Die Geschichten Von Säulenheym von Schilly ================================================================================ Kapitel 1: Liebe auf den ersten Blick ------------------------------------- Liebe auf dem ersten Blick Nekka seufzte tief und zog den Sonnenhut tiefer in sein bleiches Gesicht. Mit zu Schlitzen zusammengepressten Augen versuchte er das Geschehen weit unter ihm zu verfolgen, doch immer wieder machte ihm ein gemeiner Sonnenstrahl einen Strich durch die Rechnung. Wieso musste das helle Licht auch so fürchterlich brennen? Und warum konnten die Elfen ihre Parade nicht einfach nachts veranstalten? Der junge Vampir wagte es erneut, schob die Krempe seines Hutes etwas nach oben und versuchte einen Blick auf die Straße zu erhaschen. Er saß auf einem Hausdach in der großen Stadt der Elfen, in Porydia, und auf den schmalen Straßen schoben sich dutzende von bunten Wagen und verkleideter, schlanker Elfengestalten an einem gemischten Publikum aus Menschen, Zwergen und stinkenden Ogern vorbei. Das Frühlingsfest der Elfen war berühmt auf der ganzen Welt und jedes Jahr versuchte Nekka wieder, sich das Spektakel nicht entgehen zu lassen. Leider hielten die Elfen nicht viel von Feiern in der Nacht. „Verdammt.“, brummte der Vampir gereizt. Er schob sich den Hut wieder vor die Augen, denn die Sonnenstrahlen versenkten langsam seine Netzhaut. Feine Rauchfäden kräuselten sich schon von seinem Gesicht in die Luft. Er hasste das untote Leben. Ein leises Kichern erklang neben ihm, das Nekka das Blut in den Adern hätte gefrieren lassen, wenn sein Körper noch einen funktionierenden Blutkreislauf gehabt hätte. Eine schwarzweiße Gestalt hockte sich neben ihn auf das Dach. Bösartige Augen starrten auf die Parade herab. „Hübsche Parade, oder?“, schrillte die Stimme des augenscheinlich jungen Mädchens. Sie sah aus als sei sie höchstens Zwölf, doch wenn man in ihre stechenden Augen schaute sah man eine Weisheit, die der älteste Hochelf in seinem Leben nie erreicht hätte. Sie hatte kalkweiße Haut und kohleschwarzes Haar, das zu einem festen Dutt verknotet war. Ihren schmalen Körper hatte sie in ein schwarzes, ziemlich geschmackloses Samtkleid gehüllt. Das einzige, was Nekka an dieser Gestalt gefiel, waren die schwarzen Damenschuhe, die an der Spitze zu einem lustigen Kringel ausliefen. „Halts Maul, Krypta. Du weißt genau, dass ich kaum was erkennen kann.“, knurrte Nekka gereizt. Die Anwesenheit der Hexe war immer unangenehm. Sie war wie die kleine, bösartige und annähernd allmächtige Schwester, die Nekka zu seinen Lebzeiten niemals gehabt hatte oder haben wollte. „Weißt du, du solltest nicht so frech sein, sonst verwandle ich dich noch aus Versehen in eine Kröte oder so was.“, murmelte sie lächelnd. „Mach das. Alles ist besser als ein Vampir zu sein.“, antwortete Nekka gleichgültig. „Glaubst du?“ „Oh ja. Ich meine, es hat auch Vorteile. Ich kann zum Beispiel durch massive Wände gehen, aber was bringt mir das? Tagsüber kann ich mich nicht frei bewegen und nachts sind keine Frauen in den Umkleidekabinen der Bäder.“ Kryptas schlitzartige Augen verengten sich noch weiter. Es sah aus als würde sie zwei überlange, schwarze Reiskörner in ihrem Gesicht balancieren. „Vielleicht sollte ich dich doch lieber in ein Schwein verwandeln. Das passt irgendwie besser.“, sagte sie dann. „Mach was du nicht lassen kannst. Dann bin ich wenigstens kein Vampir mehr.“ „Oh doch, doch! Den Fluch der Untoten kann niemand aufheben, nicht einmal ich. Du wärst dann halt ein untotes Schwein.“ „Dann lass es doch lieber.“, knurrte Nekka und warf der Hexe einen vernichtenden Blick zu. Dafür erntete er allerdings nur ein gemeines Grinsen. Die beiden saßen noch bis zum Ende der Parade auf dem Dach. Krypta war so nett gewesen und hatte einen seltsamen Gegenstand herbeigezaubert, der ganz entfernt an einen Sonnenschirm erinnerte. Das Gestell war aus einem schwarzen Material, in dem rote Äderchen pulsierten. Der Schirm an sich schien aus dunkler Haut zu bestehen, die hin und wieder erbebte. Nekka hatte das ungute Gefühl das der Sonnenschirm einen leckeren Snack in ihm sah und nur die Anwesenheit der Hexe verhinderte, dass der Schattenspender an ihm knabberte. Doch so konnte er wenigstens ein bisschen sehen. Blinzelnd und mit rauchenden Augen verfolgte Nekka die bunten Schemen, die unter ihm die Straßen füllten. Zu gern würde er dort unten stehen und den Elfen zujubeln, so wie er es zu seinen Lebzeiten bei diesem Fest immer gemacht hatte. Schon vor zweihundert Jahren war die Frühlingsparade ein wahrer Hingucker gewesen. „Langweilig.“, seufzte Krypta irgendwann. Sie hatte sich auf das Dach gelegt und knabberte an kleinen Keksen, die entfernt an getrocknete Augäpfel erinnerten. „Halts Maul.“, erwiderte Nekka. Der Vampir starrte wie gebannt auf die undeutlichen Schemen, die in Wirklichkeit prächtige Wagen und prunkvolle Kostüme waren. Gerade zog ein besonders großer und mit rosaroten und gelben Blüten bedeckter Wagen vorbei. Er war höher als die Häuserdächer und musste von acht Pferden gezogen werden, die normalerweise nur von den Barbaren aus dem Norden genutzt wurden, was in diesem Fall bedeutete, dass die Tiere genug Muskelmasse besaßen um Wände einzureißen oder eben tonnenschwere Paradewagen zu ziehen. Die Spitze dieses Wagens zog träge wie eine gigantische Schnecke an Nekka und Krypta vorbei. Der Vampir blinzelte und strengte seine Augen besonders stark an. Ein weißer Schemen thronte auf der Spitze des bunten Blumenberges. Langsam nahm er schärfere Konturen an. Für ein paar Sekunden sah Nekka schließlich völlig scharf. Das schönste Elfengesicht, das er je gesehen hatte, lächelte ihm schüchtern entgegen. Es war für Elfen so ungewöhnlich, dass Nekka es sofort faszinierend fand. Das junge Ding auf dem Paradewagen hatte nicht das typische schmale, spitze Gesicht. Ihr Kopf war vielmehr wohl gerundet, genau wie der Rest ihres beeindruckenden Körpers, der in ein weißes Rüschenmeer gehüllt war. Goldene Locken umrahmten ihre kleinen, blauen Augen und das schmale Lächeln. Eigentlich erkannte Nekka in ihr nur eine Elfe weil sie einigermaßen spitze Ohren hatte und zufälligerweise bei einer Elfenparade mitmachte. Dann war der Moment seiner Klarsicht auch schon wieder vorbei. Das schöne Mädchen verschwand aus seinem Blickfeld, der Blumenberg rollte davon. Nekka kniff die Augen zusammen und stöhnte vor Schmerz auf, als er merkte, dass er wohl ein paar Sonnenstrahlen zu viel abbekommen hatte. Es vergingen ein paar Augenblicke ehe er sagte: „Sie war wunderschön.“ „Wer?“, fragte Krypta mit deutlichem Desinteresse. Sie war gerade damit beschäftigt mit Hilfe ihres Zeigefingers nach Öl in ihrer Ohrmuschel zu bohren. „Das Elfenmädchen auf dem Blumenberg.“, säuselte Nekka verliebt. „Du meinst die Prinzessin von Porydia? Bist du bescheuert?“ Krypta setzte sich nun auf und schaute den Vampir an, als hätte er nicht mehr alle Latten am Zaun. „Sie… war herrlich. So eine Elfe habe ich noch nie gesehen. Sie war außergewöhnlich.“ „Stimmt, sie war außergewöhnlich fett. Mal ehrlich, hast du zu viele Sonnenstrahlen abbekommen?“ „Ich meine es ernst.“, knurrte Nekka gereizt. Ohne es zu wollen fuhren seine Reißzähne aus, mit denen er für gewöhnlich an Weidevieh und Ratten nuckelte. Menschenblut war ihm immer zu wider gewesen. Krypta musste lauthals loslachen, was bei ihr wie eine Mischung aus Krächzen und grausamen Erstickungstod klang. Wenn Nekka es gekonnt hätte, wäre er vor Wut rot angelaufen. Stattdessen wandelte sich das Weiß in seinem Gesicht zu einem ungesunden Grauton. „Sie hatte den schönsten und größten Wagen!“, versuchte der Vampir seine Verehrte zu verteidigen, „Sie saß ganz oben auf! Sie stand höher als alle anderen!“ Krypta gluckste vergnügt. „Ja, weil man sie dann nicht sehen kann. Meinst du irgendjemand, der unten auf der Straße stand, hatte einen Blick auf dieses Schweinchen in Tüll werfen können? Man hat die Prinzessin so hoch gesetzt, damit sie unbemerkt bleibt.“, erklärte sie und grinste gemein, als diese Erkenntnis den Vampir traf wie ein großer Backstein am Kopf. Nekka knurrte und bewegte seine Lippen, doch es kamen keine Worte heraus. Ihm fiel kein passendes Argument ein, um diese Theorie zu widerlegen. Stattdessen stand er so ruckartig auf, dass sogar der schwarze Dämonenschirm erschrocken zurückschreckte. Nekka zupfte seinen schwarzen Mantel zurecht, hüllte seinen Kopf in die schwarze Kapuze ein und sprang dann leichtfüßig von Dach zu Dach davon. Krypta musste sich derweilen kaputt lachen. Die Parade bewegte sich bis zum frühen Abend durch die Straßen, ehe es völlig still wurde. Wie schon erwähnt hielten Elfen nicht viel von Festen, die mit viel Alkohol und nackten Oberkörpern bis tief in die Nacht gefeiert wurden. Stattdessen waren diese Wesen schon in den Betten noch bevor der letzte Sonnenstrahl hinter dem Horizont verschwunden war. Natürlich gab es so manche Taverne, in des Nachts gefeiert wurde, doch sollte man sich wundern, wenn man dort einen Elfen antreffen würde. Es waren mehr die Menschen und Zwerge, und eventuell ein paar Oger, die sich in diesen Kneipen in die Besinnungslosigkeit tranken. Die Nacht war kühl und ruhig wie immer. Nekka sprang von Dach zu Dach und war betrübt. Und müde. Normalerweise schlief er tagsüber, doch darauf hatte er bekannterweise dieses eine Mal verzichtet. Seine Gedanken kreisten um die Prinzessin und um Kryptas Worte. „Diese verfluchte Hexe.“, murmelte er. Das prächtige Schloss des Elfenkönigs kam immer näher. Es war aus weißem Marmor gebaut und mit Gold verziert, so dass es sogar nachts zu strahlen schien. Zahlreiche dünne Türme mit roten, spitzen Dächern bohrten sich gen Himmel. Nekka landete ohne ein Geräusch vor dem Haupttor. Zwei Elfenwächter, einige der wenigen Elfen die des Nachts arbeiteten, standen steif davor und hielten stolz ihre Schwerter in der Hand. Mit entschlossenem Blick starrten sie direkt durch den Körper des Vampirs hindurch. Wenn Nekka wollte, so konnte er nachts für jeden unsichtbar sein. Er ging geräuschlos an den Wachen vorbei und schob seinen schmalen Körper durch das feste Holztor. Durch Wände zu gehen war zwar praktisch, aber nicht sonderlich angenehm. Als er auf dem Innenhof stand keuchte er vor Anstrengung. Es fühlte sich jedes Mal an als müsse man sich durch eine Schicht muffigen Harzes kämpfen. Doch er hätte das Tor unmöglich öffnen können, denn dann hätten die Wachen ihn doch bemerkt. Seine Unsichtbarkeit war nur so lange gültig, wie der Vampir sich anstrengte möglichst unbemerkbar zu sein. Einige Wände und viele Treppenstufen später stand Nekka keuchen vor der Tür, hinter der er die Prinzessin vermutete. Wie es sicht für eine ordentliche Prinzessin gehörte lag ihre Kammer im höchsten Turm im höchsten Stockwerk. Einmal mehr verfluchte der kleine Vampir die Tatsache, dass er nie ernsthaft gelernt hatte zu fliegen, wie es so viele seiner Artgenossen getan hatten. Er überlegte, wie er vor der Prinzessin auftreten sollte. Anklopfen? Einfach reinstürmen? Vielleicht sollte er auch einfach wie ein ganz normaler Vampir durch die Wand gleiten, den Raum leise durchqueren und wie ein zarter Windhauch ihre Kehle aufschlitzen? Er schüttelte angewidert den Kopf. Solche Gedanken bekam er nur, wenn er hungrig war. Vielleicht hätte er noch einen Abstecher in den Pferdestall machen sollen. Er schluckte, auch wenn er keine Spucke besaß. Er drückte die goldene Klinke herunter. Die Tür öffnete sich fast geräuschlos. Nekka wagte es einen Blick hineinzuwerfen. Und er bekam große Augen. Die Prinzessin befand sich tatsächlich in diesem Raum. Doch lag sie nicht auf dem Bett, sondern auf den Schultern einer schwarzen, schmalen Gestalt, die ziemlich bedrohlich aussah. Im ersten Moment bewunderte Nekka die Kraft dieses Burschen, doch dann fiel ihm ein, dass das große Rüschenbündel seine große Liebe war. Er brach das Gebot der Unbemerkbarkeit und wurde sichtbar für den schwarzen Mann. „Lass sie runter!“, knurrte der Vampir. Seine Zähne fuhren aus wie zwei bösartige, kleine Dolche. Doch blieb die Wirkung aus. Der Kidnapper schien nicht sehr beeindruckt zu sein. Viel mehr zuckte er mit den Schultern und wandte sich einem Fenster zu. Ein kräftiger Tritt und das bunte Glas gab klirrend und kreischend nach. Ohne zu zögern stürzte sich der schwarze Mann samt der Prinzessin den Scherben hinterher. „Nein!“, rief Nekka überrascht. Er eilte ohne zu überlegen durch die Kammer, stieß sich ab und tauchte in die kühle Nachtluft. Die Gravitation sah ihre Gelegenheit, packte den Vampir und riss ihn zu Boden. Nekka verzichtete darauf zu schreien. Er hatte keine Angst und ein solcher Sturz würde zwar schmerzhaft aber nicht tödlich für ihn enden. Neben ihm rauschte die weiße Marmorwand des höchsten Turmes des ganzen Königreichs dahin. Unter ihm kam der Boden immer näher. Doch wo waren die schwarze Gestalt und die Prinzessin? In weiter Entfernung glitzerte ein breiter Punkt im Himmel. Nekka strengte seine Augen an und sah die beiden Gesuchten, wie sie in einem gesunden Winkel und einer angemessenen Geschwindigkeit auf die Stadt zuschwebten. Anscheinend war der Kidnapper ein magiebegabter Elf. Das erkannte man an dem aufdringlichen Glitzern, das den schwarzen schmalen Körper umgab. „Verdam…!“, wollte Nekka fluchen, doch dann traf er den Boden mit der Wucht eines kleinen Kometen. Es krachte, Staub wirbelte und so ziemlich jeder Knochen und jedes verwitterte Organ im Körper des Vampirs zersprang. Dort lag er dann, stöhnte leise vor sich hin und versuchte die Schmerzen zu ertragen. Er konnte nicht einmal den kleinen Finger rühren. „Das hast du davon.“, kicherte Krypta leise. Sie war wie aus dem Nichts neben ihm aufgetaucht und beugte sich nun über ihn. Halts Maul hätte Nekka gerne gesagt, wenn sein Kieferknochen nicht in ganz genau 137 Stücke zersprungen gewesen wäre. Die Hexe drehte eine Runde um den zerschmetterten Körper und kicherte dann erneut. Schließlich legte sie eine Hand auf seinen Rücken und ließ ihre Magie spielen. Hexenmagie war anders als Elfenmagie. Zum Beispiel glitzerte sie nicht. Stattdessen hatte sie eine ziemlich ungesunde, grünliche Farbe die entfernt an Popel erinnerte. Außerdem war sie im Gegensatz zu Elfenmagie sehr unangenehm. Zwar setzten sich die Knochen in Nekkas Körper wieder zusammen und seine Organe bekamen ihre alte, verweste Form zurück. Doch gleichzeitig hinterließ die Magie einen widerlichen Nachgeschmack zurück. Es schmeckte wie ranzige Milch und das nicht nur auf der Zunge, sondern im ganzen Körper. Nekka verzog das Gesicht, als er wieder aufstehen konnte. Das war nicht das erste Mal, das die Hexe ihm geholfen hatte. Wieder einmal stand er in ihrer Schuld. „Und, was hast du jetzt vor, du großer, starker Held?“, schnurrte sie und zog eine Kussschnute. „Danke für die Heilung. Übertreib es nicht.“, knurrte der Vampir gereizt. Ohne ein weiteres Wort setzte er sich in Bewegung. Er war auf dem Innenhof gelandet, also musste er noch die äußere Stadtmauer überwinden, ehe er in die Stadt kam. Der Gedanke an die entführte Prinzessin trieb ihn an. Schnell hatte er die Mitte der Stadt erreicht ohne eine Ahnung zu haben, in welche Richtung der Entführer verschwunden war. Nekka hatte die Stadt dreimal durchquert, als Krypta wieder erschien. Mit einem wissenden Lächeln ritt sie auf ihrem Besen neben dem eilenden Vampir her. „Wo ist sie?“, knurrte Nekka irgendwann. „Wer?“, erwiderte Krypta gespielt unschuldig. „Du weißt genau wer! Und du weißt auch, wo sie ist. Raus mit der Sprache!“ Die Hexe verzog das Gesicht zu einer beleidigten Grimasse, doch der Vampir wusste genau, dass das nur gespielt war. Er seufzte. „Hör zu, es ist mir echt wichtig. Ich tu auch was du willst. Meinetwegen schrubbe ich all deine Warzen einzeln ab. Bitte!“ Nekka versuchte möglichst flehend zu klingen, was ihm nicht besonders gut gelang. Ein drohender Unterton war geblieben. Aber Krypta lenkte trotzdem ein. „In Ordnung. Kennst du die alte Mühle vor den Feldern? Dort finden wir deine Angebetete.“, erklärte die Hexe. Ihr hinterhältiges Grinsen war längst zurückgekehrt. Trotz der Müdigkeit bewies Nekka eine ungeheure Geschwindigkeit. Er flog geradezu durch die Straßen der Stadt, erreichte schnell die Grenze und rauschte über einige Felder, eher die schwarze Mühle in Sichtweite kam. Unzählige Gruselgeschichten rankten sich um das alte Gebäude, das schon seit mehreren hundert Jahren nicht mehr genutzt wurde und trotzdem noch stand. Als Nekka sich der Mühle näherte schien die Luft dicker zu werden. Das schwarze Holz schien eine Art böse Aura aus zu strahlen. Man sollte meinen Vampire würden vor so etwas nicht zurückschrecken, Tatsache war aber, dass die untoten Gesellen nicht dafür bekannt waren, irgendwelche körperlichen Superkräfte zu besitzen, die in einem offenen Kampf nützlich gewesen wären. Etwas schüchtern, aber entschlossen, näherte er sich der dunklen Tür und stieß sie auf. Er sprang hinein, deutete ins Dunkle und rief: „Lass sie frei, elender Unhold!“ Tatsächlich hatte Krypta auch diesmal Recht gehabt. Der Entführer stand vor einer gefesselten und geknebelten Prinzessin, die inzwischen erwacht war und verzweifelt versuchte aus ihrer misslichen Lage zu entkommen. Der schwarze Mann war ein recht alter Elf mit langen, braunen Haaren. Ein langes Messer ruhte in seiner Hand, das vorher noch an der Kehle der Prinzessin geruht hatte, wie ein dünnes Rinnsal Elfenblut bewies. „Wie hast du mich gefunden?“, bellte der Elfenmann und klang dabei trotz seiner Wut edel und erhaben. „Tja!“, war das einzige, was Nekka dazu einfiel. „Verschwinde!“ Der Elf fuchtelte drohend mit dem Dolch herum. „Damit kannst du mich nicht beeindrucken. Warum hast du die Prinzessin entführt?“, fragte der Vampir möglichst ruhig. Der Elf zögerte. Sein Blick fiel auf die Prinzessin, dann wieder auf den Vampir. „Ich bitte dich. Sieh sie dir an. Sie ist… fett. Keine gute Vorraussetzung für eine Prinzessin des Elfenvolkes. Sie sollte anmutig und wunderschön sein.“, erklärte er dann zögernd. Nekka traute seinen Ohren nicht. „Lass sie frei!“, forderte er. „Niemals!“, entgegnete der Elfenmann. Er steckte den Dolch weg und zog stattdessen ein ziemlich beeindruckendes Schwert, das eine Aura des Glitzerns umgab. Der Vampir hatte nicht den geringsten Zweifel daran dass diese magische Klinge selbst für einen Untoten ziemlich tödlich war. Er ging einen Schritt zurück, als der Elf auf ihn zuging. „Nun… Nun warte mal. Wir können doch wie vernünftige Leute darüber reden.“, stammelte der Vampir. Sein Mut hatte ihn angesichts dieser Bedrohung verlassen. Ein gemeines Grinsen verzerrte das makellose Gesicht des Elfen. Einmal mehr wunderte sich der Untote über die Grausamkeit, zu der diese augenscheinlich perfekten Wesen imstande waren. Nekka wich weiter zurück, bis sein Fuß auf Widerstand traf. Der Vampir stöhnte auf, verlor das Gleichgewicht und landete im nächsten Augenblick auf seinem Rücken. Er hörte das glitzernde Brummen der magischen Klinge schon über sich. Ein grünes Netz aus zischenden Blitzen stob über ihn hinweg. Es knallte und surrte in den eigenartigsten Tönen. Ein lauter Schrei erklang, gefolgt von einem dumpfen Aufprall. Nekka kniff die Augen erschrocken zusammen, als ein ebenso kräftiges wie auch schmales Paar Hände ihn packte und unsanft hochzog. „Alles muss man selbst machen.“, murrte Krypta genervt. Nekka starrte sie einen Augenblick entgeistert an, dann suchte er nach dem Elfen, entdeckte aber nur ein qualmendes und verkohltes Häufchen Elend. Die Hexe hatte seinen Widersacher mit einem magischen Blitz niedergestreckt. Der Vampir überlegte nicht mehr lange, sprang über den Leichnam hinweg und eilte seiner Geliebten zur Rettung. So schnell es seine ungeschickten Finger zuließen entknotete er den lockigen Fleischberg. Die Prinzessin jauchzte erleichtert, packte Nekka an der Hüfte und drückte ihn, wie sie es sonst mit ihren Plüschtieren machte. „Du hast mich gerettet!“, rief sie vergnügt aus. Ihre Stimme war süß und ähnlich zäh wie Sirup, doch Nekka gefiel sie gut. „Gern… geschehen…“, presste er heraus. Zum Glück brauchte er keinen Sauerstoff, sonst hätte die herzliche Umarmung der Prinzessin ihm das Leben genommen. Schließlich drückte sie ihre kleinen, fleischigen Lippen auf den schmalen Strich, den der Vampir seinen Mund nannte. Sie küssten sich ausgiebig. „Ich hasse Happy Ends.“, murmelte die Hexe und verdrehte genervt die Augen. Kapitel 2: Gesucht ------------------ In den Straßen von Porydia war es so ruhig wie eh und je. Das war nicht verwunderlich, denn es war kurz vor Mitternacht und Porydia war die Hauptstadt der Elfen. Und dieses Völkchen hielt nicht viel davon den Feierabend damit zu verbringen sich dem Alkohol hinzugeben, zu gröhlen und sich dann den Oberkörper frei zu machen um auf dem nächstbesten Tisch zu tanzen. Und nur selten endeten die Feierabende eines Elfen damit, dass man mit mehreren Schnittwunden und einem blauen Auge in einer Seitengasse lag. Nein, in Porydia ging man pünktlich zum Sonnenuntergang ins Bett. Natürlich erst, wenn man sich die Zähne geputzt hatte. Und so kam es das niemand beobachtete wie die unbekannte und völlig vermummte Gestalt betont lässig die Hauptstraße hinunterging. Nun, zumindest versuchte sie lässig zu wirken. Doch eigentlich sah es so aus, als ob sie für einen aufrechten Gang nicht geschaffen worden war. Jeder Schritt war so ausladend, als ob sie damit sagen wollte: „Seht mich an, ich bin hier. Macht gefälligst Platz!“ Doch wenn sie den Fuß auf die Erde setzte entpuppte sich der Schritt als denkwürdig kurz. Eigentlich sah die Gestalt nur lässig aus, weil ihr viel zu langer Körper beim Gehen schlängelte. Die Gestalt zog sich den großen Hut tief ins Gesicht und rückte ihren Mantel zurecht, so dass man dazwischen nur noch einen bedrohlichen Schatten sehen konnte. Sie wußte genau, dass sich das für einen Kopfgeldjäger so gehörte. Und sie war ein Kopfgeldjäger. Da war sie sich fast sicher. Doch ihr fehlte etwas. Leider hatte sie sich nicht getraut am hellichten Tage so über die Straßen zu wandern, denn da waren ihr zu viele Leute auf den Straßen gewesen. Und jetzt waren eindeutig zu wenig Leute da. Sie hätte sich gewünscht das Mütter ihrer Kinder zurückzogen, wenn sie vorbeiging und das Händler schnell ihre Straßenläden schloßen, wenn sie zu Nahe kam. Doch jetzt war niemand mehr hier. Wenn sie doch bloß nicht so verdammt schüchtern wäre. Die Gestalt ließ ein Paar Schultern hängen, die anatomisch gesehen viel zu weit oben saßen. Nicht einmal ein runder Dornenbusch rollte für sie vorbei. Sie seufzte. Und blickte sich dann um. Die weißen Häuser die die Hauptstraße säumten und fast schon absurd sauber waren, starrten zurück. Nichts regte sich. In keinem einzigen Fenster war Licht zu sehen. Doch gerade als die Gestalt sich frustriert umdrehen wollte entdeckte sie einen schmalen Streifen Licht. Sie wußte nicht genau warum sie sich den Stoß gab, aber sie entschloß sich darauf zuzuwanken. Das Licht entpuppte sich als eine kleine Kellerkneipe, in der tatsächlich noch Betrieb herrschte. Über der Tür hing ein Schild auf der mit der für Elfen üblichen Schnörkelschrift „Idas Hütte“ stand. Die Gestalt hatte Mühe die Treppen hinunterzusteigen, denn die Stufen waren für ihre kurzen Beine viel zu hoch. Doch irgendwie schaffte sie es ohne umzufallen. Sie öffnete die weiße Tür und trat ein. Die Kneipe war ziemlich dreckig. Zumindest wenn man den Maßstab eines Elfen anlegte. Anders als in normalen Elfengebäuden bestand hier nicht alles aus Marmor oder wurde mit der Farbe Weiß geschmückt. Stattdessen war der Keller mit altem Holz verkleidet und urige Barhocker, Tische und Stühle standen überall herum. Eine Theke nahm die gegenüberliegende Wand ein. Für nichtelfische Verhältnisse eine ganz normale Kneipe. Wie es in Situationen in denen ein völlig fremdes Individuum eine fremde Kneipe betrat üblich war wurden sofort alle Gespräche eingestellt und alle Blicke wandten sich zur Tür. Einen Moment überlegte die Gestalt einfach umzudrehen und zu flüchten. Doch als das allgemeine Gemurmel wieder einsetzte fand sie genug Mut hineinzutorkeln. Diese Kneipe schien ein Zufluchtsort für alle Nichtelfen zu sein, denn überall saßen nur Menschen, Zwerge oder Oger herum. Die Gestalt schlängelte sich einmal quer durch den Raum und erreichte die Theke ohne mehr als ein halbes Dutzend Leute anzustoßen. Mit einiger Mühe hievte sie sich dann auf einen der hohen Hocker, was ihr sichtlich Mühe bereitete. Das lag daran das ihr Hintern viel zu weit unten zu sein schien. Ida, die bärbeißige Wirtin dieser Kneipe, zog die Augenbraue über ihrer Augenklappe nach oben und begutachtete ihren neuen Gast mit einem abschätzenden Blick. Erst dann ging sie auf ihn zu. Ganz wie es die Zunft verlangte. „Was kann ich für dich tun?“ „Ich hätt gern...“ Die Gestalt unterbrach sich als sie sich daran erinnerte, dass sie ihre Stimme verstellen musste. Sie war so hoch, dass es dem Zuhörer in den Ohren klingelte. Die Gestalt räusperte sich und sprach dann in betont tiefer Tonlage. „Ich hätt gern ein Getränk.“, sagte sie dann. Auch die andere Augenbraue der Wirtin setzte sich langsam in Bewegung. „Und was genau möchtest du für ein Getränk?“, hakte sie nach. „Das darf ich mir aussuchen, ja?“ „Natürlich.“ Den hochgezogenen Augenbrauen gesellte sich eine gerunzelte Stirn hinzu. „Ah. Dann hätt ich gern ein Mineralwasser.“ Die Wirtin zuckte mit den Schultern und begann damit ein relativ sauberes Glas mit Sprudel zu füllen. Gespannt stellte sie es vor den seltsamen Gast. Die Gestalt versuchte nach dem Glas zu greifen und merkte schnell, dass ihre Arme dafür zur kurz waren. Einige Sekunden wand sie sich wie ein Wurm auf dem Hocker, dann gab sie auf. „Haben Sie vielleicht einen Strohhalm?“ Die Wirtin steckte schweigend einen Strohhalm in das Glas. Die Gestalt trank. „Danke“, sagte sie dann. „Du kommst nicht von hier, oder?“, sagte Ida. Sie hatte schon längst damit begonnen ein Glas mit einem alten speckigen Tuch zu putzen, das dadurch eigentlich nur noch dreckiger wurde. Doch das war nunmal das, was Wirte machten, wie sie sonst nichts machten. „Nein. Ich komme aus dem Süden.“ „Sind dort alle so wie du?“ „Viele. Na ja, eigentlich ist dort keiner so wie ich, wenn ich so darüber nachdenke.“ „Du meinst zu kurze Arme? Den Hintern einen halben Meter zu tief am Körper?“, fragte die Wirtin höflich. „Die kurzen Beine nicht zu vergessen. Aber nein, das meine ich eigentlich nicht. In gewisser Weise sind im Süden viele so wie ich. Körperlich. Aber geistig...“ „Du bist ein Gelehrter?“ „Nein.“ Die Gestalt versuchte ihrer Stimme einen gewissen Charme hinzuzufügen, was ihr nicht gelang. „Ich bin Kopfgeldjäger.“ Die Wirtin schwieg, denn so wie ihr Gast das Wort Kopfgeldjäger ausgesprochen hatte kam es ihr vor als würde er sich über eine dramatische Pause freuen. „Und?“, sagte sie dann in einem Tonfall, den Patentanten gerne benutzten, „Kann man davon leben?“ „Ich bin noch nicht tot.“, stellte die Gestalt sachlich fest. „Das ist ein Argument. Aber bist du für einen Kopfgeldjäger nicht viel zu... höflich?“ „Findest du? Ich meine, muss man als Kopfgeldjäger unhöflich sein?“ Die Wirtin zuckte mit den Schultern. „Es ist eher selten das sich hier ein Kopfgeldjäger einfindet. Ich meine: Wir sind hier in Porydia. Was macht man als Kopfgeldjäger in Porydia?“, sagte sie. „Köpfe jagen...?“, gab die Gestalt unsicher zurück. „Scheinst nicht viel Ahnung zu haben, was?“ Ein Oger stampfte hinter der Gestalt vorbei und stieß ihm unsanft in den Rücken. Sein breitkrempiger Hut rutschte zur Seite und entblößte das Gesicht des Kopfgeldjägers. Die Wirtin schnappte unwillkürlich nach Luft und wich zurück. Auch andere Gäste stießen einen überraschten Laut aus. So schnell es seine seltsamen Arme zuließen setzte er sich seinen Hut wieder auf. „Du... Du bist ein...“, stammelte die Wirtin. „Pscht! Sprich es nicht aus!“ „Aber du bist... aber wie...? Das kann doch nicht sein.“ „Sei gefälligst still!“, zischte der Kopfgeldjäger. „Du bist ein Krokodil!“ Der Kopfgeldjäger seufzte. Sie hatte es tatsächlich ausgesprochen, obwohl er sie zweimal darum gebeten hatte still zu sein. Ihm war bewußt das er kein Mensch war. Und diese Tatsache störte ihn seit er denken konnte. „Ein Alligator.“, berichtigte er niedergeschlagen. Es kam selten vor, doch Idas Mund stand weit offen und sie wußte nicht so recht, was sie dazu sagen sollte. Nach einigen Sekunden schloß sie ihren Mund, zuckte mit den Schultern und kam zu dem Schluß das sie schon seltsamere Dinge gesehen hatte. Warum sollte ein Aligator auch nicht Kopfgeldjäger sein? „Entschuldigen Sie.“, erklang aufeinmal eine Stimme neben dem Kopfgeldjäger. Er drehte sich um und erkannte einen wirklich kleinen Menschen, der ein naher Verwandter einer Kartoffel zu sein schien. Alles an seinem Körper war klein, runzelig und hässlich. Er trug eine abgewetzte Latzhose und starrte mit zusammen gekniffenden Augen hoch. „Ihr seid ein Kopfgeldjäger?“, krächzte das Schrumpelmännchen mit so viel Respekt in der Stimme, das dem Alligator das Herz aufging. „Sehr wohl. Mein Name ist Xerxes Schattenklinge.“, gab der Kopfgeldjäger mit seiner verstellen Stimme zurück. Das war nicht sein richtiger Name. Aber er klang viel beeindruckender. „Mein Name ist Henri Kartoffelkopp.“, stellte sich der kleine Schrumpelmann vor. „Ich bin Bauer. Mein Hof liegt nahe den Wäldern im Osten von Porydia. Und ich bin in die Stadt gekommen in der Hoffnung jemanden zu finden, der mir helfen kann einen gefürchteten Verbrecher festzunehmen. Er hat mir etwas wichtiges geklaut.“ Xerxes Herz machte einen weiteren Sprung. Dieser kleine Mann wollte doch tatsächlich seine Hilfe beim Fangen eines Bösewichts. Und das, obwohl er ein Alligator war. „Was wurde entwendet?“, knurrte er, wie es sich für einen waschechten Kopfgeldjäger gehörte. Schade das er keinen Zahnstocher im Maul hatte. Das wäre vermutlich noch beeindruckender rübergekommen. „Mein wertvollster Besitz. Der wichtigste Gegenstand meines Lebens. Ich meine, ohne dieses Teil bin ich völlig aufgeschmissen. Es wiegt praktisch meinen ganzen Hof auf. Mit Geld nicht zu bezahlen. Wirklich wirklich wirklich wichtig.“, brabbelte Henri. „Das hört sich wirklich sehr wertvoll und wichtig an.“, bestätigte Xerxes fröhlich. Anscheinend hatte er einen ganz dicken Fisch an der Angel. „Also, was wurde geklaut?“ „Meine Brille.“ „Deine... deine Brille?“ „Ja, meine Brille. Runde Gläser, Gestell aus bestem Kupfer. Meine Brille.“ „Das... hört sich nicht so wertvoll an...“, meinte Xerxes. Das kleine Schrumpelmännchen zog die Augenbrauen hoch und formte mit seinem unförmigen Mund ein noch viel unförmigeres O. „Ohne die Brille bin ich aufgeschmissen. Ich sehe quasi gar nichts!“, erklärte er dann aufgeregt, „Was soll aus meinem Hof werden? Im Moment übernimmt der Nachbarjunge die Arbeiten auf meinem Hof. Aber ich kann ihn nicht ewig bezahlen.“ Was Henri Kartoffelkopp nicht ahnte war, dass er die Verantwortung über den Hof nicht dem Nachbarjungen sondern in seiner unerwarteten Blindheit einem seiner Kühe übergeben hatte, die dem Nachbarn fast zum Verwechseln ähnlich sah. Das völlig überraschte Rindvieh hatte während seiner Abwesenheit die Macht über den Hof übernommen und führte jetzt eine Rebellengruppe aus Hoftieren an, die gegen die Sklaverei wetterten. Aber das war eine andere Geschichte. „Oh.“, sagte Xerxes, weil ihm nichts besseres einfiel. Er war enttäuscht das es bei diesem Job nicht darum ging einen Hochkriminellen zu packen. Aber jeder fing mal klein an. „Und um welchen Verbrecher handelt es sich?“, fragte er schließlich. „Die Nachtigall.“, antwortete Henri. „Ah, ein leckeres Vögelchen. Nur schwer zu erwischen, die Biester.“ „Wie bitte?“ „Ach... Nichts.“ Henri begann in seiner Hosentasche zu kramen. Er zog ein zerknülltes Stück Papier heraus und strich es glatt. Dann reichte er es an Xerxes weiter. Es war eines der Wanted Poster, die in jeder gut sortierten Großstadt schmutzige Wände zierten. Unter der Überschrift „Gesucht“ war ein Bild, das ein Strichmännchen zeigte, an dessen Köpfen zwei Hörner zu beiden Seiten wuchsen. In der Hand hielt es ein Messer, wie es ein Sechsjähriger zeichnen würde. Darunter stand; „Die Nachtigall. Tod Oder Lebendig.“ „Das Bild ist nicht sehr gut.“, stellte Xerxes fest. „Findest du? Also ich finde es recht gelungen. Vor allem seine Haar. Wie beim Original.“ „Welche Haare? Ich dachte das wären Hörner.“ „Sieht wirklich gut aus.“, mischte Ida sich jetzt ein, „Muss vom porydianischen Phantombildmaler Gunnar Kritzelhand gemacht worden sein. Guter Bursche. Arbeitet für die Stadtwache. Einziger Zwerg da. Er hätte auch ein großer Künstler werden können.“ „Aber das ist nur ein Strichmännchen!“, ereiferte Xerxes sich. „Und du bist nur ein Alligator.“, entgegnete Ida in einem Ton, der zeigte dass sie Gunnar Kritzelhands Arbeiten sehr schätzte. Eine peinliche Pause entstand, in der sich die drei gegenseitig anstarrten. Ida starrte besonders grimmig und Henri so, als hatte er nicht ganz verstanden, worum es überhaupt ging. „Wie auch immer.“, sagte Xerxes und sprang etwas ungeschickt vom Hocker. „An die Arbeit!“, verkündete er und wankte davon. Zwei Stunden später befanden sich Xerxes und Henri auf einem kleinen Waldweg. Porydia lag schon eine Weile hinter ihnen und am Horizont erstreckte sich ein schmaler Streifen Dunkelheit, der Wald in dessen Nähe sich Henris Bauernhof befand. Sie hatten den ganzen bisherigen Weg über geschwiegen. Xerxes war viel zu aufgeregt um irgendetwas zu sagen. Es war sein erster Fall und er wußte nicht so recht was er machen musste. Er hatte keine Ausbildung genoßen oder sowas, alles was er über Kopfgeldjäger wußte war, dass sie besonders angesagt waren und ein ebenso hohes wie verruchtes Ansehen genoßen. Und das waren Dinge, die er auch wollte. In Idas Hütte hörte sich das alles noch spannend und gut an. Doch jetzt machte er sich Gedanken darüber, wer Nachtigall wirklich war. Auf dem Bild war er nur ein Strichmännchen gewesen. Aber wie sah er in Wirklichkeit aus? Vielleicht war er ein riesiger Muskelprotz oder vielleicht ein kleiner wendiger Messerstecher. Xerxes schluckte. Henri sagte nur deshalb nichts, weil sich seine Gedanken um Kartoffeln drehten und er in seinem Leben schon festgestellt hatte, dass sich andere Leute bei weitem nicht so sehr für Kartoffeln interessierten wie er. Deswegen bevorzugte er es unauffällig zu schweigen. Xerxes, der mit jedem Schritt nervöser wurde, brach nach einigen Minuten aber dann doch das Schweigen. „Wann sind wir da?“ Henri schüttelte sich als hätte ihn jemand aus einer tiefen Trance gerissen. „Ah. Oh. Was? Achso.“, sagte er und blickte sich um. Der Wald war inzwischen sehr nahe. Erste Ausläufe an dichten Laubbäumen liefen schon am Rand der Straße entlang. „Ah.“, sagte Henri noch einmal, „An meinem Bauernhof sind wir schon längst vorbei. Wir betreten gleich Nachtigalls Gebiet.“ „Was? Jetzt schon? Hier? Ich meine: Zu diesem Zeitpunkt?“ „Ganz genau.“ „Wir sind nur ein kleines Stück in den Wald gegangen. Was sag ich? Wir sind noch nicht einmal im Wald. Hier ist Nachtigalls Gebiet?“ „Ja. Er ist ein sehr bekannter Dieb. Es wäre doch sinnlos sich zu weit im Wald zu verstecken, oder? Dann findet einen ja keiner. Wie soll man ihn dann treffen?“ „Aber... Ich dachte immer das man Diebe nicht trifft, sondern verfolgt. Zu Tode jagen und so?“ Xerxes war verwirrt. Und seine Nervosität wurde noch schlimmer, als Henri über ihn lachte. „Ich rufe ihn jetzt.“, sagte der kleine Bauer plötzlich. „Warte noch, ich bin noch nicht...“ „Nachtigall, komm raus! Ich will meine Brille zurück!“ „...bereit.“ Xerxes zuckte zusammen und schaute sich verstohlen um. Jetzt war der Moment gekommen. Er musste seinen ersten Verbrecher schnappen. Vielleicht kam es sogar zum Kampf? Wie würde er sich schlagen? Nachtigall war bestimmt ein geübter Krieger. Als Dieb kam es bestimmt oft zu Kampfsituationen. Irgendwo raschelte es, was er zum Anlass nahm einen leisen Schrei auszustoßen. Irgendwo in den Baumwipfeln bewegte sich etwas. Und es war schnell und geschickt. Ein Schatten schoß durch einige Baumkronen und kam immer näher. Schließlich stieß er sich von einem Stamm ab und landete direkt vor dem Bauer und dem Kopfgeldjäger. Xerxes hatte sich hinter Henris Rücken geduckt und wagte es erst nach einigen Sekunden einen Blick auf Nachtigall zu werfen. Und er glaubte seinen Augen kaum. Ida hatte Recht gehabt. Gunnar Kritzelhand war ein begnadeter Künstler. Nachtigall war groß und schlank. Viel zu schlank, geradezu ein Strich in der Landschaft. Und sein Kopf war kugelrund mit einem Gesicht, dass aus drei Punkten und einem horizontalen Strich bestand. An den Seiten hingen zwei spitze Haarbüschel, die wie Hörner aussahen. Und in der Hand hielt er ein Schwert, das ein sechsjähriger Schmied hergestellt zu haben schien. „Hallo Nachtigall.“, sagte Henri im Plauderton. „Ah, du bist Henri Kartoffelkopp, richtig?“, sagte Nachtigall freundlich. Xerxes setzte sich verdutzt auf, als das Strichmännchen ein kleines schwarzes Notizblock hinter seinem Rücken hervorzauberte. Der Kopfgeldjäger wunderte sich wo er den Platz dafür gehabt hatte. Das Buch war dreimal so dick wie Nachtigalls Rücken breit. Der Dieb blätterte darin und las dann vor. „Henri Kartoffelkopp. Kundennummer 099, richtig? Ich habe dir letzten Dienstag ein Kupferrohr gestohlen, stimmts?“ „Meine Brille.“, berichtigte der Bauer ihn. „Das war eine Brille? Das erklärt die integrierten Fensterscheiben. Ich habe mich schon darüber gewundert.“ „Ich hätte sie jetzt gerne zurück.“ Nachtigall steckte das Notizbuch weg und schüttelte den Kopf. „Leider geht das nicht so einfach.“, sagte er und schwang beschwörerisch sein Schwert. Jetzt ging es los, dachte Xerxes sich. Jetzt würde Nachtigall gleich losspringen und sie angreifen um entkommen zu können. Und dann musste er ihn überrumpeln. Der Kopfgeldjäger spannte seine Muskeln an. „Ich habe einen Kopfgeldjäger dabei.“, sagte Henri ruhig. Xerxes hätte sich einen leichten bedrohlichen Unterton gewünscht, aber man konnte nicht alles haben. Nachtigalls Punktaugen glitten zum Kopfgeldjäger und zeigten leichte Überraschung. „Ach, wenn das so ist.“, sagte er dann. Nachtigall zog nun etwas hervor, das man als entfernten Verwandten einer Brille bezeichnen konnte. Es war ein Gestell aus Kupferrohren mit eingelassenen Backste inen aus Glas. Der Dieb kam damit näher. Xerxes Körper spannte sich. Doch Nachtigall reichte Henri die Brille einfach so zurück. „Was zum...?“ Nachtigall zog wieder etwas hinter seinem Rücken hervor. Es war ein Klemmbrett, an dem ein Stift und ein Zettel klemmte. „In Ordnung, hier ist das Formular beim Vorweis eines Kopfgeldjägers. Wenn du hier bitte unterschreiben würdest, Herr Kartoffelkopp.“ Der Bauer setzte sich seine Brille auf, wodurch seine kleinen Äuglein tausendmal vergrößert wurden. Er lächelte, als er die Welt wieder klar sehen konnte. Dann wandte er sich dem Klemmbrett zu und unterschrieb mit einer krakeligen Schrift. Xerxes schaute ihm völlig entgeistert dabei zu. Dann wurde ihm das Klemmbrett in die Hand gedrückt. „Nun müssen nur noch sie unterschreiben, Herr...?“ „Schattenklinge.“, murmelte Xerxes verwirrt, „Xerxes Schattenklinge.“ Er nahm den Stift und unterschrieb. Nachtigall nahm das Klemmbrett wieder entgegen und verstaute es hinter seinem Rücken. Er zog einen neuen Gegenstand hervor und Xerxes fragte sich wieder, wie zum Teufel er das anstellte. Der Dieb drückte dem Kopfgeldjäger einen kleinen Stoffball in die Hand, auf dem ein Smiley Gesicht prankte und kleine Strohhalme zwei kleine Hörner bildete. „Hier ist mein Kopf.“, sagte Nachtigall gewissenhaft. „War mir ein Vergnügen mit Ihnen Geschäfte zu machen, Herr Schattenklinge.“ Er verneigte sich. „Herr Kartoffelkopp.“ Noch eine Verneigung. Und dann verschwand Nachtigall wieder in den Baumwipfeln. Xerxes starrte entsetzt auf den kleinen künstlichen Kopf hinab. Existenzielle Fragen stellten sich in seinem Kopf. War das alles, was ein Kopfgeldjäger machte? Henri klopfte ihm irgendwann auf die Schultern. „Kommen Sie, Herr Schattenklinge. Ich werde ihnen ein ordentliches Bauernfrühstück machen. Es war eine lange Nacht.“, sagte er lächelnd. Der Kopfgeldjäger ließ sich den Weg hinunterleiten, aber sein Blick klebte auf dem kleinen künstlichen Kopf. Nach einer halben Stunde, der Bauernhof zeichnete sich schon in der Morgendämmerung ab, fand er seine Stimme wieder. „Was zum Geier ist dort im Wald passiert?“ „Sie haben ganze Arbeit geleistet, Herr Schattenklinge.“, sagte Henri. „Aber ich habe doch gar nichts gemacht?“ „Wieso? Sie haben erfolgreich einen Kopf gejagt. Niedliches Ding.“ „Aber der Dieb! Er hat Ihnen einfach die Brille zurückgegeben.“ „Ah, so einfach war das gar nicht. Ich musste ja erstmal einen Kopfgeldjäger auftreiben. Ganz schön schwer in Porydia einen zu finden. Ohne sie hätte ich meine Brille nie wieder bekommen.“ „Ich verstehe das alles nicht.“ „Jaja. Wirtschaft ist schon eine schwierige Sache, nicht wahr? Diese ganzen Formulare und Bedingungen. Diebe sind so schrecklich bürokratisch.“ „Gnblbeg...“, war das einzige, was Xerxes dazu sagen konnte. Sein Gehirn hatte sich soeben verabschiedet. Henri führte den Kopfgeldjäger über seinen Hof und wunderte sich über die vielen Plakate, auf denen Sprüche standen wie „Freiheit den Nutztieren!“ oder „Wir sind nicht nur leckere Würstchen, wir haben auch Rechte!“. Aber er ignorierte sie fürs Erste und geleitete Xerxes in sein Haus. „Herr Schattenklinge?“ „Hm...?“ „Hat Ihnen schonmal jemand gesagt, dass Sie aussehen wie ein Krokodil?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)