Walk the line von abgemeldet (Das Leben geht weiter) ================================================================================ Kapitel 6: Part 3 - Herbstfarben -------------------------------- "Kai? Kai!" Kai war wach. Er war schon wach gewesen, bevor das Stakkato an seiner Zimmertür ihn aufgeschreckt hatte. Er hatte die Rolläden nach unten gelassen, inzwischen aber wieder die Schreibtischlampe angeknippst. Stirnrunzelnd stand er auf und warf im Vorbeigehen einen kurzen Blick auf den Wecker. Misstrauisch machte er die Zimmertür auf, und stand wie erwartet Nathalie gegenüber, die schon auf den ersten Blick einen furchtbar aufgewühlten Eindruck machte. "Ist es nicht ein bisschen zu früh, um mir schon auf die Nerven zu gehen?" Anders als gewohnt hielt das Mädchen sich diesmal nicht mit seiner Unfreundlichkeit auf, sondern schnappte: "Klappe, hör mal zu! Ich muss erstmal gehen, Mika ist aber da, wenn irgendwas ist- Wobei das natürlich unwahrscheinlich ist, ich wollte es nur gesagt haben, für den mit null- komma- null- null-eins prozentiger Wahrscheinlichkeit eintretenden Fall, dass du bemerkt hättest, dass ich weg bin. Achso, also..." Kai dachte daran sie zu fragen whin sie wollte- ungefähr eine Viertelsekunde lang."In Ordnung." Er schloss mit einer ausholenden Bewegung die Tür, leise aber nachdrücklich, ohne auf ihr verdutztes Gesicht zu achten. Heute blieb er ungewöhnlich lange in seinem Zimmer. Langsam hatte er diese ganze Szenerie so oder so satt. Er würde es niemals zugeben, aber er war mehr oder weniger aus Verzweiflung in diese WG geflüchtet. Er hatte keine annehmbaren Alternativen. Wieder einmal schweiften seinen Gedanken zu dem Menschen ab, der seine Situation vielleicht als einziger annähernd verstehen würde. Ob es seinem Besten Feind wohl besser ergangen war? Er hoffte es, wie er wahrscheinlich nie zuvor etwas für eine andere Person gehofft hatte, aus ganzem Herzen. Und das war schon merkwürdig. Es sah ihm einfach nicht ähnlich, und er war sich ziemlich sicher, dass er sich bei jeder anderen Person längst damit abgefunden hätte. Mit dem Abschied. Normalerweise. Aber es war viel passiert, und Tala loszulassen wäre gewesen, wie seine eigene Vergangenheit loszulassen, und das konnte er nicht.Und das wollte er nicht. und bis vor gar nicht so langer Zeit hatte er gar nicht gewusst, dass es ihm so schwer fallen würde. Kai hatte einfach nicht anders gekonnt. Wäre er nicht da rausgekommen... Anfangs war er in sein gehasstes Elternhaus zurückgekehrt, zurück zu seinem Großvater gewissermaßen. Er hatte geglaubt es würde ganz einfach sein. Er hatte geglaubt er könnte endlich zur Ruhe kommen. Er hatte geglaubt er würde endlich vergessen können. Er hatte wiedereinmal gehofft. Er hatte sich wiedereinmal geirrt. Diese Präsenz war überall gewesen. Kai hatte maßlos unterschätzt, welche Wirkung die unerwartete Abgeschiedenheit und Erinnerungen und Zeit zusammen haben konnten. Vielleicht war er einfach zu emotional und empfindlich geworden; zu weich. Letztendlich war das Warum unwichtig. Wichtig war nur, dass er aufgegeben hatte, er hatte aufgegeben und seine Koffer gepackt und vor Erinnerungen kapituliert... Wie man es auch ausdrückte, es klang nach Schwäche. Und jetzt war er hier. Ob das eine Veränderung zum Guten oder zum Schlechten war, darüber konnte man sich zwar streiten, aber es war eine Veränderung, und vorerst war nue das wichtig. Natürlich hatte er längst nicht mehr geschlafen - Der Teufel, auch bekannt als Voltaire Hiwatari sollte ihn holen, wenn er jemals nach fünf Uhr morgens noch gut schlafen konnte. Vielleicht hatte er diese nacht auch überhaupt nicht geschlafen, jedenfalls erinnerte er sich nicht mehr an irgendwelche Träume. Wie dem auch sei, er fühlte sich trotzdem zerschlagen, als hätte man ihn gerade aus einem langen, aber sehr unruhigen Schlaf gerissen. Als er in die Küche kam stand Mika an den Tresen gelehnt da. Sie sah mindestens so schlimm aus wie Kai sich fühlte, womöglich schlimmer, denn kaum hatten seine Augen sich an das grellere künstliche Licht gewöhnt, fühlte er sich schon viel wacher. Als sie ihn entdeckte, wie er so mit locker verschränkten Armen und ein wenig schräg gelegtem Kopf in der Tür seines Zimmers stand - bemerkenswert spät, selbst für einen Morgen wie diesen, aber vielleicht war sie einfach nur in Gedanken gewesen - gab sie ein verwundertes Geräusch von sich und hätte fast vor Schreck ihre Kaffeetasse fallen lassen. "Du bist ja noch da, verdammt!" Diese Bemerkung quittierte Kai nur mit einem säuerlichen Blick und griff an ihr vorbei nach der Kanne. Was das anging war er ausnahmsweise absolut auf andere angewiesen. Wenn es etwas gab, wofür er zu seiner eigenen Überraschung einfach kein Talent entwickelte, dann war das Kaffeekochen. Und da Nathalie sich auf ihre sture Art weigerte ihn als Vorbild zu nehmen und sich mit Kaffee wach zu machen, blieb Mika die Einzige in diese Haus, die etwas Trinkbares auftischen konnte. Außer Thomas- aber was der konnte und was nicht spielte ohnehin keine große Rolle- man bekam ihn einfach nie zu Gesicht. Wahrscheinlich war es auch besser, dass Nathalie, dieses nervöse, rothaarige Ding nichts Aufputschendes zu sich nahm. Nie, wirklich niemals hatte Kai damit gerechnet wie Tyson damals gewesen war, als sie sich kennenlernte, aber wenn diese kleine Russin so weitermachte, würde der Weltmeister noch ziemliche Konkurrenz bekommen- wenn auch nicht beim Bladen. Und genau das war der Punkt. Tyson war zwar nervtötend, dafür aber auch umso talentierter, das Mädchen war einfach nur anstrengend. Und auf dieses anstrengende Mädchen kam Mika - das andere anstrengende Mädchen - jetzt zu sprechen. "Nathalie ist im Krankenhaus.", sagte sie, und Kai glaubte schon an ihrer Stimme zu hören, dass niemand gestorben war. Das genügte ihm. "...Hm..." Wobei er sich zugegebenermaßen nicht sicher war, ob das etwas geändert hätte. Ein wenig irritiert fuhr sie fort: "Ich weiß noch nicht genau, wann sie wieder kommt. Ihr Bruder hatte einen Unfall oder sowas. Keine Ahnung, was da los ist. Aber sie hat einen Anruf bekommen und war weg. So wie sie klang war's ziemlich schlimm." Das war nicht wirklich ein grund um sich Sorgen zu machen. Schließlich war offenbar nach wie vor niemand gestorben. Also gab er nur ein äußerst fasziniertes Schulterzucken zur Antwort, was Mika leider nicht davon abzuhalten schien einfach weiter zu reden. Da sie sich bei ihrem ewig langen Monolog anscheinend in Rage geredet hatte ließ Kai sie weiter machen und widmete sich seiner Tasse. Ob man davon wohl süchtig werden konnte? Er war sich nicht sicher, glaubte aber zu wissen, dass dem so war. Kaffeesucht... Sollte er schonmal mit der Vorbeugung- naja gut, mit der Entziehungskur anfangen? Schließlich entschied er, dass es ihm ziemlich egal war, von was er abhängig war, und von was nicht. Andererseits würde das bedeuten, dass er nicht mehr alleine lebensfähig war, und das passte ihm wiederum nicht. Gereizt verdrängte er den unsinnigen Gedanken. Kaffeabhängig... Tze. Andererseits- schon das Wort! Abhängig... Klag nicht sonderlich schön. Spontan verzog er das Gesicht und kippte den Rest in den Abfluss. Adièu... Mika sah auf und unterbrach sich. "Schmeckt der nicht? Ich kann neuen machen. ich bin heute ziemlich durcheinander." Genervt schüttelte Kai den Kopf. "Vergiss es. Ich bin weg." Er hatte nicht die geringste Ahnung gehabt, dass es einen so großen Teil von Moskau gab, den er nicht kannte. Es gab allerdings auch nicht viel zu sehen, für dass es sich lohnen würde, diesen Weg zu kennen. Die meisten Häuser standen scheinbar leer und hatten dringend eine Renovierung nötig. Die Straßen waren fast wie ausgestorben, nur selten hastete jemand mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Blick vorbei. Es wusste wohl jeder hier von vornherein wohin er wollte. Nachdenklich betrachtete Kai die Schneeflocken, die in gewohnter Form zu Boden segelten wie Millionen von Federn. Das musste man sich erstmal überlegen! Sogar der Schnee kannte seinen Weg! Dieser zugegebenermaßen nicht allzu revolutionäre Gedanke, versetzte Kai einen unerwarteten Stich. Dabei hatte er bis jetzt doch auch immer einen Plan gehabt. Einfach um des Lebens Willen zu leben war nicht sein Ding. Aber trotzdem war er jetzt hier, irrte auf den Straßen umher und suchte nach zerstreuung die er ohnehin nicht finden würde. So ieles hatte sich geändert. So vieles war passiert. Plötzlich erspähten Kais scharfe Augen Licht an einer Ecke, an der es keins geben sollte. War hier denn nicht alles ausgestorben? Ohne weiter zu überlegen trat er näher an das Geschäft. Die Ladenfront bestand nur aus einem schmutzigen Schaufenster, hinter dem er nur ein leeres und angestaubtes Regal sehen konnte. Die Fassade des großen Gebäudes war so zerfallen und heruntergekommen, dass die Schrift auf dem Schild über dem Eingang nicht mehr zu entziffern war. Es sah aus als wäre hier lange Zeit niemand mehr gewesen, aber warum brannte hier dann Licht und durchdrang die geisterhafte Nebelschwaden, die, obwohl es erst früher Mittag war über der Stadt lagen? Widerstrebend näherte Kai sich der durchaus noch robust wirkenden Tür. Mit zusammengekniffenen Augen musterte er das Schild, das an einer schweren Kette dort hing- und erkannte erstaunt, dass es ein >Geöffnet<- Schild war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)