Silent Scream von Chimi-mimi (Denn es gibt keinen Ausweg) ================================================================================ Kapitel 1: Prolog Nicole ------------------------ Prolog: Nicole Zögernd warf die junge Frau einen Blick auf die Uhr. Um ehrlich zu sein, wollte sie ja gar nicht wissen, wie spät es schon wieder war… Die Zeiger standen genau auf zwei Uhr morgens. „Fuck!“ Völlig erschöpft rammte Nicole ihre rechte Faust in die Haustür, bloss um dann festzustellen, dass sie nun zu allem Überfluss auch noch blutete. Mit der gesunden Hand öffnete die Schwarzhaarige möglichst leise die Türe, obwohl sie genau wusste, dass es sowieso keinen Zweck mehr hatte… Durch ihren Faustschlag wären die Kinder garantiert wach. Als erstes empfing die Prostituierte das Geschrei ihres jüngsten Kindes. Völlig entnervt und todmüde schmetterte sie ihre Jacke in die nächstbeste Ecke, und stapfte ins Bad. Dort wusch die junge Frau kurz mit kühlem Wasser das Blut von ihrer Hand ab, und legte danach sehr unbeholfen einen Verband um die Wunde. Bevor sie auch nur einen Schritt aus dem Badezimmer tun konnte, wurde Nicole von ihrer älteren Tochter angefallen. Diese war nun gerade einmal sechs Jahre alt, und würde nächstes Jahr eingeschult werden. „Mami!“ „Claire.“ Die Schwarzhaarige fuhr ihrer Tochter mit der Hand durch die kurzen schwarzen Locken. Sie waren glanzlos und fettig, aber Claire war auf ihre eigene Art sehr hübsch. „Solltest du nicht schon lange im Bett sein?“ Beschämt sah Claire zu Boden. „Du hast mich und Stefanie geweckt.“ Die Prostituierte seufzte laut. „Tut mir echt leid, ich bin ausgerutscht…“ Dann schlurfte sie rüber zu Stefanies Kinderbett. Die Kleine war noch kein ganzes Jahr alt, ihre Augen von dem wunderschönen Blau, das alle Babys hatten, und ein paar süße schwarze Haare sprossen auf ihrem Kopf. Doch diese ganze kindliche Schönheit wurde momentan von ihrem schreienden Gesicht verzerrt. Die junge Frau nahm das Kind auf die Arme, wiegte es hin und her, und sang dabei die wohl schönste Melodie auf Erden. Sogleich wurde Stefanie ruhiger und schläfrig. Nicole legte das Mädchen zurück in ihr Bett und ging mit Claire an der Hand ins Schlafzimmer. „Denkst du, du kannst noch einmal einschlafen?“ Das Mädchen nickte eifrig. Die Schwarzhaarige deckte ihr Kind zu, las ihr noch eine Geschichte vor, und wartete bis Claire eingeschlafen war. Danach stand sie völlig fertig auf, und sah sich in der düsteren Wohnung um. Alles war total heruntergekommen und kaum anzusehen. Und in diesem Moment wurde es ihr klar. Dass es so nicht weitergehen konnte. Und in der ganzen Verzweiflung, die sich in der Prostituierten über die Jahre hinweg angesammelt hatte, sah sie nur einen Ausweg. Natürlich wusste sie tief in sich drin, dass diese Lösung die wohl egoistischste war, die es gab. Und gegenüber den Kindern die Schlimmste, die existierte. Doch trotzdem war die junge Frau in diesem Moment fest entschlossen, es durchzuziehen. Sie verließ das Haus noch einmal so leise wie möglich, dieses Mal ohne die Kinder zu wecken, und ließ die Jacke in der Ecke zurück. Unwillkürlich fröstelte Nicole, als sie die dunklen Strassen Berlins entlangging. Die kalte Nachtluft umspielte ihr Gesicht, und die Schwarzhaarige lief mit zügigen Schritten zum nächstbesten Hochhaus. Die Treppensteigerei erschien ihr endlos, doch die Prostituierte dachte nicht daran, jetzt aufzugeben. Als sie endlich das Dach erreichte, musste die junge Frau zuerst einmal wieder zu Atem kommen. Sie legte den Kopf in den Nacken, und bewunderte die hellen Sterne am dunklen Nachthimmel. Als sie dachte, sich diesen Anblick für immer eingeprägt zu haben, schritt Nicole nach vorne zum Geländer. Dort lehnte sie sich so weit nach draußen, wie sie gerade noch konnte ohne zu fallen. Die Schwarzhaarige sah die Lichter der Stadt, wie sie leuchteten, in all ihrer Falschheit. Sie hörte das Gelächter der Betrunkenen und das Brausen der Autos. Die kalte Nachtluft war nun ein Zeichen der Freiheit für die Prostituierte. „Danke.“ Und eine Träne fiel auf den dreckigen Asphalt einer Strasse mitten in Berlin. Kapitel 2: Prolog Alec ---------------------- „Doktor Winston, ich müsste kurz mit ihnen sprechen“, müde schaute Alec auf den diensthöheren Arzt, der ihn mit einem strengen Blick bedachte. „Ich komme.“ Mit dem ihm eigenen schleppenden Gang folgte der schwarzhaarige, junge Arzt seinem Vorgesetzten. Er wusste, was kommen würde, doch um bei der Wahrheit zu bleiben, war ihm das, was jetzt gleich geschehen würde, relativ egal. „Alec… Setzen Sie sich doch“, bat sein Vorgesetzter ihn in seinem Büro und deutete auf einen der schwarzen Ledersessel. „Danke, ich stehe lieber“, schüttelte er den Kopf und sah mit leeren Augen aus dem Fenster. Kopf schüttelnd und mit fast schon einem traurigen Blick wurde er von älteren Arzt beobachtet: „Mein lieber Junge, es tut mir so Leid für Sie. Ich sehe Ihnen an, dass Sie wissen, was ich Ihnen zu sagen habe. Wir haben lange über Sie nachgedacht, doch in der Zwischenzeit können wir die Verantwortung für Ihr Verhalten nicht mehr tragen. Sie haben die Möglichkeit, ein großartiger Arzt zu sein, doch Ihre Apathie hindert Sie daran. Alec, so leid es mir tut, ich muss Ihnen die fristlose Kündigung aussprechen.“ Stumm drehte Alec sich um, kein Wort des Abschiedes wollte ihm über die Lippen kommen, als er aus dem Büro heraustrat. „Alec, warten Sie!“, der grauhaarige Arzt eilte hinter ihm her, „Wenn es Ihnen wieder… wieder besser geht, sind Sie jederzeit hier willkommen. Es wird immer ein Platz für Sie frei bleiben.“ Doch immer noch war er nicht fähig, auch nur ein Wort zu erwidern, seine Zunge war wie gelähmt. Ihm war es nicht einmal mehr möglich, seine wenigen persönlichen Sachen zu holen, nein, er musste an die frische Luft, raus aus diesem Krankenhaus, einfach nur raus. Benommen torkelte er durch die langen Gängen, die Treppen runter und durch die Empfangshalle. Das Tuscheln, die mitleidigen Blicke ignorierte er einfach. Im Moment zählte nur die große Tür, die ihn endlich hier raus brachte. Als er seine Rettung vor sich sah, wurden seine Schritte immer schneller und dann war er endlich draußen. Zitternd entfernte er sich von diesem großen, grauen Kasten, der ihn schon seit Wochen so anwiderte. Ziellos lief er durch die Stadt, durch die vielen kleinen, verwinkelten Gassen. Nach einer halben Ewigkeit, so kam es ihm schließlich vor, blieb er vor einem hohen Gebäude stehen und sah sich um. Er wusste nicht, wo er war, er wusste nicht, was er hier wollte, doch seine Füße liefen von ganz alleine auf die Feuerleiter zu. Seinen Blick nur auf die Stufen vor ihm gerichtet, kletterte Alec immer höher und immer höher. Bei jedem Schritt ging sein Atem schwerer und er fragte sich, warum er das tat. Sämtliche Sinne kamen ihm geschärft vor, er roch, wie die Luft nach oben hin klarer wurde und nach Nacht duftete, er hörte die Autos, das Geschrei der Prostituierten, das Rattern der Züge, er sah den Rost, der langsam von den Stufen abblätterte und als er seinen Blick hob, sah er den samtig blauen Nachthimmeln mit den vielen funkelnden Sternen. Kurz vor dem Ziel, dem Dach, blieb Alec stehen und atmete tief ein. Ja, so konnte er sich befreien, nur so. Schon seit langem war er nicht mehr so erleichtert, so ruhig gewesen. Die dumpfe Anspannung, die Teilnahmslosigkeit, das Desinteresse, alles fiel ab und er war mit der Nacht allein. Die letzten Stufen nahm er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Alles würde gut werden. Er war sich ganz sicher, als er den ersten Fuß auf das Dach setzte. Kapitel 3: I - Nicole --------------------- Nicole Plötzlich hielt die Prostituierte inne. Sie hätte schwören können, dass sie Schritte gehört hatte. Ruckartig drehte sie sich um. Fast schon zu ruckartig. Stolpernd schaffte sie es, nicht an der Fassade runterzufallen. Wenn Nicole schon fallen wollte, dann richtig und bewusst. „Ist da wer?“, fragte sie, noch bevor sie sich richtig umgedreht hatte. Da entdeckte die Schwarzhaarige den Mann. Er war groß und stattlich gebaut. Sein schwarzes Haar umrahmte sein Gesicht und seine Augen hatten einen stechenden Ausdruck. Man könnte schon sagen, dass er wirklich attraktiv war. „Wer sind Sie? Und was machen Sie hier?“, doch Nicole bekam keine Antwort. Der Fremde stand einfach nur da, und musterte sie. „Hey, ich rede mit Ihnen! Wohnen Sie hier? Wollten Sie einfach in der Nacht mal ein bisschen frische Luft schnappen?“ Wieder bekam die Prostituierte keine Antwort. Sie merkte, dass reden in dem Falle keinen Sinn hatte, und seufzte. Dann begann sie auch damit, ihr Gegenüber noch genauer zu mustern. Plötzlich bemerkte die zweifache Mutter den weißen Kittel des Mannes. „Bist du Arzt?“ „Ja, ich bin Arzt.“ Nicole fielen fast die Augen aus dem Kopf, als der Kerl einfach so zu reden begann. „Wow, und stumm bist du auch nicht“, bemerkte die Prostituierte sarkastisch. „Aber nein, ich wohne nicht hier“, knüpfte der Arzt an ihre frühere Frage an. „Was machen Sie denn hier?“, hakte die Schwarzhaarige nach. „Höchstwahrscheinlich das Selbe wie Sie.“ Der Fremde lächelte traurig. „Sie haben doch keine Ahnung, was ich hier mache!“, empörte sich Nicole. „Wohnen Sie denn hier?“ „Nein“, gab die Prostituierte zu, und ließ sich auf das kalte Betondach nieder. Der Mann setzte sich auch hin. Plötzlich begann er ungefragt zu reden. „Ich habe gerade meinen Job verloren. Ich habe keinen Ort, an den ich gehen könnte und kein Geld, mit dem ich mir Essen kaufen könnte. Was hat dieses Leben noch für einen Sinn?“ Er schien fast schon vor sich hinzusinnieren, und die Mutter war sich nicht sicher, ob er überhaupt noch registrierte, dass sie da war. „Haben Sie Familie,…?“ Nicole schien offensichtlich nach seinem Namen zu suchen. „Alec. Alec Winston. Und nein, sozusagen habe ich keine Familie.“ Nicole nickte ihm zu. „Nicole Nickerson. Hören Sie mir mal gut zu, Alec. Sie glauben, Sie hätten Probleme, aber das stimmt nicht. Sehen Sie sich doch mal mich an! Ich bin eine Prostituierte mit zwei Töchtern. Ich kann mir keine richtige Ausbildung für mein älteres Kind leisten, und wir sind in eine viel zu kleine Wohnung in einem Drecksquartier eingequetscht. Wir haben nie genug Geld für Essen. Wer hat jetzt den richtigen Grund, sich umzubringen?“ „Und das würden Sie schaffen? Ihre beiden Töchter einfach so ohne Mutter in dieser Welt zurück zu lassen?“ Alec sah sie nun ernsthaft interessiert an. Doch Nicole wandte ihren Blick bloss zu Boden. Hosted by Animexx e.V. 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