[24/7] Zwischen den Zeilen von halfJack ================================================================================ Kapitel 8: Kaltes Wasser ------------------------ Kaltes Wasser Er hatte nicht erwartet, so schnell jenes Buch mit dem hellen Umschlag zur Hand zu nehmen, das ihm sein Vater mitgebracht hatte. Doch nun verlangte das Chaos in Lights Kopf nach Ablenkung. Während L mehrere Akten vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatte, darin herumblätterte und manchmal scheinbar wahllos innehielt, um eine Seite eingehender zu studieren, hatte sich Light bequem auf dem Sessel gegenüber niedergelassen. „Was liest du da?“ Beide Männer schauten auf, als Matsuda diese Frage stellte. Der junge Polizist war neben Light getreten und blickte interessiert auf das Buch in dessen Händen hinab. „Die Göttliche Komödie“, antwortete dieser, „sicher nichts für Sie, Matsuda-san.“ „Wieso nicht?“ „Weil es ein Epos ist, in dichterischer Form.“ Matsuda legte fragend den Kopf schief. „Sie haben noch nie etwas davon gehört, kann das sein?“, wollte Light behutsam in Erfahrung bringen. Der Gesichtsausdruck des Polizisten war Antwort genug. „Nun, es ist ein eher religiöses Werk mit fiktivem Inhalt.“ „Also Fantasy?“, brachte Matsuda einen ungeschickten Vergleich hervor. Light verzog kaum eine Miene, obwohl er L leise schmunzeln hörte. Geduldig erklärte er: „Na ja, so ähnlich. Heutzutage würde man es vielleicht als das bezeichnen, aber dafür ist es eigentlich zu stark politisch gewichtet. Außerdem werden mittlerweile nur noch selten Werke in dieser Form geschrieben. Die meisten Leute bevorzugen Romane.“ Eine Weile schien Matsuda darüber zu grübeln, bevor er meinte: „Ich dachte, Dichtungen lesen nur alte Leute.“ Diesmal war es offensichtlich, dass sich L amüsierte. Zumindest für Light waren solche Dinge an seinem Partner nicht mehr zu übersehen, weshalb er nur knapp entgegnete: „Das ist Geschmackssache.“ „Dann gib mir doch ein Beispiel“, forderte Matsuda ihn auf. Während Light bemerkt hatte, dass L ihn grinsend beobachtete, ergriff er kurzerhand die Gelegenheit und blätterte ein paar Seiten in dem Buch zurück. „Tu ab die Trägheit“, las er vor und richtete sich vermeintlich an Matsuda, „wer immer in Federn, unter Pfühlen säumt, erfuhr vom Licht des Ruhmes nie den holden Schimmer. Und ohne Ruhm lässt seines Lebens Spur der Mensch auf Erden grade wie im Meere der Wellenschaum, wie Rauch in Lüften nur.“ „Das schon wieder“, sagte L und verdrehte die Augen. „Versteh ich nicht“, meinte dagegen Matsuda. Light schlug das Buch zu und zuckte mit den Schultern. „Dilettanten.“ „Klassik ist tot“, meinte L belanglos, „Matsuda-san ist das beste Beispiel dafür.“ Der Polizist hob eine Augenbraue, doch keine Wut lag in seinem Gesicht. Er hatte sich an die spöttischen Beleidigungen des Meisterdetektivs gewöhnt und sagte deshalb nur: „Jeder interessiert sich eben für unterschiedliche Dinge. Im Gegensatz zu manch anderen Leuten bin ich wenigstens jung geblieben.“ „Ihr habt beide Recht“, versuchte Light die Situation zu schlichten, „Kultur ist ein weites Feld, in dem Klassisches ebenfalls seine Berechtigung hat, auch in unserer Zeit.“ „Unserer Zeit?“, nahm L den Faden auf, wobei er einen der Aktenordner auf den Tisch fallen ließ. „Du meinst das Atomzeitalter, in dem eigentlich kein Platz für solche großen Dinge wie Kultur ist. Die Welt ist mittlerweile sehr klein geworden.“ „Wenn sich niemand dafür interessieren würde, gäbe es Kultur doch schon längst nicht mehr, Ryuzaki.“ „Mit dieser Aussage gibst du aber weder mir noch Matsuda-san Recht. Auch wenn manche jung gebliebenen Leute diese Feinheiten nicht bemerken, sind diverse Floskeln also nicht nötig.“ L schlug einen weiteren Ordner auf und blätterte in zügigem Tempo eine Seite nach der anderen um. Während Matsuda die Arme vor der Brust verschränkte, fuhr er fort: „Heutzutage ist das Dasein des Menschen vom Atom geprägt. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse machen uns die Welt so begreifbar und durchsichtig, dass wir uns vor lauter Fragen gar nicht mehr retten können. Dennoch gibt es jene andere Seite, die man gemeinhin als Kultur bezeichnet. Theater, Kunst, Film und Funk, Literatur, sogar Glaube und Religion, das hinkt alles noch hinterher.“ „Hängt das nicht von jedem selbst ab?“, fragte Matsuda skeptisch. „Tja, vielleicht“, meinte L und schob ein paar Akten in eine entfernte Ecke des Tisches, um gleich darauf den nächsten Ordner zu nehmen und neben sich auf die Couch zu legen. „Vielleicht können wir gar nicht anders, weil die Gesellschaft schon vollständig kultiviert ist.“ „So gesagt klingt es, als wäre sie von einer Seuche befallen“, entgegnete Matsuda stirnrunzelnd und schien dieses Mal zu wissen, dass er damit nicht Unrecht hatte. „Kultur, was ist das schon?“ Mit einem Schulterzucken überging L die Aussage. „Wir leben in einer von Menschen geschaffenen Welt, zwischen Gebrauchsgegenständen, in Häusern, auf Straßen, in Städten, und die meiste Zeit sehen wir all diese Dinge nur unter dem Blickwinkel der menschlichen Tätigkeiten. Wir sehen nur das, was mit diesen Dingen um uns herum passiert, was durch unsere eigenen Hände an ihnen vorgenommen wird. Wir haben uns an den Gedanken gewöhnt, dass all das notwendig existiert und unerschütterlich ist.“ „Dennoch bleiben wir einfache Menschen“, meinte Light mit abwesendem Gesichtsausdruck, „und leben als solche in einer eingeschränkten Welt. Wir verstehen nur noch einen Bruchteil dessen, was wir so selbstverständlich benutzen. Literatur, Filme, sogar Videospiele, das alles versetzt uns in unbekannte Ferne. Für kurze Zeit versinken wir, können andere Personen sein, Abenteuer bestreiten und Erfahrungen machen, die nicht die unsrigen sind. Kultur ist wie eine Droge für unser tristes Dasein.“ „Zivilisation führt eben zu Langeweile“, pflichtete L gelassen bei, „und Langeweile zu Anarchie, aber auf eine sehr zivilisierte Weise. Wir glauben, dass wir uns eine eigene Meinung bilden, indem wir Zeitungen studieren, Dokumentationen schauen, Demonstrationen besuchen, intellektuelle Bücher lesen und individuell provokative Musik hören. Dabei vergessen wir, dass diese Kultur mittlerweile als Massenmedium im Kaufhaus steht. Es ist politische Kalkulation, dass wir kultiviert sind. Gerade hier in Japan.“ Light legte das Buch, das ihm sein Vater geschenkt hatte, vor sich auf den Tisch und starrte durch den Umschlag hindurch einen unbestimmten Punkt an. Er wusste, was L meinte. Die japanische Gesellschaft baute auf Einheitlichkeit und Leistung. Das zeigte sich bereits im Kindesalter, denn die Wahl jeder einzelnen Einrichtung konnte durch ihren Ruf über die jeweilige Zukunft des Schülers entscheiden. An dem Druck zerbrachen viele und viele wollten ausbrechen, um sich ihre Individualität zu bewahren. Doch dem Sohn des Polizeiinspektors war es nie eine Last gewesen. Er hatte von Beginn an zeigen können, dass er etwas Besonderes war. Dass er zur Elite gehörte. „Matsuda hat sich ziemlich schnell wieder aus dem Staub gemacht.“ L stocherte mit einer Gabel in seinen Crumbles herum und schob ein paar Streusel von den warmen Äpfeln und Cranberrys herunter. „Er taucht immer völlig überflüssigerweise auf und verdrückt sich, sobald er überfordert ist.“ „Überfordert?“, fragte Light beiläufig, während er an drei verschiedenen Computern Datenpakete, Statistiken und Tabellen miteinander verglich. „Damit meine ich, dass nicht jeder so intelligent ist wie wir, Light-kun.“ „Aha“, äußerte sich dieser dazu nur, hatte jedoch offensichtlich nicht richtig zugehört. Als er einen Moment später realisierte, was L gesagt hatte, drehte er sich auf dem Stuhl herum. „Spinner, du hast ihn doch selbst in die Flucht geredet.“ „Matsuda bewundert dich sehr“, überging L den scherzhaften Einwurf, „er hört dir immer genau zu, Light-kun.“ „Wirklich?“ „Nur weil er dir zuhört, heißt das nicht, dass er auch alles kapiert. Er wird nicht verstanden haben, von welchen Problemen unserer heutigen Leistungsgesellschaft wir vorhin geredet haben.“ „Sicher gehört er einfach nicht zu den Menschen, die sich von einem solchen Druck kaputtmachen lassen.“ Light streckte kurz seine schmerzenden Glieder, bevor er die einzelnen Rechner in Bereitschaftsschaltung versetzte. Auf den Monitoren der Zentralüberwachung war Misa zu sehen, die vor der Kommode stand und mit dem Drehbuch in der Hand zu ihrem Spiegelbild sprach. L schob sich die mit Früchten und Streuseln beladene Gabel in den Mund und ließ undeutlich verlauten: „Oft sind einfach gestrickte Menschen gerade deshalb nicht unzufrieden, weil sie nicht wissen, was sie erlangen könnten, nach welchen höheren Zielen sie zu streben hätten.“ „Das heißt aber nicht, dass sie immer glücklich sind“, merkte Light an. „Du musst dir bloß den japanischen Alltag vorstellen, beispielsweise in der Untergrundbahn zur Hauptverkehrszeit, diese Masse an Anonymität. Du siehst müde Gesichter und Glieder, Emotionen wie Hass, Ärger und Stress. Man hat das Gefühl, jeden Augenblick könnte jemand ein Messer hervorziehen, einfach nur so. Und doch können ein paar Stunden später dieselben Leute, von Gerüchen befreit, gewaschen, festlich oder bequem gekleidet, glücklich und zärtlich sein, wirklich lächeln und vergessen. Es ist traurig, sich die Realität auszumalen, denn die meisten von ihnen werden zu Hause wohl nur ein unangenehmes Miteinander erleben oder schrecklich einsam sein.“ „Das ist die ungesellige Geselligkeit des Menschen“, stimmte L tonlos zu, während er die Gabel neben seinen leeren Teller legte, „ein Antagonismus, der dadurch entsteht, dass wir uns vergesellschaften wollen, um wirklich Mensch zu sein, denn nur so können wir alle unsere Anlagen verwirklichen. Aber gleichzeitig möchten wir uns isolieren.“ Light dachte über die Worte seines Partners nach und musste damit unwillkürlich die Isolation verbinden, in der L selbst die meiste Zeit lebte. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sich der Meisterdetektiv bisher kaum mit etwas anderem vertraut gemacht als jenen leeren, sterilen Räumen und dem Surren etlicher Computermonitore. Wenn L könnte, würde er den Kontakt zu anderen Menschen vermutlich ausschließlich durch Mikrofone und Bildschirme aufrechterhalten. „Womöglich“, setzte Light nachdenklich an, „wollen viele Menschen nicht Gefahr laufen, anderen zu unterliegen, weil sie Angst haben, dass ihre eigenen Fähigkeiten nicht ausreichen. Wenn man sich gar nicht erst auf einen Kampf einlässt, kann man auch nicht von sich selbst enttäuscht sein.“ „Es liegt eben in unserer Natur, dass wir alles nach unserem Willen lenken wollen.“ L war aufgestanden und wandte sich zum Gehen. Dabei ließ er den Teller, auf dem nur noch ein paar vereinzelte Krümel lagen, einfach stehen. Am nächsten Tag, das wusste Light, würde ihn jemand weggeräumt haben. „Ordnung und Kontrolle sind für den Menschen nun mal sehr wichtige Themen“, sagte er, wobei er sich ebenfalls erhoben hatte. „Und gleichzeitig“, gab L zurück, „erwarten wir immer Widerstand und wissen, dass wir selbst der Widerstand gegen andere sind. Es kann in der Ethik nicht darum gehen, ob Menschen einander ihre Freiheit einschränken dürfen, sondern nur darum, wie sie es dürfen.“ „Der Widerstand, von dem du sprichst“, schloss sich Light der Argumentation an, während er dem Anderen die Treppe hinauf folgte, „er weckt doch auch die Kräfte des Menschen und bringt ihn dazu, seine Trägheit und Langeweile zu überwinden.“ L reagierte auf den spitzen Appell in jener Aussage mit Sarkasmus: „Und dabei ist er nur noch getrieben von Ehrsucht, Herrschsucht und Habsucht, um sich einen Rang unter seinen Mitgenossen zu verschaffen, die er zwar nicht leiden kann, von denen er allerdings auch nicht lassen kann. Die Partikularinteressen führen zu einem erhöhten Leidensdruck, dem sich der Mensch nicht entziehen kann. Er ist schließlich mehr oder weniger dazu gezwungen, sich auf gesetzliche Regelungen einzulassen.“ „Die Aufgabe der Gesetze besteht aber nicht darin, Meinungen zu bewahrheiten, sondern die Sicherheit des Gemeinwesens sowie der Güter und der Person jedes einzelnen zu gewährleisten.“ „Genau aus dem Grund hat sich diese krankhaft erzwungene Zusammenstimmung zu einer Gesellschaft am Ende in ein moralisches Ganzes verwandelt.“ Die beiden Männer betraten ihr gemeinsames Zimmer. L ließ sich sogleich auf das Bett fallen, mit zur Decke gewandtem Blick, während sein linker Fuß noch immer den Boden berührte. Ganz in seiner Nähe setzte sich sein Partner an den Rand des Bettes. „Eigentlich hätte der Verstand doch ausreichen müssen“, meinte Light trübsinnig, „damit der Mensch das alles erkennt. Stattdessen müssen wir erst die traurige Erfahrung von Kriegen machen, bis wir zuletzt am Ende unserer Kräfte angelangt sind und uns eingestehen, dass wir nur gemeinsam überleben können. Doch bevor wir zu dieser Erkenntnis gelangen, müssen unzählige unter unserer Selbstherrlichkeit leiden. Da kann man nur noch schwer an das Gute glauben.“ „Wenn die Menschen gutartig wie Schafe wären, dann würden sie ihrem Dasein nicht mehr Wert verschaffen als ihrem eigenen Nutzvieh.“ L starrte weiterhin gelangweilt die Decke an, obwohl in seiner Stimme etwas mitschwang, das beinahe als Frustration zu interpretieren war. „Darum müssen wir dieser mangelnden Fähigkeit zum Konsens danken, unserer im Wettstreit stehenden Eitelkeit und der nicht zu befriedigenden Begierde zum Haben oder auch zum Herrschen.“ Irritiert schaute Light zu seinem Kollegen hinüber und entgegnete: „Aber im Grunde genommen wollen wir doch alle nur ein einträchtiges Beisammensein, oder nicht?“ „Die Natur weiß besser, was für unsere Gattung gut ist“, widersprach L, „nämlich Zwietracht. Nur dadurch sind wir in unserer Entwicklung so weit gekommen.“ Light sagte nichts dazu und ließ den Blick durch das Fenster nach draußen gleiten. Der Himmel war vollständig von Wolken bedeckt, die sich langsam über den Hintergrund der Stadtkulisse bewegten und die Wände des Zimmers in grauweiße Farbe tauchten. Die ersten Lichter erhellten die Häuser und Straßen, doch hinter den Fassaden Tokyos blieb jeder einzelne Mensch unbekannt. „Wenn du so pessimistisch von Ehrgeiz und Selbstbehauptung sprichst“, brach Light schließlich mit leiser Stimme das Schweigen, „warum fehlt dir dann der Mut, um weiterzumachen? Warum hast du deinen Elan über Bord geworfen?“ „Ich möchte einfach gar nichts tun“, erwiderte L deprimiert, „nur die Augen schließen und im Schlaf alles vergessen.“ „Als ob du wirklich Schlaf suchen würdest“, meinte Light ein wenig zynisch. „Auch wenn ich unmotiviert bin, ich kann es nun mal nicht“, erklärte der Detektiv. „Ich kann nicht nachlässig sein oder untätig bleiben.“ „Das widerspricht sich doch! Nimmst du dich weiter vor mir in Acht, obwohl ich meinen Wert eingebüßt habe? Was war überhaupt dein Ziel, wenn es jetzt egal zu sein scheint? Du darfst dich nicht hängen lassen und musst deinen Enthusiasmus wiederfinden! Wie willst du zurückkehren können, wenn du den Weg aus den Augen verlierst?“ Darauf gab L keine Antwort mehr. Seufzend senkte Light den Kopf und vergrub, wie so oft in solchen Situationen, die Hände in seinem braunen Haar. Ein weiterer langer Moment der Stille verstrich. Light versuchte das Chaos in seinen Gedanken zu ordnen. Wie war Ls Lustlosigkeit mit der Tatsache zu vereinbaren, dass dem Detektiv der Sieg eigentlich so wichtig war? Es konnte nicht daran liegen, dass er schon verloren zu haben glaubte, denn noch war das Spiel nicht zu Ende. Lief es wieder auf dasselbe Problem hinaus? Um sich Klarheit zu verschaffen, sagte Light: „Du willst in Wirklichkeit gar nicht mit mir kooperieren.“ „Wie?“ Teilnahmslos wandte sich L seinem Ermittlungspartner zu. Dieser wagte sich in seiner These noch einen Schritt weiter, wobei sein Vorwurf zunehmend ungehaltener wurde. „Du willst nicht mit mir, sondern gegen mich kämpfen, ist es nicht so, Ryuzaki? In deinen Augen hat Kira mein Gesicht verloren und das passt dir nicht. Du bist schlichtweg beleidigt und stur wie ein kleines Kind, weil du es nicht zulassen willst, dass jemand anderes Kira ist!“ „Was interessiert dich das denn?“ Wütend war Light aufgestanden. Das bittere Gefühl in seiner Magengegend hatte sich aufgrund des gleichgültigen Verhaltens, das ihm sein Freund entgegenbrachte, zu einer Welle des Zorns gesteigert. Die ruckartige Bewegung ließ L wegen der Metallkette beinahe aus dem Bett fallen. Doch nachdem er sich gerade noch rechtzeitig gefangen hatte, wurde er bereits am Handgelenk gepackt und durch das Zimmer gezerrt. „Light, was...?“ Zu perplex, um zu reagieren, taumelte L hinter dem Jüngeren her. „Ich habe es satt.“ Lights Stimme bebte. Er zog seinen Partner ins Badezimmer und stieß ihn ohne Umschweife in die Duschkabine. L schaffte es zwar rechtzeitig, sich an der Kabinenwand festzuhalten, stolperte dann jedoch und fiel rücklings auf den weißen Untergrund. Während er sich mit den Händen abstützte, um wieder eine aufrechte Position zu erlangen, prasselte plötzlich eiskaltes Wasser auf ihn herab. Vor Schreck erstarrt hob L den Kopf. Undeutlich sah er Light über sich stehen, der verzweifelt auf ihn hinabschaute. Dieser war ebenfalls halb in die Duschkabine hineingestiegen, sodass seine Hosenbeine nass wurden. Es schien ihn jedoch nicht zu kümmern. „Wach endlich auf!“ Aus Lights Stimme klang deutlich die Hoffnungslosigkeit hervor, gegen die sich der junge Ermittler schon seit Wochen zur Wehr setzte. Er hatte einfach keine Kraft mehr. „Warum lässt du dich so gehen?“, rief er dem Meisterdetektiv fragend entgegen. Dieser lehnte stumm den Kopf gegen die Wand. Das Wasser durchtränkte seine Kleidung, die ihm schwer und kalt an der Haut zu kleben begann. Sein Gesicht gab kaum Aufschluss darüber, ob ihm das alles überhaupt etwas bedeutete. Light ließ sich hinabsinken, fasste seinen Freund bei den Schultern und schüttelte ihn leicht. „Was ist denn los mit dir?“, redete er auf L ein, während dieser langsam den Kopf drehte und ihn mit seinen unergründlichen Augen durchdrang. „Warum hilfst du mir nicht, verdammt?!“ Unter seinen Fingern spürte er, dass L zu zittern begonnen hatte. Auch Light konnte sich gegen die Kälte nicht mehr wehren. Seine Sachen hafteten klamm an seinem Körper. Das Wasser verschleierte seinen Blick. Dennoch sah er auf einmal wirklich in die schwarzen Augen seines Freundes, die reglos auf ihn gerichtet waren, vergleichbar mit denen eines Toten. Das Erkennen traf Light wie ein Schlag ins Gesicht. Fast hatte er vergessen, dass man manchmal genauer hinsehen musste, um unter die Oberfläche zu dringen. Und dass man es stets auf eigene Gefahr tat. War er denn blind gewesen? „Es...“ Lights Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Es tut mir leid.“ Mit diesen Worten überwand er seinen inneren Konflikt und die immerwährende Distanz zwischen ihnen. Er streckte die Arme aus und schloss sie um Ls Körper, um ihn an sich zu ziehen. Der Detektiv rutschte noch ein weiteres Stück gegen die Wand in seinem Rücken, sodass Light, um ihn nicht loszulassen, sein Gewicht auf den fremden Körper verlagern musste und zwischen dessen angewinkelten Beinen zum Ruhen kam. Verwundert schaute L aus seinen dunkel umschatteten Augen auf den braunen Haarschopf hinab. Keiner von beiden wusste, wem diese Umarmung als Stütze dienen sollte und wer hier tatsächlich nach Halt suchte. Während kaltes Wasser über die geschlossenen Lider Lights und dessen Wangen lief, hielt er seinen Freund weiterhin fest umschlungen. Er wollte über sein eigenes Handeln nicht mehr nachdenken müssen. Ansonsten hätte er sich vielleicht eingestanden, dass er sich selbst wie das Kind benahm, als welches er L im Affekt bezeichnet hatte. „Es tut mir leid“, wiederholte Light kaum hörbar. „Du musst dich nicht entschuldigen“, antwortete L, wobei er sich auf die Nähe des Anderen konzentrierte und dessen Nacken und Schulterblätter betrachtete, die unter dem durchnässten weißen Hemd zum Vorschein kamen. „Wenn jemand um Verzeihung bitten sollte, dann bin ich das.“ „Ach, komm“, lachte Light schmerzlich und löste sich von ihm, „das meinst du doch sowieso nicht ernst.“ „Wer weiß.“ Es verwirrte L, dass er für einen Moment den Drang verspürt hatte, den Jüngeren festzuhalten. Stattdessen registrierte er fasziniert die Verlegenheit, die sich auf Lights Gesicht widerspiegelte, eine für den sonst so ernsten Studenten ungewohnte Emotion. Das Rauschen des Wassers hörte auf. Light zog seine Hand zurück und ließ sie achtlos hinabfallen. Er konnte L nicht in die Augen schauen, diesem hochintelligenten Mann und weltbesten Detektiv, den er ohne nachzudenken in eine solch unangenehme Lage gebracht hatte. „Ich habe wohl einfach Angst“, gestand Light schwermütig. „Angst davor, dass du dich selbst verraten könntest.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)