Patient X von Seraphin ================================================================================ Kapitel 13: Täter und Opfer --------------------------- Kapitel 13: Täter und Opfer Hermine saß mit Voldemort zusammen auf seinem Bett. Er mit verschränkten Beinen am Fußende, sie auf den Knien hockend am Kopfende. Seitlich neben dem Bett schwebte eine Plastikschale mit frischen, rubinroten Erdbeeren, die den ganzen Raum mit einem leicht süßlichen Duft erfüllten. In Hermines pädagogischen Bemühungen, etwas Sinn in Voldemorts Tagestrott zu bringen, hatte sie diese Woche begonnen mit ihm Spiele zu spielen. Kartenspiele oder Würfelspiele. Zuerst nicht sonderlich begeistert, hatte ihr Patient dann doch zugestimmt. Die erdrückende Langeweile seiner letzten Tage hatten ihn wohl dazu gebracht. Wenn gleich er wohl lieber Schach gespielt hätte, ein Spiel, das Hermine noch nie gut beherrschte. Doch er hatte ihr angeboten, ihr auch das richtig beizubringen, wenn sie ein Brett mitnehmen würde … und irgendetwas mussten sie ja tun. Eigentlich hätte sie auch gerne Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt, doch wenn sie nur daran dachte, mit WEM sie dies spielen sollte, verbot sich diese Idee eigentlich von selbst. Sie hatten den Unterricht vor zwei Wochen abgesetzt. In der Zeit, in der er ihr Dinge beibringen konnte, wirkte er recht gelassen, war umgänglicher. Sie hatte doch Recht gehabt, er brauchte eine Aufgabe … etwas, das ihn mehr fesselte als Hüte-Stricken. Da er und sein Gedankengut aber dadurch immer mehr in Hermines Denken Einzug gehalten hatten, ließ sich das brünette Mädchen nun andere Ablenkungen einfallen, und bis etwas wirklich Sinnvolles dabei heraus käme, würden sie eben spielen. War er zu Anfang von dieser Idee alles andere als begeistert, ja regelrecht wütend gewesen, hatte schließlich doch eingewilligt nachdem er von Hermine frei heraus gefragt worden war, ob er denn für diesen Tag etwas Besseres geplant hätte, oder eventuell anderen Besuch erwarte? Einen Moment lang war Hermine sicher gewesen, dass er sie für diese knappe Zusammenfassung seiner Situation verprügeln würde, doch statt dessen hatte er sich mit zorniger Miene neben sie an den Tisch gesetzt, sie den ganzen Nachmittag über hasserfüllt angeschwiegen, letzten Endes aber doch mitgespielt. Heute spielten sie um Erdbeeren, die Hermine vor der Arbeit gekauft hatte. Pro gewonnenes Spiel durfte man sich fünf Erdbeeren nehmen. Nachdem Voldemort fünfmal hintereinander beim Kartenspielen gewonnen hatte, wechselte Hermine das Spiel. Allzu offensichtlich schummelte er gnadenlos. Wie auch immer er das anstellte. Nun würfelten sie. Jeder insgesamt 20 Mal … 19-mal hatten sie bereits beide gewürfelt. Nun herrschte Gleichstand. Hermine würfelte auf allen fünf Würfeln die Zahl Sechs. Toll, nicht? Nun war er dran … und würfelte fünfmal die Sieben. SIEBEN? „Hey, Moment mal“, setzte Hermine ärgerlich zum Protest an, doch dann hob er den Kopf, vor Hermine erschien eines der unschuldigsten Lächeln, die sie je gesehen hatte und Hermine lächelte zurück. Ja, an manchen Tagen mochte sie ihn fast. Wozu war sie denn eine Hexe? Hermine tastete nach dem Zauberstab, den sie vorsichtig in ihrem Ärmel versteckt hielt, da, wo er ihn nicht sehen konnte, und würfelte … fünfmal die Neun. Zufrieden glucksend griff Hermine nach der Schale mit den restlichen Erdbeeren und sprang vom Bett, um die Würfel wieder in ihre Perlentasche zu räumen. Er hingegen schnappte leise grummelnd nach der Sondenflasche neben ihm. Diese Woche, heute war Montag, gab es wohl eine neue Sorte. Sonst immer Schokolade, heute Vanille. Nicht wirklich eines Lords würdig, aber da Hermine nun über die restlichen Erdbeeren gesiegt hatte und er noch Hunger verspürte, musste er sich wohl oder übel damit zufrieden geben. Voldemort setzte zu einem tiefen Zug an und leerte die Sondenflasche zu drei Vierteln, um sie danach wieder auf den Schiebewagen neben seinem Bett zu stellen. Die langen Beine zum Schneidersitzt verknotet, mit dem Rücken zum Fußende sitzend, begann er, kurz danach leicht zu wanken. Die plötzlich zitternden Hände glitten über sein Gesicht, als würde er versuchen, etwas von seiner Haut abzuwischen, immer und immer wieder, während er sich ungelenk vor und zurück wiegte und kalter Schweiß seine blasse Haut glänzen ließ. Unsicher, was zu tun war, blieb Hermine vor dem nur in Unterwäsche gekleideten Mann stehen und beobachtete sein sonderbares Verhalten. „Ist alles okay?“ Besorgt fielen ihr die immer glasiger werdenden Augen und der leicht entrückte Gesichtsausdruck ihres Patienten auf. „Was ist denn los?“, fragte Hermine, während sie sah, wie der immer stärker wankende Mann eine Hand aus dem Gesicht nehmen musste, um sich nach vorne abzustützen. Die andere Hand tastete immer noch über Hinterkopf, Ohren, Augen, Lippen und Restnase … „Mir … so komisch …“, gurgelte er, während die Augen sich nach oben verdrehten und bevor sie ihn auffangen konnte, kippte er nun ganz vornüber auf sein Kopfkissen. Jedoch nicht bewusstlos, denn er schaffte es noch, sich vom Bauch auf die Seite zu legen und die Beine zur Embryostellung an die Brust zu ziehen. „Tom …? “ Sie war unsicher ihn so anzusprechen, eigentlich hatte sie ihn bisher überhaupt nie mit irgendeinem seiner vielen Namen angesprochen, immer nur du oder Sie. Doch das war gleichgültig, denn er schien nichts zu hören, oder überhaupt etwas um sich herum wahrzunehmen. Schwer atmend, rutschte er tiefer in das Kopfkissen hinein. Besorgt setzte sich Hermine wieder an die Bettkante, unsicher, was zu tun war, begann sie, ihn mit ausgestreckten Armen vorsichtig zu schütteln „Hörst du mich?“ Langsam, wie ihn Trance, drehte er den Kopf in ihre Richtung, schien sie jedoch gar nicht anzusehen. Die senkrechten Pupillen, dünn wie Messerspitzen, huschten im Rot der Augen so wild umher, als wollen sie tanzen. Irgendetwas murmelte er, ganz leise … um ihn besser verstehen zu können, hob Hermine den buschigen braunen Haarschopf zum Zopf nach hinten und beugte sich weit über sein Gesicht, bis ihre Ohren fast seine Lippen berührten und die warme Brise seines nun schweren Atems ihr in der Ohrmuschel kitzelten. „Müde, will schlafen“ war alles, was sie hörte. Was war denn das jetzt schon wieder? Eher verwirrt als besorgt richtete sich Hermine wieder auf und glitt vom Bett herab. Eben noch klar und wach, konnte er doch nicht so einfach umkippen. Was war denn eben … kurz bevor er … Ihr Blick fiel auf die Sondenflasche. Die Sondenflasche mit der neuen Geschmacksrichtung Vanille, die ihr Helen wohl für diese Woche ins Regal gestellt hatte. Hermine zückte den Zauberstab, vorsichtig abwägend was zu tun sei, schlich sie sich an die Vanillenahrung heran. Sie musste die Flasche nur kurz mit dem Zauberstab antippen, als sich ihre Vermutung schon in Gewissheit verwandelte. Die dickflüssige Brühe in der durchsichtigen Flasche begann, Blasen zu werfen, die eine Art Pulver nach oben drückten. Die beiden Substanzen trennten sich und über der unten nach wie vor elfenbeinfarbenen Sondennahrung bildete sich eine dünne Schicht, die entfernt an bräunlichen Puderzucker erinnerte. Also doch … Hermine nahm die Flasche und begab sich zur Tür. Hatte die Flasche eigentlich geknackt, als sie geöffnet wurde, oder hatte dies schon jemand vor ihr getan, um ein Gift einzufüllen? Nun, irgendetwas hatte irgendjemand eingefüllt, das war offensichtlich. An der Tür drehte sich Hermine noch einmal vorsichtig um, und blickte auf ihren immer noch schwer atmenden Schützling, der dort mit halbgeschlossenen Augen auf dem Bett lag. Seine Hände immer wieder zu Fäusten ballte, um sie dann wieder entspannt zu öffnen, als würde er in seiner Handinnenfläche etwas suchen … Sie würde ihn so lassen, so gut konnte er nicht schauspielern, dass er ihr dies alles nur vorgaukelte. Mit dem Entschluss, gleich wieder zurückzukommen, ließ sie ihren Patienten ungebannt im Bett zurück, während sie sich von den Auroren die Tür öffnen ließ und hinaus eilte, hinaus zu Helen … die ihr doch jede Woche den Schrank im Keller füllen ließ. Helen leitete die Fluchschädenstation. Eigentlich war Voldemort, nachdem sein eigener Fluch bei der Schlacht auf ihn zurückprallt war, in diese Abteilung eingewiesen worden. Da man ihn aber aus verständlichen Gründen mit keinem seiner Opfer in ein Zimmer legen wollte, es gefährlich schien, ihn überhaupt ohne zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen aufzunehmen und das Ministerium sein Überleben noch eine Weile geheim halten wollte, war er in die ehemalige Forensik im Keller gebracht worden. Aber offiziell, wenn dies bei all den Heimlichkeiten um seine Person überhaupt der richtige Ausdruck war, gehörte er nach wie vor zu Helens Abteilung, die Pflege und Pflegematerialien für ihn organisierte. Folglich, so dachte Hermine, müsste sie die Flasche auch Helen zeigen … und zu Claris würde sie eh nie wieder gehen, wenn sie ein Problem hatte. Sie fand Helen im Schwesternlabor, wo sie gerade fröhlich pfeifend damit beschäftigt war, neue Heilzaubertränke für ihre Patienten zusammen zu mixen. Unwillkürlich spürte Hermine den Drang, Helen nach ihrem Zaubertrankunterricht in der Schule zu fragen. Wer wohl vor Snape unterrichtet hatte? Helen war eine Hufflepuff gewesen, soviel wusste sie. Aber vom Alter her dürfte sie Snape als Schüler gekannt haben ... Hermine kam mit ausgestrecktem Arm, ihr Beweismaterial vor sich her schwenkend, in das Labor gerauscht, unsicher, ob sie nun wütend oder besorgt sein sollte. Die blonde Krankenschwester blickte überrascht von ihrer Arbeit auf, als sie Hermine kommen sah, doch als ihr Blick auf die Sondennahrung in Hermines Hand fiel, nickte sie der Jüngeren mit einem verschwörerischen, wissenden Lächeln zu. Helen beugte ging zu ihr hinüber und knuffte sie kumpelhaft mit dem Ellenbogen in die Seite. Hermine wusste nicht recht, was dies zu bedeuten hatte, als sich Helen mit einem geheimnisvollen Lächeln um die Lippen zu ihr hinüberbeugte, und ihr sanft „Sedativa. Hammerharte“ ins Ohr hauchte. Sie war so nahe an ihrem Gesicht, dass Hermine all die kleinen Fältchen der Jahre um Helens blaue Augen erkennen konnte und ihren Atem warm auf ihrer Stirn spürte, als sie sich zu ihr umwandte. Helen schürzte die Lippen und legte Hermine einen ihrer überraschend zarten, Zeigefinger auf die Lippen und wisperte „Psst, nicht weitersagen. Meine Überraschung für dich. Ich habe das Zeug heute Morgen in die Sondenflaschen füllen lassen. Hat er es getrunken? Damit ist er bis morgen früh außer Gefecht gesetzt. Gut, nicht?“ Helen strahlte über das ganze Gesicht und ein glockenhelles, fröhliches Kleinmädchenlachen drang aus ihren Mund. Ihr Gesicht wurde von einem sanften Rot überzogen, sie zog die Schultern hoch, faltete die Hände voller Erwartung vor der Brust und wirkte wie ein Kind, dass seine Mutter eben mit einem selbst gemalten Bild überrascht hat und nun ein freudiges Kompliment erwartet. „Äh…Dankeschön“, hörte sich die verwirrte Hermine selbst aus weiter Ferne antworten. Helen kicherte glücklich und widmete sich wieder ihren Zaubertränken, während sie nun mit bedeutungsvoller Miene ihre Überraschung erörterte. „Weißt du, ich hab mir einfach Sorgen um dich gemacht. Du allein mit ihm … als er die ganze Zeit so teilnahmslos war, da ging das ja noch an. Aber jetzt ist er ja schon so lange wach und weißt du“, Helen, in der einen Hand eine Phiole, in der anderen Hand eine Pipette, richtete sich für kurze Zeit auf, um Hermine ehrlich besorgt in die braunen Augen zu blicken, „Ich habe so viele Sachen über ihn gehört." Schnell beugte sie sich wieder über den Tisch vor ihr und begann, eine bläuliche Substanz aus einer größeren Phiole, in eine noch leere, kleinere Phiole hineinzutröpfeln. Danach fügte sie, ohne Pipette, einige Spritzer einer grünlichen Flüssigkeit hinzu, und schaffte es, wieder unbefangener zu klingen. „Du kannst ihm das jeden Tag geben, wenn du magst, hab die Menge abgemessen. Ich kann dir gleich noch ein paar Flaschen mitgeben. Darf natürlich nicht aus dem Krankenhaus raus, und“, mit einem schalkhaft Giggelnd fügte Helen mit erhobenem Zeigefinger hinzu, „du darfst es natürlich auch nicht selbst probieren. Aber ihm kannst du´s geben. Soll ich dir ein paar Flaschen bringen?“ „Ja, gerne“, versuchte Hermine ehrlich begeistert zu klingen. „Aber ist das nicht irgendwie gefährlich für ihn? Was ist es denn?“ „Morphium“, wusste Helen stolz zu berichten, zuckte fröhlich summend die Schultern, als sie die nun zugeschraubte Phiole wie eine Bartenderin herumschüttelte. „Ach was“, wiegelte sie daraufhin mit wegwerfender Handbewegung ab, “dem geht´s gut, der ist nur total high. Tss, das wir da noch nicht früher drauf gekommen sind“, fügte die freundliche Stationsleiterin lächelnd, doch ungläubig über die eigene Ideenarmut kopfschüttelnd, hinzu. Mit gequältem Grinsen nahm Hermine fünf weitere Flaschen in Empfang, die ihr Helen in den Arm drückte. „Ich gehe heute schon um vierzehn Uhr. Gehen wir danach zusammen Pizza essen?“, flötete die so gut wie selten gelaunte, blonde Frau. Hermine nickte unsicher und fand einfach keine Worte für das, was in ihrem Kopf vor sich ging. Helen strahlte „Schön, ich freu mich. Bis gleich." Wie die Bedienung eines Restaurants hob Helen ein großes Tablett auf dem Arm in die Höhe, auf das sie die soeben gefüllte, begleitet von etwa 50 anderen mit Namen beschrifteten Phiolen, schweben ließ, drehte sich zur Tür und entschwand mit einem letzten Winken aus Hermines Blickfeld. Diese blieb unsicher zurück. Wann war denn vierzehn Uhr? Ein kurzer Blick zu einem Ticken hinüber … in einer halben Stunde. Schnell, ohne weiter nachzudenken, eilte Hermine wieder in den Keller zurück. Als sie erneut in Voldemorts Zimmer stand, fühlte sie sich hohl und leer. Helen hatte ihr einen Gefallen getan, sie hatte sich um sie gesorgt, war nett zu ihr. Sie würden nun gleich zusammen Essen gehen. So schnell sie konnte, nahm sie die Packliste vom Wagen, kontrollierte wie jeden Tag, ob noch alles auf dem Wagen war, was sie morgens mitgenommen hatte und hakte sorgfältig alles ab. Doch immer wieder glitt ihr Blick zu ihrem Patienten der, im Drogenrausch gefangen, nur ab und zu ein leises Stöhnen von sich gab und die Umgebung um sich herum nicht im Mindesten beachtete. Nachdem sie fertig war, trat sie mit erhobenem Zauberstab an sein Bett, sie würde ihn jetzt wieder festbannen müssen … Bis zum nächsten Morgen außer Gefecht gesetzt … Helens Worte klangen seltsam bedrohlich in ihrem Kopf nach. Er sprach etwas. Ganz leise … zwischen dem lautem, rasselndem Atmen und dem tierisch wirkenden Stöhnen, hörte sie Worte hindurch. Zaubersprüche … seine Hand schien nach dem Zauberstab, der ihm so lange zur Selbstverständlichkeit geworden war, zu tasten. Leise und sanft klangen die Zaubersprüche. Sie kannte sie nicht … vielleicht waren auch sie ein Resultat der Drogen, die man ihm gab. Nur ein Hirngespinst, aber trotzdem … daran dachte er wohl im Moment. Hermine wollte ihm eine Ohrfeige geben, um ihn etwas wacher zu bekommen, wollte ihn aufwecken, damit er sah, dass sie nun wegging. Doch ihre Hände trafen nicht hart, sondern vorsichtig und sanft auf sein Gesicht, als sie ihm, ohne es zu wollen, mit dem Rücken ihrer eigenen, kleinen Hand zum Abschied über die Wange streichelte … und dann ging sie. Ohne Banne … bis zum nächsten Morgen. Die Szenerie änderte sich gänzlich. Statt kalt, eingesperrt, dunkel und still, saßen sie nun in einem sonnendurchfluteten, grünen Hinterhof einer gut besuchten Pizzeria, hatten zwei unanständig große, an Autoreifen erinnernde Pizzen vor sich, die so verführerisch dufteten, dass sie wohl selbst den Passanten am anderen Ende der Straße das Wasser im Mund zusammen laufen ließen. Und sie schmeckten sogar noch besser … Genussvoll schaufelte sich Helen ein abgeschnittenes Stück Pizza nach dem anderen in den Mund, hielt nur kurz freudestrahlend an, um etwas Kürbissaft nachzugießen, dann konnte sie sich nicht mehr zurückhalten und stürzte sich erneut auf ihr Mittagessen. Auch Hermine schmeckte es gut, doch war der Anblick der freundlichen Helen befremdlich, wenn sie an ihren Patienten im Krankenhaus dachte. Was für ein Geschenk hatte Helen ihr da gemacht? Es war sehr gut gemeint, aber Hermine konnte sich trotzdem nicht zu aufrichtiger Freude durchringen. Langsam aß sie, Bissen für Bissen, während sie an ihr „Kind“ dachte, das dort im Keller lag und sich von Sandwiches, Obst und vergifteten Tränken ernähren musste. Nachdem Helen ihr Mahl beendet hatte, verschämt aufstoßen musste, ließ sie sich genüsslich auf ihrem Stuhl nach hinten sinken, den Kopf über die Stuhllehne zurückfallen und sog das Sonnenlicht, das ihr direkt ins Gesicht strahlte, in sich auf. Sie breitete die Arme aus, legte sie in den Nacken, sodass sie sich noch etwas weiter nach hinten zurückbeugen konnte. Hermine aß still, stumm und kerzengerade weiter, denn das Sonnenlicht, das Helen aufwärmte, spürte sie nicht. Doch dann ließ sich Helen nach vorne fallen, als wäre sie von hinten angeschubst worden, kippte ihr ganzer Oberkörper auf den Tisch und musste mit den Ellenbogen abgestützt werden. „Lass uns reden“, sagte die Ältere, nun ernster, ohne die Hermine sonst so vertraut gewordenen Lachfältchen um die Augen, „über ihn. Du bist doch mit Harry Potter befreundet? Ich habe von dir in der Zeitung gelesen. Es muss doch seltsam sein, dass ausgerechnet du ihn nun pflegen musst?“ Hermine nickte zustimmend, ein Nicken, das von Helen erwidert wurde, als sie tief Luft holte und weitersprach. „Ihr habt ihn gejagt, nicht?“ Hermine errötete etwas bei dem Gedanken, dass sie aus Tagesprophetenberichten erkannt wurde, aber sie nickte und ein scheues Lächeln huschte über ihr Gesicht. Helen lächelte nicht, sie wirkte nun seltsam angespannt. Die Spannung war nicht nur in Helen, sondern auch um sie herum, die ganze Luft schien elektrisch aufgeladen zu sein, bei dem, was Helen nun sagen wollte. Ein Thema, das ihr unendlich schwer zu fallen schien, sie erst nach den richtigen Worten suchen ließ. „Er hat mich gefoltert, weißt du?“, brach es plötzlich aus ihr heraus. Hermine zuckte erschrocken zusammen, sie hatte mit vielen gerechnet, aber nicht damit. „Er? Aber … warum, wann … wie?“, stammelte die Jüngere betroffen, unfähig diese Nachricht richtig annehmen zu können. Helens Kopf senkte sich, ihre Augen ruhten auf den vor ihr auf dem Tisch liegenden, gefalteten Händen. „Mein Mann …“ und sie musste schlucken, bevor sie weitersprechen konnte „ist … war … er war der Sekretär des Ministers, ausgezeichneter Okklumens, leider. Die Todesser nahmen ihn eines Tages nach der Arbeit einfach mit, er sollte ihnen wohl einen Weg zum Minister verraten. Aber … er wollte nicht reden. Er wollte Lord Vo … nun, Du-weißt-schon-wem nicht dabei helfen, an die Macht zu kommen. Er hat wohl gedacht, sein Tod sei ein kleineres Übel als der Tod all derer, die sterben würden, wenn Du-Weißt-schon-wer an die Macht käme." Hermine war zutiefst bestürzt und ergriff Helens Hand, die sie sacht streichelte, während Helen gequält weitersprach, ihr jedes Wort auf der Zunge zu schmerzen schien, das sie aussprechen musste. „Aber er hat ihn nicht getötet. Nicht sofort … er hat uns gefangen nehmen lassen. Mich und“, Helen schluchzte und Hermine wusste schon zu Beginn des Satzes, der nun kam, wie die Geschichte enden würde, „unsere beiden Kinder. Der Junge sieben, das Mädchen neun. Er hat ihn zusehen lassen, wie wir gefoltert wurden. Mein Mann, war ein guter Mann, er hat es nicht ertragen zuzusehen, wie die Kinder und ich Schmerzen litten. Er hat ihm dann ziemlich schnell alles gesagt, was er wissen wollte“. Helen schluchzte dankbar, dass Hermine ihre Hand streichelte, wischte sie sich mit ihrer freien Hand die Tränen aus dem Gesicht, „aber er war wütend. Du-weißt-schon-wer. Mein Mann wusste wohl nicht genug und das Verhör hat ihm wohl auch zu lange gedauert. Er hat nicht geschrien, weißt du, er hat sehr vernünftig und sanft gesprochen und dabei ganz grauenvolle Sachen gesagt“. Wie gut Hermine verstehen konnte, wie bekannt ihr das alles vorkam. Sie stand auf, setzte sich nun direkt neben Helen und legte tröstend ihren Arm um die zitternde Frau, die sich mit aller Kraft dazu zwingen musste, weiterzusprechen. „Er hatte diese Schlange … Nagini hieß sie, glaube ich. Er war wütend, weil mein Mann nicht so nützlich war, wie er gehofft hatte, also hat er ihm zur Strafe gezeigt“ Helen kniff die Augen zusammen und holte tief Luft „wie unsere beiden Kinder von der Schlange gefressen wurden. Und dann … dann hat er ihn losgeschickt, um den Minister anzulocken. Sonst würde mich die Schlange als nächstes fressen“. Helen wimmerte, gequält und so traurig, dass es Hermine kaum ertragen konnte, soviel Leid zu hören und nicht helfen zu können. „Und er hat es getan, er hat den Minister zu ihm geführt. Aber dann hat er sie beide getötet. Ein paar Auroren, die den Minister retten wollten, haben mich gefunden und gerettet, aber mein Mann war ja schon tot und den Minister haben sie dann auch nicht mehr retten können. Nur mich …“. Helen war weiß geworden, fast so weiß wie Voldemort, sie weinte nicht mehr, nur ihre Mundwinkel zuckten noch etwas, als sie unendlich bitter und böse weitersprach, während sie Hermine nun wieder fest in die Augen blickte, scheinbar zur uralten Frau geworden. „Ich war letzte Woche bei ihm. Musste etwas Blut abnehmen … und weißt du was? Er hatte keine Ahnung, wer ich bin“. Wütend schlug Helen mit der Faust auf den Tisch. „Ich war eine Woche lang in diesem Verlies. Er hat meinen Mann und meine Kinder getötet, das ist noch nicht einmal ein Dreivierteljahr her, aber er hat alles vergessen. Kannte mich nicht." Nun kreuzte die ältere Blondine die Arme so fest vor ihrer Brust, als wollte sie sich selbst ersticken. „Claris hat Recht. Claris' ältere Kinder waren übrigens Auroren, er hat sie auch getötet … Claris sagt immer, dass er so viele Menschenleben auf dem Gewissen hat, dass er keine Ahnung hat, wen er getötet hat und wen nicht. Da hat sie Recht!“ Bekräftigend nickend beendete sie ihr Geständnis und Hermine, sie nickte ebenfalls, denn sie wusste, dass die beiden Frauen Recht hatten. „Weißt du, warum wir so wenig Heiler haben?“ fragte Helen nun mit unverkennbarem Zynismus in der Stimme. Unsicher zuckte die Brünette die Achseln, was ein wütendes Augenfunkeln der Blonden zur Antwort hatte. „Weil er auch von denen zehn getötet hat. Es gab ja immer verletzte Todesser, deswegen musste er Heiler entführen. Ja, und sie mussten sterben, um nichts verraten zu können. Dumm nicht“, kommentierte die immer bitterer klingende Frau, „jetzt hat keiner Zeit für ihn, weil er unser Personal so dezimiert hat. So schnell können wir nicht genug neue einstellen, tja … Pech für ihn.“ Zu traurig, um Worte zu finden, legte Hermine erneut den Arm um Helen, beugte sich weit zu ihr hinüber, lehnte ihren eigenen, nun so schweren Kopf, an Helens warme, noch tränenfeuchte Wange und streichelte ihre Hände. Worte gab es nicht, um das auszudrücken, was Hermine nun fühlte. Die arme Helen, wie ungerecht sie über sie gedacht hatte. Und wohl auch über Claris. Immer wieder, seit ihrem ersten Tag, da hatte sie nicht verstanden, wieso sich die Krankenschwestern sich soviel Mühe gaben, den ehemaligen Dunklen Lord so zu erniedrigen. Vor allem die liebe, nette Helen … wie hatte sie das zulassen können? Sie, die die Pflege für ihn organisierte. Wie oft hatte Hermine einen Knoten im Bauch gespürt, wenn sie Voldemorts schwache Gestalt und danach Helen gesehen hatte. Aber was hatte er auch anderes verdient? Was hätte er anderes von jemandem wie Helen oder Claris erwarten dürfen? Wie konnte irgendjemand von diesen Frauen erwarten, dass sie dieses Monster, das es noch nicht einmal für Nötig hielt sich seiner Opfer zu erinnern, auch nur ansatzweise menschlich behandelten? Die Heiler, die ihn nicht besuchten, die sich nicht um ihn kümmerten … sie hatten ihre Kollegen verloren, entkamen wohl nur durch Glück ihrer eigenen Tötung. Durch IHN. Und nun … nun fielen all diese Verbrechen auf ihn zurück. Erdolcht, durch das eigene Schwert. Und er begriff es nicht einmal. Nicht nur, dass er immer noch nicht im Mindesten zu begreifen schien, dass es falsch war, Menschen zu quälen … nein, er begriff es auch nicht, weil er sich schlicht und einfach nicht daran erinnerte. Er wusste nicht, was er Helen angetan hatte, weil er sie nicht kannte. Möglicherweise hatte er in diesen Tagen noch hunderte andere Menschen gefoltert und getötet, und noch viel mehr durch seine Todesser töten lassen … nein, er konnte sie wirklich nicht mehr auseinander halten. Hermine weinte stumm mit Helen -immer noch im warmen Sonnenschein sitzend- konnte sie nicht begreifen, wie ein Mensch so kalt sein konnte. Und ihre eigenen Eltern? Als er ihr die Adresse ihrer Eltern genannt hatte … er hatte auch sie entführen, foltern und töten wollen. Wäre die Schlacht in Hogwarts nur wenige Tage später gewesen, dann wären sie wohl auch zum Abendessen seiner nun geköpften Schlange geworden. Und was tat sie? Betüddelte diese Bestie wie ein kleines Kind und umsorgte ihn. Spielte mit ihm Karten, hielt mit ihm Händchen und am allerschlimmsten, sie hatte es zugelassen, dass er sie mit seinem Unterricht, den er ihr so ausführlich gewährt hatte, in seinen bösen Geist hineinführte. Helen ergriff ihre Hand und ihre Worte drangen flehend auf Hermine ein, während sie der Jüngeren beschwörend zuflüsterte: „Nicht wahr, Hermine, du wirst nicht vergessen, wer er ist und was er getan hat?“ Hermine schüttelte den Kopf. „Nein, Helen, ich vergesse es nicht.“ „Und du wirst auch kein Mitleid mit ihm haben, egal wie sehr er jammert? Du denkst an all die Toten?“ Eisenketten zogen sich schmerzhaft eng um Hermines Brust, raubten ihr die Luft zum Atmen. „Ja, Helen, ich denke an sie“. Die blonde Frau atmete erleichtert auf, streichelte Hermines Wange und gab ihr einen sanften Kuss auf ihre Hand, die sie immer noch hielt. „Danke, Hermine. Das ist kein Mann, das ist gar kein Mensch. Das ist ein blutrünstiges Monster und du wirst dafür sorgen, dass er kriegt, was er verdient, nicht wahr?“ Die junge Brünette musste schlucken, versuchte, den bitteren Geschmack dieser Worte hinunter zu schlucken, versuchte, die ehemalige Mutter zu trösten „Ja, Helen, er soll kriegen, was er verdient hat“. Und in Hermine entbrannte wieder der nun so wohlvertraute Kampf. Er, Lord Voldemort der Massenmörder. Ihn musste man töten. Aber im täglichen Kontakt mit ihm, hatte sie den Bezug zu seinen Taten verloren. Dumbledore, Fred, Tonks, Lupin, Cedric, Snape, MadEye und unzählige andere noch. Und ihm war es so egal, dass er es nicht einmal für nötig hielt, sich seine Schandtaten zu merken. Und trotzdem, trotzdem … war denn wirklich gar nichts Menschliches in ihm übrig geblieben? Denn so, wie sie ihn täglich erlebte, da wirkte er mehr und mehr wie ein normaler Mann. War wirklich alles in ihm verdorben? War es Verrat an seinen Opfern, wenn sie ihn dazu befähigen wollte, Reue zu fühlen? Wenn sie sich mit ihm beschäftigte? Hermine gab Helen einen saften Kuss auf die Schulter, an der sie ruhte. Wenn diese Zeit hier nur endlich vorbei wäre … Xxx An diesem Tag fand Hermine Granger zum ersten Mal in ihrem Leben, dass es besser sei, nicht zu denken. So war sie nach dem Mittagessen doch noch einmal in den Krankenhauskeller zurückgeschlichen. Die Ausrede, dass sie etwas im Vorratsraum vergessen hätte, wurde ihr geglaubt. Und so fand doch noch eine von Helens Spezialflaschen ihren Weg in Hermines Zimmer, im Tropfenden Kessel. Er, das Monster, hatte die Flasche fast leer getrunken. Das war zu viel … aber vielleicht ein oder zwei Schluck? Die konnte sie probieren … und kurz darauf umfing sie ein himmlisches Nichts in ihrem Geist. Keine Gedanken, bis zum nächsten Morgen … Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)