Unter zwei Monden von chryssantes (eine Wichtelgeschichte für Alaiya - Frühlingswichteln 2008) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Unter zwei Monden -eine Wichtelgeschichte für Alaiya- von chryssantes Der Reitertrupp war seit dem Morgengrauen unterwegs und jetzt ging es bereits auf die Nacht zu. An der letzten kaiserlichen Poststation in der Provinz Maxima Sequanorum hatten die Männer frische Pferde erhalten und konnten so ihren Weg ungehindert fortsetzen. Sie konnten es kaum noch erwarten wieder bei ihren Familien zu sein. Nur noch wenige Augenblicke trennten sie von ihrer Heimat. Maximus Octavianus riss seine Hand nach oben, dem ihm folgenden Reitertrupp Halt gebietend. Das Geräusch, was ihn irritiert hatte und nicht zuzuordnen war schwoll kontinuierlich an. Es kam aus der Richtung hinter dem Hügel wo sich die neue Siedlung, das Ziel ihrer Reise befand. Die Pferde tänzelten unruhig, bis sich wie auf Kommando ihre Augen verdrehten und sie wiehernd vor Angst ausschlugen. Kaum einer der Reiter blieb im Sattel. Nur mit großer Mühe konnte der erfahrene Centurio seinen Hengst zügeln um abzusteigen. Die Flanken seines bisher folgsamen Tieres zitterten und mit einem heftigen Ruck riss sich das Pferd los bevor es und die anderen Vierbeiner in die Richtung aus der sie gerade gekommen waren panisch davon galoppierten. Als Maximus sich nach seinen Gefolgsleuten umsah warf ihn eine Erderschütterung zu Boden. Das unheimliche Geräusch hörte mit einem Schlag auf. Fluchend kamen die Männer wieder auf ihre Beine um beim Anblick der zwei Monde am Firmament der Nacht vor Angst zu verstummen. Einer der beiden Monde verblasste zusehends bis er nicht mehr zu erkennen war. Das Schwert in der Hand und ein Stoßgebet gen Himmel schickend folgte Maximus Octavianus der befestigten Straße in Richtung Hügel. Was auch immer das für eine Teufelei gewesen war, es hatte direkt vor ihnen inmitten der Siedlung stattgefunden. Jahrhunderte später Katie gähnte, ließ ihre Schreibfeder sinken und schaute träge in den Garten hinaus. Es war Sommer und bereits so heiß, dass die Luft zu flirren begann. Im Schatten des alten Gutshauses und im Schutz der alten, mächtigen Bäume ließ es sich noch aushalten. Die anhaltende Trockenheit stellte jedoch zunehmend ein Problem dar. Auf den Feldern verdorrte wegen der Hitze langsam das Korn. Wenn es so weiter ging würde diese Jahr die Ernte ausfallen. Neben der drohenden Missernte bestand die große Gefahr eines Brands. Der kleinste Funke konnte eine lebensgefährliche Feuerbrunst auf den Wiesen und Feldern entfachen. Dazu kam, dass der Pegel des Ahornwaldflusses in den letzten Wochen erheblich gesunken war. Wenn nicht bald Regen einsetzte, dann würden schwere Zeiten für die Bauern in den umliegenden Höfe und für den Gutshof einbrechen. Die junge Frau seufzte, als sie an die Alten im Dorf und an ihre Kinderfrau dachte, die in den letzten Tagen vermehrt mit besorgten Mienen zum Himmel schauten und ihre Köpfe schüttelten. Sie wusste, dass eine Missernte ihnen allen einen schweren Winter und bei Wiederholung eine ungewisse Zukunft beschehren würde. Aber was sollte sie dagegen tun? Es lag nicht in ihrer Macht Regen herbei zu beschwören, den die vertrocknete Erde so dringend brauchte. Ihr Blick kehrte wieder zu dem Stück Pergamentpapier zurück, auf dem sie einen Bittbrief an ihren reichen Großonkel verfasst hatte, der sich bis zum Obermedikus des Herzogs hoch gedient hatte und nun seinen Lebensabend in der Residenzstadt verbrachte. Es war demütigend einen Verwandten um Hilfe zu bitten, der aus einer weit entfernten Linie stammte die seit Jahren mit ihrer eigenen in Streit lag. Aber falls er ihnen finanziell unter die Arme greifen würde, dann wäre der Gutshof gerettet. Das war wichtiger als ihr persönlicher Stolz. Innerlich seufzend stieg sie in das brütend heiße Taubenhaus auf dem Dachstuhl hinauf und band den Brief an das Bein ihrer kräftigsten Brieftaube. Wenn alles gut ging, würde der Brief über die nächstgelegene kaiserliche Poststation an das Gegenstück in der Residenzstadt gelangen und hoffentlich bald in die Hände ihres Großonkels. Knapp zwei Wochen später war immer noch keine Antwort auf ihren Brief eingetroffen. Der breite Ahornwaldfluss war inzwischen nur noch ein schwaches Rinnsal, der dem Vieh kaum als Tränke dienen konnte. Bis jetzt lieferten die Brunnen noch genügend Wasser, aber wie lange noch? Die Hitze lag bleiern über dem Land. Der Gutshof lag inmitten der verdorrten Wiesen und Felder. Selbst die ringsum bestehenden, uralten Wälder sahen zum Teil kahl aus, weil die Bäume ihre Blätter abgeworfen hatten. Waldtiere waren den Menschen seit Wochen nicht zu Gesicht gekommen. Katies Nachbar, ein Waldbauer, dessen Familie seit Generationen den Friedwald bewirtschaftete, berichtete von einer Massenabwanderung verschiedener Waldtiere. Das Getuschel der Alten welches daraufhin im Versammlungssaal des Gutshofes einsetzte war beim besten Willen nicht mehr zu überhören. Katie suchte den Blick ihrer Kinderfrau und winkte sie zu sich. Was auch immer es war was die Alten so besorgte, sie würde dem auf den Grund gehen. Den Kopf über so viel Aberglaube schüttelnd begab sich Katie zurück an ihren Schreibtisch. Ihre Amme Almut war der festen Überzeugung, dass die andauernde Trockenheit und das drohende Versiegen des ansonsten wasserreichen Ahornwaldflusses nur eins bedeuten konnte. Die alten Götter waren wieder erwacht und hungrig nach Opfergaben und sie würden die Bewohner des Landes solange mit Dürre strafen bis sie bekamen was ihnen zustand. Wieso gerade jetzt? Seit der Besiedlung des fruchtbaren Landes durch die Römer und spätere Christianisierung der Alteingesessenen waren viele Jahrhunderte vergangen ohne dass sich eine Dürre wie die jetzige ereignet hätte. Die meisten Vorfahren der Bauern waren keltischer Abstammung. Über die vergangenen Jahrhunderte, nachdem sich das Imperium Romanum immer weiter über den gesamten Kontinent ausgebreitet hatte, waren die Bewohner des umliegenden Landstrichs durch Heiraten mit den römischen Besatzern und den Nachfahren der späteren Kolonisationsströme blutsverwandt geworden. Die alten Götter wurden durch das Wort Jesus Christ verdrängt und schließlich fast vergessen. Nach Meinung der Alten hatten sie sich jetzt machtvoll zurückgemeldet und sie verlangten nach Blutopfer. Das letzte dieser Art hätte vor langer Zeit in der verschollenen Römerstadt drei Tagereisen vom Gutshof stattgefunden. Die blutgierigen Götter des Landes hätten damals reiche Ernte erhalten, flüsterten die Alten unter sich. Katie rieb sich die Stirn. Der ganze Aberglaube und das Gewäsch ihrer Kinderfrau konnte ihr bei der Lösung des Dürreproblems und der drohenden Hungersnot nicht helfen. Wenn sich ihr Großonkel nicht innerhalb dreier Tage meldete würde sie ihre Habseligkeiten zusammenpacken und in die Stadt ziehen. Sie war vom alten Adel und konnte daher auf eine Audienz beim Herzog bestehen. Katie musste nicht erst in den Spiegel schauen um ihre gute Chancen auf eine Privataudienz und den darauf folgenden 'gewissen' Privilegien beim Herzog bestätigt zu sehen. Zwei Tage später stand Katie rußverschmiert und fassungslos vor den verkohlten Resten ihres Hauses und begrub zusammen mit den anderen Überlebenden der Feuersbrunst die Toten. Nun hielt sie nichts mehr in der bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Heimat. Ein nasses Tuch schützend auf das Gesicht drückend, folgte sie dem weiten Weg bis zur Handelsstraße. Sie besaß nur noch die Sachen, die sie auf dem Leib trug, einen Ring ihrer Mutter mit dem Wappen und einen in Leinen gepackten Krug mit dem letzten Wasser aus dem Brunnen. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie vollkommen allein und obwohl sie ein starkes Herz und Gottvertrauen hatte, machte dieser Zustand ihr Angst. Katie wanderte immer während der Nachtstunden, wenn es etwas kühler war und versuchte tagsüber einen schattigen Unterschlupf zu finden. Das mitgebrachte Wasser ging schnell zur Neige und nirgendwo fand sich ein Brunnen zum Nachfüllen und Durstlöschen. Die vielen Bäche entlang des Handelsweges waren ausgetrocknet. Bis zur nächsten kaiserlichen Poststation waren es noch mindestens ein Tagesfußmarsch und die junge Frau wusste nicht wie sie es ohne Wasser schaffen sollte. Die Zunge hing ihr in der ausgetrockneten Mundhöhle fest. Nie zuvor hatte sie solchen Durst erlitten. Auch wenn sie seit Tagen nichts gegessen hatte, verschwendete sie keinerlei Gedanken daran. Durst war das einzige was sie quälte. Der Vollmond war aufgegangen. Diese Nacht schien er ungewöhnlich hell. Das konnte ihr nur Recht sein, denn so fand sie besser den Weg zurück zur Handelsstraße. Über eine vertrocknete Wurzel stolpernd fiel sie erschöpft zu Boden und rollte eine Art Abhang hinab. Benommen blieb sie liegen bis ihr der Geruch von Wasser und üppig grünenden Gras in die Nase stieg. Den lange vermissten köstlichen Duft einatmend hob sie ihren Kopf und sah wenige Fuß vor sich eine Menschenmenge stehen, die ihr alle seltsamer Weise den Rücken gewandt hatten und auf etwas zu starren schienen was Katie von ihrer Position aus nicht erkennen konnte. Mühsam raffte sich die geschwächte Frau auf. Ein ungewöhnliches Bild bot sich ihr dar. An einer schmalen Uferböschung standen eine große Anzahl von Männer, Frauen und vereinzelt Kinder, die schweigend und gebannt auf den See hinaus blickten. Manche hatten nur rußverschmierte Kleider, die sie als Flüchtlinge von den Brandherden im Land auswiesen, andere waren in der Tracht der Handwerker, der Kaufleute oder gar der Gelehrten gekleidet. Sogar ein adliger Reisender war unter ihnen, leicht zu erkennen an dem prachtvollen Gewand. Katie wunderte sich sehr über die ungewöhnliche Ansammlung und um die beunruhigende Stille, die diese Menschenmenge umgab. Nicht einmal die kleinen Kinder auf den Armen ihrer Mütter weinten oder gaben sonst irgendeinen Laut von sich. Dann sah sie es. Im See spiegelten sich zwei anstatt eines Mondes. Überrascht sah sie zum Nachthimmel hinauf und auch dort prangten zwei Vollmonde, die es so nicht geben dürfte. Ein Seufzen pflanzte sich durch die am Ufer Stehenden fort. Sofort wandte die junge Frau ihre Aufmerksamkeit zum See zurück. Katie riss vor Schreck erneut ihre Augen auf als sie ungläubig das nächste Phänomen beobachtete. Der See verschwand und man konnte bis auf den Grund hinab sehen. Eine gepflasterte Straße führte von der Uferböschung in die Tiefe zu den weit entfernt stehenden Ruinen, die Tempel, Paläste oder andere, unbekannten Zwecken dienenden Bauten darstellten. Im Licht der zwei Monde erstrahlten die nun trockenen Mauern in altem Glanz, lockend. Ohne zu Zögern setzte sich die Menschenmenge in Bewegung. Auch Katie konnte sich dem Sog oder was es auch war nicht widersetzen. Etwas befahl ihr auf dem gepflasterten Weg in die Tiefe des Sees hinab zu steigen. Trotz ihrer großen Erschöpfung setzte sie einen Fuß vor den anderen, kam aber eher langsam voran. Die anderen waren schon in den Ruinen der Stadt angekommen und nahmen zielstrebig in einem steinernen Halbkreis Platz. Katie stolperte dagegen weiterhin erschöpft die Straße entlang und mühte sich so schnell wie möglich zu den anderen in die Stadt zu kommen. Ein Sausen und Sirren erfüllte die bis dahin totenstille Nachtluft. Unwillkürlich blieb die Geschwächte stehen und musste mit angsterfüllten Augen ansehen wie das Wasser des Sees zurückkehrte, die schweigende Menge der Sitzenden einhüllte und mit rasender Geschwindigkeit ihr entgegen raste. Der Zwang, sich in die Ruinenstadt wie all die anderen zu begeben existierte nicht mehr. Todesangst mobilisierte Katies letzte, verborgene Kräfte und halb laufend, halb gehend versuchte sie das rettende Ufer zu erreichen. Das Wasser stieg ihr rasch bis zu den Hüften als sie auch schon die Uferböschung vor sich sah. Unverhofft wurde sie von einem Paar kräftiger Hände an Land gezogen. Sie gehörten einem kaiserlichen Soldaten, der zusammen mit einem Reitertrupp, von den beiden Monden wie all die anderen Menschen auf unerklärlicher Weise angezogen, gerade eben an dem See angekommen und Zeuge des Zurückfluten des Wassers wurde. Katie begriff noch, dass sie in Sicherheit war bevor sie sich dankbar der Dunkelheit ergab. Die römische Siedlung, die sich in dem kleinen, idyllischen Tal befunden hatte, existierte nicht mehr. An ihrer Stelle erstreckte sich bis an den Rand der umliegenden Hügel ein dunkler See, dessen stilles Wasser trügerischen Frieden verbreitete. Fassungslos starrte der Centurio auf das nasse Grab, in dem seine Frau und die zwei Kinder, seine Nachbarn und die Familien seiner Männer ihr grausames und ungewöhnliches Ende gefunden hatten. Die Opferzahl ging in die Größe von mehr als einer römischen Kohorte. Ein zischendes Einatmen alarmierte ihn von der Anwesenheit mindestens von einem seiner Gefolgsmänner. Als er in das blasse Gesicht seines engsten Freundes sah wusste er, dass dies kein schlechter Traum war aus dem er wieder aufwachen konnte. Was auch immer hier passiert war hatte den Handabdruck des Bösen. Dieser Ort war verflucht und das dunkle Wasser würde seine Opfer nie mehr preisgeben. Die Soldaten bekreuzigten sich und verließen die Stätte des Unheils. Und für viele Jahrhunderte fiel der See und die Geschichte um ihn in Vergessenheit. ENDE Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)