Krieger der Winde von Silver-DragonX (Teil 1 - Der Gesetzlose) ================================================================================ Kapitel 11: Der Klingenturm Teil 1: Die Prüfung der Tore -------------------------------------------------------- Fauchend fegte die Feuerwalze zwischen den Bergwänden entlang. Heiße Luft stieg flimmernd auf, Flammen leckten an vielen Stellen an den Steinen, die kreuz und quer verteilt waren. In der Ferne ragte ein nadeldünner Strich in den Himmel, kaum auszumachen, vor dem gewaltigen Bergmassiv. Lediglich die Spitze, die sich deutlich vor dem weißen Schnee der Bergkuppen abzeichnete, war zu erkennen. Der Rest des Turmes konnte nur vermutet werden. Vills Augen waren vor Schreck weit geöffnet. Es fehlte nicht mehr viel und er wäre in der Feuerwalze zu Asche zerfallen. Crar hatte ihn gerade noch vom Pferd gezogen. Die verkohlten Überreste des treuen Reittieres lagen auf dem grünen Gras. Kleine Rauchwölkchen stiegen empor. »W … wieso … was … warum«, stammelte der junge Mann, dessen Herz noch immer raste wie nach einer stundenlangen Jagd. »Dies ist das erste von zehn Toren«, kommentierte Crar mit ernster Miene. »Das „Tor der Flammen“.« Tsvirai sprang vom Pferderücken, hob einen Steinbrocken auf und schleuderte ihn einige Meter weit. Kaum hatte er das Gras berührt, brach die Feuerwalze von Neuem los. »Interessant«, murmelte der Assassine. »Doch eines macht mich neugierig. Warum ist das Gras nicht verbannt?« »Soll ja nicht gleich jeder wissen, wo sich das Tor befindet«, rief Retho und lachte. »Die Wiese ist verzaubert. Sie verbrennt in eintausend Jahren nicht.« »Und wer mit offenen Augen durch die Welt wandert, der bemerkt die verkohlten Steine. Sie sind der einzige Hinweis«, fügte ein anderer Rebell hinzu. Tsvirai saß wieder auf und starrte eine Weile in Richtung des Turmes, betrachtete die Felswände und sog tief die Luft ein. »Wie sollen wir an diesem Tor, wie ihr es nennt, vorbeikommen?« Crar lächelte schelmisch knackte mit den Fingern und trieb sein Pferd voran. »Genau das ist die Aufgabe des Tores«, sagte er und passierte den ersten verkohlten Stein. Vill zog reflexartig den Kopf ein, erntete damit aber nur einige Lacher der Rebellen. »Was? Wieso?« »Wir passieren die Tore nicht zum ersten Mal«, rief Crar, der schon ein gutes Stück unbeschadet geritten war. »Folgt einfach Retho. Er kennt den sicheren Weg.« Der bullige Rebell zog Vill hinter sich und trieb seinen Hengst an. Sicher fand Silas den Weg. Tsvirai folgte, ohne zu zögern und auch die restlichen Rebellen schlossen sich dem Zug an. An hinterster Stelle ritt Rethos Bruder, ebenso bullig, aber kaum ein Haar auf dem Kopf. »Ein Schritt in die falsche Richtung und wir werden alle gebraten wie die Ochsen am Spieß.« Retho brüllte über seinen Vergleich wie eben jener Ochse und lenkte Silas nach links. »Woher weißt du, wo es lang geht?« Vill hatte noch immer die schwelenden Überreste seines Pferdes vor Augen. Er schluckte bei dem Gedanken, genauso zu enden. »Instinkt!« »Was?« Das Lachen wurde noch lauter. Der Hüne drehte sich im Sattel um und grinste Vill mit tränenden Augen an. »Du solltest dein Gesicht sehen, Kleiner!« Erst als sie Crar einholten, beruhigte Retho sich. »Hab nur Spaß gemacht. Keine Sorge, ich kenne den Weg. Schau dir einmal an, wie die Steine verteilt sind. Einfach immer zwischen denen entlangreiten, die dicht aneinanderliegen.« Vor Tsvirais innerem Auge hob sich der Weg deutlich ab. »Wirklich einfallsreich«, lobte er. »Diese Rätsel und die Tore«, sagte er und machte eine kurze Pause. »Der Schöpfer muss ein gescheiter Mann gewesen sein.« »Er ist immer noch einer«, fügte Crar an und schnalzte mit der Zunge, worauf sich sein Pferd in Bewegung setzte. Doch nicht allzu weit, dann zog er die Zügel stramm und stieg ab. »Was nun?« Vill musterte die grüne Fläche, die sich vor ihm auftat. »Doch nicht schon wieder eine tödliche Falle?« »Nein, nein«, antwortete Crar und zupfte an seinem Bart herum. »Das „Tor der Illusion“ ist nicht tödlich. Man muss es lediglich finden.« »Aha. Und worauf warten wir dann?« Vill stieg ebenfalls ab und gesellte sich zum Anführer. »Nach dir«, sagte der und zeigte Richtung Turm. Vill zuckte mit den Schultern, drehte sich noch einmal zu seinen Gefährten um und stapfte entschlossen los. Leider hatte er Tsvirais Grinsen nicht mehr gesehen. Der Assassine konnte sich denken, wie die zweite Aufgabe ausgelegt war … Es dauerte nicht lange, da tat es einen lauten Schlag, dicht gefolgt von einem ebenso lauten Aufschrei. Vill lag im Gras, hielt sich die schmerzende Stirn und starrte verwirrt ins Nichts. »Immer mit dem Kopf durch die Wand, diese Jungspunde.« Crar schloss zu dem jungen Mann auf, grinste zufrieden und klopfte mit der Faust an die Stelle, gegen die Vill gelaufen war. Ein metallisches Geräusch ertönte. »Das „Tor der Illusion“. Man muss lediglich den Türknauf finden, dann kann man passieren.« »Sehr witzig«, kommentierte Vill die Blicke seiner Gefährten. »Aber ich nehme mal an, dass ihr bereits wisst, wo der Knauf ist.« »Es gibt keinen.« »Und wie sollen wir dann einen finden?« »Gar nicht«, sagte Retho, der jetzt auch bei Vill stand. »Man muss die richtige Einstellung haben, um passieren zu können. Das ist der Knauf.« Noch während er die letzten Worte aussprach, führte er sein Pferd ein ganzes Stück weiter und war plötzlich verschwunden. Nach und nach passierten die Rebellen das zweite Tor, bis nur noch Vill, Crar und Tsvirai übrig waren. »Ich nehme mal an, du wirst uns die Lösung nicht einfach verraten wollen«, meinte der Assassine und klopfte ebenfalls gegen das Tor. Crar lachte bloß. »Versuch es.« Tsvirai schritt entschlossen auf das unsichtbare Hindernis zu. Im nächsten Augenblick war er verschwunden. »Nicht schlecht«, staunte der Rebell und schob Vill dem Tor entgegen. »Jetzt du, Kleiner.« »Aber sie soll ich ein massives Tor passieren, zudem ein unsichtbares?« »Dies ist die Aufgabe, die ein Mondkind bestehen muss. Wenn du es nicht packst, bist du des Mondes nicht würdig.« Mit diesen Worten verschwand auch er. »Warte!«, rief Vill verzweifelt und pochte an das Tor. »Wie soll ich das machen?« Als nach einigen Minuten eine Antwort ausblieb, ließ er sich ins Gras plumpsen und starrte nachdenklich auf die weite, grüne Wiese. Schließlich kratzte er sich am Kopf, stand auf und lief auf das Tor zu. Vorsichtig streckte er erst die linke, dann die rechte Hand aus. Nichts. Er fühlte das kalte Eisen, doch nichts passierte. Etwas schlug klirrend neben ihm ein, dann stolperte er plötzlich vorwärts und tauchte auf der anderen Seite des Tores wieder auf. Fröhliche Gesichter empfingen ihn, klopften ihm stolz auf die Schulter, Tsvirai lächelte sogar. »Wurde auch langsam Zeit, Kleiner«, donnerte Retho und drückte Vill an seinen wuchtigen Körper. »Sag schon, wie bist du durchgekommen?« »Ich weiß nicht so recht«, war die Antwort. »Vielleicht weil ich Angst hatte? Irgendetwas hat mich nur knapp verfehlt.« »Interessant.« Der Anführer der Mondkinder zupfte wieder an seinem Bart. »Auf diese Weise hat noch niemand das „Tor der Illusion“ durchquert. Apropos Tor, dreh dich bitte einmal um.« Vill tat wie ihm geheißen und starrte auf eine riesige Mauer, die über und über mit weiß leuchtenden Linien verziert war. Direkt vor ihm war das metallische Tor, keine vier Meter hoch und drei Meter breit, ebenfalls mit diesen seltsamen Linien überzogen. »So sieht das Tor wirklich aus«, erklärte ein Rebell. »Die Linien sind der Zauber, der es vor den Augen aller Wesen verbirgt, doch nur von der anderen Seite.« Mehrere Wortfetzen fielen Vill ins Auge. Sie waren auf der ganzen Mauer verteilt und er konnte nur Bruchstücke erkennen. »Wie ich sehe, hast du bemerkt, dass die Linien, der Zauber, Buchstaben formen«, fügte Crar hinzu. »Der Zauber ist in der alten Sprache der Assayer geschrieben. Ich nehme mal an, dass unser Assassinenfreund sie lesen kann«, sagte er, worauf er ein Kopfschütteln von Tsvirai erntete. »Dies ist die vergangene Sprache Eurydkas. Nur den Weisen meines Volkes war es vergönnt, die göttliche Sprache zu erlernen. Auch kann ich nicht sagen, wer diesen Zauber angebracht hat. Die Weisen gaben ihr Geheimnis niemandem preis.« Crar deutete auf einige Symbole. »Der Weg, das Tor u passieren, steht dort geschrieben. Sie bedeuten so viel wie: Das Tor der Illusion. Weder Schall noch Rauch.« »Man kann das Tor passieren, indem man sich immer wieder sagt, dass dieses Tor nicht existiert. Wie auch immer«, sagte Retho. »Lasst uns weiterreiten. Es warten schließlich noch acht weitere Tore.« Der Nachmittag war weit fortgeschritten, als sie an einer hohen Steinmauer ankamen. Drei Tore weitere Tore hatten sie bereits hinter sich gelassen. Retho ritt auf die Mauer zu, donnerte mit der Faust dagegen, worauf die schweren Flügel aufschwangen. Vergnügt passierte er das sechste Tor, hinter ihm fiel es krachend zu. Am Ende waren es wieder Crar, Tsvirai und Vill, die übrig waren. »Bei diesem Tor muss man felsenfest von seinem Weg überzeugt sein«, erklärte der Rebell, ritt auf das Tor zu und konnte es passieren. Auch für Tsvirai war es kein größeres Problem. Vill wartete eine Weile und überlegte. Es schien als wolle er meditieren, wandelte in einem tranceähnlichen Zustand auf das Tor zu und blieb kurz davor stehen. »Geh auf«, rief er. Ein Knirschen wanderte durch die Mauer, Staub und kleine Bröckchen rieselten von den Zinnen nieder. Krachend flogen die beiden Flügel auf, der Boden schien zu beben. Rethos Augen waren weit geöffnet. Schweiß rann ihm die Stirn herunter, er schluckte hörbar. »Eines ist sicher«, stammelte er nervös, »der Kleine ist von sich selbst überzeugt.« Eine einsame Träne kullerte Vills Wange hinunter. Er führte rasch die Hand vom Mund an die Stirn und von dort zum Herzen, dann grinste er seine Gefährten erfreut an. »Hat funktioniert.« Sie setzen ihren Weg fort und erreichten am frühen Abend das nächste Tor. »Die „Zwillingstore der Geduld“. Hier wird der Ausharrende belohnt.« Die Rebellen ließen sich in einem Kreis nieder, durchwühlten ihr Gepäck nach Essbarem und erzählten Geschichten. Mehrere Stunden verstrichen, ehe Crar, der scheinbar die ganze Zeit geschlafen hatte, sich regte. Gähnend setzte er sich zu Vill und Tsvirai und erzählte von einem Überfall auf die Soldaten, der nicht so glücklich verlief. Immer wieder brach lautes Gelächter aus, als er an bestimmten Stellen angelangt war und erzählte, wie er die Soldaten mit einem Tuch besiegt hatte. »Wie kommen wir eigentlich durch das Tor?« Vill starrte den Rebell pausenlos an. Nicht, dass ihm die Geschichte nicht gefallen hatte, er war nervös geworden, weil Mitternacht immer näher rückte und sich nichts getan hatte. Zudem war er scheinbar der Einzige, der den Gegenstand, der ihn verfehlt, nicht vergessen hatte. »Dies ist das „Tor der Mitternacht“.« Crar biss ihn einen Kanten Brot und nahm einen kräftigen Schluck Wasser. »Du siehst also, wir haben nichts zu befürchten. Es öffnet sich genau um Mitternacht und bleibt zwölf Schläge lang offen. Dazu auch die Uhr.« »Uhr?« Crar zeigte mit dem Kanten an der Mauer hoch und tatsächlich war eine kleine Glockenuhr mitten in der Mauer eingelassen. »Mach dir keine Sorgen, Kleiner.« Fünf Minuten vor Mitternacht brachen sie das provisorische Lager ab und stellten sich vor dem pechschwarzen Tor auf. Mit dem ersten Glockenschlag schwang es auf und die Pferde setzten sich in Bewegung. Mit dem zweiten Glockenschlag hatten Crar und Retho das Tor passiert, mit dem dritten Glockenschlag Vill. Mit dem vierten Glockenschlag Tsvirai und ein Rebell. Gerade ertönte die klare Glocke zum fünften Mal, da hallte lautes Wiehern über die Wiesen. Irgendwo knirschte eine Sehne, ein Aufschrei folgte. Rethos Bruder, der gerade dabei war, das Tor zu durchreiten, kippte aus dem Sattel. Ein Pfeil ragte aus seinem Hals. Lärm machte sich unter den Rebellen breit, einige trieben ihre Pferde hinter die Torflügel. »Die Jäger haben uns eingeholt.« Faclo warf sich mit seinem ganzen Gewicht gegen einen Torflügel, doch der rührte sich nicht. »Nutzlos«, brüllte Crar und zog sein Schwert. »Das Tor schließt sich mit dem letzten Glockenschlag. Wir müssen sie aufhalten. Bereitmachen zum Angriff.« Retho, der zu seinem Bruder gestürzt war, legte ihn sanft auf dem Boden ab und wuchtete seine Axt. »Ich werde sie aufhalten, und Rotho rächen.« Seine Miene war finster, in seinen Augen brannte unendliche Wut. Plötzlich wurde er durch das Tor gezogen, eine Ohrfeige brachte ihn halbwegs zur Vernunft. Vor ihm stand Rotho, Blut sprudelte aus der Wunde wie Wasser aus einem Bergquell. In der linken hielt Rotho seinen Zweihänder. Er deutete Faclo und einem weiteren Rebell, Retho festzuhalten, brach die Pfeilspitze ab und stapfte wankend vor das Tor. Der neunte Glockenschlag ertönte, die heranpreschenden Reiter waren keine hundert Fuß mehr entfernt. Einer legte einen Pfeil an die Sehne, verfehlte Rotho aber meilenweit. »Drei Glockenschläge noch«, stöhnte der Rebell, dann waren die Reiter bei ihm. Mit einer kreisenden Bewegung, die auf die Beine der Pferde zielte, brachte er die zwei Reihen zu Fall. Der zehnte Glockenschlag. Zwei Pfeile durchbohrten seinen Bauch. Wild brüllend wirbelte er den Zweihänder herum und zerhackte die Soldaten in zwei Hälften. Weitere Reiter preschten heran. Unter ihnen ein riesiger mit abgetragener Kleidung und ein dürrer, langhaariger Mann, dessen Umhang im Wind flatterte. Der elfte Glockenschlag. Rotho drosch auf das erste Pferd ein, worauf die anderen stehen blieben. Mühelos hatte er den schweren Brustkorb gespalten. Blutnebel hing in der Luft, Wehklagen drangen an die Ohren der Rebellen. Rethos Wut war neu entflammt. Die Bestie in seinem Inneren kannte kein Halten mehr, er schüttelte seine Kameraden ab und stürzte auf das Tor zu. Der zwölfte Glockenschlag. Ein Rucken ging durch die Türen, behebig wanderten sie aufeinander zu. Rotho drehte sich, erledigte sich dabei eines Gegners und starrte seinem Bruder in die Augen. »Ich kaufe euch zwei Tage«, formten seine Lippen noch, dann flog der Kopf von den Schultern. Ein zufriedenes Grinsen auf seinem Gesicht war alles, was blieb. Der riesige Mann warf sich gegen die Flügel, doch umsonst. Als der zwölfte Glockenschlag verhallte, ertönte das Klicken des verzauberten Schlosses. In genau diesem Moment warf Retho sich gegen das Tor, hämmerte wie wild dagegen, versuchte es aufzuziehen. »Lass mich durch. Lass mich zu ihnen durch. Ich zerfetze diese Mistkerle in der Luft. Faclo, Crar und andere warfen sich auf Retho und zogen ihn weg. Der bullige Rebell wütete und tobte, schlug um sich und verpasste einigen seiner Kameraden blaue Augen. »Komm zu Sinnen, du dämlicher Köter«, keifte Crar. »Rotho ist gestorben, um uns Zeit zu verschaffen. Wenn du jetzt da raus gehst, dann war sein Tod umsonst.« Diese Worte waren es, die Retho erreichten. Seine Muskeln erschlafften, die Wut legte sich. Alle Kraft wich aus seinem Körper und wich dem bitteren Beigeschmack, den so viele Menschen bereits verspürten. Trauer. Bittersüße Trauer. Tränen rannen über die breiten Wangen und versickerten im Kragen des Hemdes. Ruhe in Frieden, Rotho. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)