Yuzukoshou von Kariri ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Diese FF ist jetzt sicherlich schon seit einem Jahr fertig. Ich war anfangs sehr unzufrieden mit dem Ende und ich mag es immer noch nicht zu 100%, aber seit ich es geändert habe (was ich scheinbar zwischendurch vergessen hatte xD), ist es in Ordnung, denke ich. Das habe ich festgestellt, als ich's grad noch mal gelesen habe. Ich hoffe, es wird jmdm. gefallen ^__^ Die Story ist komplett aus Ioris Sichtweise. --- Wieder seufze ich auf und ein breites Lächeln legt sich auf mein Gesicht. Etwas gedankenverloren und mit einem Hauch Melancholie betrachte ich mir Bild für Bild in meinem erst kürzlich angelegten Fotoalbum. Ich weiß auch nicht so recht, aber es hatte mich einfach überkommen und nun hänge ich tief in Gedanken in den alten Zeiten. Angefangen bei Kindheits- und Jugendfotos über meine erste Band bis hin zum aktuellsten, erst vor wenigen Wochen entstandenen Foto. Natürlich befinden wir uns im Zeitalter der Digitalkameras, die sich ja sogar schon in unseren Handys finden, doch meine Mutter sagt immer, es ist doch viel schöner, wenn man Erinnerungen in den Händen halten und berühren kann - und ich sehe das genauso, weshalb ich hin und wieder schöne und mir wichtige Bilder entwickeln lasse und sie nun in das Album geklebt habe. Allerdings habe ich nur teilweise ein paar Worte darunter geschrieben, das ist mir dann doch zu kitschig. Schließlich sollen die Bilder nur meine Erinnerung stützen. Gerade als ich wieder umblättern will, klingelt es an meiner Tür. Wer will mich da aus der Vergangenheit reißen? „Ja?“, frage ich in die Gegensprechanlage. „Hallo. Hast du Zeit für den tollsten Menschen, den du je kennen gelernt hast?“ Eindeutig Jun. „Kisaki? Was machst du denn hier?“, scherze ich und kann auch mein Lachen nicht ganz unterdrücken. „Maaan, hier is’ Jun. Mach auf.“ Also mache ich auf und warte an der Tür, bis er mir ins Blickfeld tritt. „Na Kleiner, was treibt dich her?“, frage ich und trete zurück, damit er reinkommen kann, allerdings bleibt er erstmal mit versucht bösem Gesichtsausdruck vor der Tür stehen. „Mir war langweilig.“, antwortet er nur kurz angebunden und setzt fort: „Aber…warum findest du Kisaki toller als mich? Ich bin empört.“ „Na, hast du ’n eigenes Musiklabel und warst Leader der weltbesten Band?“, frage ich grinsend. „Ich hab andere Qualitäten...“, schmollt er und kommt nun endlich rein, so dass ich die Tür schließen kann. Ein kurzes Auflachen kann ich mir aber nicht verkneifen. „Weiß ich doch.“, beruhige ich ihn und gehe ins Wohnzimmer zurück. „Was machst du?“, fragt er und ich höre wie er auf dem Weg in die Küche ist. Wahrscheinlich muss er erstmal was trinken, so wie immer. Dabei bedient er sich seit Jahren selbst und fühlt sich wie zu Hause. „Ich trauer alten Zeiten nach.“, antworte ich und lehne mich zurück, warte auf Jun. Den werden die Bilder schließlich sicher auch interessieren. „Oh, dann komm ich ja genau richtig. Wenn du weinen musst, dann tröste ich dich.“, gibt Jun lächelnd von sich, als er in der Tür erscheint, kommt dann noch die letzten Schritte auf mich zu und entdeckt das Album. „Fotos! Wie toll! Hm…du bist ja schon halb durch. Können wir noch mal vorn anfangen und du erzählst mir alles über dich und dein Leben?“, fragt er strahlend und lässt seinen Blick über die offen liegenden Seiten schweifen, lässt sich nebenbei neben mich fallen. „Als würdest du nicht schon 90 % davon kennen…“, schmunzle ich. „Was, nur 90? Warum nich’ 100? Das müssen wir ändern.“, entscheidet Jun, packt das Fotoalbum und schlägt es zu, um kurz den Deckel zu betrachten und dann neu aufzuschlagen. „Ein Baby!“, ruft er auch direkt aus, als er das erste Bild entdeckt und ich muss lachen. „Bist du das? Wie niedlich.“, setzt er fort und betrachtet es sich genauer. „Danke.“, sage ich, stütze meinen Kopf auf die rechte Hand, den Ellenbogen auf dem Tisch, um seine Reaktionen zu beobachten. „Irgendwie hast du dich gar nicht soo viel verändert.“, sagt er nach einer Weile, legt den Kopf schief und sieht mich intensiv an. Ich lache wieder. „Okay, das kann man jetzt verschieden verstehen.“, grübele ich, „Entweder heißt das, ich bin immer noch niedlich oder ich seh noch genauso peinlich aus oder…hey, aber ich bin gewachsen, und ’n paar mehr Haare hab ich auch.“ Juns Grinsen wird breiter. „Na ja, ein bisschen vielleicht. Aber alles in allem…ja, doch, ein bisschen anders bist du schon. Und ich glaube, heutzutage würdest du keine Aktbilder mehr von dir machen lassen.“, lacht er und deutet auf das dritte Bild. An sich sollte einem so was peinlich sein, wenn die lieben Eltern einen in voller Pracht auf Fotos bannen, aber ich find’s inzwischen eher witzig. Ich kann eben auch über mich lachen. „Na, wer weiß.“, sage ich versucht geheimnisvoll und zwinker Jun zu. Ja, ich kann mir vorstellen, dass ich grad dämlich aussehe, spätestens als Jun loslacht. „Möchte ich gar nich’ wissen, glaub ich.“, sagt er grinsend und widmet sich wieder den Bildern. „Oh, ihr hattet einen Hund! Ich wollte auch immer einen, aber ich durfte nicht.“, erzählt er und verzieht sein Gesicht. „Er ist ziemlich früh gestorben. Ich war todtraurig.“, seufze ich und erinner mich zurück an das Letzte, was mir im Gedächtnis geblieben ist. Es ist wirklich ewig her und die Erinnerungen sind sehr schwammig, aber ich habe unseren wuscheligen Toru geliebt. Ich seufze wieder schwer und sehe mir das Bild noch einmal an. „Is’ es jetzt schon so weit? Musst du weinen? Hast du ’n Taschentuch?“, spottet Jun. „Ach, lass mich doch.“, patze ich leicht zurück und übernehm wieder die Führung, indem ich die nächste Seite des Albums aufschlag. „Man, das is’ echt lange her alles. Du bist ja schon so alt…“, murmelt Jun. Ich sehe ihn skeptisch von der Seite an. „Du bist sogar noch ein Stückchen älter, mein Lieber.“, erinnere ich ihn. Nun seufzt er schwer und streckt seinen Rücken durch, bis es leicht knackt. „Ja, ich weiß, ich merk’s jeden Tag. Ich glaub, mir bleibt auch nich’ mehr lange.“, sagt er so ernsthaft er kann. „Idiot.“, kommentiere ich nur und schüttel fassungslos den Kopf. „Einschulung. He he…kein Lächeln und ganz brav. Kaum zu glauben, dass du das sein sollst.“, kichert er. „Was soll das denn heißen?“, will ich mich erkundigen, doch Jun winkt nur ab: „Nichts, nichts!“ Sein Grinsen sagt aber etwas anderes. „Ui, ist das deine erste Freundin?“, fragt er dann und deutet auf ein Bild, das nur wenig später nach der Einschulung zu Hause entstanden ist. „Das ist meine Schwester!“, rufe ich geradezu mit großen Augen. „Oh, achso…schade.“, kichert’s wieder. „Wann hattest du deine erste Freundin?“, fragt er dann, wieder etwas zur Ruhe gekommen und sieht mich kurz interessiert an, bevor seine optische Aufmerksamkeit sich wieder auf die Bilder richtet und er umblättert. „Hm…kurz nach Gründung unserer ersten Band, glaube ich.“, vermute ich, bin mir aber ehrlich nicht mehr sicher. Und ja, das ist für einen gut aussehenden jungen Mann ziemlich spät, erst nach Beenden der Schule, das scheint auch Jun so zu sehen. „Was, ehrlich?“ „Hey, ich war schüchtern, du kennst mich.“ „Stimmt, du hattest ja schon Schwierigkeiten dich zu überwinden, in der Schulband zu spielen.“ „Ja, ziemliche sogar. Eigentlich bist nur du Schuld, dass ich’s dann doch gemacht hab.“, ergänze ich lächelnd und deute auf ein Foto erwähnter Schulband bei einem unserer Auftritte auf einem Schulfest. „Stimmt. Du wolltest gehen, weil du dich nich’ getraut hast, aber ich hab dich zu den anderen geschleift, als ich dich mit deiner Gitarrentasche entdeckt hab. So haben wir uns erst richtig kennen gelernt.“, erinnert sich Jun und lächelt ebenfalls leicht gedankenversunken. „Damals wär ich lieber im Boden versunken, aber heute bin ich dir echt dankbar.“, gebe ich zu. Wo wäre ich sonst jetzt? „Ich bin mir auch dankbar.“, stimmt er zu und klopft sich selbst auf die Schulter. „Sonst wären wir wahrscheinlich nie so gute Freunde geworden und ich wäre durch viel mehr Tests durchgefallen.“, lacht er. „Hör bloß auf. Und ich hab mich auch noch immer drauf eingelassen, dir zu helfen.“, meine ich. „Ach was. Ist doch immer gut gegangen. Na ja…bis auf das eine Mal. Aber da haben wir uns auch wieder rausgewunden. Deine Ausreden waren irgendwie immer viel glaubhafter als meine.“, sagt Jun daraufhin und schaut nachdenklich geradeaus. „Nicht meine Ausreden, ICH klang glaubhafter. Du hast ständig so komisch gelacht, wenn du gelogen hast.“ Nun bricht er in einen kleinen Lachanfall aus und ich stimme etwas mit ein. „Oh, ja wirklich. Wie blöd. Und ich hab’s damals fast gar nich’ gemerkt, bis du’s mir mal gesagt hast. Aber ich hab mich gebessert, oder?“ „Ja, heute merk ich, wenn du lügst, weil ich dich kenne und nich’, weil du so blöd bist.“ „Hey, nich’ ausfallend werden hier.“, beschwert er sich, grinst mich aber an und blättert wieder eine Seite um, fängt dann erneut laut zu lachen an. „Oh mein Gott, wie bescheuert.“, meint er, kippt vor Lachen fast nach hinten und hält sich den Bauch. Nun sehe auch ich mir an, was er meint, und muss ebenfalls etwas lachen. Wir beide und ein Purikura-Automat. Eine Weile haben wir ständig diese kleinen Fotos gemacht und nur Blödsinn dabei getrieben. Die ganze Albumseite ist voll mit der Sammlung an Bildchen. „Und da sehen wir noch so…normal aus.“, kommt es von Jun, als er durch kontrolliertes Atmen wieder zu sich kommt. „Deswegen haben wir das irgendwann ja auch geändert.“ „Strähnchen!“, sagen wir synchron und lachen wieder. „Da sahen wir dann noch bescheuerter aus.“, urteilt Jun. „Aber einzigartig.“, sage ich dazu. Jun nickt. „Man braucht eben eine Weile um Stil zu entwickeln. Aber heute sehen wir gut aus.“ „Danke.“ „Ja ja.“ Auf den nächsten Seiten folgt ein Haufen Fotos von Jun und mir allein, zusammen mit anderen Freunden oder Familienfotos. Und schließlich Fotos von unserem Abschluss. „Rin…“, seufzt Jun und lächelt melancholisch, als er das Bild von eben erwähntem Mädchen sieht. „Ja…man, das war dramatisch damals.“, kommentiere ich und lasse ebenfalls ein Seufzen hören. Rin war das Mädchen, in das Jun und ich uns damals ein wenig verguckt hatten. Als es darum ging Mädchen zu umwerben, mit dem man zum Fest gehen konnte, standen wir fast gleichzeitig vor Rin, um sie zu fragen. Ich hätte eigentlich lieber darauf verzichtet, doch Jun hatte mich aufgebaut. Dass er sich richtig in sie verliebt hatte, fand ich erst dann heraus. Es war eine unglaublich peinliche Situation, doch Rin schien es zu gefallen. Sie sagte uns beiden zu und wir stimmten zu, immerhin waren wir beste Freunde und teilten gern. „Das Fest war eine Katastrophe. Ich mag gar nich’ mehr dran denken.“, meint Jun und lacht etwas. „Ich auch nicht. Wir hätten das nie machen sollen. Ich hab mich gefühlt wie ein Diener oder so.“ „Mit mir zusammen hatte sie dann sogar zwei. Immerhin haben wir n Kuss bekommen.“ „Ja, mein erster.“, lache ich und Jun stimmt ein. „Du warst so ein Spätzünder.“, stellt er fest. Ich zucke nur mit den Schultern. Manchmal kann man einfach nichts gegen seine Veranlagungen tun, oder? „Der nächste Tag war aber noch schlimmer.“, redet er weiter. Ich lasse meinen Kopf andeutungsweise auf den Tisch fallen. „Du meinst, als wir erfahren haben, dass sie mit Hiroshi zusammen war?“ „Ja. Dieser Idiot. Ich glaub, die beiden hatten sich echt verdient.“, kichert Jun, schüttelt den Kopf und blättert schließlich weiter, um das Thema abzuhaken. Schließlich kommen wir zu Bildern unserer, wie bereits erwähnt, ersten Band nach der Schule. Jun und ich scheinen einen Synchron-Lächel-Wettkampf zu bestreiten aufgrund der Bilder. Die Zeiten waren einfach schön und wir waren noch so naiv, lebten in den Tag hinein und träumten Träume, die niemals Wirklichkeit werden konnten. Ich finde keine Worte, die ich als Kommentar abgeben könnte und ich denke, Jun geht es ähnlich. Seite für Seite wird geblättert, unser Leben wie es sich entwickelt. „Mar’derayla…“, seufzt Jun, als wir bei eben jener Zeit unserer Band vor Phantasmagoria angekommen sind. „Da wurde unser Traum schon ernster…und konkreter.“, sage ich nun und beobachte Juns bitter erscheinendes Lächeln, als er über eins der Fotos streicht. Er senkt den Blick etwas. „Alles in Ordnung?“, frage ich, fast etwas besorgt, da ich es nicht gewohnt bin, dass seine gute Laune so schnell einfach schwindet. „Hm…also…na ja…“, druckst er herum und seufzt tief, „Erinnerst du dich an unseren einzigen großen Streit?“ Während er das fragt, sieht er mich nicht an und ich weiß natürlich, wovon er spricht und kann seinen Stimmungsumschwung recht gut nachvollziehen, auch meine Laune drückt nun etwas. „Oh…ja…“, sage ich nur leise und vermeide ebenfalls seinen Anblick. ~Flashback~ Es war unser erstes Live mit unserer neuen Band Mar’derayla gewesen. Es war kurz und wir waren nicht der einzige Act, immerhin handelte es sich um das Final Live unseres Labels Matina. Aber es war ein tolles Gefühl. Der Anfang etwas Neuen, die Euphorie, die Ideen, die Träume… Genau richtig, um ins neue Jahr zu starten. Wir waren nach Beenden der Show furchtbar aufgedreht, doch Jun toppte alles. „Es war so toll, so super. Ihr wart toll - nein, wir alle. Unglaublich.“, redete er und quietschte vor Freude, bevor er sich Hayato griff und ihn stürmisch umarmte, da er ihm am nächsten stand. Während Angegriffener um seine Luftzufuhr kämpfte, konnten wir übrigen nur lachen. Nachdem er unseren Sänger wieder losgelassen hatte, hüpfte er schon fast, bevor er mich anfunkelte und einen Moment später hatte ich ihn am Hals hängen. „Du warst so klasse. Es is’ so schön, mit dir zusammen zu spielen.“, murmelte er mir, scheinbar sehr glücklich, zu. So glücklich, dass er seine Lippen auf meine drückte, um mir einen kurzen Schmatzer zu geben. Mein zuvor bestehendes Lächeln war mir ein wenig durch die Verwunderung abhanden gekommen. „Hey. Wieso kriegt er ’n Kuss und ich nich’?“, erkundigte sich Hayato auch gleich, lachte aber. „Würd ich auch gern wissen.“, nuschelte ich, wodurch Juns strahlendes Gesicht wieder vor meinen Augen auftauchte, das sich kurzzeitig an meine Schulter gepresst hatte. „Weil du toll bist.“, war seine Antwort, bevor er sich von mir löste, um auch Hagane und Rui noch eine ähnliche Behandlung zuteil kommen zu lassen wie Hayato zuvor. „Ach, grad waren wir noch alle toll.“, stellte Hayato fest und ich konnte ihm nur zustimmen. Jun jedoch winkte ab. „Seid ihr ja auch. Jetzt lasst uns aufräumen und dann will ich mit euch feiern.“, verkündete der Sonnenstrahl und brachte uns somit in Gang. Etwa eine Stunde später saßen wir in einer Kneipe, alle ein Bier in der Hand und stießen auf unseren guten Start an. Nicht, dass wir schon beim Live angestoßen hätten, aber da ging es ja eher um das neue Jahr. „Auf Mar’derayla!“, hieß es und das Schwärmen über die Show und alles, was in Zukunft so passieren würde, ging weiter. Klar, die Träume sind anfangs groß und so hieß es auch bei uns, dass die Band sicher für immer oder zumindest für sehr sehr viele Jahre bestehen bleiben würde und wir mindestens so erfolgreich wie X Japan werden würden. Die bittere Realität bekam man schließlich noch früh genug zu spüren und woher sollte man sonst Motivation nehmen, wenn nicht aus den übergroßen Luftschlössern, die man sich so gern aufbaute. „Also, ich fand, wir waren mindestens genauso gut, wie alle anderen Bands, oder?“, war Jun überzeugt. Ich nickte leicht, grinste aber, so auch Rui und Hagane, nur Hayato deutete an widersprechen zu wollen, merkte aber sehr schnell, dass Jun die Argumente nicht gelten ließ. Es war ja auch alles nur Spaß. Der Alkohol tat sein übriges. „Und habt ihr Kisakis Gesicht gesehen?“, kicherte Jun. „Ich glaub, es war ihm peinlich so auf die Bühne zu kommen.“, nickte Hayato. „Aber er scheint sich ja gefreut zu haben.“ „Klar, wenn er einen Bass in die Hand bekommt, ist die Welt wundervoll.“ Wir alle lachten und machten so unsere Späßchen. Hoffentlich bekam der Gute das nicht irgendwann mit, dachte ich mir nur. Nach der mindestens sechsten Runde Bier und der Feststellung, dass es schon ganz schön spät war, fiel uns langsam ein, dass wir auch noch ein bisschen Schlaf brauchten. „Io-kun, wir müssen doch morgen nach Hause. Und…wir können doch bei unser’n Eltern nich’ so auftauchen.“, sagte Jun zu mir und deutete wahrscheinlich daraufhin, dass es uns schon mehr als gut ging. Selbst, wenn wir noch schlafen würden, würden wir mit Restalkohol im Blut auf der Matte unserer jeweiligen Familien stehen. „Ja ja, wir könn’ ja jetz geh’n.“, war meine Antwort und die anderen Drei sahen es ähnlich, schließlich wollten sie ebenfalls ihre Familien zu Neujahr besuchen. Etwas schwankend machten wir uns also auf den Weg. „Ich bring dich nach Hause, Jun-chan.“, hatte ich festgelegt und auch wenn Jun aus bereits genannten Gründen verneinen wollte, ließ ich es nicht zu. Zwar war ich sicher betrunkener als er, aber ich war überzeugt sichergehen zu müssen, dass mein bester Freund heil nach Hause kam. Nach Verabschiedung von den anderen torkelten wir also los. Zum Glück hatten wir es nicht weit. „Boah, und da soll ich gleich noch mal wieder runter.“, seufzte ich mit Blick auf die hinter uns liegende Treppe, als wir vor Juns Wohnungstür standen, wo er gerade versuchte den Schlüssel ins Schloss zu dirigieren. Auch er seufzte, traf das Schlüsselloch und meinte: „Denn schlaf eben hier. Du kommst sicher eh nich’ vor Sonnenaufgang bei dir an.“ Er lachte. „Danke.“, konnte ich nur erschöpft sagen und schleppte mich in die Wohnung. Nach viel Spaß kam eben viel müde, wie ich mal wieder erkannte. Wir entschlossen uns erstmal, ein Glas Wasser zu trinken und danach ging es ins Bett. Es erstaunte mich sehr, wie schwer es sein konnte, sich zu entkleiden, doch auch das schaffte ich, wenn auch langsamer als Jun. Danach legte ich mich zu ihm in das eigentlich ein bisschen kleine Bett, aber das hatte uns noch nie gestört. Wir arrangierten uns schon. So auch diesmal. Da ich sowieso sofort einschlafen würde, war es mir noch mehr egal. „Gute Nacht.“, nuschelte ich Richtung Rücken, den Jun mir zugedreht hatte. „Gute Nacht.“, bekam ich die Antwort und war schon fast auf dem Weg ins Traumland, was man von meinem Bettpartner nicht behaupten konnte. Er drehte sich umständlich, legte sich aus Versehen auf meine Hand, was mich murren ließ. „Io-kun?“ „Hm?“ „Bekomm ich einen Gute-Nacht-Kuss?“ Ich lachte auf und versuchte die Augen zu öffnen, mit dem Ergebnis, dass ich sowieso kaum etwas sehen konnte. „Kannst du sonst nich’ schlafen?“, fragte ich schief grinsend und versuchte Juns Gesicht zu erkennen, das irgendwo vor mir sein musste. „Hm…genau.“, antwortete er und muss gelächelt haben, wie fast immer, das hörte ich. „Dann will ich dich natürlich nich’ deines Schlafs beraub’n.“, meinte ich und musste kaum mehr das Ziel suchen, das ich mir gerade gesetzt hatte, denn Jun kam mir entgegen und unsere Lippen trafen sich zum zweiten Mal in dieser Nacht. Aber es war anders. Es war nicht einfach ein kleiner Kuss, wie man ihn seinem Kind gab, damit es sich sicher und beschützt fühlen konnte, so wie ich es eigentlich erwartet hatte. Unsere Lippen bewegten sich gegeneinander, nicht nur einmal, zweimal - nein, mehr, als hätte uns nach der ersten Berührung die Sucht gepackt und in ihren Bann gezogen. Während unsere Münder immer etwas länger aneinander verweilten, nachdem wir uns nur leicht getrennt hatten, schlang Jun seine Arme um meinen Hals und zog mich so etwas dichter zu sich. In Ermangelung eines besseren Aufbewahrungsortes, legte sich mein rechter Arm um seine Taille auf den Rücken, wo meine Hand nicht anders konnte, als über die nackte Haut zu streicheln. Mein linker Arm blieb - störend wie manche Gliedmaßen manchmal waren - einfach zwischen uns liegen. Die Müdigkeit hatte ich offensichtlich vergessen. Bei all der Nähe dauerte es nicht lange und das Verlangen nach mehr Intensität schlich in mir hoch. Nach einigem Zögern tastete ich also mit meiner Zunge nach Juns Lippen, die sich inzwischen leicht geöffnet hatten und mir das Spiel in seinem Mund sofort erlaubten. Scheinbar ging es ihm nicht anders als mir. Unsere Zungen berührten sich und umspielten einander nur vorsichtig, was sich aber schnell einstellte. Mein Atem und auch Juns wurden schwerer und mir entglitt ein Seufzen, als ich diesen unglaublichen Kuss bald unterbrach, mich schnell entschloss, meine auf Dauer ungemütliche Position zu ändern, und also mit leichtem Druck auf Juns Brust ihn auf den Rücken drehte, mich selbst halb über ihn hockte und einen weiteren Kuss begann, der auch gleich erwidert wurde. Juns Arme legten sich um meine Taille, während ich nicht widerstehen konnte, das Gesicht meines Freundes zu berühren, kurz darauf aber schon auf den Hals auswich und zur Brust. Als wäre plötzlich unglaublicher Hunger über mich hereingebrochen, glitten auch meine Lippen küssend zum Hals und liebkosten ihn ausführlich. Jun seufzte nur leicht und wenn mein Verstand klarer gewesen wäre, hätte ich sicher bereits aufgehört, spätestens als ein leise geflüstertes „Nicht…“ meine Ohren erreichte. Da ich jedoch nicht wirklich aufgehalten wurde, redete ich mir ein, dass es Einbildung gewesen war. Meine rechte Hand strich über den unter mir liegenden Oberkörper und ich spürte, wie er erzitterte, als auch mein Mund Anstalten machte dorthin zu folgen. „Iori…“, kam es nun von Jun und ich vernahm es deutlich, genauso wie das wiederholte „…nicht!“, doch ich ignorierte es. Erst als Juns Hand meine aufhielt zu weit zu gehen und scheinbar etwas in Panik meinen ganzen Körper von sich drückte, mich so aus dem Bett stieß mit den etwas lauteren Worten „Ich hab gesagt, du sollst das lassen!“ begriff ich, dass die Situation aus dem Ruder gelaufen war. „Ha-hast du dir weh getan?“, fragte er dann aber leise und etwas besorgt. Kurz lag ich auf dem Boden und fluchte leise, bevor ich aufstand und mit inzwischen geschärfterem Blick Juns Silhouette betrachtete. Er hatte sich in die Decke eingewickelt und ich denke, ich war froh, dass ich zumindest seinen Gesichtsausdruck nicht richtig erkennen konnte. „Mh…bitte geh jetzt. Du…kannst im Wohnzimmer schlafen, wenn du willst.“, sagte Jun und klang dabei geradezu etwas verletzt. Ich nickte und packte meine Kleidung, die auf dem Boden lag, bevor ich das Zimmer verließ, innerlich fluchend. Was war da gerade passiert? Warum war es passiert? Warum hatte es aufhören müssen? Je mehr Fragen in meinem noch immer etwas verschleierten Kopf auftauchten, desto größer wurde die Wut. Wut auf mich selbst, aber auch auf Jun. Es war doch so schön angefangen und auch, wenn es komisch war, dass wir so etwas taten, es hatte uns doch beiden gefallen, oder nicht? Sauer trat ich gegen einen kleinen Schrank im Flur, der mir im Weg stand, was mir aber nicht mehr als einen leicht schmerzenden Zeh einbrachte, bevor ich ins Bad ging. Ein bisschen Wasser ins Gesicht - schön und gut - helfen tat es mir auch nicht. Nach kurzer Zeit legte ich mich tatsächlich erstmal ins Wohnzimmer auf die kleine alte Couch, war aber nicht sehr zuversichtlich, was das Schlafen anging. Mein Kopf dröhnte viel zu sehr. Alkohol und unbeantwortete Fragen waren eine explosive Mischung. Trotz allem verfiel ich in leichten Schlaf, nachdem ich mein Handy sicherheitshalber beauftragt hatte, mich wenige Stunden später zu wecken, was es auch tat. Murrend stoppte ich das Klingeln und döste wieder ein wenig weg. Erst ein paar fiese Sonnenstrahlen weckten mich erneut und nach einem Blick auf die Uhr wurde ich hektisch. Immerhin musste ich noch nach Hause, duschen, ein paar Sachen packen und…eine Kopfschmerztablette zu mir nehmen, wie ich durch das schnelle Aufstehen bemerkte. Ein wenig Wasser ins Gesicht verlieh mir wieder mehr Leben, also zog ich mich schnell an und machte mich auf den Weg nach Hause. Ich wagte nicht, auch nur ein mal kurz nach Jun zu sehen, ein mögliches Aufeinandertreffen machte mir Angst und doch musste ich mich an den Gedanken gewöhnen, immerhin waren wir für später am Bahnhof verabredet, damit wir gemeinsam nach Kobe fahren konnten. Ich überlegte stark, ihn zu versetzen und einen Zug später zu nehmen, verlegte die Überlegung jedoch auf einen anderen Moment. Ich musste sowieso erstmal dafür sorgen, dass ich in der Zeit startklar war. Ohne den Gedanken noch mal aufgegriffen zu haben, eilte ich zum Bahnhof, um den vereinbarten Zug zu bekommen. Jun würde nun eh nicht mehr am Treffpunkt sein, ich war zu spät dran. Kurz vor Abfahrt sprang ich in den Zug und verschnaufte kurz. Meine nächste Überlegung handelte davon, ob ich Jun suchen gehen oder mir einfach einen Sitzplatz allein nehmen sollte. Vielleicht war er ja auch gar nicht im Zug, um mir nicht zu begegnen. Leise fluchend entschied ich mich, ihn zu suchen. Es wäre doch zu albern, getrennt zu sitzen, wenn wir im selben Zug waren, immerhin waren wir doch Freunde…oder nicht mehr? Seufzend ließ ich mich auf einem Sitz gegenüber von ihm fallen, als ich ihn fand. „Hi.“, sagte ich nur und tat mich schwer damit ihn anzusehen und noch schwerer ein Lächeln oder etwas in der Art zustande zu bekommen. „Auch schon da?“, meinte er etwas schlecht gelaunt und sah mich nicht mal an. Meine Gedanken rasten. Wenn der Herr nicht normal mit mir reden wollte, dann wurde ich auch trotzig. „Sieht so aus.“, gab ich etwas patzig zurück und wühlte in meiner Tasche, in der Hoffnung, etwas zur Beschäftigung eingepackt zu haben - ein Buch, eine Zeitschrift, irgendwas. Zum Glück mussten wir nicht lange fahren, denn die Stimmung war widerwärtig und miteinander reden konnten wir wohl auch nicht, ohne dass es eskalieren würde. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, in der wir beide aus dem Fenster starrten, weil wir nichts Besseres zu tun hatten. Eine Ewigkeit, in der ich fast platzte, weil ich so gern einfach nur schreien wollte. Schreien vor Wut, vor Anspannung und Verzweiflung. Und auch, als wir in Kobe angekommen waren, funktionierte die Kommunikation nicht besser. Ein kurzes „Viel Spaß.“ und unsere Wege trennten sich. Nicht, dass ich die Zeit mit meiner Familie nicht genossen hätte, aber die zwei Tage lang, die ich bei ihnen war, konnte ich einfach nicht als ‚gut’ oder ‚angenehm’ betiteln. Meine Mutter verwöhnte mich von vorn bis hinten, ich musste mich um nichts kümmern und hatte so genug Zeit nachzudenken. Und fast jeder Gedanke galt Jun, beziehungsweise dem, was geschehen war. Das Nachdenken schmälerte jedoch keinesfalls meine Wut, noch eher schürte es sie sogar. Unverständnis war da einfach eine zu gute Nahrung. Immerhin tat es mir etwas gut, als meine Mutter mir seufzend erlaubte, dass ich Holz hacken dürfe. Für den Moment fühlte ich mich wirklich prächtig. Aber da ich nicht den Mut gefunden hatte, Jun mitzuteilen, ich würde zu einer anderen Zeit nach Osaka zurückreisen, musste ich auch dieses Aufeinandertreffen wieder auf mich nehmen. Mein Vater brachte mich zum Bahnhof, gab mir, wie immer, ein paar gut gemeinte Ratschläge mit auf den Weg und schon stand ich vor Jun. „Hey. War’s schön?“, fragte er mich und lächelte sogar. Klar, ich hätte froh sein sollen, dass alles wieder in Ordnung zu sein schien und er den Anfang machte, wieder normal mit mir zu reden, doch was wäre das Leben, wenn alles so einfach wäre? In dem Moment, als er vor mir stand, kroch in mir einiges wieder hoch, und wie bereits erwähnt, ist Unverständnis ein guter Nährboden für Wut. „Ja. Bei dir?“, antwortete ich, jedoch in einem Ton, der uninteressierter kaum hätte klingen können und ich wand meinen Blick ab. Es dauerte eine Weile, bis ich eine leicht genervte Antwort bekam: „Prächtig.“ Nun ja, ich hatte es ja selbst provoziert und somit keinen Grund mich zu beschweren, trotzdem machte es mich noch ein wenig mehr sauer. Während der Fahrt herrschte wieder nur angespanntes Schweigen und wir beide waren froh, als unsere Wege sich abermals trennen konnten, mit einem knappen „Bis dann.“ Leider dauerte es nicht lange bis zum Wiedersehen und alleine die Tatsache, dass ich hier das Wort ‚leider’ benutze, ist traurig, denn ich liebte Jun doch. Er war mein bester Freund und bisher ein Mensch gewesen, über dessen Anwesenheit ich mich immer gefreut hatte. Doch diesen Tag würde ich nur zu gern aus meiner Erinnerung streichen. Schon als ich den Raum betrat, den wir für Proben und Besprechungen nutzten, war die Stimmung angespannt. Ich will nicht leugnen, dass es zu einem großen Teil meine Schuld war. Sobald ich die Tür öffnete und ins Blickfeld der anderen trat, setzte Stille ein. Ich war mir sicher, sie, beziehungsweise Jun, vorher noch reden gehört zu haben, doch der hatte bei meinem Erscheinen abrupt gestoppt. „Iori! Alles klar bei dir?“, wurde ich von Hayato begrüßt und nickte nur, fing kurz darauf ein lockeres Gespräch über unsere Neujahrserlebnisse an, doch zwischen Jun und mir weiterhin nur eisige Kälte. Auch als wir begannen zu proben, wurde es nicht besser, eher schlimmer. Ich gebe zu, ich tat mich schwer damit, mich zu konzentrieren, aber was kurze Zeit nach unseren ersten Versuchen passierte, war schlicht übertrieben. „Herrgott, Iori!“, tönte es ein paar Schritte von mir entfernt und ich sah Jun überrascht an, nur um festzustellen, dass dieser aggressive Ausspruch tatsächlich von meinem Freund stammte. „Was?“, fragte ich also nicht weniger aggressiv zurück. „Du spielst, als…hättest du das erste Mal ’ne Gitarre in der Hand. Das is’ ja schrecklich.“, behauptete er. „Wie bitte?“, fragte ich versucht freundlich nach, aber innerlich brodelte es in mir. „Also, so schlimm fand ich’s gar nicht.“, schritt Hagane ein, doch ich hatte kaum Zeit ihm zu danken, Jun ignorierte unseren Bassisten gleich gänzlich. „Du hast mich schon verstanden. Das könnte jeder Anfänger besser. Hast du dein Hirn im Bett gelassen, oder was?“, meinte Jun weiter und ich war kurz davor auszubrechen. Meine Hände verformten sich schon zu Fäusten, als ich auf ihn zuging, dicht vor ihm stehen blieb. „WAS ist dein Problem?“, fragte ich ihn laut. Auch er kam mir noch ein Stückchen näher und zischte: „Dein nicht vorhandenes Talent.“ Hätte Hayato nicht so schnell reagiert und zu meiner Hand gegriffen, hätte ich meinem besten Freund wahrscheinlich eiskalt eine verpasst und…irgendwie hätte er es ja auch verdient gehabt. „Verdammt, was is’ eigentlich mit euch los?“, fragte unser Sänger, während er mich ein Stück von Jun wegdrückte. „Das geht dich nichts an.“, grummelte Jun. Ich sagte nichts. Hayato seufzte. „Na, wenn ihr nich’ reden wollt, dann kann ich auch nur eins tun: Ihr geht jetzt schön nach Hause und scheißt euch aus. Wenn ihr wieder klar seid, könnt ihr mich gern kontaktieren und dann spiel ich zur Not Streitschlichter bei euch, aber DAS hier hat vorne und hinten keinen Sinn.“, redete er und hatte vermutlich Recht. Ich erkannte uns ja selbst kaum wieder. Ich hatte Jun selten ohne Lächeln gesehen und noch nie mit so einem Gesichtsausdruck und solche Worte aus seinem Mund zu hören, kam mir einfach falsch vor. Aber ich war nicht besser. Ich hatte die Hand gegen meinen besten und allerliebsten Freund erheben wollen…warum? Genauso ungewohnt war es, tagelang keinen Kontakt mit ihm zu haben, so wie es nach dieser ‚Probe’ war. Wir sahen und hörten uns zwei Wochen lang nicht. Wir hatten uns in den vergangenen Jahren mit Ausnahmen spätestens alle drei Tage gesehen und es selbst dann manchmal kaum ausgehalten, weil einfach nichts toller war, als wenn wir beide zusammen hockten, selbst wenn wir wirklich nur das taten. Es war seit unserer ersten Schulband das Schönste gewesen, zusammen Musik zu machen und nun war es eine Katastrophe gewesen das zu tun. Keine Spur von Spaß und Liebe. Während ich allein rumsaß und allein Musik machte, gingen mir unsere gemeinsamen Erinnerungen immer wieder durch den Kopf und es dauerte nicht lange, da realisierte ich, wie dumm ich gehandelt hatte und wie sehr ich Jun vermisste. Ich hätte mich bereits nach Neujahr überwinden müssen, normal mit ihm zu reden, dann wäre wahrscheinlich alles wieder in Ordnung gekommen und dieser wirklich unschöne Ausbruch hätte nicht sein müssen. Wir hatten uns noch nie gestritten und manchmal fiel es mir schwer, die Urquelle unserer Meinungsverschiedenheit zu nennen, da sie schlicht außer Sichtweite gerückt war, doch als es mir wieder einfiel, wurde das Seufzen nur schwerer. Trotz meiner Reue, dass die Situation so eskaliert war, hatte ich Angst vor dem nächsten Aufeinandertreffen, was wahrscheinlich der Grund war, warum ich nicht schon nach spätestens einer Woche vor Juns Tür stand, sondern bis zur nächsten Probe abwartete - und das dauerte zwei Wochen. Da stand ich also wartend im Proberaum, wartend, was passieren würde. Ich wusste weder, wie Jun sich verhalten würde, noch wie ich reagieren würde, oder andersherum. „Und hast du dich wieder abgeregt?“, fragte Hayato nur grinsend, als er ankam und ich nickte mit einem verlegenen Lächeln auf den Lippen. „Na hoffentlich strahlt unser Sonnenschein auch wieder etwas mehr. Ihr habt mir letztens n ganz schönen Schrecken eingejagt. Ihr seid doch immer so.“, meinte er und verhakte Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand, um mir das Werk dann zu präsentieren. „Wir haben uns vorher auch noch nie gestritten und…aber einmal ist ja immer das erste Mal. Vielleicht war’s nötig.“, sagte ich nur leise und zuckte etwas zusammen, als die Tür wieder aufging und diesmal Jun eintrat. Er stand erst unsicher in der Tür, bevor er sie schloss und scheinbar noch überlegte, was er machen sollte. Dann aber drehte er sich entschlossen zu mir, lief die Schritte, die uns trennten und sprang mich geradezu an. „Io-kun, es tut mir Leid. Ich hab das gar nich’ so gemeint. Natürlich hast du Talent und du bist der beste Gitarrenpartner, den ich mir nur wünschen kann und…ich hab dich so vermisst.“, plauderte er und ich brauchte einen Moment um hinterherzukommen, bevor ich lächelte, meine Arme um ihn schloss und sagte: „Schon okay.“ Neben uns hörte ich Hayato erleichtert aufatmen. ~Flashback Ende~ Nachdem wir eine ganze Weile nur stumm nebeneinander sitzen und keiner wagt, sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen, tief in Gedanken versunken, seufze ich doch auf. „Das ist jetzt so lange her…“, fange ich an, woraufhin Jun andeutungsweise nickt. Ihn scheint die ganze Sache viel mehr mitzunehmen, vielleicht ist er nur so erschrocken, nun dass wir uns wieder daran erinnert haben. „Wir haben nie wirklich darüber geredet, hm?“, meine ich dann und mache mir so langsam ernsthaft Sorgen um meinen Freund. „Nein, nicht wirklich. Das…ist ja vielleicht auch besser so. Ich…mag da gar nicht dran denken, aber…“, redet Jun, bricht dann jedoch ab und sinkt wieder etwas in sich zusammen. „Und ich hab mich nie bei dir entschuldigt…“, stelle ich fest. Daraufhin ruckt Juns Kopf augenblicklich hoch und große Augen sehen mich erschrocken an. „Aber...aber das musst du doch auch gar nicht. Das…also…“ „Letztendlich war die ganze Sache meine Schuld.“, lege ich fest und lehne mich etwas zurück. Ich fühle mich merkwürdig, nun wo wir über den Vorfall - oder besser gesagt drumherum - reden. Jun sieht mich weiter mit nun leicht offen stehendem Mund an und atmet nach einer Weile die Luft wieder aus, die er zuvor zu einem geplanten Redeschwall eingesogen hatte. Ich werte das als Zustimmung. „Du musst dich aber trotzdem nicht entschuldigen, wenn…du nicht willst. Es ist ja okay. Es ist lange her und…“, er lacht leise auf, „…wir waren betrunken…“ Ehrlich gesagt hätte ich mich nicht mal entschuldigt, wenn er mich darum gebeten hätte. Ich habe ihn damals geküsst und ich hätte gern noch viel mehr mit ihm gemacht, vielleicht würde ich es wieder tun - es tut mir nicht Leid. Wie könnte ich also eine Entschuldigung aussprechen, wenn ich sie nicht so meinte? „Alkohol ist immer eine schlechte Ausrede…“, entgegne ich lächelnd. „Ist doch die Wahrheit.“, besteht Jun allerdings und macht Anstalten schmollen zu wollen, würde ich den Grund nicht akzeptieren. Das sieht meinem Kleinen schon viel ähnlicher und innerlich atme ich erleichtert auf. „Ja ja, schon gut. Guck mal, da is’ Kisaki.“, lenke ich ab und deute auf eins der Bilder von Mar’derayla, Kisaki in der Mitte. „Er sieht immer noch genauso aus. Sein Klamottenstil hat sich auch nicht wirklich verändert.“ Ich kann nicht beurteilen, wie Jun den Themenwechsel auffasst, aber er steigt direkt drauf ein: „Wenn man älter wird, hat man’s eben nicht mehr so mit Veränderungen.“, kichert er. „Lass ihn das bloß nicht hören.“, warne ich und gerate ebenfalls ins Schmunzeln. Bald folgen viele Bilder von Phantasmagoria. „Wie es Shion wohl geht? Ich hab ewig nichts mehr von ihm gehört.“, grübelt Jun und fährt die einzelnen Bilder mit seinem Blick ab. „Du weißt doch: Unkraut vergeht nicht. Ihm geht’s bestimmt gut ohne uns.“, grinse ich. „So schlimm sind wir doch gar nich’, oder warum betonst du das so?“, fragt er skeptisch nach. „Wir nich’, aber du.“, scherze ich. „Hey. Ich fühl mich so langsam echt von dir gemobbt. Was ist denn mit dir los?“, beschwert er sich nun, allerdings mit einem leicht schmunzelnden Unterton. „Ich will dich nur aufmuntern.“, gebe ich daraufhin zu und ich fürchte mein entschuldigendes Lächeln sieht sehr merkwürdig aus, zumindest fühlen meine Gesichtszüge sich danach an. Statt mich auszulachen, schenkt Jun mir ein strahlendes Lächeln und sagt: „Lieb von dir…“ Also schlägt ihm die alte Geschichte wirklich etwas auf den Magen. Beruhigen tut mich die Gewissheit dessen nicht gerade. Nach einem kurzen Moment gilt seine Aufmerksamkeit wieder dem Fotoalbum, wir kommen dem Jetzt immer mehr entgegen, aber bevor wir unsere Zeitreise abschließen können… „Oh…deine Freundin…“, murmelt Jun plötzlich. „EX-Freundin, wenn ich bitten darf.“, berichtige ich. Ich möchte mir nicht unterstellen lassen, dass wir noch immer zusammen sind, auch wenn es noch nicht allzu lang her ist. „Was? …ach so, ja klar.“, antwortet Jun mit leicht verlegenem Gesichtsausdruck. „Ich mochte sie nich’…“ Ich lache auf. „Das beruhte dann ja wohl auf Gegenseitigkeit.“, erwidere ich und finde das unglaublich lustig, warum auch immer. „Sie war ziemlich eifersüchtig auf dich.“ „Warum denn? Sie hat ja wohl genug Zeit mit dir verbracht.“ Er hört sich an wie ein kleines trotziges Kind. Sehr amüsant. „Sie meinte immer, ich hänge ständig mit dir rum und nehm mir viel mehr Zeit für dich. So ganz Unrecht hatte sie damit wahrscheinlich nicht. Allein durch Phantasmagoria musste ich schon mehr Zeit für ‚dich’ haben.“, erkläre ich. Juns Reaktion bleibt gleich. „Die soll sich mal nich’ so anstellen.“, meckert er geradezu. „Habt ihr euch deswegen getrennt?“ „Vielleicht…wir passten einfach nicht zusammen. Ich glaub, ich hab sie nicht mal annähernd richtig geliebt.“, seufze ich. Dennoch hatte ich eine schöne Zeit mit ihr, das will ich gar nicht leugnen. Juns rechter Mundwinkel zuckt flüchtig, als ich ihn von der Seite ansehe und ich muss erneut grinsen. Manchmal ist er wirklich ein störrisches Kind. „Hm, das war’s dann wohl mit der Vergangenheitsreise, was?“, sagt Jun, als er die Seite umschlägt und nur noch ein letztes Foto zu entdecken ist: eins mit Jun und mir, wie sollte es auch anders sein. Mindestens ein Drittel des Albums ist schließlich erfüllt von solchen Bildern. „Ja, sieht so aus. Jetzt ist die Zukunft dran.“, sage ich und nehme das Album, um es wegpacken zu können. „Hast du Hunger?“, frage ich, während ich das Buch sorgfältig in die passende freie Spalte auf dem Bücherregal schiebe. „Jaaa~…“, schallt es mir freudig entgegen. „Ich hab aber nicht viel da. Was hältst du von Instant-Ramen?“ „Perfekt!“, ist die Antwort, mit der Jun sich erhebt und mir hinterher in die Küche trabt. „Kann ich dir helfen?“, fragt er. „Ja, du kannst den Wasserkocher anstellen, ich glaub, das schaff ich nich’ mehr, wenn ich die Deckel hiervon abgemacht habe.“, lache ich und deute auf die Verpackungen der Nudeln. „Man, ich wollte doch nur höflich sein.“, tönt’s und mein Wirbelwind setzt sich auf einen der Hocker, die in meiner Küche stehen und fängt direkt an darauf hin und her zu wippen. „Warum wohnen wir eigentlich nich’ richtig zusammen?“, fragt Jun nach einer Weile, nachdem ich alles vorbereitet habe und nur darauf warte, dass das Wasser kocht. „Hm…weil wir bisher Angst hatten, wir würden uns dann irgendwann auf die Nerven gehen?“, überlege ich. „Ja, da hast du vielleicht Recht…aber ich bin sowieso fast jeden Tag bei dir oder du bei mir, oder?“, entgegnet er. „Stimmt…“, sage ich, ohne weitere Gründe nennen zu wollen. Ich denke eher, dass uns ‚der Vorfall’ abgehalten hat, diese Entscheidung zu fällen. „Als wir damals nach Osaka gezogen sind, haben wir’s auf jeden Fall nicht gemacht, um erstmal ein wenig eigenständiger zu werden, soweit ich mich erinner.“ „Der Plan ist nicht wirklich aufgegangen, oder?“, lacht Jun und lässt auch mich auflachen. „Ja, nicht ganz so, wie wir uns das vorgestellt haben vielleicht.“ Der Wasserkocher macht sich bemerkbar und ich widme mich wieder unserem Festessen. Bewaffnet mit unseren Schüsselchen machen wir es uns dann im Wohnzimmer gemütlich und rühren vorerst im Essen, damit sich das herrliche Aroma entfalten kann. „Gucken wir gleich ’n Film oder so?“, fragt Jun währenddessen und sieht mich bittend an. „Draußen wird’s schon dunkel. Heißt das, du willst nicht nach Hause?“, frage ich, als wäre ich eine Mutter, zumindest kommt es mir so vor. „Was soll ich denn da? Da is’ ja keiner und morgen hab ich nichts vor, muss also auch nicht rechtzeitig ins Bett. Darf ich noch aufbleiben?“, bettelt er schon fast, grinst dabei aber breit. „Ach, und ich werd nicht gefragt…“, beschwer ich mich, gebe aber nach. „Nee, is’ schon gut, mir wär doch auch nur langweilig alleine.“ Wieder verursache ich damit ein strahlendes Lächeln meines Freundes. Das Essen verläuft nahezu schweigend. „Ich such einen Film aus. Im Fernsehen läuft nichts Interessantes.“, verkündet Jun, nachdem er alle Kanäle durchgezappt hat und springt auf, um meine DVDs durchzusehen. „Lust auf Action?“, fragt er und hält mir einen entsprechenden Film entgegen. „DU wolltest aussuchen.“, ist meine einzige Antwort. „Ich hab nichts zu sagen.“ Dabei weiß ich genau, wie schwer er sich oft damit tut, Entscheidungen zu treffen. Genauso diesmal. Ich beobachte ihn dabei, wie er immer wieder Filme rauszupft und wieder in die Lücken schiebt. Nach sicherlich zehn Minuten erhebt er sich wieder, mit den Worten: „Ach, der wird schon okay sein.“ „Hast du dich auch schon entschieden? Ich wollte mich schon auf den Weg ins Bett machen.“, sage ich und gähne bestätigend. „Das is’ eben nich’ so einfach.“ Ich lasse mein Grinsen alles sagen. Nachdem Jun den Film eingelegt und sich die Fernbedienung geschnappt hat, lässt er sich wieder neben mich fallen, hebt die Beine mit auf die Couch und macht es sich gemütlich, um dann den Film starten zu können. Ihm scheint tatsächlich nach Action zu sein… Während des Films lassen wir hier und da einen Kommentar los und machen uns auch mal darüber lustig, wenn schon zum dritten Mal irgendwas in die Luft fliegt. Meistens macht es einen Film viel interessanter, wenn man über ihn lachen kann, obwohl es gar nichts zu lachen gibt. Doch schon bald werden wir ruhiger und nachdem ich eine ganze Weile nichts von Jun gehört habe, werfe ich einen Blick auf ihn, beobachte wie seine Augen immer kleiner werden und er anfängt auf der Sitzfläche hin und her zu rutschen, bis ihm tatsächlich einmal kurz die Augen zufallen. Bevor er jedoch zur Seite kippt, schreckt er leicht hoch. Ich kann nicht anders als ein wenig zu lachen. Es dauert einen Moment, bis Jun das mitbekommt und mich ziemlich müde ansieht. „Was denn?“ „Ach nichts.“, antworte ich und lenke meine Aufmerksamkeit wieder zum Fernseher, genau wie Jun, wie ich annehme. Er atmet einmal tief durch und macht es sich etwas bequemer, wie ich aus dem Augenwinkel bemerke. Es ist nur eine Frage der Zeit bis er einschläft. Und tatsächlich hat er die Augen geschlossen, als ich ihn das nächste Mal ansehe, um zu überprüfen, ob er dem Film überhaupt noch folgt. Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen und ich lege einen Arm um Jun, damit sein Kopf nicht so unbequem nahe der Sofalehne rumhängen muss. Er öffnet seine Augen einen Spalt und versucht mich anzusehen, schließt sie aber gleich wieder. Er ruckelt sich wieder etwas zurecht und macht es sich an meiner Schulter bequem, ein entspanntes Lächeln zeichnet seine Züge. Das Interesse an dem Film schwindet immer mehr, lieber beobachte ich Jun beim Wegdösen, ertappe mich dabei, wie ich ein wenig durch seine Haare streichle. Sein entspanntes Gesicht sieht dem eines schlafenden Kindes nun wirklich ähnlich und lässt meine Mundwinkel gar nicht mehr in ihre normale Form zurück. Ich streichle weiter durch Juns Haare und über die Schläfe und der Gedanke an den Grund unseres damaligen Streits, erscheint mir inzwischen völlig absurd, denn Juns Lippen schreien geradezu danach geküsst zu werden und ich kann mir nicht vorstellen, dass noch etwas Schlimmes dabei ist. Außerdem ist das noch verbliebene sachte Lächeln einfach zu verführerisch, so dass ich mich schon bald zu dem Gesicht an meiner Schulter beuge und den Lippen ihren verdienten Kuss zukommen lasse. Ich merke, dass auch Jun das etwas verspätet registriert, denn er scheint zu versuchen, ihn zu erwidern, wenn auch sehr lahm. Was erwartet man auch von jemandem, der sich im Halbschlaf befindet? Als ich mich wieder von ihm löse, kommen ein paar undefinierbare Geräusche von ihm, bevor er versucht ein Wort zu formen: „Mhmm…müde…“, meint er, behält die Augen weiter geschlossen, da es ihm schwer zu fallen scheint, sie zu öffnen. „Lass uns zu Bett gehen…“, schlage ich vor. „Hm…aber du has’ mich grade geküsst…oder ich hab’s geträumt…“, seufzt er und kuschelt sich wieder an mich. „Ich tu’s nich’ wieder.“, sage ich, was ihn grummeln lässt. „Warum nich’…“, kommt es wieder von ihm, worauf ich nichts erwidere. „Na komm, aufstehen. Mach dich bettfertig, damit du besser schlafen kannst.“ „Ich will aber nich’…is’ doch gut so.“ Also muss ich zu drastischeren Maßnahmen greifen und entziehe mich ihm einfach, so dass er nichts mehr zum Anlehnen hat und der Länge nach aufs Sofa fällt. Ein enttäuschtes Grummeln kommt von ihm, gefolgt von einem tiefen Seufzen, bevor er endlich die Augen aufmacht. „Is’ ja gut. Ich geh schon.“, meint er und macht sich auf den Weg ins Bad. Ich mache derweil den Fernseher aus, sowie das Licht im Wohnzimmer und gehe ins Schlafzimmer, um ein Shirt für Jun rauszusuchen. Damals hatten wir kein Problem damit, halbnackt nebeneinander zu schlafen, doch seit unserem Streit hatte Jun es sich angewöhnt, mehr zum Schlafen anzuziehen und ich hatte es schweigend akzeptiert. Jun braucht so seine Zeit im Bad, also ziehe ich mich schon mal um. Hoffentlich ist er nicht eingeschlafen. Nach ein paar weiteren Minuten kommt er jedoch ins Zimmer geschlichen und schnappt sich das Shirt, was ich ihm rausgelegt hab. „Danke.“, sagt er, bevor ich ins Bad verschwinde, um mich bettfertig zu machen. Als ich zurückkomme, erwarte ich eigentlich Jun bereits schlafend in die Decke eingekuschelt vorzufinden, doch da habe ich mich getäuscht. Er liegt quer über dem Bett und liest in einem Buch, das natürlich mir gehört. „Du schläfst noch gar nicht?“ „Nö, du hast mich ja so aufgescheucht, dass ich wieder völlig wach bin.“ „Und deswegen musst du erstmal was lesen? Und auch noch mitten in der Mitte anfangen?“, lache ich und setz mich auf die Bettkante. „Ja, ich wollte sehen, was du so in deinen Schubladen hast, aber ich hab keine schmutzigen Geheimnisse oder so entdeckt.“, sagt er etwas enttäuscht und wendet seine Aufmerksamkeit nicht vom Buch. Ich muss wieder lachen. „Was erwartest du denn?“ „Kein Ahnung. Hätt ja sein können. Und jetzt pscht…ich will lesen.“ „Und deswegen darf ich jetzt nicht mehr in mein Bett?“ „Ja ja, gleich, nur noch diese Seite.“ Ich schüttel den Kopf und warte ab, bis Jun die Seite beendet hat und das Buch wieder an seinen Platz legt und sich selbst auf die andere Seite des Bettes, sodass auch ich mich hinlegen und das Licht ausmachen kann. „Ich bin aber gar nich’ mehr so richtig müde.“, sagt Jun. „Dann musst du die Augen zu machen. Irgendwann wirst du schon wieder müde.“ „Hmm, okay…“ Aber mir geht es nicht anders, mit dem Unterschied, dass ich auch vorher nicht müde war. Die Gedanken an unseren Streit von damals gehen mir einfach nicht aus dem Kopf. „Jun?“ „Hm?“ „Was würdest du tun, wenn wir noch mal in die Situation von damals kämen?“ „Situation? Du meinst…die, wegen der wir uns gestritten haben?“, fragt er leise nach. Ich nicke, bemerke dabei zu spät, dass Jun es ja gar nicht wirklich sehen kann, doch er scheint mein Schweigen als Bestätigung zu nehmen. „Hm…ich weiß nicht. Wenn du’s wissen willst, musst du’s wohl ausprobieren.“, kichert er verhalten. Ich bin mir nicht sicher, ob es ernst gemeint oder ein Scherz ist. „Nein…vielleicht lieber nicht.“, sage ich daraufhin und seufze leicht. „Tja…dann erfährst du’s auch nich’. Gute Nacht.“ „Gute Nacht.“, antworte ich und drehe mich auf die Seite, mit dem Rücken zu Jun. Ich werde mir nicht ganz klar darüber, mit welchen Gedanken Jun mir die Antworten gegeben hat. Nachdem seine Reaktion auf den vorigen Kuss schon sehr seicht ausgefallen ist, scheint er auch jetzt der Sache nicht völlig negativ gegenüber zu stehen. Meine Neugier wächst ins Unendliche. Ich drehe mich mit dem Gesicht zu Jun und frage leise und grinsend: „Bekomme ich einen Gute-Nacht-Kuss?“ Die Reaktion lässt nicht auf sich warten, denn sofort setzt Jun sich empört auf und beschwert sich: „Hey, das war mein Text.“ Ich lache und bin froh, dass ich kein entsetztes Schweigen oder ähnliches ernte. „Aber ich muss doch anfangen, wenn du es nicht tust.“ „Du bist doof.“, kommt es lachend von Jun, bevor er sich wieder hinlegt. „Krieg ich jetzt einen Kuss oder nicht?“, frage ich noch mal nach, da nichts weiter geschieht. Das weitere Schweigen verunsichert mich nun doch ein wenig. Völlig unbegründet, wie ich spätestens bemerke, als sich Jun über mich hockt und sofort einen wilden Kuss startet. Ziemlich überrascht und doch erleichtert, erwidere ich ihn augenblicklich. Die plötzliche Leidenschaft lässt mein Herz wie verrückt das Blut durch meinen Körper pumpen und automatisch legt sich eine Hand in Juns Nacken, um sicherzustellen, dass er bleibt, wo er ist. Doch nach einer Weile lösen wir uns wieder etwas voneinander, was mich meine Chance nutzen lässt zu sagen: „Dann muss ich dich jetzt also auch aus dem Bett schmeißen?“ Jun atmet scharf ein und klammert sich geradezu an mich. „Nein, nicht aus dem Bett schmeißen. Ich hab doch gar nichts Schlimmes gemacht.“, jammert er und lässt mich wieder auflachen. „Dann fandest du es also wirklich schlimm…damals?“, sage ich wenig später, nachdem ich mich wieder beruhigt habe und nun etwas nervös über Juns Rücken streichle. „Hm…na ja…also…ich…“, druckst er herum, atmet kurz durch und setzt fort, „ich war halt überrumpelt und es war komisch und…ich hatte ein bisschen Angst.“ „Angst vor mir?“, frage ich zögerlich. „Ich weiß nicht…Angst vor der ganzen Situation wahrscheinlich. Es war alles so anders. Und du warst anders und…du hast ja nicht auf mich gehört. Irgendwie musstest du ja dann zu spüren bekommen, dass…“ „…dass du das nicht willst.“, beende ich seinen Satz leise. „Aber jetzt hast du keine Angst mehr? Ich dachte schon, du würdest sofort gehen, als ich vorhin danach fragte.“, schmunzle ich. „Ich konnte ja inzwischen genug darüber nachdenken. Und es is’ doch eigentlich ganz schön dich zu küssen und mit dir zu kuscheln.“, gibt er zu und bestätigt seine Worte, indem er sich entspannt an mich schmiegt. „Jetzt fehlt nur noch die endgültige Liebeserklärung.“, scherze ich und lache leicht. „Na toll, da sag ich so was Liebes und du machst die ganze Stimmung kaputt.“, beschwert sich Jun und drückt mit seinem Finger auf meine Nase.“ „Entschuldige…“, antworte ich etwas verlegen und drücke ihn mit meinen Armen etwas mehr an mich. Er hat ja Recht, aber ich bin eben erleichtert, dass diese Sache nicht nach hinten losgegangen ist. „Dafür schlaf ich jetzt hier. Selbst Schuld.“, sagt er und macht es sich auf mir bequem. „Du willst auf mir schlafen? Ich will ja nicht sagen, dass du schwer bist, aber so auf Dauer…“ „Dein Pech, wenn du schlechte Scherze machst.“, meint er schulterzuckend und fängt an zu schnarchen. „Wie du willst, dann kann ich dich ja jetzt die ganze Zeit betatschen …“, meine ich und lasse eine Hand unter Juns Shirt wandern, um die warme Haut dort zu streicheln. Ein zufriedenes Seufzen kommt daraufhin von Jun und er stellt das gespielte Schnarchen ein. Einen kurzen Ausflug zu seinem Hintern kann ich mir dann aber auch nicht verkneifen. Augenblicklich stoppt Juns Atmung völlig und etwas überrascht gibt er meinen Namen von sich. „Tschuldige…ich wollte dich nur ärgern.“, sage ich, bereue meine Aktion jedoch ein bisschen, als Jun Anstalten macht, von mir runterzurollen. „Schlechte Idee, was?“, frage ich ziemlich verunsichert und lasse meine Aufhaltungsversuche schnell sein. „Ach, schon okay. Du hast mich nur wieder überrascht. Weißt du…vielleicht nächstes Mal, okay?“, flüstert er geradezu, als er wieder auf seiner Seite liegt. Ganz ehrlich, es war nicht ernst gemeint. Ich wollte Jun zu nichts verführen oder ähnliches, aber genauso ehrlich gebe ich zu, dass der Gedanke daran, wir würden uns eventuell mal noch näher kommen, mein Herz wieder höher schlagen lässt. Ich bringe auch nach mehreren Sekunden noch keine Antwort zustande, denn diesmal möchte ich die Stimmung nicht ruinieren. Als Jun zu einer meiner Hände greift und unsere Finger leicht verhakt, vermute ich, er tut es aus Unsicherheit, schließlich hab ich nicht auf sein ‚Angebot’ geantwortet. „Vielleicht sollten wir uns doch mal ernsthafter Gedanken dazu machen zusammenzuziehen…?“, sprudelt es mehr oder weniger zusammenhangslos aus mir heraus. Jun schmunzelt etwas: „Wie kommst du denn jetzt darauf?“ „Na ja, das ist günstiger, oder?“, antworte ich und frag mich im gleichen Moment, wo der Gedanke herkam. „Ach, Iori…“, lacht Jun und rückt wieder näher zu mir, um mir einen Kuss auf die Wange zu geben. „Du bist doof.“ „Ich weiß…“, antworte ich und lege meinen Arm um ihn, sodass er wieder an meiner Schulter liegt. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)