Die Worte des Narren von Golemsauge (Lass mein Leben nicht sinnlos sein) ================================================================================ Kapitel 1: Die Worte des Narren ------------------------------- Unter mir stand die Stadt in Flammen. Rote Blumen von entsetzlicher Schönheit fraßen sich durch Holzhäuser und strohgedeckte Dächer. Ich spürte einen Teil der Hitze, die das Feuer ausstrahlte, auch wenn nicht viel mehr als ein warmer Hauch hier oben auf dem Hügel ankam. In der kühlen Märznacht war er beinahe angenehm zu nennen, brächte er nicht auch den Geruch von Tod und Verderben mit sich. Und die Schreie. Sie kamen mit dem Wind, übertönten das Fauchen der hungrigen Flammen und dröhnten so laut in meinen Ohren, als ständen sie kaum einen Schritt von mir entfernt, dabei sahen die Menschen dort unten für mich nicht viel größer aus als Ameisen. Ihr Entsetzen, ihre Angst, ihr Leid, das alles erreichte mich. Dort unten auf den Straßen kämpften die Menschen um ihr Überleben. Menschen, die ich kannte. Viele, die ich mochte. Einige, deren Tod mich mehr treffen würde als mein eigener. Ich war unfähig, noch länger hinzusehen. Und unfähig den Blick abzuwenden. Wie zu einem stillen Kompromiss bereit, richtete mein Blick sich auf das, was jenseits der Stadtmauern lag. Als würde inmitten tiefschwarzer Nacht nur an einem einzigen Fleck die Sonne scheinen, lag das Heerlager etwa eine Meile vor den Toren. Es war ein Meer aus Fackeln und offenen Feuerstellen. Bei Anbruch der Dunkelheit hatten sie sich dorthin zurückgezogen, doch nichts hinderte sie daran, Morgen einen weiteren Sturm gegen die Stadt zu führen. Wie viel Widerstand konnten sie Morgen noch erwarten? Die Armee des Grafen war ihnen zahlenmäßig weit unterlegen. Und wer von den Stadtbewohnern, die heute noch tapfer ihre Heimat verteidigt hatten, würde dazu am nächsten Tag noch in der Lage sein, wenn in diesem Moment sein Haus den Flammen des Krieges zum Opfer fiel? Ich wusste, dass es keine Hoffnung gab. Meine Hände verkrampften sich um die steinerne Brüstung der Feste. Hier oben auf dem Hügel würde sie wohl etwas länger standhalten als die Stadt unter ihr, aber wenn die Stadt erst einmal fiel, waren sie umzingelt. Dann würde es für sie alle keinen Ausweg geben. Und auch diese altehrwürdige Burg würde brennen, ihre Bewohner niedergemetzelt. Ich wusste es und doch gab es nichts, das ich hätte tun können, um daran etwas zu ändern. Ein Gefühl der Hilflosigkeit übermannte mich und ließ meinen Körper erzittert. Wie ein Ertrinkender sich ans rettende Seil, so klammerte ich mich an die unnachgiebigen Zinnen der Burgmauer. Hätte ich das Weinen nicht schon vor Jahren verlernt, ein See aus Tränen müsse sich zu meinen Füßen bilden, so schrecklich schmerzten die Trauer und die Hilflosigkeit angesichts all der Zerstörung, die geschehen war und die noch kommen würde. Ich spürte einen stechenden Schmerz in meiner linken Schulter. Dieses altbekannte Übel. Jetzt gerade kam dieses körperliche Leiden mir sehr recht. Es vertrieb nicht den Schmerz, den ich in der Seele spürte, aber er überdeckte ihn zumindest teilweise. Und vielleicht... nein, ich konnte nichts tun als hilflos zusehen. Ich hatte keinerlei Macht dieses Grauen zu stoppen. "Hier finde ich dich also." Die Stimme hat mir schon verraten, dass es des Grafen Laufbursche war. Ich ersparte es mir, den Kopf zu wenden, um ihn anzusehen. Ich hielt noch nie besonders viel von ihm, denn er vermochte ein rechter Fanatiker zu sein, wenn jemand den Willen seines Herren in Frage stellte. Aber auch er hatte seine aufmerksamen Momente, wie er nun bewies. "Hast du wieder Schmerzen?" Unbemerkt hatte ich eine Hand auf meine Schulter gelegt, um sie vorsichtig zu massieren und die Pein in ihr zu lindern. Es half nicht viel. "Nicht schlimmer als für gewöhnlich auch." Und ich wollte nicht darüber reden. "Weshalb suchst du mich auf?" Ihm schien plötzlich ein wenig unwohl zu sein. Anstatt mich noch länger anzustarren, stellte er sich neben mich an die Festungsmauer und schaute wie ich hinunter auf die brennende Stadt. Meine Antwort bekam ich erst nach einigen Minuten des Schweigens. "Er verlangt nach dir." Das hatte ich erwartet. Unerwartet kam für mich jedoch, wie wütend es mich mit einem Mal machte. Ich ballte die Hände zu Fäusten, aber es war auch nur wieder ein Zeichen meiner eigenen Hilflosigkeit. Was er wollte, würde geschehen. Dem konnte ich mich nicht widersetzen, so sehr es mir auch widerstrebte in einem Moment wie diesem. Ohne ein weiteres Wort wendete ich mich ab und ging. Die Musikanten stimmten gerade ein neues Lied an, als ich die Halle betrat. Geigen leiteten das Stück ein. Sanft und ruhig, sehr unaufdringlich. Meine unruhige Seele jedoch versetzte es noch mehr in Aufruhr. Im Hintergrund schlug eine Trommel den Dreivierteltakt und der Tanz begann. Im perfekten Walzerschritt führten die Herren ihre Partnerinnen über die Tanzfläche. Alle waren sie ausnehmend gut gekleidet und die Vielfalt an Farben schmeichelte dem Auge. Abseits der tanzenden Paare an den Wänden der Halle standen langen Tafeln aufgereiht, an denen alle Gäste saßen, die lieber ein belangloses Gespräch mit ihrem Nachbar führten und sich an Speise und Trank gütig taten, denn damit waren die Tische reichlich bedeckt. Mir wurde schmerzlich bewusst, dass meine letzte Mahlzeit das Frühstück im Morgengrauen gewesen ist. Am Ende der Halle saß mein Herr, der Graf, an einer erhöhten Tafel, von der aus er das Geschehen zur Gänze überblicken konnte. Sein Gesicht drückte höchste Zufriedenheit aus und wie ich ihm so dabei zusah, wie er sich von einem Diener Wein in den goldenen Trinkbecher nachschütten ließ, stieg erneut kochende Wut in mir auf. Was war das hier? Es war absurd. Während die Grazien - ich weigerte mich, sie länger als menschliche Wesen zu betrachten - hier oben auf der Burg feierten, starben unten in der Stadt mit jeder verstreichenden Minute mehr Menschen. In diesem Moment hasste ich sie. Hasste sie alle aus tiefstem Herzen. An der hohen Tafel schien endlich jemand den Grafen auf mein Kommen hingewiesen zu haben. Er winkte mir und ich machte mich langsamen Schrittes daran, die Halle zu durchqueren. Selbstverständlich war ich dabei bemüht, mich am Rand zu halten und keinem der Tanzpaare in den Weg zu kommen, doch sie zeigten nicht so viel Rücksicht. Ein alter Mann und seine Partnerin stießen mich an und ich konnte mich nur mit Not noch auf den Beinen halten. Unbeirrt setzte ich meinen Weg fort, gleich ich merkte, dass um mich herum, die Tänzer stoppten und alle mich anstarrten. Leises Tuscheln folgte mir bis zur Tafel des Grafen. Es bedurfte nicht viel Fantasie, um zu wissen, was sie redeten. Ich habe es alles schon gehört. So versuchte ich, nicht auf die Worte zu achten, sie einfach zu überhören. Selten war es mir so schwer gefallen wie an diesem Abend. Dennoch zeigte ich der feinen Gesellschaft ein fröhliches Gesicht. Keine meiner wahren Emotionen gelangte nach außen. Ich konnte sie alle täuschen. Es war nicht schwer. Dieses Schauspiel hatte ich gelernt von klein auf. Wann immer die Menschen mich voll Abscheu ansahen, gab ich vor, es nicht zu bemerken. Man bekommt ein dickes Fell, wenn man ist wie ich, sonst geht man zugrunde. Ich habe viele sagen hören, dass sie sich eher in den nächsten Fluss stürzen würden, als so zu leben. Sie sagen es, wenn sie denken, dass ich sie nicht höre. Sie sind dumm. Ich mag ein Krüppel sein, doch taub bin ich nicht. Endlich erreichte ich mein Ziel und verbeugte mich vor meinem Herren. Nicht so tief, wie es sich für einen Diener meines Ranges gehört hätte, doch ich konnte es mir erlauben. Niemand erwartet von einem buckligen Gaukler diese Etikette. Das ist ein Teil meiner Freiheit. Eine Freiheit, von der ich heute noch oft Gebrauch machen würde. Ich kann Vieles tun und sagen, was andere sich niemals trauen dürfen, ohne dabei den Kopf zu verlieren. "Mylord." Er trug ein Gewand gefärbt mit Indigo und der Blick aus seinen klaren Augen verriet mir, dass er heute doch noch nicht so viel getrunken hatte, wie ich erwartet hatte. Neben ihm saß eine bleiche Gestalt in Veilchenblau, noch mehr Mädchen als Frau. Ich deutete auch eine Verbeugung in ihre Richtung an. "Lady Theresa. Euer Vater sendet Euch eine Botschaft. Anstelle der Freudenfeuer über Eure baldige Befreiung aus den Händen meines Herrn zündet er Euch zu Ehren diese Stadt in Brand." Ein kurzes Zucken ihrer Mundwinkel war die einzige Reaktion auf meine Worte. Der Graf allerdings schlug mit der Faust auf den Tisch und sah mich wütend an. "Du erlaubst dir zu viel, Narr!" "Aber Herr, Ihr müsst den kleinen Scherz verstehen", sagte ich ohne ein Zeichen von Reue und zeigte ein unbeschwertes Lächeln, als wäre ich mir keiner Schuld bewusst. "Wohl... Ihr habt mich rufen lassen?" "In der Tat, Narr. Sieh dir diese Menschen an!" Und seine Hand beschrieb einen Bogen, der die gesamte Halle umfasste. Er liebte diese überdramatischen Gesten. "Ihnen verlangt es nach Abwechslung. Sie wollen eine deiner lustigen Geschichten hören. Darum habe ich nach deiner Harfe schicken lassen, weil es mir so zusagt, wenn du deine Erzählungen mit Musik untermalst. Aber solange mein Diener noch nicht mit ihr zurück ist, wieso zeigst du uns nicht dein neustes Kunststück?" Ich seufzte innerlich. Kunststück... mein Herr hatte keinerlei Ahnung was für ein gefährlicher Spaß das war. Im letzten Sommer hatte er es am Hofe eines anderen Grafen gesehen und so hatte auch ich es erlernen müssen. "Will mein Herr mir wohl für dieses Schauspiel auch seinen Becher leihen? Das wird es noch spannender machen. Er braucht sich auch keine Sorgen zu machen. Er wird ihn voll zurückbekommen." Ich sah die Neugier in seinem Blick, als er nickte. "Was magst du vorhaben?" "Wieso Euch den Höhepunkt vor dem eigentlichen Kunststück verraten?" Während ich mit einem perfekt gespielten Grinsen, seinen Trinkpokal zum Rand der Tafel schob, wo ich ihn nachher schnell erreichen könnte, hob ich die Stimme etwas an und sprach so laut, dass alle Anwesenden mich verstehen konnten. "Mein Gebieter hat wohl Angst, sein Hofnarr wolle sich mit dem Wein nur die Zunge lockern. Seid ganz unbesorgt, Mylord. Säße meine Zunge noch locker in diesem Mund, so müsse sie auf der Stelle herausfallen." Heiteres Gelächter füllte die Halle. Zufrieden schnitt ich den Leuten einige außergewöhnliche Grimassen und sie applaudierten mir. Auf einen Wink des Grafen hin, brachte ein Mann mir drei Fackeln. Noch brannte keine von ihnen. Ich wiegte sie kurz in der Hand. Ja, die Balance war gut. Damit konnte ich arbeiten. Und schon fragte ich in die Menge meiner Zuschauer: "Wer von euch glaubt, dass ich diese Fackeln jonglieren kann, ohne mich zu verbrennen, der soll die Hand heben." Nur einige wenige folgten meiner Aufforderung und auch sie ließen die Hände schnell wieder sinken, als sie bemerkten, dass es kaum jemand tat. Tadelnd schüttelte ich den Kopf. "Nur Ungläubige hier. Dabei müsste euch doch eigentlich schon der gesunde Menschenverstand verraten, dass das hier", In dem Moment fing ich an, die feuerlosen Fackeln zu jonglieren, "keinerlei Gefahr mich darstellt." Wieder hatte ich ihr Lachen auf meiner Seite. Während ich so fortfuhr, die Fackeln durch die Luft zu wirbeln, und dabei immer schneller wurde, bis ich den Bewegungen meiner eigenen Hände kaum noch mit dem Blick folgen konnte, machte ich vorsichtig einige Schritte nach hinten, dass ich fast an der hohen Tafel stand. Blitzschnell bewegte ich eine Hand mit der Fackel nach hinten und entzündete sie an einem Kerzenhalter, der dort auf dem Tisch stand. Unter den Zuschauern kam es zu verwunderten Ausrufen, als sie es bemerkten. Eh sie sich versahen, waren auch schon die beiden verbliebenen Fackeln auf dieselbe Weise entfacht worden. Man sah es mir nicht an, doch ab jetzt begann der Teil, vor dem ich wirklich Angst hatte. Jeder kennt das Sprichwort, dass man nicht mit Feuer spielen soll. Ich tat es trotzdem. Ich hatte es oft geübt und mich dabei beinahe ebenso oft verletzt. Inzwischen müsste es mir eigentlich fehlerfrei gelingen, doch ein Risiko bestand immer. Der Schweiß stand mir auf der Stirn und noch immer schmerzte meine Schulter. Die ganze Zeit, da ich die Fackeln jonglierte, redete ich mit den Leuten. Obwohl, eigentlich hielt ich eher einen Monolog und sie lachten und applaudierten, wann immer sie es für angemessen hielten. "Also, allmählich werden mir die Arme schwer. Vielleicht könnte sich einer von ihnen erbarmen, Lords, und mir die Fackeln für einen Augenblick abnehmen? Sie vielleicht?“ Ich sah einen der Freunde des Grafen an und ehe er sich versah, tat ich so, als würde ich eine Fackel in seine Richtung werfen. Er zuckte zusammen, doch schnell fing ich die Fackel wieder aus der Luft und setzte meine Darbietung fort. „Dann behalte ich sie wohl doch besser. Zu schade. Aber es kann ja nicht jeder meinen Mut haben. Nun haben Sie die einmalige Chance vertan, vor der jungen Dame neben Ihnen ein wenig anzugeben. Das ist aber nicht Ihre Tochter, oder?“ Spöttisches Gelächter zollte mir Lob und der Mann wurde ganz rot im Gesicht vor Wut oder Scham. Oder beidem. Allmählich wurde es Zeit für das große Finale. Die Stimmung in der Halle war ausgelassen und ich konzentrierte mich mit aller Kraft auf jede Bewegung. Es fing damit an, dass ich die Fackeln plötzlich nur noch mit je einer Hand in die Luft wirbelte. Zwei in der rechten, eine in der linken. Es musste sehr lustig aussehen, aber es war wirklich keine Leichtigkeit. Einen Moment lang wartete ich den Applaus ab, dann warf ich auch noch die letzte Fackel aus der linken Hand. Sie drehte sich ein paar Mal hoch über meinem Kopf und alle Augen waren nur auf die Fackel gerichtet. Ich nutzte diesen kurzen Moment und griff nach dem Trinkpokal meines Grafen. Als die Fackel wieder herunterkam und ich mit beiden Händen wieder das Jonglieren aufnahm, kreiste auch der goldene Becher mit den Fackeln zwischen meinen Händen hin und her. Einmal tat ich so, als würde meine Hand den Pokal verfehlen. Man konnte sehen, wie die Menschen den Atem anhielten, dann aber erleichtert aufatmeten, als ich ihn doch noch wieder auffing. Und in manchen Gesichtern glaubte ich plötzlich so etwas wie eine stille Achtung für mein Können zu sehen. Zum Abschluss warf ich dann alle Fackeln in die Luft und fing sie nacheinander mit der rechten Hand auf. In der linken hielt ich den Kelch, denn ich dann unter einer Verbeugung meinem Herrn hinhielt. „Wie Ihr seht, kein Tropfen wurde verschüttet. Ihr erhaltet ihn genauso voll zurück, wie ich ihn mir nahm.“ Misstrauisch musterte er mich. Kein Wunder, denn ich grinste bis über beide Ohren. Er streckte die Hand gerade nach seinem Trinkgefäß aus, da zog ich meine zurück, setzte den Pokal an die Lippen und leerte ihn mit einem Schluck. „Oh, doch nicht. Ich habe mich vertan, Mylord.“ „Wohlan, Gaukler, das war eine hervorragende Vorstellung. Ich bin...“ Doch er kam nicht dazu seinen Satz zu beenden, denn plötzlich erschien ein Soldat an der Tür zur Halle und rief mit lauter Stimme nach dem Grafen. Ungehalten winkte der den Soldaten näher. „Was gibt es Wichtigeres als meinen Befehl, dieses Fest nicht zu stören? Waren meine Worte nicht deutlich genug?“ Der zurechtgewiesene Soldat schluckte sichtlich, aber irgendwoher nahm er den Mut, seinem Herrn zu antworten. „Die Stadt... Die Stadt, Mylord, sie steht in Flammen. Es ist furchtbar. Es verbreitet sich so schnell. Und die Stadtbewohner... sie... wenn Lord Finley Morgen erneut angreift, wollen sie ihm freiwillig das Stadttor öffnen.“ Mit steinharter Miene hörte mein Herr dem Mann zu. Sein Gesicht zeigte keinerlei Gefühle und ich wusste nicht, was in diesem Moment wohl in ihm vorging. Er sagte nichts und nach einer Minute des Schweigens begann der Soldat sich unruhig zu regen. „Und was sollen wir jetzt machen, Sire?“ „Was wohl?“, brummte der Graf verstimmt. „Ihr werdet sämtliche Bewaffneten aus der Stadt zurückziehen und hier sammeln. Selbst wenn sie Finley das Stadttor öffnen, diese Burg wird er niemals einnehmen. Nicht solange ich hier bin!“ „Aber... Herr, wir können Finley unmöglich standhalten. Seine Armee...“ „Niemals wird diese Festung fallen!“, fiel er dem Soldaten ins Wort. „Seit Generationen konnten meine Vorfahren sie gegen jede Gefahr von außen verteidigen.“ Ich lächelte bitter, als mein Herr dies sagte. Mein Blick glitt hinüber zu Lady Theresa, die noch kein Wort gesprochen hatte, obwohl es hierbei um ihren Vater ging. Nein, der Graf hatte Unrecht. Sie wurden nicht von einer Gefahr von außen bedroht. Die Gefahr kam von innen. Sie kam von ihm selbst. Mit Theresas Entführung hatte er es provoziert. „Wir können immer noch auf Finleys Forderung eingehen, Herr. Außer seiner Tochter verlangt es ihm nach nichts.“ Noch immer versuchte der Soldat den Grafen zur Vernunft zu bringen. Ich fing an, seinen Mut zu bewundern. Obgleich ich wusste, dass er sinnlos war und nichts ändern würde. „Still jetzt! Ich habe genug!“ Und an zwei andere Soldaten gewandt, die über die Gesellschaft in der Halle wachten, befahl er: „Schafft ihn mir aus den Augen!“ Während die Männer ihren Kameraden aus der Halle führten, eilte ein Diener herbei und füllte den Trinkbecher des Grafen wieder mit Wein, dem er auch sofort zusprach. Aber er linderte seine Wut kaum. „Wo bleibt die Harfe des Narren?“, brüllte er in die Reihe der Diener, die zurückgezogen am Ende der Halle standen. „Ich brauche jetzt Ablenkung.“ Das war der Moment, in dem mir der Gedanke kam. Er war urplötzlich da und ich konnte an nichts anderes mehr denken als daran, dass es einfach gelingen musste. Meine Harfe wurde herbeigetragen und liebevoll strich ich über den Rahmen. „Meinem Herrn verlangte es nach einer lustigen Erzählung, doch mir ist soeben noch eine Geschichte eingefallen, die besser ist als alles, was ihr bisher von mir gehört habt.“ Mit einem leichten Stirnrunzeln sah er mich an, aber wirklich abgeneigt wirkte er nicht. „Handelt sie vielleicht von der Liebe?“, fragte er und wandte für einen Augenblick den Kopf, um Theresa anzusehen, die seinen Blick jedoch nicht erwiderte. „Oh ja“, bestätigte ich ihm. „Und von gewaltigen Schlachten, von Ehre und Ruhm, von Tod und Unsterblichkeit, von richtigen und falschen Entscheidungen.“ „Hm, das klingt nach einer guten Geschichte. Du darfst anfangen.“ Ich lächelte und schlug die Saiten meiner Harfe an, um die Erzählung noch wirkungsvoller zu machen. „Dann hört alle her. Eine Geschichte, gewidmet unserer bildhübschen Lady Theresa, die so schön ist, wie man es auch von Helena sagt, von deren Leben ich euch jetzt berichten will. Hört her, wenn ich von ihr und dem jungem Paris erzähle, der sie liebte. Hört her, wenn ich euch erzähle, wie Troja fiel.“ Ich stand wieder oben auf den Zinnen der Burg, doch ich schaute dieses Mal nicht hinunter auf die Stadt. Meine Aufmerksamkeit galt dem Burghof, wo sich viele Menschen versammelt hatten. Stadtbewohner, Adelige, Soldaten, die Dienerschaft. Und ihre Aufmerksamkeit widerrum galt einem einzigen Mann, der im Staub der Hofes auf dem Boden kniete. Es bereitet mir eine innere Genugtuung zu sehen, wie mein Herr auf dem Boden rutschte und sich in demütigender Weise bei Lord Finley dafür entschuldigte, dass er dessen Tochter Theresa entführt hatte. Finley war ein guter Mensch. Mehr als diese Entschuldigung würde er von dem Grafen nicht verlangen. Damit war diese Geschichte für ihn vergessen. Es brachte mich zum Lächeln, als ich sah, wie er Theresa überglücklich in seine Arme zog und sie die Umarmung ebenso liebevoll erwiderte. Als Lord Finley und seine Soldaten die Burg verließen, lag mein Herr immer noch im Staub und wagte es nicht, aufzusehen, aber nun verloren die Beobachter das Interesse daran. Die Menge zerstreute sich. Es gab genug Arbeit zu verrichten. Eine Stadt musste neu errichtet werden. Es war schlimm, was geschehen war, doch wie viel schlimmerer hätte es noch enden können? Den Menschen gab das Hoffnung. Bald würden sie wieder ihren gewohnten Alltag leben. Ob es für mich noch eine Möglichkeit gab, zu helfen? Schwere Arbeiten konnte ich nicht verrichten. Versonnen rieb ich meine Schulter, doch dann hielt ich mitten in der Bewegung inne und lächelte. Sie schmerzte gar nicht mehr. Ich bin nur ein Krüppel, bin nur ein Gaukler, nur ein Hofnarr, nur ein Barde, vielleicht der unbedeutendste Diener, bin weder Bruder noch Freund der Großen, doch manchmal... nur manchmal... wenn meine Worte Gehör finden... kann ich die Welt aus den Angeln heben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)