In einer anderen Welt von ahkullerkeks (TaixOC, Koumi, Takari) ================================================================================ Kapitel 5: Nächster Tag ----------------------- Im Nachhinein war mir diese ganze Aktion doch sehr peinlich gewesen, besonders wenn ich jetzt darüber nachdachte, am Ufer sitzend, auf das glitzernde Meer schauend, den schlafenden Agumon direkt neben mir. Tai hatte sich dazu überreden lassen doch schlafen zu gehen und damit mein Terriermon nicht allzu sehr fröstelte im kalten Wind, hatte er sich zu ihm gelegt und ich war bei Agumon geblieben. Als es sich regte und ein seltsames Geräusch von sich gab, bemerkte ich, dass ich ihm unbewusst über den Kopf gestrichen hatte, wie ich es bei Terriermon getan hatte, um mich irgendwie selber zu beruhigen. Ich seufzte und legte meine Hände auf die angezogenen Knie. Der Horizont war kaum auszumachen in der Dunkelheit, die nur von den strahlenden Sternen und dem daher ziehenden Mond gebrochen wurde. Was schon seltsam genug war. Ich machte mir nicht mehr die Mühe, mich zu fragen, wieso der Mond sich bewegte, wieso der Ozean so ganz anders aussah, als der in Japan. Ich verbrachte Stunden in dieser Position. Meine Knochen hatten sich beinahe von dem Sprung und den Sturz auf Daisuke erholt und bei der Erinnerung stieg mir schon nicht immer die Schamesröte ins Gesicht. Der Horizont wurde immer heller und ich beobachtete zum ersten Mal in meinem Leben einen Sonnenaufgang. Ich musste ausgesehen haben wie ein kleines Kind, dem man einen Lutscher gab. Meine Augen waren weit geöffnet, damit ich bloß nichts verpasste, mein Mund in einer lachenden Art weit geöffnet. Bevor die Sonne über dem Meeresspiegel hing hörte ich schon einige von meinen Kumpanen gähnen, unter anderem Daisuke und Sora. Mein Blick schweifte über Koushiro’ s schlafende Gestalt, die sich den Laptop fest an die Brust drückte und den Kopf hinter Tentomon versteckte. Und Tai, nun ja, der hatte sich immer noch neben Terriermon eingerollt und lag dort wie eine dicke, faule Katze. Bei dem Gedanken musste ich beinahe lachen, doch ich konnte das glucksende Geräusch noch zurückhalten und schmunzelte dafür nur. Sora setzte sich vorsichtig auf und Biyomon half ihr gänzlich aufzustehen. Das arme pinke Digimon schwankte gefährlich in der Luft und Sora kippte, ein seltsames Geräusch ausstoßend, zur Seite, wegen ihrem verletzten Fuß. Eilig erhob ich mich, eilte zu ihr und stützte sie, indem ich ihren Ellbogen festhielt. „Danke, Moe“, meinte sie und lächelte mich an. Ich erwiderte das Lächeln. Ich wusste nicht genau wieso, doch Sora war mir ein Rätsel. Sie war mit Matt zusammen, empfand jedoch eindeutig etwas für Tai. Natürlich, das konnte jedem passieren, doch mir kam es so vor, als wüsste sie, dass Tai ihre Gefühle erwiderte, was er allem Anschein nach auch tat. Den Blick, den er Sora an dem Tag zugeworfen hatte, an dem ich die riesige Gruppe zum ersten Mal gesehen hatte, würde ich wohl niemals vergessen. Er hatte sie so sehnsüchtig und verletzt angesehen, dass ich nur bei dem Gedanken einen dicken Kloß im Hals spürte. Etwas raschelte neben mir und ich schaute über die Schulter, um dort Tai stehen zu sehen. Ein großes Grinsen im Gesicht, jedoch hellviolette Ringe unter den Augen. „Morgen“, begrüßte er Sora und mich mit hellwacher Stimme. Ich schmunzelte. „Morgen, Tai“, begrüßte Sora ihn und ihre Augen begannen zu strahlen. Ich nickte nur und strauchelte etwas unter Sora’ s Gewicht, das vollständig auf mir lastete. Nicht, dass Sora viel wiegen würde, nur war sie einige Zentimeter größer als ich und durch meine mangelnden Fähigkeiten in sportlichen Aktivitäten war ich nie ein Muskelprotz gewesen. Tai streckte Sora die Hände entgegen, sah jedoch mich an, als er sagte: „Soll ich?“ Ich nickte erneut und befreite mich aus ihrem Klammergriff. Mit unübersehbarem Leuchten in den Augen legte sie einen Arm um Tai’ s Schulter und er legte seine Hand um ihre Taille. Ich lächelte leicht, um meinen Dank auszusprechen und wollte schon an den beiden vorbeirauschen, als Tai mich am Arm griff und etwas zurückzog, so dass unsere Schultern sich von vorne leicht berührten. Ich spürte wieder Röte in mein Gesicht steigen. „Alles okay mit dir?“, fragte er leise, damit Sora ihn nicht hören konnte, was sie dennoch tat, denn aus den Augenwinkeln sah ich, wie sie misstrauisch eine Augenbraue hob. Ich lächelte und schaute Tai in diese Wow- Augen, die ich wohl Stunden anstarren könnte, wenn ich ein Recht dazu gehabt hätte. „Ja, klar. Danke…übrigens“, fügte ich verlegen hinzu und spürte mein Gesicht noch wärmer werden. Mit seiner freien Hand winkte er ab. „Nichts zu danken. Hab ich gern gemacht.“ Und durch das Funkeln in seinen Augen wusste ich, dass er die Wahrheit sagte. Unaufhaltsam schlich sich ein Lächeln auf meine Lippen. Tai’ s Mundwinkel hoben sich ebenfalls zu einem der niedlichsten Lächeln, die ich in meinem ganzen Leben je gesehen hatte. Ich spürte meine Beine schmelzen und das ganze Blut in mein Gesicht fließen. Durch ein Hüsteln wurde unser überaus…intensiver…Blickkontakt gebrochen und ich starrte verlegen auf meine Hände. Nach einer Weile hob ich meinen Blick wieder zu Tai, nur um zu sehen, wie er mich anschaute, ein belustigter Ausdruck in den Augen. „Ich…“, fing ich an, wurde jedoch von Koushiro’ s hohen Freudenschrei unterbrochen. Erschrocken wandte ich mich ihm zu und sah aus dem Augenwinkel wie Tai, mit Sora im Arm, den Kopf nach hinten neigte, um Koushiro auch ansehen zu können. Die strahlenden Augen des Computergenies sahen alle von seinen Mitleidigen, den Namen würde wohl auch nur ich uns allen zuordnen, einmal an und schaute dann wieder auf den Bildschirm seines Laptops. Ich spürte, wie sich etwas Warmes, Weiches an mein Bein schmiegte. Mein Blick huschte hinunter und ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen, als ich Terriermon’ s grinsendes Gesichtchen sah. „Was?“, warf Tai in die Stille hinein, sichtlich verwirrt. „Was denn, Koushiro?“ Hastig hievte der kleine rotbrünette Junge den Laptop in seine Arme und kam damit zu Tai, Sora und mir geeilt. „Schau dir das an“, sagte er aufgeregt und drehte den Bildschirm so, dass ich auch etwas erkennen konnte. Der Hintergrund war komplett schwarz und aus dem schwarz ragte ein helles Gesicht umrandet von zuckerwatteartigen, rosafarbigen Haaren. Daneben stand eine Nachricht. ‚Numero Uno.’ Irritiert sah ich hoch, in die immer noch strahlenden Augen Koushiro’ s. Ich hatte absolut keine Ahnung, was diese Nachricht bedeuten sollte oder wieso er deswegen so glücklich war. Vielleicht auch einfach nur, weil er Mimi’ s Gesicht gesehen hatte. Man merkte ihm an, wie viel sie ihm bedeutete und nur der Gedanke daran, dass die beiden einfach nicht darauf kamen, was sie füreinander empfanden ließ mich lächeln. „Das bedeutet?“, hörte ich Sora’ s hohe Stimme und nahm Terriermon in meine Arme, damit es auch einmal auf die Nachricht sehen konnte. „Verwirrend“, meinte es mit gerunzelter Stirn und ich kicherte. Es konnte meine Gedanken lesen. „Koushiro?“, fragte Tai vorsichtig, so als wüsste er nicht, was er davon halten sollte. „Ah, natürlich, natürlich“, murmelte Koushiro entfernte sich einige Schritte und packte sein Laptop in den Rucksack, den er sich dann auf den Rücken schnallte. „Alles in Ordnung bei ihnen. Sie sind in der Nähe.“ Irritiert hob ich eine Augenbraue? In der Nähe. Aha. Und wie, wenn ich fragen durfte, sollten wir sie denn nun finden? Ich war überaus verwirrt und ich hatte das Gefühl nicht die einzige zu sein. „Lasst uns dann doch endlich aufbrechen!“, rief Daisuke ungeduldig, schon einige Meter weiter von uns entfernt. Ich fragte mich, wann er wohl so weit gekommen war. Er und sein V-mon fuchtelten wild mit den Armen und spornten uns an, uns doch endlich zu bewegen, damit wir auch mal weiterkamen und den anderen entgegenlaufen konnten. Unbewusst ließ ich meinen Blick zu Tai fahren und wir tauschten einen verwirrten Blick aus. „Kannst du gehen?“, fragte er und schaute nun Sora an, die leicht schmollend in seinen Armen hing. Aufgrund meiner guten Manieren konnte ich mir das Grinsen verkneifen, bis ich das Gesicht abgewandt hatte und mit Terriermon auf dem Arm Daisuke und Koushiro hinterherlief. Hinter mir hörte ich Agumon und Tai munter plaudern, so als hätte Tai nicht noch ein zusätzliches Gewicht zu tragen und ich hörte das leise Rascheln Sora’ s und Biyomon’ s flüsternder Stimmen, so als wollten sie etwas vor allen geheim halten. Ich hatte das Gefühl, dass Geheimnisse in dieser Welt nicht besonders hilfreich waren, wobei ich das eigentlich auch nicht wissen konnte, da ich erst seit einem Tag hier drin steckte und schon um meine Eltern geweint hatte wie ein vierjähriges, kleines Kind. „Freust du dich gar nicht hier zu sein?“, hörte ich die zarte Stimme meines Terriermon’ s fragen und ich schaute überrascht hinunter. Es sah mich mit großen, traurigen Augen an und ich lächelte, wie ich hoffte, beruhigend und strich ihm locker mit einer Hand über den Kopf. Ich seufzte. Ich wollte es nicht anlügen und irgendwie wusste ich, dass wenn ich es trotzdem täte, es meine Lüge sofort erkennen würde. Darum sagte ich: „Ich weiß es nicht, Terriermon. Das ist alles so seltsam und ungewohnt. Alles ist hier anders und ich weiß einfach nicht, was ich denken soll.“ Terriermon’ s Blick hellte sich auf. „Wenigstens hasst du meine Welt nicht“, seufzte es erleichtert. „Ich glaube, dann wäre ich ziemlich traurig.“ Ich lachte vor Entzücken. Wie niedlich es doch war! „Keine Sorge“, erwiderte ich und ließ Terriermon geschickt auf meinen Kopf klettern, um dort seine Ohren gegen die Sonne auszubreiten, wie einen großen Sonnenhut. „Ich glaube nicht, dass ich diesen Ort in irgendeiner Weise hassen könnte.“ Denn ich hatte in dieser Welt ja schon etwas, das ich ziemlich lieb gewonnen hatte. Ich beobachtete, wie Daisuke auf einmal stehen blieb und wartete, bis Koushiro ihn eingeholt hatte, um hinter ihm wieder zu laufen zu beginnen und auf ihn einzureden. Koushiro schien den Weg zu kennen, ohne auf seinen Laptop zu sehen. Entweder er hatte Mimi’ s Nachricht so auseinander gepflückt, dass er genau wusste, wo er hin musste, oder aber er ging nach Gefühl. Ich tippte auf ersteres. Plötzlich hörte ich hinter mir ein unterdrücktes Lachen und wand mich mit Terriermon’ s leichtem Gewicht auf den Schultern, nach hinten um. Fragend hob ich eine Augenbraue, als ich sah, wie mich Tai’ s braune Augen witzig anfunkelten. Ich spürte erneut Wärme in meine Wangen steigen und war plötzlich sehr froh, dass Terriermon’ s Ohren einen Schatten über mein Gesicht zogen. „Was ist so witzig?“, fragte ich, ohne das Grinsen unterdrücken zu können, das während dem Reden auf meine Lippen schlich. Tai schüttelte nur den Kopf und ich sah, wie er Sora’ s Arm weiter über seine Schulter zog, damit sie nicht hinunterrutschte. Sie hinkte neben ihm her, das ganze Gewicht auf ihn gestützt, wie es schien und Biyomon neben ihr herfliegend. Nun redete das pinke Digimon mit Agumon, welches neben Sora hertrottete und mich wieder überraschte. Es war wirklich der winzigste Dinosaurier, den ich je gesehen hatte, falls…ich jemals in meinem Leben einen gesehen hätte. „Praktisch“, erwiderte er nur und deutete mit dem Kopf auf mein Digimon, welches leicht vibrierte, als würde es lachen. „Oh ja“, antwortete ich und kicherte. Ich war unbewusst stehen geblieben, um auf Tai und Sora zu warten, damit ich neben ihnen her laufen konnte. Sora schenkte mir ein seltsames Lächeln, welches ich nicht genau interpretieren konnte. Es hatte etwas Dankbares, dennoch etwas Trauriges und Enttäuschtes. Ein sehr verwirrendes Lächeln. Doch ich sah sie nicht lange an, denn Tai’ s Grinsen strahlte mir entgegen und meine Mundwinkel zogen sich noch weiter in die Höhe. Wir fingen an über total belanglose Dinge zu reden. Er erzählte mir, was er gerne aß, dass er Erdnussbutter nur mochte, wenn er es mit einem Schluck Milch hinunterschluckte, dass er keinen Tee mochte, aber für sein Leben gerne Orangensaft trank, am liebsten mit kleinen Keksen, die in der Mitte ein Loch hatten. Er sagte, dass seine Schwester ihm einmal auf ihrem Geburtstag ihre Torte ins Gesicht gedrückt hatte, weil er einen fiesen Kommentar zu ihrem neuen, pinkfarbigen Kleid abgegeben hatte, dass er, als er einmal wütend auf Matt war, seine Songtexte im Klo hinuntergespült hatte und es dadurch eine Schlägerei mit seinem besten Freund gab. An der Stelle ließ Sora in einer seltsam resignierten Art den Kopf hängen und ich sah ihr an, dass sie Matt vermisste. Egal, wie sehr sie für Tai zu schwärmen schien oder sich seine Aufmerksamkeit erwünschte, ich sah ihr doch an, dass sie in diesem Moment sehr viel lieber bei Matt wäre. Ihr Blick wurde so sehnsüchtig und todunglücklich, dass ich beinahe Tränen in meinen Augen spürte. Tai schien ihren Blick nicht bemerkt zu haben und plauderte weiter fröhlich über Matt und ihn und ich unterbrach ihn, indem ich, was eigentlich überhaupt nicht zu mir passte, von mir sprach. Und mit jedem Satz, den ich sagte, beobachtete ich, wie die Gefühle in seinen Augen sich veränderten. Immer wieder. Ich erzählte davon, dass meine Eltern schon damals ziemlich selten zu Hause waren, dass sie eigentlich immer arbeiteten und ich damals oft bei meiner Großmutter war, bis sie starb. Dann war ich nach der Schule immer alleine zu Hause gewesen. Ich erzählte, dass ich, um die Aufmerksamkeit meiner Eltern zu bekommen, die weißen Wände im Wohnzimmer mit meinen Filzstiften und Wasserfarben angemalt hatte, dass ich einige Gläser zerbrochen hatte und auf dem Sofa rumgehüpft war, bis die Sofakissen total zerstört gewesen waren. An der Stelle hatte er ein trauriges Lachen von sich gegeben und ich versuchte tapfer zu lächeln, doch davon zu erzählen, war etwas ganz neues für mich. Nach einer Weile hinkte Sora mit einer Entschuldigung von uns weg und Biyomon half ihr schnell zu Daisuke und Koushiro zu gelangen. Ich konnte Agumon und Terriermon irgendwo im Hintergrund reden hören, obwohl Terriermon auf meinem Kopf saß. Immer noch. Ich erzählte ihm auch, dass, als ich ungefähr Zwölf Jahre alt war, ein Junge mich wegen meiner Haarfarbe geärgert hatte und dass ich sie deswegen unbedingt färben wollte und, so dumm wie ich damals noch war, hatte ich meine Eltern gefragt, natürlich meinten sie, dass ich nicht dürfte, doch hätte ich es getan, wäre es ihnen sowieso nicht aufgefallen. Ich hatte versucht sie mit Wasserfarbe zu färben, da ich mich nicht traute eine richtige Färbung zu kaufen, doch das ging wohl auch daneben. Tai lächelte abwesend auf meine Haare und ich spürte, wie mir wieder Blut in mein Gesicht schoss. Er hob einer seiner nun freien Hände und nahm, während wir liefen, eine Strähne zwischen seine Finger, strich drüber und zwirbelte sie. Er lachte leise und ich senkte den Kopf, um den Rotschimmer zu verbergen. „Gut, dass es nicht funktioniert hat“, meinte er, ein riesiges Grinsen auf den Lippen. „Ohne deine wunderschönen Haare wärst du mir überhaupt nicht aufgefallen.“ Mein Gesicht wurde zunehmend heißer. Wunderschöne Haare, hatte er gesagt. Oh mein Gott, so etwas hatte ich noch nie von irgendjemand anderen, als meiner Mutter gehört, von der das nun nicht wirklich zählte. Und dann auch noch von Tai! Mit diesen…diesen Wow- Augen, wie ich sie getauft hatte. „Ich hasse meine Haare“, murmelte ich und nahm selber eine Strähne zwischen meine Finger. Terriermon wankte kurz auf meinem Kopf und versetzte mir einen kleinen Tritt mit seinem Fuß. Ich ließ ein erschrockenes Quieken aus meiner Kehle entweichen und musste mir dann das Gekicher von Tai und den Digimon anhören, wodurch mein Gesicht noch wärmer wurde. Tai ließ meine Haare frei und steckte seine Hände in die Hosentaschen. Er grinste mich schief an. „Ich hab früher mal einen Brief an den Weihnachtsmann geschrieben, in dem ich ihn gefragt hab, was ich studieren muss, um auch Weihnachtsmann zu werden“, gestand er mir und lachte bei der Erinnerung. Ich stieg in sein Lachen mit ein. Das hatte er getan? Wie niedlich. „Und?“, fragte ich und piekste ihm mit dem Ellbogen in die Seite. „Was hat er geantwortet?“ Tai schmunzelte. „Dass ich endlich erwachsen werden sollte und aufhören sollte an den Weihnachtsmann zu glauben.“ Überrascht hob ich meine Augenbrauen. Tai kicherte. „Die Antwort kam von Matt“, klärte er mich auf und ich nickte, nun lächelnd. Er schaute wieder nach vorn, sein Blick wurde nachdenklich. Es sah aus, als er hätte er mich mit den Gedanken verlassen, bis ich merkte, dass sein Blick nur noch puren Schock ausdrückte. Alarmiert packte ich Terriermon von meinem Kopf und drückte es an meine Brust, während sich Agumon, der neben mir gelaufen war, versteifte. Ich folgte Tai’ s Blick und…sah gar nichts. Ich schaute wieder zu ihm, mein Griff um das kleine Digimon lockerte sich etwas. „Alles okay, Tai?“, fragte Agumon besorgt und sah zu seinem Partner hoch. Tai schüttelte den Kopf. „Leute“, sagte er mit belegter Stimme. „Was seht ihr?“ Ich folgte wieder seinen Augen und machte meine eigenen zu Schlitzen. „Gar nichts“, erwiderte ich. Terriermon und Agumon nickten einstimmend. Und dann wusste ich, was er versuchte uns zu sagen. Geschockt starrte ich wieder geradeaus. Nichts. Absolut nichts war dort. Bloß Wüste. Keine Menschenseele. „Oh“, entfuhr meiner Kehle und ich spürte, wie meine Arme und Schultern schlaff wurden. „Ja: ‚Oh’“, entfloh es Tai und er fuhr sich durch die wuschligen, braunen Haare. Er sah mich mit gerunzelter Stirn an. „Wie konnten wir die anderen denn verlieren? Wir sind denen doch nur stumpf hinterher gelaufen!“ Ich schüttelte verständnislos den Kopf. Ich wusste zwar, dass ich nicht zu befürchten hatte mit Agumon, Terriermon und Tai bei mir, doch irgendwie hatte ich mich in einer größeren Gruppe und einem Laptop doch sicherer gefühlt. Panik spülte durch mein Inneres. Hilflos drückte ich Terriermon näher an meine Brust und hob den Blick zu Tai, der mich ansah, als würde er mich nur ansehen, um sich besser konzentrieren zu können. Also hielt ich seinem Blick stand, bis er einen Geistesblitz bekam, den Rotschimmer auf meinen Wangen verfluchend. Doch nichts kam. Wir standen nur dort, in konzentrierter Stille und starrten uns an. „Was machen wir denn jetzt, Tai?“, drang Agumon’ s Stimme an mein Ohr und ich sah das Digimon an, das fragend seinen Partner anschaute. Ich befreite eine Hand aus der Umklammerung, in der ich Terriermon hielt und rieb mir über die Augen. Okay, so schlimm konnte es ja gar nicht sein. Wir waren alleine in einer Wüste. Oh. Mein. Gott. In einem unkontrollierten Moment von Panik und Hysterie packte ich Tai am Hemdkragen, zog ihn näher zu mir heran und sagte, in beinahe überraschten Ton: „Wir sind alleine in einer Wüste.“ Ich sah, wie sein Mundwinkel zuckte. „Sehr schön beobachtet, Moe.“ Er befreite sich aus meinem Griff, indem er meine Hand mit seiner eigenen leicht drückte und von seinem Kragen entfernte. Er fuhr sich mit der Hand, die meine gerade noch gehalten hatte, über das Gesicht. „Tai…“, setzte Agumon wieder an, eine seiner Klauen an Tai’ s Hemdzipfel. „Ich hab keine Ahnung, Agumon“, unterbrach der brünette Junge den Dino. Mit Terriermon im Arm machte ich einmal eine 360° Grad Drehung. Es war nichts zu sehen, außer Sand, blauer Himmel und der Horizont. Fein. Wirklich super. Wir würden dann wohl jämmerlich verkommen. Tai kramte sein Fernglas aus seiner Hosentasche und blickte damit in die gleiche Richtung wie ich. Ich schaute zu ihm und sah, wie sich sein rechter Mundwinkel hob. Okay, er schien etwas Interessantes zu sehen. Vielleicht ein Restaurant oder ein Hotel. Oh, man. „Wir sind wohl wirklich wieder hier“, murmelte er und lachte leise. Ich hob eine Augenbraue. „Tai?“ Er sah mich an, das Fernglas immer noch an dem Auge. Meine Augenbraue stieg noch etwas höher. „Was siehst du?“, fragte ich, mich auf den fernen Horizont beziehend. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Verdammt grüne Augen“, erwiderte er und ich spürte, wie meine Wangen rot wurden. Um die Schmeichelei zu umspielen, rollte ich mit den Augen. Terriermon kicherte in meinen Armen, hüpfte jedoch in nächsten Moment schon hinunter auf Agumon’ s Kopf. Die beiden entfernten sich einige Schritte in die Richtung, in die Tai und ich gesehen hatten und redeten dabei, als wären wir gar nicht am Rande unseres Daseins. „Verdammt, Tai“, fuhr ich ihn an und drückte das Fernglas hinunter, so dass er mich ohne Vergrößerung sah. Bei seinem überrumpelten Gesichtsausdruck schlich sich ein Lachen auf meine Lippen. „Was siehst du dort?“, präzisierte ich meine Frage und deutete mit dem Arm in nach Osten. Er grinste. „Du wirst schon sehen.“ Dann nahm er meine Hand und zog mich hinter sich her, während er hinter Agumon und Terriermon hinterher ging. Er rief ihnen zu, dass sie einfach immer geradeaus gehen sollten und dass dort bald ein großes Haus stehen sollte. Mein Herz schlug schneller bei dieser Aussage. Ein Haus! Mitten in der Wüste? Meine Freude war wie weggespült. Hätte auch genauso gut eine Fata Morgana sein können. Ich würde bestimmt weinen, wenn es eine war. Gott, das war alles so absurd, ich zweifelte an meinem Verstand und an Tai’ s Existenz. Ich meine, es konnte doch niemals einen Jungen wie ihn geben, der sich alleine mit mir und zwei Digimon in einer anderen Welt befand! Und in diesem Moment auch noch alleine! Er hielt meine Hand immer noch, als wir schon einige Minuten gelaufen waren. Ich spürte seine Finger an meiner Haut zittern. Ich drückte sanft, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Abwesend drehte er mir seinen Kopf zu, seine Augen waren blass, als wäre er nicht ganz bei mir. „Machst du dir Sorgen?“, fragte ich und stieß absichtlich mit meiner Schulter gegen seine, so weit ich seine Schulter überhaupt erreichte. Er nickte, den Blick nun von mir abgewendet, sein Gesicht jedoch immer noch in meiner Richtung. „Irgendwie schon.“ „Um wen genau?“, hakte ich nach, darauf bedacht, nicht zu viel Neugierde durch meine Stimme hindurch scheinen zu lassen. Etwas in seinen braunen Augen blitzte auf und er sah mich nun mit gehobener Augenbraue an. Er war wieder anwesend. Sehr gut. Sein rechter Mundwinkel hob sich ein kleines Stückchen. Er hob sich so wenig, dass es mir nicht aufgefallen wäre, hätte ich nur Fünf Zentimeter weiter entfernt von ihm gestanden. Oder in unserem Fall: Wäre ich nur Fünf Zentimeter weiter entfernt von ihm gelaufen. Langsam löste ich meine Hand von seiner und verschränkte die Arme vor der Brust, so, als wäre mir kalt, obwohl es schon ziemlich heiß war. Immer hin waren wir in einer Wüste und ich hatte Durst, versuchte jedoch das Bedürfnis zu verdrängen. „Du weißt es, oder?“, hörte ich Tai auf einmal fragen und sah ihn wieder an, ohne bemerkt zu haben, den Blick von ihm abgewendet zu haben. „Ich weiß viel“, meinte ich und hob belustigt eine Augenbraue. „Du musst schon präziser sein.“ Er ließ seine Hände ins eine Hosentaschen gleiten und schaute mich aus dem Augenwinkel her an. Okay, ich wusste vielleicht, was er meinte. Weil, wenn er über Sora und seinen Gefühlen für sie redete…dann wusste ich es, ja. Schon seit dem ersten Tag, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte. „Du weißt schon“, murmelte er und senkte den Blick. „Das mit Matt und…und Sora…und mir.“ Ich nickte bedächtig. „Ja, ich weiß schon. Ganz schön knifflige Lage.“ Tai lachte auf. Ungläubig und mit schiefem Grinsen sah er mich wieder an. „Ich frag dich, ob du von der seltsamen Beziehung weißt, in der ich mit meiner besten Freundin, und dazu noch die Freundin meines besten Freundes, stecke und das einzige, was du dazu zu sagen hast, ist ’Ganz schön knifflige Lage’?“ Nun war ich diejenige, die den Blick auf den vorbeiziehenden Sand unter unseren Füßen starrte. „Tut mir leid, Tai“, erwiderte ich. „Ich weiß, dass du irgendwie etwas für Sora empfindest und wohl irgendwie versuchst, dich selbst davon abzuhalten, wegen Matt. Doch weißt du genauso gut, dass Sora dich auch mag, jedoch nicht so sehr wie sie Matt liebt.“ Ich rieb meine Augen. „Gott, du bist in so einer dummen Situation, dass ist fast schon absurd. Sora würde sich für Matt entscheiden, wenn du ihr ein Ultimatum stellen würdest und das weißt du. Ich kann dir nichts dazu sagen, was du nicht schon weißt, richtig, Tai?“ Ich blickte ihn wieder an und ein bewunderndes Lächeln lag auf seinen Lippen. „Sehr richtig, Moe“, antwortete er. „Sehr schön beobachtet.“ Ich zuckte die Achseln und fixierte meinen Blick auf Agumon und Terriermon, die einige Meter vor uns liefen. „Ich bin darin geübt.“ Das war mehr zu mir, als zu irgendjemand anderem gesagt, doch Tai fühlte sich anscheinend trotzdem angesprochen. Meine Wangen erröteten bei dem Gedanken, dass ich ihm gerade gestanden hatte ein Beinahe-Stalker zu sein, der Menschen genau beobachtete, um ihre Geschichten herauszufinden. „Tatsächlich?“ Tai’ s Stimme klang interessiert. „Beobachtest du öfter Menschen?“ Ich kicherte, mein Kopf war irgendwie in einer seltsamen Blase, in der mir egal war, was ich als nächstes sagte, da mich die Außenwelt sowieso nicht hören würde. Ich konnte bei Tai einfach nicht anders, als einfach drauf loszureden, er führte mich irgendwie dazu, auszusprechen, was ich noch nie jemandem erzählt hatte. „Es kommt vor“, kicherte ich. „Ich hab das immer gemacht, weil ich so alleine war jeden Tag und ich dachte, da meine Geschichte ja recht langweilig ist, schaue ich mal, ob das Leben anderer Menschen besser läuft, als meines. Ich hab mich immer gefragt, ob es falsch ist, Menschen anzusehen, zu beobachten, wie sie sich geben, die Blicke zu interpretieren und sich dadurch zusammen zureimen, was sie in ihrem Leben getan haben oder, was sie fühlen. Es macht Spaß, vielleicht solltest du es auch mal versuchen.“ Ich hörte Tai neben mir leise Lachen. Dann hörte er abrupt auf. „W-War ich der erste aus unserer Gruppe, den du…na ja…beobachtet hast?“ An dem Zittern seiner Stimme konnte ich hören, dass er gezögert hatte, bevor er die Frage stellte. Er sagte ‚Beobachten’ so, als wäre es eine besondere Gabe. Ich lachte und stupste ihn mit meiner Schulter erneut an. „Tut mir leid dich enttäuschen zu müssen“ sagte ich lächelnd. „Aber nein, du warst nicht der Erste.“ „Wer dann?“ „Mimi und Koushiro.“ Die Erinnerung daran fühlte sich so alt an, als kannte ich sie alle schon jahrelang. Tai mit eingeschlossen. Tai hörte sich abwesend an, als er wieder redete. „Was hast du denn aus ihnen herauslesen können?“ Ich lachte. „Sie sind ineinander verliebt.“ „Beeindruckend, Moe“, lobte Tai mich und verwuschelte meine Haare mit seiner rechten Hand, die er dafür extra aus der Hosentasche genommen hatte. Verwirrt schaute ich ihn an. „Du hörst dich nicht besonders überrascht an.“ „Bin ich auch nicht“, erwiderte er. „Koushiro hat mir gesagt, dass er Mimi mag, aber dass sie ihn ebenfalls, wusste ich nicht.“ Ich lächelte. Tai erwiderte den Blick und seine Gesichtszüge wurden weich. „Du hast die Augen, Moe“, sagte er und ließ seine Hand meinen Hinterhopf hinab gleiten. Diese kleine Geste trieb mir wieder einen Rotschimmer auf die Wangen und Tränen in die Augen. Ich konnte vielleicht mir unbekannte Menschen durchschauen, doch Menschen, die mir nah stehen sollten, die für mich da sein sollten, die sich um mich kümmern und sorgen sollten, die konnte ich nicht lesen, wie Tai es nannte. Aus meinen Eltern wurde ich noch nie schlau. Sie waren ja nie da, arbeiteten immer und benahmen sich nicht wie eine Familie. Genauso meine Schwester. Sie war schon in meinem Alter abgehauen, hatte noch früher angefangen zu rebellieren und seit dem waren meine Eltern Tag und Nacht mit ihrem Job beschäftigt. Ich konnte nicht mal genau sagen, als was sie arbeiteten, sie hatten nicht mal genug Zeit mir das zu sagen. „Ich wünschte, sie würden immer funktionieren“, murmelte ich und drückte mich unbewusst an Tai’ s Seite. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)