Per omnia saecula saeculorum von Vinanti (~Von Ewigkeit zu Ewigkeit~) ================================================================================ Kapitel 1: Per omnia saecula saeculorum --------------------------------------- Per omnia saecula saeculorum Ich wälzte mich schon seit einigen Stunden unruhig hin und her. Ich konnte einfach nicht einschlafen. Das sanfte Schaukeln des Schiffes, was im Dunkeln der Nacht über das Meer hinweg glitt, schickte mich sonst immer in den Schlaf. Doch heute nicht. Irgendetwas war anders, aber ich wusste nicht was. Ächzend versuchte ich mich langsam aufzusetzen. Ein stechender Schmerz durchfuhr meine Seite. Die Verletzung, die ich seit dem letzten Gefecht mit den Piraten davon getragen hatte, machte mir noch immer zu schaffen. Als ich schließlich auf meinem Bett saß, lauschte ich eine Weile den Wellen, die leise plätschernd gegen die Bordwand schlugen. Dieses beruhigende Geräusch ließ mich in eine Art Trancezustand fallen. Ja, ich wäre beinahe im Sitzen eingeschlafen, hätte es nicht kaum hörbar an der Tür zu meiner Kabine geklopft. Unter Schmerzen stand ich auf und schleppte mich erschöpft zur Tür. Ich ahnte schon, wer zu dieser Nachtzeit, außer den Diensthabenden Männern, noch auf den Beinen war. Als ich sie öffnete, bestätigte sich meine Vermutung. Ich schaute direkt in das wettergegerbte Gesicht meines Freundes und ersten Offiziers. „Käpt’n?“ Er schaute mich fragend an. Ich erwiderte nur ein unverständliches Grummeln, musste aber Schmunzeln. Trotz unserer langjährigen Freundschaft bestand er weiterhin darauf, mich mit „Käpt’n“ anzusprechen. Er meinte, es sei besser für die Moral der Männer, wenn ich zwischen ihnen keinen Unterschied machen würde. Ich hatte mich darauf eingelassen; auch wenn es mich noch immer ein wenig störte, habe ich mich daran gewöhnt. Wenige Augenblicke lang musterte er mich, dann sprach er weiter, als er meine stumme Aufforderung vernahm. „In etwa drei bis vier Stunden kommen wir in Küstennähe, Käpt’n.“ Ich nickte stumm und auch er signalisierte mir, dass er verstanden hatte. Er ging und ich schloss leise wieder die Tür. Seufzend drehte ich mich um, sodass mein Blick auf den schon vor Tagen begonnenen Brief an meine Frau fiel. Erinnerungen an die letzten gemeinsamen Tage durchfluteten mich. Ich sah das strahlende, hübsche Gesicht meiner Frau, dann sah ich meine kleine, lächelnde und über alles geliebte Tochter. Ich musste lächeln, ein ehrliches Lächeln. Ich beschloss, mich noch etwas mit dem Brief zu beschäftigen, als ein schmerzhafter Blitz meine Gedanken durchzuckte und die Erinnerungen zerstörte, sie einfach verblassen ließ. Gequält aufstöhnend griff ich mir an die Seite. „Verdammt…“, kam es mir fast nicht vernehmbar über die Lippen. Morgen würde ich wohl oder übel meinen Heiler hier an Bord erneut aufsuchen müssen. Gekrümmt begab ich mich zu meinem Tisch und setze mich schwerfällig auf den einzigen Stuhl im Raum. Ich schaute aus dem kleinen Fenster; das Meer war nicht vom Himmel zu unterscheiden, so stockfinster war es diese Nacht. Abermals kam ein leiser Seufzer über meine Lippen. Kurzzeitig schloss ich die Augen, versuchte mich zu konzentrieren. Als ich sie wieder öffnete, schaute ich mir das bisher Geschriebene noch einmal an, um den Faden wieder aufnehmen zu können. Meine geliebte Familie, ich bedaure es zutiefst, dass ich nicht bei Euch sein kann; mit Euch gemeinsam lachen und weinen kann. Aber meine Arbeit hat mich nun an das andere Ende des Kontinents gebracht. Auch wenn ich nicht mit meinem Körper bei Euch bin und die Entfernung zwischen uns kaum überbrückbar erscheint, meine Seele begleitet Euch beide jeden einzelnen Tag. Ich vermisse Euch… Seufzend legte ich das Blatt wieder nieder. Unentschlossen, ob ich nun weiter schreiben, einen neuen Brief anfangen oder es gar gänzlich lassen sollte, zog ich die Schreibtischschublade auf. Ohne hinein zu schauen, fischte ich darin herum. Als ich dachte, ein neues Blatt Pergamentbogen in den Händen zu halten und es herauszog, war ich überrascht, was ich da in meiner Hand hielte. Ein leises Lachen entrang sich meiner Kehle, als ich auf die Karte starrte, die meiner Großmutter einst gehört hatte. Ich wusste gar nicht, dass ich sie noch immer besaß. Mit Hilfe dieser Spielkarten hatte meine Großmutter uns Kindern immer die Zukunft vorhergesagt. Eigentlich, denn mir nur ein einziges Mal. Ich wollte es mir nicht ernsthaft eingestehen, aber die Erinnerung daran tat weh. Der Kamin knisterte, als meine Schwestern und mein Bruder sich zu Großmutter und mir setzten und darum baten, die Zukunft zu erfahren. Leicht lächelnd nahm Großmutter ihre Karten hervor und mischte sie gründlich durch. Meine kleinste Schwester durfte beginnen, dann folgten meine ältere Schwester und schließlich mein Bruder, sodass ich der letzte in der Reihe war. Mir machte das nichts aus, denn ich hatte stets nur bewundert wie meine Großmutter die Karten legte; doch ich weigerte mich, mir auch meine Zukunft vorhersagen zu lassen. Die genauen Gründe dafür kannte ich selbst nicht genau. Großmutter hatte meine Geschwister hinausgeschickt, damit wir beide alleine waren. Ich wusste es, sie würde wieder versuchen wollen, mich zu überreden. Doch unerklärlicher Weise gab ich meinen Widerstand ohne jeglichen Protest auf. Meine Großmutter hielt mir die Karte hin und wies mich an, eine zu ziehen. Ich tat wie mir geheißen und reichte sie schließlich an sie weiter. Ihre Miene veränderte sich keines Weges und wir wiederholten die Prozedur ein weiteres Mal. Bei dieser Karte jedoch entdeckte ich den Anflug von Unsicherheit auf ihrem Gesicht. Ich bekam Angst, ob meine Zukunft vielleicht so schrecklich sei, dass es selbst meine Großmutter verängstigte. Ich hatte eine dritte Karte zu ziehen, bei derer Deutung meine Großmutter schließlich seufzend inne hielt und mich fest anschaute. Ihre Worte würde ich niemals vergessen… „Hör gut zu, mein Junge. Ich werde dir aus vielerlei Gründen, nicht verraten, was ich gesehen habe. Aber lass dir einen Rat geben und versprich mir, dass du ihn niemals vergessen wirst…“ Ich versprach es. Dann fuhr sie fort. „Im Leben geht es nicht darum, guten Karten zu erhalten, sondern mit den Karten gut zu spielen.“ Sie schaute mich immer noch fest an, obwohl sie lächelte. „Vergiss das nie… mein Engel…“ Als erneut ein blitzartiger Schmerz durch meine Seite fuhr, erwachte ich schlagartig. Ich war unbemerkt eingeschlafen. Die Karte hielte ich noch immer in den Händen. Mein Blick glitt hinaus aufs Meer, das nun wieder deutlich vom rosafarbenen Morgenhimmel zu unterscheiden war. Ich musste einige Stunden geschlafen haben. Ich richtete mich auf und legte die Karte nieder. Es musste nicht mehr lange dauern, dann würden wir seit einigen Tagen auf See erstmals wieder Land sehen. Ich beschloss, mich fertig zu machen und dann meinem ersten Offizier auch ein wenig Ruhe zu gönnen, wenn ich wieder das Kommando übernahm. Ich zog mich an und wusch mich, doch die ganze Zeit über, dachte ich an meinen Traum. Als meine Großmutter schließlich gestorben war, bekam jedes der Kinder in unserer Familie die Möglichkeit ein letztes Mal, eine der Karte zu ziehen. Auch ich hatte dies getan und hatte mit unergründlichem Blick auf die Engelskarte in meiner Hand geschaut. Ich schritt wieder zum Schreibtisch, auf dem immer noch die Karte lag. Den Brief hatte ich ganz vergessen, entschied mich dann dafür ihn gegen Abend weiter zuschreiben und betrachtete wieder gedankenverloren das Bild auf der Karte. Der wunderschöne, strahlende Engel hielt ein großes Stundenglas in der Hand. Der Sand darin war mehr als zur Hälfte bereits durchgelaufen. Ich verstand mich nicht auf die Deutung dieser Karten. Doch ich ahnte, dass diese Karte, als ich sie damals gezogen hatte, ein Zeichen war. Dieser Engel hier stand für Entschlossenheit und Ehrgeiz, für Verstand und Vernunft, für Faszination und Zeit, das zeigten mir die verschnörkelten Schriftzüge an jeder Seite der Karte. Mir kam der Gedanke, dass diese Karte irgendwie gar nicht zu der Vorhersage meiner Großmutter passte, die ich nie erfahren, mir aber im Laufe der Jahre zusammengereimt habe. Und meiner Meinung nach, habe ich mich trotz schlechter Karten gut im Leben geschlagen. Ich habe meine wunderbare Frau kennen gelernt und eine einzigartige Tochter bekommen. Ich war Kapitän meines eigenen Schiffes und diente der königlichen Flotte. Ja, ich hatte vieles erreicht, auch wenn ich von Anfang an zu kämpfen hatte. Entschlossen griff ich noch einmal in die Schublade und holte einen gut eingeölten Briefumschlag hervor… Als ich an Deck ging, sah ich meinen ersten Offizier am Bug stehen und in die Ferne schauen. Ich ging ins Heck des Schiffes und grüßte die Männer, die mir begegneten. An meinem Ziel angekommen, schloss ich kurz die Augen und atmete tief durch. Dann warf ich den Umschlag, den ich leicht an meine Brust gehalten hatte, hinaus aufs Meer und verfolgte seinen sachten Sinkflug gen Wasseroberfläche. Zufrieden schritt ich nun zu meinem Freund im Bug des Schiffes. Einige Herzschläge standen wir schweigend nebeneinander. Dann brach urplötzlich geschäftiges Treiben an Deck aus und ich befürchtete das Schlimmste. Wieder schmerzte mir meine alte Verletzung, als mein Freund neben mit leiser, aber eindringlicher Stimme sagte: „Sie sind wieder da…“ Ich legte ihm entschlossen die Hand auf die Schulter und zog mit der anderen mein Schwert, das ich bei mir trug. „Dann lass uns kämpfen, mein Freund!“ Der kleine Junge saß am Strand und spielte mit einigen Steinen, als er plötzlich etwas Merkwürdiges im Wasser treiben sah. Er sprang auf und eilte darauf zu. Als es in greifbarer Nähe war, zog der Junge es aus dem Wasser und erkannte darin einen Briefumschlag. Er watete aus dem Nass und lief Richtung nach Hause, um seinen Fund allen zu zeigen. Während des Weges öffnete er den Brief, der durch das Öl nicht weiter vom Wasser beschädigt worden war, und lugte hinein. Freudestrahlend holte er eine Art Spielkarte hervor, wie seine Urgroßmutter sie benutzte, um den Kindern die Zukunft vorhersagen zu können. „Schau mal, was ich am Strand entdeckt habe!“ Als er in seinem zu Hause angekommen war, stürmte er bereits auf seine Urgroßmutter zu. „Schau doch mal!“ Diese nahm ihrem Urenkel lächelnd die Karte entgegen. Dann drehte sie sie so um, sodass der Junge den Engel mit dem Stundenglas, der darauf abgebildet war gut erkennen konnte. „Und was bedeutet dieser Engel?“ Man spürte seine Freude und Erwartung, als seine Urgroßmutter sich etwas zu ihm hinunterbeugte und ihm lächelnd zu flüsterte: „Versprich mir, nie zu vergessen, dass es im Leben nicht darum geht, gute Karten zu bekommen, sondern gut mit ihnen zu spielen…“ Und der Junge versprach es… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)