Krieger der Winde von Silver-DragonX (Teil 1 - Der Gesetzlose) ================================================================================ Kapitel 8: Der Sharrâht ----------------------- Als die Finsternis um Vill herum wich, drohte der Schmerz ihn erneut in Ohnmacht fallen zu lassen. Einem brennenden Feuer gleich wanderte er durch sein linkes Bein, hinauf in seinen Körper, bis er schließlich im Kopf angelangt war. Seine Sinne ließen ihn schon wieder im Stich, lang Vergangenes erwachte vor seinem inneren Auge wieder zum Leben. Er sah seine Eltern und seine Geschwister tot in den Katakomben liegen. Er roch den Tod, die Feuer, den ekligen Gestank, als der Schwarze Tod die Länder heimsuchte. Er sah verzerrte Grimassen, im Kampf mit ihrem Schicksal, er spürte die Wärme der Scheiterhaufen, fühlte die Kälte des Winters. Als die Bilderflut in seinem Kopf verebbte, verlor sich auch der Schmerz im Nirgendwo und es ließ sich einigermaßen aushalten. Vill schaute sich um, versuchte Dinge zu erkennen, die ihm bekannt vorkamen, Anhaltspunkte, um zu wissen, wo er war. Instinktiv fuhr er dabei mit den Händen über sein Bein, wollte die Bärenfalle spüren, wollte seine Wunde fühlen. Aber es war keine Bärenfalle mehr da, sein Bein war mit einem Verband umwickelt. An einigen Stellen färbte sich das Weiß bereits rot. »Was zum ...?«, fragte er sich sichtlich überrascht, dass er nicht mehr im Wald lag, aber auch noch nicht tot war. »Du bist unser Gefangener«, ertönte eine Stimme. Hastig warf Vill seinen Kopf umher, da die einzige Lichtquelle aber neben ihm stand, konnte er nichts und niemanden erkennen. »Zeig dich«, rief er angespannt, bereit, zuzuschlagen. In einiger Entfernung, genauer genommen auf der anderen Seite der Kammer, sofern es eine Kammer war, wurden mehrere Kerzen angesteckt. Im leichten Schein der Flamme erspähte Vill vier Menschen. Einer hockte auf einem Schemel. In ihm erkannte er den Anführer der Mondkinder. Ein Verband war um seinen Oberschenkel gewickelt, ein weiterer um seinen Kopf, der das linke Auge bedeckte. »Macht mehr Licht«, sagte der Anführer. Die drei Männer neben ihm gingen zu der Feuerschale, entzündeten mehrere Fackeln und steckten sie in vorgesehene Halterungen. »Frag dich nicht, wo wir hier sind, du kennst diesen Ort nicht«, sagte er Anführer zu Vill gewandt, wurde dann aber durch einen Hustenreiz aufgehalten. »Du bist in unserem Versteck«, donnerte einer der drei Männer mit seiner tiefen Stimme wesentlich unfreundlicher. »Genug, Retho«, fauchte der Anführer genervt und richtete sich schließlich zu seiner vollen Größe, die ungefähr zwei Köpfe kleiner war als die seiner Gefolgsleute, auf. »Wir haben dich im Wald gefunden und diene Wunden versorgt. Doch dafür verlangen wir nützliche Informationen von dir. Wer ist der Mann, mit dem du umherziehst? Wer bist du? Was wollt ihr von uns? Wer hat euch geschickt?« Als Vill nach einer ganzen Weile den Mund noch immer nicht aufgemacht hatte, stürmte der Mann auf ihn zu und packte ihn am Hals. »Mach endlich das Maul auf«, brüllte er und eine Zornesfalte machte sich auf seinem Hals breit. Mit einem unsanften Ruck gab er Vill frei, der als Erstes nach Luft schnappte. Die Augen des jungen Mannes blickten den Anführer funkelnd an, dann spuckte Vill ihm vor die Füße. »Du hast es so gewollt«, keifte er, holte mit dem Fuß aus und trat Vill mit voller Wucht gegen seine Wunde. Ein gellender Schmerzensschrei hallte durch den ganzen Unterschlupf, der nicht viel mehr als drei, vier Höhlen war. »Du Schwein«, wimmerte Vill und umklammerte sein Bein. »Sprich endlich«, sagte der Anführer jetzt mit ruhiger, gelassener Stimme, »oder ich lasse Retho und seine Männer zutreten.« Die Drei im Hintergrund grinsten erfreut, einer ließ seine Finger knacken. Schon den ganzen Tag hatten düstere Wolken am Horizont gestanden. Jetzt waren sie herangezogen und türmten sich bis in die höchsten Himmelsschichten auf. Schlagartig wurde es dunkel, das Grollen des Donners drang an Tsvirais Ohren. Es klang tief, voluminös, stimmgewaltig, gleich dem Grollen eines uralten Bergtrolls, Blitze waren aber nicht zu sehen. Allmählich öffnete der Himmel seine Schleusen, doch es waren nur einige dicke Tropfen, die auf die Erde fielen. Dann, als der erste Blitz zuckte, goss es in Bächen herab, Eisstücke ebenso nieder. Der Wind nahm an Intensität zu, fegte wild über das Land und bog die Bäume fast bis auf den Boden. Jeder Blitz war heller als sein Vorgänger und jeder Donner lauter. Regen und Wind gewannen weiterhin an Kraft, Pfützen wurden zu Seen, die sich zu einem endlosen, tosenden Meer vereinigten. Wüsste man es nicht besser, man würde es für das Ende der Welt halten. Tsvirai kauerte, bis auf die Knochen durchnässt, in seinem Versteck im Busch, starrte weiterhin auf den kleinen Hügel am Rande des Waldes und war bester Laune. »Herrliches Wetter«, grölte er gegen den Sturm an. »Da fühlt man sich wie Zuhause.« Sein Lachen war kehlig und machte dem Donner Konkurrenz, zumindest eine Weile, dann schlug ein Blitz in einen Baum und das nachfolgende Grollen verschluckte jedes Geräusch. Tsvirai musste sich die Augen zuhalten, so grell war das Leuchten, doch die Bewegung im Hügel, der einzige Grund, warum er im Unwetter ausharrte, hatte er gesehen. Rasch spurtete er aus seinem Versteck hervor, über das kurze Stück freie Fläche und warf sich, von einem Schmatzen begleitet, gegen die Flanke des Hügels. Sein Schwert hielt er eng an seinen Körper gepresst und als er gerade aufspringen wollte, erschien die Sonne zwischen den Wolken und tauchte die Landschaft in ein unwirkliches Licht. Noch immer fielen unzählige, fast daumengroße Tropfen auf die Erde, doch leuchteten sie im Licht der Sonne, sodass man jeden einzelnen Tropfen sehen konnte. Weit im Osten stand ein schwacher Regenbogen am Himmel, die Wolken dahinter schienen pechschwarz. Tsvirai spürte die Wärme der Sonne auf der Haut, die jedes klamme Gefühl aus seinem Körper trieb. »Wie kann die Sonne scheinen, obwohl es in Strömen regnet?«, fragte sich der Assassine und küsste seine Klinge, die einen gelblichen Farbton angenommen hatte. Als die Sonne wieder hinter den Wolken verschwunden war, sprang er mit einem wilden Schrei auf und verschwand im Innern des Hügels. Gerade schickte er eine Wache mit einem gezielten Schlag auf die Nase zu Boden, da hallte ein Schmerzensschrei durch die Höhlen. »Vill«, hauchte Tsvirai, schob sein Schwert zurück in die Scheide und spurtete los. »Lass gut sein, Retho. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Bursche jetzt reden wird. Habe ich recht.« Dass dies keine Frage war, hatte Vill durchaus verstanden. Der junge Mann biss die Zähne so kräftig aufeinander, dass der Kiefer zu knirschen begann. Seit ihm dieser riesige, breite Rebell gegen das Bein getreten hatte, umgarnte ihn die Süße Verlockung der Ohnmacht wieder. Vill lag auf dem Boden zusammengerollt und weinte nur noch. Er konnte nichts dagegen tun, er wollte es nicht einmal, aber er hatte nicht die nötige Kraft, die Tränen zu stoppen. »Ich sage nichts«, würgte er mühsam hervor und stöhnte sogleich laut, als eine weitere Schmerzwelle gegen ihn brandete. Der frische Verband war schon rot getränkt, das Bein war heiß, glühte, brannte, wie ein Feuer. Der Anführer stapfte entspannt auf Vill zu, zog einen Stuhl heran und ließ sich vor ihm nieder. »Du kannst es dir leicht machen und deine Qualen haben ein Ende«, sagte er mit melodisch klingender Stimme. Es schien ihm einen Heidenspaß zu machen, seinen Gefangenen zu foltern. Genüsslich biss er in eine Frucht, von der Vill nur die Umrisse wahrnahm. »Du kannst dir natürlich auch das Leben schwer machen und den Mund halten«, fügte der Anführer kauend hinzu. Ein lautes Poltern drang durch die Tür, die kurz darauf aufgestoßen wurde. Ein Rebell, der zur Wache eingeteilt war, flog in den Raum, krachte mit voller Wucht gegen Retho und riss ihn mit um. »Ah, Besuch«, frohlockte der Anführer und drehte sich gelassen auf dem Stuhl herum. Eine Klinge legte sich an Rethos Hals, der gerade aufstehen wollte. Fluchend verharrte er in der Bewegung und starrte in Tsvirais wutentbranntes Gesicht. Ein Grinsen kam über ihn, als er sah, dass der Assassine aus einer Wunde an der Schläfe blutete. »Gebt den Jungen freu oder ich schneide ihm die Kehle durch«, drohte Tsvirai. Als sich niemand in dem Raum rührte, schrie er seine Drohung erneut. »Ich würde unsere Situation als Patt bezeichnen«, antwortete der Anführer schließlich, warf den Rest des Apfels weg, stand auf, zog ein Messer aus seinem Stiefel und hielt es an Vills Kehle. »Ich gehe einfach davon aus, dass du deine Geisel genauso wenig laufen lässt, wie ich meine.« Vill war der Meinung, ein leises Knurren zu hören, als Tsvirais Augen von ihm zu Retho wanderten und wieder zurück. Mit der Linken fummelte der Assassine in seiner Tasche herum. »Versuch es nicht erst«, sagte der Anführer gelangweilt und zuckte mit den Augenbrauen. »Du wärst ja doch nicht schnell genug.« Tsvirai zog die Hand aus der Tasche hervor und ballte verärgert die Faust. »Was also schlägst du als Ausweg vor …« »Oh, Verzeihung«, sagte der Anführer und verbeugte sich leicht, ohne jedoch Vill freizugeben. »Mein Name ist Crar.« »Also, dein Vorschlag, Crar?« »Warum denn nicht gleich so«, flötete er und grinste schelmisch. »Bist du mit dem Brauch des Sharrâht vertraut … wie war dein Name doch gleich?« »Unwichtig«, antwortete Tsvirai und ja, ich kenne den Sharrâht.« Missmutig wackelte Crar mit dem Finger, an dem er einen aufwendig verzierten goldenen Ring trug. »So geht das aber nicht. Ohne Namen kein Sharrâht und wir kommen nicht zu einem Ergebnis.« »Er heißt Tsvirai«, sagte Vill und als er sah, wie der Assassine ihn anstarrte, zuckte er bloß mit den Schultern. »Ich will den Dolch nicht noch länger an meiner Kehle haben. Komm du mal in meine Situation.« Tsvirai öffnete die Schnalle seines Gürtels und legte ihn ab. Anschließend zog er seine Stiefel aus und entfernte den Umhang von seinen Schultern. Sein Wams schmiss er achtlos über einen Stuhl und traf dabei Vill. »Was sollte das denn werden?«, schnauzte der junge Mann, dessen Bein von einem Kräutermischer verarztet wurde, nachdem man sich auf den Sharrâht geeinigt hatte. »Was ist eigentlich der Sharrâht?« Tsvirai antwortete Vill eine Weile nicht, dann ließ er sich auf einem Stuhl nieder, massierte seine Füße und sagte: »Der Sharrâht ist ein altes Ritual der Wüstensöhne. Eine Probe, um den Anführer eines Stammes zu ermitteln. Dabei treten zwei Männer im Zweikampf gegeneinander an und versuchen den jeweils anderen zu besiegen. Wer auch immer zuerst aufgibt oder eine Prüfung nicht besteht, der hat verloren.« »Aber er ist nicht einfach ein ordinäres Duell«, fügte Crar an. »Sonst wäre ein eigener Name überflüssig und man könnte ihn ja einfach Duell nennen.« Vergnügt zupfte er an seinem Bart, den er nur um den Mund herum hatte stehen lassen. Seine kurzen Haare schimmerten im Licht einer Fackel geheimnisvoll. »Deine Forderungen, Tsvirai.« Tsvirai überlegte kurz, dann ging er die wenigen Schritte auf den Anführer der Mondkinder zu und verneigte sich, wie es die Gesetze des Sharrâht verlangten. »Wenn ich gewinne, dann werdet ihr euch um seine Verletzung kümmern. Außerdem sind wir freie Menschen und ihr nehmt uns bei den Mondkindern auf.« »Ich werde mein Bestmögliches tun, um das zu verhindern.« Crar verbeugte sich ebenfalls. »Wenn ich aber gewinne, Assassine, dann seid ihr meine Gefangenen und werdet mir alles über euch erzählen. Und lass dir gesagt sein, dass mich eure Worte überzeugen, sonst seid ihr des Todes.« »Auch ich werde mein Bestes geben, um dies zu verhindern.« Sie reichten sich die Hände zum Kriegergruß und verließen zusammen die Kammer. Draußen vor dem Hügel angekommen ließen sie sich beide auf der Erde nieder. Der Regen war schon vor einer ganzen Weile verschwunden und auch der Boden war seltsamerweise bereits trocken. Vor dem Eingang waren zudem kleine Erdhügel aufgeschüttet worden. Vier Männer schleppten je eine Feuerschale, die sie auf den Hügeln ausleerten. Glühende Kohlen kullerten umher und blieben schließlich reglos liegen. Neben Vill machte es sich Retho gemütlich und grölte Crar etwas entgegen. »Die erste Prüfung«, sagte der Anführer mit fester Stimme, »ist der Lauf über glühende Kohlen. Der Herausgeforderte darf anfangen.« »Lass das«, rief Vill plötzlich. »Du bist verrückt. Das ist es nicht wert!« »Doch, das ist es«, unterbrach Retho ihn und klopfte ihm auf den Rücken. »Weißt du, Junge, manchmal muss man eben tun, was getan werden muss. »Aber wenn noch mehr von diesen Prüfungen kommen, dann werden sie sich umbringen.« »Dann soll es so sein«, sagte jetzt Tsvirai und ohne noch länger zu zögern, lief er barfuß über die Kohlen. Als er am Ende angekommen war, drehte er um und ließ das Stück zurück. Seine Miene blieb regungslos, während alle Umstehenden den Atem anhielten. Vill vermochte erst gar nicht, hinzusehen. »Er ist ein großer Kämpfer«, staunte Retho und tippte Vill an, als Tsvirai wieder Gras unter seinen Füßen hatte. »Viele schrecken davor zurück und eigentlich ist dies eine der letzten Proben.« »Du scheinst dich ja sehr gut mit dem Sharrâht auszukennen«, sagte Vill und musterte den großen Mann, der ihm langsam immer sympathischer wurde, trotz des Trittes gegen das Bein. Retho zog seinen Stiefel aus und zeigte Vill die Sohle seines linken Fußes. Die gesamte Unterseite wies Brandnarben auf, an einer Stelle lugte sogar das blanke Fleisch hervor. »Crar war nicht immer unser Anführer«, sagte der Rebell. »Er hat mich damals besiegt. Die Sohlen deines Freundes werden übrigens auch nicht viel anders aussehen.« Vill schaute zu Tsvirai hinüber, der regungslos vor seinem Kohlefeld stand. Vill sah ihm jedoch an, dass er furchtbare Schmerzen aushalten musste. Einige Muskeln in seinem Gesicht waren zum Reißen gespant und sein Atem ging rasch und flach. Inzwischen war Crar über sein Feld gelaufen. Er machte nicht so viel Hehl aus seinen Schmerzen, setzte sich hin und pustete über die krebsroten, mit unzähligen Blasen übersäten Fußsohlen. »Respekt, Assassine«, rief Retho und winkte vier Männern, die Kohlen zu beseitigen. »Ihr beide seid tapfere Krieger, doch haltet ihr auch der nächsten Prüfung stand? Du hast die Wahl, Assassine.« Tsvirai entschied sich für eine Messerprobe, deren Ablauf Vill nicht einleuchten wollte. Erst, als die beiden Duellanten jeweils ein Messer in die Luft warfen und ihre Schildhand ausstreckten, wusste Vill, wie sie funktionierte. Tsvirais Messer brachte ihm einen Schnitt bei, während Crar nicht einmal einen Kratzer davontrug. So ging es einige Zeit weiter, mal ging es um Kraft, dann wieder um Ausdauer und schließlich wieder um Mut. Als Tsvirai schließlich wieder and er Reihe mit wählen war, tippte er auf seinen Unterarm und sagte: »Fünf Hiebe auf Pferdehaar.« Crar nickte und ließ einen Mann ein Bündel mit Pferdehaar bringen. Dieses wurde zwischen zwei Spangen gespannt, dann stellte sich Crar vor der hauchdünnen Haarsträhne auf. »Dein Freund muss wirklich nicht mehr bei allen guten Geistern sein«, stellte Retho fest und grölte laut, als sein Anführer den Arm hob. »Dabei kann man seinen Arm verlieren«, fügte er hinzu und grölte erneut, als Crar zuschlug. Die gespannte Strähne traf auf den linken Arm, drang ein Stück in die Haut, die wie eine überreife Tomate aufplatze, ein und riss dann am Auftreffpunkt entzwei. Vill musste den Brechreiz unterdrücken und starrte verstört in eine andere Richtung. »Hab ich dir doch gesagt«, gab Retho als Antwort und lachte laut. Ein neues Haar wurde gespannt und Tsvirai unterzog sich der Prüfung. Auch bei ihm hinterließ die Strähne einen kleinen Schnitt. »Wie rückständig müssen die Menschen der Wüste sein, dass sie solche Rituale entscheiden lassen.« Vill schlug mit der Faust auf die Erde. »Dies ist ein bewundernswerter Kampf«, sagte Retho leicht beleidigt. »Nur die mutigsten Männer unterziehen sich dem Sharrâht und nur die Tapfersten der Tapferen bestehen ganze dreizehn Prüfungen. Der Assassine und Crar sind wirklich einmalige Kämpfer. Jeder Sohn der Wüste wäre stolz auf sie.« Rethos Augen strahlten, als er Vill noch eine Weile über etliche Sharrâhts und ihre Ausgänge berichtete. Sein großer kugelrunder Kopf wippte dabei leicht hin und her. Die kurz geschorenen Haare glänzten schweißig und der Vollbart roch nach Fetten und anderen schmierigen Dingen. Tsvirai schlug gerade zum dritten Mal auf ein Haar ein. Blut spritzte umher, als das Haar tief in den Arm schnitt. Fast dreimal so tief, wie die beiden anderen Schnitte zusammen. Ein leises Stöhnen war zu hören, doch dann riss die Strähne. »Das hat wehgetan«, feixte Crar und stellte sich wieder vor einem neuen Haar auf. »Bevor ich zuschlage … gibst du auf?« »Das hättest du wohl gern«, keuchte Tsvirai und drückte die Wunde so gut es ging ab. Er spürte schon nicht viel mehr als Schmerz, seine Glieder, allem voran sein Arm, wurden ihm endlos schwer, ein leichter Schwindelanfall traf ihn unerwartet. Um ihn herum verschwamm alles zu einer einheitlichen Masse. Erst das Stöhnen Crars verschaffte ihm wieder klare Gedanken. Auch bei dem Anführer der Mondkinder war das Haar weit ins Fleisch gedrungen und auch ihm ging es nicht mehr so gut wie noch vor dem Schlag. Tsvirai stöhnte, schleppte sich mühsam vor das Haar, hob den Arm und ließ ihn ohne Zögern niedersausen. Ohne größere Verletzungen zu hinterlassen, riss das Haar. »Betrug«, brüllten einige Männer und fuchtelten mit den Fäusten herum. »Maul halten«, keifte da Retho und sprang auf. Beide schafften es auch ein fünftes Mal, ein Haar zu zertrennen. Sofort wurden ihnen Verbände angelegt und sie durften sich eine Weile ausruhen. »So lange hätte ich nicht durchgehalten«, sagte Retho beiläufig. »Und ich erst«, fügte Vill mit einem leichten Unterton an. »Je mehr Haare zerschlagen werden müssen, umso tiefer die Schnitte. Mit jedem Mal wird der Arm schwerer und je langsamer man schlägt, umso langsamer reißt das Haar. Retho ließ sich wieder auf die Erde plumpsen. Er schien das Spektakel sichtlich zu bewundern. »Ganz große Krieger«, nuschelte er immer wieder. Nach einer kurzen Erholungspause zog Tsvirai sein Schwert und bekam einen Schild über die linke Hand gestreift. Auch Crar zog seine Waffe blank und rüstetet sich mit einem Schwert. »Wenn nach dreizehn Prüfungen noch immer kein Sieger feststeht«, erklärte der bullige Rebell, »dann wird in einem Zweikampf entschieden. Gekämpft wird bis auf das erste Blut oder bis jemand aufgibt.« Schließlich klatschte er in die Hände, die mehr den Pranken eines Bären glichen, dann gab er das Signal. Tsvirai und Crar umkreisten sich eine Weile, lauernd und bereit, blitzschnell zuzustoßen. Dass ihre Bewegungen durch die vielen Prüfungen geschwächt und abgehackt waren, schien keine Rolle zu spielen. Als der Wind plötzlich aufheulte und stark über den Hügel und die Umgebung pfiff, stürmten beide aufeinander los, doch noch mitten im Rennen stolperte Crar, stürzte hart auf den Boden und blieb liegen. Schweiß bedeckte seinen ganzen Körper, der Verband war tiefrot. Mit letzter Kraft stammelte er die Worte, die den Sharrâht entschieden: »Ich gebe auf.« Gleich darauf brach auch Tsvirai zusammen. Die Umstehenden tobten vor Begeisterung, rannten Tsvirai und Crar entgegen und hoben sie vom Boden hoch. »So endet es also«, sagte Retho, schnalzte mit der Zunge und pfiff durch einen schmal geöffneten Mund. »Diesen Sharrâht wird so schnell niemand mehr vergessen.« Er sprang auf und trottete gemütlich auf den Höhleneingang zu. Als er den halben Weg zurückgelegt hatte, drehte er sich zu Vill um. »Willst du da Wurzeln schlagen, Junge? Komm endlich, sonst verpasst du ein Festmahl. Jetzt wird gefeiert.« Grinsend und grölend verschwand er im Hügel. Vill stand langsam auf, prüfte, ob sein Bein ihn auch tragen konnte, dann folgte er Retho, wurde dabei aber von einem Rebell gestützt. »Die sind doch verrückt«, sagte der junge Mann, dann wurde er vom Hügel verschluckt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)