Krieger der Winde von Silver-DragonX (Teil 1 - Der Gesetzlose) ================================================================================ Kapitel 9: Vom Windmachen ------------------------- Als die ersten Strahlen der Sonne den Himmel rot färbten und sanft die Weiten der Welt küssten, verlangsamten sie ihren Ritt und hielten kurze Zeit später. Hauchzarter Nebel schwebte mystisch zwischen den Bäumen umher, die hier und da vereinzelt oder in kleinen Grüppchen standen. Die Senke war noch nicht erleuchtet, die Bergflanke aus grauem, kargen Fels versperrte der Sonne den Weg hinunter. Missgestimmt machte Vill einen weiteren Strich in das kleine Büchlein, welches er seit Beginn der Reise mit sich führte. »Dreiundzwanzig Tage«, brummte er in seinen dünnen Bart und verfolgte die Atemwolke, die gen Himmel entschwebte. Seit sie die Berge nach Süden überquerten, war es kalt. Jeden Morgen erwachten sie, vorausgesetzt natürlich, dass sie geschlafen hatten, über und über mit Raureif bedeckt. Selbst Retho wunderte sich, dass sie noch keinen Schnee gesehen hatten. Der hünenhafte Rebell befreite sein Pferd von Zaumzeug und Sattel und führte es ein Stück vom Lager weg. »Hast du nicht Angst, dass es dir abhaut?«, fragte Tsvirai, der seinen Schecken an einem Baum angebunden hatte. »Silas? Nein, der würde mir sogar ins Bett eines Bordells folgen. Ein Bilderbuchhengst«, sagte er und kurz darauf ertönte schallendes, aber irgendwie erzwungenes, Gelächter in der Senke. Raben stoben davon, hier und da huschte ein Eichhörnchen in seine Höhle. Crar, dessen Haare zu einem Zopf gebunden waren, hatte bereits ein Feuer entfacht und es dauerte nicht lange, da waren alle um die wärmenden Flammen versammelt. Und auch wenn es niemand zugeben wollte, man sah jedem Einzelnen die Müdigkeit an, waren sie schließlich fast drei Tage am Stück geritten. Einer, Faclo hieß er, schnarchte sogar schon gemütlich vor sich hin. Drei weitere waren kurz davor, lediglich Crar, Retho, Tsvirai und Vill kämpften weiter an. Es war drei Tage her, als der Aufstieg zum Pass über die Berge schon fast ein Ende hatte. Eigentlich wollten sie den Rest des Tages dort oben verbringen, doch königliche Truppen hatten sie erspäht und die Jagd aufgenommen. Shergo und Cafas waren, von Pfeilen getroffen, gefallen. Erst einige Hundert Höhenmeter weiter unten hatte die Hetzjagd ein überraschendes Ende genommen, als sich eine Gerölllawine löste und den Weg hinter den Rebellen begrub. Nur um sicher zu gehen, dass genug Abstand zu den Soldaten war, hatte sie ihren Pferden und letztendlich auch sich selbst, keine Pause gegönnt und waren die letzten eineinhalb Tage durchgeritten. Die unwirkliche Stille, die am Lagerfeuer herrschte, bezwang irgendwann den Drang wach zu bleiben. Tsvirai erwachte, als der Tag in den Abend überging. Die letzten Sonnenstrahlen glühten am Himmel, das Feuer war bis auf den letzten Ast heruntergebrannt. Nicht einmal eine Glut glomm. Endlich etwas erleichtert, richtete er sich auf streckte alle Glieder von sich und blickte sich um. Die Rebellen schliefen noch friedlich, eng aneinander gedrängt, um der Kälte besser zu widerstehen, von Vill jedoch fehlte jede Spur. Der Assassine schnallte sich sein Schwert um die Hüfte, warf sich seinen moosgrünen Umhang über und folgte den schwachen Fußspuren, die zu der kleinen Baumgruppe führten. Im Halbdunkel des Waldes und der Dämmerung erkannte er nur schemenhaft die Umrisse seines jungen Gefährten. Ein zartes Glimmen erhellte Vills Gesicht, Tränen liefen ihm die Wangen herunter. Tsvirai verharrte neben der dicken Tanne und lauschte andächtig dem leisen Singsang, dessen Melancholie wie zarte Nebelschwaden zwischen den Bäumen des Hains hing. Erst als Vill endete, ging der Assassine zu dem Jungen und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Ich habe schon so lange nicht mehr für ihr Wohl gebetet«, sagte Vill, während er sich die Tränen mit dem Ärmel wegwischte. »Ein schönes Lied, wovon handelt es?« Vill richtete sich auf und drehte seinen Kopf in Richtung des Tales. Ein sanfter Hauch verfing sich in seinem Haar und spielte zärtlich damit. »Es ist eine Ode an den Südwind!« Er weht beständig in meinem Land und brachte stets ein mildes Klima. Durch ihn blühten die schönsten Blumen der ganzen Welt.« Vill machte eine Pause und ließ sich von dem Hauch umwehen. »Dein Volk scheint den Südwind zu lieben«, sagte Tsvirai und auch er lauschte dem Hauch. »Mein Volk betet alle Winde an. Wir sind damit groß geworden.« »Dann sind sich dein Volk und mein Volk gar nicht so unterschiedlich«, antwortete der junge Mann mit geschlossenen Augen. Der Südwind ist die Stimme unseres Gottes.« »Wir sind gleich da!« »Leise«, zischte es in einiger Entfernung kaum vernehmbar, »oder sie hören uns.« Vill und Tsvirai rissen gleichzeitig ihre Augen auf. »Was war das?« Tsvirai lauschte angestrengt, hielt seine Hände vor die Ohren und murmelte schließlich etwas Unverständliches. Plötzlich hallte Fußgetrampel zwischen den Bäumen entlang, die zunächst zaghaften Stimmen waren nun deutlich zu vernehmen. Selbst das gepresste Atmen verstand man tadellos. »Dein Südwind hat uns heute vor dem Tod bewahrt«, sagte Tsvirai und rannte los. Sie hasteten durch das dichte Unterholz und zum Lager. Kurze Zeit später waren die Pferde gesattelt und über kargen Fels in eine Waldgruppe geführt. »Der Wind trägt ihre Stimmen an unsere Ohren«, erklärte der Assassine. »Solange wir Gegenwind haben, sind wir kaum zu hören und können uns an ihnen vorbeischleichen.« Sie schlugen sich möglichst lautlos durch den Hain und führten die Pferde einen schmalen Pfad an der rechten Flanke der Senke hinab. Rethos Pferd bockte ein ums andere Mal, blieb aber ruhig. Selbst als sich eine kleine Steinlawine löste, schienen sie die Aufmerksamkeit der Soldaten noch immer nicht auf sich zu ziehen. Zumindest vermuteten sie dies, denn kurze Zeit später ertönten wütende Schreie, die ganz darauf hindeuteten, dass das verlassene Lager entdeckt worden war. »Werden sie uns denn jetzt nicht genauso gut hören?«, fragte Crar und die Sorge in den Gesichtern der Rebellen war groß. Einen Schlagabtausch auf dem schmalen Pfad wurden sie nicht lange überleben. Tsvirai grinste schelmisch und führte sein Pferd auf eine Ebene, die sich in die Seite der Senke grub. »Ich habe uns nicht umsonst den beschwerlichen Weg frei gehalten. Sie werden uns nicht hören, denn diese Steilwand liegt im Windschatten. Und sobald wir auf der Ebene dort unten sind, werden wir Rückenwind haben, der unseren Pferden Flügel verleihen wird. Außerdem lauschen sie dem Wind nicht. Unsere Stimmen würden für sie keine Bedeutung haben.« »Aber du hast eben noch selbst gesagt, dass der Südwind ihre Stimmen an unsere Ohren trägt«, bemerkte Faclo. »Solange wir Rückenwind haben, weht es aus Norden. So ein plötzlicher Wetterwechsel ist mir noch nie untergekommen.« »Vertrau mir«, säuselte Tsvirai und führte sein Pferd weiter den Pfad hinunter. »Warum ich mich über eine wolkenverhangene Nacht freue?« Crar öffnete das Band, welches seine Haare zurückhielt, schüttelte sie aus und beugte sich schließlich zu Vill hinüber. »Die Ebene ist so dunkel wie die Höhle eines Trolls«, frohlockte er und schnalzte mit der Zunge, woraufhin sich sein Pferd in Bewegung setzte. Tsvirai hatte recht behalten, eisiger Nordwind fegte über die Grasfläche, die Tiere flogen beinahe, so schnell ritten sie. Der Fackelschein in der Senke hob sich scharf gegen die Nacht ab. Plötzlich zerriss ein schrilles Fauchen die Nacht, sämtliches Licht wurde von einem kleinen Punkt am Fuße des Gebirgszuges angezogen. Ein gewaltiger Schatten erhob sich und verschwand in den Wolken. Tsvirai murmelte unverständliche Worte, der Wind frischte auf, spornte die Pferde an und trieb die Rebellen noch eiliger weg von dem verfluchten Berg. Jeder, und war er zuvor noch so tapfer und mutig gewesen, behielt nun den Himmel im Auge und es waren die ersten Sonnenstrahlen, die den Mut in den Herzen der Männer schürten, wie ein Schmied seine Esse. Vill plumpste erschöpft auf den harten Boden. Sein Gesäß schmerzte, die Oberschenkel waren durch das lange Reiten wund gescheuert. Zwar hatten sie zwischendurch Schlaf gehabt, ständig nachts unterwegs zu sein und tagsüber zu ruhen ging Vill allerdings gegen die Substanz. Auch den anderen erging es nicht besser, tiefe Falten gruben sich in die Gesichter, dunkle Ringe unter den Augen zeugten von der Müdigkeit. »In Kürze müssten wir auf eine kleine Siedlung treffen«, sagte Tsvirai, der die Führung übernommen hatte. »Solange wir dort vor diesem Schatten sicher sind!« Crar war bleich, biss nur halbherzig in seinen Brotkanten und wickelte sich in dicke Decken ein. »Was war das eigentlich für ein Viech?«, fragte Retho und auch ihm konnte man ansehen, dass er mit den Nerven rang. »So etwas habe ich noch nie gesehen!« Tsvirai war während der ganzen Flucht erstaunlich ruhig geblieben. Zwar müde, aber ruhig. Er hatte keine Miene verzogen, als sich der Schatten erhob. Jetzt saß er da, murmelte etwas vor sich hin und lauschte dem Wind. Inzwischen war auch den anderen Gefährten aufgefallen, dass der Assassine auf so ziemlich jeden einen fremden Eindruck machte. Sie hatten untereinander schon Wetten abgeschlossen, aus welchem Teil des Königreiches er wohl käme. Ein warmer Fön umwehte die verängstigten Rebellen. Der Duft unzähliger Blumen gesellte sich hinzu, schloss man die Augen, so war man der Meinung, in einem riesigen Blumenmeer zu sitzen. Die Realität sah anders aus. Verdorrtes Gras, verkohlte Baumreste. Geier kreisten am Himmel, hier und da fand man ein totes Tier, bis auf die Knochen verbrannt. In der nahen Siedlung erfuhren sie, dass ein Buschfeuer gewütet hatte. Die Nacht legte sich wie ein Tuch über die Welt. Sterne funkelten am Himmel, der fahle Vollmond leuchtete gespenstisch. In der Ferne heulte ein Wolf. Crar nahm einen kräftigen Schluck Schnaps und torkelte auf die Terrasse der kleinen Kneipe. Beinahe wäre er in den Staub der Straße gestürzt, da frischte der Wind auf und fing seinen Fall ab, so empfand er zumindest. Auf dem Balkon über ihm stand Tsvirai und murmelte vor sich hin. »Verdammt, was machst’n du da?«, lallte der Rebellenanführer und ließ sich auf der Treppe der Terrasse nieder. »Machst du schon wieder den Wind?« Ein lauter Rülpser entfuhr ihm. »Wieso bist du der Meinung, dass ich den Wind mache?« Die Stimme des Assassinen war gedämpft. »Hör mal gut zu«, stammelte Crar und nahm erneut einen kräftigen Schluck, »ich bin zwar nicht der Prophet des Königs, aber ganz so dumm bin ich auch nicht. Du hast auch schon auf der gottverdammten Ebene und in dieser Senke gezaubert.« »Gezaubert?« »Du bist bestimmt einer dieser komischen Magier!« Zufriedenes Gelächter ertönte auf dem Balkon. »Und was machst du?« »Ich trinke mir Mut an, mein Freund. Ich weiß, was der Schatten war und ich weiß auch, wer du bist!« Crars Stimme klang ernst, das Lallen war verschwunden. »Ich weiß, welche Bestien der König heranzieht und sich hält. Ich bin seit vielen Jahren ein Kind des Mondes.« Tsvirai starrte in den klaren Nachthimmel. Eiskristalle hatten sich an den Fensterscheiben gebildet, sein Atem war deutlich zu sehen. »Scheinbar bin ich nicht der Einzige, der sich mit dem Königsgeschlecht befasst.« Der Anführer räusperte sich genüsslich und stellte die schwere Schnapsflasche lautstark ab. »Warum befasst du dich mit dem Königsgeschlecht, mein Freund?«, Tsvirais Stimme klang angespannt … und gelassen zugleich. Heiseres Gelächter erklang unter den Füßen des Assassinen. »Das wird ein gefährliches Gespräch. Jede Wand im Königreich hat Ohren, jeder könnte sein Spitzel sein. Aber was rede ich da um den heißen Brei herum. Das weißt du natürlich alles selbst. Ich habe dein Gesicht schon einmal gesehen, Assassine.« Crar zog einen Bogen Pergament unter seinem Mantel hervor, rollte es auf und legte es mitten auf die Straße. »Du bist ein Gesetzloser! Sämtliche Kopfjäger des Reiches sind dir auf den Fersen. Wenn dich ein Bürger in diesem Dorf erkennt, dann wird das hier eine kurze Zuflucht.« »Du hast dich ja gut über mich informiert. Doch sag mir, warum interessierst du dich so für den König?« »Ich bin Rebell, mein Feind ist der König.« Staub wurde aufgewirbelt, als Crar sich in den Sand plumpsen ließ. Er starrte Tsvirai, der einige Meter über ihm stand, regungslos an. »Aber Spaß beiseite. Sag mir, was du über mich weißt.« Eine Weile herrschte eine erdrückende Stille. »Nichts«, antwortete Tsvirai und verschränkte die Arme vor der Brust. »Gute Antwort, gute Antwort.« Crars Zähne blitzen im Mondlicht, als er seinen Mund zu einem breiten Grinsen öffnete. »Um ehrlich zu sein, Freund, beschäftige ich mich nicht nur mit ihm. Ich kenne ihn. Ich kenne ihn so gut wie kein Zweiter.« Nun grinste auch Tsvirai. »Was hält der König denn davon?« »Du bist ein kluger Mann, Tsvirai, ein sehr kluger Mann.« »Wieso ausgerechnet die Kinder des Mondes?« Wieder herrschte eine erdrückende Stille. Der Wind pfiff die Straße entlang und wirbelte Staub auf. Für kurze Zeit war der Rebellenanführer verschwunden. »Also«, fuhr der Assassine fort, nachdem sich der Staub gelegt hatte. »Warum die Mondkinder?« »Auf dem Thron ist für den Zweitgeborenen meist kein Platz. Schon gar nicht auf einem Ergaunerten.« Tsvirai konnte ein Lachen nicht unterdrücken. »Was für eine Ironie«, rief er laut, zückte sein Schwert und sprang vom Balkon auf die Straße hinunter. Crar rollte zur Seite, drückte sich kraftvoll ab und kam in einer wirbelnden Bewegung auf die Füße. Ein Dolch blitze in seiner Hand, der den Schwerthieb mühelos abfing. Funken stoben und erhellten für kurze Zeit die ansonsten dunkle Straße. Beide grinsten sie sich eine Weile an, dann schoben sie die Klingen in die Scheiden zurück und ließen sich auf dem Boden nieder. Tsvirai wischte ein paar Strähnen aus seinem Gesicht, Crar zog das Haarband fester. »Was willst du bei den Rebellen?« »Die Frage gebe ich zurück«, konterte der Assassine gelassen. »Ich sehe diese Unterhaltung läuft auf ein klassisches Patt hinaus«, stellte Crar fest. »Damit will ich es bleiben lassen. Du bist ein guter Mann. Die Kinder des Mondes können gute Männer gebrauchen. Herzlich willkommen bei den Rebellen, Bruder Windmacher.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)