Waterheart (adult) von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: Ein Stück von Wolke 7 -------------------------------- „Jaaa, Mum… jaaa… ja, ich bin zum Abendessen da… gut. Vielen Dank! Tschüüüß!“ Hay Lin drückte die Abbruchtaste auf ihrem Handy. „Okay, ich darf!“ sagte sie zu ihren Freundinnen. „Gut, wir haben also Zeit bis um acht, um etwas zu entdecken!“ stellte Taranee fest. „Bis um sieben!“ korrigierte Cornelia. „Meine Großmutter kommt heute Abend wieder mal auf einen ihrer Anstandsbesuche vorbei!“ Sie stöhnte genervt. „Dabei hätten wir sowieso erst nach acht reele Chancen, etwas zu entdecken!“ „Was hoffst du denn zu entdecken?“ fragte Taranee trocken. „Wie die Zwei sich im Fernsehen einen Liebesfilm anschauen?“ „Bete dafür, dass es nur so etwas Harmloses ist!“ flüsterte Cornelia kaum hörbar in ihr rechtes Ohr, denn sie wollte verhindern, dass Hay Lin das hörte und schon wieder zu schluchzen anfing. Allerdings hatte sie vergessen, was für gute Ohren die Wächterin der Luft hatte. „Ich glaube nicht, dass sie heute abend schon so weit sind,“ bemerkte diese, und ihre beiden Freundinnen wunderten sich, wie sachlich es aus ihrem Munde klang. Sie drehte sich zu ihnen um und verschränkte die Arme. „Will ist viel zu misstrauisch, um gleich am ersten Abend darauf hereinzufallen. Außerdem wird Irma kein Risiko eingehen, solange Christopher oder ihre Eltern noch da sind,“ fügte sie hinzu. „Und wann werden sie nicht da sein?“ fragte Cornelia etwas verwirrt. „Christopher nimmt morgen an einem Junior-Baseballspiel in Coppervalley teil. Seine Eltern fahren ihn hin und verbringen dann den restlichen Tag gemeinsam. So zumindest hat es Irma noch vor ein paar Tagen erzählt... deshalb kann es genauso gut auch gelogen sein!“ „Also können wir mit der Überwachung praktisch erst morgen anfangen,“ schloß Taranee daraus, „denn wir wissen ja gar nicht, wo sie sich heute noch aufhalten!“ „Morgen könnte es aber zu spät sein,“ meinte Cornelia. „Wir müssen heute schon anfangen, und uns dann überlegen, wie wir das Ganze noch rechtzeitig aufhalten können!“ Hay Lin nickte. „Wir sollten im Stadtzentrum beginnen. Eine von uns hält Irmas Haus unter Bewachung, und die anderen Zwei suchen die Umgebung vom ‚Golden’s’ ab. Mit etwas Glück sind sie noch irgendwo dort in der Nähe... wenn nicht, müssen wir uns halt was anderes überlegen! Ist soweit alles klar?“ Cornelia und Taranee nickten, erschrocken über Hay Lins plötzliche Entschlossenheit. „Ich schätze, ich werde mich mal bei Irmas Haus umsehen,“ meldete sich Taranee. „Gut! Und zieh ja die Uniform dazu an!“ meinte Cornelia lächelnd und zeigte auf eines der Bündel, dass neben ihnen lag: eine Sportjacke und eine Schirmmütze, mit Ferngläsern und Essenspaket. „Zu Befehl, Ma’am!“ lachte Taranee, klemmte sich eines der Bündel unter den Arm und ging. Hay Lin hatte über ihre Scherze weder gelächelt noch sonst irgendwie die Miene verzogen. Tatsächlich machte sie Cornelia gewaltige Angst, wie sie so kühl und nüchtern dasaß und keine Gefühlsregung mehr zeigte. „Es wird alles gut gehen, Hay Lin, du wirst sehen! Irma wird schon irgendwann einsehen, dass ihr Verhalten schädlich für uns alle ist,“ sagte sie einfühlsam und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie wollte sie mit diesen Worten eigentlich nur ein bisschen aufheitern. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Hay Lin sich in ihre Arme stürzen und hemmungslos zu heulen anfangen würde. Unsicher streichelte sie Hay Lins bebenden Rücken. Sie bekam auf einmal eine riesige Wut auf Irma. Was immer sie Hay Lin angetan hatte, sie würde es bitter bereuen. „Alles in Ordnung, Will?“ fragte Irma besorgt. „Mhm,“ brummte Will, die verträumt in ihrem Pistazien- und Walnusseis herumstocherte, immer wieder mal einen Happen in den Mund schob und dann weiter stocherte. „Schmeckt dir der Eisbecher nicht, oder-?“ „Es liegt nicht am Eisbecher! Mich hat nur… dieses Stück nachdenklich gemacht!“ Das stimmte wirklich: wahre Liebe; Treue; Eifersucht; verliebt zu sein, ohne zu wissen, warum… das alles ging ihr gerade irgendwie im Kopf herum. "Es war... doch irgendwie... aufschlussreich..." murmelte sie schließlich „Stimmt, es war einmalig,“ bestätigte Irma respektvoll. „Vor allem dieser Puck… der war einfach cool… komisch nur, dass ‚er’ von einer Frau gespielt wurde!“ Will nickte versonnen und hob mit ihrem Löffel ein besonders großes Stück Eis aus, doch dann hielt ihre Hand auf dem Weg zum Mund plötzlich inne. Ihre Augen wanderten zu Irma, deren Hocker gleich neben dem Fenster stand, durch dass gerade ein dicker Strahl Sommersonnenlicht hereinfiel. Ihre Lippen, feucht von geschmolzenem Erdbeereis, glänzten einladend… In Wills Verstand geschah urplötzlich ein Kurzschluss: sie zuckte zusammen wie vom Schlag getrffen und ließ dabei den Löffel fallen. Das Eis schlitterte an ihrem T-Shirt entlang und landete in ihrem Schoß. „Uups, entschuldige mich mal kurz!“ sagte Will hastig und stand auf, um rasch die Toilette aufzusuchen. Dort angekommen atmete sie erleichtert auf, stellte sich ans Waschbecken und schaute in den Spiegel. Ihr eigenes bleiches Antlitz schaute zu ihr zurück. Obwohl sie sich den Kopf darüber zermartert hatte, was mit ihr los war, war sie bis jetzt zu keinem brauchbaren Ergebnis gekommen. Sie fühlte sich einfach nur… merkwürdig. Irgendwie… hohl. Es war wegen des Kusses, soviel stand schon mal fest. Er hatte sie aus heiterem Himmel getroffen, auf vollkommen falschem Fuß erwischt. Sie wusste weder, was sie darüber denken sollte, noch warum er so ein flaues Gefühl im Magen hinterlassen hatte. Seltsamerweise sah sie keinen Grund, sich darüber aufzuregen. Und doch wusste sie, dass sie sich eigentlich hätte aufregen müssen! Jedes andere Mädchen wäre dabei wenigstens errötet, hätte ängstlich gestottert oder gleich Zeter und Mordio geschrieen. Im schlimmsten Fall wäre sie weggerannt und hätte nie wieder mit Irma gesprochen. Aber Will hatte nicht den Drang, irgendetwas davon zu tun. Sie fühlte sich nicht mal in der Lage, überhaupt je wieder irgendetwas zu tun! Was war das nur für ein Gefühl? Hinter Will öffnete sich die Toilettentür, und Irma trat herein. Sie lehnte sich mit verschränkten Armen an die Klotür und sagte: „Okay, Will, wir sind allein! Jetzt sag endlich, was mit dir nicht stimmt!“ Will antwortete nicht, stand einfach weiterhin vor dem Spiegel und blickte hinein in ihre leeren, furchtsamen Augen. „Wenn du nicht darüber reden willst, ist das deine Sache,“ sagte Irma sanft, „aber du könntest dir zumindest das Eis vom Kragen wischen!“ Als Will keine Anstalten machte, dies zu tun, ging sie selber hinüber und rubbelte mit zwei Fingern und ein wenig Spucke an dem Fleck herum, der zufälligerweise genau an Wills Brustansatz lag. Sie hatte diesmal -im Gegensatz zu sonst- nicht einmal einen Hintergedanken dabei. Sie wollte wirklich nur Will’s T-Shirt sauber machen. Doch der Schock traf Will völlig unvermittelt, und ohne, dass sie irgendwelche Aggression gegenüber Irma empfand, gab sie ihr eine klatschende Ohrfeige. Sie wichen beide voreinander zurück, eine überraschter als die andere. Lange Zeit sprachen sie kein Wort. Erst, als die rötliche Spur auf Irma’s Wange langsam verblasste, flüsterte Irma trocken: „Nun, in gewisser Weise hab ich das verdient!“ Nun fand auch Will ihre Sprache zurück. „Irma… ich wollte… ich… oh Gott, wieso hab ich das nur getan?“ „Schutzreflex!“ sagte Irma lächelnd. „Der angeborene Instinkt einer Frau, um sich ungewollte Liebhaber vom Hals zu halten… oder jeden, der sie aus Versehen betatscht!“ fügte sie schuldbewusst grinsend hinzu. „Das ist mir jetzt wirklich furchtbar peinlich, weißt du…“ sagte Will, verlegen von einem Fuß auf den anderen tretend. „Das muss es nicht, mir sollte es peinlich sein: ich hab dich einfach so in aller Öffentlichkeit geküsst, ohne an die Folgen zu denken oder dir eine Erklärung abzugeben. Schließlich weiß ja niemand, dass das nur eine Art Wette unter Freundinnen war!“ „Wieso hast du eigentlich gerade diesen Wetteinsatz gefordert?“ fragte Will auf einmal. Es wäre gelogen, zu sagen, sie hätte dabei bereits einen gewissen Verdacht gehabt. Sie fragte nur aus reiner Neugier. „Na ja, bei einer Wette muss doch jeder Beteiligte etwas setzen, was ein großes Opfer von ihm erfordert!“ erklärte Irma mit gekonnt gespielter Unsicherheit. „Und ich glaubte, das Opfer wäre für mich groß genug, wenn ich dich küsste. Aber ich hab nicht daran gedacht, das es dir eigentlich noch viel mehr abverlangt… du weißt schon, wegen deiner Schüchternheit, und wegen Matt und so… . Also hab ich dir im Prinzip damit geschadet, dass ich einen solchen Wetteinsatz überhaupt in Erwägung gezogen habe.“ Will nickte langsam. Das ergab durchaus Sinn… wenn man den Maßstab dafür sehr großzügig anlegte. Es fehlte zwar ein Glied in der Kette der Argumentation, aber im Großen und Ganzen war es folgerichtig. Das galt auch für das, was sie selber nun tat: sie nahm Irma in die Arme, drückte sie fest an sich und setzte ihre Lippen sanft auf Irmas Mund. Zuerst war Irma völlig schockiert darüber, doch nur ganz kurz, dann legte sie selber die Arme um Wills Hüfte und erwiderte den Kuss zaghaft. Ihre Münder, die sie zunächst nur schüchtern aneinandergerieben hatten, saugten sich nun leidenschaftlich aneinander fest, umschlangen und bekämpften einander in einem Wettbewerb, wer wieviel vom anderen erwischen konnte. Aus der Kombination von Erdbeer- und Pistazieneisresten auf ihren kämpfenden Lippen entstand ein bittersüßer, leicht nussiger Geschmack mit einem Aroma von Sahne. Irma würde ihn in Zukunft „Ein Stück von Wolke 7“ nennen. Leider dauerte der Kuss nicht allzu lange, obwohl er sehr viel intensiver war als ihr flüchtiger Kuss von vorhin. Schon bald gingen sie wieder auseinander, mit niedergeschlagenen Augen und rotglühenden Wangen. Irma lächelte schüchtern. „Okay, ich schätze, das habe ich jetzt nicht verdient!“ Will lächelte ebenso schüchtern. „Hast du auch nicht! Ich hab es auch nur getan, damit es diesmal gerecht zugeht.“ „Wie… gerecht?“ „Nun ja, diesmal hat es mir nicht viel abverlangt… dir hingegen schon! Ich weiß auch nicht, wie ich es erklären soll, aber es ist nun mal so.“ Irma kratzte sich verlegen an der Nase. „Ich würde es wahrscheinlich sowieso nicht verstehen!“ Sie kicherten leise und kehrten dann zusammen an ihren Tisch zurück. Ihr Eis war bereits in der Hitze der Sonne zusammengeschmolzen. Sie hatten nicht viel mehr zu tun, als die kühle Sahnebrühe auszulöffeln. „Sag mal, Irma,“ murmelte Will verträumt, nachdem sie etwa die Hälfte ihres Bechers geleert hatte, „was hast du eigentlich vorhin mit Matt gemeint?“ Irma errötete. „Nun ja, er ist doch dein Freund, oder? Ich dachte nur, es würde dir vielleicht schwer fallen, jemand anderes zu küssen, solange du mit ihm zusammen bist, und wenn es auch nur ein anderes Mädchen ist… Ich befürchtete, dass dieser Kuss dir wie Verrat vorkommen würde!“ Will nickte und schaute betrübt in die träge herumwirbelnde Sahne in ihrem Becher. „Stimmt, so ähnlich hat es sich angefühlt… ich war mir darüber nur nicht bewusst. Er ist jetzt schon seit ein paar Monaten mit ‚Carmilla’ auf Tour. Und in seinen E-Mails steht, es könnte durchaus noch ein halbes Jahr dauern. Gerade jetzt, wo wir keine Mission für Kandrakar durchstehen müssen und so viel Zeit zur Verfügung hätten... und da hat er sich entschlossen, mich wieder alleine zurück zu lassen.“ Sie schluckte traurig. „Die Wahrheit ist, ich vermisse ihn... und das jede Minute, die wir getrennt sind!“ Irma biss sich auf die Lippe. Das hatte sie doch gar nicht wissen wollen! Wieso hatte sie Matt erwähnen müssen? Doch Will sprach weiter, ohne aufzusehen. „Selbst, wenn ich mit anderen Jungs zusammen bin, kann ich nicht aufhören, an ihn zu denken und wann er endlich wieder da ist…“ Irma horchte auf. „Du triffst dich mit anderen Jungen? Davon hast du ja noch gar nichts erzählt!“ Will seufzte. „Es ist auch erst seit kurzem! Manchmal gehe ich mit den Jungs aus meinem Schwimmteam auf Partys, um ein wenig abzuschalten und Gesellschaft um mich zu haben. Ich weiß, das sieht so aus, als würde ich ihn hintergehen, aber… ich möchte endlich mal wieder Spaß haben… einfach wieder frei sein... und nicht mehr diese dumme Leere spüren müssen…“ Irma nickte langsam, ließ die Worte und Gefühle auf sich einwirken. In diesem Augenblick sah sie Will - die wirkliche Will - wie sie sie noch nie zuvor gesehen hatte. „Ich versteh schon!" sagte sie schließlich. "Du willst das Leben nicht verpassen… willst nicht ständig auf die Gesellschaft anderer Jungs verzichten, nur damit du allen beweisen kannst, dass du auch ganz bestimmt treu bist!“ Sie seufzte und legte ihre Hand auf den Tisch. „Mich würde das auch belasten… ich kann echt verstehen, was du fühlst. Aber du solltest dich nicht selbst fertig machen! Es ist vollkommen egal, was die Anderen von dir denken. Wichtig ist nur, das du selbst dir noch in die Augen schauen kannst. Wenn du mit diesen Jungs zusammen sein musst, um glücklich zu bleiben und Matt trotzdem die Treue zu halten, dann tu es ruhig! Ich werde dich deswegen nicht anklagen!“ „Es ist schön, dass du das verstehst,“ hauchte Will lächelnd, und wie von Geisterhand wanderte ihre Hand über den Tisch und schloss sich um die von Irma. Irma errötete wieder, zog ihre Hand jedoch nicht weg. „Ich bin so froh, dass wir Freundinnen sind. Du kannst so lieb sein, wenn du willst…,“ flüsterte Will weiter und streichelte mit ihrem Daumen Irmas Handrücken. Diese bekam vor lauter Nervosität Herzflattern. Sie hatte schon lange von einem solchen Augenblick geträumt, doch jetzt, wo er da war, war er ihr direkt unheimlich. Es war vor allen Dingen wegen dieser Sache mit Matt und ihrem ganzen Gespräch über Treue und Spaß… Sie fühlte sich unsagbar schäbig, wenn sie nun so darüber nachdachte. Sie schaute stur gerade aus in Wills kastanienbraune Augen und sah darin etwas schrecklich Vertrautes… die gleiche Dankbarkeit, die einst auch in Hay Lins Augen war, als diese ihr ihre Liebe gestanden hatte. Will beugte sich vor, und Irma machte sich schon auf das Schlimmste gefasst, als diese ihre Lippen öffnete und lächelnd sagte: „Das Eis bezahlst du aber trotzdem!“ Irmas Wangen verblassten augenblicklich wieder. Eine Sekunde lang war sie wütend, weil Will sie so hatte schwitzen lassen. Doch dann sah sie das Gesicht, dass Will dabei machte: diesen herrlich neunmalklugen Blick, garniert mit einem frechen, liebevollen Grinsen. Irma konnte gar nicht anders, sie musste von Herzen lachen. „Du müsstest dich mal im Spiegel sehen! Du guckst, als hättest du den Nobelpreis für die schlaueste Antwort bekommen!“ „Ich finde, den hätte ich auch verdient!“ sagte Will und markierte jetzt die eingeschnappte Leberwurst. „Keine Chance, mit dem alten Witz würdest du gerade mal den Altertumsrekord aufstellen!“ Will lachte herausfordernd und stand auf. „Und du denkst, deine Witze wären besser?“ „Ich denke nicht nur, ich weiß es!“ sagte Irma selbstsicher und stand ebenfalls auf. „Okay, was ist diesmal der Einsatz?“ „Wer gewinnt, darf bestimmen, was wir heute Abend zusammen machen!“ „Das weiß ich auch so: lernen!“ „Nicht, wenn es nach mir geht!“ „Oho, da hab ich aber Angst!“ „Die solltest du auch haben! Pass auf: was ist der Unterschied zwischen dir und einem Wischmop?“ „Es gibt keinen! Wir sind beide dünn wie ein Besenstiel und haben wuschelige rote Haare!“ „Das stimmt zwar so nicht… aber der Witz kommt ja erst noch: Was ist der Unterschied zwischen Cornelia und einem Wischmop?“ „Also, ich sehe da jetzt einige!“ „Komisch, ich sehe nur einen: Cornelia würde bestimmt niemals den Kopf in einen Wassereimer stecken! Das könnte ja ihre neue Frisur kaputtmachen!“ Als die Zwei lachend das Eiscafé verließen, platzte einem anderen Kunden drei Tische weiter, einer schlanken Gestalt in Sportjacke und Schirmmütze, gerade der Kragen. „Diese kleine, verräterische Ziege! Manchmal würde ich ihr am liebsten die Lippen zunähen!“ stieß Cornelia zornig hinter ihrer vorgehaltenen Speisekarte hervor. „Wegen ihrer kleinen verlogenen Lobrede auf das Fremdgehen oder wegen des Witzes?“ flüsterte Hay Lin, deren schwarze Perlaugen vor Wut funkelten. „Oh nein, diesmal nur, weil sie so eine egoistische, falsche, durch und durch treulose Tomate ist!“ zischte Cornelia, nur mühsam ihr Temperament unter Kontrolle haltend. „Sie scherzt hier so unbefangen mit Will herum und denkt gar nicht daran, dass du wegen ihr in Tränen zerfließt!“ Sie legte ihre Arme um Hay Lins angezogene Schultern und drückte sie mitfühlend. „Aber das zahlen wir ihr heim, das versprech ich dir! Diesmal nehmen wir keine Rücksicht!“ „Ist schon gut, Cornelia, danke,“ flüsterte Hay Lin, und das Funkeln verschwand. Obwohl sie immer noch extrem wütend war, musste sie doch über Cornelias teilnahmsvolle Art lächeln. Das hatte sie sich nicht zu träumen gewagt, als sie der Wächterin der Erde unter ständigen Heulkrämpfen von ihrer Zeit mit Irma, ihrer großen Liebe und ihrer Enttäuschung erzählt hatte. Es hatte jedoch nicht nur Cornelias Vorurteile über Lesben abgeschwächt, es hatte auch ihr selbst geholfen, darüber zu sprechen. Mehr als alles andere hatte sie befürchtet, Cornelia und Taranee würden sie verabscheuen, wenn sie von ihrer homosexuellen Veranlagung wüssten (außerdem hatte sie Angst gehabt, Irma könnte sie in irgendeiner Form damit erpressen - momentan war ihr einfach alles zuzutrauen). Zum Glück brauchte sie sich darum jetzt keine Sorgen mehr zu machen. Zu fühlen, dass Cornelia auf ihrer Seite stand, gab ihr Kraft... und Zuversicht... und... Um ganz ehrlich zu sein fühlte sich Cornelias Umarmung gar nicht mal so schlecht an… sehr zart und angenehm… und ihr Haar duftete so wundervoll… 'Mein Gott, lass das!' tadelte Hay Lin sich selbst. 'Irgendwo gibt es Grenzen! Sie wird Lesben jetzt vielleicht tolerieren, aber das macht sie noch lange nicht selber zur Lesbe!' Wie als hätte Cornelia diese Gedanken gehört, löste sie ihren Arm wieder von Hay Lins Schulter und legte ihn auf den Tisch. „Was hast du nun eigentlich durch das Oberlicht mitbekommen, als sie vorhin zusammen auf dem Klo waren?“ Hay Lin senkte den Kopf und legte nachdenklich den Finger an die Unterlippe. „Zuerst habe ich eine Art ‚Klatschen’ gehört… wie von einer Ohrfeige… ja, das muss es gewesen sein! Dann haben sie ein bisschen hin- und herdiskutiert, wie peinlich Will das wäre, und Irma sagt natürlich tausendmal: ‚Macht doch nichts!’ und 'Ist schon gut!', wie sie es immer tut. Viel hab ich nicht verstanden, weil gerade ein Lastwagen vorbeikam, und der überschallt sogar mein magisches Gehör! Naja, als er dann vorbeigefahren war, habe ich noch etwas von Matt gehört… und dann…“ sie schluckte, „… es herrschte Stille, aber ich konnte sie leise seufzen hören… ich glaube, sie haben sich geküsst!“ Cornelia zog eine Augenbraue hoch. „Geküsst? Einfach so?“ „Jaa... beziehungsweise nein... ich weiß auch nicht. Ich bin aus den Worten, die sie hinterher gesagt haben, auch nicht schlau geworden… aber sie haben etwas von ‚diesmal’ gesagt!“ Cornelia seufzte. „Dann haben sie sich vorher schon mal geküsst. Etwas ähnliches haben sie ja auch bei ihrem Gespräch gerade eben angedeutet!“ Beiläufig strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Nun, ich weiß, dass du darüber nicht erfreut bist, aber wenigstens haben wir jetzt den unwiderlegbaren Beweis, den wir gesucht haben.“ Hay Lin nickte schwach. „Sollen wir ihnen weiter folgen?“ Cornelia lächelte sanft. „Würdest du das ertragen?“ „Nein!“ „Dann reden wir jetzt besser mit Taranee und überlegen uns eine Strategie!“ Sie standen auf und gingen zusammen in eine Seitengasse, wo sie ihre Fahrräder abgestellt hatten. Bevor sie aufstiegen, hielt Cornelia Hay Lin nochmal zurück. „Mach dir bitte keine falschen Hoffnungen!“ Hay Lins Augen weiteten sich. „Wegen Irma?“ Cornelia schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein… wegen mir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)