Oh Shit. von m0nstellar ================================================================================ Kapitel 8: Der erlösende Einfall -------------------------------- Spätabends saß Chris im Wohnzimmer auf seinem Sofa – allein. Stellar hatte es für besser gehalten, direkt nach dem Essen zu gehen und den üblichen DVD-Abend auf ein andermal zu verschieben. Bestimmt hatte sie sich wegen ihm und seinen vielen Fragen unwohl gefühlt und deshalb die Flucht ergriffen. Übelnehmen konnte er es ihr nicht. Trotzdem war er irgendwie froh darüber, allein zu sein. Nur mit der Stille, die seither von den Wänden widerhallte, wusste er nicht umzugehen. Genauer genommen zerfetzte sie ihm nach zwei Stunden beinahe das Trommelfell, so sehr erdrückte sie ihn. Und seine Gedanken machten es nicht erträglicher.   Es ließ ihn einfach nicht in Ruhe. Ja, Stellar hatte ihm Antworten auf seine Fragen geliefert, aber zufriedengestellt hatten sie ihn nicht. Das lag nicht an den Antworten selbst, sondern an einer einzigen, simplen Tatsache: Es störte ihn. Die amouröse Beziehung zwischen Stellar und Dylan störte ihn und er konnte weder sich noch anderen erklären, warum. Die Tatsache an sich war jedoch unbestreitbar. Auch dieses seltsame Gefühl, das immer wieder aufkam, bestätigte es ihm; als ob es ihm sagen wollte, dass das absolut keine gute Idee war. Und so wirklich glauben konnte er es ihnen immer noch nicht. Er wollte es nicht glauben. Als die Stille nun auch anfing, ihm die Kehle zuzuschnüren, griff er sich die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein.   »– Wir von e-love.com bieten Ihnen die Möglichkeit, online den Traumpartner zu finden, dem Sie auf offener Straße nie begegnet wären! Melden Sie sich jetzt an und finden Sie heute noch Ihren –«   Chris schaltete den Fernseher direkt wieder aus, pfefferte die Fernbedienung in die hinterste Ecke der Couch und warf den Kopf in den Nacken. Warum zum Teufel beschäftigte ihn das so? Warum störte ihn das so sehr? Jeder normale Mensch würde sich für seine Freunde freuen, nur er nicht. Warum? Vielleicht brauchte er noch ein Glas Wein, um sich zu entspannen. Beim Essen hatte es ja auch funktioniert, zumindest ein bisschen. Er hievte sich auf und steuerte geradewegs die Küche an, als ihm das Foto von sich und seiner Schwester ins Auge fiel und er abrupt stehen blieb. Natürlich, Lex! Prompt zog er sein Smartphone aus der Hosentasche, entriegelte den Sperrbildschirm und wählte ihre Nummer. Wenn ihn einer ablenken konnte, dann war es Lex. Jedenfalls konnte sie das mit ihren zahlreichen Dummheiten besser, als jedes Glas Wein der Welt. Nach zwei Freizeichen hob sie ab. »Hallo?« »Hi Lex, hier ist Chris.« »Brüderchen!« Die Freude darüber war deutlich zu hören. »Alles bestens, keine Sorge. Was gibt’s denn?« Ähm … Scheiße. Die Frage hatte ihn kalt erwischt. Jetzt wo er genauer darüber nachdachte, gab es eigentlich: nichts. Zumindest nichts, was zu einem längeren Gespräch mit ihr hätte führen können. Beklommen fuhr er sich über den Nacken. »Och, eigentlich wollte ich nur fragen, ob bei dir alles in Ordnung ist.« Einen Moment lang war nichts zu hören. »Das ist alles? Mehr nicht?« »… Ja.« »Echt jetzt? Ich war doch erst vor ein paar Tagen bei dir. Wenn’s ein Problem geben würde, hätte ich’s dir schon gesagt.« Chris schloss einen Moment die Augen. Natürlich hätte sie das. Sie hätte sich ihm anvertraut und ihn um Hilfe gebeten, wie sie es immer getan hatte. Am liebsten würde er sich gerade ein Stück Holz ins Gesicht donnern. »Spionierst du mir jetzt nach, oder was?« »Nein! Ich wollte einfach nur noch mal sicher gehen.« »Aha.« Er wusste, dass in diesem „Aha“ mehr steckte; Sie war ihm beleidigt, wollte es aber nicht direkt aussprechen. »Dann kann ich ja jetzt auflegen.« Super. Heute schien wohl der Tag zu sein, an dem er eine Frau nach der anderen verärgerte. »Sieht so aus.« »… Oder gibt’s doch noch was?«, hakte sie nach. »Nein, schon gut. Ist nicht so wichtig.« »Sicher?« Der Nachdruck in ihrer Stimme nahm weiter zu. »Du bist nämlich heute komisch ...« »Wieso?« War es ihm so deutlich anzumerken? »Ähm … Du hast mich gerade nur deswegen angerufen, um mich zu fragen, ob alles in Ordnung ist. Das machst du doch sonst nicht.« Tja, das war nicht abzustreiten. Anscheinend war es ihm deutlicher anzumerken, als er dachte. »Tut mir leid, ich bin einfach nur ein bisschen durcheinander.« Plötzlich war der Nachdruck verschwunden. »Ja, das merkt man … Was ist denn los mit dir? So kenne ich dich gar nicht.« Chris schwieg und strich sich erneut über den Nacken, schlich im Wohnzimmer auf und ab. Er wollte seine kleine Schwester eigentlich nicht mit seinen Problemen belasten. Erstens war er der große Bruder, der auf sie aufpasste und nicht andersrum. Und zweitens war das aktuelle Problem kein Problem, sondern absurd und dumm – genau wie dieser impulsive Anruf. »Komm schon, rede mit mir. Was ist los?« Eigentlich würde er sich lieber selbst mit einem stumpfen Plastikmesser für Spielzeugknete die Zunge rausschneiden, als dass er Lex davon erzählte. Doch emotional stand er mit dem Rücken zur Wand. Der Drang, mit jemanden darüber zu reden, war einfach zu groß und drohte ihn aufzufressen, wenn er es nicht tat. Es führte also kein Weg daran vorbei, er musste mit ihr reden. »Also gut. Ich habe dir doch schon einiges über Dylan und Stellar erzählt, richtig?« »Dass sie sich hassen, meinst du?« Gut, so hart hätte er es nicht ausgedrückt, aber wenn sie es so nennen wollte … »Unter anderem.« »Was ist mit den beiden? Haben die sich wieder in Haare gekriegt?« »Nicht ganz.« Chris fuhr sich übers Gesicht und holte tief Luft, ehe er es aussprach: »Die zwei sind jetzt zusammen.« Stille bohrte sich durch die Leitung. »Du verarscht mich gerade, oder?« Glaube mir, ich wünschte, es wäre so. Als sie von ihm keine Antwort vernahm, lachte sie ungläubig auf. »Nee, Mann. Du kannst mir ja viel erzählen, aber das glaube ich dir nicht.« Sofort wurde er hellhörig. »Wie meinst du das?« »Ähm, hallo? Hast du dir Dylan mal angeschaut? Der Typ kann so ziemlich jede haben, die er will und dann soll er sich ausgerechnet die nehmen? Die, die immer so scheiße zu ihm ist? Nee Mann, auf gar keinen Fall. Nie im Leben. Da habe ja sogar ich noch bessere Chancen.« »Hey, Vorsicht. Das ist immer noch meine beste Freundin.« »Was denn? Es ist doch so!« Genervt massierte er sich die Nasenwurzel. Ganz bestimmt würde er sich jetzt nicht auf eine Grundsatzdiskussion einlassen, das führte nur zu Streit. Dennoch: Es beruhigte ihn ungemein, dass er nicht der einzige mit diesen Fragen war.  »Woher willst du das eigentlich wissen, hä? Hast du sie in flagranti erwischt? Hast du sie gesehen?« »Nein. Dylan hat es mir erzählt.« »Äh, was? Warte, warte, warte: Das hat dir Dylan erzählt?« Durch ihre Fassungslosigkeit schrie sie ihn fast an. »Ja.« Vermutlich war das der erste und einzige Moment, wo er Lex sprachlos erleben durfte. »Genauer gesagt hat er es mir einfach ins Gesicht geballert, bevor er dann sauer abgehauen ist.« »Wieso denn abgehauen? Habt ihr euch gestritten?« Chris winkte ab. »Lange Geschichte.« Lex schwieg eine Zeit lang, schien über das Gesagte nachzudenken, ehe sie ihre nächste Frage stellte: »Und du bist dir wirklich sicher, dass er dich nicht einfach nur verarschen wollte?« »Ganz sicher. Wir waren beide nicht zum Scherzen aufgelegt und Stellar hat mir das Ganze auch bestätigt, als ich sie darauf angesprochen habe.« »Oh, okay. Dann ist das … ’ne echt krasse Nummer.« »Kann man wohl sagen.« »Hat sie auch gesagt, wie es dazu gekommen ist? Also, dass sie jetzt zusammen sind?« »Anscheinend haben sich die zwei getroffen, ausgesprochen und dabei festgestellt, dass sie sich mögen. Oder eben mehr als nur mögen.« »Okay …« Ihre Antwort hing unangenehm in der Luft – Ein Zeichen, dass sie gerade dabei war, sich ihre Meinung dazu zu verkneifen. »Und wie lange läuft da schon was?« Das hatte er Stellar gar nicht gefragt, fiel ihm auf. »Seit Anfang der Woche, schätze ich. Genau weiß ich es nicht.« »Heftig … Dann sind die beiden wirklich zusammen?« »Ja.« Wie oft musste er das eigentlich noch bestätigen? »Verdammt! Echt schade.« »Was?« »Dass er jetzt vergeben ist.« In ihrer Stimme schwang eine gewisse Laszivität mit, die ihm übel aufstieß. Das habe ich jetzt einfach mal nicht gehört. »Aber gut«, warf sie schnell ein. »Jetzt kannst du immerhin deine Freizeit mit beiden gleichzeitig verbringen, genau wie du’s wolltest.« Stimmt. Nur in dieser Form wollte er das irgendwie nicht. »Ja ... eigentlich schon.« »Na das klingt ja sehr begeistert.« »Ich … Ich weiß einfach nicht so recht, was ich davon halten soll.« »Also, was ich davon halte, weiß ich.« Der Sarkasmus war nicht zu überhören, doch Chris ignorierte es. »Eigentlich solltest du dich doch freuen. Du hast doch immer gewollt, dass sie sich besser verstehen.« »Klar wollte ich das. Ich freue mich ja auch für sie, aber …« Sein Körper sprach eine völlig andere Sprache: Der Bauchschmerz war wieder da und er durchzuckte ihn mehrmals hintereinander. Wie sollte er Lex sein Problem begreiflich machen, wenn er es sich selbst nicht einmal erklären konnte? »Bist du eifersüchtig?« Wie bitte? »Nein?! Es ist nur … Die ganze Zeit keifen sie sich gegenseitig an und urplötzlich, von einem Tag auf den anderen, sind sie ein Pärchen. Das kommt mir einfach komisch vor.« »Ey, klar bist du eifersüchtig!« Sie klang direkt aufgeregt ihr Kichern schmerzte in den Ohren. Irgendwie bereute er jetzt, dass er ihr davon erzählt hatte. Er hätte wissen müssen – und in seinem Innern hatte er es gewusst –, dass sie für derartige Gespräche noch zu jung war. »Ich glaube, ich gehe besser ins Bett, bin ziemlich müde.« »Ach jetzt komm schon! Verstehst du keinen Spaß?« Nun wurde er energisch: »Nein Lex, das tue ich nicht, weil ich das überhaupt nicht lustig finde! Verstehst du das nicht?« »Okay, okay. Tut mir leid«, erwiderte sie kleinlaut. Inzwischen hatte er während des Telefonats drei Mal den Wohnzimmertisch umkreist und in seinen Teppich einen sichtbaren Marschierpfad eingetrampelt. Er setzte noch einmal ruhiger an: »Ich bin nicht eifersüchtig, okay? Ich mache mir einfach nur Sorgen.« »Über was denn?« Resigniert zuckte er mit den Schultern, auch wenn sie es nicht sehen konnte. »Ich weiß es nicht.« »Hast du Schiss, dass du jetzt außen vor bleibst und die zwei nur noch Pärchensachen machen, oder wie?« »Nee, das nicht.« Allmählich wurde er müde. Von dem Tag und von diesem Telefonat. Er verließ seinen Trampelpfad, schlug ins Schlafzimmer ein und ließ sich schwermütig, ohne das Licht einzuschalten, auf der Bettkante nieder. »Keine Ahnung, ich kann’s dir echt nicht sagen. Bisher hatte ich noch nicht viel Zeit, um darüber nachzudenken. Ich weiß nur, dass mir mein Bauchgefühl sagt, dass das nicht gut ist.« »Dann weiß ich ehrlich gesagt auch nicht, wie ich dir noch helfen soll, wenn du noch nicht mal weißt, was genau dein Problem ist.« Du sagst es. Erneut seufzte er. »Vielleicht ist es besser, wenn ich wirklich mal ’ne Nacht drüber schlafe, um das Ganze mal sacken zu – « »Rede doch einfach noch mal mit Dylan darüber!« Hä? »Wie meinst du das?« »Na, du hast doch gesagt, dass ihr euch gestritten habt, oder? Ich habe zwar keine Ahnung, worum es dabei ging, aber vielleicht kann er dir nach einem versöhnenden Gespräch mehr über die Beziehung mit Stellar sagen.« Chris dachte darüber nach. Das könnte ihm tatsächlich helfen. Unfassbar, dass er nicht selbst darauf gekommen war. »Keine schlechte Idee.« Lex kicherte, offenbar froh darüber, dass er ihren Einfall umsetzen wollte. »Bestell ihm einen schönen Gruß von mir, wenn du ihn triffst, ja?« Schon wieder diese Laszivität. »… Mach ich.« Aber ganz bestimmt nicht so, wie du dir das vorstellst. Beiläufig schaltete er das Licht auf dem Nachttisch ein. »Sorry, dass ich dich so spät noch mit so einem Blödsinn belästigt habe.« »Ach was, doch nicht dafür. Du bist doch auch immer für mich da, wenn ich Hilfe brauche. Jetzt konnte ich endlich mal für dich da sein.« Chris schmunzelte. »Gut, ich gehe jetzt aber trotzdem ins Bett. Benimm dich weiterhin anständig, okay?« »Ja, ja. Mach ich schon. Halt du mich dafür auf dem Laufenden mit den beiden, verstanden?« »Natürlich. Gute Nacht, Lex. Ich hab dich –« »Gute Nacht, bis dann!« Tut. Tut. Tut.   Grinsend sah er auf das Display, dann legte er sein Handy beiseite. Typisch Teenager. So peinlich war ein "Ich hab dich lieb" zwischen Geschwistern nun auch wieder nicht. Ihr Ratschlag hingegen war wirklich nicht übel, schon allein aus zwei Gründen: Erstens könnte er von Dylan weitaus mehr über dessen Beweggründe erfahren als von Stellar. Und zweitens war er vermutlich deutlich gewillter darüber zu sprechen als sie es war. Die Frage war nur noch: Wann und wie sollte er das anstellen? Morgen war sein letzter freier Tag. Sein Blick verweilte eine Zeit lang auf seinem Handy, dann nahm er es in die Hand und schrieb Dylan eine SMS:     Hi Dylan, Morgen Zeit und Lust zum Joggen? Chris     Er drückte auf Senden und die Nachricht war draußen. Hoffentlich ging Dylan darauf ein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)