Hölle: Klassenfahrt von Ur (Lavi x Yuu) ================================================================================ Kapitel 1: Die Hölle, Tag 1 - Ankunft ------------------------------------- Er saß in der Hölle. Ja, das hier war seine persönliche Hölle. Der jüngste Tag seines Lebens war gekommen und er verbrachte ihn in einem Reisebus mit lärmenden Klassenkameraden, die Weingummi in sich hineinstopften, lauthals Witze erzählten, sinnlose Kartenspiele spielten oder irgendwelche Lieder sangen, von denen ihm ganz schlecht wurde. Klassenfahrt. Ein Wort, das bei ihm Übelkeit und Ekel hervorrief. Er würde fünf Tage lang mit einer Gruppe von 20 unterbelichteten Armleuchtern in einer pekigen Absteige irgendwo in der Nähe von irgendeinem bescheuerten, sandigen Strand verbringen. Das bedeutete: Lachende Klassenkameraden in Badehosen, kreischende Mädchen im Wellengang, grölende Jungs auf einem Beachvolleyballfeld und klebriger Sand überall an seinem Körper. Er hasste es jetzt schon, bevor er überhaupt angekommen war. Neben ihm war ein Platz frei und das war ein Glück, denn so musste er sich nicht mit einem dieser kreischenden Mädchen oder mit einem der pubertierenden Kerle herumschlagen. Er hatte ein Buch aus seinem Rucksack gezogen und versuchte nun angestrengt, sich darauf zu konzentrieren. Eine Anstrengung, bei der er grandios versagte. „…sicher ganz toll!“ „…geile Schnitten am Strand, man! Im Bikini!“ „…abends immer einen saufen gehen, Alter!“ „…Lavi-kun vielleicht endlich mal näher kommen…“ Er spürte, wie seine Augenbraue bei der letzten Bemerkung zu zucken begann. Mit einem kaum wahrnehmbaren Knurren schlug er das Buch heftiger zu, als es nötig gewesen wäre. Natürlich. Sie alle geierten Lavi an und lechzten danach, ihm bei diesem Gruppennonsens näher zu kommen. Sicher würde Lavi jeden Abend in seinem Zimmer belästigt werden, von irgendwelchen hormongesteuerten Barbiepüppchen, die sich alle ein nettes Wort von ihm erhofften. Während er sich noch darüber aufregte, wie geschmacklos all diese sabbernden Mädchen waren, dass sie ihre Aufmerksamkeit diesem nichtsnutzigen Feuermelder schenkten, erhob sich vorne im Bus seine Klassenlehrerin und lächelte strahlend in die Runde, als wäre sie das Christkind mit einem Berg Geschenke. „Ich denke, es ist langsam an der Zeit, dass wir die Zimmerverteilung besprechen!“ Auf diese Aussage folgte dreckiges Gelächter auf Seiten der Jungen und aufgeregtes Kichern auf Seiten der Mädchen. Er beschied sich damit, misstrauisch die Augenbrauen hochzuziehen. Zimmerverteilung? Er war von Einzelzimmern ausgegangen! „Wir haben zwei Viererzimmer, ein Sechserzimmer und drei Zweierzimmer“, erklärte das Christkind. Kanda starrte sie an. Zweierzimmer? Viererzimmer? SECHSERZIMMER!? Er, Yuu Kanda, sollte sich dazu herablassen mit einem dieser beschränkten Vollpfosten ein Zimmer zu teilen? Vielleicht sogar mit mehreren von ihnen ein Zimmer zu teilen!? Er öffnete schon den Mund, um Einspruch zu erheben, als ein Tumult losbrach. „Wir nehmen das Viererzimmer!“ „Dürfen Mädchen und Jungs zusammen in ein Zimmer?“ Die schockierte Antwort des Christkinds auf diese Frage lautete: „NEIN!" Kanda spürte einen Muskel an seinem Kiefer zucken. Gerade war er zu dem Entschluss gekommen, dass vielleicht sogar ein Viererzimmer am erträglichsten war, weil er sich dann nicht weiter mit den drei Restinsassen beschäftigen musste wie zum Beispiel in einem Zweierzimmer, als das Christkind auch schon einen Zettel hervorgekramt und einige Namen notiert hatte. „Also sind die Viererzimmer vergeben an: …“ Kanda knurrte die Lehne seines Vordermannes an. „Lenalee und Miranda in ein Zweierzimmer, dann bleiben noch zwei Zweierzimmer übrig, Allen-kun, wie wäre es mit dir und Kanda-kun?“ Eine nervöse Stille senkte sich über den Bus. Kanda krallte seine Finger in die Lehne neben sich. „NEIN!“, riefen sie beide gleichzeitig und das Christkind sah einigermaßen pikiert aus, angesichts dieser heftigen Reaktion. „Ich geh gern mit Yuu in ein Zimmer“, tönte es zwei Sitzreihen hinter ihm, „dann kann Allen sich mit Alystair ein Zimmer teilen.“ Er wandte seinen Kopf sehr langsam nach hinten um. Seine grünen Augen trafen auf ein Paar blauer, als Lavi strahlend zu ihm herüberwinkte. Es schien als hätte das Christkind seinen Weihnachtsmann gefunden. Seine Augenbraue zuckte mordlustig. Er würde Lavi dafür so was von-… „Na wunderbar, dann haben wir ja jetzt alle Zimmer verteilt!“ Er hatte es gewusst. Diese Klassenfahrt würde das Ende seines Lebens beschließen und Lavi war sein persönlicher, penetrant grinsender Henker. * „Wow, Yuu, ist doch ziemlich gemütlich hier, was?“ Er starrte in das Zimmer. Lavi hatte gerade voller Inbrunst die Tür aufgestoßen und stand nun strahlend in dem winzigen Zimmer, dass von der Größe her eher einer Abstellkammer glich, als einem richtigen Zimmer. Wenn er an sein Zimmer zu Hause dachte, kam ihm dieses Kabuff vor wie ein Besenschrank! Er knirschte als Antwort lediglich missbilligend mit den Zähnen, trat argwöhnisch in das Zimmer und betrachtete voller Abscheu das Stockbett - er hasste solche primitiven Dinge wie Stockbetten... -, den zerkratzten Tisch an dem kleinen, ziemlich milchigen Fenster und den schmalen Kleiderschrank, der aussah, als wäre er von einem sechsjährigen Hobby- Tischler aus Spanplatten zusammengebastelt worden. Wenn Lavi das hier als gemütlich empfand, dann wollte er wirklich nicht wissen, wie es bei ihm zu Hause aussah. Wohlmöglich noch schrecklicher und der elende Dauergrinser fühlte sich hier wie in einem Luxushotel. Einfach lächerlich… „Willst du oben oder unten liegen?“, fragte Lavi gut gelaunt und beförderte ihn aus seiner Gedankenwelt zurück in die Realität. „WAS?“, fragte er vollkommen verwirrt und starrte Lavi an, der ihn angesichts dieser heftigen Reaktion erstaunt musterte. „Im Stockbett, Yuu. Willst du oben oder unten liegen?“ „Nenn mich nicht Yuu, Baka- Usagi!“ Natürlich… das Stockbett. Hatte er völlig verdrängt. Und es war ziemlich peinlich, dass er diesen harmlosen Satz auf diese zweideutige Art und Weise verstanden hatte. Immerhin gab es zwischen ihm und Lavi überhaupt nichts Zweideutiges. Die Verhältnisse waren völlig klar: Er und Lavi konnten sich auf den Tod nicht ausstehen! „Irgendwie finde ich es cool, wenn du mich so nennst.“ Nun ja. Er konnte Lavi jedenfalls überhaupt nicht ausstehen. Er stellte seinen Koffer neben das Bett und betrachtete das Stockbett misstrauisch. Wenn er oben schlief und das Bett zusammenfiel, würde es schmerzhaft werden. Allerdings würde er Lavi dann eventuell zerquetschen und er hätte das Zimmer für sich allein. Klang irgendwie einladend. Andererseits wäre es ziemlich peinlich, wenn dieses morsche Bett gerade unter ihm zusammen brach. „Unten“, knurrte er ungehalten und verfrachtete seinen Koffer prompt auf das untere Bett, das beängstigend knarrte, als die Last auf ihm landete. „Wunderbar, ich lieg eh lieber oben!“, strahlte Lavi, kletterte behände auf das Bett und warf sich gut gelaunt rücklings darauf. Es quietschte lächerlich laut. Keine zweideutigen Gedanken. Yuu Kanda dachte nicht zweideutig, das musste er sich in Erinnerung rufen! Und schon gar nicht im Zusammenhang mit dem Häuptling der Vollidioten… Er öffnete seinen Koffer und begann damit, seine Klamotten auszupacken. Als er jedoch den Kleiderschrank geöffnet und ihm ein sehr muffiger Geruch entgegengeschlagen hatte, räumte er sämtliche Klamotten wieder zurück in den Koffer. Lavi war unterdessen wieder von seinem Stockbett herunter geklettert und hatte die Tür zum angrenzenden Bad geöffnet. „Das Licht geht nicht“, verkündete Lavi mit vergnügter Stimme. Er spürte, wie seine Augenbraue erneut gefährlich zuckte. Er trat ins Bad und schlug mit seiner Hand zweimal auf den Lichtschalter. Tatsächlich: Kein Licht. Er knurrte. „Macht ja nichts. Wir können die Tür auflassen, wenn wir duschen und Zähne putzen, dann kommt genug Licht rein“, sagte Lavi gut gelaunt, schob sich an ihm vorbei und machte sich daran, seine Schuhe auszuziehen und sie hinter die Tür zu pfeffern. „Verwandel dieses Zimmer nicht in dein übliches Chaos“, warnte er den dümmlich grinsenden Feuermelder. Lavi lachte. „Ach Yuu, sei nicht immer so verbittert, wir haben frei! Das hier ist eine Klassenfahrt, kein Bootcamp!“ Er würde ihn umbringen! Auf der Stelle! „Ich bin nicht verbittert“, fauchte er ungehalten. Lavi summte nur vor sich hin und antwortete nicht. Er hasste es, wenn man ihn nicht mit der gebührenden Aufmerksamkeit bedachte. Immerhin, auch Lavi schien nach einem Blick in den Schrank zu dem Schluss gekommen zu sein, dass er seine Klamotten lieber nicht dort hinein legen wollte und so verfrachtete er seinen Koffer neben das Stockbett, klappte ihn auf und begann, darin herum zu wühlen. Er fragte sich, wie Lavi diesen Koffer überhaupt zubekommen hatte. Die Kleidung darin war nicht im Mindesten zusammen gelegt, sondern einfach irgendwie hinein geworfen. Wenn seine Augenbraue heute noch öfter so heftig zuckte, dann bekam er sicher bald Gesichtslähmung. Kapitel 2: Die Hölle, Tag 2 - Strand ------------------------------------ Diese FF erfüllt in etwa alle schrecklichen Klischees, die eine Klassenfahrt- FF so erfüllen kann. Eigentlich schäme ich mich ja dafür :D Aber es macht auch irgendwie ganz viel Spaß, mal sowas komplett Plattes zu schreiben *hüstel* Solang es nicht zum Flaschendrehen oder 'Tat oder Wahrheit' kommt, ist noch alles im dunkelorangenen Bereich ;) Ich hoffe, ihr mögt es! Viel Spaß beim Lesen, Eure Paperflower _________________ Wie er erwartet hatte, es war die Hölle. Frühstück an einem sehr langen Tisch mit all diesen Armleuchtern. Es hätte keinen Tischnachbarn geben können, der ihm nicht auf den Keks gegangen wäre, abgesehen vielleicht von Lenalee, aber die saß zwischen der Bohnenstange und dem wandelnden Unglück und lachte über Miranda, die gerade Marmelade in ihren Schoß hatte tropfen lassen. Er starrte lustlos auf sein garantiert aufgebackenes Brötchen mit Käse. Nicht einmal Buffet gab es hier, nein, sie mussten sich an einer Theke anstellen und bekamen alle in Massenabfertigung eine Portion von was auch immer auf den Teller geklatscht. „Yuu, schmeckt’s dir etwa nicht?“, erkundigte sich eine fröhliche Stimme neben ihm. Er wandte Lavi sehr langsam das Gesicht zu. Aus irgendwelchen Gründen hatte der Feuermelder beschlossen, lieber nicht bei seinem Kindergarten sitzen zu wollen und hatte sich zu seinem großen Missfallen direkt neben ihn gesetzt. Offenbar deutete Lavi seinen entnervten Blick richtig, denn er hustete leise und wandte sich mit übergroßem Interesse seinem Brötchen zu. Er nahm seine Brötchenhälfte in die Hand und biss ab. Der Käse schmeckte nach Nichts und das Brötchen war so trocken, dass es tausende Krümel zu allen Seiten schleuderte. Er grummelte kaum merklich. Ohnehin fragte er sich im Stillen, während er auf dem ungenießbaren Brötchen herumkaute, wie er die erste Nacht mit Lavi in einem Zimmer hatte überleben können, ohne dem Wahnsinn anheim zu fallen. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen hatte Lavi ihn überhaupt nicht gestört. Nein, er hatte ihn in aller Stille sein Buch lesen lassen. Tatsächlich hatte Lavi auch gelesen. Die halbe Nacht. Genau wie er selbst. Und er hatte dabei keine nervenden Kommentare gemacht, oder herumgenervt, wie er das sonst immerzu tat. Kanda musste sich eingestehen, dass er davon sehr überrascht gewesen war, als sie um drei Uhr morgens schließlich das Licht ausgeschaltet hatten. Lavis ‚Schlaf gut!’ hatte er natürlich geflissentlich ignoriert. Er würde jegliche Konversation mit dem Nervsack so gut es ging umgehen, immerhin wollte er seinen gesunden Menschenverstand behalten und wenn man Lavis Kindergarten betrachtete, dann sah man ja, wohin zu viel seiner Gesellschaft führte. Nachdem er ein halbes Brötchen aufgegessen hatte, legte er den Rest angewidert zurück auf den Teller und dachte gerade daran, dass er wohlmöglich einen elenden Hungertod sterben würde, als ihre Lehrerin sich an der Stirnseite des Tisches erhob und mit einem strahlenden Lächeln in die Runde blickte. Er verdrehte die Augen. „Ich denke, es sind alle damit einverstanden, wenn wir an unserem ersten Tag einen Strandtag einlegen…“, begann sie. Kanda fuhr sich mit der Hand über die Augen. Er hatte so etwas geahnt. Und so wie er seine Lehrerin kannte… „…Pflicht für alle, würde ich meinen…“ Gerade versuchte er zu verdrängen, dass er eine Badehose würde tragen müssen… „…Gruppenaktivitäten…“ Er schloss die Augen und unterdrückte ein genervtes Stöhnen. „Mensch Yuu, das wird sicher super! Strand, Sonne und Meer! Und denk nur an all die hübschen Mädchen im Bikini!“ Er hob den Blick und funkelte Lavi an, der ihn so breit anstrahlte, dass Kanda einen Moment um sein Augenlicht fürchtete. „Mir ist schon schlecht genug von dem Brötchen, danke“, zischte er und erhob sich abrupt, als sich die Tischgesellschaft auflöste, um schnatternd in Richtung der Zimmer zu gehen. Alle sprachen vom bevorstehenden Strandtag. Er marschierte den Gang entlang, der zu dem Kabuff führte, das er mit Lavi gemeinsam bewohnen musste. Hinter sich hörte er eine Horde Mädchen kichern und flüstern. Er schnappte einige Wortfetzen auf und sein Blick – wenn das überhaupt noch möglich war – verfinsterte sich etwas mehr. „…Lavi in Badehose…“ „Beachvolleyball!“ Er hatte den eindeutigen Wunsch seine Koffer zu packen und diese Hölle auf der Stelle zu verlassen. Im Zimmer angekommen knallte er die Tür zu, während die Horde Mädchen an seinem Zimmer vorbeilärmte, immer noch in der Vorstellung schwelgend, Lavi halbnackt zu sehen. Ihm wurde natürlich lediglich schlecht bei dem Gedanken. Unwillig kramte er in seinem Koffer nach seiner Badehose, fand sie schließlich und betrachtete die blaue Shorts einen Moment lang missmutig, ehe er sich aufrichtete und sich in Richtung Bad wandte, um ein Handtuch zu organisieren. In diesem Moment flog die Tür auf und Lavi stand strahlend im Türrahmen. „Strand!“, sagte er so hingebungsvoll, als gäbe es nichts Schöneres auf dieser Welt als viele Tonnen Sand. Kanda grummelte nur, rauschte ins Bad und schnappte sich eins seiner dort aufgehängten Handtücher. Lavi summte fröhlich, während er geräuschvoll raschelnd seine Strandtasche packte. Kanda schlug entnervt die Badezimmertür zu. Nun stand er zwar komplett im Dunkeln, da das Licht immer noch nicht funktionierte, allerdings lief er so nicht Gefahr, von Lavi nackt gesehen zu werden. Es gab einfach Dinge auf dieser Welt, auf die er gut und gern verzichtete. Nachdem er seine Badehose angezogen und sich das Handtuch über die Schulter geworfen hatte, stieß er die Badezimmertür wieder auf, erstarrte allerdings, sobald er das Zimmer betreten hatte. Lavi schälte sich gerade aus seiner Bermudashorts und stand nun lediglich in Unterwäsche vor ihm. Kanda wartete auf den Drang, sich auf der Stelle übergeben zu wollen, doch der blieb aus. Stattdessen starrte er Lavi an, der nun aus seiner Shorts stieg, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass Kanda ihn splitterfasernackt sah. „Alles klar, Yuu?“, fragte Lavi heiter und stieg in seine bunt geblümten Badeshorts, die ihm fast bis zum Knie reichten. „Wieso nicht?“, knurrte er ungehalten, wandte sich ab und legte seine Klamotten ordentlich zusammen gelegt aufs Bett. Lavi beobachtete ihn amüsiert, dann schmiss er seine Kleidung unachtsam aufs obere Bett, wo sie in einem zusammen geknüllten Haufen landete. Seine Augebraue zuckte. „Du hast so verschwommen geguckt“, gab Lavi zurück und ging nun ebenfalls ins Bad, um sein Handtuch zu holen. Als er wiederkam, trug er eine Sonnenbrille und hatte sich das Handtuch über die Schulter gehängt. Kanda fragte sich, wieso er nicht spätestens jetzt mit dem Kotzen anfing. Schlecht gelaunt stapfte er an Lavi vorbei zur Tür. „Wir treffen uns unten vor der Haustür“, informierte Lavi ihn in einem absolut nervigen Singsangton. Kanda unterdrückte nur mit Anstrengung den Impuls, Lavi die gute Laune mit ein paar kräftigen Schlägen auszutreiben. Stattdessen riss er die Tür auf und marschierte den Gang entlang. Erneut belästigte ihn eine Horde gackernder Mädchen, die vor ihm herlief und gut gelaunt schnatterte, mit ihrer Anwesenheit. Wie konnte man nur angesichts eines überfüllten Strandes und dreckigen Salzwassers so in Euphorie ausbrechen? Er hatte schon immer gewusst, dass er kein normaler Durchschnitts- Teenager war. Aber im Moment fühlte er sich ein wenig wie ein Außerirdischer. Eine halbe Stunde später sah er sich von dem Wunsch beseelt, eine Bombe möge auf diesem Strand einschlagen und alles Leben tilgen, außer seinem Eigenen. Er lag auf seinem Handtuch und bemühte sich, seine Füße aus dem Sand zu halten. Je weniger Dreck an ihm klebte, desto besser. Alle Anderen schienen sich nicht an dem Sand zu stören. Die Bohnenstange, das Riesenbaby und Lenalee hatten eine Partie Beachvolleyball mit einigen Klassenkameraden begonnen. Das wandelnde Unglück stand am Rand und schaute strahlend zu, was Kanda für eine weise Idee hielt, vermutlich würde sie sonst vom Ball erschlagen werden. Und Lavi… Lavi stand von einer Horde Mädchen umgeben hüfthoch im Wasser und lachte gut gelaunt. Er fand diesen Anblick ausgesprochen störend. Selbstverständlich nur, weil er Lavis penetrantes Grinsen nicht ertragen konnte. Eines der Mädchen spritzte den Feuermelder lachend nass und Lavi hechtete zu ihr hinüber, um sie mit sich in die nächste Welle zu reißen. Seine Augenbraue zuckte in etwa zum hundertsten Mal sehr mordlustig, als die beiden prustend und lachend wieder auftauchten. Wenn er an Lavis Stelle gewesen wäre, dann hätte er diese nervigen Klatschweiber nicht im Geringsten beachtet, aber Lavi schien die Aufmerksamkeit zu genießen. Da er so sehr damit beschäftigt gewesen war, den wandelnden Nervsack zu beobachten, war ihm gar nicht aufgefallen, dass sich zwei fremde Mädchen seinem Handtuch genähert hatten. „Hey“, sagte eine der beiden und ließ sich pitschnass vom Baden auf seinem Handtuch nieder. Kanda starrte sie an. „Du sitzt hier so allein“, flötete das andere Mädchen, das nun ebenfalls sein schön trockenes Handtuch volltropfte. Er fragte sich, was das sollte. „Du siehst nicht so aus, als hättest du dich eingecremt“, sagte die Fremde zu seiner Linken. Sie grinste sehr breit. Er fragte sich, ob die beiden sich über ihn lustig machen wollten. Abgesehen davon fiel ihm auf, dass es ihm schlichtweg die Sprache verschlagen hatte. „Sollen wir das nachholen?“, zwitscherte die Zweite. Kanda stellte fest, dass er diese beiden flötenden Mädchenstimmen noch penetranter fand, als Lavis Stimme. Und das mochte schon etwas heißen. „Nein“, sagte er brüsk und starrte abwechselnd vollkommen entrüstet von Einer zur Anderen. Er wurde angebaggert. Er konnte es nicht fassen, dass zwei Mädchen ihn, Yuu Kanda, auf so plumpe Art und Weise angruben! „Yuu, komm mit, das Wasser ist herrlich!“, verkündete in diesem Moment eine ihm wohlbekannte Stimme und ehe er sich versah, hatte Lavi ihn auf die Beine gezogen und in Richtung Meer geschleift. „Was soll das?“, fauchte er ungehalten, als er endlich seine Stimme und seine Mordlust wieder gefunden hatte. „Dein Gesichtsausdruck hat ‚Hilf mir, Lavi’ geschrieen“, sagte Lavi gut gelaunt und zerrte ihn unbeirrt weiter. Erst als sein Fuß das kalte Nass berührte, wurde ihm klar, dass Lavi ihn tatsächlich in diese brackige Brühe befördern wollte. Was für eine Unverschämtheit! „Red keinen Stuss!“, raunzte er den Rothaarigen an und zog so ruckartig an seiner Fessel, dass Lavi ihn losließ, er nach hinten taumelte und mit dem Hintern mitten im kalten Wasser landete. Eine Welle spülte über seine Beine und seinen Unterkörper hinweg und er blieb einen Moment lang regungslos, ehe er sich so würdevoll wie möglich aufrappelte und Lavi einen Todesblick zuwarf. „Aber Yuu, ich kann doch nicht zulassen, dass zwei Mädchen dich so billig anbaggern. Ich weiß ja, dass das nicht so dein Ding ist. Und wohin sollte man sich hier besser retten können, als ins Wasser?“, meinte Lavi immer noch munter und seine Mundwinkel zuckten, als müsste er sich krampfhaft beherrschen, um nicht angesichts Kandas Sturz zu lachen. Das besserte seine Laune nicht. Seine Short und seine Beine klebten von nassem Sand und Salzwasser und er hatte nicht übel Lust, sich auf Lavi zu stürzen und ihn auf der Stelle zu ertränken. „Ich will nicht in diese dreckige Brühe“, knurrte er angewidert und versuchte, etwas von dem nassen Sand von seinen Beinen zu klopfen. Es klappte rein gar nicht. „Das Wasser spült den Sand ganz hervorragend weg“, sagte Lavi scheinheilig. „Willst du nicht wieder zu deinem Harem gehen und spielen?“, motzte er Lavi ungehalten an und trat zwei Schritt weiter ins Wasser, um seine Beine sauber zu spülen. Sofern man bei dieser Suppe von sauber sprechen konnte. Lavi schwieg einen Moment und er hegte schon die stumme Hoffnung, dass der Rotschopf sich tatsächlich zurück zu den Mädchen getrollt hatte. „Yuu, du bist doch nicht etwa eifersüchtig?“ Er hielt mitten in seinen Bemühungen inne und hob langsam den Kopf, um Lavi anzusehen. Der strahlte ihn so breit an, dass Kanda einen Moment lang bedauerte, keine Sonnenbrille zu besitzen. „Wa…was redest du für einen Müll?“, krächzte er ungläubig. Wie kam Lavi nur immer auf so einen…- „Ich war schon ganz schön eifersüchtig auf die Beiden.“ „W…wie bitte?“ Lavi lächelte. Kanda starrte ihn an wie eine Erscheinung, ohne wirklich zu wissen, wieso ihm plötzlich noch heißer wurde, als es ohnehin schon an diesem vermaledeiten Strand war. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber es war, als würde sein hämmerndes Herz auf seine Kehle drücken und ihm am Sprechen hindern. Dann räusperte er sich, warf Lavi einen – hoffentlich – vernichtenden Blick zu und stapfte in Richtung Wasser. „Ich geh Baden!“ Er musste sich abkühlen. Dringend. Eifersüchtig… so ein Schwachsinn! Kapitel 3: Die Hölle, Tag 2 - After Sun --------------------------------------- Kurz. Aber ich hoffe, ihr verzeiht mir das. Das nächste wird wieder länger, ich wollte den Tag nur gern in zwei Teile teilen. Danke für all die lieben Kommentare und für die Favo- Nehmer ^-^ Viel Spaß beim Lesen! Liebe Grüße, Paperflower ____________ Es war eine Schmach. Jawohl, das war es. Ein Komplott, um seine Würde anzukratzen! Aber er würde sich das nicht gefallen lassen, nie im Leben. Das schwor er sich, als er sein Gesicht im Spiegel betrachtete. Selbst in dem schwachen Licht, das vom Zimmer ins bad drang, konnte man es deutlich erkennen: Sonnenbrand! Rotzfrech hatte er sich auf seinem Nasenrücken und seinen Wangen breit gemacht und nun sah er konstant so aus, als wäre er verlegen. Welche Schande… Und als wäre das nicht genug, hatte das Biest von Sonnenbrand ihn auch in den Kniekehlen und an den Schultern befallen. Er hasste den Strand. Er hasste die Sonne. Er hasste diese Klassenfahrt. Und am allermeisten hasste er seinen Mitbewohner. Lavi wuselte laut singend durch ihr Zimmer, während er seine nassen Badesachen an allen möglichen und unmöglichen Stellen aufhängte. „Kannst du nicht mal aufhören mit diesem ätzenden Gesinge?“, schnauzte er ungehalten in Richtung Zimmer, während er behutsam die Verschandelung in seinem Gesicht betrachtete. Lavi schien ihn nicht zu hören, denn er sang munter weiter. Kanda knurrte kaum hörbar, wandte sich von seinem entstellten Spiegelbild ab und rauschte mit geballten Fäusten ins Zimmer. Gerade wollte er eine Schimpfkanonade loslassen, als ihm auffiel, dass Lavi schon wieder nackt war. „Wa… warum zur Hölle musst du ständig nackt rum rennen?“, zischte er empört. Lavi hielt in seinem Gewusel inne und sah ihn erstaunt an. „Wieso, stört dich das? Wir sind beides Männer, da macht das doch nichts!“ Oh doch, es machte sehr wohl etwas! Denn er wollte Lavi nicht anstarren und genau das tat er schon wieder, genau wie heute Morgen, als Lavi seine Badeshorts angezogen hatte. Er wandte sich ab und verschränkte die Arme vor der Brust. „Yuu, bist du etwa rot geworden?“ Er atmete tief ein und aus, um nicht die Beherrschung zu verlieren. „Das ist ein Sonnenbrand“, presste er zwischen den Zähnen hervor. Ehe er es sich versehen hatte, war Lavi vor ihn getreten – und er war immer noch nackt – und betrachtete sich den Sonnenbrand auf Kandas Gesicht näher. Zu nah, um genau zu sein. Kanda konnte ein paar vereinzelte Sommersprossen auf der leicht gebräunten Haut erkennen und zuckte zurück. „Zieh dir was an!“, raunzte er ungehalten. Lavi lachte, tat aber wie geheißen und ging hinüber zu seinem Koffer, wo er eine Shorts und ein schlabberiges T-Shirt hervorkramte und beides anzog. Kanda starrte währenddessen demonstrativ aus dem Fenster. „Du kannst wieder gucken“, verkündete Lavi und ehe Kanda protestieren konnte, hatte sich Lavi neben ihn aufs Bett gesetzt und betrachtete ihn aufmerksam von der Seite. „Was glotzt du so, Baka- Usagi?“, knurrte er schlecht gelaunt. Lavi grinste. Oh, wie er dieses Grinsen hasste… „Du musst dich eincremen, Yuu. Hast du noch wo anders einen Sonnenbrand?“ Kanda starrte ihn an. Die Masche mit dem Eincremen kannte er nun zur Genüge. Damit hatten ihn diese beiden Schreckschrauben auch belästigt. „Schulter und Kniekehlen“, brummte er ungnädig. „Soll ich dich eincremen?“ „NEIN!“ Zehn Minuten stand er mit Lavis Creme im Bad und cremte sich die Kniekehlen, das Gesicht und die Schultern ein. Ununterbrochen grummelnd starrte er dabei seine roten Wangen und den geröteten Nasenrücken an. Er würde sich weigern, noch einmal an den Strand zu gehen. Er würde sich hier verbarrikadieren, bis diese Höllenwoche endlich zu Ende war. Dann würde ihm auch die Schmach erspart bleiben, sich wegen eines Ganzkörpersonnenbrandes mit Lavis After- Sun Lotion einzucremen. Wieso hatten Jungs so etwas überhaupt? Das war doch lächerlich. Das Abendessen war nicht minder nervig als das Frühstück. Denn Lavi saß schon wieder neben ihm und mampfte munter die Nudelpampe, die sie serviert bekommen hatten. Wie konnte man dieses schleimige Gekröse nur essen? Er rührte es jedenfalls nicht an. Lieber würde er den Hungertod sterben und dieser Hölle endlich entkommen… „Yuu, du isst ja gar nichts“, stellte Lavi besorgt fest und musterte ihn, während eine Gabel mit Nudeln auf dem Weg zu seinem Mund schweben blieb. „Ich füge meinem Magen eben nur ungern vorsätzlich Schaden zu“, brummte er und beäugte den Berg Nudeln auf seinem Teller. Er hatte das dumpfe Gefühl, die Pampe würde gleich lebendig werden und von seinem Teller über den Tisch krauchen. „Es schmeckt gar nicht so schlecht“, versicherte Lavi ihm. Kanda starrte ihn wütend an. „Willst du nicht irgendjemandem Anderes auf den Keks gehen?“ Lavi strahlte. „Nein, ich bin gern bei dir.“ Seine Augenbraue zuckte gefährlich, während sein Herz einen widerlichen Trommelwirbel vollführte und sein Magen einen Sprungversuch unternahm. Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch ihm fiel nicht ein, was er auf diese Lächerlichkeit antworten könnte. Er hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. „Sag mal… kommt’s mir nur so vor, oder wird dein Sonnenbrand gerade dunkler?“ „Willst du einen qualvollen Tod sterben, Baka- Usagi?“, zischte er und griff zur Unterstreichung seiner Worte nach dem Messer, das neben seinem Teller auf dem Tisch lag. Lavi gluckste leise und schob sich eine weitere Gabel mit Nudeln in den Mund. „If mag dif auf, Yuu“, mampfte er bestens gelaunt. Kanda fragte sich im Stillen, ob es auffallen würde, wenn er Lavi das Messer unterm Tisch ins Bein rammte… Kapitel 4: Die Hölle, Tag 3 - Sonnencreme ----------------------------------------- Wieder nur ein halber Tag ;) Die nächste Hälfte des Tages spare ich mir noch ein auf :D~ Hachja. Für Jemanden, der schon auf so eine Szene gewartet hat ;) Viel Spaß beim Lesen, Liebe Grüße, Paperflower _______________ Er war früh ins Bett gegangen und Lavi hatte bereitwillig sein Buch beiseite gelegt, als Kanda ihm einen bösen Blick zugeworfen hatte. So musste das sein. Konnte es nicht immer so sein? Dass Lavi einfach die Klappe hielt und tat, was Kanda von ihm verlangte? Nämlich, dass er ihn in Frieden ließ. Es war nicht so, dass er sonderlich müde war. Aber er wollte nicht mit Lavi reden und ansehen wollte er ihn schon gar nicht, da sich auf unerklärliche Weise die Worte des Rotschopfs in sein Gehirn eingebrannt hatten. Eifersüchtig. Das war doch absolut lächerlich. Jetzt machte sich Lavi schon auf so niveaulose Art über ihn lustig. Und dann hatte er auch noch gesagt, er wäre gern bei ihm. So ein Schwachsinn. … Zumindest würde das erklären, wieso er sich mit so einem ätzend- strahlenden Lächeln dazu bereit erklärt hatte, mit ihm in ein Zimmer zu gehen. Als wäre er auf Lavis Gnade angewiesen! Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte er überhaupt keinen Mitbewohner gebraucht. Und nun wohnte er hier noch vier Tage mit Lavi in diesem Kabuff, in dem das bad kein Licht hatte und der Schrank so muffig roch, als stammte er aus dem 19ten Jahrhundert. Das zweite Frühstück verlief nicht besser als das Erste. Vor allem nicht, da Lavi schon wieder neben ihm saß und gut gelaunt sein Brötchen mit Marmelade verspeiste, als gäbe es nichts Köstlicheres als diese bröselige Zumutung. Er selbst hatte zwar ziemlichen Hunger, aber er war nicht sonderlich erpicht darauf, allzu viel von diesem Fraß zu essen. Er genehmigte sich einen Kaffee – der mit viel Milch und Wohlwollen erträglich schmeckte – und fragte sich gerade, was sie heute wohl aufgezwungen bekamen, als ihre Lehrerin sich auch schon erhob und mit einem sehr ätzenden und Unheil verkündenden Lächeln sagte: „Für heute habe ich mir gedacht, dass wir ein Beachvolleyball- Turnier organisieren könnten…“ Kandas Gehirn schaltete ab, während seine Augenbraue zum etwa hundertsten Mal gefährlich zuckte. Der Rest der Klasse brach in Begeisterungsstürme aus. Er wollte sie am liebsten allesamt in der brackigen Brühe am Strand ertränken. „…Teams nach Zimmern geordnet…“ Er wusste genau, dass Lavi gerade aus dem Augenwinkel zu ihm hinüber schielte, doch er erwiderte den Blick nicht. Er hatte immer noch diesen verteufelten Sonnenbrand und wenn er unter der Sonne in Badehose herum sprang und sich wie ein Primitivling im Sand wälzte, dann würde sein Sonnenbrand ganz sicher nicht besser werden. Vielleicht sollte er es in Erwägung ziehen, doch nur ihre Lehrerin zu meucheln und dann die Biege zu machen. Er seufzte lautlos. „Denen werden wir es zeigen, was Yuu?“, meinte Lavi beschwingt, während er neben ihm in Richtung Zimmer ging. Kanda brummte nur. Er würde sich im Bad verbarrikadieren und erst wieder heraus kommen, wenn Lavi umgezogen war. Er hatte wirklich keine Lust, ihn noch einmal nackt zu sehen. Dann fiel ihm ein, dass sie kein Licht im Bad hatten und er entweder im Dunkeln stehen musste – was natürlich komplett schwachsinnig wirken würde – oder aber Gefahr laufen, Lavi wieder nackt zu sehen… Im Zimmer angekommen griff Lavi auch schon nach seiner grässlich geblümten Badeshorts und begann, sich auszuziehen. Kanda flüchtete ins Bad und schlug die Tür hinter sich zu. Dann musste er nun wohl oder übel hier bleiben. So lange würde das ja wohl nicht dauern. Als etwa eine Minute verstrichen war – was an Zeit jawohl locker ausreichte, um sich eine Badeshorts anzuziehen – wagte er es, die Tür zum Zimmer zu öffnen und einen Blick um die Ecke zu werfen. Das war – und er hätte es eigentlich ahnen müssen – keine gute Idee gewesen. Denn Lavi hatte sich bisher überhaupt nicht die Mühe gemacht, seine Shorts anzuziehen. Er stand da wie Gott ihn geschaffen hatte und cremte sich in aller Seelenruhe mit Sonnencreme ein. Kandas Augen folgten einen Moment lang den Fingern, die die Creme gerade auf Lavis linkem Oberschenkel verteilten… dann pfefferte er die Badezimmertür wieder zu. Das war doch absurd. Wieso musste er jedes Mal so ins Starren verfallen, wenn Lavi nackt durch die Gegend eierte? Wieso konnte er keinen Würgreiz bekommen und sich übergeben, so wie es sich gehört hätte? „Yuu, was machst du denn im dunklen Bad? Du solltest dich lieber auch eincremen, sonst wird dein Sonnenbrand noch schlimmer!“ Kanda starrte wütend die Tür an, was Lavi natürlich nicht sehen konnte. Aber nun gut… Schwungvoll riss er die Tür auf, marschierte an Lavi – der mittlerweile seinen Oberkörper eincremte – vorbei und riss seine Badeshorts vom Bettgestellt, wo er sie zum Trocknen hingehängt hatte. Dann schritt er zurück ins Bad. „Ich hab keine Sonnencreme“, knurrte er noch als Antwort, dann beeilte er sich damit, aus seiner Kleidung und in seine Badeshorts zu schlüpfen, bevor Lavi noch auf die Idee kam, nackt um die Ecke zu schauen und ihn dann – ebenfalls nackt – zu sehen. Denn soweit kam es noch, dass sie beide nackt voreinander standen. Herrgott, wie er dieses Wort ‚nackt’ hasste! Als er schließlich fertig umgezogen wieder ins Zimmer trat, hatte Lavi seine Badeshorts angezogen und sah ihn lächelnd an. Kanda betrachtete Lavis Mund. Er konnte es nicht ausstehen, wenn dieser Mund ihn so anlächelte. Und er fand die Vorstellung abartig, diesen Mund zu küssen. Allerdings fragte er sich gleichzeitig, wie er überhaupt darauf kam, wie es wäre, diesen Mund zu küssen. „Yuu, ich hab das Gefühl, dein Sonnenbrand ist noch dunkler als gestern. Los, creme dich ein“, sagte Lavi liebenswürdig und warf ihm die Sonnencreme zu. Dass sein Sonnenbrand nicht dunkler geworden war, verschwieg Kanda dem Anderen, als er die Flasche entnervt betrachtete und dann damit anfing, sich einzucremen. Nach etwa fünf Minuten stellte er etwas sehr Entscheidendes fest: Er kam mit seinen Fingern und dementsprechend auch mit der Creme nicht an seinen Rücken. Einen Moment lang starrte er die Flasche an und wog die Möglichkeiten an. Er könnte seinen Rücken nicht eincremen und einen weiteren Sonnenbrand riskieren. Oder… „Soll ich dir den Rücken eincremen?“, fragte Lavi beiläufig, während er seine Sonnenbrille und sein Handtuch in die Strandtasche stopfte, die er gestern schon dabei gehabt hatte. Kanda knurrte ungehalten. Er hatte sich noch nicht entschieden, was schlimmer wäre, doch Lavi hatte sein Knurren offensichtlich als Zustimmung gedeutet, denn er kam zu ihm herüber und nahm ihm die Sonnencreme aus der Hand. „Ich beeil mich“, versicherte er Kanda. „Will ich auch hoffen…“, brummte er zur Antwort. Lavi lachte leise und er hörte, wie sich der Rotschopf die Creme auf den Händen verteilte. Und dann seine Finger auf seinen Rücken legte. Er erstarrte augenblicklich, als Lavi behutsam damit begann, die Creme auf seinem nackten Rücken zu verteilen. Unweigerlich biss er sich auf die Unterlippe und spürte, wie Hitze in sein Gesicht kroch, die nichts mit der Zimmertemperatur zu tun hatte. Lavis Finger waren ihm viel zu… sanft? Zärtlich? Herrgott, wieso dauerte das denn so lange? Und wieso musste dieser Vollidiot jetzt auch noch so hingebungsvoll mit den Händen seinen Rücken hinunter streichen, bis er den Saum der Shorts erreicht hatte, nur um sich dann seinen Seiten zu widmen, die er selber vollkommen vergessen hatte. Eine leise Stimme in seinem Gehirn befahl ihm, die Augen zu schließen und die ungewohnte Berührung zu genießen. Eine sehr laute Stimme jedoch befahl ihm, Lavi sofort zu schlagen und sich nie wieder von ihm anfassen zu lassen… denn sein Körper, das verräterische Biest, fand diese kleine Streicheleinheit eindeutig… schön…? Er presste die Zähne aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten. Das lag nur daran, weil ihn sonst nie Jemand anfasste. Was er auch gar nicht gestattet hätte. Im nächsten Moment waren die Finger verschwunden und Kanda seufzte lautlos und erleichtert auf. Die leise Stimme in seinem Gehirn wimmerte nach mehr davon. „Und immer schön regelmäßig eincremen“, informierte Lavi ihn munter und steckte die Sonnencreme zu dem Handtuch und der Sonnenbrille in die Strandtasche. Kanda sagte nichts. Sein Mund war sehr trocken. Die Vorstellung, diese Prozedur noch einmal durchmachen zu müssen, wohlmöglich am Strand, im Liegen, wenn Lavi auf ihm… Er stapfte ins Bad und riss sein Handtuch vom Haken. Plötzlich war er sehr erpicht auf den Strand und das Volleyballturnier. Denn das würde ihn hoffentlich von dem Gefühl ablenken, das Lavis Finger auf seiner nackten Haut hinterlassen hatten. Kapitel 5: Die Hölle, Tag 3 - Beachvolleyball --------------------------------------------- Hachja. Die Liebe :D Ich hoffe, es gefällt euch, heute gabs leider keine Info-ENS, weil ich Besuch habe ;) Viel Spaß beim Lesen! Liebe Grüße, Paperflower ____________ „Ich habe die Teams durch nummeriert und ausgelost, wer gegen wen spielen wird…“ Kanda gähnte hinter vorgehaltener Hand, während seine Füße im Sand versanken und die Sonne auf sie alle hinunterknallte. Wenn diese Sonnencreme nichts brachte, dann würde er Lavi dafür killen, dass er ihn ohne Wirkung angerührt hatte. Nun ja… eine Wirkung hatte es ja durchaus gehabt, aber es war doch sehr fraglich, ob neben diesem beknackten Kribbeln in seinem Rücken auch der gewünschte Effekt eintreten würde – nämlich, dass er keinen neuen Sonnenbrand bekam. Und was hatte Lavi gesagt? Regelmäßig eincremen? Sollte das etwa heißen, dass er sich mehr als einmal von Lavi antatschen lassen musste? Das wäre wirklich die Höhe… soweit kam es gerade noch. Nur über seine Leiche! „… gegen Lavi und Kanda…“ Er verdrehte die Augen. Na das ging ja gleich wunderbar los. Jetzt sah er sich zwei Klassenkameraden gegenüber, die sich die Hände rieben, in der Hoffnung, Lavi und ihn zu schlagen und somit bei den Mädchen Pluspunkte zu sammeln. „Die machen wir fertig“, sagte Lavi gut gelaunt neben ihm und platzierte sich hinten im Feld, also blieb ihm keine Wahl, sich direkt nach vorne zu stellen. Er hasste all diesen heißen Sand unter seinen Füßen und die Hitze auf seiner Haut. Wieso hätten sie nicht in die Berge fahren können? Zum Skilaufen? Oder noch besser: Wieso hatten sie nicht einfach zu Hause bleiben können? Kanda musterte ihre Gegner geringschätzig. Zwei hirnlose, grinsende Vollidioten, die ihm gerade einmal bis zur Schulter reichten und bei einem Sprung am Netz vermutlich wahrscheinlich gerade so seine volle Körpergröße erreichen würden… das war doch lächerlich. Und Lavi in Badeshorts und mit einem Volleyball in der Hand, grinsend in der Sonne stehend und ihm zuzwinkernd, das war auch vollkommen lächerlich. Er hätte am liebsten aufs Feld gekotzt. Und Lavi sah auch kein Stück elegant aus, wie er den Ball in die Luft warf und weit mit dem Arm nach hinten ausholte und… Der Ball flog im hohen Bogen übers Netz und schlug zwischen den beiden Komplettnullen im Sand auf. Die Mädchen jubelten. Kanda verdrehte die Augen. Die beiden Anderen fluchten. Lavi hob den Arm für den nächsten Aufschlag. Drei Minuten später hatten sie allein durch Lavis Aufschläge zehn Punkte erreicht. Kanda langweilte sich. Wenn er hier schon in der Sonne stehen musste, dann wollte er wenigstens etwas tun… Während einer der beiden Versager einen Aufschlag machte, fragte er sich dunkel, wann das Christkind am Spielfeldrand endlich sagen würde, dass sie gewonnen hatten… „Yuu!“ Er wollte schon genervt ausrufen, dass es doch nichts ausmachen würde, wenn er einen Ball nicht bekam, da sie ohnehin so gut wie gewonnen hatten, als ihn der Ball mit voller Wucht am Kopf traf. Er hörte noch „Oh Scheiße!“ und „Yuu, alles ok?“, ehe ihm schwummrig wurde und er im heißen Sand landete. Als er wieder zu sich kam, lag er immer noch im Sand. Jemand hatte sich über ihn gebeugt und eine Strähne roten Haares kitzelte ihn an der Stirn. „Verflucht!“, stieß er zwischen den Zähnen hervor, während sein Puls und sein Herzschlag sich beschleunigten, „Verzieh dich, Baka- Usagi!“ Lavi richtete sich auf und musterte ihn besorgt. „Immerhin erkennt er mich noch“, sagte er zu einer Gruppe Mitschüler und ihrer Lehrerin. „Wie sollte ich auch nicht… Auch wenn ich nichts dagegen hätte, deine Visage aus meinem Gedächtnis zu streichen“, zischte er und setzte sich mit brummendem Kopf auf. „Kenjis Ball hat dich am Kopf getroffen“, informierte Lavi ihn. Kanda schnaubte. „Tatsächlich? Ein Ball hat mich getroffen? Ist mir gar nicht aufgefallen…“, gab er sarkastisch zurück und stand auf. Ihm war schwindelig, aber er sagte keinen Mucks, sondern klopfte sich nur den Sand vom Körper. „Alles ok? Geht’s dir gut?“ „Ja verdammt! Aber dir gleich nicht mehr, wenn du mich nicht in Frieden lässt“, fauchte er ungehalten und warf Lavi einen wütenden Blick zu. „Ich denke, ihr beide solltet eine Runde aussetzen“, erklärte das Christkind mit einem besorgten Blick auf Kandas Kopf, der tatsächlich ziemlich wehtat. Brummend und noch schlechter gelaunt als ohnehin schon stapfte er in Richtung Spielfeldrand und ließ sich dort auf seinem ausgebreiteten Handtuch nieder. Wie er befürchtet hatte, kam Lavi hinter ihm her und setzte sich neben ihn, um ihn dann penetrant von der Seite her zu beobachten, als erwartete er irgendetwas Dramatisches. „Was glotzt du so?“, knurrte er ungehalten. „Ich mach mir Sorgen um dich“, entgegnete Lavi schlicht. Kanda spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Die Sonne brannte immer noch heiß auf sie herunter, aber er war sich sicher, dass sie noch etwas an Intensität zugenommen hatte, da ihm noch wärmer wurde. Ganz zu schweigen von seinem Schwindelgefühl. Auf dem Volleyballfeld gewann Lenalee zusammen mit Miranda – wenn auch eher im Alleingang, da Miranda ständig über ihre Füße stolperte und im Sand landete – gegen zwei andere Mädchen aus ihrer Klasse und Kanda versuchte so zu tun, als würde er sich brennend für das Spiel interessieren, nur um Lavi nicht anzusehen und nicht mit ihm reden zu müssen. Er würde einfach so tun, als hätte er diesen Satz nicht gehört. Natürlich war das vollkommener Schwachsinn… Die Sonne erhitzte seinen schmerzenden Kopf und eher unbewusst fuhr er sich mit der Hand über die schmerzenden Schläfen. „Yuu, wollen wir nicht lieber zurück ins Hotel, damit du dich hinlegen kannst?“, erkundigte sich Lavi vorsichtig von der Seite. Kanda grummelte etwas Unverständliches. Er hörte, wie Lavi aufstand und zum Christkind hinüberging, aber er wollte gar nicht wissen, was er ihr sagte. Die Bohnenstange ging gerade aufs Feld und erklärte dem Riesenbaby flüsternd die Regeln. „Komm Yuu, wir dürfen zurück ins Hotel gehen“, sagte Lavi, der plötzlich wieder neben ihm aufgetaucht war. Kanda hob den Kopf und blinzelte gegen die Sonne an, die hinter Lavi vom Himmel knallte. „Hm…“, machte er. Dann… „Und wieso musst du mitgehen?“ Es gefiel ihm nicht, ganz allein mit Lavi in dieser Herberge herum zu sitzen. Irgendwie fand er diese Vorstellung einigermaßen beunruhigend. „Na irgendwer muss ja aufpassen, dass dir nichts passiert“, sagte Lavi strahlend und streckte ihm die Hand hin, um ihm hoch zu helfen. Das war jawohl die Höhe! Knurrend rappelte er sich auf, ohne die Hand zu beachten. Vielleicht war das ein Fehler gewesen, denn das hastige Aufstehen verstärkte den Schwindel dramatisch und er schwankte auf der Stelle, als zwei Arme sich um ihn schlangen und ihn festhielten. Vor seinen Augen flimmerte es. Er wollte gegen die Arme protestieren, die ihn festhielten, aber im Moment hatte sein Körper tatsächlich andere Probleme. Ihm wurde schlecht. „Yuu, musst du kotzen?“, fragte Lavis Stimme wie durch eine Wattewand und er schüttelte den Kopf, was wiederum eine schlechte Idee gewesen war. Sein Kopf dröhnte und seine Knie knickten ein. Als er das nächste Mal zu sich kam, hing er schlaff auf Lavis Rücken. Er brauchte einige Sekunden, um diese Information zu verarbeiten. Lavi trug ihn Huckepack. „Was zum…“, nuschelte er, während er verschwommen beobachtete, wie Lavis Füße in den Sand einsanken, während er ihn in Richtung Herberge zurück trug. „Du kannst wohl kaum selber laufen“, sagte Lavi und es klang ein wenig gepresst. Klar. Immerhin war er disziplinierter Sportler und sicherlich nicht so leicht zu tragen. Langsam kam die Erkenntnis, dass sein nackter Bauch sich an Lavis ebenfalls nackten Rücken schmiegte und dass sich Lavis Arme um seine Beine geschlungen hatten. Sein Herz hämmerte unangenehm schnell. Lavi würde das sicher merken… Wieso musste sein Körper auch wegen einem bescheuerten Ball so verrückt spielen? Es dauerte zehn Minuten, bis sie an der Herberge ankamen und endlich in den kühlen Schatten des Eingangsbereiches traten. „Treppen“, murmelte er matt, während sich in seinem Kopf immer noch alles drehte. Stumm dachte er bei sich, dass es ihm tatsächlich mies ging, wenn er Lavi nicht köpfte, weil der ihn durch die Gegend trug. Er fühlte sich sogar zu matt, um Lavi anzupampen. Ein wahrlich ungewohntes Gefühl. „War n kurzes Turnier, was?“, scherzte Lavi, während er Stufe um Stufe der Treppe erklang. Das schwere Atmen machte ihm sehr deutlich, wie anstrengend das hier für Lavi sein musste. Wieso machte dieser Vollidiot das überhaupt? Er selbst hätte Lavi am Strand vertrocknen lassen! Oder… so… Als sie in ihrem Zimmer angekommen waren, ließ Lavi ihn herunter und drückte ihn augenblicklich aufs Bett. „Ich bin sandig!“, protestierte er halbherzig, aber gleichzeitig seufzte sein Körper zufrieden auf, weil das Zimmer kühl und schattig war und er in der liegenden Position dem Schwindel entrinnen konnte. „Ich kann das Bett ja später neu beziehen“, sagte Lavi ächzend und ließ sich erschöpft vor Kandas Bett auf den Fußboden sinken. Kanda starrte ihn an. Lavi war doch wirklich komplett bescheuert. Er teilte mit ihm ein Zimmer, rettete ihn vor aufdringlichen Weibern, schleppte ihn den ganzen Weg Huckepack bis zur Herberge und bot ihm jetzt auch noch an, das Bett später neu zu beziehen… Er fragte sich dunkel, ob Lavi all diese peinlichen Sätze, die er gesagt hatte, vielleicht ernst gemeint hatte. Sein Herz hüpfte übermäßig stark bei dieser Vorstellung und er wandte den Blick hastig ab. „Du kannst auch ruhig wieder zurück zum Strand“, brummte er, während er die Unterseite von Lavis Bett anstarrte. Lavi lachte leise. „Ich lass dich hier doch jetzt nicht alleine. Du trinkst jetzt erstmal schön viel Wasser und ich klatsche dir einen Waschlappen auf die Stirn, zum Abkühlen“, meinte Lavi, erhob sich vom Boden und ging hinüber ins Bad. Kanda wollte protestieren. Er war immerhin kein kleines Kind und der letzte, von dem er sich betüdeln lassen wollte, war Lavi! Doch als Lavi mit einem Waschlappen und einem Zahnputzbecher voll Wasser zurückkam und ihn besorgt betrachtete, schmolzen ihm die bösen Worte auf der Zunge und rannen seine Kehle wieder hinunter, dorthin, wo sie hergekommen waren. Er räusperte sich und schnappte Lavi missmutig den Waschlappen aus der Hand. Lavi lachte erneut leise. „Du kannst es nicht ertragen, wenn Jemand nett zu dir ist, was?“, fragte er lächelnd. Kanda brummte. „Aber macht nichts. Ich mag dich so brummig, wie du bist.“ Kanda hatte das Gefühl, dass der warme Waschlappen innerhalb von Nanosekunden eine ziemlich heiße Temperatur annahm… Kapitel 6: Die Hölle, Tag 4 - Bettruhe -------------------------------------- Kanda wird langsam aber sicher weich. Das liegt sicher an der Übermenge an Sonne ;) Ich möchte mich an dieser Stelle ganz lieb für 53 Favoritennehmer und 69 Kommentare bedanken! Ich freu mich immer sehr, dass diese arg klischeelastige FF so gut ankommt ^-^ Viel Spaß beim Lesen, Liebe Grüße, Paperflower __________________ Er wachte auf, als ein leises Klappern in Richtung der Tür erklang. Die frische Bettwäsche roch nach billigem Waschpulver. Kanda öffnete träge ein Auge und fragte sich, wieso um alles in der Welt Lavi schon vor ihm wach war. Als er den Rotschopf entdeckte, wusste er es. „Frühstück!“, sagte Lavi gut gelaunt und balancierte – wie immer gut gelaunt grinsend – ein Tablett zu ihm ans Bett. Er stöhnte unterdrückt. Sein Kopf schmerzte immer noch und er wusste sehr genau, dass ihm der Kopf brummen würde, wenn er sich jetzt aufsetzte. „Ich esse diesen Fraß nicht…“, brummte er ungnädig und zog sich die Bettdecke bis zum Kinn. Lavi hatte gestern tatsächlich seine Bettwäsche gewechselt. Dann war er duschen gegangen und hatte ihn hier allein liegen lassen, mit all diesen beknackten Gedanken, die er nicht mehr loswurde. „Das weiß ich, deswegen war ich beim Bäcker und im Supermarkt und hab was eingekauft!“ Kanda starrte ihn an. Auf dem Tablett lagen vier Brötchen, daneben stand ein Teller mit einer Packung Wurst und einer Packung Käse. Zwei Miniaturgläser mit Marmelade und eine große Tasse mit dampfendem Kaffee befanden sich direkt zwischen den Brötchen. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen. Aber ihm fiel nichts ein, was er sagen konnte. Sein Herz hämmerte schon wieder wie verrückt. „Ha…hast du schon gefrühstückt?“, krächzte er schließlich heiser, während er den Kaffee anstarrte und ernsthaft erwog, sich darin zu ertränken. Lavi kümmerte sich um ihn, als wäre er ein kleines Kind. Oder als wären sie ein Paar. Sein Gesicht begann bei seinem zweiten Gedanken zu glühen. Lavi beugte sich leicht vor und betrachtete ihn aus der Nähe, ohne auf seine Frage einzugehen. Kandas Herz vollführte einen heftigen Trommelwirbel, als Lavi ihm so nah kam. „Also Yuu, irgendwie wird dein Sonnenbrand nicht besser…“, sagte er. Kanda schwieg nur. Er war damit beschäftigt, sein Frühstück anzustarren und das Klopfen seines Herzens zu ignorieren. Lavi stellte das Tablett auf dem wackeligen Nachtisch ab und erhob sich. Er trug eine ausgeblichene Jeans und ein ärmelloses, weißes Shirt. Und er trug weder Socken noch Schuhe. „Iss erstmal was, ich hab schon Bescheid gesagt, dass wir heute nicht mit Wandern gehen“, erklärte er gut gelaunt und ging summend zu seinem Koffer hinüber, um darin herumzuwühlen. „Wandern…?“, wiederholte er fassungslos. Wie konnte eine einzige Lehrerin nur auf so viele, entnervende Ideen kommen? Fast war er dankbar für den Ball, der ihm gegen den Kopf geflogen war, denn so konnte er sich diesen Schwachsinn ersparen! Allerdings schien Lavi auch nicht mitgehen zu wollen und das beunruhigte ihn angesichts der Tatsache, dass seine Gedanken schon seit gestern vollkommen verrückt spielten. Seit dieser bescheuerten Aktion mit dem Eincremen. Er hatte ja gleich gewusst, dass das keine gute Idee gewesen war! „Ja, wandern. Durch die Dünen. Wäre sicher lustig geworden“, meinte Lavi und hörte wieder auf, in seinem Koffer zu wühlen. Offenbar hatte er nicht gefunden, wonach er gesucht hatte. „Und wieso gehst du dann nicht mit?“, erkundigte sich Kanda brummig und schielte zu dem Tablett hinüber. Schließlich setzte er sich mühsam auf und griff nach der Kaffeetasse. Allerdings eignete sich das Bett nicht dazu, um Brötchen darin zu schmieren. Lavi beobachtete ihn schmunzelnd. Dann kam er zum Bett herüber, zog seine Bettdecke vom oberen Stockbett und breitete sie auf dem Boden aus. Er stellte das Tablett darauf und ließ sich nieder, klopfte neben sich auf den Boden und sah Kanda auffordernd an. „Weil irgendwer auf dich Acht geben muss, immerhin geht’s dir nicht gut“, sagte Lavi. Kanda knurrte und schob die Bettdecke von sich. Er ignorierte die Tatsache galant, dass sein Herz immer noch hämmerte und dass er nur eine Boxershorts trug und stand ächzend auf. Die Hand, die die Kaffeetasse festhielt, zitterte leicht. „Mir geht’s hervorragend“, log er und sein Kopf bestrafte ihn mit einem heftigen Pochen. Lavi war besorgt aufgestanden und hatte ihm einen Arm um die Schulter gelegt. „Setz dich lieber“, meinte er behutsam. Kandas Schulter veranstaltete etwas, das sich anfühlte wie ein übergroßes Ameisenwettrennen. Auch, wenn es ihm nicht passte, Lavis Ratschläge anzunehmen, setzte er sich so schnell es ging wieder hin. Er stellte die Kaffeetasse zurück aufs Tablett und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. „Vielleicht sollten wir doch besser zum Arzt gehen“, sagte Lavi. Kanda knurrte. Er mochte keine Ärzte und er war nicht krank. Er war… nur nicht optimal in Form. „Lenalee und Miranda haben das Turnier gestern übrigens gewonnen“, verkündete Lavi dann, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Kanda griff nach einem Brötchen und zuckte gleichgültig mit den Schultern. Wahrscheinlich hatten die Jungs einfach zu sehr in ihren Ausschnitt gestarrt, um gegen Lenalee gewinnen zu können und die Mädchen in ihrer Klasse waren ohnehin zum Großteil sportlich Vollversager. „Keine Überraschung“, sagte er also und öffnete eins der Miniaturgläser mit Marmelade. Misstrauisch roch er daran. Es roch wie ganz normale Waldfruchtmarmelade. Eine Weile lang sah Lavi ihm dabei zu, wie er Marmelade auf das Brötchen strich und dann schaute er aus dem Fenster. „Magst du Lenalee eigentlich?“, fragte er beiläufig. Kanda verschluckte sich an seinem ersten Bissen und hustete. Eine kleine Ladung Marmelade landete auf seinem Oberkörper, als er das Brötchen hastig ablegte und sich mit der Faust auf den Brustkorb klopfte. „Wie…kommst du darauf?“, röchelte er so würdevoll und niederschmetternd, wie es eben ging, wenn einem die Augen tränten und man immer wieder husten musste. Lavi zuckte die Schultern und sah ihn immer noch nicht an. „Sie ist die Einzige, über die du dich nicht ständig aufregst“, gab Lavi zurück. Er grinste gar nicht mehr. Irgendwie fand Kanda das beunruhigend. „Ich mag überhaupt Niemanden“, betonte er, nachdem sein Hustenanfall vorbei war. Er hatte die Marmelade auf seinem Oberkörper völlig vergessen, bis Lavi sich vorbeugte, die Hand ausstreckte und mit dem Zeigefinger den Kleks dunkelroter Marmelade wegwischte, ehe er ihn in seinem Mund verschwinden ließ. Kanda starrte ihn an. Lavi blickte schweigend zurück, während er den Finger immer noch im Mund hatte und ihn offenbar ausgiebig sauber lutschte. Schließlich zog Lavi seinen Finger zurück und das war ein Glück, dann Kanda war schon wieder der deutlichen Meinung, dass es sehr heiß im Zimmer geworden war. Wie er den Sommer doch hasste! „Ja, das hab ich mir gedacht…“, murmelte Lavi kaum hörbar und wandte den Blick wieder ab. Kanda bohrte seine Augen in den Rotschopf. Was sollte das denn? Wieso war Lavi so ernst? Wieso sah er ihn nicht mehr penetrant grinsend an? Und überhaupt, wieso interessierte ihn das? Er hasste es, wenn Lavi ihn penetrant grinsend ansah und wenn er mit ihm redete, als würden sie sich irgendwie mögen. Also war jetzt der Moment gekommen, sich darüber zu freuen, dass irgendetwas das Grinsen aus Lavis Gesicht gewischt hatte… Doch die Freude wollte sich nicht einstellen. Sein Herz zog sich stattdessen schmerzhaft zusammen, da er merkwürdigerweise das Gefühl hatte, er wäre Schuld an Lavis schlechter Laune. „Nimm dir ein Brötchen“, schnauzte er ungehalten. Lavi blinzelte und sah ihn verwirrt an. „Wie bitte?“ Da sah man es wieder! Dieser unterbelichtete Vollpfosten verstand noch nicht einmal die einfachsten Dinge! „Ich sagte: Nimm dir ein Brötchen! Los!“ Lavi starrte ihn an. Kanda wurde noch etwas heißer und er beschloss, sich an der Rezeption aufgrund des Fehlens von Klimaanlangen in den Zimmern zu beschweren. Ganz langsam, als wäre er sich nicht sicher, ob Kanda das wirklich gesagt hatte, nahm er sich ein Brötchen und schnitt es in zwei Hälften. Sie aßen schweigend. Schweigend, auf Lavis Bettdecke, mit einem Tablett und einem einzigen Teller, viel zu viel Käse und Wurst und Marmelade und mit nur einer Tasse Kaffe. Kanda hasste es, zu teilen. Aber in diesem Moment teilte er sogar seine beknackte Tasse Kaffee mit diesem nervigen Feuermelden. Weil Lavi ihm Frühstück gebracht hatte, weil er sein Bett bezogen hatte, weil er ihn vom Strand bis nach Hause getragen und ihm einen Waschlappen gebracht hatte… Und vor allem natürlich, weil er ohnehin nicht alles geschafft hätte und das war selbstverständlich der einzig wahre Grund. Sentimentalität stand ihm nämlich ganz und gar nicht. „Sicher, dass du nicht mit wandern gehen willst?“, brummte er ungehalten, nachdem Lavi das Tablett zur Seite geschoben und seine Bettdecke wieder auf sein Bett verfrachtet hatte. Lavi lächelte kaum merklich, als er ihn betrachtete. Wenn das so weiter ging, dann würde er bald Lavis Haaren Konkurrenz machen und das war das Letzte, was er wollte. „Nein. Will ich nicht. Ich will bei dir sein.“ Klimaanlagen. Dringend von Nöten. Und obwohl ihm extrem heiß war, kroch er unter seine Bettdecke und hütete bis zum späten Nachmittag sein Bett, damit Lavi auch ja nichts von seinem hochroten Kopf und seinem hämmernden Herzen bemerkte. Kapitel 7: Die Hölle, Tag 4 - Nacktbaden ---------------------------------------- Für Aito, für den Knopf und die Ohrläppchen. Für Lisa, weil die Romanauszüge ihre Idee waren :) Und für Syn-, die beinahe alle meine FFs in ihrer Favoritenliste hat ;) Viel Spaß beim Lesen! Liebe Grüße, Paperflower __________________ Er hatte es ja gewusst. Es konnte immer noch schlimmer werden! Seine Kopfschmerzen waren verschwunden, aber vor zehn Minuten – es war kurz vor acht – war das Unheil heraufgezogen. Und zwar in Form von kichernden Mädchen, die an ihre Zimmertür klopften und Lavi fragten, ob er nicht Lust hätte, mit zu ihnen aufs Zimmer zu kommen, um noch etwas – und Kandas Nackenhaare hatten sich bei dem Wort gesträubt – Flaschendrehen zu spielen und Bier zu trinken. Beinahe war er sich sicher gewesen, dass Lavi ablehnen und verkünden würde, dass er auf Kanda aufpassen musste. Allerdings hatte er den halben Tag damit verbracht, Lavi zu erklären, dass er seine Hilfe nicht brauchte. „Klar, ich komm mit rüber“, waren die Worte, die ihn ins Verderben gestürzt hatten. Nun war Lavi drei Zimmer weiter mit einer Horde gieriger Mädchen, die alle nach Lavi lechzten! Wie hatte sich der Vollidiot nur darauf einlassen können? Es war doch vollkommen klar, dass all diese Mädchen nur Eines von ihm wollten! Kanda hatte sich sein Buch geschnappt, um sich von dem absolut unerträglichen Gedanken abzulenken, dass Lavi gerade munter mit jedem Mädchen herumknutschte, das darum bat. Wie konnte man nur so leicht zu haben sein, das war empörend, er selbst würde sich niemals von Lavi küssen lassen und schon gar nicht von einem dieser Klatschweiber. Es war nicht zu fassen. …schlich durch den dunklen Flur und die Treppe hinunter… Das Buch sollte an dieser Stelle eigentlich spannend sein, aber er konnte sich nicht konzentrieren. Er starrte die Seite seit fünf Minuten an, ohne, dass die Sätze irgendeinen Sinn in seinem Gehirn hinterließen. …schlich durch den dunklen Flur… Er sah sich schon selbst durch den dunklen Flur schleichen, um Lavi vor all den geifernden Weibern zu retten, doch soweit kam es noch, dass er dem elenden Feuermelder aus der Patsche half, nur weil er in der Bewunderung badete, die ihm diese nervtötenden Mädchen entgegenbrachten… …hörte nur das leise Knarzen seiner Schritte auf der morschen Treppe und das rauschende Blut in seinen Ohren… Und wie sein Blut rauschte bei dem Gedanken, dass der Nervbolzen tatsächlich aus dem Zimmer gegangen war! Was, wenn er einen schweren Gehirnschock erlitt und Niemand im Zimmer war? Dann würde Lavi sich hoffentlich bis ans Ende seines Lebens schlecht fühlen und sich Vorwürfe machen. Jawohl! Grimmige Genugtuung würde er noch im Grab empfinden, wenn er sich vorstellte, wie Lavi vergrämt vor seinem Grabstein weinte! …Licht am Ende des Ganges, das unstet flackerte und mit jedem Schritt näher kam… Lavi würde sein blaues Wunder erleben, wenn diese ausgehungerten Weiber ihn fesselten, knebelten und ihn als Sexsklaven hielten. Aber es geschah ihm eindeutig recht, sollte er doch leiden und nach Kanda rufen, aber er würde Lavi höchstens den Vogel zeigen. Es war ja nicht sein Problem, dass Lavi die Gesellschaft dieser Weiber Kandas Gesellschaft vorzog. …zischende Stimmen im schwach beleuchteten Zimmer… Ja, die Mädchen zischten sich wahrscheinlich Stille- Post- artig ins Ohr, welche von ihnen Lavi als Erste abknutschen durfte. So musste es sein! Lavi konnte unmöglich freiwillig mit einer von diesen Bratzen herumknutschen… Kanda starrte das Buch an. Die Buchstaben schwammen sinnlos vor seinen Augen hin und her. Das mussten die Nachwirkungen von diesem Ball sein, der seinen Kopf getroffen hatte. Normalerweise würde er sich überhaupt dafür interessieren, was Lavi tat und was er nicht tat. Oder wozu er gezwungen wurde… Aber er konnte sich noch so sehr einreden, dass Lavi ihm am Allerwertesten vorbei ging. Es ärgerte ihn. Die Vorstellung ärgerte ihn, dass Lavi mit diesen Mädchen zusammen saß und Bier trank und Flaschendrehen spielte und es wohlmöglich genoss, mit ihnen herum zu knutschen. Er warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb neun. In einer halben Stunde war Bettruhe. Lavi würde dann wohl wieder hier sein und dann konnte Kanda ihn in aller Ruhe verhöhnen, weil er so anspruchslos war. Doch neun Uhr kam und ging. Und Kanda schaffte nur zwei Seiten seines Romans. Um viertel nach neun klappte er das Buch wütend zu und stand auf. Zornentbrannt riss er die Zimmertür auf und stapfte barfuß und lediglich in einer Trainingshose den Gang entlang, bis er vor der Zimmertür angekommen war, hinter der Lavi gerade sitzen musste. Er klopfte nicht an, sondern öffnete die Tür ohne Umschweife. Die Mädchen waren zu fünft und saßen mit Lavi in einem Kreis, in der Mitte eine leere Bierflasche. Lavi war gerade dabei, sich über die Bierflasche hinweg zu einer der Gören hinüber zu beugen, garantiert, um sie zu küssen. Als er die Tür aufgehen hörte, wandte er den Kopf und starrte Kanda verwirrt an. „Yuu, was machst du denn hier?“, fragte er vollkommen verdattert. Kanda schnaubte. „Es ist Bettruhe! Ich habe keine Lust, Anschiss zu bekommen, nur weil du nicht rechtzeitig im Zimmer bist!“, motzte er ohne darauf zu achten, wie laut er war. Die Mädchen sahen eindeutig so aus, als wollten sie ihn am liebsten erschießen, aber er machte sich nichts daraus. Lavi setzte sich und sah ihn von unten herauf an. Seine Wangen waren gerötet und seine Augen ziemlich glasig. Na wunderbar. Der Vollpfosten war angetrunken! Wenn nicht gar betrunken! „Hab gar nicht auf die Uhr geguckt“, gab Lavi zu und sah verlegen aus, als er sich durch die roten Haare fuhr. Kanda hätte ihm gerne einen Tritt verpasst, aber das konnte er auch noch machen, wenn er Lavi aus den Fängen dieser Klatschweiber errettet hatte. „Los, komm mit“, sagte er ungehalten und Lavi erhob sich tatsächlich gehorsam, winkte den Mädchen noch zu, die allesamt enttäuscht aussahen – vor allem die, die Lavi beinahe geküsst hatte – und folgte Kanda aus dem Zimmer. Kanda hatte ihn am Arm gepackt, doch Lavi sagte nichts dagegen. „Yuu, ich glaub, ich bin n bisschen betrunken“, sagte Lavi heiter, als Kanda die Zimmertür hinter ihnen geschlossen hatte. „Das merke ich“, knurrte er schlecht gelaunt, „und, hast du alle einmal durch geknutscht?“ Lavi sah ihn erstaunt an. „Nee. Nur eine… bevor du rein kamst“, sagte er unumwunden. Kanda kochte vor Wut. Oder…vor etwas Anderem? Er war sich nicht sicher. „Ins Bett!“, schnauzte er ungehalten und wandte sich ab. Lavi kicherte. „Hab noch keine Lust ins Bett zu gehen. Ich will noch an den Strand“, verkündete er. „Bist du von allen guten Geistern verlassen?“, zischte Kanda entnervt. Der Idiot war doch vollkommen übergeschnappt! Nur Lavi konnte auf solche brunzdummen Gedanken kommen… und betrunken war er auch noch! „Musst ja nicht mitkommen. Ich will noch mal nackt baden, bevor wir wieder nach Hause fahren.“ Kandas Gehirn buchstabierte das N- Wort in roten Leuchtbuchstaben. Nackt. N A C K T. Schon wieder nackt! Wieder fiel ihm auf, wie er dieses Wort hasste! Wer hatte es überhaupt erfunden? Wieso wurden Menschen nicht mit Klamotten geboren? Dann müsste er sich jetzt mit der Vorstellung von einem nackten Lavi herumschlagen! Ihm wurde heiß. „Es ist Bettruhe“, knurrte er und spürte, wie sein Gehirn von roten Leuchtbuchstaben auf Grüne umstieg. N A C K T. N A C K T ! „Ach Yuu, es ist Klassenfahrt! Niemand hält sich auf einer Klassenfahrt an die Regeln“, erklärte Lavi, nun deutlich lallend und wühlte in seinem Koffer nach einem Handtuch. „Doch!“, sagte Kanda trotzig, „Ich!“ Lavi lachte leise in seinen Koffer hinein, ehe er ein großes, grünes Badetuch hervorzog und es sich über die Schulter warf. „Du musst ja auch nicht mitkommen, ich geh allein!“ Kanda lagen einhundertfünfundsiebzig Erwiderungen – die meisten davon Beschimpfungen – auf der Zunge, aber er öffnete den Mund, ohne, dass auch nur ein Wort heraus kam. Lavi hatte ihn vom Strand nach Hause getragen. Er hatte ihm das Bett neu bezogen. Einen Waschlappen gebracht und Frühstück gekauft… „Dann geh doch!“, brummte er missmutig und warf sich auf sein Bett. „Tu ich auch. Bis später, Yuu!“ Sein Gehirn buchstabierte nackt mittlerweile in gelb. Er starrte die Tür an, aus der Lavi gerade verschwunden war. Unentschlossen kaute er auf seiner Unterlippe herum, seine Augenbraue zuckte mordlustig. Schließlich setzte er sich mit einem wütenden Schnauben auf, stapfte zur Tür hinüber und riss sie auf. Das fehlte ihm gerade noch, dass Lavi ertrank. Wohlmöglich würde er die Verantwortung dafür tragen müssen. Weil er sein unfreiwilliger Mitbewohner war. Und weil er Lavi nicht ans Bett gefesselt und ihn an seinem Vorhaben gehindert hatte! Natürlich folgte er Lavi nur, um seinen eigenen Hintern zu retten und nichts Anderes! Das wäre ja auch gelacht. Die Rezeption war leer und der Eingangsbereich vollkommen dunkel. Kanda schritt so leise und so schnell es ging durch die kleine Halle und öffnete die Tür. Dann machte er sich auf den Weg hinunter zum Strand. Es dauerte nicht lange, bis er Lavi gefunden hatte. Der kleine Strand war wie ausgestorben, es war angenehm warm und dunkel. Und der Vollhorst stand bis zu den Knien im Wasser. Nackt. Natürlich. Sämtliche Hoffnungen, dass Lavi vielleicht wenigstens seine Shorts anlassen könnte, waren vergebens gewesen. Er starrte eine Weile lang auf die regungslose Gestalt im Wasser, dann ging er näher heran. Als hätte Lavi ihn gehört – was nicht sein konnte, da der Sand die Geräusche seiner Schritte völlig schluckte – ging er weiter ins Wasser hinein, bis er schließlich bis zum Bauchnabel darin versunken war. Kanda verschränkte die Arme vor der Brust und achtete nicht darauf, dass die Wellen seine nackten Füße berührten. „Wenn du ertrinken solltest, wird ich dich sicher nicht retten“, informierte er Lavi. Der erschrak offenbar und drehte sich hastig zu ihm um. Einen Moment lang starrte er ihn nur fassungslos an. Das blasse Licht einer nahen Straßenlaterne beleuchtete seine Züge gerade genug, um das glasige Funkeln seiner Augen zu sehen. „Was machst du denn hier?“, fragte Lavi perplex. Kanda schnaubte. „Ich hab keine Lust, Anschiss wegen dir zu kriegen“, sagte er. Lavi grinste. „Hast dir Sorgen gemacht, was, Yuu?“ Kanda spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Seine Arme lösten sich aus der Verschränkung und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Lavi lachte leise und dann warf er sich bäuchlings in die nächste Welle. Eine kurze Zeit lang war er unter der Wasseroberfläche verschwunden und Kanda konnte sich nicht entscheiden, ob er hoffen sollte, dass Lavi ertrunken war, oder dass er sehr schnell wieder auftauchte… denn seine Beine machten eindeutig Anstalten, ebenfalls tiefer ins Wasser zu gehen. Aber er würde nicht in diese Brühe gehen. Nicht für Lavi. Nicht, weil Lavi immer noch nicht aufgetaucht war… und schon gar nicht, weil er sich irgendwie Sorgen machte… Mit einem unterdrückten Fluchen watete er tiefer ins Wasser und auf die Stelle zu, an der Lavi verschwunden war. Unsicher, was er eigentlich tun sollte, stand er einen Moment unschlüssig hüfthoch im Wasser, dann ging er ganz ins Wasser. Lavi würde dafür büßen. Wenn er ertrunken war, würde Kanda ihn gleich mal erwürgen. Und dann aufhängen! Seine Hose waberte nass um seine Beine, als eine Hand sich um seine Beine schloss und ihn nach unten zog. Mit einem erschrockenen Japsen tauchte er unter und trat nach unten aus. Die Hand hatte ihn bereits wieder losgelassen und er tauchte prustend und nach Luft schnappend wieder auf, seine Haare nun ebenfalls klitschnass. Lavis Kopf schaute ein Stück weit neben ihm aus dem Wasser. Er grinste. „Bist ja doch rein gekommen“, sagte er schmunzelnd. Kanda wollte ihn auf der Stelle… Wütend schnaubend schwamm er in Richtung Ufer und stakste klatschnass an den Strand, wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht und war sogar zu verlegen und sauer, um sich über den Sand, der nun an seinen Füßen klebte, zu ärgern. Lavi war absichtlich so lange untergetaucht. Nur, um ihn ins Wasser zu locken! Und er war auch noch wie der letzte Idiot hinein gegangen, weil er gedacht hatte, Lavi wäre irgendetwas passiert… Er wollte sich selbst dafür ohrfeigen und stapfte wutentbrannt durch den Sand, als sich zwei Arme von hinten um ihn schlangen. Er erstarrte, als Lavis nackter Körper sich von hinten an ihn drückte. „Tut mir Leid“, flüsterte Lavi nah an seinem Ohr. Eine Gänsehaut überkam ihn, die nichts mit dem Wasser auf seiner Haut und der leichten Brise zu tun hatte. Er schluckte. Sein Herz vollführte einen heftigen Trommelwirbel, als Lavi ihn vorsichtig zu sich herumdrehte. Kanda blickte starr hoch zu dem Rotschopf, der genau wie er klatschnass war. Und nebenbei auch noch nackt. „Aber schön, dass du dir wirklich Sorgen gemacht hast“, murmelte Lavi. Er war viel zu nahe. Wirklich….viel zu nahe. Er konnte sogar im schwachen Licht vereinzelte Sommersprossen erkennen… „Hab ich… nicht…“, krächzte er. Seine Beine fühlten sich an wie Pudding. Und dann küsste Lavi ihn. Einfach so. Und er konnte nicht mehr denken. Nicht einmal mehr, dass er Lavi eigentlich dafür umbringen wollte… Kapitel 8: Die Hölle, Tag 5 - Erkenntnis ---------------------------------------- Hallo Ihr Lieben! Tut mir Leid, dass es diesmal ein wenig länger gedauert hat, aber ich bin in den letzten Tagen nicht wirklich zum Tippen gekommen. Ich hoffe, ihr mögt das Kapitel. Ich wünsche euch einen schönen, restlichen Pfingstmontag und viel Spaß beim Lesen! Viele liebe Grüße, Paperflower __________________ Lavis Lippen waren unerwartet weich und bewegten sich tastend gegen die seinen. Kandas Gehirn schien gelähmt zu sein. Er konnte nicht mehr denken, geschweige denn konnte er Lavi eine reinhauen für das, was er ihm gerade antat. Er stahl seinen ersten Kuss! Kandas Knie fühlten sich an wie Wackelpudding und ein Blitz schien durch seinen Körper zu zucken, als Lavis Zunge sachte über seine Lippen strich. Er schmeckte nach einer seltsamen Mischung aus Bier und Himbeeren. Automatisch öffnete er seine Lippen, während seine Finger sich in Lavis Schultern festkrallten. Lavis Hände begaben sich unterdessen auf Wanderschaft und strichen sachte über die nasse Haut an seinem Rücken. Gerade hatte er noch das Gefühl gehabt, das Wasser auf seinem Körper würde sich abkühlen. Jetzt schien es eher in Flammen zu stehen. Als ihre Zungen sich berührten, entfuhr ihm ein schrecklich entwürdigendes Keuchen, da sein ganzer Körper in ein unerträgliches Kribbeln ausbrach. Er wusste nicht, wie lange sie nass aneinander geschmiegt standen und sich küssten und er wusste auch nicht, wieso er Lavi nicht von sich stieß und ihn dann erwürgte. Aber er wusste – auch wenn er sich schwer damit tat, es sich einzugestehen – dass Lavis Kuss sich sehr gut anfühlte. Als Lavi den Kuss löste, hatte er einen Moment den peinlichen Wunsch, zu protestieren. Er wagte es kaum, die Augen zu öffnen und als er es dann doch tat, schluckte er schwer beim Anblick von Lavis Gesicht. Der Größere hatte nun noch glasigere Augen als vorher. Seine Lippen bogen sich zu einem kaum merklichen Lächeln. „Du magst also Niemanden, ja?“, flüsterte Lavi leise und Kanda spürte, wie sein Gesicht noch heftiger zu glühen begann. „Ich…“, er brach ab. Was sollte er sagen? Wieso hatte er überhaupt das Gefühl, er müsste etwas sagen? Eine kühle Brise strich über sie hinweg und bescherte ihm eine Gänsehaut an den Armen. Im nächsten Moment war er sich schon nicht mehr sicher, ob dies an dem Wind lag, oder an Lavis Fingern, die immer noch hauchzart über seinen nackten Rücken streichelten. „Es gibt aber Jemanden, den ich mag“, murmelte Lavi sehr leise, nachdem er sich zu Kandas Ohr vorgebeugt hatte. Kandas Herz verwandelte sich in etwas wie eine Dampflok, während sein Magen sich anfühlte wie ein Ameisenstaat. Er wollte irgendetwas sagen. Am besten etwas Abfälliges. Etwas in der Art wie ‚Such dir doch Jemanden, den das interessiert’, aber Fakt war, dass er darauf brannte, Lavis nächste Worte zu hören, auch wenn sein Herz dann wohlmöglich explodieren würde. „Ta…tatsächlich“, krächzte er heiser und Lavis Atem an seinem Ohr ließ ihn leicht erzittern. Vielleicht lag das auch nur an der neuerlichen Brise… „Hmhm…“ Lavis Lippen, die über seinen Hals strichen, kamen ihm übermäßig vulgär vor, weil sie kleine Blitze durch seinen Körper direkt in seine Leistengegend schickten. Er ließ sich niemals von Jemandem berühren. Vielleicht reagierte er deswegen so übertrieben auf jeden noch so kleinen Körperkontakt… „Und eigentlich hatte ich gehofft, dass du mich auch magst…“ Was für eine absolut absurde, abwegige, unerfüllbare Hoffnung… sicherlich würden seine Knie gleich einknicken. Lavis Finger auf seinem Rücken hinterließen ein nachdrückliches Brennen auf seiner Haut. „Du bist betrunken“, brummte er schließlich und schaffte es endlich, sich aus Lavis sanfter Umarmung zu lösen. Sobald sie sich nicht mehr berührten, fühlte er sich merkwürdig leer. Lavi sah ihn schweigend an, sagte aber nichts. Kanda schnaubte, hoffte insgeheim, dass er nicht allzu rot war, oder gar zu verklärt aussah und stapfte dann an Lavi vorbei. Sein Herz hämmerte immer noch und die Stellen, an denen Lavi ihn berührt hatte, brannten nachdrücklich. Unwillkürlich fuhr er sich mit der Hand über den Mund, als könnte er den Kuss fortwischen, mitsamt seinen Erinnerungen und den Worten, die nun laut und dröhnend in seinem Kopf widerhallten. „Und eigentlich hatte ich gehofft, dass du mich auch magst…“ Was für ein ausgemachter Schwachsinn! Lavi hatte einen ganzen Harem an Verehrerinnen. Er selbst behandelte Lavi ständig wie Dreck – was er natürlich verdient hatte, so nervtötend und bescheuert wie er war – also wieso um alles in der Welt erzählte er ihm nun, dass er ihn mochte? Vor allem, während er NACKT vor ihm stand? Das war doch die Höhe! Wie er schon erwartet hatte, konnte er nicht schlafen. Er hatte sich aus seinen nassen Klamotten gepellt, war sofort ins Bett verschwunden und hatte die Bettdecke bis zu seiner Nase hochgezogen. Es hatte quälend lange gedauert, bis Lavi ebenfalls ins Zimmer gekommen war. Einen Moment lang hatte Kanda tatsächlich überlegt, ob er nicht wieder aufstehen und nach ihm sehen sollte, denn wer wusste schon, was dieser betrunkene Vollpfosten alles anstellte, wenn er zu viel getrunken hatte! Lavi hatte nichts gesagt, war nur kurz ins Bad verschwunden und schließlich in sein Bett geklettert. Irgendwie hatte Kanda das deutliche Gefühl, er hätte etwas ruiniert. Auch wenn er noch nicht genau wusste was. Diese Frage wurde ihm am nächsten Morgen beantwortet. Er hatte alles ruiniert. Was auch immer genau ‚Alles’ sein sollte, denn er weigerte sich eigentlich strikt zuzugeben, dass da irgendetwas gewesen war. Er wurde geweckt durch das Öffnen und Schließen einer Tür und als er verschlafen blinzelte erkannte er, dass Lavi das Zimmer verlassen hatte. Draußen dämmerte es gerade. Kanda hatte nur wenige Stunden geschlafen – was natürlich alles Lavis Schuld war! – und seine Laune war dementsprechend miserabel. Noch miserabler wurde sie, als er beim Frühstück das erste Mal nicht neben Lavi saß. Der hatte sich dieses Mal zwischen Lenalee und die Bohnenstange gesetzt und plauderte angeregt mit ihnen, ohne Kanda eines Blickes zu würdigen. Abgesehen davon, dass er diesen Fraß sowieso nicht essen wollte, spürte er sein nachdrückliches Hungergefühl angesichts dieser Tatsache, dass Lavi sich von ihm weggesetzt hatte, noch mehr schwinden. Wunderbar. Wieso war er gestern Nacht überhaupt an den Strand gegangen? Richtig… weil er sich beknackte Sorgen um den Feuermelder gemacht hatte. Das war natürlich nur die inoffizielle Version. Der offizielle Grund war, weil er keinen Anschiss hatte bekommen wollen, wenn Lavi etwas passierte. Missmutig aß er ein halbes Brötchen und trank eine Tasse ungenießbaren Kaffees. Unweigerlich dachte er daran, wie Lavi ihm gestern Morgen Frühstück gebracht hatte. Er hasste es, dass seine Gedanken sich um Lavi drehten. Das Christkind verkündete ihnen, dass sie heute an ihrem letzten Tag frei wählen durften, was sie unternahmen. Kanda spitzte die Ohren und hörte, wie Lavi lautstark verkündete, er wolle noch mal an den Strand gehen wollen. Irgendwie war es klar gewesen. Natürlich würde er nicht gehen! Soweit kam es noch, dass er an den Strand ging, nur weil Lavi dort war. Und weil Lavi nicht mehr mit ihm redete. Oder ihn ansah. Zwei Stunden später saß er auf seinem Handtuch in der prallen Sonne, die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden und mit seinem Buch vor der Nase, das er nicht lesen konnte, weil die Sonne ihn zu sehr blendete. Aber das Buch war ohnehin nur Tarnung, denn eigentlich war er schwer damit beschäftigt, Lavi und Lenalee zu beobachten, die sich eine Wasser und Schlammschlacht im seichten Wasser lieferten und sich scheinbar köstlich amüsierten. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, als er sah, wie Lavi lachend etwas Schlamm von Lenalees Bauch wischte. Sie kicherte. Was tat er hier eigentlich? Er mutierte zum Stalker! Aber er konnte es nicht ausstehen, wenn Lavi ihn ignorierte. Er hätte ihn anschreien können. Aber doch nicht das! Grummelnd klappte er sein Buch zu und starrte den Rotschopf an, der sich nun bäuchlings ins Wasser warf, um sich den nassen Sand abzuwaschen. Dann stapfte er mit Lenalee hinüber zu ihrem Club der Idioten und Lavi sagte etwas. Lenalee nickte, drückte Lavi eine Tube in die Hand und legte sich auf den Bauch. Als Lavi sich auf ihren Hintern setzt und damit begann, Lenalees Rücken einzucremen, erreichte Kandas Laune einen Tiefpunkt. ER wollte von Lavi eingecremt werden! Er wollte, dass Lavi mit IHM redete und IHN anlachte! Er konnte es nicht haben, von Lavi ignoriert zu werden. Er war eifersüchtig. Das kotzte ihn an. Lavi kotzte ihn an. Wütend wandte er den Blick ab, packte seine Sachen und stapfte zurück in Richtung Hotel. Die Erkenntnis, dass er Lavi tatsächlich mochte, wurmte ihn zutiefst. Er mochte verdammt noch mal NIEMANDEN! Kapitel 9: Die Hölle, Tag 5 - Überwindung ----------------------------------------- So! Das ist schon eher mein Schreib- Tempo :) Ich bin seit halb vier wach und habe von halb fünf bis halb sieben dieses Kapitel getippet und es sogar Korrektur gelesen... Das ist ungewöhnlich für mich *hüstel* Nun ja, ein Kapitel kommt noch (Die Heimreise) und dann sind wir hiermit fertig ^-^ Das Kapitel ist für , und ;) Viel Spaß beim Lesen, Liebe Grüße, Paperflower ___________________ Es war, als hätte Kanda eine ansteckende Krankheit. Nachdem er in sein Zimmer zurückgekehrt war, hatte er geduscht. Dann hatte er noch einmal versuch, sich mit seinem Buch abzulenken. Selbstverständlich hatte es nicht geklappt. Ohnehin schien alles schief zu laufen. Denn seine Hoffnung, Lavi käme bald vom Strand zurück und er könnte ihn so richtig zusammenfalten – wegen was auch immer – wurde nicht erfüllt. Lavi tauchte nicht auf. Den ganzen Tag blieb er ihrem Zimmer fern, als könnte Kanda ihn mit einer schweren Krankheit infizieren. Natürlich war das alles nicht seine Schuld und Lavi, der Idiot, hatte alles verbockt! Kanda hatte immerhin nicht mit dem Geknutsche und dem Nacktsein und dem Frühstück und dem Huckepacktragen und dem Rücken eincremen und mit irgendwelchen blöden Zuneigungsbekundungen angefangen! Lavi hatte das begonnen und jetzt verschwand er einfach aus Kandas Sichtfeld, um seinem Zorn zu entgehen! Was für ein elender Feigling. Das Buch schien zäh wie Kaugummi zu sein, auch wenn der Klappentext durchgehend fesselnde Handlung versprach. Alles Betrug. Ja, er fühlte sich betrogen, von diesem Buch und von der Welt und ganz besonders von Lavi! Erst knutschte er ihn und sagte ihm, er würde ihn mögen und dann baggerte er Lenalee an, während er Kanda vollkommen ignorierte. Womit genau hatte er das denn verdient? Nur weil er Lavi darauf hingewiesen hatte, dass er betrunken war? Und das war er gewesen! Was zählte schon eine betrunkene Zuneigungsbekundung? Nichts! Im nächsten Moment wurde ihm klar, dass er sich genau darüber am meisten ärgerte. Dass Lavi ihm nicht nüchtern gesagt hatte, dass er ihn mochte. Und dass Lavi ihn geküsst hatte, nachdem er Alkohol getrunken hatte. Das war unverschämt. Er würde sicherlich nicht von Romantik und solchen bescheuerten Dingen anfangen, denn darum ging es hier ja gar nicht. Aber wer würde sich schon über ein mit Bier getränktes Geständnis freuen? Niemand! Und er schon einmal gar nicht. Lavi, dieser Vollpfosten, sollte gepfählt, gehäutet und dann ertränkt werden, für dieses ätzende Gefühlschaos, das er in Kanda angerichtet hatte. Er hatte sich noch nie so verwirrt gefühlt. Es war eine Mischung aus Unsicherheit, Wut, Verärgerung und Scham, die sich da in ihm breit gemacht hatte und ihm gefiel das überhaupt nicht. Schon gar nicht, wenn der Feuermelder der Auslöser dafür war. Um sechs ging er schließlich zum Abendessen. Natürlich war es ungenießbar wie schon die Tage zuvor, doch er würgte einige Gabeln des matschigen Auflaufs hinunter, weil er sonst vermutlich den Hungertod gestorben wäre. Lavi saß wieder bei seinem Kindergarten und würdigte ihn keines Blickes. Vielleicht sollte Kanda ihm den Rest seines Auflaufs ins Gesicht werfen? Immerhin, tröstete er sich selbst, Lavi würde zurück ins Zimmer kommen müssen, sobald es neun Uhr war, denn dann war Bettruhe und sie mussten ihre Koffer noch packen. Denn immerhin ging es morgen – endlich – wieder zurück in die Heimat, weg von diesem ekligen Strand, dem brackigen Wasser, den idiotischen Klassenkameraden und vor allem weg von Lavi und dem Zimmer, das er sich mit ihm teilen musste. Endlich wieder Ruhe. Kein Lavi. Kein Ärger. Kein Gefühlschaos. Eine winzig leise Stimme in ihm eröffnete ihm erbarmungslos, dass er wohlmöglich noch unruhiger sein würde, wenn er sich nach fast sechs Tagen kein Zimmer mehr mit Lavi teilen würde. Dass er sich an ihn gewöhnt hatte. Und dass er ihn – wer hatte dieses Wort überhaupt in seine Denkweise integriert? – vermissen würde. Kandas Vernunft schrie die Stimme nieder. Sehnsucht war eine Emotion, mit der er sich sicherlich nicht herumschlug! Nach dem Essen machte er sich daran, seinen Koffer zu packen. Er legte jedes Kleidungsstück besonders penibel zusammen, räumte den Koffer zweimal aus und wieder ein… aber Lavi tauchte nicht auf. Und neun Uhr kam und ging. Abgesehen davon, dass er jetzt noch wütender war als vorher, verspürte er erneut wachsende Unruhe in sich aufsteigen. Wo war der Idiot? Wollte er etwa heimlich bei Lenalee übernachten und dann morgen früh in aller Hast seine Sachen packen? Das sähe ihm ähnlich! Und soweit kam es noch, dass Lavi bei Lenalee übernachtete, nachdem er sich heute sich an sie heran geschmissen hatte! Kanda stieg aus dem Bett, ging leise zur Tür und öffnete sie. Wie schon am Vorabend stapfte er den dunklen Gang entlang, bis er das richtige Zimmer erreicht hatte und klopfte. Von drinnen kam ein hastig unterdrückter Schreckensschrei und ein leises ‚Herein’. Kanda öffnete die Tür. Miranda saß auf dem unteren Bett, die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen, als könnte sie erwarten, ein Geist hätte an die Tür geklopft. Lenalee lag im oberen Bett auf dem Bauch und blätterte in einer Zeitschrift. „Kanda“, sagte sie erstaunt und hob den Kopf, um ihn über den Rand ihres Bettes besser sehen zu können, „was machst du denn hier?“ Kanda suchte in Windeseile das Zimmer nach einem schlecht versteckten, roten Haarschopf ab. Aber es war nichts zu finden, was auch nur ansatzweise nach Lavi aussah. „Wo ist er?“, brummte er ungnädig. Lenalee schien einen Moment lang verwirrt, dann dämmerte es auf ihrem hübschen Gesicht. „Also wenn er nicht bei euch im Zimmer ist…“, begann sie, doch Kanda schnitt ihr ungeduldig das Wort ab: „Nein, ist er nicht! Sonst würde ich kaum fragen!“ Einen Augenblick lang sah sie ihn schweigend an. Als wüsste sie irgendetwas, was er nicht wusste. Nicht zu fassen… „Eigentlich sollte ich es dir nicht sagen“, meinte sie und setzte sich auf, „aber er ist am Strand.“ Natürlich. Wo sollte er sonst sein, nach Bettruhezeit? Kanda ballte die Hände zu Fäusten. „Er hat dir gesagt, du sollst es mir nicht sagen?“, knurrte er. Miranda zog die Bettdecke noch ein wenig höher. Lenalee nickte. „Er hat schon vermutet, dass du vielleicht hier auftauchen könntest, wenn er nicht pünktlich da ist“, erklärte Lenalee gelassen. In Kanda brodelte es. Lavi hatte das vermutet? Er blieb absichtlich weg und warnte Lenalee vor, dass Kanda aufkreuzen könnte? Wie dreist konnte ein einzelner Mensch eigentlich werden? Ohne ein weiteres Wort schloss Kanda die Tür wieder und stapfte wütend den Gang entlang. Hoffentlich ertränkte sich der Idiot! Die leise Stimme in seinem Kopf, die unverschämterweise lauter geworden war, verkündete ihm, dass er gar nicht erst ins Zimmer zurückkehren musste, denn er würde ohnehin spätestens nach fünf Minuten zum Strand aufbrechen, um Lavi umzubringen. Er knurrte kaum hörbar in die abendliche Stille hinein und ging dann tatsächlich an ihrer Zimmertür vorbei, die Treppe hinunter, durch den Eingangsbereich und schließlich zum Strand hinunter. Er entdeckte Lavi genauso schnell wie am Vorabend. Er saß allein im Sand, spärlich beleuchtet vom milchigen Licht der nahen Straßenlaterne. In der Hand hielt er einen Stock und zeichnete scheinbar geistesabwesend im Sand. Kanda blieb im Schatten stehen und betrachtete ihn. Lavi trug nur seine Shorts, die er schon vorhin am Strand getragen hatte. Es war nicht wirklich warm. Kanda schnaubte und verschränkte die Arme, legte den Kopf schief und sah Lavi an. Ganze fünf Minuten. Kanda spürte, dass seine Wut auf magische Art und Weise verebbte. Allein diese Tatsache ärgerte ihn schon wieder. Während er den Anderen so betrachtete, fiel ihm auf, dass er Lavi peinlicherweise… schön fand. Irgendwie. Er sah ihn gern an. Und das ärgerte ihn noch mehr. Schließlich löste er sich aus seiner Starre und ging langsam zu Lavi hinüber. Der Rotschopf blickte nicht auf und diesmal dauerte es lange, bis er Kanda bemerkte. Erst als er direkt hinter ihm stand, zuckte er zusammen und wandte sich hastig um. „Ist dir nicht kalt?“, fragte Kanda ungnädig. Lavi schaute ihn einige Sekunden lang schweigend und ziemlich überrascht an. Kanda spürte seinen Körper unter diesem Blick kribbeln. „Ein wenig“, gab Lavi zu und wandte sich wieder seinen Sandzeichnungen zu. Kanda marschierte um ihn herum und ließ sich ebenfalls im Sand nieder. Wie er Sand hasste… Und wie er sein Herz hasste, das so heftig in seiner Brust schlug, als wollte es herausbrechen. „Wieso sitzt du dann hier rum?“, brummte Kanda. Lavi sah auf und legte den Stock beiseite, fuhr sich durch die roten Haare und blickte sein Gegenüber nachdenklich an. „Musste nachdenken“, sagte Lavi leise. Kanda fühlte, wie ihm ein leichter Schauer über den Rücken rieselte und er räusperte sich, wandte den Blick von Lavi ab und starrte stattdessen zum Meer hinüber, das leise rauschte. Er rang mit sich. Mit seinem Gefühlschaos. Mit seinem Stolz. Und mit seiner sich plötzlich aufbäumenden Zuneigung für den Menschen, der ihm gegenübersaß. „Willst du meinen Pulli?“, knurrte er und spürte, wie ihm Hitze ins Gesicht kroch. Was zur Hölle war das nun wieder für eine absurde Idee? Lavi schwieg erneut einige Sekunden. „Dann ist dir auch kalt“, sagte er leise. Kanda schnaubte. Natürlich konnte er Lavi nicht sagen, dass ihm eigentlich ziemlich heiß war, trotz der kalten Brise, die über sie hinweg strich. Kanda bemerkte eine Gänsehaut auf Lavis Armen. Einen Moment lang hatte er das deutliche Bedürfnis, Lavi zu berühren. Dann zog er jedoch nur seinen Pullover aus, unter dem er noch ein T-Shirt trug und hielt ihn Lavi missmutig hin. Lavi nahm ihn und starrte den Pullover an, als wäre er eine Erscheinung. Zu Kandas grenzenloser Verlegenheit hob Lavi den Pulli zu seinem Gesicht und lächelte dann kaum merklich. „Der riecht nach dir“, murmelte er und zog sich den Pulli schließlich über. Kandas Gesicht leuchtete wohlmöglich wie ein Leuchtturm in der Finsternis… „Ich hatte ihn ja auch den halben Tag lang an“, gab er zurück. Sein Herz schien den Brustkorb fast durchbrochen zu haben. Erneut schaute Lavi ihn schweigend an. „Wieso bist du hergekommen?“, fragte er schließlich. Kanda hätte wissen müssen, dass so eine Frage kommen würde, aber er hatte sich noch keine passende Antwort überlegt und so sagte er das, was ihm als Erstes einfiel. „Weil du nicht da warst.“ Vielleicht sollte er doch eher sich selbst anstatt Lavi ertränken. „Tut mir Leid wegen gestern. Ich hätt’ dich nicht so überfallen soll-…“ Das war die Höhe! Erst war er betrunken und jetzt entschuldigte er sich noch dafür, als täte es ihm Leid, dass sie sich geküsst hatten! Ehe er sich sicher war, was er da eigentlich tat, hatte er Lavi vorn am Pullover gepackt und zu sich gezogen, drückte seinen Mund auf den des Rothaarigen und spürte, wie seine Lippen zufrieden kribbelten. Sein Herz entschwebte gen Himmel. Einen Moment lang schien Lavi erstarrt, dann schlangen sich seine Arme so fest um Kanda, dass dieser fürchtete, er müsste ersticken. Lavi zog ihn zu sich, presste seine Lippen fester auf Kandas und vergrub die Hände in seinem Nacken. Sein Körper stand in Flammen, er konnte nicht mehr denken. Sie knieten im Sand voreinander, so eng ineinander verschlungen, dass man sicher kaum noch feststellen konnte, welcher Arm wem gehörte. Lavis Zunge löste ein bislang unbekanntes Kribbeln in Kandas Unterleib aus und er verkniff sich ein Keuchen, als Lavis Finger sich unter sein T-Shirt stahlen. Wie schon gestern hinterließen Lavis Fingerspitzen brennende Spuren auf seiner Haut. Sein Gehirn hatte sich abgeschaltet. Wen interessierte schon ein Tag voller Ärger und Ignoranz…? Lavi küsste ihn… und küsste ihn… und küsste… Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie sich voneinander lösten. Kandas Lippen fühlten sich an, als stünden sie in Flammen und er hatte den deutlichen Eindruck, dass seine Augenlider auf Halbmast hingen. Lavi sah ihn mit glühendem Blick an. „Ich will gar nicht mehr aufhören dich zu küssen“, flüsterte der Rotschopf und musterte Kandas Gesicht eingehend. Kanda schluckte. Er konnte nichts sagen, er konnte ja immer noch nicht denken. „Und ich hab das gestern nicht nur gesagt, weil ich betrunken war“, fuhr Lavi leise fort und seine Lippen streiften Kandas Wange, drückten sich kurz auf seine Schläfe und dann kippte seine Stirn auf Kandas Schulter. „Ich kann dir auch nüchtern sagen, dass ich dich mag…“ Seine Stimmbänder mussten gelähmt sein. Oder sein Herz drückte so heftig darauf, dass er nicht reden konnte. Ja, das musste es sein. „Stoß mich nicht wieder weg“, flüsterte Lavi so leise, dass Kanda ihn kaum hörte und er gab ein undefinierbares Geräusch von sich, etwas zwischen einem Seufzen und einem Brummen. Lavi lachte kurz auf. „Das reicht mir schon als Antwort“, nuschelte er gegen Kandas Schulter. Als sie eine halbe Stunde später zurück zum Hotel gingen, schwiegen sie beide. Lavi mit einem versonnenen Lächeln auf den Lippen, Kanda immer noch unfähig zu sprechen. Er hatte den deutlichen Drang, Lavis Hand zu nehmen. Aber dieser Drang wurde überdeckt von unangenehmer Überraschung, als sie den Eingangsbereich betraten. „Was habt ihr beide um diese Uhrzeit draußen gemacht?“, fauchte das Christkind ungewöhnlich wütend. Lavi schien genauso vom Donner gerührt wie er selbst. Keiner von ihnen hatte mehr daran gedacht, dass schon seit zwei Stunden Bettruhe war. „Das setzt Strafarbeiten, für euch beide! Das hätte ich nie von euch erwartet!“, zischte ihre Lehrerin und wedelte mit den Händen in der Luft herum. Selbst wenn sie zornig war, konnte Kanda sie kaum ernst nehmen. Aber trotzdem… Wunderbar. Strafarbeiten. Kapitel 10: Die Hölle, Tag 6 - Abfahrt -------------------------------------- Hier haben wir es also, das letzte Kapitel! ich hab es heute morgen von 06:00 - 07:30 geschrieben und natürlich ist es kurz geworden, aber alles Andere wäre überflüssiges Gefasel geworden :) Fürs Protokoll: Nein, es wird auf keinen Fall eine Fortsetzung geben! Denn meine Fortsetzungen werden meistens mies und daher appelliere ich an eure Fantasie, um euch alles Weitere auszumalen ;) Vielen Dank an dieser Stelle an alle, die mir regelmäßig Feedback dagelassen haben, ich weiß das sehr zu schätzen! Dieses letzte Kapitel ist für , die Shonen Ai in D.Gray-man eigentlich gar nicht leiden kann, meine FF aber trotzdem mag. Danke für dieses Riesenkompliment! Viel Spaß beim Lesen! Liebe Grüße, Paperflower ______________________ Er schlief nicht viel in dieser Nacht. Das hing natürlich auch mit Lavi zusammen, der, kaum dass sie das Zimmer betreten hatten, die Arme um ihn schlang und ihn erneut küsste. Und zwar sehr lange und ausgiebig. Vor allem aber hinderte ihn sein hämmerndes Herz daran, einzuschlafen. Was genau bedeutete das nun? Dass er mit Lavi herumknutschte… Sie knutschten. Lavi mochte ihn. Er… mochte Lavi. Sollte das nun etwa heißen, dass sie so etwas wie ein Paar waren? Diese Vorstellung gruselte ihn und gleichzeitig jagte sie seinen Pulsschlag in die Höhe, denn er hatte sich nie zuvor darüber Gedanken machen müssen, ob er nun Teil eines Paars war, oder nicht. Stundenlang lag er wach und wälzte sich hin und her, nicht sicher, was er von alledem halten sollte. Denn ganz abgesehen davon, dass er noch nie eine Freundin gehabt hatte, war Lavi nun einmal… nun ja. Keine Freundin, sondern ein Freund. Die Vorstellung, er würde Lavi nun öfter sehen, als nur in der Schule, oder der Gedanke daran, was sie tun könnten, wenn sie allein waren… Er spürte, wie bei diesen Überlegungen Blut in sein Gesicht schoss und er musste die Bettdecke zurückschlagen, weil ihm plötzlich sehr heiß wurde. Ob Lavi sich auch über solche bescheuerten Dinge einen Kopf machte? Garantiert nicht. Der schlief sicher breit grinsend und triumphierend darüber, dass er Kanda in dieses Gefühlschaos gestürzt hatte. Allerdings… wenn Kanda an Lavis Gesichtsausdruck dachte, als er seinen Pulli ausgezogen und ins Bett gestiegen war… das hatte nicht nach Triumph ausgesehen. Kandas Herz machte einen überdimensionalen Sprung, als er sich an Lavis leichtes Lächeln und das Funkeln in seinen Augen erinnerte. Er hatte glücklich ausgesehen. Kanda spürte ein deutliches Kribbeln in der Magengegend, nicht ganz sicher, ob das bedeutete, dass er auch glücklich war. Im Moment war er eindeutig zu verwirrt, um irgendeine Emotion klar zu empfinden. Er war größtenteils an Wut und Gleichmut gewöhnt. Wahlweise auch Verachtung. Aber nicht an Kribbeln im Bauch und Herzklopfen. Und all diese Dinge. Er brauchte schnellstens einen Ratgeber, der ihm all dies erklärte. Mit dem tröstlichen – oder auch beunruhigenden – Gedanken, dass er Lavi nur noch auf der Heimfahrt „ertragen“ musste und er dann erst einmal ein ganzes Wochenende lang seine Ruhe, schlief er schließlich ein und träumte von Wellen und Küssen und blauen Schmetterlingen, die ihm Lavis Namen ins Ohr flüsterten. Natürlich herrschte das reinste Chaos am nächsten Morgen. Wie es schien, waren Miranda, Lenalee und er selbst die Einzigen, die ihren Koffer schon am Vortag gepackt hatten. Während Kanda genervt auf seinem Koffer hockte, die Sonne ihm im Nacken brannte und das Christkind ihm immer wieder empörte Blicke zuwarf, hasteten seine Klassenkameraden an ihm vorbei, beseelt von dem Wunsch, noch eines der belegten Brötchen zu ergattern, die es in der Küche für die Heimfahrt gab. Er selbst hatte selbstverständlich keine dieser Zumutungen in seinen Rucksack gesteckt. Jetzt, wo er fast sechs Tage gefastet hatte, musste er sich nicht noch am letzten Tag eine Lebensmittelvergiftung zuziehen. Möglichst unauffällig beobachtete er Lavi, der am frühen Morgen aufgestanden war und geduscht hatte, um dann wie ein Wahnsinniger seiner Klamotten in den Koffer zu schmeißen. Von Ordnung hatte Lavi garantiert noch nie etwas gehört, das war Kanda schon vorher klar gewesen, doch beim Anblick von Lavis Kofferinhalt wurde er abermals heftig in diesem Wissen bestärkt. Schließlich landete Lavis Zahnbürste ganz oben auf im Koffer, ehe sich der Rotschopf auf dem Kofferdeckel niedergelassen und ihn mit aller Macht gerade so zubekommen hatte. Kanda hatte nur den Kopf darüber schütteln können. Er hoffte inständig, dass Lavi seine Blicke nicht bemerkt hatte, die eigentlich ununterbrochen an ihm geklebt hatten, während er durchs Zimmer gehastet und sein Hab und Gut eingesammelt hatte. Lavi hatte ihm einige Male zugelächelt, was in Kandas Magen ein wahres Sturzfluggefühl ausgelöst hatte. Als er sich daran erinnerte, schluckte er schwer. Er beobachtete schweigend, wie seine Mitschüler ihre Koffer an ihm vorbei hievten und sie dem Busfahrer reichten, der vollkommen verschwitzt und sehr genervt aussah. Er sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu, wie Miranda über ihre eigenen Füße stolperte, ihren Koffer fallen ließ und vom Riesenbaby aufgefangen wurde. Dass dessen Fuß dabei beinahe von Mirandas Koffer zerquetscht wurde, schien ihm nichts auszumachen und Kanda beobachtete gleichmütig, wie eine deutliche Röte in sein Gesicht schoss, als er Miranda wieder auf die Beine half. Als schließlich Jemand seinen Koffer neben ihm abstellte und erschöpft schnaufte, wandte er den Kopf und starb an einem mittelschweren Herzinfarkt, da es Lavi war, der ihn nun von oben herab anstrahlte. „Gut geschlafen, Yuu?“, erkundigte er sich heiter. Kanda starrte ihn an. War das eine Fangfrage? „Ja“, log er prompt. Lavi gluckste und fuhr sich durch sein ohnehin schon arg zerstruwweltes Haar. „Ich hab kein Auge zugetan. Musste die ganze Zeit nachdenken“, gab er zu. Kanda blinzelte. Also war er doch nicht der Einzige gewesen, der sich von einer auf die andere Seite gewälzt hatte… irgendwie war das ein tröstlicher Gedanke. Im nächsten Moment fiel ihm auf, dass Lavi ihn Yuu genannt hatte. Und dass es ihn überhaupt nicht störte. Dieser Umstand wiederum ärgerte ihn gewaltig. „Darf ich mich neben dich setzen?“, flüsterte Lavi, nachdem er sich zu seinem Ohr hinuntergebeugt hatte. Kanda spürte, wie ihm eine Gänsehaut die Arme hinauf kroch. Er schluckte. Schließlich nickte er. Lavi strahlte erneut und Kanda fragte sich entnervt, was dieses Fahrstuhlgefühl in seinem Magen eigentlich sollte. Lavi hievte seinen Koffer in Richtung Busfahrer und auch Kanda erhob sich nun langsam, nahm seinen Koffer hoch und folgte Lavi, der ihm voran in den Bus kletterte und sich bis nach ganz hinten durchschlug, wo er zwei freie Plätze ergatterte. Gerade als Kanda sich neben ihn gesetzt hatte, kam ihre Lehrerin zu ihnen nach hinten und sah sie beide mit finsterem Blick an. „Ihr beide“, begann sie und Kanda war sich sicher, dass nun die Verkündung ihrer Strafarbeiten folgen würde, „werdet die nächste Woche nachmittags zwei Stunden lang nachsitzen, Klassenzimmer 8.“ Kanda starrte sie an. Die ganze nächste Woche? Nachsitzen? Zwei Stunden lang jeden Nachmittag, wohlmöglich mit sinnlosen Mathematikaufgaben oder Englischübersetzungen? Er hasste sein Leben. Und er hasste das Christkind. Wieder einmal fiel ihm auf, dass er Weihnachten noch nie hatte leiden können. „Geht klar“, sagte Lavi beschwingt neben ihm. Kanda und das Christkind starrten ihn misstrauisch an. Lavi zuckte die Schultern, grinste und sagte nichts mehr. Kanda hatte das dunkle Gefühl, dass Lavi sich schon sehr genau ausmalte, was er alles in diesen trauten zwei Stunden jeden Nachmittag mit ihm anstellen wollte und das beunruhigte ihn sehr. Eher gesagt trieb es einen Pulsschlag schon wieder dermaßen in die Höhe, dass er fürchtete, er würde gleich tot vom Sitz fallen. Schließlich verschwand ihre Lehrerin wieder nach vorne in den Bus und machte irgendeine unwichtige Ansage. Kanda spürte, wie ihm die Müdigkeit die Glieder schwer werden ließ, nun da er hieß in diesem bequemen Sitz saß und die angenehm kühle Luft des klimatisierten Busses ihn umgab. „Jetzt hast du mich noch eine ganze Woche an der Backe“, murmelte Lavi leise und machte es sich neben ihm etwas gemütlicher, indem er im Sitz nach unten rutschte und die Beine streckte. Kanda brummte, was Lavi ein Glucksen entlockte. Der Bus setzte sich in Bewegung, ihre Mitschüler lärmten und Kanda unterdrückte den neuerlichen Drang, Lavis Hand zu nehmen. „Sag mal Yuu“, flüsterte Lavi schließlich. Kanda war plötzlich froh, dass ihre Mitschüler so einen Radau veranstalteten. „Hm…?“ „Sind wir… sind wir jetzt ein Paar, oder hab ich das alles letzte Nacht doch nur geträumt?“ Plötzlich schien der klimatisierte Bus sehr heiß geworden. Er gab ein undefinierbares Geräusch von sich und schloss die Augen, um Lavi nicht ansehen zu müssen. Immerhin war er nicht der Einzige, der sich um solche bescheuerten Dinge Gedanken machte. „Hmpf…“ „Heißt das ‚Ja’?“, erkundigte sich Lavi leise. „Halt die Schnauze, oder ich dreh dir den Hals um“, knurrte er aus dem Mundwinkel. Lavi kicherte leise, rutschte noch etwas im Sitz nach unten und legte seinen Kopf auf Kandas Schulter. Ja, es war wirklich sehr heiß hier drin. Er schluckte schwer, hielt die Luft an und lehnte seinen Kopf vorsichtig gegen den von Lavi. Sein rotes Haar kitzelte ihn ein wenig, aber es war unerwartet weich. Sie schwiegen, während der Bus auf den Straßen dahin glitt und ihre Mitschüler um sie herum sich wie Zweitklässler benahmen. Er hörte Wortfetzen wie „…wollte Lavi auch knutschen…“, und „…ganz schön geil, Alter…“, doch sie störten ihn dieses Mal nicht. Er spürte, wie er dösig wurde. Ganz vielleicht waren Klassenfahrten doch nicht so schlecht, wie er immer gedacht hatte. Und ihm stand eine ganze weitere Woche mit Lavi bevor… Dann konnte er ihn immer noch umbringen, falls er sich daneben benahm. Doch für den Moment beschied er sich damit, vorsichtig seine Finger auf Lavis Hand zu legen und die Augen geschlossen zu halten, damit Lavi denken konnte, er schliefe. Doch Lavis zufriedenes Seufzen und die Art, wie er seine Finger mit Kandas verhakte, machten ihm klar, dass Lavi genau wusste, dass er wach war. Also brummte er verlegen, sagte aber nichts und spürte, wie er langsam eindöste, in Gedanken bei ihren Strafarbeiten, auf die er sich unerklärlicherweise schon ein ganz winziges bisschen freute. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)