün- und mal türkisfarben sind, und auch ein paar im Schnitt drei Meter hohe Titanen, sowie prächtig gefiederte Harpyien, von denen viele mit eingeklappten Flügeln auf den Schindeldächern hocken und mit den Bewohnern streiten.

Alle quetschen sich nebeneinander durch den allzu geschäftigen Verkehr in der glühenden Abendsonne. Es ist brüllend heiß und laut, ich fange alle möglichen Gesprächsfetzen in unheimlich vielen Akzenten auf, von denen ich nicht einmal die Hälfte richtig verstehe. Alltagsgespräche, das Geschrei der Händler, die hier und da einfach stehen bleiben, um ihre Stände aufzubauen und Waren anzupreisen, politisch angehauchte Diskussionen über Favoriten für den Ritterschlag, in Ungnade Gefallene oder in Übergriffen verletzte Offiziere, Zwiste zwischen Grundherren und Vasallen, und wahllose Beleidigungen oder Flüche, vor allem über das langsame Vorankommen - wobei ich selbst auch keine weiße Weste mehr habe, denn auch ich steuer regelmäßig mein "Aus dem Weg!" oder "Kannst du nicht aufpassen, du Idiot?!" bei - und hohe Steuern; überall plappern die Völkermassen durcheinander in ihrem eigenen Cardighnisch oder sogar in Fremdländlersprachen. Da frag ich mich echt, wie ein Einzelner sich auf sein eigenes Gespräch konzentrieren kann.

Das schier stundenlange Gedränge durch die Straßen vor den wunderschönen Fachwerkhäusern, zwischen denen bunte Girlanden wie bei einem Fest gespannt sind und an denen Banner mit dem Königswappen, der weinroten Rose auf schwarzem Grund, hängen, findet hier und da ein ende, wenn man einen der riesigen Rundplätze erreicht, um die sich Gasthäuser und Läden scharen wie ein Rudel Aasfresser um einen besonders großen Kadaver. Einrichtungen wie das Lokal Zum bunten Hundoder der Goldschmied Goldene Nasewerben um die Gunst der Versammelten, die sich auf Bänken oder den Rändern der Springbrunnen niedergelassen haben.

Aber auch hier kann ich nirgends Schloss Ardsted sehen, das am Nordwestende auf einem Berg über der Stadt thronen soll.

"Hier findet keineswegs ein Fest statt.", erklärt Griselda, als ich sie auf den Hausschmuck überall anspreche, "Das ist ganz normaler Alltag in der Hauptstadt. Hier möchte man jeden Tag Festtagsstimmung vermitteln!"

Gerade als ich meinen Augen kaum traue, weil ich denke, in all dem kunterbunten Treiben sogar einen Drachen auf seinen vier dürren Beinen entlangschlängeln zu sehen, weist Sira mich an, das Pferd zu den nordöstlichen Stadtteilen zu lenken.
 

II.
 

Und je mehr wir diese Richtung ansteuern, desto verfallener und verlassener wird alles. Keine prunkvollen häuser mehr, nirgends buntes Klim-Bim und keine Barden, die ihr gesammeltes Liedgut zum Besten geben. Die Straßen sind nichts weiter mehr als festgetretener Dreck.

Hierhier ist alles verdrängt worden, was vielleicht ein lukrativer Beruf sein mag, aber einen Geruch verbreitet, der wortwörtlich zum Himmel stinkt. Daneben kann man an all den Holzverschlägen und Ruinen gut erkennen, dass sich hier vor allem das zusammenfindet, was an all dem Trubel und Gedränge einer so zentralen Stadt nicht genug Gewinn schöpfen kann, um sich eine echte Existenz in der Metropole zu schaffen.

Der traurige Anblick schlägt auf mein Gemüt, sodass mich ein beklemmendes Gefühl beschleicht bei dem Anblick zwielichtig aussehender Tagelöhner und diversem Gesindel, doch Sira beharrt darauf, dass dies der richtige Weg sei. Ich hoffe es für dich, denn dieses Loch ist alles andere als das, was ich von der Hauptstadt erwartet hab!

Nach einiger Zeit lässt sie mich das Pferd anhalten vor einem ebenso schäbigen Haufen Baustoffreste, der sich nicht von seinen Artgenossen abzuheben weiß.

Wir steigen vom Pferd und mit einem Nicken werde ich aufgefordert, anzuklopfen. Getan wie von ihrer Majestät Sira befohlen, doch nichts geschieht. Das grüne Gesicht der Víla verliert an Farbe, während ich nach erneut unbeantwortetem Klopfen feststelle, dass ein etwas stärkerer Ruck genügt, um die Tür zu öffnen - ohne sie aus den Angeln zu heben, ich hatte nämlich schon Befürchtungen.

Im Inneren sieht es gar nicht mal so schlimm aus, was jedoch vielleicht nur der Verdienst des Dämmerlichtes ist, das die Einzelheiten gut in sich verbirgt. Ein richtiges Fenster besitzt das Haus nicht, nur ein paar Spalte in den Holzbrettwänden. Das meiste Licht fällt von der Gasse in den einen großen Raum und wirft unsere Schatten lang und verkrümmt auf das Mobiliar.

Sira ruft in das Dunkel: "Hena? Hena, wo bist du?" Es erfolgt keine Antwort. "Bitte nicht...", flüstert sie.

wir finden schließlich eine alte Öllampe in dem breiten schiefen Bücherregal, das die Rückwand verkleidet und entzünden sie. Mehrere Teppiche verstecken den Boden aus Schmutz und ein paar eingelassene Dielen, an der Wand steht ein niedriger Tisch mit ein paar Tongefäßen. Die Feuerstelle ist etwas weiter abseits.

Und in der Mitte klafft, eingerahmt von alten Steinziegeln, ein dunkler Schacht mit einer Leiter. Der Teppich daneben ist beiseite geschlagen.

"Sind wir… deswegen hier?", frage ich.

"Natürlich sind wir das! Ich will euch in die Katakomben führen! Aber… ich hab kein gutes Gefühl dabei."

"Weil dieser Geheimgang offen steht?", vermutet Griselda mit beunruhigtem Blick. Sira nickt schwach.

Ich befestige die Lampe an meinem Gürtel und beginne mit dem Abstieg.

"Los! Schauen wir nach, was nicht in Ordnung ist!"

"Du hast Recht…", murmelt Sira. Griselda aber bekommt Muffensausen: "Da müssen wir wirklich runter?"

"Ich weiß ja nicht, wie du planst, in die Katakomben zu kommen, aber ich kletter hier runter.", stichle ich.

"Na gut, na gut, ich mach ja schon, du großer Held!"
 

III.
 

Modrig ist es in den Korridoren aus glasierten rötlichen Lehmziegeln, die uns am Ende der Metallsprossen erwarten. Fresken laufen unter der Decke die Wände entlang, immer dasselbe Symbol: eine Art dunkle schmale Grimasse. Die Mundwinkel sind drastisch nach unten gezogen, das ganze Gesicht erinnert an einen Qualen leidenden Mann. Und immer wieder starrt dieses Gesicht auf uns hinab, es verfolgt uns auf Schritt und Tritt.

Die Decke ist so niedrig, dass selbst ich mit meiner Körpergröße von einem Meter vierundsechzig aufpassen muss, nicht anzustoßen. Jeder Erwachsene hätte sich ducken müssen.

Sira führt uns sicher durch das unterirdische Tunnelnetz, denn bald geraten wir immer öfters an Stellen, an denen der Weg sich teilt. Manchmal weist er bis zu fünf verschiedene Abzeigungen auf. Lange Treppen geleiten uns tiefer und ganz fein liegt der Duft von Öl in der moosgeruchgeschwängerten Luft, die in den Tunneln steht.

Siras Stimme ist so hauchdünn geworden, dass ich es mit der Angst zu tun kriege. Sie schweigt, wenn sie uns nicht zitternden Tonfalls den Weg weist. Um Terras Willen, was hat sie denn?

Mit der Zeit spüren auch Griselda und ich, dass wir mit nichts Gutem zu rechnen haben, denn Sira sieht so aus, als wisse sie schon längst, dass der Untergang bevorsteht.

Dann ist es soweit: wir gelangen an eine breite Pforte aus mit Pech bestrichenem Holz. An den ehernen Beschlägen hängen große halbverrostete Türklopfer. Ich öffne die schwere Tür, sofort wird der Petroleumgeruch stärker und erfüllt jetzt die Luft geradezu.

Beim Eintreten entdecke ich neben mir plötzlich eine Erhöhung, in der eine tiefe Rille ist. Darin schimmert das Öl, das man hier so gut riecht. Dass ich es anzünden soll, muss Sira mir erst gar nicht sagen. Schon rast die Feuerspur durch die riesige marmorvertäfelte Halle, an den Wänden entlang, über ein Oleumdukt auf Säulen, die den Weg zu einem gegenüberliegenden Podest am Ende der Treppe vor uns säumen, bis hin zu den zwei riesigen Steinschüsseln, die im nächsten Moment hell in Flammen stehen.

Im selben Moment, da die Hitzewelle durch den Raum fegt und alles hell erleuchtet wird, wird uns eiskalt. In der Mitte des Podests am Ende der Halle liegt ein alter Mann! Er ist blutig geschlagen worden und das schon seit einiger Zeit, denn die Wunden sind bereits geronnen, das Blut verkrustet und schwarz!

Wir fackeln nicht lange, sondern rennen zu ihm, Griselda fühlt augenblicklich seinen Puls, während Sira - ich traue meinen Sinnen nicht mehr - in Tränen ausbricht.

"Hena! Oh, Hena, das darf nicht wahr sein!", schreit sie herzzereißend, ehe sich ihre Schreie in ihrem Schluchzen ertränken.

"Keine Sorge... er ist noch am Leben!", versichert Griselda schnell atmend, "Als allererstes bräuchte er etwas Wasser, denke ich, er scheint ganz ausgetrocknet zu sein!" Vermaledet noch mal! Ich hab meine Feldflasche oben gelassen, im Reisesack! In aller Hektik fordere ich Sira auf, mich schnell zurückzubringen, um das Wasser zu holen.
 

Als ich zurückkehre, hat Griselda es geschafft, Hena zu wecken. Er ist noch zu chwach, um zu sprechen, und leert die Feldflasche in einem Zug. Er lehnt sich noch mehr gegen die Balutrade der Erhöhung. Der alte kleinwüchsige Elf, dessen Haut wie Pergament an seinen dürren Gliedmaßen hängt und dessen Altersflecken darauf aussehen wie Tintenspritzer, hustet. Er bringt röchelnd ein leises "Da… danke…" hervor.

"Spar dir deine Kräfte, Hena…", empfiehlt Sira. Hena lächelt daraufhin und erwidert: "Um mich wirklich umzubringen... braucht es etwas mehr. Denn ich widmete mein Leben den Göttern... und dafür beschützen sie es." Seine Augen, welche tief in den Höhlen verborgen und vom Schatten seiner einer Gebirgslandschaft gleichenden Stirn bedeckt liegen, sehen aus wie Fenster zu einer Seele, die sogar noch älter ist, als der Mann es ohnehin schon sein muss. Er könnte sehr leicht älter als hundert sein, schließlich altern wir Albae und die Nymphen ab dem achtzehnten Lebensjahr kaum noch so schnell wie die Menschen. Hena trägt schmucklose lange Gewänder, die über seinen dürren, ausgehungerten Leib hinwegzudeuten versuchen.

"Sira... wer... wer sind diese Kinder?"

"Ich habe mit ihnen den weiten Weg von Welsdorf bis hierher zurückgelegt. Sie wollten unbedingt helfen! Hena... bitte sag mir nicht, du liegst noch seit dem Überfall auf die Stätte vor fast einer Woche hier!" Henas Gesicht verkrampft sich, als würde er weinen, aber keine einzige Träne verlässt seine Augäpfel.

"Doch…!", jammert er, "Doch, Sira! Ich habe nichts ausrichten können! ... Sira, wir... wir haben versagt. Das Siegelschwert... sie haben es zerstört!"

Man kann das Zusammensacken einer fliegenden Víla nur beschreiben, wenn man es wirklich selbst gesehen hat. Ruckartig haben ihre bunten Flügel aufgehört zu schlagen, in der Luft kippt Sira nach hinten um und wird von Griselda in den offenen Handfläche aufgefangen wie ein flügellahmer Schmetterling. Das grelle Grün ihrer Haut ist einem grünlichen Grau gewichen.

"Aus... es ist aus mit uns…", stammelt sie, die Worte zerrissen vor zwanghafter Selbstbeherrschung, nicht in komplette Hysterie auszubrechen.

Also sind wir zu spät gekommen. Nein, erkenne ich mit beginnender Frustration; wir hätten nie rechtzeitig da sein können. Das Schwert ist bereits seit dem Überfall zerstört, infolgedessen Sira verschleppt worden ist.

Der Sockel, in dem die Klinge einst gesteckt haben mochte, ist leer, nur noch ein winziger Splitter des Wertes liegt noch daneben. Verdammt noch mal!

"Das heißt... der Umgedrehte König ist jetzt frei...?!"

"Jetzt noch nicht…", sagte Hena und richtete sich langsam auf, um zur Rückwand der Halle zu gehen. Goldene Riliefe, wieder mit dieser schmerzverzerrten Grimasse, waren dort angebracht. Doch eines, das unscheinbarste meiner Meinung nach, erweist sich als Fortsetzung eines langen Metallstrebens in der Wand, den Hena ein Stück herauszieht. Er dreht ihn unter Ächzen um und dumpf ertönt so etwas wie das Klicken eines Schlosses, das geöffnet wird.

Hena bittet mich: Junge... bitte öffne die Tür gar... mir fehlt die Kraft."

Ich werfe Sira und Griselda noch einen mitleidigen Blick zu und packe dann das Relief, um es wie eine Türklinke zurückzuziehen. Hinter der Tür aus Ziegeln befindet sich eine riesige dunkle Steinplatte, in die altcardighnische Texte und kunstvolle Bilder eingemeißelt sind. "Dies hier... ist die Legende des Umgedrehten Königs."

Hena räuspert sich und fährt mit seiner faltigen aderunterlaufenen Hand über die erste Darstellung. Grässliche Wesen, vergleichbar mit Dämonen, mit Klauen und scharfen Zähnen bewehrt, mit widerlich grinsenden Gebärden und wildem Haar klammern sich an eine große Scheibe, klettern von unten empor und greifen mit den Händen nach den Ländereien auf der Scheibe. "Diese Geschichte... ereignete sich vor mehr als fünfhundert Jahren, irgendwann um das zweitausendsechshundertste Jahr des Aenea Aetas. Damals fiel eine riesige Bande aus dem Süden, die Umgedrehten Männer, über unsere Welt her..."

"Weshalb... weshalb nennt man sie überhaupt so?", kann ich endlich die Frage stellen, die mir schon seit meiner ersten Begegnung mit Sira auf der Zunge brennt.

Gena spricht weiter, als habe er keinerlei Kenntnis genommen: "So weit aus dem Süden kamen sie, aus dem Land, wo alles andersherum ist, sie kamen von... der anderen Seite der Erde." Er flüstert nur noch, als fürchte er, die Genannten könnten auftauchen bei der Erwähnung ihrer Heimat. "Ganz gleich, ob wir an eine kugelförmige oder flache Erde glauben."

Ich starre die Steintafel eindringlich an… von der anderen Seite der Erde. Wie weit weg das wohl sein mag? Haben sie dort gehangen oder gestanden, wie sind sie je hierher gelangt?

Einer... von ihnen... stach besonders hervor.", erzählt Hena weiter. Er deutet dabei auf das zweite Bild, wo eine der Abscheulichkeiten einen bärtigen Mann mit Toga, Krone und Zepter, offenbar einen hohen Herrscher, mit seinen Klauen aufspießt und dessen Blut in dem gezeigten Thronsaal vergießt. Das Bild ist erschreckend detailliert, ich kann Griseldas Gesichtsfarbe in Schreckensbleiche umschlagen sehen beim Anblick. "Er eroberte die Ländereien unserer Welt, zerriss das alte Cruenta Terra, tötete letztendlich sogar Kaiser Gerian I. de Las Xertos... man sagt, der Dämon soll zu diesem Moment kurz davor gewesen sein, sich die gesamte Welt einzuverleiben. Kriege im Volk, um sich greifende Seuchen und sich rasend schnell ausbreitende Hungersnöte waren die Begleiter seiner grauenvollen Feldzüge. Jedoch..."

Hena hustet und muss einen Augenblick lang die Geschichte unterbrechen. Er braucht Zeit, um tief durchzuatmen, als der Mantel aus Erschöpfung sich wieder auf seine alten Schultern legt.

"Doch die Götter konnten nicht länger einfach auf dieses Monstrum herabsehen, das sogar die Frechheit besaß, sie respektlos und brüllend wie ein Barbar herauszufordern.", spricht Sira auf ein mal weiter, nachdem sie Griseldas Hände verlassen und sich wieder in die Luft begeben hat, "Sie alle gegen ihn alleine, so soll er es verlangt haben, als die Priester ihn demütigst baten, es nicht zu weit zu treiben." Sie fliegt zu dem vierten Bild, auf dem der Umgedrehte König mit den Lumpen der Kaiserskleider verhüllt mit nur seiner einen Hand die Zeigefinger verschiedenster Götter aufzuhalten vermag. So unterschiedlich gestaltet sind die göttlichen Hände, man kann ohne eine komplette Darstellung unserer Weltschöpfer erkennen, um wen es sich handelt. Die dürren, nur noch aus Knochen bestehenden Finger zum Beispiel gehören eindeutig zum Totengott Mors, das efeubeschmückte sanfte Händchen ist ohne Zweifel das der Terra, der sonnenuhrartige Auswuchs auf einer anderen Handfläche weist sie einwandfrai dem zum Gott erhobenen Mathematiker und Erfinder der Zeit Tempus zu und noch viele, viele weitere Gottheiten sind auf so einfache, aber doch brillante Art dargestellt.

"Doch diese Kraft reichte nicht aus, schon längst war der Umgedrehte König niemand mehr, der sich so bezwingen ließ. So beschlossen die Götter, dieses Böse in das Totenreich zu verbannen und nie wieder zurückkehren zu lassen - und dafür brauchten sie einen Sterblichen an ihrer Seite, der den Kampf für sie stellvertretend Angesicht zu Angesicht führte." Ein junger muskulöser Mann reckt auf der nächsten Darstellung seine Waffe, einen prächtigen Beidhänder in die Höhe. Vier der göttlichen Hände berühren die lange Klinge. "Der auserwählte Sterbliche, der die Kraft von hundert Mannen besaß, den Mut einer gesamten Einheit und ein Herz rein wie ein Diamant, bekam einen Teil der Kraft der vier Elementargöttinnen... Magna Mater Terra, Susurrans Anima, Caeca Aqua und Fovens Ignis gaben ihm die Macht, Berge zu spalten, die Winde zu befehligen, das Wasser aufzuwiegeln und Feuer aus seinen Händen schießen zu lassen."

"Und somit... fand der Umgedrehte König sich bald gefangen... eine Hülle aus Stein hielt ihn fest, war geflutet mit eiskaltem Wasser, doch das Feuer ließ ihn gleichzeitig kochen und brennen, während die Winde sein Gesicht peitschten." Hena zeigt auf das letzte Bild, wo genau dies dargestellt ist. Hände, Füße und Kopf verschwinden von innen in einer Kugel aus Fels, in der das Wasser hier und da gefror, wo anders Flammen den Leib des Dämons belecken und brachiale Kratzer im Stein die schneidenden Winde zeigen. Und dort, wo der Kopf im Stein eingeschlossen ist, steckt das Schwert, mit viel Kraft in den Stein gerammt, der langsam in einem dunklen See versinkt.

IN PERPETUUM LABORET ET NUNQUAM APRICUM VIDEAT NEC UNQUAM IN IMPERIUM MORTALIUM RECURRAT NAM ISTE CORRUPTOR CUI NOMEN DIABOLUS SIT EST steht darunter. Ich kenne mich zwar mit der Altcardighnischen Sprache nicht so gut aus, aber ich kann erahnen, was in diesen paar Zeilen steht. Unverzeihliche Sünden muss der Umgedrehte König begangen haben, um so eine zweifelhafte Gedenkstätte bekommen zu haben.

Während Griselda wie gebannt weiterhin auf die Zeichen starrt, geht meine Aufmerksamkeit zurück zu Hena, welcher - fast übertönt vom Prasseln des Feuers - erklärt: "Das Siegelschwert ist wie eine Schraube, es hält die Kräfte der Göttinnen seit dem Versenken dieser Kugel im Totenreich zusammen... noch mögen sie den Umgedrehten König festhalten, aber ohne die Schraube werden sie auseinandergehen... hinforttreiben, sich unkontrolliert freisetzen und irgendwann diese Bestie freigeben."

Wer tut denn so etwas überhaupt?! Was hat jemand davon, wenn er dieses Siegel bricht und diesen Berserker wieder auf die Welt loslässt?!

Cheeta hat den Überfall veranschlagt und Sira hat gesagt, er könne nur der Diener eines anderen sein. Also wer steckt dahinter und weshalb tut er das? Diese Legende ist mehr als ein halbes Jahrtausend alt und diese Zeitspanne ist sogar für Elfen lang. Heute scheinen außer Griselda und mir nur der alte Mann und die Víla von dem Schwert zu wissen.

Hena seufzt langgezogen, ein Seufzer, der durch die Jahrtausende hindurch zurückgehalten worden zu sein scheint. "Ich weiß nicht, wie das passieren konnte... überall waren plötzlich diese Untoten. Ich habe noch versucht, sie aufzuhalten, aber sie haben mich zurückgedrängt... nachdem sie Sira entführt und dann noch das Schwert zerbrochen haben, war ich so feige, mich tot zu stellen, ich war entkräftet und fühle mich immer noch entwurzelt."

"Dir blieb nichts anderes übrig…"

"Und jetzt… gibt es auch nur eins, das getan werden muss…!", beginnt Hena düster und schaut besonders mich vielsagend an. "Wir müssen eine neue Schwertweihe durchführen. Wir müssen die Gnade der Göttinnen finden und ein anderes Schwert zum Siegel werden lassen."

"Etwa... etwa meines…?!", frage ich ungläubig. Jetzt wird es mir zu verrückt! Ein Schwert weihen…? MeinSchwert?!

Sira schaut Hena genauso verwundert an. Sie versichert sich noch mal: "Wir… wir können wirklich ein neues Schwert weihen?!"

"Wir haben nur dieses, dein Schwert, Junge; es ist besser als nichts. Und dieses… müsst ihr jetzt genau den Regeln der Weihezeremonie nach zu einer heiligen…" Er röchelt. "… Waffe machen. Sira, auch wenn du schon seit Ewigkeiten… nicht mehr wirklich durch Cardighna gerist bist… du weißt doch sicher noch ungefähr, wo… wo sich die Wunder der vier Göttinnen befinden, oder?"

"Aber natürlich, Hena! Das heißt also…"

"Ja…", raunt der alte Alba, "Die Göttinnen… konnten nicht direkt mit dem Auserwählten in Kontakt treten… genauso wenig wie sie selbst den Kampf… haben führen können. Um den Auserwählten dennoch ihre Kräfte empfangen zu lassen, hat jede der vier Göttinnen ein Wunder bewirkt, das… bis heute noch Bestand hat. Die Klinge muss… in ihnen gereinigt werden."

"Und was sind das für Wunder?", bin ich jetzt neugierig.

"Ich weiß nicht mehr, welcher Art diese Geschehnisse waren, doch wie Hena sagte: ich könnte die Orte, an denen sie sich befinden, selbst nach einem landesweiten Erdbeben wiederfinden! Und ihr zwei, Maljus und Griselda... ihr werdet mir zur Hand gehen, wie ihr euch dafür entschieden habt!"

Ich spüre ein Kribbeln, überall auf meiner Haut, in meinem Magen, ja selbst in meinem Kopf überkommt mich ein ganz neues Gefühl, eine wirkliche Abenteuerlust, viel stärker als meine einfachen Sehnsüchte nach neuen Erfahrungen. Meine kunterbunten Fantasien von der Außenwelt wachsen in ungeahnte Größen, die Farben meiner Vorstellungen werden viel klarer, sodass ich mich schließlich nach einem tiefen Luftzug, infolgedessen alle Zweifel, die mich zur gleichen Zeit abholen wollen, weggeweht werden, einverstanden erkläre: "Gut! So sei es denn, ich werde bei der Weihe des Siegelschwerts helfen, wie ihr es wollt, Hena und Sira!"
 

IV.
 

Nachdem wir Hena nach oben ins Haus gebracht und Griselda bei ihm gelassen haben, um sich um den alten Mann zu kümmern, sind Sira und ich noch einmal ins Heiligtum zurückgekehrt.

"So, und was willst du jetzt noch mal hier?", fragt Sira. Ich entgegne: "Dass ausgerechnet du nicht von selbst drauf kommst - ich will sehen, ob es Spuren zu finden gibt! Cheeta und seine Truppen müssen irgendwie ja zur Stätte gekommen sein."

"Ha, und wenn wir uns nicht verlaufen, finden wir raus, dass sie lediglich einen anderen Eingang zu den Katakomben benutzt haben als wir! Großartiger Fortschritt! Wenn es Hena schon besser ginge, hätten wir uns gleich darauf vorbereiten können, zum Mons Mortuorum zu reisen! Nein, stattdessen widmest du dich einer zum Scheitern verurteilten Suche!"

Ich bleibe abrupt stehen und schaue Sira wütend an, dann frage ich außer mich: "Ist es dir wirklich so egal, wer euch das hier angetan hat?! Wer das Siegel eines Monsters dazu bringt, zu versiegen und scheinbar wahllos Mädchen entführen lässt?! Wer Hena hat blutig schlagen lassen?!" Anfangs hält Sira meinem wutentbrannten Blick noch stand, schließlich gibt sie jedoch nach, zieht eine mitleidserregende Schnute und erwidert nichts mehr, sondern führt mich das letzte Stück zur Stätte.

In der Nähe der Eingangstür ist nichts zu finden, was darauf hindeutet, dass Cheeta samt seiner Einheit aus einem der anderen Gänge gekommen sind.

In der Marmorhalle brennt noch immer das Feuer und leuchtet alles gut aus. Auch die zersplitterten Steinstatuen, die überall stehen.

"Unglaublich...", empört sich Sira. Sie bedauert, wie die Kunstwerke binnen eines Angriffes vollkommen entstellt worden waren: "Sie haben hier gewütet, als wollten sie mit diesen Denkmälern auch unseren Glauben niederreißen… ob Cheetas Meister lediglich ein hassgeleiteter Häretiker ist?"

"Wir werden das schon rausfinden!", versichere ich und halte die Augen offen nach irgendetwas, was uns weiterbringen kann.

Nach langen Minuten des Suchen, das ohne Erfolg geblieben ist, lasse ich mich nachdenklich gegen die Wand sinken. Ich erschrecke, als die Wand einen Augenblick lang unter schleifenden Geräuschen nachgibt, ein wenig nach hinten rutscht, doch dann wieder standfest wurd. Verwundert drehe ich mich um, begutachte die Marmorplatte und grabe meine Finger schließlich in die Ritze zwischen den Platten.

"Hast du was gefunden?" Sira ist schnell wie der Blitz bei mir, da öffne ich auch schon die versteckte Pforte. Stolz grinsend zeige ich auf den finsteren Durchgang und lache: "Da haben wir ihn ja, den Eingang! War doch nicht verkehrt, mal nachzusehen, was?"

"Unser Gegner weiß nicht nur von dieser Stätte, sondern auch von einer ganzen Reihe anderer Geheimnisse...", knirscht Sira, während sie sich langsam von meinem Wissens- und Tatendurst anstecken lässt, "Schauen wir doch mal, wie gerissen er noch sein wird, wenn wir seinen Spuren weiter folgen!"
 

Nach einer Weile wachsen die Ausmaße des Ganges erheblich an, statt nur einer Person hätte jetzt genauso ein Zehnmanntrupp Platz. Die Decke ist in einer Schräge so weit nach oben gelaufen, dass das einzige Wesen, das sich jetzt noch beugen müsste, ein ausgewachsener Titanenmann wäre. Der Wandschmuck dafür nimmt in gleichem Maße ab, bald schon ist der Gang nichts weiter mehr als ein mit Steinpflaster ausgelegter Bergstollen, der steil aufwärts führt.

Sira hält mich davon ab, die Fackelreihe zu meiner Linken und Rechten zu entzünden, es könne jemanden am anderen Ende der Passage warnen. So bin ich weiterhin auf das Licht der Lampe angewiesen. Bleibt bloß zu hoffen, dass das Öl nicht vorzeitig verbraucht sein wird.

Da höre er auf einmal Schritte, ganz schnelle, hastige, die Füße setzen nur für Sekundenbruchteile auf dem Boden auf, und schon springt jemand mir entgegen, sich mit den Fäusten auf mich stürzend. Ich springe im letzten Moment zur Seite, wirbele herum, um einen Blick auf den Angreifer zu erhaschen. Der ungefähr gleichaltrige, junge Kerl mit den dichten, braunen Locken, welcher sich aus den Schatten geschält hat, funkelt mich entschlossen an.

"Wer zum Henker bist du?!", frage ich den Jungen. Er trägt edle, eng anliegende Gewänder wie einem hochrangiger Dienstbote. Goldene Muster zieren sein schwarzes ärmelloses Jackett, aus dem die weißen aufgebauschten Ärmel seines Seidenhemdes herausgucken. Ein scharfkantiges Gesicht ist dem Unbekannten zu Eigen, der keine Antwort gibt, sondern nur einen kurzen Schrei loslässt und wieder zuschlägt.

Diesmal entgehe ich ihm nicht, knapp am Magendreieck vorbei drücke seine steinharte, geballte Hand sich in meinen Körper hinein. Ich muss würgen und taumle schwindelnd und nach Luft schnappend zurück. Was für ein Wahnsinniger ist das denn?!

Ich gehe noch ein paar weitere Schritte zurück, schon schnellt der Braunhaarige wieder los. Schnell das Schwert blankgezogen und einen schnellen Schlag ausgeführt, aber der Angreifer springt einem Wiesel gleich zur Seite, rennt aus der Hocke los und schlägt nach meinem Gesicht.

Ich fange die Faust mit meiner Linken ab. Glücklicherweise bin ich mit dem anderen Jungen ungefähr gleichauf, was das Kampfgewicht aneht, und kann ihn gut zurückhalten. Als ich mit dem Schwert zuschlagen will, ist der Fremde es, der michaufhält, mein Handgelenk festhält und sein Bein hochschnellen lässt. Er trifft und erneut wird mir speiübel. Mit gesenktem Kopf starre ich meinen Kontrahenten an, wie er siegessicher grinst.

Nicht mit mir!, denke ich, atme noch einmal durch und mobilisiere all meine Kräfte, um ihn ein wenig zurückzudrücken, ehe ich ihm eine kräftige Kopfnuss verpasse. Ich schubse den angriffslustigen Pagen gegen die Wand des Ganges, wo er schließlich stehen bleibt und sich an die Schläfe fasst. Das hat gesessen!

"Gar nicht mal so übel…", meint der Braunhaarige dann mit fester, aber japsender Stimme, "Und ich dachte schon, ich würde hier als Wachposten vor Langeweile verrotten. War wohl gar nicht so falsch… dass mein Onkel damit rechnete, dass sich… irgendein Trottel hierher verirrt."

"Der Trottel ist wohl eher der, der mir… grade bestätigt hat… dass ich auf der richtigen Spur bin. Danke!" Aus meinem Augenwinkel schaue ich gequälten Lächelns zu Sira. Sie bleibt lieber bei der Sache und hält ihre Augen auf den jungen Mann gerichtet, der in ein heiseres Lachen verfällt, ehe er Gift und Galle spuckt: "So? Du hast wohl keine Ahnung, mit wem du sprichst! Spotte noch mal, wenn du hier lebend rauskommst!"

Er greift an, aber ich haue mit dem Schwert nach ihm, ziele auf seinen Arm und erwische diesmal auch. Die weiße Seide saugt sich voll mit dem Blut, das aus der Wunde fließt, Stunden teurer Webarbeit sind ruiniert. Der Unbekannte springt vor Schmerz zischend zurück.

"Ich glaube, bevor du mir genug Knochen brichst, dass ich ernsthaft in Gefahr sein könnte, wärest du längst an ein paar Schnittwunden verblutet!", lasse ich den anderen wissen. "Verrate mir wenigstens, wie du heißt!"

"Mein Name ist Aaron. Merk' ihn dir gut, das wird der letzte sein, den du hören wirst!" Er grinst zu meiner Überraschung. "Ich soll also verbluten? Woran denn bitte?" Er reißt sich den Ärmel vom Leib, nur um eine von bereits vergossenem Blut umrandete, völlig verheilte Stelle vorzuweisen.

Was?! Aber ich hab ihn doch eben noch- diese Verwirrung macht mich unachtsam, sodass Aaron sein Glück riecht. Ein unerwarteter Kinnhaken wirft mich zurück, zu Boden. Ah, das fühlt sich an, als habe er meinen Kiefer ausgerenkt! Dieses Arschl-

Aaron hebt seinen Fuß, um mir ins Gesicht zu treten, in seinem eigenen leuchtet bereits die Schadenfreude, bis Sira ihm einer wildgewordenen Biene gleich in selbiges fliegt. Der Schreck sitzt und drängt Aaron weg.

"Du kleines Miststück, verschwinde!" Er schnappt mit der Hand nach ihr.

"Deine Deckung ist offen!", rufe ich, nachdem ich aufgestanden bin und ehe mein Schwert einmal quer über Aarons Torso saust. Der junge Mensch schreit seinen tiefen Schmerz heraus und stolpert rückwärts weg von mir. Unter seinem Gewand rutscht eine kleine, schmucke Kette hervor, als die Wunde mit einem Mal beginnt, sich wieder zu schließen. Ein lupenreiner Edelstein hängt daran, hat gerade noch violett geleuchtet und ist nun wieder erloschen.

Aaron spuckt trotz der Heilung kurz Blut auf den Boden und muss erst wieder zu Atem kommen.

"Der Kerl hat einen Seelenstein!", stellt Sira währenddessen fest.

"Washat er?!"

"Einen Seelenstein! Dieser Bursche ist ein Umbramant! Hör zu, in diesem Edelstein ist Energie gespeichert, wenn nicht sogar ganze Seelen, die er irgendjemandem abgezapft hat! Damit regeneriert er in kürzester Zeit seine Wunden!"

"Schlaues Flattervieh…", bemerkt Aaron zähneknirschend und wischt sich das restliche Blut vom Mundwinkel. Er packt den Seelenstein. "Mit diesem kleinen Wunderwerk kannst du mich noch so oft verwunden und ich werde nicht daran zugrunde gehen!"

"Und was ist, wenn ich dir dieses Kleinod abnehme, du aufgeblasener Adept?!", erwidere ich trotzig.

Ich schlage nach Aaron und dem Kettchen gleichzeitig. Sofort hechtet Aaron beiseite, aber ich bin noch nicht fertig und bohre ihm das Schwert in die Schulter. Die Wunde verheilt zwar, doch für einen Augenblick ist Aaron vom Schmerz gelähmt. "Du bist weder unverwundbar noch unsterblich, Aaron! Du erleidest trotz Allem Schmerzen, die dir auch der Seelenstein nicht nehmen kann!" Ich schwinge mein Schwert und durchtrenne die Kette. Leise klimpernd fällt der Stein auf den Boden, in der Dunkelheit kaum sichtbar. Aaron reißt sein linkes Bein nach oben, schwingt es wieder hinab und direkt auf meine Hände. Reflexartig lasse ich mein Schwert los, das nun ebenfalls zu Boden gleitet. Fürchtend, Aaron könnte mir die Hand gebrochen oder zumindest verstaucht haben, stecke ich dann noch eine saftige Linke ein und lande schließlich auf meinem Hosenboden.

"Hochmut kommt vor dem Fall, was?", spottet Aaron abfällig grinsend, "Ich habe meinen Schutz verloren und du deine Waffe - was denkst du, wer von uns hat nun die besseren Chancen?" Ein weiteres Mal versucht Sira, Aaron in die Quere zu kommen, doch diesmal fegt er sie einfach beiseite.

Er knackt mit seinen Handknöcheln. Er kann es offenbar kaum noch erwarten, mir jetzt gar den Rest zu geben. "So, und nun mach ich kurzen Prozess mit dir, du grünäugies Spitzohr!"

Wenn mir jetzt nichts einfällt, ist es vorbei! Aaron ist kein unbegabter Kämpfer und seine Wut beflügelt seine Kräfte sicher auch noch. Dieser Irre hat das Ziel so klar vor Augen, dass-

Mein Gedankengang stoppt, als der Geistesblitz in mich fährt. Im selben Moment schlägt Aaron zu.

Ich habe gegenüber diesem Menschen einen eindeutigen Vorteil, einen, der mir seit meiner Geburt gegeben ist.

Ich packe meine Lampe, lösche das Licht und weiche mit einer Rolle zur Seite schnell noch aus. Nun ist es stockfinster auf dem langen Korridor, man kann nicht mal mehr die Hand vor Augen sehen. Ich gebe mir nun größte Mühe, mich so lautlos wie möglich zu bewegen. Aaron ahnt zwar, wo ich mich befinden mag, aber ich weiß es bei Aaron genau. Mein feines Elfengehör macht sich hier wirklich bezahlt - und Aarons ständige Flüche und Beschimpfungen es nur noch einfacher, ihn genaustens zu orten.

Als schließlich der Moment gekommen ist, an dem Aaron mir perfekt den Rücken zugewandt hatte, renne ich auf ihn zu, ramme ihm seine Faust ins Gesicht und remple ihn anschließend zu Boden, wo Aaron sich hustend sammelt.

Er keucht: "Du kleine Ratte… na warte, jetzt weiß ich, wo du bist!" Und dennoch verfehlt er, als er wieder auf die Füße springt und auf mich losgeht, welcher ihm davon springt.

Ich nutze die Gelegenheit schließlich, Aaron einen kräftigen Schlag in den Nacken zu verpassen. Ein abgewürgter Schrei entweicht dem Braunhaarigen noch, ehe er hörbar auf dem kalten Boden zusammenbricht.

"Der schläft 'ne Weile…", stelle ich stoßweise atmend fest und wische mir den Schweiß von der Stirn. Dann drehe ich mich zu dem grünen Leuchten, was wohl zu Sira gehört.

Obwohl ich gewonnen habe, ruft sie gleich: "Du Idiot! Wieso hast du die Lampe ausgemacht?! Kannst du mir mal sagen, wie wir jetzt hier wieder rauskommen?" Ich suche kurz noch den Boden nach seinem Schwert ab, finde es schließlich und stecke es schnell zurück, bevor ich antworte: "In einem so gerade verlaufenden Gang kann man sich wohl nur schwer verlaufen. Dass hier eine Wache war, lässt mich außerdem annehmen, dass wir so gut wie am Ziel sind."

Ich merke kurz auf, als ich am Boden auch noch den Seelenstein finde. Ich fühle einen kleinen Riss in dem magischen Schmuckstück. "Was machen wir eigentlich mit dem Ding?"

"Na was wohl? Hau ihn noch mal ordentlich auf den Boden, damit wir ihn bloß los sind! Die wenigen noch darin gefangenen Seelen können wir dann wenigstens in die Freiheit entlassen, denn glücklicherweise sind Seelensteine nicht besonders stabil. Sie sehen zwar wie Edelsteine aus, sind aber ungefähr so hart wie… ein wenig roher Kalkstein." Auf ein 'Probier es aus' warte ich gar nicht mehr, sondern schmeiße den Edelstein hinab, trete noch einmal hinterher und spüre Zufriedenheit in mir aufschäumen, als ich das Teufelsding unter meinem Fuß knirschen höre.
 

V.

Sira hat sich wenig später dazu breitschlagen lassen, blindlings den Weg fortzusetzen und so gelangen wir schließlich zu einer niedrigen Treppe, über der sich eine dünne Steinplatte hochheben lässt. Endlich wieder ein wenig Licht, auch wenn es durch einen dicken, weinroten Vorhang gedämpft wird.

Als ich aus dem Gang klettere, befinde ich sich in einem winzigen Erker. Die Wände sehen lang nicht so heruntergekommen aus wie die in den Katakomben, nein, sie sind schneeweiß, sogar mit feinem Stuck geschmückt.

Gerade will ich vor Erleichterung aufatmen, als ich Stimmen hinter dem Vorhang höre. Mir klopft das Herz prompt bis zum Hals.

"Und das ist alles, was du mir zu vermelden hast, Cheeta?", frage eine dunkle, angenehm sanft klingende Stimme mit einem herzhaftem Gähnen. Nur leise höre ich einen gewissen Unmut aus ihr heraus.

"Meister, was denkt ihr, wieviele junge Maiden es in ganz Cardighna gibt? Meine Männer haben bereits genug damit zu tun, sich unbemerkt durch die Wälder und Gebirge zu kämpfen!", entgegnet Cheeta schnaubend.

Ich höre, wie der andere Mann sich irgendetwas einschenkte und deute die kurze Stille so, dass er es trinkt. Nach einem Seufzer fährt er fort: "Cheeta, deine Entschuldigungen langweilen mich so sehr, dass mir nicht mal mehr der Wein wirklich schmecken will. War immer noch keines der besonderen Mädchen dabei?!"

"Nein, Meister Dyonix… alle magischen Proben haben fehlgeschlagen… Das wäre sicherlich auch nicht anders gewesen bei den Gören aus den südlichen Wäldern."

"… Was soll das heißen, Cheeta?", wird Dyonix da plötzlich hellhörig. Etwas knirscht, klingt wie die Antwort eines Sessels darauf, dass der Unbekannte, der darin sitzt, sich vorbeugt.

"Der Soldat, den ich damit beauftragt habe, diese blöde Víla zu entsorgen, ist bislang nicht zurückgekehrt. Vermutlich haben ihn die Dorfbewohner auseinandergenommen, viel gehört schließlich nicht dazu bei diesen hirnlosen Marionetten… trotzdem ärgerlich, vor Allem weil diese zwei Trottel, die einen einfachen Bauerntölpel in Keslynth für mich übernehmen sollten, genauso spurlos verschwunden sind!" Ich horche auf, mit dem 'einfachen Bauerntölpel' muss ich gemeint sein, genauso wie ich es gewesen bin, der den Skelettkrieger im Wald erledigt hat!

Dyonix zieht scharf die Luft ein. Er murmelt ungehalten: "Manchmal glaube ich, dass die Überreste meiner Mahlzeiten bessere Untote abgäben als du und deine Mannen!" Er wird lauter. "Also muss ich annehmen, dass diese Sache noch nicht gegessen ist und die Víla womöglich sogar noch am Leben ist?!"

"Meister, wir sprechen hier von einem geflügelten Weib, das ungefähr so stark ist wie eine Grille! Was soll das schon ausrichten?" Den Geräuschen nach zu urteilen, steht Dyonix nun auf - ruckartig. Von Teppichboden gedämpfte Schritte dringen durch den Vorhang.

"Genau deswegen bist du nur mein General, Cheeta, weil du diesen Sinn für Perfektion nicht besitzt!", sagt Dyonix. In seiner Stimme schwingt mit, dass er den Knochenmann nicht so recht als irgendwelchen Respekts würdig empfindet. "Ich habe lange auf diesen Moment hingearbeitet, weißt du? Ich bin so weit aufgestiegen, sogar bis zum Cardighnischen Premierminister, zum Consultor Maximus! Wenn ich auch nur das kleinste bisschen verpatzt hätte, könnte mein Plan jetzt noch wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen! Und ich müsste aus diesem wunderschönen, bequemen Schloss ausziehen…" Ich glaube, ich höre nicht richtig. Also sind wir in Schloss Ardsted, im Regierungssitz Cardighnas! Und wir belauschen gerade den zweitmächtigsten Mann im Staat, wie er Pläne schmiedet, die alles Andere als dem Wohle des Königreiches dienen! Das ist doch nicht fassbar!

Ich zeig ihm mal, wie schnell ihn sein Patzer ins Verderben führen wird, indem ich nämlich jetzt da reingehe!

Aber Sira hält mich zurück, zischt mir ins Ohr: "Du spinnst doch, du kannst doch jetzt nicht mit einem hochrangigen Politiker so eben kurzen Prozess machen!"

"Befehl deinen Männern sofort, sie sollen die Augen offen halten, Cheeta, vor Allem nach der kleinen Selet… ich will nicht, dass jetzt in der Endphase meines Planes etwas schief geht. Wir haben das Siegelschwert zerstört, die Kräfte der Göttinnen entladen sich bereits und in Kürze wird unser geschätzter Basgorn die große Zeremonie einläuten!", lacht Dyonix hinter dem Vorhang und Cheeta stimmt in den Ausdruck des bevorstehenden Triumphes mit ein.

Er meint: "Es ist sowas von durchtrieben, ausgerechnet einen Priester vom Terrakloster den Diabolus selbst beschwören zu lassen! Aber es könnte nicht besser sein, Meister Dyonix."

"Natürlich nicht, Cheeta! Aber nun sieh' zu, dass du von hier verschwindest, ich habe nicht mehr viel Zeit, Gustere will mich gleich bei einer wichtigen Verhandlung dabei haben. Er wird bald hier einschneien… dieser Noch-König!" Wieder lachen die beiden. Cheeta verabschiedet sich unter dem hörbaren Zusammenraffen seines Umhangs und auch Dyonix verschwindet nach kurzer Zeit aus dem Zimmer. Ich wage noch immer nicht, mich wieder zu bewegen, oder gar einen Blick hinter den Vorhang zu werfen. Sira stupst mich an der Nasenspitze an und zischt: "Nun los, wir müssen sofort zurück!"

"Wie, aber was…? Wollen wir nicht diesem Kerl nachstellen?!"

"Momentan haben wir Wichtigeres zu erledigen! Hast du nicht gehört?! Sie wollen demnächst einen gewissen Basgorn den Umgedrehten König aus dem Totenreich zurückholen lassen! Und das direkt im Terrakloster! Los, los, das müssen wir den anderen sagen und dann sofort alles für eine Reise zum Mons Mortuorum vorbereiten!"

Ich zögere, starre den Vorhang an, als werde er dadurch zur Seite geschlagen. Ist das richtig? Ich kenne jetzt den Namen des Schurken, der hinter allem steckt - aber nicht sein Gesicht. Auf das Drängen Siras hin drehe ich mich um und verschwinde wieder im Geheimgang.
 

VI.

Zurück in Henas Haus - Aaron ist noch immer bewusstlos und den Geheimgang haben wir n weiser Vorraussicht lieber wieder geschlossen - tragen Sira und ich dem alten Weisen und der jungen Hexe vor, was uns widerfahren ist.

"Der Cardighnische Premierminister Dyonix also…? Und ihr seid euch wirklich sicher?"

"Er selbst sagte, er sei der Consultor Maximus und Cheeta nannte ihn Dyonix.", bestätige ich dem alten Mann, "Ihr klingt so, als habet Ihr Zweifel?"

"Oh, nicht wirklich… ich habe schon lange nichts mehr mit der Politik dieses Königreiches zu tun. Nun heißt ein Premierminister eben Dyonix, vorher hieß er beispielsweise Herald oder Jikwos, bisher hat das dem Königshaus noch nie geschadet. Doch nun stehen die Dinge anders."

"Bestimmt plant er einen Umsturz des Königs, anders kann es nicht sein!", ruft Griselda ganz Feuer und Flamme, "Dyonix ist schon, seit ich gedenken kann, im Amt, er muss ein wahnsinniges Wissen über die Vorgänge in Cardighna haben!"

"Und er klang so zielsicher, dass wir uns nicht zu früh freuen sollten, ihm auf die Schliche gekommen zu sein! Denkt nur, er sprach davon, seinem Ziel so nahe zu sein, alles was fehlt ist, dass dieser… wie hieß er?" Sira kratzt sich nachdenklich an der Stirn, nuschelt etwas davon, dass die ganzen Mühen, die sie auf sich genommen hat, wohl langsam doch ihren Tribut einfordern.

"Basgorn?", werfe ich ein.

"Ja, richtig, alles was fehlt ist, dass dieser Basgorn irgendein Ritual abhält. Und er sitzt direkt im Terrakloster, ich könnte kochen vor Wut! Ausgerechnet an einem der vier Wunderorte!"

"Dann wird wohl Eile geboten sein, was?", will Griselda ganz nach Reisen dürstend wissen. Ein einziger Blick von Sira genügt ihr als Antwort, schon erhebt sich die junge Hexe von dem Hocker, auf dem sie gerade noch gesessen hat und will wohl zeigen, dass sie bereit ist, sofort aufzubrechen.

Mir jedoch ist das nicht so einfach recht, also erhebe ich Einspruch: "Nun mal nicht so schnell! Ihr wollt jetzt sofort gleich weiter? Wohin genau überhaupt?"

"Na, zum Terrakloster natürlich! … Du weißt schon, auf dem Mons Mortuorum!" Ich ziehe eine Schnute, ja, ja, natürlich weiß ich das - ohne jemals überhaupt von der Existenz dieses Ortes gewusst zu haben.

Sira hüstelt: "Maljus kennt sich nicht besonders gut in der Gegend hier aus… eigentlich in so ziemlich gar keiner, außer vielleicht den südlichen Wäldern." Staunend - fast schon beeindruckt - guckt die Silberhaarige mich da an.

"Ein richtiger Waldelf also?"

"Nun, wir leben nicht auf den Bäumen, falls du das jetzt denkst… so wirklich naturverbunden sind nur noch die Alten, auch meine Familie hat sich nie viel aus dem Wald gemacht. Er bietet Schutz, Nahrung und auch Baumaterial, aber für uns ist er keine Gottheit oder dergleichen!" Wäre besser, das gleich jetzt zu sagen, nicht, dass Griselda sonst noch was von mir denkt; dass ich irgendeinem Barbaren gleich barfuß durchs Unterholz schleiche, mich mit jungen Jahren im Schlangenkampf geübt hätte oder was man den Urahnen des Elfengeschlechts noch so nachsagt, wenn nicht sogar andichtet. Die Bezeichnung 'Hochelf' gefällt mir da doch wesentlich besser.

"Aber zurück zum Wesentlichen - wenn die Damen damit einverstanden sind, würde ich nämlich noch gerne eine warme Mahlzeit einnehmen - das gehört schließlich auch dazu, wenn man neue Erfahrungen macht, nicht wahr?"

"Und da wollte er uns noch weis machen, er sei kein bisschen primitiv!" Aufgeregt zuckten meine Ohren bei Siras zynischer Bemerkung. Griselda derweil sieht hellauf begeistert aus.

"Nichts lieber als das! Das Essen in Ardsted ist fantastisch, es gibt nichts, was wir nicht haben! Frischesten Fisch vom Salzigen Tal und der Gersaitbucht, saftigstes Bergziegenfleisch, würzigste Kräuter und schmackhaftestes Gemüse von den Feldern außerhalb der Stadt und natürlich herzhaftes Fladenbrot aus den Räucheröfen! Ich kenne da ein wunderbares Lok-"

"'Wir'? Kommst du etwa aus Ardsted?", harkt Sira Griselda das Wort abschneidend nach, worauf diese ausweichend antwortet mit: "Nun ja, ich habe hier einige Jahre meines Lebens verbracht." Sie überspielt ihre leise Nervosität mit einem Lachen. "Wollen wir dann los? In mir tut sich jetzt auch schon richtig der Kohldampf auf, jetzt, wo ich so drüber nachdenke!" Das ist doch ein Wort! Ich kann's kaum erwarten, all diese Leckereien zu probieren!
 

VII.
 

Sich von Hena verabschiedend und ihm versprechend, bald mit froher Kunde zurückzukehren, verlassen wir das Armenviertel, tauchen wieder ein in das Ardsted des schönen Scheins und Prunks, wo ein Tagelöhner seltener ist als ein Kraniosteon oder eine nicht ganz so überfüllte Straße.

Griselda führt mich mit genauen Weganweisungen zum Forum Duo Regum, auf dem eine Reiterstatue der Königsbrüder Jeremis und Jokus an die Zweikönigszeit erinnert. In prächtige Harnische gepackt sitzen die Enkel unserer Landesmutter Cardighna von Ardsted auf dem sich aufbäumenden Ross aus Marmor, während Jokus seinen Bogen gespannt und Jeremis seinen Gladius in der Rechten hält. Ganz so viel Begeisterung, wie all die um die Statue sich drängenden, edel gekleideten Scholaren kann ich aber beim besten Willen nicht aufbringen, höre ich doch auch noch mit einem Ohr Griselda zu, die mich mit allerhand Wissen über dieses Lokal, das wir aufsuchen wollen, vollstopft.

Dass ich plötzlich wie wach gerüttelt bin, der jungen Dame überhaupt keine Aufmerksamkeit mehr schenke und kurz mein Pferd anhalte, liegt nur an einem einzigen Mann, der sich aus der Menge zwängt. Er wirft mir einen kurzen undeutbaren Blick zu und geht wortlos an mir vorüber.

Forsiano! Das war grade eindeutig Forsiano, der sich nicht nach mir umdreht, als ich ihm mit offenen Mund nachstarre. Mein schwarzhaariger Mentor geht mit schnellen, aber nicht hektischen Schritten auf ein Gasthaus zu, das da den Namen trägt: Zum Fass ohne Boden

Ich greife die Zügel, lenke das Pferd herum und lasse das Tier bis dorthin traben. Ich werde überschüttet von Fragen, was ich vorhätte, ob ich wirklich in diese überteuerte Spielunke wolle und was mich überhaupt auf so eine Idee bringe - sowohl Sira als auch Griselda halten mich für verrückt.

Ich höre nicht zu, steige ab und trete in den Gästeraum ein. Der Alkoholgeruch ist so penetrant, dass er in meiner Nase brennt, das hohle Klacken der Bierkrüge, die gegeneinander geschlagen wurden im fröhlichen Gelage, erklingt so musterlos und zahlreich, dass das Gehämmer in einem Steinbruch nicht mithalten könnte. Die Holzbalken der Decke verschwinden in grauem bis braunem Rauch von teurem Tabak oder billigen Kräutermischungen, die in Pfeifen vor sich hin kokeln.

Wo ist Forsiano denn jetzt? Ich sehe nach links, sehe nach rechts, starre zum Tresen, an dem ein richtiges Mannsweib die Stammgäste bedient, oder Zimmer vergibt, aber da ist der breitschultrige Oberlippenbartträger auch nicht.

Noch in Gedanken versunken, wo ich weiter nach ihm suchen sollte, schlägt mir plötzlich jemand auf die Schulter. Zusammenzuckend und überrascht schaue ich hinter mir hoch, zu dem mich anlachenden Gesicht.

"Mensch, dass wir uns so früh schon wiedersehen, hätte ich nicht gedacht!" Mit einem halb geleerten Bierkrug in der Hand und bis über beide Ohren grinsend guckt Craylo mich an. Der ist auch hier in Ardsted?

Der Magier scheint sich prächtig zu amüsieren und noch ehe ich ein leises 'Hallo' herausbringe, entdeckt er auch schon Griselda. "Ah, die gute Dame ist auch wieder da, wie schön! Es scheint ja doch noch mal alles gut gegangen zu sein!"

"O- oh, Herr Craylo! Das ist aber eine Überraschung!", erwidert Griselda flatterig, "Deswegen bist du also hier rein, du hast ihn schon gesehen, was, Maljus?"

"Dass ich das noch erleben darf! Jemand, der Craylo einen Besuch abstattet - ohne von ihm ein wenig geborgtes Kleingeld fürs Bier wieder zu kriegen!" Die hämisch zu lachen beginnende Stimme klingt, als ertöne sie aus dem Nichts. Ich sehe mich sofort nach dem Ursprung ihrer um, aber zu niemandem in der Nähe will dieser schrille, gackernde Ton passen. Craylos Mundwinkel rutschen etwas herunter.

"Aber Carod, nun sag doch nicht sowas! Du weißt doch genauso, dass Craylo vorbildlichst diesen Kindern geholfen hat! Es ist nichts Außergewöhnliches, dass sie sich dafür bedanken!" Eine weitere Stimme, viel sanfter als die andere, aber noch ein wenig höher, gesellt sich in unsere eigenartig werdende Unterhaltung. Hör ich jetzt schon Stimmen?!

Nein, auch Craylo wird zunehmend aufgeregter, da meldet sich die erste der beiden Stimmen aus dem Nichts wieder: "Oh ja, Craylo, der große Held! Beschwatzt die Schwachen und lässt die Starken die Arbeit machen! Hey, Craylo, es geht das Gerücht, du brauchst Geld für ein weiteres Bier? Hier sind offenbar zwei, die dir das Geld mit vollen Händen entgegenwärfen!" Ich verstehe überhaupt nichts mehr und der Magier zischt irgendetwas, bis er sich räuspert. "Ignoriert das besser.", rät er uns.

Ein Grinsen schleicht sich plötzlich in sein Gesicht. "Da fällt mir ein… so richtig vorgestellt habe ich mich ja noch gar nicht. Lasst mich das nachholen!" Er wirft seine Hände empor, schon entbrennen zwei helle Flammen über seinen Handflächen, spalten kleinere Kügelchen aus Feuer ab, die sich zu einem wellenförmig auf- und abschwingenden Kreis formen. Mit einer weiteren raschen Handbewegung taucht der Rauch plötzlich von der Decke hinab, schlängelt sich um den Feuerkreis, bis sich winzige Schuppen aus dem wabernden Graubraun schälen und ein echsenartig zulaufender Kopf mit langer Mähne und schnaubenden Nüstern sich bilde. Die drachenartige Schlange beißt sich schließlich in den eigenen Schwanz, immer noch um den Kreis gewunden, da löst Craylo seine beiden Dolche von seinem Gürtel, wirft sie empor und überkreuzt seine Arme, die Finger so weit spreizend, wie er nur kann. "Mein Name ist Craylo, ich bin…"

Die funkelnden Klingen in Schwarz und Silber rasen hinunter. Kurz bevor sie den Boden berühren, fliegen sie wieder hinauf, knapp an Craylos Händen vorbei und köpfen den Drachen aus Rauch, während das Feuer mit einem Mal wieder erloschen ist. Gebannt haben Sira, Griselda und ich alles mit angesehen, von der Vorstellung so perplex, dass wir die plötzliche Stille im Gasthaus gar nicht wahrnehmen. Man hätte eine Stecknadel fallen lassen können, Craylo haucht bloß noch: "… Magier!"

Mit den Knöcheln wird auf die Tischplatten geklopft, wo die Krüge scheppernd erzittern, geklatscht wird wie nach einem bestens besuchten Theaterstück, grölend jubeln die Tavernenbesucher Craylo zu, was er mit einem zufriedenen Grinsen wahrnimmt. "Na, war das beeindruckend?"

"Oh, wie lange ist das her, dass ich einen richtigen Schaumagier gesehen habe!", platzt es aus Sira heraus, die sich aus meinem Kragen bewegt und auf Craylo zufliegt, dem sofort alle Gesichtszüge entgleiten. "Ich dachte schon, es gäbe sie gar nicht mehr, diese wunderbaren Gaukler, die Magie so wunderschön darstellen können!"

"Schaumagier? Gaukler?! Heißt das, der Mann ist nichts weiter als ein Taschentrickser?!" Griselda ist empört. "Und ich dachte schon, hier stünde ein großer Magier vor mir, kein Bauernfänger oder Scharlatan!!"

"Nein, nein, nein, Ihr versteht das falsch, ich binMagier, junges Fräulein, ganz ehrlich!"

"Lass dich nicht kränken, Craylo, es können genauso wenig Leute sagen, so geschickt mit magischen Flammen, Ranken, Rauch, Wind und Erdbrocken solch ein Spektakel inszenieren zu können, wie für den Kampf verwendbare Magie zu wirken!", versuchte die hellere Stimme zu trösten, "Außerdem beherrscht du immer noch Telekinese! Das ist sogar noch seltener, eine wirkliche magische Veranlagung zu haben! … Und na ja, sprechende Dolche sind wohl genauso ungewöhnlich!" Meine Augen gleiten sofort zu den beiden Dolchtaschen, obwohl ich mir sicher bin, dass der uns schon wieder einen Bären aufbinden will. Es soll ja schließlich neben Magiern, Untoten und Dämonen auch Bauchredner geben, doch da seufzt Craylo und im selben Moment meldet sich die andere Stimme: "Uns erwähnt dieser seelische Beistand für Arme natürlich zuletzt! Hey ihr Leute, die Ihr uns grade anschaut wie das Wunder von Carlem! Ihr habt die große Ehre, die einzigen beiden sprechenden Dolche der Welt zu beglotzen! Ich bin Carod!"

"Und mein Name ist Dorac, freut mich, Euch kennenzulernen!"

"Jetzt ist aber gut, ihr zwei, seid ruhig!", zischt Craylo mit verschränkten Armen. Seine Lippen haben sich zu einem flachen, dünnen Strich zusammengepresst. Er macht Anstalten, sich aus dem Staub zu machen, kann seinen Blick aber nicht so recht von Sira lösen, die immer noch vor seinem Gesicht schwebt.

Nach einer Weile fragt er aufgeschmissen: "Und... mit wem habe ich hier noch das Vergnügen?"

"Äh, das ist Sira, sozusagen meine eigene kleine einzigartige Begleitung!", sage ich, packe die Víla und setze sie auf seine Schulter. Zähneknirschend frage ich: "Was ist denn aus deiner eigenen Penibilität, 'unsichtbar' zu bleiben, geworden?!" Sie schaut beleidigt zurück, weiß nichts Rechtes zu erwidern und verkriecht sich wieder in meinem Kragen.

Nach einem Räuspern erkundige ich mich: "Apropos Begleitung, wo ist denn der andere Exorzist, dieser A-"

"Alex?", fällt Craylo mir wie aus der Armbrust geschossen ins Wort, "Der sitzt da drüben an einem Tisch. Wollt ihr ihn sehen?"

"Gerne! Dann können wir uns auch noch mal richtig bei ihm bedanken, wir hatten ja kaum Zeit, letztes Mal miteinander zu reden!", willigt Griselda sofort ein.

Craylo ist anzusehen, dass er froh über diesen Themenwechsel ist und so führt er uns durch die Tischreihen bis zu einem einsamen Ecktisch, wo der blonde Exorzist saß und sich ein duftendes Gulasch einverleibt.

Als der merkt, wer da an seinen Tisch tritt, schaut er auf und schenkt uns allen ein Grinsen, versetzt mit dem Spruch: "Ah, der große Krieger hat sich von seiner letzten großen Tat erholt!" Augenblicklich sinken meine Brauen und Mundwinkel nach unten. Danke für die Blumen. "Na, nun nimm's mal nicht so schwer, Kleiner! Bist besser davon gekommen als deine Gegner! Na los, setz dich hin mit deiner Freundin und lass mich dir was ausgeben!"

Erst, als ich schon den Stuhl unter seinem Hintern spüre, erwidere ich ganz aus der Ruhe: "Äh, Freundin? Meint Ihr Griselda?"

"Wenn die junge Dame so heißt, würde ich das mal annehmen, ja."

"Hehe, das junge Glück ist immer das, was man am liebsten leugnet.", beteiligt sich Carod auch gleich, "Hexe und Schwertkämpfer, zwar nicht ganz so romantisch wie Prinzessin und Ritter, aber um Dorac Freudentränen abzuringen, wird es ja wohl ausreichen!"

"Carod, als Dolche sollten wir uns nicht zu weit aus dem Fenster hängen bei dem Thema Liebe. Da beneide ich diese beiden ja schon! … Und heulen ist erst recht nicht unsere Meisterdisziplin."

"Ha, Craylo wird sicher auch gleich grün, wann hatte der das letzte Mal denn eine-" Mit hochrotem Kopf bedeutet Craylo den beiden, ruhig zu sein, rutscht unruhig auf seinem Platz hin und her. Noch unruhiger sogar als ich, der ganz überrumpelt das Gespräch mitverfolgt hab, das über meinen Kopf hinweg geführt worden ist. Ich sage: "Ihr versteht das falsch, Griselda ist nicht meine Freundin, wir reisen bloß zusammen!"

"Na, wenn du meinst." Alex zuckt mit den Schultern, lehnt sich etwas nach vorne und flüstert mit dubiosem Zwinkern: "Aber was nicht ist, kann ja noch werden." Er zieht sich wieder zurück, isst wieder etwas und winkt die Wirtin herbei. Aus meinem Kragen höre ich derweil Sira kichern: "Wo er Recht hat, hat er wohl Recht."

"Sei doch ruhig!", zische ich.

"Also, ihr zwei, was darf's sein? Fruchtsaft für die Dame und für den Herren ein ordentliches Bier?"

"Was, aber-"

"Also, Frau Wirtin, macht schnell, Ihr habt gehört, was die beiden wollen!", ruft Alex. Schon wieder so irritiert, wie ein Magierlehrling, der in seinem Studienzimmer plötzlich im Platzregen steht, verfolgen meine Augen die Frau, aber ich schaffe es nicht, Einspruch zu erheben.

So starre ich im nächsten Moment auf einen Bierkrug vor mir, während Griselda still grinsend an ihrem Saft nippt.

Craylo senkt seine Stimme etwas und sagt: "Nimm es ihm nicht übel. Er hat auch ein wenig über den Durst getrunken… wenn er nicht hinschaut, tauschen wir die Krüge, alles klar?"

Einen Augenblick später bin ich damit also um eine Sorge ärmer, erlaubee mir, mich etwas zurückzulehnen und nun auch etwas zu Essen zu bestellen.

Craylo ist es, der mitten im stillen Beisammensein, gedenkt, sich zu erkundigen: "Sagt, wohin seid ihr eigentlich unterwegs?"

"Nun, wir hatten eigentlich vor, als Nächstes zum Mons Mortuorum aufzubrechen." Ganz nebensächlich habe ich es klingen lassen, doch dass ich es überhaupt erwähnt hab, ist für Sira Grund genug, mir an den Nackenhaaren zu zerren - ein durchaus unangenehmes Gefühl, wie ich die Zähne aufeinanderschlagend feststellen muss.

Alex schaut bei der Erwähnung des Berges blitzschnell auf und mustert mich eindringlich. Craylo wird ebenfalls kribbelig und verfolgt aufmerksam die Blicke, die gewechselt werden.

"Was wollt ihr da?", fragt der blonde Dämonenjäger misstrauisch.

"Nun, was man eben so am Mons Mortuorum will.", antwortet Griselda schneller, als ich gucken kann, "Der Toten gedenken und ein Gebet für ihr nächstes Leben abhalten. Gibt's da etwa ein Problem?"

"Oh… oh, natürlich. Nein, tut mir leid." In sich gekehrt lässt Alex seine Augen auf die Tischplatte hinabstarren, verschränkt die Hände ineinander. Kommt es mir nur so vor, oder ist es mit einem Mal im gesamten Lokal ruhiger geworden? Eben ist Alex noch überglücklich gewesen, ein wenig aufgedreht sogar, nun introvertiert und wieder so unnahbar wie bei unserer ersten Begegnung.

"Nun, ist das nicht wunderbar? Wir sind zufälligerweise auch zum Mons Mortuorum unterwegs! Vielleicht könnten wir den Weg ja gemeinsam bestreiten!", lockert der silberne Dolch Dorac zu jedermanns Überraschung die Stimmung, "Oder möchtet ihr nicht…?" Ich halte mich mit einer Antwort zurück, bevor Sira mich wieder maßregelt. Da flüstert sie: "Zöger' nicht so und ergreif die Gelegenheit beim Schopfe! Das sind Exorzisten, offenbar auch nicht die eigennützigsten, als Absicherung hätten wir wenig Besseres an unserer Seite!"

"Ja, warum nicht? Ich hätte nichts dagegen.", sage ich also. Siras Plan ist einleuchtend, wenn auch ein wenig hinterhältig. Aber vielleicht kann man die vier ja auch hinterher ins Vertrauen ziehen. Jetzt jedoch drängt die Zeit und wir wissen nicht, wem man wirklich trauen kann und wem nicht.

Alex hebt leicht resigniert seine Brauen und nimmt mich visuell in den Schwitzkasten, sodass ich mich zu fragen beginne, was mit dem Kerl bloß los ist. Schließlich lassen Alex' Augen mich los. Er steht auf und meint: "Na, meinetwegen.", obwohl es in meinen Ohren mehr klingt wie ein "Wenn es unbedingt sein muss.". "Aber wir werden zeitig aufbrechen, also seht lieber zu, dass ihr morgen früh auf der Matte steht!" Er wartet keine Reaktion ab, sondern verlässt schnurstracks den Gastraum.

"Dorac, ich bin so stolz! So langsam hast du den Dreh raus, den Leuten genauso die Laune zu verderben wie ich!", stichelt Carod, als wir anderen still Alex hinterherschauen. Das lässt der silberne Dolch aber keinesfalls auf sich sitzen und ereifert sich: "Ich dachte nur, es wäre schön, ein paar Bekannte zu guten Freunden zu machen! Dann muss ich mich nicht ständig mit dir herumplagen, du alter Miesepeter!"

"Na, na, nun mal ganz ruhig. Aufregen und beschimpfen ist immer noch meine Aufgabe, ja?"

"Weswegen ist er denn plötzlich so aufgebracht?", fragt Griselda, an Craylo gewandt. Als Antwort darauf kratzt dieser sich nervös an der Wange und murmelt: "Nun ja… das… äh… ich denke, das sollte er euch selbst sagen. Ich will ihn nicht noch verärgern, indem ich persönliche Dinge ausplaudere." Seine Unterlippe knetend schiebt er noch hinterher: "Aber so wütend kann er auch nicht gewesen sein, immerhin hat er dann ja doch 'Ja' gesagt."

"Genau!", pflichtet Dorac bei, "Vielleicht ist er nur zu schüchtern, uns seine Freude offen zu zeigen! Das würde zu ihm passen!"

Carod prustet: "Ja, es würde passen zu einem Mann, der so schüchtern ist, dass er dem Wirt in Keslynth direkt hat wissen lassen, was er von den Preisen der Zimmer hielt! Kleines Detail: Fäuste und ein Schwert waren am Ende involviert!" Und gerade habe ich schon begonnen zu denken, Alex sei vielleicht wirklich nur ein wenig unglücklich veranlagt in Sachen Zwischensterbliches. Aber ist wortwörtliche Schlagfertigkeit für einen Exorzisten nicht sogar sowas wie eine Tugend?
 

VIII.
 

Viel geschieht an diesem Tag nicht mehr, wir essen gemeinsam und spielen anschließend mehrere Runden Yömigä. Alex bleibt die ganze Zeit fern.

Als ich mich dann zu Bett begebe, sage ich noch scherzend zu Sira: "Wenn du uns morgen wieder so früh weckst, sind wir bestimmt noch vor Alex reisefertig."

"Ach, du bist ein Depp!", kommentiert sie bloß.

Kaum eingeschlafen, finde ich mich zum zweiten Mal jetzt auf dieser eigenartigen Klippe wieder.

Sie existiert noch? Bin ich nicht letztes Mal in einen sich plötzlich auftuenden Abgrund gestürzt? Doch diese Gedanken lösen sich langsam von mir, bis sie ganz verschwunden sind. Stattdessen finde ich mich in dichtem Nebel wieder, der das Haus im Sand wie einen verschwommenen Umriss aussehen lässt.

Zu dieser Silhouette kommt bald auch schon die Forsianos hinzu, der aus dem Nebel tritt. Er sieht älter aus, macht einen geknickten Eindruck.

"Na, Junge, wir sehen uns also wieder!", begrüßt er mich dennoch mit einem müden Grinsen. Ich erwidere den Gruß mit einem einfachen: "Viel Zeit ist ja nicht vergangen."

"Nein, wahrlich nicht!"

"Ich glaube sogar, dich erst heute gesehen zu haben! In Ardsted nämlich, in der Nähe eines Lokals namens 'Zum Fass ohne Boden'.", komme ich schnell zu dem, was mir siedend heiß eingefallen ist, sobald ich Forsiano vor mir habe auftauchen sehen.

Forsiano aber hebt ungläubig seine Augenbrauen, seine Züge hellen sich zu einem belustigten und beherrschten Lächeln auf, bis er schließlich erwidert: "Mich gesehen? In Ardsted? Das kann nicht sein, ich war noch nie in der Hauptstadt! Das musst du dir eingebildet haben."

Skeptisch senke ich meinen Kopf und meine Augenbrauen zugleich, macht der sich da grade über mich lustig? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Mann in ganz Cardighna gibt, der Forsiano so verdächtig ähnelt!

Mit einem sachten Klopfen auf die Schulter sagt Forsiano dann: "Nun, aber wir sehen uns ja trotzdem! Was sagst du, ist dir wieder nach ein wenig Kampfübung?" Ich lass mich nicht erst lange breitschlagen, sondern nicke ihm bloß zu.
 

Dies mal läuft es schon etwas besser, aber Forsiano ist mir noch immer weit überlegen. Als ich versuche, einen seiner Angriffe abzuwehren, muss ich schon nach kurzer Zeit feststellen, dass ich einen Mann von dieser Statur schlecht aufhalten kann.

Kaum bin ich auf meinem Hosenboden gelandet, erklärt Forsiano: "So wird das nichts, Maljus! Nur ein Dickschädel ist so stur, sich mit mir anzulegen, obwohl er grade mal so ein Würstchen wie du ist!"

"Und was soll ich dann deiner Meinung nach tun? Mich gleich ins Schwert werfen?!", blaffe ich Forsiano im Gegenzug zu der Betitelung als Würstchen an. Der Oberlippenbartträger kommentiert dies mit einem unbeeindruckten Lachen. "Das wiederum würde ein hoffnungsloser Tor machen! Da du mir kräftemäßig mehr als unterlegen bist, musst du dir etwas anderes einfallen lassen, dich auf etwas verlassen, worin ich dir nachstehe. Fürs Erste ist Schnelligkeit eine deiner Stärken. Wenn du meine Angriffe fliehst, treffe ich genauso wenig."

Forsiano überlegt, wobei er ständig an seinem Spitzbart zupft und mich eindringlich anstarrt. "Als du mit diesem Jungen namens Aaron gekämpft hast, hast du auch bewiesen, dass du andere Qualitäten als starke Arme mitbringst. Das mag Glück gewesen sein, oder auch ein schneller Verstand, ich weiß es nicht."

"… Sag mal Forsiano, wieso weißt du überhaupt von all meinen Kämpfen?", kommt mir da in den Sinn. Ich verspüre einen winzigen Anflug von Kopfweh, als ich bedenke, dass das Wissen dieses Manns verdächtig lückenlos ist. Kann eine echte Person all dies wissen? Der Kampf mit Cheetas Laufburschen könnte leicht beobachtet gewesen sein, er hat mitten in Keslynth stattgefunden. Die Auseinandersetzung mit Aaron aber ist tief unter Ardsted, wo man keine einzige Seele vermutet, ausgetragen worden.

"Du stellst Fragen für jemanden, der das Kämpfen lernen will. Sagen wir, ich bin eine Art Geist… fast immer unsichtbar, aber doch da. Und ich bin hier, um eine Aufgabe zu erfüllen." Skeptisch wiederhole ich: "Ein… Geist?" Jetzt will er mich definitiv auf den Arm nehmen.

"Ja, und ich bin in der Welt der Sterblichen, um etwas zu erledigen."

"Was da wäre?", bohre ich neugierig nach. Dem muss man wohl alles aus der Nase ziehen. Im nächsten Moment ist Forsianos riesige Pranke von Hand auf meiner Schulter, ich werde angegluckst und gefragt: "Dich zu einem richtigen Kämpfer auszubilden, was denn sonst?"

Um Einiges schlauer fühle ich mich jetzt nicht, eher lässt es Forsiano noch undurchsichtiger wirken - wie gegensätzlich zu den Geschichten über körperlose Wesen, durch die man hindurchsehen kann wie durch einen dünnen Schleier.

"… Ich sehe, dass du immer noch nachdenklich gestimmt bist.", stellt Forsiano trocken fest und rüttelt mich wortwörtlich aus meinen rasenden Gedanken. Gut bemerkt. "Aber was ist, bereit für eine weitere Runde?" Das muss er nicht zwei mal fragen, egal, was für ein Geist Forsiano ist, wenn er sich schon die Mühe macht, mich aufzusuchen und zu trainieren, will ich das ausnutzen!
 

Schließlich, schier endlose Kämpfe später, aus denen ich noch immer nicht als Sieger hervor gehen kann, lässt Forsiano sein Schwert verschwinden und will, für mich ganz aus heiteren Himmel, wissen: "Sag, Maljus, wie hältst du's eigentlich mit den Mädchen?" Wie vom Blitz getroffen schnelle ich herum und starre ihn an. Wie kommt der denn jetzt auf das Thema?!

"Wieso willst du das wissen?", ist meine sofortige Reaktion, ehe ich nach etwas Überlegen noch anmerke: "Ich hatte bisher eher den Eindruck, dass du mich sowieso rund um die Uhr beobachtest, solltest du da nicht sowieso wissen, was Sache ist?"

"Ah, du hast mich durchschaut! Ich wollte nur sehen, wie du reagierst. Und na ja, in deinen Kopf kann ich noch nicht reingucken, daher muss ich doch noch fragen, ob du nicht vielleicht ein Auge auf eine Maid geworfen hast."

"Ich denke nicht, dass ich momentan die Zeit habe, Röcken hinterherzujagen. Immerhin gibt es einen Premierminister samt Handlangern, den es aufzuhalten gilt!", erwidere ich entschieden. Forsianos Mundwinkel und Augenbrauen zucken mit spöttischem Aufhorchen nach oben.

"Diese Hexe zum Beispiel scheint doch nett zu sein. Und außerdem solltest du dir das nicht so auflasten - du bist noch jung, nicht das Holz, aus dem man legendäre Helden schnitzt. Der Prophezeite von grade mal vierzehn Lenzen?" Er lacht.

Mir wird immer mulmiger. Muss ich mich jetzt auch noch mit Beziehungsratschlägen meines Mentors rumschlagen? Aber irgendwas daran ist faul…

Ich wundere mich: "Willst du mir etwa davon abraten, Sira zu helfen?"

"Das habe ich nicht gesagt.", verteidigt sich Forsiano gelassen, "Ich finde es vorbildlich, wie du dich einsetzt, aber für dein Alter ist das nicht das Richtige, oder? So etwas ist es doch gar nicht, was du dir wünschst, nicht wahr?"

Ich kann nicht umhin, Forsianos Lächeln als schmierig anzusehen und mich bedrängt zu fühlen. Fest sehe ich den Schwarzhaarigen an und halte ihm entgegen: "Selbst wenn das stimmen würde, könnte ich jetzt nicht einfach Sira und Griselda mit ihrer Mission alleine lassen! Weil Sira mir eine Möglichkeit gegeben hat, endlich diesem Wald, der für mich früher die einzige Welt darstellte, zu entfliehen, und weil ich mit diesem Bastard von Cheeta noch eine Rechnung offen habe, bleib' ich dabei!" Mir ist gar nicht aufgefallen, wie laut ich geworden bin, ich habe Forsiano gradezu angeschrieen.

Der nickt überzeugt. "Gut gebrüllt, Löwe.", gibt er zurück, "Ich sehe, dass du deinen Entschluss gefasst hast. Und das ist etwas, worauf man bauen kann!"

"… Bitte?"

"Ich habe dich getestet!", ruft Forsiano, großspurig seinen Zeigefinger erhoben, "Ich wollte sehen, ob es dir auch wirklich ernst ist! Denn ein fester Wille gehört dazu, ein Schwert zu führen. Wenn du zögerst, wirst du deinen Opponenten weder treffen noch besiegen können. Er wird dich erwischen und dem Erdboden gleich machen. Wer das Heft nicht fest hält, kann auch mit der Klinge nicht zielen. Klingt nachvollziehbar, oder?" Dieser Geist steckt voller Überraschungen. Das ist also bloß eine andere Übung gewesen! Nun lache auch ich und fasse mir an den Kopf. "Man, da bin ich dir aber auf den Leim gegangen!"

"Ach was!", erwidert Forsiano, "Nichts, wofür du dich schämen müsstest!" Er senkt seine Stimme etwas. "Aber überlege dir, ob du es nicht doch wagen möchtest, dieses Hexenfräulein etwas näher kennen zu lernen. Tu es lieber, bevor es zu spät ist."

"Dafür hab ich auch später noch Zeit.", lehne ich dennoch ab, um nicht länger darüber reden zu müssen. Das ist ja, als würde Gart mich beschwatzen. Da verspüre ich glatt die Lust, Forsiano selbst auf den Zahl zu fühlen und mal zu fragen, ob er sich denn um eine Herzensdame bemüht. Ich lass es aber lieber.

Forsiano zuckt nur mit den Achseln und brummt ein fast unverständliches "Wenn du das denkst…"

Er macht plötzlich kehrt und entfernt sich ganz unerwartet.

Ich rufe: "Hey, wo gehst du hin, wollen wir nicht noch etwas üben?" Doch Forsiano bleibt nicht stehen, oder kommt zurück, er schaut mich bloß noch ein mal an.

Was für ein glasiger trauriger Blick das doch ist. Was ist plötzlich los, ich begreife das nicht.

Forsiano sagt bloß: "Die Zeit vergeht manchmal schneller, als man denkt."

Da fängt er an, sich in Luft aufzulösen. Dies mal geschieht es ruhig und gleichmäßig im Gegensatz zu seinem flackernden Verschwinden beim letzten Mal. Und auch die Klippe zerbricht dies mal nicht, es tun sich keine Risse im Boden auf, sondern sie verschmilzt langsam mit dem Meer, schrumpft, den Nebel in sich aufsaugend und das Haus sich ebenso einverleibend. Alles flacht ab und wird zu Einem. Übrig bleibt nur tiefe Leere.

Und ich falle rücklings um.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Azahra
2012-04-13T08:22:25+00:00 13.04.2012 10:22
Morgen :),

Ardsted ist eine Stadt zu der das Motto aus Uhi, innen Pfui passt ;)
Ich bin schon ganz gespannt auf die Weihe des Schwertes! >< Kann es kaum erwarten!!!
Maljus hat sich nicht schlecht gegen Aaron geschlagen, immerhin war es einer seiner ersten richtigen Kämpfe :)

Ich finde es lustig das die beiden Exorzisten wieder dabei sind :D Diese beide Stimme ... es sind sprechende Dolche oder? Die Idee ist genial XD
Musst mehr als einmal Schmunzelnd bei ihren Bemerkungen :)

Forsianos ist ein ... Geist? O.o Da wäre ich auch umgefallen XD
Mal sehen wie Maljus erwachen wird, hihi

cucu
Azahra


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