Wenn sie diesen Tango hört... von Staubsauger (...vergisst sie die Zeit [HP/GW]) ================================================================================ Kapitel 1: Wenn sie diesen Tango hört... ---------------------------------------- Mit einem Ächzen ließ sich die alte Frau in den Lehnstuhl sinken, der auch schon bessere Tage zu Gesicht bekommen hatte. Mit ihren knochigen Fingern strich sie über den abgewetzten Stoff des grünen Möbels, schloss für einen Moment die Augen und seufzte. Das früher einmal rote Haar hatte sie sich zu einem einfachen Dutt hochgesteckt, das war das einzig gescheite, was sie noch damit machen konnte, wenn sie vernünftig aussehen wollte. Ginny öffnete die Augen wieder, ihr Blick fiel auf den kleinen, alten Wohnzimmertisch, auf dem lediglich drei Karten standen. Glückwunschkarten. Sie seufzte, sah im Augenblick keinen Sinn darin, sich nach vorne zu lehnen um sie erreichen zu können. Ginny wusste sowieso, was drin stand; das Gleiche, wie die Jahre zuvor, nur hatte sich das Alter geändert: Einundsechzig. Es war kein besonderer Geburtstag. Auch kein besonderer Tag. Es hätte ein Tag wie jeder andere sein können, nichts wies darauf hin, dass es der Geburtstag Ginnys war. Keine Geschenke, kein Kuchen, keine Gäste. Es war einer der einsamen Geburtstage, einer, an dem man zu Hause rumsitzt und nicht weiß, was man tun und was man lassen soll, was man zu erwarten hat oder ob man überhaupt etwas erwarten sollte. Doch Ginny wusste, dass sie nichts zu erwarten hatte. Alles, was hätte kommen können, war schon da: Drei Karten auf dem Wohnzimmertisch, nicht mehr und nicht weniger. Die Kinder lebten nicht mehr zu Haus, schon länger nicht mehr. Als sie die Schule beendet hatten, waren sie kaum noch zu Hause gewesen, waren ständig auf Achse gewesen, haben angefangen zu arbeiten, haben geheiratet und eine Familie gegründet. Wenn sie nicht schon früher ausgezogen wären, wären sie es spätestens dann. Für eine eigene Familie bräuchte man ein eigenes Haus, einen eigenen Wohnsitz, meinten sie. Natürlich verstand Ginny das, auf der anderen Seite wurde ihr gar keine Wahl gelassen. Die Kinder verließen sie, einer nach dem anderen. Sie kamen auch heute nicht. Nicht heute, nicht an ihrem Geburtstag. Hatten zu viel zu tun, hatten sie gesagt, mussten arbeiten. Doch sie waren glücklich. Und das ist die Hauptsache, dachte Ginny. Solange ihre Kinder glücklich waren, konnte sie ruhig einsam sein. Sie hatte damit keine Probleme, hatte alle Hände mit ihrem eigenen Haushalt zu tun. Das zumindest redete sie sich ein. Im Endeffekt versank sie jedoch jeden Abend in ihrem alten, grünen Ohrensessel, schaltete ab, versuchte, die einsamen Gedanken zu vertreiben, indem sie den Fernseher einschaltete um sich von irgendwelche unsinnigen Shows betäuben zu lassen, die sie sowieso nicht interessierten. An solchen Abenden trauerte sie immer der damaligen Zeit nach. Als sie jung war und ihre Großmutter besucht hat, hatte diese ihr immer erzählt, dass früher alles besser war. Ginny hatte das natürlich nicht geglaubt, hatte gelacht und sich gefragt, wie etwas besser sein könnte, als die Gegenwart. Ja, zu der Zeit war sie auch noch glücklich gewesen, damals hatte sie Harry, den sie liebte und später auch geheiratet hatte. Alles schien perfekt gewesen zu sein. Doch jetzt ist Harry tot. Dieser Gedanke war damals so unvorstellbar für Ginny gewesen. Sie hatte es einfach nicht glauben wollen, hatte sich komplett zurückgezogen und den Kontakt zu ihrer Familie fast vollständig verloren. Einzig ihre Tochter Lily kam ab und zu vorbei, um nach ihr zu sehen, widersetzte sich gegen den Willen ihrer Mutter, weil ihre Sorge um deren Gesundheit stärker war. Doch mittlerweile hatte Ginny die Flaute überstanden. Sie sah es nicht mehr als sinnlos an, ohne Harry weiterzuleben. Zwar schmerzte der Gedanken an ihn jedes Mal aufs Neue, aber er war auszuhalten. Heute war ihr Geburtstag. Dieser Tag sollte etwas Besonderes sein, dachte Ginny bei sich. Sie stemmte sich mit einiger Kraftanstrengung aus dem Sessel hinaus und ging langsam durch das Wohnzimmer, sah sich um. An der Wand stand der Plattenspieler. Sie ging zu ihm hin, bückte sich nach einer der Platten, die daneben standen, und legte sie auf. Das Wohnzimmer, in welchem bis zu diesem Moment fast eine totenstille geherrscht hatte, füllte sich nun mit einer ergreifenden Melodie. Ein leichtes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen ab. Zu diesem Lied hatte sie am liebsten mit Harry getanzt, wenn sie ihn denn mal dazu gebracht hatte, denn er war schon immer ein ziemlicher Tanzmuffel gewesen. Sie schloss die Augen und wiegte leicht mit im Takt des Tangos. Sie erinnerte sich an früher, und bei diesen Gedanken wurde ihr ganz warm ums Herz. Sie vergaß beinah die Welt um sich herum, wie sie es immer tat, wenn sie diesen Tango hört. Die Zeit, der Kampf gegen Voldemort war nicht gerade ein Zuckerschlecken gewesen. Doch sie hatte Harry gehabt, hatte jemanden, an den sie sich wenden konnte und der sie hielt, so dass sie sich nicht in Verzweiflung verlor. Sie hatte jedes Mal um Harry gebangt, wenn sie nicht beisammen sein konnten, hatte des Nachts nicht schlafen können. Doch Harry war jedes Mal wohlbehalten zurückgekehrt, bis dann der Endkampf gegen Voldemort erfolgte. Er war grausig gewesen, sie hatten so viele unschuldige Opfer bringen müssen. Doch sie hatte überlebt, und Harry hatte gewonnen. Nach Voldemorts Fall waren alle froh, dass es endlich vorbei war, dass dies das Ende der beständigen Angst war, die geherrscht hatte. Doch noch waren sie nicht fertig. Der Kampf mit Voldemort hatte Spuren hinterlassen, der Wiederaufbau tilgte all ihre Kräfte und eine gehörige Menge an Zeit, doch danach hatten sie sich ihr kleines Stückchen Glück wieder aufgebaut froh, alles hinter sich gebracht zu haben. Dies war der Zeitpunkt für sie, ein neues Leben zu beginnen. Sie wurde auch wenig später schwanger und die kleine Familie wuchs heran. Am Ende hatte sie drei kleine Kinder am Hals hängen, mit denen sie alle Hände voll zu tun hatte, Harry war häufig den ganzen Tag nicht zu Hause, weil er arbeiten war, um Geld zu verdienen und seine Familie ernähren zu können. So blieb den beiden oft wenig Zeit füreinander, obwohl die das ganze Leben miteinander verbracht hatten. Jetzt, wo die Kinder außer Haus waren, wo sie endlich Zeit hätten, da war er nicht mehr da. Da hatte er sie alleine gelassen. Nun musste sie selber sehen, wie sie mit ihrem Leben klar kam. Die letzten Takte des Tangos waren gespielt, die letzten Töne verklangen. Ginny stand reglos im Raum, eine Träne rann ihr über die Wange. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)