Zwischen Tag und Nacht von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 3: Karotten und Rüben ----------------------------- Karotten und Rüben Der nächste Morgen. Auch wenn ich in letzter Zeit nie vor drei Uhr schlafen ging, schaffte ich es nicht, länger als bis um sieben zu schlafen. Obwohl heute Sonntag war… Und wenn ich einmal wach war, hielt ich es im Bett auch nicht länger aus. Dann wurde mir zu heiß unter der Decke, ich begann zu schwitzen, zu zappeln, mich herumzurollen, bis ich schließlich aufstand und trotz allem schwankend vor Müdigkeit ins Bad stolperte, um meinen Körper dort mit einer kalten Dusche so richtig aufs Äußerste zu strapazieren. Wie gesagt, heute war Sonntag, also konnte ich nicht damit rechnen, dass Gabrielle sich vor ein Uhr nachmittags aus dem Bett bequemen würde. Also hatte ich viel Zeit für mich alleine, ehe ich den Vortrag von gestern Nacht – oder eher, heute Morgen – weiterführen musste… Immer noch verschlafen und in einen Morgenmantel eingehüllt ging ich die Treppe hinunter. Ich hielt mich wie immer am Gelände fest, stieg über den immer noch schlafenden Caleb – der übrigens der Grund war, warum ich mich morgens immer am Gelände festhielt – und betrat unsere winzige Küche. Die Küche war so eng wie der Rest der Wohnung. Eigentlich bestand die Wohnung ja nur aus einem etwa anderthalb Quadratmeter großem Vorzimmer, der winzigen Küche gleich daneben, dann der Treppe, auf der keine zwei Personen nebeneinander Platz hatten, unserem genauso kleinen Wohnzimmer, meinem und Gabrielles Schlafzimmer (okay, die waren nicht so klein wie bei anderen Studenten, aber wirklich Platz, um sich zu entfalten, gab es auch nicht) und natürlich meinem Heiligtum, meinem Arbeitszimmer, das an sich auch das einzige annehmbar große Zimmer in der ganzen Wohnung war. Ich warf die Kaffeemaschine an, die uns Tantchen geschenkt hatte, und ging dann wieder in die Halle, um die Zeitung aufzuheben. Der blöde Lieferant schaffte es nie, das Ding unbeschadet durch den Briefschlitz zu stecken… Einmal die Woche rief ich bei der Zeitung an und beschwerte mich, aber hatte man als Konsument heutzutage irgendwelche Rechte? Nein… Egal. Ich nahm meinen Kaffee, schüttete etwa einen halben Liter Milch in die Tasse, daraufhin noch zwei Löffel Zucker, trank einen Schluck, fluchte, dass der Kaffee schon wieder nur lauwarm war und setzte mich dann an den kleinen Küchentisch. Nachdem ich die ersten schlechten Nachrichten des Tages überflogen hatte, fiel mein Blick auf einmal über den Rand der Zeitung hinweg auf ein kleines Streichholzbriefchen. ‚Carotte et Navet’ stand in orange und weiß darauf. Ganz plötzlich überkam mich eine derartige Wut, dass ich das Streichholzbriefchen nahm und kurzerhand an die Wand am anderen Ende der Küche schmiss. Wieso hatte ich das noch? Solche Dinge sollte man in den Ofen werfen und davor warten, bis es komplett und bis auf den letzten Rest verbrannt war… Natürlich, jetzt kamen die Bilder wieder hoch. Typisch. Jaques hatte mich mitgenommen in diese Bar, ‚Carotte et Navet’, um seine abgeschlossene Doktorarbeit zu feiern. Normalerweise ging ich nicht aus, aber Jaques half mir nun mal tatkräftig bei meiner eigenen Doktorarbeit, und außerdem hatte man halt bestimmte Verpflichtungen, wenn man schon den Luxus haben wollte, einen besten Freund zu haben. Jaques hatte eine Pferdefresse sondergleichen – und wenn sogar ich, als seine beste Freundin, das sage, dann hat das etwas zu bedeuten. Neben ihm sah ich wirklich richtig gut aus, trotz Brille, trotz Lockenmopp, trotz Schlabberklamotten und trotz fehlendem Make-up. Ich werde nie, nie wieder ausgehen, soviel ist für mich klar. Denn was dieser Abend so alles mit sich gebracht hatte, bereitete mir noch immer Kopfschmerzen. Aber wer hätte auch gedacht, dass sich ausgerechnet in einer Bar namens ‚Carotte et Navet’, also ‚Karotte und weiße Rübe’, in so einem Gammelschuppen in der Vorstadt, Vampire aufhalten? Ich frage mich immer noch, was die da wollten. Haben sowieso nicht reingepasst. Sie hätten besser in die City gehen sollen und dort in einem dieser Nobelschuppen feiern, da hätten sie mit Sicherheit auch hübschere Opfer gefunden. Im Endeffekt war es also kein Wunder, dass sie mich ausgewählt haben… Die Alternative wären besoffene Trucker oder abgewrackte Mittvierziger gewesen. Oder Jaques. Aber wie gesagt – Pferdefresse. Sie waren mir von Anfang an suspekt gewesen. Nicht nur deshalb, weil sechs so schöne Menschen einfach nicht in so eine Bar passten. Nein, ich mochte keine schönen Menschen. Die Frau, für die Papa uns verlassen hat, war schön. Der Polizist, der uns eines Tages zu unserer Tante gebracht hat, war schön. Der Arzt, der unserer Tante erzählt hat, was im OP passiert ist, war schön. Der Priester, der Mamas Grabrede gehalten hat, war schön. Mein erster und einziger Freund war schön. Und das Mädchen, mit dem er mich vor aller Augen betrogen hat, war auch schön. Man sieht also, dass ich durchaus meine Gründe hatte, misstrauisch gegenüber schönen Menschen zu sein. Naja… wenn es an diesem Abend wenigstens Menschen gewesen wären… Irgendwann jedenfalls stand ich auf. Ich hatte etwa drei Tequilla und fünf Gläser Bier intus und war somit schon ziemlich wackelig auf den Beinen, allerdings nahm ihn noch alles völlig klar war – obwohl ich nie trank, vertrug ich erstaunlich viel. „Ich geh mal raus, frische Luft schnappen, Jaques.“, meinte ich nur und wankte dann auch schon auf die Tür der Bar zu. Dass sich in diesem Moment auch die sechs schönen Wesen in der hintersten Ecke der Bar erhoben, um mir zu folgen, bekam ich natürlich nicht mit. Es dauerte ganz genau zehn Sekunden, bis ich von ihnen umzingelt war. Es war eine enge, dunkle Gasse, so dass das keinem weiter auffiel, zumal es hier auch nicht wirklich jemanden gab, dem das auffallen konnte. Im Schein der Leuchtschrift über der Bar konnte ich die Umrisse ihrer weißen Gesichter sehen. Vorher hatte ich sie genauer sehen können und wusste daher, dass es vier Männer und zwei Frauen waren. Dementsprechend verwirrt war ich auch, was die von mir wollten. Ich hatte noch nie von einer Bande von Vergewaltigern oder Messerstechern mit einem Viertel Frauenanteil gehört. Aber vielleicht war das nur ein Klischee – auf jeden Fall begann ich in dem Moment, mächtig Angst zu bekommen. „Sch… Ganz ruhig…“, flüsterte der, der direkt vor mir stand – Nuvio, wie ich später herausfand. Er hatte eine wahnsinnig dunkle, wahnsinnig samtene Stimme, die in etwa so einlullend wirkte wie das Rauschen von Wellen. Okay, ich gebe zu, ich war im ersten Moment wirklich ziemlich hingerissen von ihm. Als ich sein Gesicht, das mir immer näher kam, dann deutlicher sah, begann mein Herz laut gegen meinen Brustkorb zu schlagen, und mir brach der Schweiß aus vor lauter Aufregung. Aber heute denke ich an sich, dass das nicht meine eigene Schuld war – mit Sicherheit hatte Nuvio in diesem Moment irgendetwas Fieses mit mir angestellt. Das war zumindest die einzige Erklärung, die ich mir selbst geben konnte, warum ich nicht sofort wie eine Wahnsinnige losgeschrieen hatte (neben den drei Tequilla und den fünf Gläsern Bier). Die Worte ‚Sch… Ganz ruhig’ kannte ich sonst nur aus dem Fernsehen – für gewöhnlich waren das die letzten Worte, die das Vergewaltigungs- Schrägstrich Mordopfer von seinem Vergewaltiger Schrägstrich Täter hörte. Und naja, ich hatte ja auch nicht ganz unrecht – wäre es nach Nuvio gegangen, dann hätte zumindest das Zweite der Wirklichkeit entsprochen. Bei dem Ersten war ich mir immer noch nicht so sicher… Keine Ahnung, ob das bei Vampiren noch alles so funktionierte, wie es sollte. Körperlich waren die ja eigentlich tot… Aber im Endeffekt brachten mir diese Überlegungen jetzt auch nichts mehr. Ich lebte noch – also war Nuvios Plan fehlgeschlagen. Warum? Weil auf einmal etwas Seltsames passiert ist, als ich völlig regungslos in seinen Armen lag. Ich spürte seine Zähne schon an meinem Hals. Ich konnte an nichts mehr denken, mein Gehirn war wie leer gefegt, aber dennoch nahm ich alles ganz genau war. Als ich fühlte, wie er zubiss, drückte ich fest die Augen zusammen – dann knallte er auf einmal mit dem Rücken gegen die gegenüberliegende Wand. Die restlichen Vampire stoben sofort auseinander, ehe einer von ihnen Nuvio aufhalf, der an der Wand hinabgesunken und liegen geblieben war. Völlig entgeistert starrte er mich an, als hätte er gerade ein Gespenst gesehen (jaaa, gerade der…). Grob schubste er die Vampirin, weg, die immer noch seinen Arm hielt, starrte mich noch einmal an und verschwand dann mit den anderen in der Dunkelheit. Bis er dann drei Tage später plötzlich nachts vor meiner Tür stand. Dass ich fast einen Herzinfarkt bekommen hätte, sollte wohl klar sein… Vor allem sah ich ihn im Licht meiner Vorzimmerlampe etwa zehnmal deutlicher als in der dunklen Gasse. Und ja, er WAR wunderschön. Er hatte weiße Haut, wirklich schneeweiß, noch heller als die von Auguste, und sein seidiges Haar fiel in rabenschwarzen Locken über seine Schultern. Seine Augen waren so schwarz wie sein Haar, seine Wimpern schwer, sein Mund zu einem süffisanten Lächeln verzogen. Gesichtszüge, Figur – natürlich alles perfekt. Ein König seiner Art. Ich denke nicht, dass er damit gerechnet hatte, dass ich ihm die Türe vor der Nase zuschlagen würde. Aber wer bin ich denn, dass ich meinen Beinahe-Vergewaltiger Schrägstrich Mörder in mein Haus lassen würde? In dem Moment wusste ich ja noch gar nicht, dass er ein Vampir war. Psychopath, Stalker, Massenmörder – all das war für mich wesentlich naheliegender. Ich hasse es, erschreckt zu werden. Ich hasse es wirklich. Mein Herz fühlt sich dann immer an, als würde es für einige Sekunden stehen bleiben, ich bekomme keine Luft mehr, mir wird eiskalt und dann kochend heiß. Und als ich die Tür zu meinem Arbeitszimmer öffnete und Nuvio auf meinem Drehstuhl sitzen sah, hatte ich zusätzlich zu all dem das Gefühl, mein linker Arm würde auf einmal schmerzen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)