yaadein ya bhawishya...? von elfogadunk ================================================================================ Prolog: -------- "Du wirst mir schreiben, verstanden?!", sagte er und drückte ihre kleine Hand noch fester. Sie nickte und presste die Lippen zusammen, da sie mit ihren Tränen kämpfen musste, die sich langsam ihren Weg über ihre Wangen bahnten. Er wischte sie weg und meinte, um sie zu necken: "Mit zehn Jahren heult man bei sowas nicht mehr. Du tust ja gerade so, als würde jemand sterben. Du ziehst nur um. Das ist kein Weltuntergang." "Kannst du nicht mitkommen?", fragte sie mit tränenerstickter Stimme. Bei ihrer Frage musste er lachen und nahm sie dann kurz in den Arm. "Das würde ich wirklich gern...", sagte er leise, aber er wurde von einem Rufen unterbrochen. "Radha, chalo! Wir müssen los." Sie lösten sich voneinander und lächelten sich noch einmal an bevor sie langsam zum Auto ihrer Eltern lief. Als sie losfuhren, klebte sie mit ihrem Gesicht regelrecht an der Scheibe und schaute so lange zurück bis sie ihn nicht mehr sehen konnte. Kapitel 1: ----------- Sunder stand im Badezimmer. Auf dem Waschbecken aufgestützt, schaute er sich im Spiegel an. Gleich war es soweit. Gleich würde er zum ersten Mal das Gesicht seiner frisch angetrauten Ehefrau sehen. Er war ihr bisher nur dreimal begegnet: Als sein Vater und ihre Eltern ihre Heirat beschlossen hatten, auf der Verlobungsfeier und heute bei der Hochzeit. Doch da jedes Mal ein Schleier ihr Gesicht bedeckt hatte, wusste er noch immer nicht, wie sie aussah. Auch die Informationen, die er sonst über sie hatte, waren sehr spärlich. Nur ihren Namen und ihr Alter wusste er mit Sicherheit. Ansonsten schloss er aus dem ersten Treffen, dass sie anscheinend sehr schüchtern war, denn während ihre Eltern, sein Vater und er sich unterhalten hatten, saß sie nur schweigend neben ihrer Mutter. Er hatte sie mit der Hoffnung auf einen Blick auf ihr Gesicht beobachtet und ihm war aufgefallen, dass sie kein einziges Mal ihren Blick gehoben hatte. Das wunderte ihn, denn war sie denn gar nicht neugierig gewesen, wie ihr zukünftiger Ehemann aussah? Dieses Verhalten hatte sie auch bei der Verlobung und bei der Hochzeit an den Tag gelegt. Es machte Sunder nervös. Was war, wenn sie nun eine schüchterne, unansehnliche Langweilerin war? Damit hätte er wenig anfangen können, denn er war ein impulsiver Mensch, der ein gleich starkes Gegenstück brauchte. Sein Vater, der sie bereits gesehen hatte, versicherte ihm zwar, dass sie eine Schönheit war, doch ihr Verhalten irritierte ihn sehr. Er beschloss schließlich, mit dem Grübeln aufzuhören und einfach zu ihr zu gehen. Er öffnete die Badezimmertür und trat ins Schlafzimmer. Draußen war es bereits seit zwei Stunden dunkel, das Licht im Zimmer war leicht gedimmt. Seine Braut saß auf dem mit Girlanden und Blütenblättern geschmückten Bett und wartete auf ihn. Sunder atmete noch einmal tief durch, ging zu ihr und kniete sich hin. Sein Puls beschleunigte sich als er ihren Schleier lüftete. Als er schließlich ihr Gesicht das erste Mal sah, raubte ihr Anblick (1) ihm für einen kurzen Moment den Atem. Ihr gesenkter Blick, ihre hübsch geschwungenen, roséfarbenen Lippen, ihr zarter Teint... Sunder konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal eine solche Schönheit gesehen hatte. Und sie war nun seine Frau. Er musste sich zusammenreißen, damit er nicht anfing zu grinsen, denn er wusste, dass seine Freunde auf ihr Aussehen gewettet hatten. Er konnte es kaum noch erwarten, sie ihnen vorzuführen und ihre neidischen Blicke zu ernten. Er schüttelte kurz seinen Kopf, um sich von seinen Gedanken zu befreien, denn noch immer hatte sie ihren Blick gesenkt. Er atmete tief ein und wieder aus und legte dann seine Hand unter ihr Kinn, damit sie ihn ansah. Als ihre Blicke sich trafen, war er wie verzaubert. Sie sah ihn schüchtern mir ihren haselnussbraunen Augen (2) an, die perfekt von ihren Brauen umrahmt wurden. Er hätte in ihrem Blick versinken können. Der Gedanke, dass er sein Leben von nun an mit ihr verbringen würde, gefiel ihm. Und er kam nicht umhin, auch daran zu denken, dass er nicht nur sein Leben, sondern auch sein Bett mit ihr teilen würde. Doch auch diese Gedanken verdrängte er und sagte stattdessen: „Diese Situation ist für uns beide sicher nicht einfach. Wir beide kennen uns kaum und es wird sicher seine Zeit dauern bis wir miteinander zurechtkommen, doch ich bin sicher, wir schaffen das. Was sagst du dazu?“ Anstatt zu antworten, sah sie ihn einfach nur an. „Du musst dich zu nichts gedrängt fühlen. Wir lassen es ganz langsam angehen und schauen, wie es läuft, okay?“ Sie senkte erneut ihren Blick. Sunder seufzte innerlich, da er nicht wusste, wie er ihr Verhalten einordnen sollte, doch er wollte nicht aufgeben. Er stand auf, nahm sich ein Kissen vom Bett und meinte zu ihr: „Schlaf erstmal eine Nacht darüber. Der Tag war anstrengend und du solltest dich ausruhen. Ich werde im Wohnzimmer auf der Couch schlafen, damit du dich nicht bedrängt fühlst. Also falls etwas ist, weißt du, wo du mich findest.“ Als sie keine Reaktion zeigt, ging er zu Tür und sagte, bevor er das Zimmer verließ: „Gute Nacht, Radha.“ Sie hob ihren Kopf, als sie ihren Namen hörte, doch in dem Moment war die Tür auch schon geschlossen. Sunders Nacht war ziemlich kurz. Die Couch war so unbequem, dass er ohnehin wenig Schlaf bekommen hatte und er sich gegen sieben Uhr entschloss, aufzustehen. Als erstes wollte er sich ein wenig frisch machen, doch als ihm auffiel, dass er vergessen hatte, seine Sachen aus dem kleinen Bad, das man nur durch das Schlafzimmer erreichen konnte, in ihr anderes Badezimmer zu legen, lief er zum Schlafzimmer und klopfte vorsichtig an. Als sich nichts tat, öffnete er leise die Tür und schlich sich zum Badezimmer, um seine Sachen zu holen. Auf dem Rückweg fiel sein Blick auf Radha. Sie schien noch tief und fest zu schlafen. Sunder blieb einen Moment stehen, um sie zu beobachten. Sie lag auf dem Rücken, ihr Brustkorb hob und senkte sich gleichmäßig, ihre Augen waren geschlossen und ihr Mund leicht geöffnet. Er hätte ihr stundenlang zu sehen können, doch er riss sich zusammen und verließ das Zimmer leise wieder. Als er sich schließlich wusch und Zähne putzte, hoffte er, dass Radha und er sich möglichst bald zusammenfinden würden, denn allzu viele Nächte auf der Couch wollte er seinem Rücken nicht zumuten. Um seine verspannten Muskeln zu lockern, streckte er sich ein paar Mal, doch es half nicht viel. Dann setzte er Kaffee an, holte sich die Zeitung aus dem Briefkasten und setzte sich auf die Couch. Er hatte sich den Tag über frei genommen, damit Radha nach der Hochzeit nicht gleich alleine in der für sie neuen Wohnung sein würde und er ihr alles zeigen konnte. Ihm war bewusst, dass das alles nicht sehr einfach für sie sein würde, da sie nun von ihrer Familie getrennt in einer anderen Stadt leben musste. Auch wenn Meerut nicht allzu weit entfernt war, war Delhi doch ein ganz anderes Pflaster, an das man sich erst gewöhnen musste. Diese Eingewöhnungszeit wollte er ihr so einfach wie möglich gestalten. Damit sie schnell Anschluss fand, wollte er ihr auch bald seine Freunde vorstellen, indem er eine kleine Willkommensfeier für sie gab. Er hatte sich alles schon genau ausgemalt und hoffte, dass auch alles so klappen würde, wie er es sich vorstellte. Als es schließlich kurz vor zehn Uhr war, beschloss Sunder, Frühstück zu machen und danach Radha zu wecken. Als er angeklopft hatte, öffnete er vorsichtig die Schlafzimmertür. Das Bett war allerdings leer und er hörte Geräusche aus dem Badezimmer. „Radha?!“, rief er und klopfte an die Tür. „Kommst du in die Küche, wenn du fertig bist? Ich habe Frühstück gemacht.“ Er wartete noch kurz auf eine Antwort, doch als nichts kam, zuckte er kurz mit den Schultern und ging zurück in die Küche. Zehn Minuten später stand Radha schließlich im Türrahmen. Sie trug einen einfachen mintgrünen Salwar und nestelte nervös an ihrem Dupatta herum. „Ähm... Guten Morgen! Ich hab uns...“, meinte Sunder und stand auf, um ihren Stuhl zurückzuschieben, damit sie sich setzen konnte. „Setz dich doch.“ Sie nahm Platz und auch Sunder setzte sich wieder. „Ich bin kein besonders guter Koch, aber ich hoffe, man kann es essen.“, meinte er, um die Stimmung etwas zu lockern. Radha wackelte darauf hin leicht mit dem Kopf und ließ ihren Blick über den Tisch schweifen. Erleichtert sah Sunder, dass sie ein paar Kleinigkeiten nahm und auf ihren Teller legte. „Ich habe mir heute frei genommen. Wir haben also den ganzen Tag Zeit, um...“ In diesem Moment klingelte das Telefon. Er entschuldigte sich und stand auf. Nach wenigen Augenblicken kam er wieder und sagte: „Es ist für dich. Deine Schwester.“ Radha nickte und lief ins Wohnzimmer zum Telefon. „Taani?!“, fragte sie mit aufgeregter Stimme. „Radha! Wie geht’s? Tut mir leid, dass ich so früh anrufe, aber ich konnte nicht länger warten.“ „Koi bat nahin. Ich freu mich, deine Stimme zu hören.“, erwiderte Radha und lächelte. „Geht mir genauso. Und jetzt erzähl mal: Wie war eure erste Nacht?!“, wollte Taani aufgeregt wissen. „Taani, bitte! Also...“ „Hey, nicht so schüchtern. Du kannst mir doch alles erzählen.“, entgegnete sie frech. „Es... Das geht dich nichts an.“, beschloss Radha. „Sag mir lieber, wie es Mama und Bauji geht.“ „Oh, denen geht’s gut. Wir sind gestern noch gut zu Hause angekommen und Bauji ist schon wieder auf Arbeit. „Und sie haben nicht nochmal etwas...“ „Nein... Radha, das wird schon. Du wirst mit Sunder ganz bestimmt glücklich werden. Da bin ich mir sicher.“ Radha antwortete nicht. „Na gut, ich muss dann jetzt Schluss machen. Mama kommt gleich vom Einkaufen nach Hause und ich muss noch den Abwasch erledigen. Ich ruf bald wieder an, okay? Bis dann.“ Radha verabschiedete sich und legte auf. (1) http://i43.tinypic.com/15xwbhj.jpg (2) http://i39.tinypic.com/2a0l0z4.jpg Kapitel 2: ----------- Nachdem Radha sich wieder an den Tisch gesetzt hatte, meinte Sunder lachend: „Hat deine Familie etwa schon Angst, dass ich dir was angetan habe?“ Sie lächelte daraufhin nur gequält und machte sich dann daran, ihren Teller zu leeren. Sunder bereute sofort, was er gesagt hatte, als er ihre Reaktion sah. Sie hatte noch kein einziges Wort mit ihm gewechselt und er wusste nicht, wie er es schaffen sollte, sie ein wenig aufzutauen. Er räusperte sich und meinte dann: „Also wie ich vorhin schon sagte, habe ich heute frei. Wenn du also willst, kann ich dir die Stadt zeigen und wir können uns ein bisschen unterhalten. Sie schien kurz darüber nachzudenken. Dann schaute sie ihn an und wackelte zustimmend mit dem Kopf. Nachdem sie aufgegessen hatten, räumte Sunder den Tisch ab und meinte: „Wollen wir dann gleich los? Du kannst dich ja schon mal anziehen.“ Radha verließ die Küche und ging ins Schlafzimmer, um ihre Tasche zu holen und sich dann im Flur ihre Schuhe anzuziehen. Sunder kam gerade um die Ecke, als er sah, dass Radha aus Versehen auf ihrem Dupatta stand, als sie sich aufrichten wollte und somit im Begriff war, zu fallen. In Windeseile war er bei ihr und fing sie auf. Als er ihr beim Aufstehen half, spürte er, wie schnell ihr Herz schlug. Sie trat einen Schritt zurück und strich sich ihr Haar hinters Ohr. „Shukriya...“, sagte sie unsicher. Sunder glaubte, sich verhört zu haben. Das war das erste Mal, dass er ihre Stimme gehört hatte und er sah das als ersten kleinen Sieg an. „Gerne doch... Also wollen wir dann?“ Sunder zeigte Radha alle wichtigen Gebäude und Plätze in der Nähe der Wohnung, damit sie wusste, wo sie einkaufen gehen oder sich die Zeit etwas vertreiben konnte, wenn er auf Arbeit war. Als sie gerade die Straße lang spazierten, fragte Radha unvermittelt: „Gibt es denn hier in der Nähe auch eine Bibliothek?“ Diese plötzliche Frage irritierte Sunder kurz, doch er freute sich, dass sie langsam aufzutauen schien und antwortete: „Ja, nur fünf Minuten von hier. Chalo, ich zeig es dir. Liest du gern?“ „Ji.“, gab sie nur als Antwort. Als sie kurz darauf vor dem großen Bibliotheksgebäude standen, meinte Sunder: „Ein Freund von mir arbeitet hier. Ich sag ihm Bescheid, damit er dich ein wenig herumführt, wenn du dich anmelden willst.“ Radha wackelte zum Einverständnis leicht mit dem Kopf, doch sie wendete ihren Blick nicht vom Gebäude ab. Sie schien fasziniert von dem, was sie sah. Sunder lächelte und meinte dann: „Was meinst du, wollen wir etwas essen gehen? Ich hab einen Bärenhunger.“ Sie hatten sich in ein kleines Restaurant gesetzt und aßen schweigend ihr bestelltes Essen. Sunder fasste im Kopf nochmal zusammen, was er über Radha erfahren hatte, doch er bemerkte, dass es immer noch sehr wenig war. Dass sie gern las und was sie anscheinend gerne aß, war zwar gut zu wissen, doch er wollte mehr über sie wissen. Doch er hatte das Gefühl, dass sie abblocken würde, wenn er sie mit Fragen überhäufte, also beschloss er, sich noch etwas in Geduld zu üben. Was ihn jedoch wunderte, war, dass sie anscheinend gar nichts über ihn wissen wollte. Sie stellte ihm keine Fragen und begann auch nicht von alleine zu reden. Da kam ihm die Frage in den Sinn, ob sie der Hochzeit mit ihm überhaupt freiwillig zugestimmt hatte. Er wusste, dass sein Vater hellauf von ihr begeistert gewesen war und er in die Hochzeit eingewilligt hatte, weil er glaubte, dass die große Liebe nicht an Bäumen wuchs. Eine arrangierte Heirat schien ihm unkompliziert und er vertraute der Meinung seines Vaters, doch im Moment zweifelte er etwas, denn Radhas Verhalten schien ihm nicht natürlich. So, als würde sie etwas zurückhalten. Während er sie scheinbar unbemerkt dabei beobachtete, wie sie ihren Nachtisch aß, beschloss er, dass er möglichst bald herausfinden wollte, was mit Radha wirklich vor sich ging. „Arre wah! Da ist ja unser frischgebackener Ehemann! Erzähl schon, wie ist sie so, deine liebe Radha?“, empfingen ihn seine Kollegen als Sunder am nächsten Tag zur Arbeit erschien. Er grinste daraufhin nur und verschwand schleunigst in seinem Büro. Seine Kollegen hatten kaum Schamgefühl und tratschten was das Zeug hielt. Er kam zwar gut mit ihnen aus, jedoch nur, so lange alles schön oberflächlich blieb. Er würde sich hüten, ihnen Details über seine Ehe zu erzählen. Nachdem er seine Tasche abgestellt hatte, machte er sich erst einmal einen Kaffee, um wach zu werden und ließ sich dann in seinen Schreibtischstuhl fallen. Sein Rücken und sein Nacken waren vom auf der Couch schlafen völlig verspannt, also versuchte er sie ein wenig zu lockern, doch das klappte nicht so recht. Sunder arbeitete als technischer Bauzeichner in einem Architekturbüro und hatte die nächsten zwei Tage eigentlich mehr als genug zu tun, da noch dringend ein Auftrag beendet werden musste, doch konnte er sich kaum auf seine Arbeit konzentrieren. Seine Gedanken glitten immer wieder zu Radha ab. Er hatte ihr für den Notfall die Telefonnummer zu seinem Büro dagelassen und hoffte, dass sie den Tag einigermaßen rum bekam, ohne sich allzu sehr zu langweilen. Am liebsten hätte Sunder sich noch länger frei genommen, doch das war im Moment nicht möglich und somit mussten auch die Flitterwochen verschoben werden. Die Flitterwochen... Beim Gedanken daran formten sich seine Lippen zu einem kleinen Lächeln. Ob sie sich dann wohl näher kommen würden? Radha übte eine unbestreitbare Faszination auf ihn aus. Sie versprühte trotz oder gerade wegen ihrer Verschlossenheit eine Art Charisma, das ihn anzog und dem er sich schwer widersetzen konnte. Sein Kampfgeist war geweckt und er würde Radha für sich erweichen. Da war er sich sicher. Nach dem Aufstehen frühstückte Radha eine Kleinigkeit und sah sich dann in der Wohnung um. Sunder hatte einen guten Geschmack, das musste sie zugeben. Alles war hell und freundlich eingerichtet und ein paar Pflanzen verschönerten den Anblick noch. Sie wusste nicht viel über Sunder, außer dass er in einem Architekturbüro arbeitete und ein paar Jahre älter war als sie. Allerdings musste sie zugeben, dass man diesen Altersunterschied kaum bemerkte. Sunder schien zwar besonnen, doch man merkte, dass auch ein Schelm in ihm wohnte. Radha ging auf den Balkon und ließ ihren Blick über die Stadt (1) schweifen, die ihr so vertraut und doch so fremd schien. Seit zehn Jahren war sie nun nicht mehr hier gewesen. Vieles hatte sich verändert und sie erkannte einiges nicht wieder, deswegen war sie über Sunders kleine Stadtführung froh gewesen, doch ihr Herz hatte Delhi nie verlassen, ihn nie verlassen... Endlich wieder hier zu sein, freute sie, doch die Umstände hätten schlimmer kaum sein können. Sie war mit einem Mann verheiratet, den sie nicht kannte und sie wusste nicht, wo er war. Ihr war durchaus bewusst, dass ihr Verhalten Sunder gegenüber falsch war. Er konnte nichts dafür, doch sie konnte im Moment einfach nicht aus ihrer Haut. Es war alles so fremd, irreal und sie fühlte sich nicht wohl. Sie bemerkte, wie sehr Sunder sich bemühte, aber er wusste schließlich auch nicht, dass sie diese Ehe nicht freiwillig eingegangen war. Sie hatte sich dem Willen ihrer Eltern beugen müssen, da sie es leid gewesen waren, dass sie nur an ihn dachte und sich für niemand anderes interessierte. Um es sich zu erleichtern und ihr die Flausen aus dem Kopf zu treiben, haben sie schließlich die Hochzeit mit Sunder arrangiert. Objektiv gesehen war er zweifelsohne eine gute Partie, doch sie konnte sich ihm nicht öffnen. Nicht solange ihre Sehnsucht jemand anderem galt. (1) http://2.bp.blogspot.com/_9UtlYBsWMRI/SEWu7chZFjI/AAAAAAAAAeo/NSgmUpfWUxU/s320/delhi%2Bskyline.jpg Kapitel 3: ----------- Die nächsten zwei Wochen vergingen schnell. Sunder musste zu seinem Bedauern Überstunden schieben, was ihn gemeinsame Zeit mit Radha kostete. Er gab sich wirklich Mühe, damit sie sich wohl fühlte und möglichst schnell einlebte, doch sie war weiterhin verschlossen und ging auf Abstand. Natürlich konnte er sich vorstellen, wie schwer ihre neue Situation für sie sein musste, doch so kompliziert hatte er sich das alles nicht vorgestellt. Ihm schien es so, dass sie nicht einmal versuchte, auf ihn zu zugehen. Radha hatte sich in der Zwischenzeit in der Bibliothek angemeldet. Sie liebte Lesen über alles und so konnte sie ihre Zeit sinnvoll verbringen, wenn Sunder arbeiten war. Doch sie bekam mit der Zeit ein immer größeres schlechtes Gewissen, da sie bemerkte, wie sehr sich Sunder anstrengte, um ihr alles recht zu machen. Eigentlich war sie kein schüchterner und in sich gekehrter Mensch, doch ihr Leben hatte einen vollkommen anderen Verlauf genommen, als sie es jemals gewollt hätte. Da fiel es ihr schwer, normal zu sein und so zu tun, als wäre sie glücklich. Das wäre ihr falsch vorgekommen. Sie wollte niemandem eine heile Welt vorspielen, doch wenn sie Sunders Bemühungen sah, fühlte sie sich schlecht dabei. Er schlief für sie auf der Couch, beschwerte sich nicht, dass sie kaum im Haushalt half oder dass sie so wenig mit ihm sprach. Sie an seiner Stelle hätte schon längst die Geduld verloren. Als sie am Freitag mit dem Abendessen fertig waren, wollte Sunder gerade seinen Teller abräumen, als Radha ihn abhielt. „Ich mach das schon. Geh ruhig schon ins Wohnzimmer.” Er war für einen Moment sprachlos, also nickte er nur etwas perplex und verließ die Küche. Radha musste grinsen als sie seine Reaktion sah. Sie hatte beschlossen, ein wenig netter zu ihm zu sein, da es schließlich keinen Sinn machte, dicht zu machen. Sunder wusste nicht, dass ihr Leben schief gelaufen war. Er wusste es auch nicht und er sollte es auch nicht erfahren. Nachdem sie mit dem Aufräumen der Küche fertig war, ging sie ins Wohnzimmer. Sunder saß mit dem Rücken zu ihr auf der Couch und sie sah, wie er versuchte, seinen Nacken und seine Schultern zu strecken. Ihr war aufgefallen, dass er das öfter tat und sie fragte sich, ob das eine Marotte von ihm war oder... Ihr fiel es wie Schuppen von den Augen. Er hatte Rückenprobleme, weil er auf der Couch schlafen musste! Nach dieser Erkenntnis hielt sie ihr schlechtes Gewissen nicht mehr aus. Sie schloss kurz die Augen und atmete einmal tief ein und aus und trat dann hinter ihn an die Lehne der Couch. Ihr plötzliches Erscheinen ließ Sunder aufschrecken, doch Radha meinte etwas zurückhaltend: „Dein Nacken ist verspannt, hai na? Soll ich.... Ich meine, ich kann dich massieren, wenn du willst.…” Sunder glaubte, nicht richtig gehört zu haben, doch als er ihren Blick sah, wusste er, dass er es stimmte. „Wenn es dir nichts ausmacht.…”, entgegnete er und drehte sich um, damit sie besser an seine Schultern herankam. Als sie ihre Hände darauf legte und begann, mit leichtem Druck ihre Daumen über seinen Nacken und seine Schultern kreisen zu lassen, schloss er die Augen und spürte, wie langsam die Spannung von ihm abfiel. Ihre Hände vollbrachten wahre Wunder und es fühlte sich gut an, ihre sanften, aber bestimmten Berührungen zu spüren. Es war das erste Mal, dass sie ihn gewollt berührte und es gefiel ihm. Sie stand dicht genug hinter ihm, dass er die Wärme spüren konnte, die von ihrem Körper ausging. Er hätte noch stundenlang, so verharren können, doch Radha riss ihn aus seinen Gedanken: „Ich... Also... Du musst nicht mehr auf der Couch schlafen. Ich weiß, dass deine Rückenproblem daher rühren und es ist nicht fair von mir, das Bett alleine beanspruchen zu wollen. Wenn du also willst, kannst du...” Sunder legte seine Hand auf ihre und drehte sich zu ihr um. „Dass ich dieser Höllencouch das Bett vorziehe, liegt auf der Hand.”, meinte er grinsend. „Aber wirklich nur, wenn es für dich okay ist.” Radha lächelte und nickte. „Es ist okay...” Schweren Herzens befreite er sich aus ihrem Griff, schnappte sich sein Kissen und ging ins Schlafzimmer. Das Bett lachte ihn förmlich an, doch bevor er sich hinlegte, ging er ins Bad und nahm eine ausgiebige Dusche. Radhas Massage und nun noch diese heiße Dusche ließen jegliche Verspannung von ihm abfallen. Als er fertig war, lag Radha bereits im Bett. Es war für beide ein merkwürdiges Gefühl als er sch zu ihr legte, mit bedacht darauf, dass genug Platz zwischen ihnen war. Radha überlegte, ob sie nicht lieber statt ihres Trägertops ein T-Shirt zum Schlafen angezogen hätte, doch nun war es zu spät. Sunder wäre es jedenfalls lieber gewesen, wenn sie ein T-Shirt angehabt hätte, denn unter dem Top zeichneten sich eindeutig ihre wohlgeformten Rundungen ab, die er zum ersten Mal bewusst wahrnahm. Schnell drehte er ihr den Rücken zu, um nicht in Verlockung zu geraten, sie weiter anzustarren. Auch Radha drehte sich mit dem Rücken zu ihm. Ihr war nicht entgangen, wohin sein Blick gewandert war. Als Radha am nächsten Morgen aufwachte und verschlafen neben sich schaute, bemerkte sie verwundert, dass sie alleine im Bett lag. Sie setzte sich auf und streckte sich ordentlich, um munter zu werden, denn die letzte Nacht war alles andere als erholsam gewesen. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie mit einem Mann das Bett geteilt. Wenn sie daran dachte, dass das sicher nicht das letzte Mal gewesen war, fing ihr Herz an, schneller zu pochen. Was war, wenn Sunder versuchen würde, ihr näher zu kommen? Sie waren schließlich verheiratet und er wusste nichts davon, dass ihr Herz nur für ihn schlug. Sie machte sich Vorwürfe, dass sie ihm durch die Erlaubnis mit ihr das Bett zu teilen, falsche Hoffnungen gemacht haben könnte. Die Erinnerung an die Blicke, mit denen er sie vor dem Einschlafen gemustert hatte, taten ihr Übriges, um ihr einen Schauer über den Rücken zu jagen. Nachdem sie im Badezimmer war und sich angezogen hatte, ging sie in die Küche, um den Tisch zu decken. Sunder war nirgends in der Wohnung zu sehen und sie fragte sich, wo er wohl war. Schließlich war Samstag und sie hatte eigentlich angenommen, dass er am Wochenende nicht arbeiten musste. Gerade als der Kaffee fertig war, wurde die Wohnungstür geöffnet. Radha lief hin, um nachzusehen und war kurz irritiert als sie Sunder sah. Er schien gerade vom Joggen zu kommen, denn er trug eine schwarze Trainingshose und ein recht eng anliegendes, graues T-Shirt, unter dem sich sein Oberkörper sichtbar abzeichnete. Seine Haut glänzte durch die kleinen Schweißperlen, die sich gebildet hatten. Radha fiel zum ersten Mal auf, dass er ziemlich durchtrainiert war und wie gut er eigentlich aussah. Er war kein Schönling im herkömmlichen Sinne, doch sein markantes Gesicht und sein männlicher Körper verliehen ihm eine immense Ausstrahlung. Als Radha plötzlich auffiel, dass sie ihn anstarrte, räusperte sie sich. Sunder schien sie erst jetzt zu bemerken, doch er warf ihr sofort ein Lächeln zu. „Guten Morgen! Ich war gerade Laufen. Tut mir leid, dass ich dir nicht Bescheid gegeben habe, aber ich dachte, du würdest noch schlafen, wenn ich wiederkomme und...“ „Koi bat nahin... Ich habe Frühstück gemacht, also...“ „Ich springe nur schnell unter die Dusche und dann bin ich sofort da.“, warf er schnell ein und drängte sich an ihr vorbei in Richtung Badezimmer. Zehn Minuten später stand er frisch geduscht in der Küche und setzte sich zu Radha an den Tisch. Er fing sofort an gierig seinen Teller zu beladen, was Radha zum Schmunzeln brachte. Nachdem er die ersten Bissen heruntergeschlungen hatte, meinte er: „Ich hab einen Bärenhunger.“ Radha grinste. „Das sehe ich.“ Nachdem sie fertig waren und gemeinsam den Tisch abräumten, sagte Sunder: „Ich habe heute Abend ein paar meiner Freund eingeladen, damit sie dich endlich kennenlernen können. Ist das okay für dich?“ Sie überlegt kurz, stimmte dann aber zu. Es konnte schließlich nicht schaden, wenn sie ein paar neue Leute kennenlernte. So schwer es ihr auch fiel, ihr neues Leben zu akzeptieren, so musste sie sich doch langsam damit arrangieren. Sie hatte schließlich keine Wahl und sie hätte es schließlich schlimmer treffen können als mit Sunder. Während sie für den Abend zusammen ein paar Snacks vorbereiteten und räumten die Wohnung etwas aufräumten, wunderte sich Sunder über Radhas plötzlichen Verhaltensumschwung. Natürlich war er froh, dass sie sich ihm langsam öffnete, doch fragte er sich, woher dieser Meinungswechsel kam. Er vermutete, dass sie sich mittlerweile an ihn gewöhnt und erkannt hatte, dass er kein schlechter Kerl war. Es freute ihn, dass sie sich langsam annäherten und er hoffte, dass das noch nicht das Ende der Fahnenstange war. Während Radha sich noch fertig machte, kamen bereits die ersten Gäste. Als sie jedoch nach einer halben Stunde noch immer nicht aus dem Badezimmer kam, klopfte Sunder an und fragte, ob alles okay war. Sie öffnete daraufhin die Tür und trat mit einem leichten Lächeln heraus (1). „Es tut mir leid, aber ich konnte mich nicht entscheiden, welchen Salwar ich anziehen soll und...“ „Du siehst wunderschön aus.“, unterbrach er sie mit ehrlicher Bewunderung. Sie errötete ungewollt unter seinen Worten und senkte ihren Blick, was sie in Sunders Augen noch schöner werden ließ. Er räusperte sich daraufhin, um die Stimmung zu lockern und meinte dann: „Chalo! Ich will dir meinen besten Freund vorstellen. Er ist derjenige, der neben seinem Studium in der Bibliothek arbeitet.“ Er führte sie ins Wohnzimmer und ging zielstrebig auf die Couch zu, wo ein junger Mann (2) Mitte zwanzig saß und sich angeregt mit jemandem unterhielt. Radha hatte sofort ein merkwürdiges Gefühl. Sie musterte ihn ganz genau und als sie schließlich vor ihm stand, realisierte sie es. Er war es! Vijay! (1) http://i42.tinypic.com/maz5p3.jpg (2) http://i41.tinypic.com/wb76ea.jpg Kapitel 4: ----------- Wie in Trance starrte Radha ihn an. Sie konnte es nicht glauben. So lange hatte sie auf diesen Moment gewartet und nun war er da. Vijay stand nach zehn langen Jahren endlich wieder vor ihr. Sie konnte vor Aufregung nur schwer atmen und sie hatte das Gefühl, ihr Herz würde gleich explodieren, so sehr hämmerte es gegen ihre Brust. Erst Sunders Worte holten sie zurück in die Realität: „Radha, das ist...“ „... Vijay.“, unterbrach sie ihn und sah Vijay fest in die Augen. Sunder zog die Stirn in Falten: „Ihr kennt euch?“ Vijay erwiderte Radhas Blick und schien angestrengt nachzudenken. Sunders Frage stand für einige Augenblicke unbeantwortet im Raum bis sich plötzlich Vijays Gesichtszüge erhellten. „Radha!”, platzte er heraus und schloss sie freudestrahlend in die Arme. Völlig perplex von seinem Gefühlsausbruch brauchte sie einen Moment um sich zu sammeln, doch dann stieg unendliche Freude in ihr auf und sie erwiderte glücklich seine Umarmung. Sunder stand nur verdutzt daneben und beobachtete die beiden. Als sie sich schließlich aus ihrer Umarmung lösten und seinen Blick sahen, meinte Vijay mit einem entschuldigendem Grinsen: „Tut mir leid, Yaar. Radha und ich kennen uns seit dem Kindergarten. Als sie vor zehn Jahren nach Meerut gezogen ist, haben wir aber leider den Kontakt verloren... Bol, Radha, was hast du die letzten Jahre gemacht? Wo hast du gesteckt?!” Seine letzten beiden Sätze richtete er an Radha. „Na, wenn das so ist, habt ihr euch sicher einiges zu erzählen.”, warf Sunder mit einem amüsierten Grinsen ein. „Aber vergiss nicht, dass wir auch noch andere Gäste haben, die dich kennenlernen wollen.”, meinte er augenzwinkernd zu Radha, während er sich zum Gehen umwandte. Sie wackelte leicht mit dem Kopf als Zeichen dafür, dass sie ihn gehört hatte, doch ihre ganze Aufmerksamkeit galt eigentlich Vijay. Sie konnte ihre Augen nicht von ihm abwenden. Er hatte sich kaum verändert. Sein Lachen (1) und seine Blicke ließen sie weiche Knie bekommen. Einfach alles an ihm schien sie magisch anzuziehen. „Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie ich mich freue, dich zu sehen!” Sie spürte, wie ihre Wangen heiß wurden. „Sunder erzählte, dass du dich bei uns in der Bibliothek angemeldet hast. Ich hatte die letzten drei Wochen frei, deswegen war ich nicht dort gewesen, aber ab Montag arbeite ich wieder. Kommst du vorbei?”, wollte er wissen. Radha willigte sofort ein und fühlte, wie ein riesiges Glücksgefühl sich in ihr ausbreitete. Sie unterhielten sich noch eine ganze Weile, doch Radha bemerkte bald Sunders Blicke, die sie baten, sich auch etwas um die anderen Gäste zu kümmern. Schweren Herzens entschuldigte sie sich bei Vijay und gesellte sich zu Sunder, der sie mit ein paar seiner anderen Freunde bekannt machte. Radha setzte ein Lächeln auf, doch ihre Gedanken waren einzig und allein bei Vijay. Ihre Augen suchten ihn immer wieder und sie fühlte sich unglaublich glücklich. Als später jedoch alle Gäste gegangen waren, holte sie die Realität wieder ein. Sie war nun mit Sunder verheiratet und Vijay hatte nichts in ihren Gedanken zu suchen. Sie war geistesabwesend, als sie gemeinsam mit Sunder die Wohnung aufräumte und sie fühlte die gleiche Leere, die sie gespürt hatte, als sie damals aus Delhi weggezogen war und Vijay hatte verlassen müssen. Wie konnte es sein, dass das Schicksal so grausam zu ihr war und ihr ihre erste große Liebe zurückgab, wenn es nun schon zu spät war? Als Radha später schließlich im Bett lag, fand sie keinen Schlaf. Erst einmal fand sie es immer noch irritierend, dass Sunder neben ihr lag und außerdem waren ihre Gedanken bei Vijay. Sie konnte es noch immer nicht glauben, dass er heute nach so langer Zeit wieder vor ihr gestanden hatte. Ihr Glücksgefühl wurde jedoch von den Sorgen über ihre Zukunft getrübt. Sie war nun schließlich verheiratet und all ihre Gedanken sollten eigentlich ihrem Ehemann gelten. Doch das brachte Radha einfach nicht fertig. So nett Sunder auch war, so hatte sie allerdings nicht das Gefühl, dass er Vijay in ihrem Leben ersetzen konnte. Ihre Eltern hatten sie aus diesem Grund zwar miteinander verheiratet, doch eine arrangierte Ehe ist etwas anderes als eine Liebeshochzeit. Radha wusste, dass ihre Eltern Vijay noch nie wirklich akzeptiert hatten, weder als ihren Spielgefährten, noch als sie ihnen offenbarte, dass sie ihn liebte. Dieses Geständnis hatte sie in Wut gebracht, denn es war zu diesem Zeitpunkt mittlerweile sechs Jahre her gewesen, dass sie aus Delhi weggezogen waren und zudem hatten sie immer gewollt, dass Radha einen gut situierten Mann heiratete, damit sie ein gutes Leben haben würde. Radha hatte den Wunsch ihrer Eltern respektiert, doch war sie nie willens gewesen, ihn zu erfüllen bis sie ihr vor zwei Monaten eröffnet hatten, dass sie für sie einen Ehemann gefunden hatten. Sie hatte geweint, sie angefleht, sie nicht zu zwingen, jemanden zu heiraten, den sie nicht kannte, doch im Glauben, nur das Beste für ihre Tochter zu tun, hatten sie nicht nachgegeben und so lag Radha nun neben Sunder. Sie hatte Vijay über all die Jahre keinen einzigen Tag vergessen. Im Gegenteil, ihre Gefühle für ihn wurden immer stärker und ihre Sehnsucht größer. Sie konnte es kaum erwarten, am Montag in die Bibliothek zu gehen. Dort würde sie ihn ganz für sich haben und sie konnte ihm alle Fragen stellen, die ihr auf der Seele brannten, denn sie wusste nicht, wieso der Kontakt damals abgerissen war. Sie hatten sich noch etwa ein halbes Jahr lang Briefe geschrieben, doch plötzlich kamen keine Antworten mehr von ihm und sie hatte nie erfahren, warum. Aber nun hatte sie endlich die Möglichkeit, ihn alles zu fragen. Als Sunder am nächsten Morgen aufwachte, fiel sein Blick als erstes auf Radha. Er war froh, dass sie länger schlief als er, denn so hatte er die Möglichkeit, sie noch etwas zu beobachten, bevor er aufstand. Ihr Anblick betörte ihn immer wieder aufs Neue. Auch von seinen Freuden hatte er gestern anerkennende Worte erhalten, dass er so eine bezaubernde Frau bekommen hatte. Radha hatte sich allen sehr zuvorkommend und charmant gegenüber verhalten und das rechnete er ihr hoch an. Vor allem freute er sich allerdings darüber, dass Vijay und Radha sich bereits kannten. Sunder hoffte, dass es ihr dadurch noch leichter allen würde, sich einzugewöhnen. Mit einem Grinsen stellte er plötzlich fest, dass sie anstatt des Trägertops ein T-Shirt zum Schlafen trug. Er wusste nicht, ob er darüber froh oder enttäuscht sein sollte, denn er konnte nicht leugnen, dass ihm ihr Anblick gefallen hatte und er gern noch mehr sehen wollte... irgendwann... Er wusste natürlich, dass sie noch lange nicht bereit war, ein richtiges Eheleben mit ihm zu führen, doch dafür würde er sorgen. Er wollte, dass sie das Leben mit ihm genoss und möglichst bald nicht mehr spürte, dass ihre Ehe eigentlich arrangiert war. (1) http://i44.tinypic.com/2wom64h.jpg Kapitel 5: ----------- „Arre, kya?!“, rief Taani ungläubig ins Telefon, nachdem Radha ihr von ihrer Begegnung mit Vijay am vergangenen Abend erzählt hatte. „Und was hast du jetzt vor?!“ „...... Ich weiß es nicht... Es...“, druckste Radha herum, doch Taani unterbrach sie. „Du wirst es Sunder doch sagen, hai na?!“ Radha biss sich auf die Unterlippe. „Das weiß ich auch noch nicht. Ich meine, was hätte das denn für einen Zweck?“ „Also ich denke, dass er ein Recht darauf hat, die Wahrheit zu erfahren. Er bemüht sich so sehr um dich und dann willst du ihn bei so einer wichtigen Sache im Unklaren lassen?!“ Radha wunderte sich über ihre kleine Schwester. Seit wann war sie denn so erwachsen? Aber vor allem ärgerte sie, dass sie Recht hatte. Sunder nichts von ihren Gefühlen für Vijay zu sagen, war unfair, doch die beiden waren schließlich beste Freunde. Sie hatte Angst vor Sunders Reaktion, falls sie es ihm sagen sollte. Doch plötzlich kam ihr ein anderer Gedanke. „Taani, versprich mir bitte, dass du Mama und Bauji nichts davon erzählst!“, meinte sie in einem leicht verzweifelten Ton. Am anderen Ende der Leitung herrschte kurz Stille und Radha lauschte gespannt. „..... Mach dir da mal keine Gedanken. Ihr habt euch schon genug gestritten, da werde ich das nicht wieder entfachen. Aber dafür musst du mir versprechen, dass du keinen Mist baust.“ Radha schloss kurz erleichtert die Augen und meinte: „Das kann ich dir nicht versprechen... Du kennst mich doch.“ Taani seufzte, denn sie kannte sie wirklich nur zu gut. Als Radha hörte, wie die Haustür aufging, meinte sie hastig: „Ich muss auflegen. Sunder ist wieder da. Ich ruf bald wieder an.“ Gerade als sie aufgelegt hatte, kam Sunder ins Zimmer. Während Radha das Frühstück gemacht hatte, war er wieder Joggen gewesen. Indem sie tat, als ob sie noch etwas im Kühlschrank suchte, vermied sie es, ihn anzusehen, denn sie musste sich eingestehen, dass sein leicht verschwitzter Anblick in diesem engen T-Shirt sie gestern etwas nervös gemacht und ihr die Hitze in die Wangen getrieben hatte. Diese Situation wollte sie heute eigentlich vermeiden, doch zu ihrer Überraschung bemerkte sie, wie er plötzlich dicht hinter ihr stand und sich leicht über sie beugte, um ebenfalls einen Blick in den Kühlschrank zu werfen. „Ist noch Wasser da? Ich verdurste gleich.“ Mit klopfendem Herzen reichte sie ihm wortlos eine Flasche. Er bedankte sich und verließ die Küche wieder, um zu duschen. Als er weg war, schloss sie die Augen und atmete einmal tief durch. Seine plötzliche Nähe gerade hatte sie unwillkürlich vollkommen durcheinander gebracht. Sie hatte seinen Atem beinahe auf ihrer Haut gespürt, so nah war er ihr gewesen und das machte sie nervös. Er hingegen war sich dessen sicher nicht einmal bewusst gewesen. Als Sunder vom Duschen wieder kam, hatte sie sich wieder beruhigt. Dieses merkwürdige und undefinierbare Gefühl, das sie hatte, wenn er in ihrer Nähe war, blieb allerdings. „Was hältst du davon, wenn wir diesen Mittwoch meinen Vater besuchen fahren? Er hat gefragt, wie es dir geht und da hab ich ihm angeboten, sich von deinem Zustand selbst ein Bild zu machen.“ Radha war einverstanden, denn sie kannte ihren Schwiegervater noch nicht besonders gut und das wollte sie ändern. Den restlichen Tag war Radha hauptsächlich damit beschäftigt, dem morgigen Vormittag entgegenzufiebern. Sie konnte es kaum noch erwarten, endlich vor Vijay zu stehen und mit ihm reden zu können, um ihm alle Fragen zu stellen, die auf ihrer Seele brannten. Auch Sunder fiel auf, dass Radha ziemlich unruhig war und er konnte sich denken, woran es lag. „Du freust dich sehr auf morgen, hai na?“, meinte er grinsend, als sie zusammen das Abendessen vorbereiteten. Bei seinen Worten setzte Radhas Herz einen Schlag aus. „Was...?“ „Vijay und du habt euch schließlich so lange nicht gesehen und ihr habt euch sicher ein ganze Menge zu erzählen, also...“ „Äh... Ji. Ich hätte wirklich nie gedacht, dass wir uns noch mal wiedersehen würden...“, meinte sie kleinlaut und versuchte, ihre Stimme zu kontrollieren, da ihr der Schock seiner Worte noch zu schaffen machte. Im ersten Moment hatte sie geglaubt, er hätte rausbekommen, dass sie Vijay... „Ich bin auch froh, dass du ihn kennst.“, meinte er fröhlich und beugte sich etwas zu ihr, um ihr zuzuzwinkern, während er das Gemüse schnitt. „Wenn du außer mir noch jemanden kennst, wird es dir sicher leichter fallen, dich einzuleben.“ Radha zwang sich zu einem Lächeln, doch seine Worte versetzten ihr einen Stich. Sie fühlte sich schlecht, dass sie ihm nicht die Wahrheit sagte, doch nachdem sie nun wusste, wie er darüber dachte, brachte sie es noch weniger über sich. Sie beschloss, nichts zu sagen bis sie eine Lösung für ihr Problem gefunden hatte, denn die Treffen mit Vijay wollte und konnte sie sich einfach nicht nehmen lassen. Radha stand pünktlich zur Öffnung der Bibliothek vor der Tür. Sie hatte nicht länger warten können. Kaum hatte sie am Morgen die Tür hinter Sunder ins Schloss fallen hören, war sie aufgestanden und hatte sich fertig gemacht. Die Kleiderwahl fiel ihr besonders schwer, da sie für Vijay hübsch aussehen wollte und gleichzeitig bedenken musste, dass sie schließlich nur in eine Bibliothek ging. Am Ende entschied sie sich für einen einfachen Salwar mit ein paar Stickereien (1). Bevor sie losgegangen war, hatte sie noch auf die Schnelle ein Toast hinunter geschlungen, um nicht mit leerem Magen aus dem Haus zu gehen. Zu Radhas Enttäuschung war Vijay nicht derjenige, der die Bibliothek aufschloss, sondern eine ältere Dame, die sie misstrauisch musterte, doch das interessierte Radha nicht. Sie drängte sich an ihr vorbei und ging auf die Suche nach Vijay. Sie sah ihn im Bereich hinter der Ausleihtheke, wie er gerade zwei Kisten in ein Büro brachte. Um auf sich aufmerksam zu machen, winkte sie ihm, doch er schien sie nicht zu sehen, also wartete sie bis er ein paar Augenblicke später wieder herauskam und winkte ihm erneut. Mit Erfolg. Er sah sie und sofort erschien ein Lächeln in seinem Gesicht. Mit einer kleinen Geste zeigte er ihr, dass sie noch kurz warten sollte bis er zu ihr kam. Sie nickte lächelnd, setzte sich an einen der Tische im Lesesaal und beobachtete ihn, wie er eine weitere Kiste in das Büro schaffte. Als er schließlich bei ihr war, begrüßte er sie mit einer festen Umarmung und einem strahlendem Lächeln, das Radha das Herz schneller schlagen ließ. Sie verbrachte den gesamten Vormittag in der Bibliothek. Da Vijay die Aufgabe hatte, alle am vergangenen Tag zurückgegebenen Bücher zurück in die Regale im Lesesaal zu ordnen, konnten sie sich ungestört unterhalten während sie den Bücherwagen durch die Regalreihen schoben. Die Gesprächsthemen schienen den beiden nicht auszugehen. Sie hatten sich so viel zu erzählen, dass ein Tag nicht ausreichte. Er erzählte ihr, dass er vor drei Jahren ein Journalismusstudium angefangen hatte und um sich seine Wohnung zu finanzieren, nebenbei in der Bibliothek arbeitete. Außerdem meinte er, dass er noch immer dort wohnte, wo er vor zehn Jahren gelebt hatte und dass sie ihn unbedingt mal besuchen müsse. Während er sprach, hing Radha regelrecht an seinen Lippen. Sie liebte seine Stimme und wollte alles über sein Leben wissen. Doch er wechselte nach einer Weile das Thema: „Ich hab jetzt wirklich genug von mir erzählt. Jetzt bist du dran.” Radha wusste nicht so recht, wo sie anfangen sollte, denn noch immer brannte ihr die Frage auf der Seele, warum er ihr nicht mehr geantwortet hatte. Sie atmete tief durch und stellte die Frage einfach. Er schaute sie überrascht an und schien nachzudenken. „Hmm.... Also eigentlich war ich der Meinung, dass du mir nicht mehr geschrieben hättest. Ich...” Radha sah ihn ratlos an. „Ich hatte dir geschrieben, aber meine Briefe kamen immer wieder als unzustellbar zurück und...” Vijay schlug sich die Hand vor die Stirn. „Wieso bin ich denn da nicht früher drauf gekommen?! Damals wurden einige Straße umbenannt und unser Postwesen wurde reformiert... Daran wird es dann wohl bestimmt gelegen haben....” Radha war erleichtert, dass dieses Missverständnis endlich geklärt war, aber es machte sie traurig, dass so eine dumme Kleinigkeit, ihr Leben so nachhaltig kaputt gemacht hatte. Wären die Briefe zugestellt wurden, wer weiß, wo sie dann heute wäre. Womöglich wäre sie dann nicht Sunders, sondern Vijays... „So ein blödes Missverständnis!”, unterbrach er ihre Gedanken. „Das ist wirklich ärgerlich.... Aber Hauptsache, wie haben uns wiedergefunden, hai na?!”, meinte er und legte einen Arm um sie. Sie errötete unter seiner Berührung, doch schenkte sie ihm ein zustimmendes Lächeln. Als ihr Blick jedoch zufällig auf die Uhr über der großen Eingangstür fiel, erschrak sie, da es mittlerweile schon so spät war, dass Sunder in einer guten Stunde nach Hause kommen würde. Eilig und schweren Herzens verabschiedete sie sich von Vijay und machte sich mit dem Versprechen an ihn, morgen wiederzukommen, auf den Weg nach Hause. (1) http://i44.tinypic.com/2isxiqg.jpg Kapitel 6: ----------- Gerade als Radha die Wohnungstür aufschließen wollte, bemerkte sie, dass sie bereits offen war. Verwundert trat sie ein und in diesem Moment kam ihr auch schon Sunder entgegen. Sein Anblick verwirrte sie noch mehr. „Wo warst du denn nur so lange?”, wollte er wissen, während sie sich ihre Schuhe auszog. „Ich... Äh... Ich war bis jetzt in der Bibliothek. Vijay und ich haben die Zeit vergessen und...” Sie hatte kurz darüber nachgedacht, ihn anzulügen, doch was hätte das für einen Sinn gehabt? „Ich hoffe, du bist nicht sauer deswegen...”, meinte sie schuldbewusst und senkte ihren Blick, doch Sunder legte seine Hand unter ihr Kinn und brachte sie so dazu, ihm in die Augen zu sehen. „Was erzählst du denn da? Ich bin heilfroh, dass du jemanden hast, mit dem du dich treffen kannst, wenn ich nicht da bin. So weiß ich wenigstens, dass du dich nicht alleine zu Hause langweilst.”, meinte er fröhlich. Während er einen Arm um ihre Schulter legte und sie in Richtung Wohnzimmer führte, meinte er: „Komm mal mit, ich hab eine Überraschung für dich.” Seine plötzliche Nähe ließ ihr Herz schneller schlagen. Um über ihre Nervosität hinwegzutäuschen, meinte sie: „Wie... Wie kommt es eigentlich, dass du schon zu Hause bist? Ich meine, sonst...” „Ich konnte heute ein paar meine Überstunden abbummeln und hatte gedacht, dass wir zwei heute etwas unternehmen könnten, aber da war Vijay heute wohl wichtiger, hai na?”, meinte er und zwinkerte ihr zu. Radha schämte sich in Grund und Boden, doch Sunder meinte, als er ihren Blick sah: „Hey, koi bat nahin! Du konntest ja nicht wissen, dass ich eher komme. Also mach dir keine Gedanken.” Sie lächelte ihn etwas gequält an, denn ihr schlechtes Gewissen fraß sie beinahe auf. Er schien so großes Vertrauen in sie zu haben und sie dachte nur an sich. In ihre Gedanken versunken, ließ Sunder sie auf der Couch Platz nehmen und hielt ihr sogleich zwei Flugtickets unter die Nase. „.... Wofür...?”, stammelte sie etwas verwirrt. „Das sind zwei Flugtickets nach Griechenland.”, entgegnete er nüchtern und fügte hinzu, als Radha ihn noch immer fragend anschaute: „Ich habe nächste Woche frei bekommen, damit wir unsere Flitterwochen noch nachholen können. Leider wird es wohl nur eine Flitterwoche, aber...” Als er ihren geschockten Blick sah, meinte er hastig: „Keine Angst! Du sollst dich nicht bedrängt fühlen. Sieh das einfach als eine Art Urlaub an.” Radha nickte, doch der Gedanke, dass sie eine Woche alleine mit Sunder in einem fremden Land verbringen würde, ließ ihr Herz schneller schlagen. Sie wusste, dass er nichts gegen ihren Willen tun würde, doch die Aussicht auf diese Zweisamkeit ließ sie unglaublich nervös werden, sodass sie anfing, an ihrem Dupatta herumzunesteln. Sunder beobachtete ihre Reaktion mit einem Grinsen. Er konnte kaum glauben, wie unschuldig sie aussah. Sein Vater hatte wirklich Recht gehabt, als er sagte, dass sie etwas Besonderes sei. Sunder hätte nie geglaubt, dass es solche wohlerzogenen Mädchen wie sie noch gab und war froh, nun eine von ihnen als Frau zu haben. „Der Flug geht ja schon diesen Samstag.”, stellte Radha erstaunt fest, als sie sich die Tickets genauer ansah. „Und der Rückflug geht nächsten Samstag. Ich war noch nie in Griechenland und wenn ich schon mal da bin, will ich möglichst viel Zeit dort verbringen.” Sie lächelte zustimmend und konnte nicht leugnen, dass sie sich auf die Reise freute. Sie war noch nie außerhalb Indiens gewesen und die griechische Geschichte mit ihren Göttern und der Architektur hatte sie schon immer interessiert. Nachdem sie Abendbrot gegessen und noch eine Weile im Wohnzimmer zusammengesessen hatten, er Fernseh schauend und sie Buch lesend, gingen sie schließlich ins Bett. Während Sunder sofort eingeschlafen war, lag Radha noch eine ganze Weile wach. Sie haderte mit sich, ob sie ihm nun die Wahrheit über ihre Gefühle zu Vijay sagen sollte oder nicht. Er hätte die Wahrheit verdient, doch wollte sie ihn nicht verletzen, da sie merkte, wie viel er in ihre Ehe investierte, damit sie funktionierte. Sie beschloss, dass sie ihm etwas dafür zurückgeben und aufhören musste, so selbstsüchtig zu sein. Als Radha am nächsten Tag Vijay in der Bibliothek besuchte, hatte er zu ihrem Bedauern nicht so viel Zeit für sie wie am Vortag. Er war an der Ausleihtheke eingeteilt und so hatte er nur selten etwas Luft, um sich mit ihr zu unterhalten. In dieser Zeit lief sie durch die vielen Regalreihen und schaute sich nach interessanten Büchern um. Sie hatte Bücher schon immer geliebt und dass Vijay nun in einer Bibliothek arbeitete, sah sie als ein kleines Zeichen an. Als Vijay kurz Pause machte, fragte er Radha, ob sie denn nicht nächste Woche Lust hatte, ihn besuchen zu kommen. „Da kann ich leider nicht. Ich fliege nächste Woche mit Sunder nach Griechenland, um unsere...... Flitterwochen nachzuholen, also...“, meinte sie entschuldigend, woraufhin er ein etwas enttäuscht anmutendes „Oh...“ verlauten ließ. „Und wie wäre es dann mit übernächster Woche?“, schlug er schließlich vor. Radha lächelte und stimmte sofort zu. Als sie sich schließlich gegen Mittag von ihm verabschiedete, versprach sie, dass sie am Donnerstag wiederkommen würde. Sunder war den ganzen Tag über etwas unkonzentriert bei der Arbeit. In Gedanken war er bereits mit Radha in Griechenland und genoss die Sonne. Er war froh gewesen, dass sie sich über seine Überraschung gefreut hatte, denn er hatte befürchtet, dass sie ihm böse Absichten unterstellen würde. Dabei sah es ganz anders aus. Er hoffte, dass sie diese Reise näher zusammen bringen und eine gewisse Vertrauensbasis schaffen würde. Ihm war aufgefallen, dass Radha in letzter Zeit etwas aufgetaut war und das sah er als großen Fortschritt an. Er wollte ihr zeigen, dass sie bei ihm gut aufgehoben war, auch wenn er an der Freiwilligkeit, mit der sie ihre Ehe eingegangen war, zweifelte. Irgendwann wollte er sie fragen, wieso sie zugestimmt hatte, doch dazu musste noch einige Zeit vergehen. Während Radha auf dem Weg nach Hause war, kam sie an einem kleinen Park vorbei und da die Sonne schien und es angenehm warm war, entschloss sie, sich noch eine Weile auf eine der Parkbänke zu setzen und das schöne Wetter zu genießen. Ihr friedlicher Anblick, den sie bot, als sie dort mit geschlossenen Augen saß und die Sonne genoss, täuschte über ihr aufgewühltes Inneres hinweg. Sie war hin und her gerissen zwischen dem Pflichtgefühl, was sie Sunder gegenüber hatte und den Gefühlen für Vijay. In diesem Moment stellte sich ihr zum allerersten Mal diese Frage: Was empfand Vijay eigentlich für sie? Darüber hatte sie nie nachgedacht. Dass er sich gefreut hatte, sie wiederzusehen, war nicht abzustreiten, doch empfand er für sie Freundschaft oder erwiderte er ihre Liebe? Sie konnte sich diese Frage nicht beantworten. Sie wusste auch nicht, ob er sie damals geliebt hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren sie schließlich noch Kinder gewesen und diese Frage hatte sich ihr nie gestellt. Ihr selbst waren ihre Gefühle auch erst viel später klar geworden. Und selbst falls er ihre Gefühle erwiderte, was würde er tun? Sie war schließlich mit seinem besten Freund verheiratet. Kein anständiger Kerl würde in dieser Situation Annäherungsversuche machen. Radha öffnete die Augen und seufzte. Alles war so kompliziert und im Moment sah sie keine Möglichkeit aus diesem Wirrwarr zu entkommen. Noch verwirrte als zuvor stand sie auf und machte sich auf den Weg zu ihrer Wohnung. Kapitel 7: ----------- Da sie Sunders Vater versprochen hatten gegen 15 Uhr bei ihm zu sein, kam Sunder schon kurz nach Mittag nach Hause. Radha hatte mit dem Kochen etwas später angefangen, damit sie gemeinsam essen konnten. „Bevor mein Vater dich nachher mit der Frage überfällt, stelle ich sie lieber jetzt: Bist du glücklich?“, wollte Sunder wissen, als sie sich an den Tisch gesetzt hatten. Radha schaute ihn überrascht an und überlegte kurz, was sie darauf antworten sollte. „Ich... Es geht mir wirklich gut bei dir.“, meinte sie schließlich und unterstützte ihre Aussage mit einem Lächeln. Sie konnte nicht sagen, ob sie glücklich war, denn dazu waren ihre Gefühle zu verworren und durcheinander. Doch dass sie sich wohl bei ihm fühlte, stimmte. Er nickte und sagte dann: „Es ist nur, dass du mir sagen sollst, wenn dir etwas auf dem Herzen liegt.“ Er legte seine Hand auf ihre und drückte sie sanft. „Als dein Ehemann hab ich schließlich dafür zu sorgen, dass es dir gut geht und dass es dir an nichts fehlt, hai na?!“, meinte er und grinste. Radha wurde rot und senkte ihren Blick. Sunder musste ob ihrer Reaktion grinsen und hielt ihre Hand noch etwas länger. „Aber wenn es dir gut geht, dann ist ja alles in bester Ordnung. Das freut mich wirklich.“, meinte er schließlich und senkte seine Stimme etwas beim letzten Satz. Dann ließ er ihre Hand wieder los und aß weiter. Radha beobachtete ihn aus dem Augenwinkel und mit klopfendem Herzen. Jedes Mal, wenn er sie berührte, durchfuhr es sie und sie wurde nervös. Sie konnte das Gefühl nicht definieren, doch als wirklich unangenehm empfand sie es nicht. Sunders Vater wohnte etwas außerhalb der Stadt. Radha fragte sich, wieso er nicht bei ihnen wohnte, da es doch sonst normal und üblich war, dass Eltern und Kinder zusammen lebten. Als er ihren nachdenklichen Blick sah, schien Sunder zu ahnen, was sie dachte und meinte: „Vater wollte nicht aus unserem alten Haus ausziehen nachdem meine Mutter gestorben war. Aber für mich war es wegen der Arbeit nicht mehr möglich, jeden Tag hin und her zu fahren und deswegen habe ich mir in der Stadt eine Wohnung genommen. Er hat mir das nicht übel genommen und wir kommen gut zurecht, wie es jetzt ist.“ Radha war mehr als überrascht, dass er einfach so ihre Gedanken erahnen konnte. Diese Tatsache machte ihr für die Zukunft ein wenig Angst. Nachdem sie geklingelt hatten und Sunders Vater die Tür geöffnet hatte, begrüßten sie sich und Radha und Sunder traten ein. Das Haus war nicht sehr groß, doch Radha konnte sich vorstellen, dass man hier sehr gut leben und eine schöne Kindheit verbringen konnte. Hinter dem Haus war ein kleiner Garten, wo sie sich zusammen auf die Terrasse setzten. Nachdem ein wenig geplaudert wurde, fragte Sunders Vater schließlich: „Aur tum thik ho, Beti? Ist Sunder auch immer nett zu dir?” Radha lächelte und meinte: „Ji Haan.” Sie richtete ihren Blick auf Sunder. „Er behandelt mich sehr gut und ich kann mich wirklich nicht beklagen.” Sein Vater lachte. „Na, das höre ich doch gern. Also haben wir bei seiner Erziehung doch etwas richtig gemacht.” „Das kann man wohl sagen.”, grinste Radha. Sunder freute sich, dass sie sich so gut verstanden. Nachdem sie noch eine Weile zusammen gesessen und später Abendbrot gegessen hatten, machten sich Radha und Sunder langsam auf den Heimweg. Zur Verabschiedung berührte sie noch einmal die Füße seines Vaters, woraufhin er ihr seinen Segen gab. „Dein Vater ist ein unglaublich netter Mensch.”, meinte Radha fröhlich, als sie im Auto saßen. „Allerdings. Ich hoffe, ich kann ein bisschen wie er werden, wenn...” „Das bist du doch schon.”, platzte Radha heraus und wunderte sich selbst über ihre Worte. Sein überraschter Ausdruck verwandelte sich schnell in ein Grinsen. „Freut mich, dass von dir zu hören.”, meinte er und lenkte seinen Blick zurück auf die Straße. „Und er hat dich mir ausgesucht.... Wir scheinen also auch den gleichen Geschmack zu haben.. ..”, fügte er noch vielsagend hinzu und musste sich ein schelmisches Grinsen unterdrücken, denn auch wenn er sie nicht ansah, so wusste er, dass sie nach seiner Bemerkung errötete. „Wieso hast du mir denn nicht gesagt, dass du Flugangst hast?!“, wollte Sunder vorwurfsvoll wissen, als er sah, dass Radha sich in den Sitz krallte, als das Flugzeug nach Griechenland auf der Startbahn losrollte. „Was hätte denn das geändert? Wären wir dann die 10 000 km mit dem Auto gefahren?“, gab sie zurück und kniff die Augen zusammen, während sie sich tiefer in den Sitz drückte. Als das Flugzeug langsam abhob, griff sie nach Sunders Hand und drückte sie fest zusammen. „Und wie willst du jetzt den ganzen Flug überstehen?“, erkundigte er sich. „Wenn wir erstmal in der Luft sind... dann geht es...“, presste sie mit noch immer zusammengekniffenen Augen hervor. Ihre Atmung ging schwer und sie krallte ihre Fingernägel in Sunders Hand. Er musste sich mächtig zusammenreißen, um nicht vor Schmerzen aufzuschreien, denn er war sich sicher, dass er bereits blutete. Als sie endlich die richtige Flughöhe erreicht hatten, entspannte sich Radha schließlich etwas und ließ seine Hand los, woraufhin Sunder seine Vermutung bestätigt sah: Man sah deutlich Radhas Fingernägelabdrücke, aus denen nun kleine Blutstropfen quollen. Als Radha ihr Werk sah, hielt sie sich erschrocken die Hand vor den Mund und kramte sofort in ihrer Tasche nach Pflastern. „Ohje, das tut mir leid! Das war keine Absicht. Ich…”, meinte sie entschuldigend, während sie seine fünf kleinen Wunden versorgte. „Ich hab jetzt schon Angst vor deiner Reaktion beim Landeanflug...”, erwiderte er scherzend. „Solltest du auch haben.”, sagte sie und schaute ihn ernst an. Sunders Augen wurde größer und nun hatte er wirklich Angst. Radha begann zu lachen und packte dann ihre Pflaster wieder weg. Ihr Flug dauerte gute acht Stunden mit einem kurzen Zwischenhalt in Bahrain. Radha überlebte die beiden Landungen und den Abflug geradeso, doch die Armlehnen ihres Sitzes hatten viel zu leiden. Sunder konnte sich bei ihrem verkrampften Anblick sein Grinsen nicht verkneifen, das er jedoch, sobald sie wieder in der Luft waren, mit einem Schlag auf die Schulter quittiert bekam. Als sie schließlich gelandet und in ihr Hotel (1) gefahren waren, packten sie als erstes aus. Radha staunte nicht schlecht, denn ihr Zimmer (2) war wirklich schön eingerichtet und sah sehr komfortabel aus. Außerdem hatten sie vom Balkon aus einen wunderbaren Blick auf den Strand und das dahinter liegende Meer, die sich direkt neben ihrem Hotel befanden. Nachdem sie fertig ausgepackt hatten, beschlossen sie noch eine Kleinigkeit im hoteleigenen Restaurant essen zu gehen. Es war bereits nach 20 Uhr und somit zu spät, um noch etwas Ordentliches zu unternehmen. Radha sog alle neuen Eindrücke regelrecht in sich auf, um nichts zu verpassen. Sie war Sunder sehr dankbar, dass er mit ihr diese reise machte. Das Essen war für beide etwas gewöhnungsbedürftig, da sie bisher nur indisches essen kannten, doch sie konnten sich durchaus damit anfreunden. Nachdem sie fertig waren, sahen sie sich noch ein Weilchen im Hotel um und gingen dann zurück in ihr Zimmer. Vollkommen erschöpft vom Flug fielen die beiden schließlich ins Bett. Radha schlief beinahe auf der Stelle ein, während Sunder sie noch etwas beobachtete. Seit sie losgeflogen waren, war sie regelrecht aufgeblüht und er freute sich schon sehr darauf, was die folgenden Tage noch so alles bringen würden. (1) http://i42.tinypic.com/j5bggl.jpg (2) http://i39.tinypic.com/w7kd44.jpg Kapitel 8: ----------- Nachdem sie am nächsten Morgen am Büfett gefrühstückt hatten, überlegten sie, was sie den Tag über unternehmen sollten. Sunder hatte ein paar Sachen herausgesucht, die sie in der Woche besichtigen konnten oder sie legten sich zur Erholung heute erst einmal an den Strand. Da sich Radha nicht entscheiden konnte, bestimmte Sunder schließlich, dass sie zuerst an den Strand gingen. Sie packten ihre Sachen ein und machten sich auf den Weg. Am Strand angekommen, gingen sie zuerst in die Umkleidekabinen. Sunder war schnell fertig, doch als Radha nach zehn Minuten immer noch nicht herauskam, klopfte er vorsichtig an ihre Tür. „Alles okay bei dir?” Als keine Antwort kam, klopfte er erneut. „Radha?!” „Ich.... Ich will nicht schwimmen.”, rief sie zögerlich über die Tür hinweg. „Wieso denn das? Geht es dir nicht gut?” „Doch, aber ich... Es ist nur... Ich fühle mich unwohl in diesen Badesachen.” „Wieso denn? Hier laufen doch alle so rum. Keiner wird dich verurteilen.” „Ja, aber...” „Kein `aber´. Jetzt komm raus. Du wirst überhaupt nicht auffallen.” Nach ein paar Augenblicken öffnete sie schließlich zögerlich die Tür. Ihr Anblick raubte ihm kurz den Atem. Sie trug einen gelben Monokini (1) , ihr langes schwarzes Haar fiel leicht gelockt über ihre Schultern. Sie hatten ihren Blick gesenkt und nestelte nervös an ihrer Strandtasche und an ihrem Handtuch herum, die sie in der Hand hatte. Ihr Körper sah noch viel betörender aus, als er sich ihn vorgestellt hatte. Am liebsten hätte er seine Hände sanft über ihre vorzüglichen Kurven gleiten lassen, doch er widerstand dieser Versuchung und sagte stattdessen: „Du brauchst dir wirklich keine Gedanken machen. Du siehst wirklich hinreißend aus....” Sie hob ihren Blick und lächelte ihn verhalten an. „Dieses Ding hatte ich eigentlich nie vor anzuziehen, aber meine Schwester Taani hat ihn mir aufgeschwatzt und da ich nichts anderes zum Schwimmen gehen habe, hab ich ihn mitgenommen und...” „Hey, du musst dich nicht dafür entschuldigen. Er steht dir wirklich ausgezeichnet. Also wollen wir dann jetzt gehen?”, fragte er grinsend und legte eine Hand auf ihren nackten Rücken, um sie zum Losgehen zu animieren. Ihre Haut fühlte sich unter seiner Hand so weich und warm an und er hätte sie gerne noch etwas mehr erkundet, doch er riss sich zusammen. Nachdem sie ihre Handtücher auf zwei Liegen ausgebreitet hatten, stellte Sunder einen Sonnenschirm auf. Radha beobachtete ihn dabei und bemerkte dabei unwillkürlich, wie ihr Blick auf seinen nackten Oberkörper wanderte. Schon mit einem Shirt hatte er vielversprechend ausgesehen, doch so ganz ohne Stoff, war er noch viel anziehender. Man sah deutlich, dass er trainierte, doch nur soviel, dass er in Form blieb. Sie konnte nicht umhin, sich zu fragen, wie sich seine Muskeln und seine Haut wohl unter ihren Fingern anfühlen würden. Erschrocken über ihre eigenen Gedanken schüttelte sie kurz den Kopf und erinnerte sich daran, dass sie Vijay liebte. Als sie ihn am Donnerstag noch einmal in der Bibliothek besucht hatte, hatten sie sich wieder lange über alle möglichen Themen unterhalten. Ihren Plan, ihn nach seinen Gefühlen zu fragen, hatte sie sich jedoch nicht getraut, in die Tat umzusetzen. Zuviel Angst hatte sie vor der Antwort. Egal, wie sie ausfallen würde. „Du kannst ruhig schon ins Wasser gehen.”, riss Sunder sie aus ihren Gedanken. „Ich stelle nur noch schnell den Schirm auf, dann komme ich nach.” Radha nickte etwas zögerlich und machte sich dann auf den Weg ins Wasser, das für sie überraschend kühl war. Den Außentemperaturen nach zu urteilen, hätte es mindestens fünf Grad wärmer sein sollen. Sie ließ sich jedoch nicht abschrecken und ließ sich nach einer kurzen Gewöhnungsphase in die sanften Wellen fallen. Sunder schaute ihr hinterher und übersah dabei die Blicke andere Männer nicht, die Radha gierig hinterher schauten. Er konnte sie sehr gut verstehen, doch er wollte nicht, dass sie zu einem Lustobjekt für geifernde Kerle wurde. Er bereute es sofort , sie zum Schwimmen gehen überredet zu haben. Nachdem Sunder Radha noch ein paar Augenblicke beobachtet hatte, widmete er sich noch einmal kurz dem Sonnenschirm, um danach ins Wasser zugehen. Doch als er sich wieder umdrehte, traute er seinen Augen nicht. Da wagte es doch tatsächlich ein Kerl, Radha anzubaggern. Sicheren Schrittes näherte sich Sunder der Szenerie und bemerkte Radhas offensichtliche Verwirrung. Als er sie schließlich erreichte, legte er seinen Arm um sie, zog sie näher zu sich heran und machte dem Kerl auf englisch klar, dass sie seine Frau war. Enttäuscht entschuldigte er sich und zog von dannen. Triumphierend sah Sunder ihm nach bis er bemerkte, dass er noch immer seinen Arm um Radha gelegt hatte. Mit gesenktem Blick und roten Wangen stand sie neben ihm. Während er sie losließ, meinte er: „Tut mir leid, wenn ich dir zu nahe getreten bin, aber diese Kerle sind wie Schmeißfliegen. Sobald sie eine hübsche junge Frau sehen, denken sie nur noch an das Eine...” Erschrocken schaute sie ihn an. „Du meinst, er wollte...?!” Sunder konnte sich über ihre Verwunderung ein Grinsen nicht verkneifen. Selten war ihm jemand so unschuldiges begegnet. „Mach dir deswegen keine Gedanken. Ich bin ja da und wird dich vor diesen Typen beschützen.”, sagte er augenzwinkernd, woraufhin sie ihm ein Lächeln schenkte, dass ihm das Herz weich werden ließ. „Ich war noch nie im Meer baden.”, meinte sie schließlich und drehte sich von ihm weg, um ihren Blick über die unendlich wirkende Wasserfläche schweifen zu lassen. Um sie herum herrschte reges Getümmel. Familien spielten miteinander Wasserball, Kinder bauten Sandburgen am Strand, Jugendliche kämpften um Luftmatratzen und veranstalteten Wasserschlachten, doch Radhas Anblick, wie leichter Wind durch ihr nasses Haar wehte und die Sonne ihre feuchte Haut glänzen ließ, ließ ihn allen Lärm um ihn herum für einen Augenblick vergessen. „Wollen wir noch ein bisschen weiter raus schwimmen?”, fragte sie schließlich und wendete sich Sunder wieder zu. So plötzlich aus seinen Gedanken gerissen, erwiderte er nur ein kurzes „Ja.” Nachdem sie sich eine ganze Weile im Wasser aufgehalten hatten, machten sie sich auf den Weg zurück zum Strand. Wieder an ihren Liegen angekommen, wrang Radha zuerst ihr Haar etwas aus. Sunder bemerkte unterdessen etwas angesäuert erneut die Blicke anderer Männer und griff aus einem Affekt heraus nach Radhas Handtuch, stellte sich hinter sie und legte es ihr liebevoll um die Schultern. Seine überraschende Berührung ließ sie kurz zusammenzucken und mit klopfendem Herzen fragte sie: „Was... Was tust du...?” Da er nicht zugeben wollte, dass ihm die Blicke der Männer nicht gefielen, meinte er schließlich lahm: „Man sollte sich nach dem Schwimmen schnell abtrocknen, damit man keine Erkältung bekommt...” Misstrauisch drehte sie sich zu ihm um, wackelte aber dennoch einverstanden mit dem Kopf. Sie verbrachten schließlich den gesamten Tag am Strand. Am frühen Nachmittag aßen sie eine Kleinigkeit in einem Strandbistro, ansonsten lagen sie die meiste Zeit auf ihren Liegen. Radha las ein Buch und Sunder hörte Musik. Ab und zu ließ er unauffällig seinen Blick umherwandern, um zu sehen, ob Radha gierige Blicke zugeworfen wurden. Er wunderte sich über sich selbst, denn Eifersucht war eigentlich nicht seine Art und er würde Radha niemals vorschreiben, was sie anziehen sollte, doch er wünschte sich, ihr jetziger Anblick wäre nur ihm vorenthalten. Er wollte ihre Schönheit und Unschuld nicht mit geifernden Typen teilen, die sie nicht zu schätzen wussten. Und so achtete er genau darauf, dass alle mitbekamen, dass sie zu ihm gehörte, wenn sie zusammen ins Wasser gingen, indem er dicht neben ihr lief und unauffällig alle möglichen Interessenten an Radha mit warnenden Blicken strafte. Als sie schließlich gegen 18 Uhr zurück ins Hotel gingen, war er erleichtert und beschloss, die nächsten Tage vom Strand fernzubleiben und Ausflüge zu unternehmen. Nachdem sie hungrig über ihr Abendessen hergefallen waren, gingen sie zurück in ihr Zimmer und fielen müde vom ganzen Tag an der frischen Meerluft in ihr Bett und schliefen auf der Stelle ein. (1) http://i40.tinypic.com/n46vrt.jpg Kapitel 9: ----------- „Und wie kommen wir da hin?”, wollte Radha am nächsten Morgen am Frühstückstisch wissen, als Sunder ihr eröffnet hatte, dass sie einen Tagesausflug nach Delphi unternehmen würden. „Das Hotel bietet Bustouren für kleine Reisegruppen dorthin an. Es geht in einer Stunde los.” Sie war einverstanden und nachdem sie aufgegessen hatten, gingen sie in ihr Zimmer, packten ein paar Sachen für den Ausflug zusammen und zogen sich noch etwas bequemeres an. Da es angenehm warm draußen war, entschied sich Radha für einen leichten Salwar (1) und Sunder blieb in Jeans und T-Shirt (2). Die Busfahrt dauerte gute drei Stunden, doch da der Bus klimatisiert war, war die Reise angenehm. Radha konnte sich an der vorbeiziehenden Landschaft kaum satt sehen und sog alle Eindrücke förmlich in sich auf. Sunder beobachtete sie dabei und war froh, dass ihr alles so gut gefiel. Ihm fiel auf, dass er noch immer nicht sehr viel über sie wusste und beschloss, das möglichst schnell zu ändern. Sie faszinierte ihn und er wollte alles über sie wissen. Wenn er so darüber nachdachte, hätte sein Vater keine bessere Braut für ihn aussuchen können. Auch wenn sie am Anfang sehr verschlossen ihm gegenüber war, so war es nun eine doppelte Freude, sie regelrecht aufblühen zu sehen und er freute sich auf die gemeinsame Zeit, die noch vor ihnen lag. Als sie schließlich ihr Ziel erreicht hatten, lag noch ein kurzer Fußmarsch vor ihnen, um zum eigentlichen Orakel von Delphi (3) zu gelangen. Ein Reiseführer leitete ihre Gruppe durch die antiken Ruinen und erklärte ihnen einige Sachen zur Geschichte und zur Entstehung. Nachdem die zweistündige Führung vorbei war, hatten sie noch Gelegenheit, das Gelände ein wenig auf eigene Faust zu erkunden. Radha bekam vor Staunen und Bewunderung ihren Mund kaum noch zu. Sie faszinierte einfach alles und als sie schließlich auf dem höchsten Punkt angelangt waren, wurde sie von der Aussicht (4) schier überwältigt. Auch Sunder war schwer beeindruckt. „Ich wünschte, wir hätten zu Hause auch so eine unglaubliche Aussicht.”, schwärmte Radha. „Wenn wir mal alt sind, ziehen wir einfach hierher und verbringen unsere Ruhestand hier.”, entgegnete Sunder selbstsicher und fand die Idee in der Tat nicht schlecht. Radha lachte und erklärte sich einverstanden. „Dann sieh aber zu, dass du für unser Haus hier oben eine Baugenehmigung bekommst, denn ich will genau diesen Ausblick. “, meinte sie lachend und ließ ihren Arm durch die Luft schweifen. Sunder beugte sich etwas zu ihr hinunter und meinte mit gesenkter Stimme: „Für dich würde ich sogar das Unmögliche möglich machen...” Sie schaute ihn mit großen Augen an und wandte sich dann mit glühenden Wangen von ihm ab. Er grinste daraufhin nur vergnügt und freute sich, dass es so leicht war, sie verlegen zu machen. Nachdem sie noch eine Weile staunend umher gewandert waren und die verfallenen Tempelanlagen (5) angesehen hatten, machten sie sich auf den Weg zurück zum Bus. Dort warteten bereits die anderen Mitglieder ihrer Reisegruppe auf sie. Der Bus setzte sich in Bewegung nachdem alle eingestiegen waren und hielt eine halbe Stunde später an einem Restaurant. Radha und Sunder waren für diese Rast dankbar, denn beiden knurrte der Magen wie verrückt. Als sie wieder losfuhren, neigte sich die Sonne bereits zum Horizont und als sie am Hotel ankamen, war es dunkel. Radha und Sunder waren zwar geschafft vom Tag, jedoch nicht müde genug, um bereits ins Bett zu gehen. So entschieden sie sich noch für einen kleinen Strandspaziergang. Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her und ließen, die sanften Wellen ihre nackten Füße umspielen. „Ich danke dir, dass du mit mir diese Reise machst. Das...”, meinte Radha schließlich. Sunder schaute sie überrascht an. „Dafür musst du dich nun wirklich nicht bedanken. Flitterwochen gehören schließlich zu einer Hochzeit dazu. Außerdem soll es dir gut gehen und....” „Sicher, aber das ist nicht selbstverständlich. Und ich....” Während sie sprach, sah sie Sunder nicht an, sondern nestelte nervös an ihrem Dupatta herum. Sie atmete einmal tief ein und wieder aus. „Ich weiß, dass ich es dir anfangs nicht leicht gemacht habe und dafür entschuldige ich mich. Und auch wenn du es möglicherweise nicht wahrnimmst, so bin ich dir sehr dankbar und ich verspreche dir, dass ich dir eine gute Ehefrau sein...” „Jetzt ist aber gut.”, unterbrach er sie, legte seine Arme um sie und zog sie an sich. „Du musst mir nichts versprechen. Ich weiß, dass du dein Möglichstes gibst und wir werden das zusammen schaffen. Also ist es gut jetzt. Ich vertraue dir.” Radha lauschte gespannt seinen Worten, auch wenn es ihr schwer fiel, sich zu konzentrieren. Noch nie, war sie ihm so nahe gewesen. Sein Geruch, eine Mischung aus Aftershave und Meerwasser, benebelte ihre Sinne. Seine Hände auf ihrem Körper ließen ihr Herz gegen ihre Brust hämmern. Sunder hielt sie noch einen Moment in seinen Armen und ließ sie dann los, um ihr seine Hand unters Kinn zu legen und sie anzulächeln. „Und jetzt lass uns zurück ins Hotel gehen. Ich bin mittlerweile hundemüde.”, meinte er und legte ihr eine Hand auf den Rücken, um sie zum Gehen zu animieren. Radha nickte unmerklich und versuchte sich darauf zu konzentrieren, ihren Puls wieder zu normalisieren. Sunder war schnell eingeschlafen, doch Radha lag noch eine Weile wach. Das Versprechen, das sie ihm vorhin gegeben hatte, meinte sie ernst. Sie wollte ihm eine gute Ehefrau sei, denn das war sie ihm schuldig, so sehr er sich um sie bemühte. Ihr schlechtes Gewissen fraß sie beinahe auf, denn ihre Gefühle für Vijay konnte sie schließlich nicht einfach abstellen. Dafür waren sie zu tief in ihr verankert und nun zu frisch wieder aufgerissen. Wäre er nicht erneut in ihr Leben getreten, wäre es ihr um vieles leichter gefallen, sich auf Sunder zu konzentrieren. Auch wenn es nicht einfach sein würde, so hatte sie vor, ihre Gefühle für Vijay zu verdrängen und ihre Pflicht Sunder gegenüber zu erfüllen. Der zweite teil würde ihr nicht sehr schwer fallen, da sie sich eingestehen musste, dass sie ihm mittlerweile recht zugetan war, doch der erste Teil würde sie viel Kraft kosten. All die Jahre, die Vijay in ihren Gedanken herumgeschwirrt war, waren schließlich nicht so einfach wegzuwischen. Zudem war sie sich auch nicht sicher, ob sie das wirklich wollte. Und eines war ihr auch klar, dass sie nicht schon wieder den Kontakt mit ihm verlieren wollte. Sie liebte es, in seiner Nähe zu sein, seine Stimme zu hören, ihm zuzusehen und seine Berührungen zu spüren. Einfach alles an ihm schien perfekt zu sein. Als Radha bemerkte, wie sie in Träumereien abdriftete, schüttelte sie leicht den Kopf und schloss schließlich die Augen, um endlich zu schlafen. Beim Frühstück am nächsten Morgen beschlossen Radha und Sunder, den Tag zu nutzen, um die Stadt ein wenig zu erkunden und nach passenden Mitbringseln für sich und ihre Freunde zu suchen. Während Radha beschloss, vorher noch schnell eine Dusche zu nehmen, wollte Sunder noch eine Stadtkarte an der Rezeption kaufen gehen. Radha eilte schließlich in ihr Zimmer, ging ins Bad, entkleidete sich und wollte gerade das Wasser andrehen, als ihr auffiel, dass sie ihr Handtuch vergessen hatte. Ohne weiter darüber nachzudenken, schlüpfte sie aus dem Bad, um sich aus ihrem Schrank ein Handtuch zu holen. Auf dem Rückweg ins Badezimmer, ging jedoch plötzlich die Tür auf und Sunder kam herein, der jedoch wie angewurzelt stehen blieb, als er Radha erblickte. Sie war ebenfalls zu geschockt, um sich zu bewegen und so verharrten beide für einige Augenblicke in dieser Starre bis Sunder schließlich, während er sich hastig umdrehte, stammelte: „Oh Gott, ich.... Das tut mir leid! Ich wollte nur.... Ich hab mein Geld vergessen und...” Radha spürte, wie sie puterrot anlief, während sie sich hastig das Handtuch um ihren nackten Körper wickelte. „Nein, es... Ich hätte nicht...”, brachte sie mit bebender Stimme hervor und eilte ins Bad. Nachdem sie hastig die Tür hinter sich geschlossen hatte, lehnte sie sich daran und ließ sich auf den Boden sinken. Das war die peinlichste Situation ihres Lebens. Noch nie hatte ein Mann sie so gesehen und es war schon immer ihr Wunsch gewesen, dass Vijay der erste sein würde, doch nun... Sie legte leicht verzweifelt ihren Kopf auf ihre Knien und versuchte ihren rasenden Puls, ihren hämmernden Herzschlag und unregelmäßige Atmung unter Kontrolle zu bringen. Auch Sunder hatte diese Begegnung nicht kalt gelassen. Mit diesem Anblick hatte er nie im Leben gerechnet und nun stand er da und konnte an nichts anderes denken. Radhas exquisiter Körper hatte sich nun in sein Gehirn eingebrannt und er konnte nicht umhin festzustellen, dass er ohne das bisschen Stoff des Bikinis noch viel schöner anzusehen war. Alles war in der richtigen Menge an der richtigen Stelle und ihre zarte Haut sah so berührungswürdig aus, dass... Sunder schüttelte kurz den Kopf, um seine alles andere als anständigen Gedanken abzuschütteln. Als sein Puls sich schließlich wieder einigermaßen beruhigt hatte, holte er seine Geldbörse und verließ das Zimmer mit einem letzten Blick auf die verschlossene Badezimmertür. (1) http://i39.tinypic.com/k20ajm.jpg (2) http://i42.tinypic.com/2wd0nwg.jpg (3) http://i43.tinypic.com/23rn67b.jpg (4) http://i42.tinypic.com/pp2x3.jpg (5) http://www.liceomontaleroma.it/documenti/segreteria/immagini/articoli/delfi.jpg Kapitel 10: ------------ Sunder stand gedankenverloren und mit der gekauften Stadtkarte in der Hand an der Rezeption, als Radha die Treppen herunterkam. Sie hatte einige Zeit gebraucht, um sich zu beruhigen und sich dann dazu durchzuringen, endlich zu Sunder zu gehen. Unsicher, wie sie sich ihm gegenüber nun verhalten sollte, kam sie mit hochrotem Kopf und gesenktem Blick auf ihn zu und hoffte, dass er sie nie wieder auf den Zwischenfall ansprechen würde. Und selbst seine Gedanken mochte sie sich nicht einmal ausmalen. Als er sie schließlich bemerkte, räusperte er sich und setzte ein aufmunterndes Lächeln auf. „Ich hab die Karte, also wollen wir dann los?”, meinte er schnell, um keine peinliche Stille zwischen ihnen entstehen zu lassen. Radha nickte, doch sie fühlte sich noch zu peinlich berührt, um ihm in die Augen zu sehen. „Der Kerl an der Rezeption meinte, dass wir unbedingt auf den alten Tempel da oben auf dem Berg gehen sollen, da man von dort eine super Aussicht über die Stadt und die Umgebung hat.”, erklärte Sunder als sie die Straße am Meer entlang in Richtung Stadt schlenderten. Er versuchte, möglichst viel zu reden, um die peinliche Spannung zwischen ihnen wieder abzubauen und er hatte Erfolg. Radha hörte ihm aufmerksam zu und schaute ihm wieder ins Gesicht. Nachdem sie eine halbe Stunde den Berg hinauf gewandert waren, kamen sie an der Tempelruine an. Und die Aussicht wäre in der Tat wunderschön gewesen, wäre da nicht die Mauer, die das Gelände umgab. Selbst Sunder, der einen knappen Kopf größer war als Radha, musste sich auf Zehenspitzen stellen, um drüber zu sehen zu können. Radha stand mit vor der Brust verschränkten Armen daneben und war angesäuert, dass sie den ganzen Weg umsonst gelaufen war. Doch noch bevor sie etwas sagen konnte, ging Sunder in die Knie, legte seine Arme um ihre Oberschenkel und hob sie hoch. „Arre, Sunder! Was machst du denn da?” „Du willst doch die Aussicht genießen oder nicht?” Radha wusste nicht, was sie darauf antworten sollte und beschloss, sich in ihr Schicksal zu fügen und dankbar für seine Hilfestellung zu sein. Der feste Griff seiner Arme um ihre Beine ließ sie jedoch schwer die nötige Konzentration finden, um den wundervollen Ausblick tatsächlich zu genießen. Nach ein paar Augenblicken meinte sie schließlich: „Danke. Du... Du kannst mich wieder runterlassen...” Sunder reagierte sofort und ließ sie sanft wieder auf ihre Füße. Dann schenkte er ihr noch ein augenzwinkerndes Grinsen und sie machten sich auf den Weg zurück in die Stadt, wo sie noch ein paar Stunden herumschlenderten und sich alles Interessante ansahen. Mitbringsel fanden sie auch zur Genüge und für jeden das passende. Auch für Vijay fand sie genau das richtige und sie freute sich schon auf sein Gesicht, wenn er es sehen würde. Als der Tag sich seinem Ende neigte, setzten sich Radha und Sunder in ein Restaurant mit Meerblick und genossen beim Essen den Anblick des Sonnenuntergangs. „Ich bin froh, dass wir diese Reise zusammen machen.”, meinte Sunder schließlich, was Radha überrascht von ihrem Essen aufschauen ließ. „Es macht mir Spaß, die Zeit mit dir zu verbringen und vor allem hilft es, dass wir uns besser kennenlernen, findest du nicht auch?” Sie lächelte etwas zurückhaltend. „Du hast Recht... Und es tut mir wirklich leid, dass ich am Anfang so...” Doch er unterbrach sie, griff über den Tisch und nahm ihre Hand in seine. „Ich hab doch gesagt, dass es okay ist. Also hör auf, dich zu entschuldigen, thik hai?!” „Ji.”, meinte sie und lächelte ihn an, als sie langsam ihre hand aus seiner wieder befreite. „Wunderbar. So, und nun erzähl mir etwas von dir. Ich weiß bisher so wenig über dich und das würde ich gern ändern.” Sie war über sein Interesse überrascht, doch sie beantwortete ihm bereitwillig alle Fragen, die er hatte und sie war froh, dass er nichts über ihre Beweggründe zur Hochzeit wissen wollte, denn dann hätte sie lügen müssen und das wollte sie nicht schon wieder. Es war ihm gegenüber nicht fair, doch hatte sie nicht das Gefühl, eine andere Wahl zu haben, wenn sie ihn nicht vollkommen verletzen und ihre ersten zarten Bande zerstören wollte. Sie waren schon lange fertig mit Essen und der Sonnenuntergang lag auch schon eine ganze Weile zurück, als sie sich auf den Weg zurück ins Hotel machten. Die folgenden Tage besichtigten Radha und Sunder noch ein paar Sehenswürdigkeiten in der Nähe und Sunder ließ sich sogar noch einmal zum Baden gehen überreden, auch wenn es ihm alles andere als recht war, dass Radha erneut bewundernde Männerblicke erntete. Verhindern konnte er es nicht und dass sie es nicht bemerkte, machte die Sache einfacher. Als sie am letzten Tag noch einmal in der Stadt unterwegs waren, brach ein plötzliches Gewitter über sie herein. Es war bereits den ganzen Tag verhangen gewesen, doch beide hatten gehofft, dass das Wetter sich noch halten würde bis sie wieder im Hotel waren. Unsicher, was sie nun tun sollten, stellten sie sich erst einmal an einer Bushaltestelle unter. Der Weg ins Hotel dauerte eine Viertelstunde und sie überlegten, ob sie nun warten sollten, bis das Gewitter abschwächte oder ob sie einfach losrennen sollten, da der Himmel so mit schwarzen Wolken zugezogen war, dass an ein Ende nicht zu denken war. Nach etwa zehn Minuten entschieden sie sich dafür, zu rennen. Nachdem sie fünf Minuten gelaufen und bereits durchnässt waren bis auf die Knochen, rutschte Radha auf dem nassen Boden aus und knickte sich den Knöchel um. Sunder konnte sie noch davor bewahren, ganz hinzufallen, indem er sie sofort festhielt, doch peinlich war es Radha allemal. Als sie versuchte, weiterzugehen, hielt sie der pochende Schmerz ihres Knöchels allerdings davon ab. Sunder hievte sie daraufhin ohne Zögern kurzerhand auf seinen Rücken und trug sie, trotz ihres Sträubens dagegen, den restlichen Weg zum Hotel Huckepack. Dort angekommen, wurden sie von der Nachricht überrascht, dass es aufgrund des Gewitters einen Stromausfall gab. Vollends bedient gingen sie auf ihr Zimmer und mussten, obwohl es erst Abend war, Kerzen anzünden, um genug sehen zu können. Als erstes wechselten sie ihre nasse Kleidung, dann platzierte Sunder Radha auf einem Stuhl und holte einen nassen Lappen, um ihren Knöchel zu kühlen. Sie wehrte sich erst, doch als er sie mit einem warnenden Blick strafte, war sie still. „Du solltest aufhören, dich gegen jegliche Hilfe zu wehren, die ich dir anbiete. Wenn ich es nicht gerne machen würde, dann würde ich es nicht vorschlagen, samjho?”, meinte er strenger als er es beabsichtigt hatte, als er vor ihr kniete, um ihren Knöchel mit dem kalten Lappen zu umwickeln. Radha nickte nur und schaute betreten zu Boden. „Ich gehe an der Rezeption fragen, ob sie eine Kompresse haben, die du in der Nacht umwickeln kannst.”, sagte er und verschwand aus dem Zimmer. Radha seufzte. Ihr war es unangenehm gewesen, dass er sie auf dem Rücken getragen hatte. Ihre nassen Körper so nah aneinander zu spüren, hatte sie aus dem Takt gebracht und seine muskulösen Schultern durch sein durchnässtes Shirt zu spüren noch mehr. Sie fühlte sich unwohl dabei, wenn er sich so sehr um sie kümmerte, da sie das Gefühl hatte, dass sie es ihm nicht zurückzahlen konnte. Deprimiert humpelte sie langsam ans Fenster und sah dem Regen dabei zu, wie er die Fensterscheiben herunterlief. „Du solltest doch nicht aufstehen.” Erschrocken von diesen geflüsterten Worten so nah an ihrem Ohr, drehte sie sich um und starrte genau in das nur wenige Zentimeter entfernte Gesicht von Sunder. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und sie war beinahe unfähig sich zu bewegen. „Ich... habe...” Doch er legte seine Hand über ihren Mund und sah sie eindringlich an. Langsam wanderte seine Hand ihren Hals entlang hinunter auf ihren Rücken. Er zog sie an sich, sodass sie an seinen Oberkörper gepresst wurde. Keine Sekunde ließ er dabei seinen Blick von ihrem Gesicht gleiten. Beinahe schien es ihr, als käme er immer näher oder täuschte sie sich in ihrer Aufregung? Als er sanft seine andere Hand ebenfalls auf ihren Rücken wandern ließ, bedeckte sich ihr gesamter Körper mit einer ungewollten Gänsehaut. Zu ihrer Überraschung lockerte sich sein Griff daraufhin etwas, er ging in die Knie, hob sie hoch und brachte sie auf ihr Bett, um sich dann daran zu machen, den Lappen gegen seine mitgebrachte Kompresse zu tauschen. Radhas Puls normalisierte sich dabei langsam wieder, doch ihre Atmung ging noch immer stoßweise. Seine Nähe löste etwas in ihr aus, das sie nicht beschreiben konnte. Sie hätte gerade eben schwören können, dass er sie... „So, und nun bleibst du liegen und schonst deinen Knöchel, damit du morgen bei unserer Abreise fit bist.”, meinte er streng und ging ins Bad, um den Lappen wieder wegzubringen. Er stützte sich auf das Waschbecken aus und atmete ein paar Mal tief durch. Was hatte ihn da gerade geritten? Er war kurz davor gewesen, sie zu küssen, hätte nicht sein Verstand kurz davor wieder eingesetzt. Ihr nasser Körper so nah an seinem als er sie getragen hatte und dann dieser verletzte Blick waren zu viel gewesen. Er musste sich zusammen reißen, denn wenn er sich nicht unter Kontrolle halten würde, dann war er sich sicher, würde er sie nur verschrecken. Kapitel 11: ------------ In dieser Nacht schliefen beide nicht besonders gut. Sie waren aufgewühlt, doch aus verschiedenen Gründen. Radha wusste noch immer nicht, wie sie Sunders Verhalten von vorhin einschätzen sollte, zumal sie sich nicht einmal sicher war, ob sie sich seinen Blick nicht nur eingebildet hatte. Seine Nähe brachte sie völlig durcheinander und gerade vorhin als er sie an seinen Körper gedrückt hatte, war es ihr kaum noch möglich gewesen noch klar zu denken. Sunder hingegen hatte schwer mit seiner Beherrschung zu kämpfen. Es ärgerte ihn, dass er der Versuchung beinahe nachgegeben hatte. Er wollte sich nicht ausmalen, was Radha wohl nun von ihm dachte, da es ihm wichtig war, dass sie sich bei ihm wohl fühlte und ihm vertraute. Plumpe Annäherungsversuche waren da jedoch eindeutig der falsche Weg. Er hoffte nur, dass sie seine Ambitionen nicht als solche aufgefasst hatte. Während sie grübelnd nebeneinander lagen, in der Annahme, dass der jeweils andere schlafen würde, schwächte das Gewitter draußen ab und wandelte sich in ganz normalen Regen, der am nächsten Morgen ebenfalls verschwunden war. Sunder wurde geweckt, als die Vorhänge plötzlich aufgezogen und die Fenster aufgerissen wurden, durch die sofort angenehm frische Luft ins Zimmer zog. Radha humpelte auf ihn zu und lächelte ihn an. „Wir sollten unsere Taschen packen. Wir müssen in gut einer Stunde aus unserem Zimmer raus sein.”, meinte sie und Sunder bemerkte, dass sie bereits vollkommen angezogen war. „Wie lange bist du denn schon wach?”, fragte er erstaunt und rieb sich den Schlaf aus den Augen. „Noch nicht sehr lange, aber ich konnte einfach nicht mehr schlafen. Ich habe deine Sachen schonmal so weit mit zusammengepackt.” Sunder bedankte sich und schlurfte dann erst einmal ins Bad, um sich frisch zu machen. Er bedauerte, dass ihre Reise schon zu Ende war. Die Zeit war viel zu schnell vergangen und er verfluchte seinen Arbeitgeber, dass er nicht zwei Wochen frei bekommen hatte. Nachdem sie schließlich alles zusammengepackt hatten, frühstückten sie noch und machten sich dann auf den Weg zum Flughafen. Kurz vor dem Abflug reichte Sunder Radha ein Kissen und grinste sie an. „Damit mein Arm nicht wieder leiden muss.”, meinte er augenzwinkernd. Sie lächelte entschuldigend und krallte sich auch schon hinein, da das Flugzeug anfuhr. Als sie schließlich in der Luft waren und Sunder etwas gedankenverloren aus dem Fenster schaute, spürte er plötzlich einen Kopf auf seiner Schulter. Radha war eingeschlafen. Er musste lächeln, nahm dann ihre Hand in seine und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Er fühlte sich wohl, wenn sie in seiner Nähe war und er bedauerte es wirklich sehr, dass nun wieder der Alltagstrott einkehren würde. Ihre Beziehung hatte sich durch den Urlaub vertieft und gefestigt und er hatte Bedenken, dass das durch die wieder einkehrende Routine zunichte gemacht werden würde. Das wollte er auf alle Fälle verhindern. Er musste sich etwas einfallen lassen, um Radha ihr Leben interessant zu gestalten und um sich selbst für sie interessant zu machen. Am Montagmorgen stand Radha zusammen mit Sunder auf. Während er sich im Bad für die Arbeit fertig machte, bereitete sie ihm in der Küche sein Lunchpaket vor. Es war das erste Mal, dass sie das für ihn tat und es machte ihr Spaß. Vor sich her summend packte sie alle Sachen in seine Tasche und bemerkte dabei nicht, wie Sunder in die Küche kam. Ihr fröhlicher und in ihre Tätigkeit vertiefter Anblick ließ ihn schmunzeln. Vorsichtig schlich er sich von hinten an sie heran und meinte mit seinem Gesicht nah an ihrem Ohr: „Was machst du denn da Schönes?“ Erschrocken fuhr Radha herum und starrte ihn irritiert an, wobei ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Einige Augenblicke standen sie so da, unfähig, ihre Blicke voneinander abzuwenden, bis sich Sunder schließlich räusperte und einen kleinen Schritt zurück machte. Radha strich sich eine lose Haarsträhne hinters Ohr und meinte dann, während sie sich etwas fahrig wieder umdrehte, um seine Tasche zu Ende zu packen: „Ich habe dir ein Lunchpaket gemacht.“ Sie reichte ihm die Tasche. „Ich hoffe, du magst es.“, fügte sie lächelnd hinzu. Perplex nahm Sunder sie entgegen und brachte vor Überraschung nur ein lahmes „Danke.“ hervor. Etwas enttäuscht über seine eher mau ausgefallene Reaktion machte sie sich daran, ihre schmutzigen Kochutensilien in die Spülmaschine zu räumen. Sunder trank in der Zeit noch eine Tasse Kaffee. Als er fertig war und in den Flur ging, um sich anzuziehen, lief Radha ihm hinterher, um ihn zu verabschieden. Nachdem er sich seinen Mantel übergestreift, sich verabschiedet hatte und gerade dabei war, die Tür zu öffnen, drehte er sich plötzlich noch einmal um und gab Radha einen sanften Kuss auf die Wange. Dann suchte er ihren Blick und meinte grinsend, aber mit liebevoller Stimme: „Vielen Dank nochmal für das Lunchpaket.” Doch sie schaute ihn nur überrascht an und berührte mit den Fingerspitzen die Stelle, wo seine Lippen sie gerade berührt hatten. Sunder konnte es nicht vermeiden, ob ihres offensichtlich verwirrten Zustandes zu grinsen und meinte bevor er die Tür hinter sich schloss: „Und vergiss nicht, Vijay von mir zu grüßen.” Diese Worte und das Klappen der Tür brachten sie in die Realität zurück. Vijay hatte gestern Abend angerufen und gefragt, ob sie nicht Lust hätte, ihn heute besuchen zu kommen, da er frei hatte. Freudig hatte sie ihm sofort zugesagt und nun hatte sie noch zwei Stunden Zeit, um alles im Haushalt zu erledigen, bis er sie abholte. Als sie bemerkte, dass sie ihre Hand immer noch an ihrer Wange hatte, schüttelte sie den Kopf. Sunders Lippen waren so weich gewesen und hatten einen Schauer über ihren gesamten Körper geschickt, als sie sie berührten. Ihre Reise nach Griechenland hatte sie beide näher zusammen gebracht und das freute sie, das konnte sie nicht abstreiten, doch sie fragte sich, wie Sunders Gefühle für sie wohl aussehen mochten. Dass er sie nicht abstoßend fand, war eindeutig, doch waren seine Gefühle vielleicht noch tiefer als bloßes Mögen? Was, wenn er sich in sie... Radha schüttelte diesen Gedanken ab, da er ihr zu weit hergeholt schien. Sie war bis jetzt nicht immer nett zu ihm gewesen. Er hatte also keinen Grund tiefer greifende Gefühle für sie zu entwickeln. Zufrieden mit ihrer Feststellung machte sie sich auf den Weg zum Einkaufen und freute sich darauf, Vijay wiederzusehen. Dass sie den ganzen Tag mit ihm verbringen und dazu noch ihr altes zu Hause besuchen würde, erfüllte sie mit Vorfreude. Nachdem sie den Einkauf erledigt hatte, räumte sie noch ein wenig die Wohnung auf und machte sich dann fertig für ihr Treffen. Kapitel 12: ------------ Als Radha das Foyer ihres Apartmentkomplexes (1) verließ und auf die Straße trat, sah sie Vijay (2), der bereits an seinem Auto auf sie wartete. Sein Anblick irritierte sie etwas, da er abwesend aussah, so, als ob er angestrengt über etwas nachgrübelte. Nichtsdestotrotz lief sie strahlend auf ihn zu und begrüßte ihn fröhlich. Als er sie erblickte, erhellte sich sein Blick auf der Stelle und er schloss sie in seine Arme. Dabei wanderte seine Hand langsam ihren Rücken hinunter und blieb dann auf ihrer Hüfte ruhen. Irritiert von dieser überraschend zärtlichen Geste löste Radha sich aus seiner Umarmung und sah ihn etwas unsicher lächelnd an. Vijay schien sich kurz sammeln zu müssen und meinte dann: „Chalo, steig ein. Meine Mutter besteht darauf, dass wir zum Mittag zu Hause sind. Und ich weiß nicht, wie lange es bei diesem Verkehr dauert bis wir da ankommen.” Radha nickte lächelnd und tat, wie ihr geheißen wurde. Nach fast einer Stunde hatten sie es endlich geschafft, sich durch den zähen Innenstadtverkehr Delhis zu kämpfen. Radha war aufgeregt als sie sich Vijays Zuhause näherten. Sie erkannte die Gegend wieder und fühlte ein starkes Heimatgefühl in sich aufsteigen. Sie hatte den größten Teil ihrer Kindheit hier verbracht und all das nun wiederzusehen, machte sie glücklich. Als Vijay in die Einfahrt ihre Grundstückes einbog, warteten seine Eltern bereits an der Haustür und kamen freudestrahlend auf sie zu, nachdem sie ausgestiegen waren. „Radha beti, ich kann gar nicht glauben, dass du wieder da bist. Du bist so groß geworden. Und so eine Schönheit.”, meinte Vijays Mutter, während sie Radhas Gesicht in ihre Hände nahm und sie liebevoll anschaute. „Ein Jammer, dass du bereits verheiratet bist, sonst hätten wir dich mit unserem Vijay verkuppelt.” Diese Worten gaben Radha einen Stich ins Herz, doch sie zwang sich zu einem Lächeln. „Mama, bitte, sie ist nach so langer Zeit endlich mal wieder hier und ihr belästigt sie schon wieder mit euren Hirngespinsten.”, mischte sich Vijay ein und nahm Radha am Arm, um sie ins Haus zu führen. Nachdem sie das üppige Mittagessen hinter sich gebracht hatten, setzten sich Radha und Vijay mit seinen Eltern eine Weile in den Garten. Radha wurde mit vielen Fragen gelöchert, doch das störte sie nicht. Sie fühlte sich wohl in dieser vertrauten Umgebung. Außerdem hatten Vijays Eltern sie immer fast wie eine eigene Tochter behandelt. Die Zeit verging wie im Fluge bis Vijay gegen Nachmittag anmerkte, dass Radha und er noch zu ihrem alten Haus gehen wollten. Die beiden entschuldigten sich bei seinen Eltern und machten sich dann auf den Weg zu dem 15 Minuten entfernten Haus. Zu Radhas Bedauern hatten die neuen Besitzer allerdings einiges umgebaut und sie erkannte es kaum wieder. Als Vijay ihren enttäuschten Blick sah, meinte er tröstend: „Sei nicht traurig... Du hast schließlich noch all deine Erinnerungen und die kann dir keiner nehmen, hai na?!” Er stupste sie mit seinem Zeigefinger auf die Nase und lächelte sie aufmunternd an. Radha musste grinsen und nickte. „Gibt es eigentlich unseren alten Spielplatz noch?”, kam es ihr plötzlich in den Sinn. „Natürlich. Chalo!”, grinste Vijay und sie machten sich auf den Weg. Der Spielplatz sah noch ganz genauso aus, wie Radha ihn in Erinnerung hatte. Sie und Vijay setzten sich nebeneinander auf die vorletzten Stangen eines der Klettergerüste und ließen schweigend ihre Blicke umher schweifen. Langsam senkte sich die Sonne dem Horizont entgegen und hüllte alles in blassrotes Licht. In diesem Moment fiel Radha ein, dass sie Vijay ihr Mitbringsel aus Griechenland noch gar nicht gegeben hatte. Schnell kramte sie in ihrer Tasche danach und hielt es im grinsend entgegen. Vijay schaute überrascht von ihrem Gesicht zu dem Päckchen in ihrer Hand und wieder zurück. „Na, nimm schon. Das ist für dich.”, meinte sie ungeduldig, woraufhin er es nahm und neugierig auspackte. Radha liebte seinen Gesichtsausdruck in dem Moment, wo er erkannte, was es war. „.... Aber das ist doch...”, meinte er ungläubig und starrte den Anhänger an, den er nun in der Hand hielt. „Ich hab es an einem Verkaufsstand in Griechenland gefunden und musste sofort an dich denken. Es ist nur ein billiger Ersatz, aber es ist unglaublich, wie ähnlich es dem Original sieht, hai na?”, entgegnete Radha fröhlich. Als Vijay zehn Jahre und Radha sechs Jahre alt gewesen waren, hatten sie mit einem Anhänger, einem wertvollen Erbstück seines Großvaters, auf der Straße gespielt und ihn dann in einem Moment der Unachtsamkeit in einen Gully fallen lassen. Alle Rettungsversuche waren sinnlos gewesen und sie beide hatten ungeheuren Ärger von seinen Eltern bekommen. Bei der Erinnerung an diesen Tag musste Vijay grinsen. „Es ist unfassbar, dass du das noch weißt... Es.... Vielen Dank!”, meinte er gerührt und umarmte sie liebevoll. Radha schloss die Augen und fühlte sich so geborgen in seinen Armen, dass sie für immer hätte so verharren können. Nach einer Weile lösten sie sich schließlich etwas unbeholfen voneinander. Die Sonne war mittlerweile beinahe untergegangen, was Radha daran erinnerte, dass sie bald nach Hause musste. „Ich denke, wir sollten langsam gehen... Sunder wartet sich schon, also...”, meinte sie etwas bedrückt, da sie gern noch ein wenig Zeit mit Vijay verbracht hätte, doch es war nicht zu ändern. Vijay nickte daraufhin nur und sie machten sich auf den Weg nach Hause. Nachdem Sunder bereits seit zwei Stunden zu Hause war, hörte er wie die Tür Haustür geöffnet wurde. Kurz darauf stand Radha im Zimmer. Sie lächelte ihn an und hielt ihm eine Tüte entgegen. „Ich habe uns etwas beim Chinesen gekauft. Ich hoffe, du hast Hunger.“, meinte sie und setzte sich neben ihn auf die Couch. Dankbar nahm er seine Portion entgegen und begann, seine Frühlingsrolle auszuwickeln. Bevor er genüsslich hineinriss, meinte er: „Aber sicher. Du müsstest doch langsam wissen, dass ich so gut wie immer Hunger habe.“ Radha nickte schmunzelnd und nahm ebenfalls einen Bissen von ihrer Frühlingsrolle. „Und wie war dein Tag?“, wollte Sunder schließlich wissen. „Wundervoll. Die Gegend sah noch genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Nur unser altes Haus wurde leider umgebaut...“ „Das ist schade... Aber sie es so: Du hast schließlich noch deine Erinnerungen und die kann dir keiner nehmen.“, meinte er daraufhin und schenkte ihr ein tröstendes Lächeln. Radha schaute ihn überrascht an. „Das... Genau das gleiche meinte Vijay auch zu mir.“, stellte sie dann etwas ungläubig fest. Sunder lachte nur. „Er ist nicht umsonst mein bester Freund. Manchmal habe ich selbst Angst davor, wie ähnlich wir uns sind...“ Radha lächelte daraufhin etwas unsicher und widmete sich dann dem Rest ihrer Frühlingsrolle. Nachdem sie aufgegessen hatten, ging Radha in die Küche, um die Verpackungen wegzuwerfen. Als sie wiederkam, setzte sie sich wieder neben Sunder, um mit ihm gemeinsam Fernsehen zu schauen. In diesem Moment kam in Sunder das unbändige Verlangen auf, seinen Arm um sie zu legen. Er überlegte hin und her und beschloss, es einfach zu tun. Was sollte denn schließlich schon groß passieren. Er streckte seinen Arm aus und legte ihn um ihre Schultern, um sie dann näher an sich heran zu ziehen, so dass sie sich an seine Seite lehnte. Verwundert über sein plötzliches Handeln schaute sie ihn erschrocken und mit klopfendem Herzen an, doch er ließ sich nicht beeindrucken und fragte beiläufig: „Was hat Vijay eigentlich zu deinem Mitbringsel gesagt?” Radha versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. „Ich... Ja, er hat sich sehr gefreut...” Sunder nickte zufrieden und musste sich zusammenreißen, nicht zu grinsen, denn Radhas aufgeregter Anblick war einfach zu köstlich. Er wollte sie mit seinem Verhalten nicht vorführen, sondern versuchen, sie an ihn zu gewöhnen, denn er mochte ihre Nähe und wollte sie öfter spüren. Ihr Duft und ihre Wärme ließen ein angenehmes Gefühl durch seinen Körper strömen. Dass sie nicht versuchte, sich aus seiner Umarmung zu befreien, freute ihn. Radhas Puls normalisierte sich bald wieder und sie musste sich etwas widerwillig eingestehen, dass sie sich wohl fühlte. In Sunders Armen fühlte sie Geborgenheit und seine gleichmäßige Atmung machte sie mit der Zeit schläfrig. Als Sunder bemerkte, dass sie beinahe einnickte, legte er seine Hand unter ihr Kinn und fragte sie mit liebevollem Blick: „Wollen wir schlafen gehen?” Radha nickte und rieb sich die Augen. Nachdem beide noch einmal im Badezimmer gewesen waren und sich umgezogen hatten, legten sie sich ins Bett. Sunder schaltete als letzter seine Nachttischlampe aus. Als er sich hinlegen wollte, glitt sein Blick noch einmal zu Radha, die auf dem Rücken lag und schon im Land der Träume zu sein schien. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, dann beugte er sich zu ihr hinüber und gab ihr einen sanften, zärtlichen Kuss auf die Wange. „Gute Nacht.”, hauchte er und drehte sich dann um, um zu schlafen. (1) http://i41.tinypic.com/xbh2zr.jpg (2) http://i40.tinypic.com/fbvkmd.jpg Kapitel 13: ------------ Radha überreichte Sunder sein Lunchpaket, woraufhin sie wieder einen sanften Wangenkuss von ihm bekam. Dann lächelte er sie mit einem schelmischen Funkeln in den Augen an und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Radha schloss die Augen und seufzte, als die Haustür ins Schloss fiel. Ihre Gefühle waren so durcheinander, dass sie nicht mehr wusste, was sie denken sollte. Ihre Gedanken wirbelten in ihrem Kopf umher, doch keinen bekam sie wirklich zu fassen. Um sich abzulenken, räumte sie erst einmal die Küche auf und erledigte dann die Wäsche. Während die Waschmaschine rumpelte, nahm sie sich ein Buch und setzte sich auf den Balkon. Sie hatte beschlossen, heute nicht in die Bibliothek zu gehen, da sie erst einmal ihr Inneres ordnen wollte. Ihr Buch hatte sie aufgeschlagen vor sich liegen, doch als sie bemerkte, dass sie immer wieder die gleiche Zeile las und trotzdem nicht wusste, was dort stand, schlug sie es allerdings wieder zu und lehnte sich in mit geschlossenen Augen in ihrem Stuhl zurück. Sie legte die Hände vor ihr Gesicht und atmete ein Mal tief durch. Was sollte sie nun machen? Sie steckte in einem ausgewachsenen Dilemma fest und wusste weder ein noch aus. Sie liebte Vijay und sie liebte es in seiner Nähe zu sein. Er gab ihr ein Gefühl, das sonst niemand bei ihr auslöste: Zufriedenheit. Wenn er bei ihr war, war alles andere in diesem Moment egal. Jedoch bemerkte sie, dass sie auch eine gewisse Anziehung Sunder gegenüber spürte. Es fiel ihr schwer, seiner liebevollen und doch gleichzeitig lausbubenhaften Art zu widerstehen. Wenn sie so darüber nachdachte, schien er der perfekte Ehemann zu sein, doch sie konnte einfach nicht aus ihrer Haut. Vijay war für sie der Einzige... Doch warum bekam sie dann bei Sunders Berührungen jedes Mal Herzklopfen? Oder waren es ihre Schuldgefühle ihm gegenüber, die sie so nervös machten? Denn sie wusste schließlich ganz genau, dass es alles andere als richtig war, was sie tat. Sunder nicht die Wahrheit zu sagen, war falsch, doch sie brachte es einfach nicht übers Herz, außerdem hatte sie ja auch nicht vor, mit Vijay durchzubrennen. Zumal sie ja auch gar nicht wusste, ob er es überhaupt wollen würde. Da fielen ihr seine ungewöhnlich liebevollen Berührungen wieder ein. Was war da los gewesen? Oder hatte sie sich das wieder nur eingebildet? Radha seufzte resigniert. Es war alles so kompliziert und sie wusste einfach nicht, was sie machen sollte. Denn auch wenn ihre Liebe von Vijay nicht erwidert wurde, so wollte sie wenigstens seine Freundschaft behalten. Wenn sie ihm die Wahrheit sagen würde, könnte das alles kaputt machen und das wollte sie auf keinen Fall. Dieser endgültige Beschluss, ihre Gefühle für sich zu behalten, brachte ihr allerdings nicht die gewünschte Erleichterung, denn woher die Nervosität Sunder gegenüber stammte, konnte sie immer noch nicht sagen. Nachdem sie die Wäsche aus der Waschmaschine geholt und aufgehängt hatte, beschloss Radha Taani anzurufen, um sich ihren Frust ein wenig von der Seele zu reden, denn schließlich war ihre Schwester die Einzige, die von allem Bescheid wusste. „Und was soll ich jetzt deiner Meinung nach tun?“, wollte Radha wissen, nachdem sie Taani ihr ganzes Herz ausgeschüttet hatte. „Du fragst mich Sachen...“, erwiderte sie und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Aber ich denke, dein Entschluss ist schon richtig. So verletzt du wenigstens keinen der beiden Jungs, sondern nur dich selbst.“ Radha konnte hören, wie sie grinste und gab nur einen grummelnden Laut von sich, woraufhin Taani lachte. „Ist ja schon gut! Aber ich meine es wirklich ernst. Alles für dich zu behalten, ist wirklich das Beste.“ Diese Antwort befriedigte Radha in keinster Weise. Sie hatte gehofft, ihre neuerdings so altkluge kleine Schwester hätte einen besseren Vorschlag für sie gehabt. Seufzend entschied sie sich, das Thema zu wechseln und fragte nach ihren Eltern. „Denen geht es gut, aber sie sind im Moment beide nicht da. Soll ich ihnen Grüße ausrichten?“, meinte Taani. Radha bejahte dies und danach unterhielten sie sich noch eine Weile über Taanis Probleme bis sie sich schließlich verabschiedeten und auflegten. Radha fühlte sich deprimiert. Nicht nur, dass sie nicht wusste, wo sie mit ihren Gefühlen hinsollte, sondern auch noch das unterkühlte Verhältnis zu ihren Eltern machten ihr zu schaffen. Um sich von alledem abzulenken, nahm sie ihr Buch wieder zur Hand und zwang sich, sich auf das Lesen zu konzentrieren. Die nächsten Wochen vergingen wie im Fluge. Radha gewöhnte sich langsam an Sunders liebevolle Gesten, wie dem frühmorgendlichem Abschiedskuss oder dem gemeinsamen Fernsehen, bei dem er sie im Arm hielt, und sie wurden bald zu liebgewonnen Gewohnheiten. Je besser Radha Sunder kannte desto offener wurde sie ihm gegenüber. Sie verstanden sich prächtig und verbrachten an den Wochenenden viel Zeit zusammen. Ob sie nun Essen gingen oder kleine Ausflüge unternahmen, es herrschte bald eine gewisse Vertrautheit zwischen ihnen. Sunder bemerkte allerdings, dass sich seine Gefühle ihr gegenüber veränderten. Es war nicht mehr bloßes Umsorgen aus einem gewissen Pflichtgefühl heraus ihr gegenüber, sondern eher eine tiefere Zuneigung, die er allerdings noch nicht näher benennen konnte und wollte. Er liebte es einfach, sie um sich zu haben und Zeit mit ihr zu verbringen. Was sich daraus entwickeln würde, wollte er auf sich zukommen lassen. Über die Woche traf sich Radha regelmäßig mit Vijay. Sie besuchte ihn entweder in der Bibliothek oder sie setzten sich gemeinsam in ein Café, wenn er frei hatte. Manchmal brachte Vijay noch ein paar seiner Kommilitonen mit, sodass Radha mit der Zeit auch noch ein paar andere Leute kennenlernte und Anschluss fand. Ihre Tage waren somit immer ausgefüllt und es gab selten Zeiten, wo sie sich langweilte. Ihre Gefühle hatte sie meistens unter Kontrolle, doch manchmal erwischte sie sich dabei, wie sie Vijay verträumt anstarrte. Sie wusste schließlich, dass es nicht sein durfte, doch es war nicht so einfach, wie sie es gern gehabt hätte. Zumal ihr mit der Zeit immer mehr auffiel, dass Vijay sie verstohlen beobachtete oder seine Umarmungen bei der Begrüßung oder Verabschiedung immer liebevoller wurden. Anfangs dachte sie, sie würde sich alles nur einbilden, doch da es mit der Zeit gehäufter auftrat, war sie sich ihrer Sache sicher. Das war allerdings ihrem Beschluss, ihre Gefühle für ihn zu unterdrücken, weniger zuträglich, denn seine Berührungen ließen ein aufgeregtes Kribbeln durch ihren Körper fahren und seine Blicke hypnotisierten sie. Was würde sie tun, wenn er ihre Gefühle erwidern würde? Die Gedanken daran quälten sie und somit schob sie sie in die hinterste Ecke ihres Gehirns und hoffte, dass sie da bleiben würden. Nachdem Radha mal wieder den ganzen Tag bei Vijay in der Bibliothek verbracht hatte und sie am Nachmittag zusammen gingen, kam ihr der plötzliche Einfall, ihn bei ihr zu Hause zum Essen einzuladen. Er schaute sie daraufhin nur überrascht an. „Guck nicht so. Sunder würde sich bestimmt auch sehr freuen, dich mal wieder zu sehen.“, meinte sie dann und hakte sich bei ihm ein, um ihn in Richtung ihrer Wohnung mit sich zu ziehen. Als Sunder nach Hause kam, schlug ihm ein wunderbarer Geruch entgegen, der ihm das Wasser im Mund zusammen laufen ließ. Er legte schnell seinen Mantel und seine Tasche ab und lief in die Küche, wo er Radha und Vijay vorfand, die eifrig dabei waren, den Tisch zu decken. „Arre Yaar! Was machst du denn hier?!“, rief er aus und fiel sich dann freudig mit Vijay in die Arme. Radha musste grinsen. „Ich habe doch gesagt, dass er sich freuen wird, hai na?!“, meinte sie mit einem deutlichen Unterton, der an Vijay gerichtet war. „Dein Freund Vijay hier wollte nämlich erst nicht mitkommen.“, fügte sie noch für Sunder hinzu und schickte einen provozierenden Blick zu Vijay bevor sie wieder anfing zu grinsen. Die beiden Männer setzten sich an den Tisch und vertieften sich sofort in ein angeregtes Gespräch, während Radha das Essen auftrug. Kapitel 14: ------------ Nachdem das Abendessen beendet war, gingen Sunder und Vijay ins Wohnzimmer, während Radha die Küche aufräumte. Als sie jedoch plötzlich zwei Hände auf der Kurve von ihrer Schulter zum Nacken und auf ihrer Hüfte spürte, drehte sie sich um und schaute in Sunders Gesicht. „Du bist sicher, dass ich dir nicht helfen soll?”, fragte er. Radha setzte ein empörtes Gesicht auf und meinte: „Ich habe doch gesagt, ihr beiden sollt ins Wohnzimmer gehen und ich mache das hier alleine. Du weißt doch ganz genau, dass ich mich melden würde, wenn ich deine Hilfe bräuchte, hai na?” Sunder grinste. „Ich wollte nur noch einmal sicher gehen.” Dann gab er ihr einen kleinen Kuss auf die Wange und verließ die Küche wieder. Radha musste lächeln und schloss für einen Moment die Augen. Diese kleinen, liebevollen Gesten von ihm schätzte sie sehr und es bedeutete ihr viel, dass er sich auch am Haushalt beteiligte, obwohl er das gar nicht müsste. Als sie mit ihrer Küchenarbeit fertig war, gesellte sie sich zu Vijay und Sunder. Der Fernseher lief zwar, doch die beiden unterhielten sich so angeregt, dass sie gar nicht darauf achteten. Radha ließ sich gegenüber von Vijay neben Sunder auf der Couch nieder. Er quittierte ihre Ankunft sogleich, indem er seine Hand auf ihr Knie legte. Auch diese kleine Geste war in der letzten Zeit Normalität geworden und Radha hätte sich daran nie gestört, wenn ihr nicht Vijays Blick aufgefallen wäre. Er starrte auf Sunders Hand und schien sich gar nicht mehr darauf zu konzentrieren, was Sunder eigentlich erzählte, bis dieser meinte: „Arre, hörst du noch zu?” Vijay schien aus seinen Gedanken aufzuschrecken und schaute Sunder fragend an. „... Ich habe gerade... Ähm... Was hast du gesagt?” Sunder lachte und stellte seine Frage erneut. Vijay fand sich daraufhin wieder in ihr Gespräch hinein, doch Radha bemerkte, wie sein Blick immer wieder auf ihr Knie mit Sunders Hand darauf fiel. Sie begann, sich unwohl zu fühlen und änderte ihre Sitzposition, um Sunders Berührung auszuweichen. Er schien das nicht weiter zu bemerken, Vijay allerdings schon, denn er war nun sichtlich entspannter. Radha wunderte sich über sein Verhalten, fand aber keine Lösung, die plausibel genug schien. Der Abend verging wie im Fluge und so verabschiedete sich Vijay bald. Bevor er allerdings zur Tür hinaus war, drehte er sich noch einmal um. „Das hätte ich ja fast vergessen. Ein paar meiner Kommilitonen geben diesen Samstag eine Party in ihrer Wohnung. Ich würde mich freuen, wenn ihr auch kommen könntet.”, meinte er und erhielt sofort eine Zusage der beiden. „Ich werde mich dann nochmal melden im Laufe der Woche wegen der Adresse und der Uhrzeit. Bis dann!”, fügte Vijay dann noch hinzu und verschwand. Als Radha später bereits im Bett lag, machte Sunder sich noch im Bad fertig. „Morgen Abend habe ich übrigens eine Geschäftsessen und ich würde gerne, dass du mich begleitest. Ist das okay für dich?”, meinte er, als er das Licht im Badezimmer ausmachte und sich zu ihr ins Bett legte. Nach kurzem Zögern sagte sie zu. Das war das erste Mal, dass sie zusammen offiziell als Ehepaar auftreten würden, doch was ihr noch vor wenigen Wochen Unbehagen bereitet hätte, erfüllte sie nun ein wenig mit Stolz. Nachdem Radha ihren Gute-Nacht-Kuss von Sunder erhalten und sie das Licht gelöscht hatte, wanderten ihre Gedanken allerdings zurück zu Vijay. Was hatte sein Verhalten nur zu bedeuten. Es schien beinahe so, als wäre er eifersüchtig gewesen. Aber konnte das wirklich sein oder bildete sie sich das nicht nur wieder ein? Sie hätte so gern eine Antwort darauf gehabt, aber sie konnte ihn deswegen einfach nicht fragen. Würde es nicht stimmen, hätte sie sich blamiert und wenn es wirklich wahr wäre, was würde sie dann tun? Denn das hieße ja, dass er tatsächlich etwas für sie empfinden würde, das über bloße Freundschaft hinausgehen würde... Radha stieß einen kleinen Seufzer aus und verdrängte ihre Gedanken dann, um einschlafen zu können. Nachdem Sunder am nächsten Tag den gesamten Morgen in einem Meeting verbracht hatte, freute er sich schon auf seine Mittagspause. Er schloss sich in seinem Büro ein, ließ sich in seinem Schreibtischstuhl fallen und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück. Er mochte diese Meetings nicht. Die praktische Arbeit war ihm lieber, aber um gute Aufträge zu ergattern, waren Kundengespräche unerlässlich und so musste er sie als notwendiges Übel. Als er schließlich sein Lunchpaket aus seiner Tasche holte und ihm der köstliche Duft seines Essens entgegenkam, formten sich seine Lippen zu einem Lächeln. Radha war eine sehr gute Köchin und er liebte die Speisen, die sie zubereitete so sehr, dass die Mittagspause der persönliche Höhepunkt seines Arbeitstages war. Während er sein Essen genoss, dachte er über das Geschäftsessen am Abend nach. Er freute sich darauf, dass Radha ihn begleiten und er seinen Geschäftspartnern endlich seine Frau vorstellen konnte. Mittlerweile fühlte sich seine Beziehung mit Radha sogar beinahe an, wie eine Ehe. Sie waren sich viel näher gekommen. Auf seelischer Ebene zumindest. Und er überlegte, ob er auf körperlicher ebenfalls versuchen sollte, einen Schritt weiterzugehen. Mit kleinen Gesten hatte er sich in den letzten Wochen versucht, sich ihr zu nähern und es war ihm mittlerweile gelungen, dass sie nur noch selten unter seinen Berührungen errötete. Einerseits bedauerte er das, da er diesen Anblick liebte, andererseits allerdings zeigte es, dass sie sich an ihn gewöhnt hatte und ihn nun langsam akzeptierte. Unschlüssig, wie er nun weiter vorgehen sollte, beendete er seine Mittagspause und widmete sich daraufhin wieder seiner Arbeit. Kaum hatte Sunder am späten Nachmittag die Haustür geöffnet, stand auch schon Radha mit jeweils einem Sari in ihre linken und rechten Hand vor ihm. „Sunder, ich weiß nicht, welchen Sari ich nachher anziehen soll. Lieber den dunkelblauen hier oder doch den mintgrünen?”, fragte sie verzweifelt. Sunder war erst perplex und musste dann lachen. So kannte er Radha nicht, doch ihr Verhalten zeigte, dass ihr der Abend mit ihm wichtig war und so fing er sich schnell wieder und meinte schmeichelnd: „Du würdest in beiden hervorragend aussehen.” Sie seufzte daraufhin genervt. „Du bist wirklich eine unglaubliche Hilfe.”, meinte sie, drehte sich um und ging ins Schlafzimmer. Sunder grinste vor sich hin, als er seinen Mantel auszog und Radha ins Schlafzimmer folgte, stand sie dort vor dem Spiegel und schaute ratlos hinein, während sie sich abwechselnd die beiden Saris an hielt. Sunder ging zu ihr, stellte sich dicht hinter sie und schaute ihr durch den Spiegel in die Augen, während er ihr bedeutungsvoll ins Ohr hauchte: „Meinetwegen musst du auch gar nichts anziehen...” Sie drehte sich mit aufgerissenen Augen zu ihm um, doch er grinste nur breit und verschwand im Bad, ohne eine Antwort von ihr abzuwarten. Als er sich schließlich geduscht und einen Anzug (1) angezogen hatte, stand er vorm Spiegel und kämpfte mit seiner Krawatte. Normalerweise kaufte er nur bereits gebundene, doch diese war ein Geschenk gewesen und er fand, sie passte perfekt zu seinem Anzug. Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter, die ihn dazu bewegte, sich umzudrehen. „Na, was sagst du?” Radha (2) stand vor ihm und lächelte ihn an. Er war sprachlos. Sie sah umwerfend aus, doch noch ehe er etwas sagen konnte, warf sie mit hochgezogenen Augenbrauen einen Blick auf sein Krawattendesaster und machte sich daran, es zu richten. Die plötzliche und unerwartete Nähe dieser wunderschönen Frau, die seine Ehefrau war, brachte Sunder aus der Fassung. Ihr betörender Duft und ihre Wärme umhüllten ihn und er verspürte das plötzliche Bedürfnis, sie in seine Arme zu schließen. Sein Blick wanderte über ihr schönes Gesicht, dessen kajalumrandete Augen sich auf seine Krawatte konzentrierten, und blieb an ihren hübsch geschwungenen Lippen hängen. Er biss sich ob seiner plötzlichen Gedanken auf die Unterlippe und versuchte, seinen Blick von ihr abzuwenden, doch es gelang ihm nicht. Ein paar Augenblicke später, strich Radha die Krawatte glatt, meinte: „So, fertig.” und wollte sich gerade umdrehen, als Sunder seine rechte Hand um ihre Hüfte legte und sie fest an sich zog. Überrascht schaute sie ihn an, während er seine linke Hand durch ihr dickes Haar um ihren Nacken schob. Sein durchdringender Blicke wanderte von ihren verwirrt drein blickenden Augen zu ihren Lippen hinunter, während sich sein Gesicht ihrem beinahe unmerklich näherte. Radha war unsicher, was sie tun sollte. Sein fester Griff um ihre Hüfte hinderte sie am Weglaufen, was sie allerdings, wenn sie ehrlich zu sich war, auch nicht vorhatte. Sunders Absicht war eindeutig und sie war bereit, darauf einzugehen. Langsam schloss sie die Augen. Nur noch Millimeter trennten ihre Lippen voneinander.... Da plötzlich klingelte das Telefon, was Radha aufschrecken ließ. Mit klopfendem Herzen löste sie sich von Sunder, strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und verließ mit auf den Boden gerichteten Blick das Zimmer. Sunder schloss die Augen, atmete einmal genervt durch und strich sich frustriert mit einer Hand durch seine Haare. „Dieses verdammte Telefon…”, murmelte er vor sich hin, als er sich noch einmal im Spiegel anschaute und feststellte, dass Radha gute Arbeit mit seiner Krawatte geleistet hatte. (1) http://i44.tinypic.com/xd6ouo.jpg (2) http://i43.tinypic.com/205wexg.jpg Kapitel 15: ------------ „Hey, ich bin’s. Ich hoffe, ich störe nicht.“, meldete sich Vijay am anderen Ende der Leitung, als Radha das Telefon abgenommen hatte. „Nein, natürlich nicht. Wieso solltest du stören?“, meinte sie und versuchte, das Beben ihrer Stimme mit fröhlicher Gelassenheit zu übertünchen. Ihr Herz hämmerte unaufhörlich gegen ihre Brust und ihre Gedanken wirbelten durcheinander. Hätte Vijay nicht angerufen, hätten sie und Sunder sich geküsst. War das etwa ein Zeichen? Sie wusste einfach nicht, was sie denken sollte. Als ihr plötzlich bewusst wurde, dass sie noch immer am Telefon war und Vijay mit ihr redete, zwang sie sich, ihre Gedanken beiseite zu schieben und ihm zuzuhören. „... und die Party wird dann um 20 Uhr beginnen.“, bekam sie nur noch mit und fragte vorsichtig nach: „Entschuldige, ich war gerade abgelenkt, könntest du die Adresse noch einmal wiederholen?“ Vijay nannte sie ihr noch einmal und wollte sich gerade verabschieden, als Radha einwarf: „Vijay, ich... Danke für deinen Anruf...“ „Ähm... Kein Problem...“, entgegnete er etwas verwirrt ob ihres leicht flehenden Tonfalls und legte dann auf. Radha lehnte sich an das kleine Telefonschränkchen, schloss die Augen und atmete tief durch. Was hatte sie denn da gerade bloß geritten? Sie liebte Vijay, wieso also war sie gerade drauf und dran gewesen, Sunder zu küssen? Dass sie ihn mittlerweile sehr gern hatte, konnte sie nicht abstreiten, doch wie hatte sie es so weit gehen lassen können? Sie fühlte sich schuldig und ihre Vorfreude auf das Geschäftsessen war nun wie weggeblasen. Außerdem wusste sie nicht, wie sie nun Sunder gegenüber auftreten sollte. Er hatte nun sicher falsche Vorstellungen von ihr durch ihr unüberlegtes Handeln. Im Auto auf dem Weg ins Restaurant herrschte ein gespanntes Schweigen zwischen ihr und Sunder. Sie saß angespannt in ihrem Sitz und starrte stur aus dem Fenster während sie an ihrem Sari herumnestelte. Sunder warf ihr ab und zu einen Blick zu. Sie hatten, seit sie die Wohnung verlassen hatten, kein Wort mehr miteinander gewechselt und er beschloss, die Sache erste einmal ruhen zu lassen. Der Vorfall schien Radha sehr durcheinander gebracht zu haben und Sunder hatte die Befürchtung, dass er sie verschrecken würde, wenn er weiter darauf einging. Am Restaurant angekommen, half Sunder Radha aus dem Wagen und hielt ihr seinen Arm hin. Mit gesenktem Blick hakte sie sich bei ihm ein und so betraten sie gemeinsam das Restaurant, wo Sunders beide Geschäftspartner bereits auf sie warteten. Es folgte eine herzliche Begrüßung mit einigen Komplimenten an Radha, die sich daraufhin lächelnd bedankte. Der weitere Abend verlief angenehm. Die drei Männer sprachen bis zum Hauptgang über das Geschäft und ließen das Gespräch dann privater werden. Radha amüsierte sich gut und verstand sich prächtig mit den beiden Partnern. Sunder registrierte dies erleichtert und hoffte, dass sie das genug ablenken würde, damit sie den kleinen Zwischenfall vorhin vergessen würde. Ihm selbst fiel das allerdings nicht so leicht. Er war noch immer betört von ihrer Nähe und der Nähe ihrer Lippen. Dass er sich nach ihnen sehnte, musste er sich eingestehen. Er wollte wissen, wie sie sich anfühlten, wie sie schmeckten... Als er bemerkte, dass seine Gedanken abdrifteten und wie sein Blick an Radha hing, die das zu seiner Erleichterung nicht bemerkt hatte, zwang er sich, sich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren. Nachdem das Essen beendet war und Radha und Sunder wieder zu Hause angekommen waren, herrschte wieder eine etwas unangenehme Stille zwischen ihnen, die Sunder versichte zu lockern. „Meine Kollegen waren begeistert von dir. Vielen Dank nochmal, dass du mitgekommen bist.”, meinte er zu ihr und lächelte sie an, als sie im Schlafzimmer waren und er seinen Schlips löste, während sie ihren Schmuck ablegte. „Das freut mich. Ich fand die beiden auch sehr sympathisch muss ich sagen.”, erwiderte sie und verschwand dann im Badezimmer, um sich ihre Schlafsachen anzuziehen. Sie betrachtete sich im Spiegel und atmete tief durch, denn sie war froh, dass Sunder sie nicht noch einmal wegen des Kusses angesprochen hatte, denn sie wusste nicht, was sie darauf hätte sagen sollen. Als sie das Bad wieder verließ, lag Sunder bereits im Bett. Sie legte sich zu ihm und löschte das Licht. Kaum hatte sie sich hingelegt, beugte Sunder sich über sie und küsste sanft ihre Wange, wobei er beinahe ihren Mundwinkel berührte. Radha schloss die Augen und hielt die Luft während dieses kurzen Momentes. Ihre Gefühle spielten verrückt und wenn Sunder sie berührte oder so nahe war, schien es ihr, als ob die Welt einen Moment stehen blieb. „Auch wenn die Party hier gleich in der Nähe ist, sollten wir wirklich langsam los. Wir sind mittlerweile sowieso schon eine halbe Stunde zu spät.”, rief Radha und klopfte ungeduldig an die Badezimmertür. „Na, dann machen die fünf Minuten auch nichts mehr aus.”, meinte Sunder, nachdem er aus dem Badezimmer gekommen war. „Außerdem hast du schließlich vorhin so lange unter der Dusche gebraucht.”, fügte er hinzu als er sich seine Jacke schnappte, die auf dem Bett lag. „Du hättest doch in unser anderes Bad gehen können.”, erwiderte Radha, die sich keiner Schuld bewusst war. „Ach ja, wie denn, wenn mein ganzes Zeug in...?” Radha unterbrach Sunder, indem sie plötzlich lachte, woraufhin er sie irritiert anschaute. „Wir klingen wie ein altes Ehepaar.”, meinte sie schließlich kopfschüttelnd. Sunder grinste. „Dabei sind wir gerade mal knapp ein halbes Jahr verheiratet.”, bemerkte er und zog Radha zu sich heran, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Sie befreite sich schmunzelnd aus seinem Griff. „Jetzt müssen wir aber wirklich los! Chalo!” 50 Minuten zu spät klingelten sie schließlich an der Haustür der Gastgeberin, die auch wenige Augenblicke später öffnete, die beiden freundlich begrüßte und hereinbat. Kaum hatten sie das Wohnzimmer betreten, wo sich der größte Teil der Gäste aufzuhalten schien, kam ihnen auch schon Vijay entgegen, der sie mit einer herzlichen Umarmung begrüßte. „Ihr seid ja mal wieder überpünktlich, ihr beiden.”, bemerkte er scherzend während er sie zu einem Tisch führte, der als Bar fungierte, um ihnen etwas zu trinken anzubieten. Radha und Sunder ließen sich beide einen Wodka-Energy aufschwatzen und sahen sich dann in der Wohnung um. Radha wurde sofort von einer von Vijays Kommilitoninnen, die sie bei ihren Treffen im Café kennengelernt hatte, angesprochen und in ein Gespräch verwickelt. Sunder und Vijay setzten sich unterdessen mit ihren Drinks auf eine Bank auf der Terrasse. Nachdem sie sich eine Weile über dies und das unterhalten hatten, meinte Vijay etwas zögerlich: „...... Und mit Radha? Wie läuft es bei euch?” Sunder nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Wir verstehen uns immer besser. Am Anfang hatten wir ein paar Probleme, aber die haben sich mittlerweile geklärt...” Nach einer kurzen Pause fügte er noch hinzu: „Und wenn ich ehrlich bin, denke ich, dass sie mich nicht ganz freiwillig geheiratet hat, Yaar.” Vijay schaute ihn fragend an. „Naja, am Anfang schien sie sich regelrecht gegen mich zu sperren. Sie hat kaum mit mir geredet und schien immer etwas geistesabwesend. Es hat lange gedauert bis ich sie aufgetaut hatte. Aber mittlerweile verstehen wir uns wirklich gut und ich denke, uns steht eine schöne gemeinsame Zukunft bevor.”, erklärte Sunder und ein Lächeln formte sich aus seine Lippen. Nach kurzem Zögern meinte Vijay: „Das freut mich wirklich für euch... Aber meinst du mit dem, dass sie dich nicht freiwillig geheiratet hat, dass ihre Eltern sie gezwungen haben?” „... Ich weiß es nicht. Ich habe sie nie darauf angesprochen, da es für sie unangenehm sein könnte... Und wie gesagt, was immer sie anfangs beschäftigte, scheint bewältigt zu sein. Ich will keine alten Wunden aufreißen, deswegen werde ich das Thema ruhen lassen, denke ich...” „.... Ja, das wird wohl das Beste sein...”, stellte Vijay fest und meinte dann während er Sunder auf die Schuler klopfte: „Du bist ein guter Ehemann, Yaar. Ich bin froh, dass Radha bei dir so gut aufgehoben ist.” Sunder drückte die Hand seines Freundes und lachte. Dann nahm er den letzten Schluck seines Drinks und stand auf. „Ich hol mir noch einen. Willst du auch?”, fragte er Vijay, doch dieser schwenkte nur sein Glas als Zeichen dafür, dass er noch genug hatte. Sunder nickte und verschwand im Haus. Vijay schaute ihm hinterher und seufzte. Er verstand nicht, was mit ihm los war, doch er wusste, dass das, was er im Moment fühlte, alles andere als richtig war. Kapitel 16: ------------ Nachdem sich Sunder einen weiteren Drink geholt hatte, ließ er seinen Blick auf der Suche nach Radha durch den Raum schweifen. Er fand sie in einer kleinen Gruppe von Frauen und sie schien sich hervorragend zu amüsieren. Sie lachte und beteiligte sich rege am Gespräch. Sunder musste bei diesem Anblick grinsen. Es passierte nicht oft, dass er sie in diesem Grade extrovertiert erlebte und umso mehr liebte er es, denn ihr Lachen war für ihn unbezahlbar. Es war ihm das Wichtigste, dass es ihr gut ging und das schien zweifelsfrei der Fall zu sein. Er beschloss, sich einen Moment zu ihr zu gesellen. Als sie ihn sah, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus und sie rutschte ein wenig zur Seite, damit er sich neben sie auf die Couch setzen konnte. „Vijay scheint sich Sorgen um dich zu machen.”, flüsterte er ihr mit einem Grinsen ins Ohr. Mit einem Mal verschwand ihr Lächeln und sie schaute ihn irritiert an. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. „Er hat gefragt, ob ich dich auch gut behandle und ob du glücklich bist. Der Gute scheint wohl kein Vertrauen zu mir zu haben. Tse.”, fügte Sunder noch hinzu und verschränkte mit gespielter Empörung seine Arme vor der Brust. Radha versuchte, ihren Puls wieder unter Kontrolle zu bringen und setzte ein etwas gequältes Lächeln auf. „Ich hoffe, du hast ihm seine Flausen sofort wieder ausgetrieben. Nicht, dass er noch auf dumme Ideen kommt.”, meinte sie aus Selbstschutz und versuchte, dabei möglichst locker zu klingen. In ihrem Kopf dagegen spielten ihre Gedanken mal wieder vollkommen verrückt. Wieso erkundigte sich Vijay danach, ob sie mit Sunder glücklich war? Sicher nur aus Freundschaft. Schließlich kannten sie sich so lange, dass es nur verständlich war, dass er wissen wollte, ob mit ihr alles in Ordnung war. Sie klammerte sich an diesen Gedanken und schob dabei die immer liebevoller werdenden Berührungen und Umarmungen von Vijay in der letzten Zeit beiseite. Radha hatte es in der letzten Zeit recht erfolgreich geschafft, ihre Gefühle für Vijay beiseite zu schieben, um der Ehe mit Sunder die Chance zu geben, die sie verdiente und sie musste zugeben, dass sie im Moment verhältnismäßig glücklich war. Da konnte sie es nicht gebrauchen, dass sich Vijay womöglich ebenfalls in sie... Radha schüttelte den Kopf, da sie diese Überlegung nicht zu Ende führen wollte. „Natürlich. So weit werde ich es doch nicht kommen lassen.”, antwortete Sunder schließlich augenzwinkernd und stand dann auf, um sich wieder zu Vijay zu begeben. Radha schaute ihm seufzend hinterher und fasste sich dann an den Kopf, da sie auf das alles keine Lust mehr hatte. Wieso musste das nur alles so kompliziert sein? Sie war froh, Vijay wieder gefunden zu haben, doch andererseits machte das alles nur viel problematischer. Sie fühlte sich hin und her gerissen und wusste langsam nicht mehr, wo ihr der Kopf stand. Sie liebte Vijay, doch ihre Gefühle für Sunder wurden langsam stärker. Dagegen konnte sie sich nicht wehren und ohne Vijay wäre diese Entwicklung mehr als wünschenswert gewesen, doch nun hatte sie Schuldgefühle. Wem gegenüber wusste sie allerdings selbst nicht so genau. Sie hatte das Gefühl, egal, was sie tat und wem von beiden sie sich näherte, so betrüge sie den jeweils anderen. Aus Frust über ihre ausweglos scheinende Situation stürzte sie mehrere Gläser Wodka-Energy hinunter und fühlte sich bald leichter. Ihre Probleme schienen nicht mehr so schwerwiegend und sie vertiefte sich bald wieder in das Gespräch mit den um sie herum sitzenden Frauen, sodass sie nicht bemerkte, wie schnell die Zeit verging bis sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Als Radha sich umdrehte, schaute sie in das Gesicht von Sunder. „Wollen wir dann langsam nach Hause?“, fragte er und musterte sie. „Jetzt schon? Wir sind doch noch gar nicht so lange hier...“, meinte sie und lallte dabei ein wenig. Sunder schmunzelte und hielt ihr sein Handgelenk hin, damit sie einen Blick auf seine Armbanduhr werfen konnte. „Es ist bereits halb drei.“, fügte er noch zur Sicherheit hinzu, da er nicht ganz sicher war, dass sie das Ziffernblatt noch klar erkennen konnte. Sie zog die Augenbrauen hoch und ein überraschtes „Oh!“ entglitt ihren Lippen. „Chalo!“, meinte Sunder daraufhin und hielt ihr seine Hand hin, um ihr beim Aufstehen zu helfen, bei dem sie bedrohlich schwankte. Radha verabschiedete sich noch von ihren Gesprächspartnerinnen, bevor sei sich auf den Weg zur Tür machten. „Warte! Ich muss mich noch von Vijay verabschieden.“, bemerkte Radha lallend und blieb plötzlich stehen. „Der ist doch schon vor einer halben Stunde gegangen. Hat er sich denn nicht von dir verabschiedet?“, wollte Sunder wissen. Trotzig schüttelte sie den Kopf. „Vielleicht hat er dich nicht gefunden. Wer weiß... Aber jetzt komm. Ich will nach Hause.“ Etwas widerwillig folgte sie ihm, doch kaum hatten sie einen Schritt nach draußen getan, stellten sie fest, dass es regnete. Sunder fluchte kurz, rannte dann aber los. Als er jedoch bemerkte, dass Radha ihm nicht folgte, blieb er stehen und drehte sich zu ihr um. Sie war einige Meter hinter ihm und drehte sich mit geschlossenen Augen und ausgebreiteten Armen um sich selbst. Sunder war sich nicht ganz sicher, was er tun sollte, denn dass Radha betrunken war, war nicht zu übersehen. Einige Augenblicke beobachtete er sie bis er schließlich zu ihr ging. Er griff mit einer Hand ihr Handgelenk, mit der anderen ihre Hüfte und zog sie zu sich heran. Radha ließ währenddessen ihre Augen geschlossen. Von seinem Griff gestützt, lehnte sie sich nach hinten und breitete erneut ihre Arme aus. Der Regen durchnässte bald ihre Kleidung, doch das schien keinen der beiden zu stören. Sunder beobachtete Radha bei jeder ihrer Bewegungen und ein liebevolles Lächeln zierte bald sein Gesicht. Als sie sich wieder aufrichtete, öffnete sie langsam ihre Augen und schaute Sunder mit einem leicht glasigen Blick an. Einige Momente vergingen bis sie mit ihren Händen seine Arme hinauf zu seinen Schultern fuhr, ihre Arme um seinen Hals schlang und ihren Kopf an seine Schulter legte. Sunder lehnte seinen Kopf an ihren und zog ihren Körper fester an seinen. Ihre Berührungen und ihre Nähe lösten tiefe Gefühle in ihm aus. Während er sie mit einer Hand weiterhin an sich drückte, strich er mit der anderen sanft über ihren Kopf und durch ihr nasses Haar. Er sog ihren Duft ein und war in diesem Moment nicht in der Lage zu beschreiben, was er fühlte. „..... Ich will nach Hause...“, meinte Radha nach einer Weile leise und löste sich zaghaft aus der Umarmung. Sie nahm Sunders Hand und langsam setzten sie sich in Bewegung. Der Regen hatte mittlerweile etwas nachgelassen und als sie zu Hause ankamen, war es nur noch leichter Niesel. In ihrer Wohnung angekommen, entledigten sie sich als erstes ihrer nassen Kleidung. Radha ging dazu ins Bad, während Sunder im Schlafzimmer blieb. Durch Zufall bemerkte er, dass sie die Tür nicht richtig verschlossen hatte und bekam dadurch zu sehen, dass sie bedrohlich schwankte, während sie versuchte, den Reißverschluss ihres Salwars auf ihrem Rücken zu öffnen. Er fasste sich also ein Herz, ging zu ihr, legte seine Hände auf ihre Schulter und strich dann ihr Haar beiseite, um an den Reißverschluss zu kommen. Vorsichtig öffnete er ihn und reichte Radha ein Handtuch, bevor er das Badezimmer wieder verließ. Radha stand indes nur da und ließ die Schauer, die Sunders Hände auf ihrem Körper ausgelöst hatten, nachwirken. In ihrem Kopf drehte sich wegen dem Alkohol alles und sie wusste, dass sie nicht ganz da war, aber ihre Gefühle spürte sie ganz deutlich. Nachdem sie sich abgetrocknet und umgezogen hatte, ging sie schließlich ins Schlafzimmer, wo Sunder gerade dabei war, sich ein frisches T-Shirt aus dem Schrank zu holen. Als er hörte, dass Radha das Zimmer betrat, wollte er sich gerade zu ihr umdrehen, als er plötzlich ihre Hände um seine Hüfte spürte. Überrascht schaute er sie über seine Schulter hinweg an bevor er sich zu ihr umdrehte. Er nahm ihre Hände in seine und führte sie zu seinen Lippen um sie sanft zu küssen. Radha schloss die Augen. Sie wusste nicht, was sie hier gerade tat, doch es fühlte sich richtig an. Als sie Sunder mit entblößten Oberkörper am Schrank hatte stehen sehen, konnte sie der Versuchung nicht mehr widerstehen, seine Haut berühren zu wollen. Der Alkohol tat sein Übriges, um ihre Bedenken zu vergessen. Schließlich wollte sie sich aus seinem Griff lösen, als er sie festhielt und an sich heran zog. Eine Hand legte er kurz über Steißhöhe auf ihren Rücken und die andere legte er unter ihr Kinn, um ihren Kopf zu heben, damit sie ihn ansah. Radhas Herz schlug schnell, doch ihre Aufregung war eine gespannte und keine nervöse wie sonst immer. „... Du wirst das hier nicht bereuen....?”, fragte er vorsichtig mit leiser Stimme, woraufhin sie nur kaum merklich ihren Kopf schüttelte. Ihren Augenkontakt verloren sie dabei keine Sekunde. Langsam näherte Sunder sich ihr bis ihre Lippen sich schließlich vereinten. Es war kaum ein richtiger Kuss, so sanft berührte er sie, beinahe, als ob er Angst hatte, ihr weh zu tun. Radha öffnete leicht ihren Mund, um ihm Einlass zu gewähren. Sanft wurde der Kuss intensiver bis sie sich schließlich nach endlos scheinenden Augenblicken voneinander lösten. Radha senkte ihren Blick und machte sich aus seinem Griff los, um ins Bett zu gehen. Sunder folgte ihr und legte sich neben sie, nachdem er das Licht ausgeschaltet hatte. Als er sah, wie sie ihn in der Dunkelheit beobachtete, beugte er sich über sie und küsste sie noch einmal voller Zärtlichkeit. Tausende Schmetterlinge flogen in Radhas Bauch herum als sie seine Lippen erneut auf ihren spürte. Als er sich schließlich hinlegte, rutschte sie nah an ihn heran und legte ihren Kopf auf seine bloße Brust. Er nahm sie in den Arm und hörte ihrem gleichmäßigen Atem zu bis er eingeschlafen war. Kapitel 17: ------------ Als Radha am nächsten Morgen die Augen öffnete, drehte sich bei ihr alles. Sie lag auf dem Bauch und ihr linker Arm hing aus dem Bett heraus. Als sie sich umdrehen wollte, bemerkte sie, dass ein Arm quer über ihrem Rücken lag. Der erste Schreck über ihre Situation wich der Erinnerung an die letzte Nacht. Vorsichtig führte sie ihre linke Hand an ihre Lippen und fuhr mit dem Zeigefinger darüber. Sie schloss die Augen und ein wohliger Schauer lief ihr über den Rücken als sie an Sunders zärtliche Küsse dachte. Sie zuckte leicht zusammen als sie hinter sich ein leises Murren vernahm. Sunder schien ebenfalls wach zu werden. Er festigte den Griff um Radhas Hüfte und zog sie zu sich heran. Ihr Herz schlug Purzelbäume als er ihr ein „Guten Morgen.“ ins Ohr hauchte und sanft ihren Nacken küsste. „So gut wie heute Nacht habe ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr geschlafen.“, stellte Sunder fest und drehte Radha mit einem Ruck zu sich herum. Überrascht schaute sie ihn an, doch als sie sein Grinsen sah, kniff sie ihm in die Schulter und wollte sich aus seinem Griff befreien, was er allerdings nicht zuließ. Er hielt sie fest und zog sie noch näher an sich heran. „So einfach entkommst du mir nicht.“, meinte er grinsend und suchte ihren Blick. „Na, das wollen wir doch mal sehen.“, erwiderte sie, doch kaum hatte sie ausgesprochen, hatte er sich schon auf sie gerollt und stützte sich links und rechts von ihr mit seinen Armen auf. Wieder breitete sich ein dickes Grinsen in seinem Gesicht aus, als er Radhas erschrockenen Blick sah. Langsam beugte er sich zu ihr herunter, doch wenige Zentimeter bevor sich ihre Lippen berührten, schlüpfte sie unter ihm hervor und flüchtete sich ins Bad. Sunder ließ sich mit einem Seufzer aufs Bett fallen und bemerkte noch einmal für sich selbst: „Diese Frau bringt mich noch um den Verstand...“ Nachdem Radha das Badezimmer wieder verlassen und sich angezogen hatte, machte sie sich daran, das Frühstück vorzubereiten. Dabei ließ sie noch einmal den letzten Abend Revue passieren. Nun war es also geschehen, sie und Sunder hatten sich geküsst. Sie bereute es nicht direkt, doch sie fühlte sich schuldig, wenn sie an Vijay dachte. Ihre Gefühle verwirrten sie. Bis jetzt war es klar, dass sie Vijay liebte, doch gegenüber Sunder verspürte sie mittlerweile ebenfalls eine starke Zuneigung. Sie fragte sich, ob es möglich war, zwei Menschen gleichzeitig zu lieben. Wobei sie ihre Gefühle für Sunder noch nicht als Liebe bezeichnen bezeichnete. Sie wusste selbst nicht, wohin das noch alles führen würde, denn dass sie Vijay vermisste, konnte sie nicht verdrängen. Plötzlich spürte sie, wie sich zwei Arme um ihre Hüfte legten, gefolgt von einem Kopf auf ihrer Schulter. Sunder wollte gerade etwas sagen, als es an der Haustür klingelte. Radha machte sich von ihm los und wollte öffnen gehen, doch er hielt sie fest und zog sie zu sich heran. Noch ehe sie protestieren konnte, drückte er seine Lippen auf ihre. Radha verlor sich beinahe in diesem Kuss, wurde aber von einem zweiten Läuten aufgeschreckt. Nervös löste sie sich endgültig von Sunder und lief zur Haustür. Ihr verschlug es beinahe die Sprache als sie sah, wer ihr Gast war. „Taani?!”, rief Radha freudig aus und breitete ihre Arme aus, damit ihre Schwester sie umarmen konnte. „Arre, was machst du denn hier?!” „Ich habe doch zwei Wochen Ferien und da dachte ich, ich besuche dich und Sunder für eine Woche.”, erwiderte Taani strahlend und löste sich aus Radhas Umarmung, um ihren Koffer zu nehmen und sich an ihrer Schwester vorbei in die Wohnung zu drängen. „Das ist meine Schwester Taani, falls du dich noch von unserer Hochzeit an sie erinnerst.“, meinte Radha und schob Taani etwas vor sich, damit Sunder sie begrüßte. „Aber natürlich erinnere ich mich. Du bist schon genauso schön, wie deine Schwester.“, bemerkte er und zwinkerte Taani zu. Diese begann daraufhin zu grinsen und bedankte sich, indem sie ihre Handflächen vor ihrem Gesicht zusammenlegte und kurz mit ihrem Kopf nickte. Radha schüttelte nur amüsiert den Kopf und holte noch ein weiteres Gedeck aus dem Schrank, damit Taani mit ihnen essen konnte. „Also werde ich dann bis nächsten Samstag bleiben, wenn ihr nichts dagegen habt.“, meinte Taani, als sie sich ihren Teller mit Essen belud. „Nein, gar nicht. Du kannst im Gästezimmer schlafen. Da ist genug Platz.“, bot Sunder ihr an, woraufhin sie einverstanden nickte. „Und.... Und was sagen Mama und Bauji dazu, dass du hier bist? Sie wissen es doch?!“, wollte Radha wissen. „Also bitte, Didi! Natürlich wissen sie es. Ich hatte den Eindruck, sie sind froh, dass sie mich mal für eine Woche los sind.“, stellte Taani daraufhin belustigt fest. Radha nickte beruhigt, doch ihr etwas enttäuschter Blick entging ihrer Schwester nicht. „Hmm... Als eigentlich sollte es ja eine Überraschung werden, aber soll ich dir etwas verraten? Sie werden mich am Samstag abholen kommen.“ Radhas Gesicht erhellte sich auf der Stelle und ein breites Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Wirklich?! Dann muss ich aber etwas Besonderes vorbereiten...”, stellte sie fest und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. „Mach doch keinen Stress. Du hast noch fünfeinhalb Tage Zeit, dir etwas zu überlegen. Das wirst du wohl schaffen.”, gab Taani zurück und grinste aus Freude darüber, dass sie Radha so glücklich sah. Den Rest des Tages verbrachten Radha und Taani damit, sich über alle möglichen Vorfälle der letzten Zeit auszutauschen. Sunder saß zwar daneben, doch da die beiden so schnell und so durcheinander redeten, gab er es bald auf, ihnen zuzuhören und schaltete den Fernseher ein. Er freute sich zwar, dass Taani zu Besuch war, da er sah, dass Radha das sehr glücklich machte, doch andererseits hätte er sich gewünscht, dass sie zu einem anderen Zeitpunkt gekommen wäre. Wo er und Radha sich nun endlich geküsst hatten, hatte er auf etwas Zweisamkeit mit ihr gehofft, doch darauf musste er nun noch eine Woche warten. Während ihre kleine Schwester in der Wohnung war, konnte er ja schließlich nicht mit ihr... Oder doch? Er verwarf den Gedanken wieder und fühlte sich schuldig, solche Überlegungen angestellt zu haben. „Ich soll dir übrigens Grüße von Mama und Bauji ausrichten.”, meinte Taani, nachdem sie ihren Schlafanzug angezogen und sich zu ihrer Schwester aufs Bett gesetzt hatte. Sie hatten sich ins Gästezimmer begeben, um Sunder nicht zu stören, da er schließlich am nächsten Morgen zur Arbeit musste. „Wirklich?!”, fragte Radha erstaunt. „Haben sie... Ich meine, sind sie noch immer sauer auf mich?” Taani schüttelte den Kopf. „Sie waren nie wirklich sauer auf dich. Eher enttäuscht würde ich sagen.... Aber das ist wohl auch nicht besser... Auf jeden Fall denke ich, solltet ihr endlich wieder miteinander reden. Ihr hattet schließlich seit beinahe einem halben Jahr keinen Kontakt mehr und du kannst mir glauben, dass ihnen das genauso sehr zu schaffen macht, wie dir.” Radha seufzte. „Ich bin jederzeit bereit dazu und ich danke dir so sehr, dass du sie überredet hast, am Samstag herzukommen...” „Hab ich doch gerne gemacht. Das ist ja im Moment schließlich kein Zustand. Ich will endlich meine Familie zurück.” Radha lächelte schwach und umarmte Taani dankbar. Als ihr Blick zufällig auf die Nachttischuhr fiel, bemerkte sie, wie spät es eigentlich schon war und wünschte ihrer kleinen Schwester schließlich eine gute Nacht, um danach in ihr eigenes Schlafzimmer zu gehen. Als sie leise den Raum betrat, sah sie, dass Sunder bereits schlief. Möglichst ohne Geräusche zu verursachen, zog sie sich um und legte sich ins Bett. Von einer plötzlichen Müdigkeit übermannt, schlief sie sofort ein. Kapitel 18: ------------ Als Radha am nächsten Morgen aufwachte, bemerkte sie, dass sie verschlafen hatte und Sunder bereits weg war. Sie setzte sich im Bett auf und rieb sich die Augen. Es ärgerte sie, dass sie verschlafen hatte und Sunder ohne Lunchpaket aus dem Haus gegangen ist. Nachdem sie aufgestanden war und sich angezogen hatte, weckte sie Taani und bereitete das Frühstück für sie beide vor, während ihre Schwester im Badezimmer war. Als sie schließlich gemeinsam frühstückten, meinte Taani unvermittelt: „Ich will heute in die Bibliothek zu Vijay.“ Radha schaute sie überrascht an. „Jetzt guck nicht so. Ich war damals schließlich auch mit Vijay befreundet und hab ihn seit zehn Jahren nicht gesehen.“ Radha kaute den Bissen zu Ende, den sie im Mund hatte und meinte dann: „Na gut, aber wehe, du sagst etwas Falsches. Du weißt, wie kompliziert das alles ist und...“ „Ja doch.“, unterbrach Taani ihre Schwester genervt. „Das hast du mir nun schon oft genug erzählt. Ich bin keine sieben Jahre alt mehr und werde mich schon zusammenreißen können.“ Radha sah ein, dass sie Recht hatte und nickte etwas widerwillig mit dem Kopf. Nachdem sie fertig gegessen, die Küche aufgeräumt und sich umgezogen hatten, machten sie sich auf den Weg zur Bibliothek. Radha war nervös und unruhig, denn sie wusste nicht, wie sie Vijay gegenüber treten sollte. Gewissensbisse plagten sie und sie hatte das Gefühl, ihn hintergangen zu haben, indem sie Sunder geküsst und es ihr zudem noch gefallen hatte. Als sie die Bibliothek betraten, sah Radha Vijay schon von Weitem. Er stand zwischen den Regalen und war gerade dabei, Bücher zurückzusortieren, als sein Blick auf sie fiel. Er ließ sofort alles liegen und kam mit einem breiten Grinsen auf sie zu. Radha konnte nicht anders als sein Lachen zu erwidern und schloss die Augen, als er sie zur Begrüßung in die Arme nahm. Als sie sich wieder voneinander lösten, fiel sein Blick auf Taani. „Wer ist denn diese junge Dame?“, fragte er und setzte ein charmantes Lächeln auf, dass Radha innerlich zum Schmelzen brachte. Taani grinste: „Jetzt sag bloß, du erkennst mich nicht mehr, badi Bhaiyya?!“ Vijays Gesicht erhellte sich. „Arre, Taani?! Dich hätte ich ja nun noch weniger wieder erkannt als deine Schwester!“, rief er aus und umarmte sie. „Ihr beiden habt wirklich zu gleichen Teilen die Schönheit eurer Mutter geerbt.“, meinte er und hielt Radha und Taani etwas von sich weg, um sie besser ansehen zu können. Er wollte gerade noch etwas sagen, als ihn jemand rief. Er entschuldigte sich daraufhin und meinte, dass sie kurz auf ihn warten sollte, bevor er verschwand. Die beiden setzten sich an einen der Tische im Lesesaal und warteten darauf, dass Vijay wiederkam. „Ich kann dich verstehen...“, meinte Taani unvermittelt, woraufhin Radha sie nur fragend ansah. „Vijay ist wirklich gutaussehend... und so charmant... Sich zwischen ihm und Sunder zu entscheiden, stelle ich mir nicht leicht vor...“ Radha kniff ihr in die Schulter. „Ssscht! Nicht so laut! Du bist wirklich eine ungeheure Hilfe!“, zischte sie und schenkte Taani einen bitterbösen Blick, doch diese lachte daraufhin nur und rieb sich die Schulter. Als Vijay schließlich wiederkam, unterhielten sie sich hauptsächlich über Taani, wofür Radha dankbar war, denn dieses Thema war neutral und ließ keine zweideutigen Interpretationen zu. Gegen Mittag erklärte sich Radha bereit, eine Kleinigkeit zu essen für alle drei zu holen, die sie dann gemeinsam auf einer Bank vor der Bibliothek essen wollten. Sie war froh, einen Moment allein sein zu können, denn Vijays Anwesenheit machte sie wahnsinnig. Sie spürte die Sehnsucht nach ihm in jeder Faser ihres Körpers, doch gleichzeitig plagte sie das schlechte Gewissen Sunder gegenüber. Jedoch hatte sie andersherum eben dieselben Gefühle für Sunder. Es war zum Verrücktwerden und sie hatte keine Ideen mehr, was sie tun sollte. Wie lange sie dieses innere Chaos noch verstecken konnte, wusste sie nicht, doch sie nahm sich vor, ihr Bestes zu geben und vielleicht fand sie ja bald eine Lösung. Die nächsten vier Tage verbrachte Radha damit, Taani die Stadt zu zeigen und Zeit mit ihrer Schwester zu verbringen. Sie besichtigten einige Sehenswürdigkeiten und auch noch einmal ihr altes Zuhause, wohin Vijay sie begleitete. Radha war überrascht, wie gut er und Taani sich verstanden, doch darüber freute sie sich. Es war schön, ihre Schwester nach so langer Zeit wieder um sich zu haben. Radha fühlte sich lebendiger und ihre Probleme erschienen ein wenig kleiner. Taanis Fröhlichkeit und Lebenslust steckten sie an und sie war froh darüber. Da sie sich jedoch so viel mit Taani beschäftigte, hatte sie kaum Zeit für Sunder. Sie sahen sich nur am Abend beim Essen, wo sie allerdings auch eher wenig miteinander redeten. Das übernahm meist Taani. Auch wenn Radha ins Bett ging, schlief Sunder immer schon. Es tat ihr leid, dass sie so wenig Zeit für ihn hatte, doch sie wollte die kurze Zeit, die sie mit Taani hatte unbedingt so gut wie möglich nutzen, denn sie sah sie so selten und Sunder war nach dieser einen Woche schließlich noch da. Außerdem nutzten sie und Taani die Zeit, um über Radhas Gefühle zu Vijay zu reden. Als Außenstehende war auch Taani bereits aufgefallen, dass sein Verhalten Radha gegenüber etwas verdächtig war. Auch sie hatte die verstohlenen Blicke und `zufälligen´ Berührungen bemerkt und war sich sicher, dass da mehr dahinter steckte. „Sprich ihn doch einfach darauf an. Anders wirst du es sonst schließlich nie erfahren!“, stellte Taani fest, als sie freitagnachts bei Kerzenschein im Gästezimmer saßen. Draußen tobte ein starkes Gewitter und Regen peitschte gegen die Fensterscheiben. „Und wie stellst du dir das vor?! `Hey Vijay, mir ist aufgefallen, dass du mich immer anschaust. Liebst du mich?´ Also bitte, so einfach ist das nicht.“, erwiderte Radha missmutig. Taani verdrehte die Augen. „An deiner Wortwahl müsstest du noch etwas feilen, doch im Großen und Ganzen sehe ich das als einzige Lösung. Denn ich habe keine Lust mir den Rest meines Lebens dein Gejammer anzuhören.“ Für die letzte Bemerkung kniff Radha sie ins Bein. „Ich weiß ja, dass du Recht hast, aber ich kann mich irgendwie nicht überwinden...“ „Soll ich ihn für dich fragen?“, unterbrach Taani sie, woraufhin sie einen bösen Blick erntete. „Nein, das mache ich schon selber...“, meinte Radha und seufzte leise. Bevor sie schließlich das Zimmer verließ, rang Taani ihr noch das Versprechen ab, das Gespräch mit Vijay möglichst bald zu führen. Als Radha die Zimmertür hinter sich geschlossen hatte, lehnte sie sich daran und ließ sich langsam auf den Boden sinken, wo sie ihre Beine an ihren Oberkörper heranzog und ihre Arme darum legte. Das Plätschern des Regens gegen die Scheiben und das gelegentliche Grollen des Donners waren die einzigen Geräusche um sie herum. Dieses Alleinsein hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Sie wusste nicht, wie lange sie dort bereits gesessen hatte, als sich plötzlich jemand vor sie kniete und seine Hände auf ihre Schultern legte. Als sie ihren Kopf hob, schaute sie in Sunders Gesicht. Sein Blick war fragend, doch sie fühlte sich nicht in der Lage, zu sprechen. Auf einmal fühlte sie sich ausgelaugt und schlapp. Anscheinend hatte der seelische Stress doch seine Spuren hinterlassen. Sunder hielt ihr seine Hand hin, die sie dankbar annahm, um aufzustehen. In diesem Moment durchzuckte ein gleißender Blitz den Himmel und ließ alles für einen winzigen Moment taghell erscheinen. Radha zuckte vor Schreck zusammen und drückte sich schutzsuchend an Sunder. Perplex stand er für einen Augenblick reglos da, bevor er langsam seine Arme um sie legte und zur Beruhigung sanft mit einer Hand über ihren Rücken strich. Radha schloss die Augen und schmiegte sich an seinen warmen Körper. Ein Gefühl der Geborgenheit durchströmte sie. Langsam hob sie ihren Blick und schaute direkt in Sunders Augen. Als sie bemerkte, dass sich sein Gesicht ihrem immer weiter näherte, schloss sie ihre Augen und ließ seine Lippen sich mit ihren vereinen. Kapitel 19: ------------ Als Sunder Radha fester an sich zog, spürte er plötzlich ein unbändiges Verlangen nach ihr. Er ließ seine Hände über ihre weichen Kurven wandern, während er sich beinahe in ihrem Kuss verlor. Zu seiner Überraschung erwiderte Radha seine Leidenschaft. Sie fuhr mit den Händen durch sein gerade frisch gewaschenes Haar und drückte ihren Körper fest gegen seinen. Als sie sich schwer atmend voneinander lösten, legten sie ihre Stirnen aneinander und blieben eine Zeit lang eng umschlungen stehen. Plötzlich packte Sunder Radha an den Oberschenkeln, hob sie hoch, um sie aufs Fensterbrett zu setzen und schlang sich ihre Beine um seine Hüfte. Wieder küsste er sie leidenschaftlich und wanderte dann mit seinen Lippen ihren Hals hinunter. Als er ihr schließlich in die Augen sah, sah sie flehendes Verlangen, bei dem sie nicht wusste, ob sie bereit war, ihm nachzugeben. Er presste seinen Unterleib gegen ihr Becken, um sie in keinem Zweifel über sein Vorhaben zu lassen. Als sie seine Erregung spürte, durchfuhr ein aufregendes Kribbeln ihren Körper, das sich noch verstärkte, als er begann, ihre Bluse aufzuknöpfen. In diesem Moment wurde ihr allerdings bewusst, wo sie waren und sie stoppte ihn. „Ich... nein... Taani ist doch...“, flüsterte sie und versuchte, sich von ihm zu lösen, doch Sunder hielt sie fest, hob sie erneut hoch und trug sie in ihr Schlafzimmer, wo er sie vorsichtig auf dem Bett platzierte. Bevor er sich zu ihr legte, entledigte er sich seines T-Shirts. Ein lauter Donner ließ Radha erneut zusammenschrecken, doch noch bevor sie etwas sagen konnte, hatte Sunder seine Lippen bereits wieder über ihre gelegt. Vorsichtig legte er sich auf sie, während der Kuss inniger wurde und er seine Finger mit ihren überkreuzte. Radhas Herz hämmerte gegen ihre Brust und ihr ganzer Körper kribbelte vor Aufregung, als Sunder sich erneut an ihrer Bluse zu schaffen machte. Sanft verteilte er Küsse über ihren Hals, ihr Schlüsselbein und ihr Dekollete. Als er sie ihres BHs entledigen wollte, zögerte sie einen Moment, ließ es dann jedoch geschehen. Er suchte ihren Blick und flüsterte dann in ihr Ohr: „Du bist so wunderschön....” Radha schloss die Augen und ließ Sunder noch ihre restliche Kleidung ausziehen, bevor er sich ebenfalls entkleidete. Er musterte jeden Zentimeter ihres für ihn perfekt erscheinenden Körpers und erkundete ihre weiche Haut Stück für Stück mit seinen Händen. Radha wusste nicht mehr, wie ihr geschah. Seine Berührungen elektrisierten ihren Körper und weckten in ihr das Verlangen nach ihm. Als er sich schließlich wieder auf sie legte, fing der Regen erneut an, heftig gegen die Scheiben zu peitschen. Unbeeindruckt von seiner Umwelt konzentrierte sich Sunder nur auf Radha, als er ihre Beine um seine Hüften schlang und langsam und vorsichtig in sie eindrang. Er achtete dabei auf jede einzelne Bewegung ihres Gesichtes und hielt sofort inne, als er Anzeichen von Schmerz erkennen konnte. Sie legte ihm jedoch die Hände in den Nacken und zeigte ihm somit, dass er sich nicht beirren lassen sollte. Als er schließlich vollständig mit ihr vereint war, entglitt ein Seufzen seiner Kehle. Vorsichtig begann er, sich zu bewegen und merkte bald, dass er nicht lange durchhalten würde. Zu lange hatte er auf diese Moment gewartet und nun war er nicht in der Lage, ihn völlig auszunutzen. Er lehnte sich zu Radha hinunter und vertiefte sich in einen Kuss mit ihr, als er die letzten tiefen Stöße ausführte. Er bäumte sich noch einmal auf und sackte dann über ihr zusammen. Sie legte ihre Arme um seinen Körper und schloss die Augen. Nachdem sich seine Atmung wieder normalisiert hatte, rollte er sich von ihr herunter und schloss sie in seine Arme. Sie schmiegte sich an ihn und fühlte ihr Herz noch immer gegen ihre Brust hämmern. Nun war sie offiziell zur Frau geworden. Ihr gesamter Körper pulsierte vor Aufregung und sie konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Während Sunder ihren Rücken streichelte und ihr einen Kuss auf die Stirn gab, übermannte sie jedoch die Müdigkeit und sie schlief ein. Sunder lag noch etwas wach und fasste kaum, was gerade geschehen war. Er fühlte sich Radha so nahe, wie noch nie jemandem zuvor und er realisierte in diesem Moment, dass er sich in sie verliebt hatte. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er sie noch einmal etwas fester an sich drückte, so, als müsste er sicher gehen, dass sie tatsächlich neben ihm lag und schließlich ebenfalls einschlief. Am nächsten Morgen wurde Radha mit einem zärtlichen Kuss geweckt. Als sie ihre Augen öffnete, schaute sie in Sunders liebevolles Gesicht. Sie musste lächeln, als sie seine Haare sah, die in alle Richtungen von seinem Kopf abstanden. Um ihn zu ärgern, strubbelte sie noch einmal kräftig mit ihren Händen durch und schaute ihn kokett an. Daraufhin setzte er sich plötzlich auf, packte sie an der Hüfte und hievte sie auf seinen Schoß. Mit den Händen um ihre Taille zog er sie fest an sich und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Sie lächelte ihn an, fuhr dann aber erschrocken auf und meinte hektisch: „Hai Rabba! Ma und Bauji kommen heute! Ich muss doch...“ Doch als sie aufstehen wollte, hielt Sunder sie am Handgelenk fest, zog sie zu ihm zurück und meinte mit ruhiger Stimme, während er ihr in die Augen schaute: „Keine Hektik. Deine Eltern werden erst heute Nachmittag da sein. Bis dahin haben wir noch genug Zeit...“ Mit einem Blick über ihren nackten Körper fügte er noch grinsend hinzu: „Und ich wüsste auch, wie wir die nutzen könnten...“ Radha schenkte ihm allerdings nur einen verständnislosen Blick und befreite sich aus seinem Griff, bevor sie ins Badezimmer ging. Sunder schaute ihr nach und seufzte enttäuscht als er sich mit ausgebreiteten Armen zurück ins Bett fallen ließ. Während Radha duschte, ließ sie noch einmal die letzte Nacht in ihrem Kopf Revue passieren. Sie war sich nicht sicher, wieso sie Sunder nachgegeben hatte, doch es hatte sich nicht falsch angefühlt. Sie bereute es nicht, doch als ihr plötzlich Vijay in den Sinn kam, bekam sie ein merkwürdiges Gefühl. Es waren keine direkten Schuldgefühle, doch sie kam sich schäbig vor. Wie konnte sie mit Sunder schlafen, wenn sie doch in Vijay verliebt war? Sie hielt einen Moment inne und ließ das heiße Wasser über ihren Körper laufen. War es denn wirklich Liebe, die sie für Vijay empfand? Mit einem Mal war sie sich da plötzlich nicht mehr so sicher. Gedankenverloren trocknete sie sich schließlich ab und zog sich an. Als sie das Badezimmer verließ und Sunder ihren gedankenverlorenen Blick sah, nahm er sie liebevoll in den Arm und fragte vorsichtig: „Kya hua? Alles in Ordnung?“ Radha forcierte ein Lächeln. „Ji haan, sab kuch thik hai. Ich... Ich gehe dann mal Taani wecken.“, meinte sie und löste sich von ihm. Nachdem sie Taani geweckt und alle gemeinsam gefrühstückt hatten, machte Radha sich auf den Weg zum Markt, um noch ein paar Einkäufe zu erledigen. Die Zeit verging wie im Flug, während sie für den Besuch ihrer Eltern alles vorbereitete. Als sie schließlich da waren, konnte sie ihre Aufregung kaum verbergen, da sie nicht erahnen konnte, wie sie reagieren und mit ihr umgehen würden, doch sie wurde mehr als positiv von einer herzlichen Begrüßung überrascht. Der gesamte Besuch verlief sehr harmonisch und keinem schien es, als ob tatsächlich ein halbes Jahr Funkstille geherrscht hatte. Als ihre Mutter sie schließlich kurz beiseite nahm, entschuldigte sie sich sogar bei Radha. Sie verstand nicht, was plötzlich passiert war, doch auch Radha entschuldigte sich bei ihrer Mutter. Sie wusste, dass damals nicht alles richtig gelaufen war und mittlerweile musste sie zugeben, dass die Entscheidung ihrer Eltern, sie mit Sunder zu verheiraten, nicht das Schlimmste gewesen war, denn trotz ihres Gefühlschaos´ war sie auf eine gewisse Weise glücklich. Und da das Problem mit ihren Eltern nun auch geklärt war, fühlte sie sich zusätzlich um einiges leichter und befreiter. Kurz bevor Taani und Radhas Eltern abfahren wollte, nahm Taani ihre Schwester noch einmal beiseite. „Versprich mir, dass du noch diese Woche mit Vijay redest und mich danach sofort anrufen wirst!”, flüsterte sie ihr zu und schaute sie mit einem scharfen Blick zu. Radha verdrehte sie Augen, gab aber dann ihr Versprechen. Anschließend umarmte sie Taani noch einmal fest und dankte ihr für ihre Hilfe und ihren Besuch. „Ist doch selbstverständlich. Und das wird auch sicher nicht mein letzter Besuch gewesen sein.”, meinte sie daraufhin nur lächelnd und verabschiedete sich von Radha und Sunder. Kapitel 20: ------------ „Alles klar, also bis Dienstag!”, meinte Vijay und legte auf. Etwas geistesabwesend starrte er auf sein Telefon und wunderte sich, dass Radha ihn noch um diese Uhrzeit angerufen und um ein Treffen gebeten hatte. Sie hatte etwas nervös geklungen, also nahm er an, dass es sich um etwas Wichtiges zu handeln schien, das sie mit ihm besprechen wollte. Bevor er ins Bett ging, stellte er sich noch einmal unter die Dusche. Gedanken wirbelten durch seinen Kopf und auch seine Gefühle waren alles andere als geordnet. Seit Radha wieder in sein Leben getreten war, fühlte er sich neben der Spur. Seine anfängliche Freude über ihr Wiedersehen war einem Zustand der Unsicherheit gewichen. Je mehr Zeit er mit ihr verbrachte desto mehr fühlte er eine gewisse Anziehung ihr gegenüber. Sie war zweifelsohne eine wunderschöne Frau geworden und ihre Art liebte er seit ihrer Kindheit, doch war sie nun die Ehefrau seines besten Freundes. Wie konnte er also auch nur daran denken, Gefühle für sie zu haben? Zumal er diese nicht einmal definieren konnte. Er war liebend gern in ihrer Nähe und genoss ihre Gesellschaft sehr und wenn sie nicht bei ihm war, dachte er oft an sie. Das Liebe zu nennen, so weit wollte er nicht gehen, doch war es auch nicht nur bloße Freundschaft. Genervt stützte er sich mit beiden Armen an der Wand ab (1) und ließ das heiße Wasser über seinen Körper laufen, in der Hoffnung, es würde seine Verwirrung wegspülen, doch nichts dergleichen geschah. Er beschloss schließlich abzuwarten, was Radha ihm erzählen wollte, um dann weiterzusehen. Dienstag war es also soweit. Allein beim Gedanken an das bevorstehende Gespräch mit Vijay fing Radhas Herz an, vor Aufregung gegen ihre Brust zu hämmern. Sie war sich nicht sicher, was sie eigentlich genau mit ihm bereden wollte und was sie ihm sagen wollte, doch es musste endlich etwas geschehen, da hatte Taani Recht. Radha nahm sich vor, vorher nicht zu viel über alles nachzudenken, sondern spontan zu handeln und einfach frei von der Seele weg zu reden, doch das war einfacher gesagt als getan. Ihre Gedanken kreisten um Vijay und wie er wohl reagieren würde, wenn sie ihm die Wahrheit sagen würde, doch da sie darauf keine Antworten fand, verdrängte sie alles in die hinterste Ecke ihre Gehirns und hoffte, dass es bis zu ihrem Treffen dort bleiben würde. Zu Sunder ging sie unterdessen wieder etwas auf Abstand, da sie einfach zu aufgewühlt war. Ihr war klar, dass ihr Verhalten falsch war, doch sie konnte nicht anders. Sie bemühte sich zwar, ihm gegenüber möglichst normal zu sein, doch es war eindeutig, dass er bemerkte, dass sie etwas beschäftigte. Sie ließ seine Umarmungen und Küsse zu, doch er spürte eine plötzliche Distanz zwischen ihnen und er wusste nicht, woher sie stammte. Er vermutete, in ihrer gemeinsamen Nacht, etwas falsch gemacht zu haben, doch er kam nicht darauf, was es hätte sein können. Sie sah ihn schon von Weitem auf dem Klettergerüst sitzen. Die Sonne wurde gerade von einer Wolke verdeckt als sie sich ihm langsam näherte. Nachdem sie noch einmal tief durchgeatmet hatte, tippte sie ihm auf die Schulter und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln, das er sofort erwiderte bevor er sie zur Begrüßung in den Arm nahm. Ihr Herz flatterte vor Aufregung und sie nestelte nervös an ihrem Dupatta herum, als sie neben ihm auf der Gerüststange Platz nahm. Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander bis Vijay schließlich das Wort ergriff. „.... Und was ist es, was du mir sagen wolltest...?” Radhas Herz machte einen Sprung, doch sie versuchte, sich zusammenzureißen und meinte nach kurzem Überlegen: „Es... Ich bin so glücklich, dass wir uns nach all diesen Jahren wieder getroffen haben…” Ohne ihn anzusehen fuhr sie zögerlich fort: „.... Während all der Zeit hab ich dich nie vergessen und ich...” „Radha, was...”, unterbrach Vijay sie. Sein plötzlicher Einwurf ließ sie überrascht zusammenzucken, so dass sie von ihrem Gerüst rutschte. Vijay reagierte so schnell er konnte und hielt sie davon ab, zu stürzen. Er half ihr auf und hielt sie dabei in seinen Armen. „Alles okay?”, fragte er und beäugte sie. Sie nickte nur und senkte den Blick, damit er nicht sah, wie ihre Wangen erröteten. Sie hoffte, dass er sie schnell wieder losließ, damit sich ihr Herzschlag wieder einigermaßen normalisieren konnte, doch das tat Vijay zu ihrem Erstaunen nicht. Langsam hob sie ihren Blick und schaute Vijay direkt in die Augen. Unsicher, was sie nun tun sollte, stand sie einfach nur da. Ihr Körper war von Aufregung ganz steif und sie wagte es kaum zu atmen. Auch Vijay war unschlüssig, was er mit dieser Situation anfangen sollte. Sie in seinen Armen zu halten und ihre Wärme zu spüren, fühlte sich gut an. Unbewusst und ohne, dass beide es wirklich wahrnahmen, bewegten sie langsam ihre Köpfe aufeinander zu. Wenige Millimeter bevor sich ihre Lippen berührten, hielten sie inne und legten ihre Strinen aneinander. Radha schloss die Augen und atmete tief ein und wieder aus. Als sie die Augen wieder öffnete, schaute sie direkt in Vijays, die direkt vor ihr lagen. Er schaute sie fragend an und ließ dabei seine Hände auf ihrer Taille ruhen. Einige Augenblicke verharrten sie in dieser Position bis sie sich ihrer schlagartig bewusst wurden. Geschockt lösten sie sich voneinander und schauten sich ungläubig an. Beiden war schlagartig klar, was sie gerade im Begriff gewesen waren zu tun. „Vijay, ich...”, begann Radha mit bebender Stimme, doch sie fand keine Worte. Die waren auch nicht nötig, denn Vijay wusste genau, was sie ihm sagen wollte. Schweigend schüttelte er leicht den Kopf und kam einen Schritt auf sie zu. „Wir... Lass uns eine Nacht darüber schlafen und alles morgen in der Bibliothek klären…”, meinte er ruhig und wandte sich dann zum Gehen um. Radha stand noch einige Augenblicke da und schaute ihm nach. Sie konnte nicht glauben, was gerade geschehen war. Sie fühlte sich plötzlich schwummrig und musste sich setzen. Wie sollte sie nun Sunder, ihrem Ehemann, gegenüber treten, wo sie beinahe einen anderen geküsst hätte? Wie sie es auch drehte und wendete, schien doch alles ausweglos. Nachdem sie noch eine Weile alleine auf dem Spielplatz gesessen hatte, machte sie sich schließlich auf den Heimweg und hoffte inständig, dass Sunder ihr am Abend nicht ansehen würde, was geschehen war. Sie musste sich schleunigst etwas einfallen lassen und vor allem musste sie nun dringend alles mit Vijay regeln, denn nach diesem Beinahe-Kuss hatte sie nun Gewissheit, dass sie sich seine Blicke und seine Berührungen nicht nur eingebildet hatte. (1) http://i39.tinypic.com/2uij9cm.jpg Kapitel 21: ------------ „.... Seit ich also weiß, was das bedeutet, war ich in dich verliebt....”, beendete Radha ihre Ausführungen, doch sie hielt ihren Blick gesenkt, da sie Vijay nicht in die Augen sehen konnte. In einem selten genutzten Lagerraum der Bibliothek saßen sie sich an zwei Regalen gelehnt auf dem Boden gegenüber und schwiegen. Beide hingen ihren verworrenen Gedanken nach, waren allerdings nicht in der Lage, sie zu ordnen. Nach einer Weile setzte sich Vijay neben Radha, nahm ihre Hand in seine und legte sie in seinen Schoß. Radha schaute ihn überrascht an, wendete dann allerdings ihren Blick sofort wieder ab. „Aur ab?”, fragte er schließlich vorsichtig, erntete allerdings nur einen fragenden Blick. „Ich meine, wie steht es denn jetzt um deine Gefühle?” „... Wenn ich das doch nur selbst wüsste...”, entgegnete sie und seufzte resigniert. „Ich bin glücklich mit Sunder. Ich könnte mir keinen besseren Ehemann wünschen... und doch habe ich das Gefühl, als fehlte mir etwas...” Vijay drückte ihre Hand etwas fester. „Dieses Gefühl habe ich auch...” Wieder legte sich Stille über die beiden, bis Vijay erneut das Wort ergriff: „Ich weiß nicht, was es ist, doch seit wir uns wieder getroffen haben, bin ich auch etwas... durcheinander... Ich hätte dich am liebsten den ganzen Tag um mich und...” Radha legte ihm einen Finger über den Mund, um ihn am Weiterreden zu hindern. „Bitte sprich nicht weiter. Es fällt mir sowieso schon alles schwer genug. Ich hatte mich mit meinem Leben abgefunden und dann treffe ich dich plötzlich und aus heiterem Himmel wieder...” Ihr versagt die Stimme. Vorsichtig nahm Vijay sie in den Arm und streichelte ihr über den Rücken. „Mach dir darüber keine Gedanken. Wie du schon sagtest, gibt es keinen besseren Ehemann als Sunder und ich bin mir sicher, dass du ein perfektes Leben haben wirst.”, meinte er leise. Radha wusste, dass er Recht hatte und ihr gefiel die Aussicht auf ihr Leben auch durchaus, doch sie konnte die Gefühle für Vijay einfach nicht ignorieren. „Weißt du, was ich glaube?”, riss er sie schließlich aus ihren Gedanken. „Es ist weniger Liebe, als tiefe Freundschaft, die uns verbindet... All die Jahre haben wir uns nie vergessen. Doch ich glaube, dass das eher daher kommt, dass wir uns so nahe fühlten und plötzlich getrennt wurden. Über die Zeit hast du mich möglicherweise idealisiert und dir eingeredet, dass du in mich verliebt seiest...” Radha blickte ihn an. „Ich... Und was ist mit dir? Du sagtest doch...” „Ich weiß es nicht... Dein plötzliches Auftauchen... Du bist so eine schöne Frau geworden... Da würde wohl jeder Mann schwach werden.”, meinte er mit einem schwachen Lächeln. „Wir sehen das möglicherweise alles zu eng und sind noch immer von unserer Wiedersehensfreude euphorisiert.” Sie verstand, was er meinte, doch sie war sich alles andere als sicher, ob er Recht hatte. So hatte sie ihre Situation noch nie gesehen. „Lass uns erst noch einmal in Ruhe über alles nachdenken und dann sehen wir weiter, thik hai?”, schlug er vor und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. „Ji... Und was ist mit Sunder? Ich meine, sollen wir...?” „Nein, sag ihm nichts. Das würde ihn nur unnötig aufregen. Wenn wir zu einem Ergebnis gekommen sind, können wir ihm immer noch alles erklären. Was sagst du dazu?” Radha erklärte sich einverstanden und so verabschiedeten sie sich schließlich voneinander. Auf ihrem Heimweg erledigte sie noch ein paar Einkäufe, doch geschah dies eher mechanisch. Ihr Kopf war leer und es schien ihr unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Hatte Vijay Recht mit seinen Vermutungen? So hatte sie die Dinge noch nie gesehen. Doch konnte es denn wirklich sein, dass sie sich ihre Liebe zu ihm all die Jahre nur eingebildet hatte oder zumindest ihre Liebe einem Ideal gewidmet hatte, das es nicht gibt? Das wollte ihr einfach nicht in den Kopf. Sie fühlte sich wie erschlagen und vor allen Dingen schuldig, da sie Sunder von all dem nichts erzählte. Doch Vijay hatte Recht. Wenn alles nur heiße Luft war, war es besser, er hat nie etwas davon erfahren. In den nächsten Tagen gelang es Radha nicht, an etwas anderes als an ihr Gespräch mit Vijay zu denken. Hatte er wirklich Recht mit seiner Vermutung? Sie fand einfach keine Antwort darauf. Je mehr sie darüber nachdachte desto undurchsichtiger erschien ihr alles. Und dann war da noch Sunder, der sich um sie bemühte, doch so sehr sie es auch versuchte, es gelang ihr nicht, sich ihm gegenüber normal zu verhalten. Er bemerkte ihren Stimmungswandel natürlich und probierte, ihr etwas über ihre offensichtlichen Probleme zu entlocken und mit ihr zu sprechen, um ihr zu helfen, doch sie blockte und winkte immer wieder ab. Wie er es auch drehte und wendete, er konnte sich nicht erklären, wieso sie sich plötzlich so abweisend ihm gegenüber verhielt. Auch wenn sie versuchte, ihm gegenüber normal zu wirken, so entging ihm nicht, dass sie in Gedanken oft abwesend war und ihr Blick grübelnd ins Leere ging. Als Radha das Grübeln schließlich nicht mehr aushielt, beschloss sie, erneut zu Vijay zu gehen. Sie wusste, dass er nachmittags Lesesaaldienst hatte und so ging sie zu ihm. Als sie jedoch die Bibliothek betrat, blieb ihr beinahe das Herz stehen. Sunder (1) war dort. Noch ehe sie richtig nachgedacht hatte, ergriff sie in der Hoffnung, dass er sie nicht gesehen hatte, die Flucht und versteckte sich zwischen zwei Regalreihen in einer hinteren Ecke der Bibliothek. Mit klopfendem Herzen lehnte sie sich an die Bücher hinter ihr und schloss die Augen. Ihr war nicht ganz klar, wieso sie sich vor Sunder erschrocken hatte und sich nun vor ihm versteckte, doch sie hatte das Gefühl, ihm im Moment nicht in die Augen sehen zu können. Zuviel Vijay schwirrte ihr im Kopf herum. Als Radha jedoch ihre Augen wieder öffnete, stand Sunder plötzlich vor ihr. Er hatte seine Hände links und rechts neben ihr am Regal abgestützt und schaute ihr fest in die Augen. Vor Schreck hielt sie die Luft an und starrte ihn sprachlos an. „Was ist los?”, fragte er mit fester Stimme und durchdringendem Blick. Als sie ihn jedoch weiterhin nur anstarrte und nicht antwortete, fügte er hinzu: „Und komm mir nicht wieder mit irgendwelchen Ausflüchten. Allein die Tatsache, dass du dich gerade vor mir versteckt hast, spricht Bände. Wenn du mir allerdings nicht erzählst, was dich bedrückt, kann ich dir auch nicht helfen...” Radha kämpfte mit sich, doch sie schwieg weiterhin und wendete schließlich ihren Blick von ihm ab. Sunder atmete resigniert aus, doch er wollte nicht aufgeben. Er legte eine hand um ihre Taille und zog ihren Körper näher an sich heran. Die andere Hand legte er unter ihr Kinn, damit sie ihn ansah. Er fixierte ihren Blick. „Radha, ich bitte dich...” In seiner Stimme klang ein Flehen mit, doch Radha konnte sich einfach nicht überwinden. Was sollte sie ihm auch sagen? Ihr selbstsüchtiges Verhalten war nicht entschuldbar und das wusste sie ganz genau. Plötzlich allerdings spürte sie Sunders Lippen an ihrem Hals und wie sie sich langsam ihren Weg zu ihrem Ohrläppchen bahnten. Ihr Körper erschauerte und als er sie schließlich küsste, schloss sie die Augen und schlang ihre Arme um seinen Hals. Er drückte sie mit seinem Körper gegen das Bücherregal, um mehr Halt zu bekommen. Seine linke Hand glitt ihren Oberschenkel hinauf, während ihr Kuss immer inniger wurde. Für einen Moment vergaß Radha Vijay und all ihre Probleme, um sich der Wärme von Sunders Körper hinzugeben. Als sie jedoch ein paar Meter neben sich am Ende der Regalreihe ein dezentes Räuspern hörten, wurden sie jäh aus ihrer gerade entflammten Leidenschaft gerissen und fuhren erschocken auseinander. (1) http://i39.tinypic.com/zvq4bp.jpg Kapitel 22: ------------ Radha starrte in die Richtung, aus der das Räuspern gekommen war und stellte, ohne ihr Entsetzen verbergen zu können, fest, dass es Vijay war, der sie gestört hatte. Beschämt wendete sie sofort ihren Blick von ihm ab, als sie sah, dass er sie fassungslos anstarrte. Auch Sunder schaute etwas betreten zu Boden. Eine Zeit lang standen die drei wortlos da bis Vijay schließlich das Wort ergriff: „Ihr beiden seid ja unglaublich. Meint ihr nicht, solche Sachen würden eher in euer Schlafzimmer als in eine öffentliche Bibliothek gehören?” Er hatte ein verschmitztes Grinsen aufgesetzt und gespielt empört die Hände in die Hüften gestemmt, während er sprach. Sunder begann sofort zu grinsen und Ging auf Vijay zu. Während er ihm eine Hand auf die Schulter legte, meinte er: „Tut mir leid, Yaar. Das kommt nicht wieder vor. Wir...” Doch Vijay unterbrach ihn, indem er grinsend abwinkte. „Nein, nein. Das will ich gar nicht wissen. Ihr seid verheiratet. Ihr wisst schon, was ihr tut.” Während die beiden sich weiter unterhielten, wäre Radha am liebsten im Boden versunken oder zumindest weggerannt, doch sie riss sich zusammen, so gut sie konnte, da jedes weitere seltsame Verhalten von ihr in Sunder weitere Zweifel gestreut hätte. Sie wollte ihm nicht weh tun, denn das hatte er nicht verdient, doch so lange sie die Sache mit Vijay nicht geklärt hatte, konnte sie sich ihm gegenüber nicht normal verhalten. Gedankenverloren starrte sie vor sich hin, als ihr plötzlich Sunder auf die Schulter tippte. „Wollen wir dann nach Hause?” Radha brauchte einen kleinen Moment um sich zu sammeln. „Nein. Ich... Ich meine, ja. Lass uns gehen...”, stammelte sie. Nachdem sie sich von Vijay verabschiedet hatten, drehte sie sich noch einmal zu ihm um und sah in seinen Augen die gleiche Ratlosigkeit, die auch sie spürte. Sie wusste, auch wenn Sunder das nicht bemerkt hatte, dass seine gute Laune gerade eben nur gespielt gewesen war. Mit einem leisen Seufzen wendete sie sich schließlich wieder von Vijay ab und ging mit Sunder nach Hause. Radha lag im Bett und bekam kein Auge zu. Seit sie und Sunder die Bibliothek verlassen hatten, hatten sie kein Wort mehr gewechselt. Sie wusste nicht, was sie hätte sagen sollen und Sunder hatte auch nicht den Anschein erregt, als ob er unbedingt mit ihr hätte reden wollen. Je länger sie über ihre Situation nachdachte, desto hoffnungsloser erschien ihr alles. Mit ihrer Unentschlossenheit zerstörte sie mittlerweile sogar schon ihre Beziehung zu Sunder, der an allem überhaupt keine Schuld trug, aber nun der größte Leidtragende war. Er hatte keine Ahnung von ihren Gefühlen, doch sie wollte es ihm auch nicht zumuten, sie ihm mitzuteilen. Tränen stiegen ihr langsam in die Augen, bahnten sich ihren Weg über ihre Wangen, um schließlich in ihrem Kopfkissen zu versickern. Nach langem Grübeln wurde Radha irgendwann doch von ihrer Müdigkeit übermannt und sie schlief ein. Als sie am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich wie gerädert. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass Sunder bereits gegangen war und sie musste sich eingestehen, dass sie ganz froh darüber war. Sie konnte ihm einfach nicht gegenüber treten. Nachdem sie schließlich ausgiebig geduscht hatte, fühlte sie sich etwas besser. Da sie keinen großen Appetit hatte, aß sie nur einen Apfel und trank etwas Saft. Gerade als sie zur Ablenkung anfangen wollte, die Wohnung zu putzen, klingelte es an der Haustür. Als sie die Tür öffnete, verschlug es ihr kurz die Sprache. Vijay schenkte ihr ein schwaches Lächeln und fragte, ob er hereinkommen durfte. Radha trat zur Seite und schloss hinter ihm die Tür. „Ich habe nachgedacht...”, begann er schließlich, als sie gemeinsam auf der Couch saßen. Radhas Körper war angespannt und sie nestelte an ihrem Dupatta herum. Vijay schmunzelte kurz über diese Angewohnheit von ihr bevor er fortfuhr. „Als ich dich und Sunder gestern zusammen gesehen habe... Ich meine...” Radha errötete beim Gedanken daran. „Ich war sehr irritiert, dass ihr beiden in der Bibliothek…” „Es war nicht so, wie es aussah, Vijay. Eigentlich wollte ich zu dir, aber dann war Sunder plötzlich in der Bibliothek und ich...”, unterbrach Radha ihn aufgeregt, doch Vijay legte seine Hand auf ihr Knie, als Zeichen dafür, dass sie nichts erklären sollte. „Mach dir darüber keine Gedanken. Ich mache dir keine Vorwürfe. Schließlich bist du mit Sunder verheiratet. Es ist nur... Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll, doch in diesem Moment ist mir eines klar geworden...” Radha schaute ihn gespannt an und bemerkte, wie ihr Herz sich beinahe überschlug, als er weiter sprach. Sunder saß in seinem Büro und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. Er hatte mehrmals versucht, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, doch als ihm das immer wieder misslungen war, hatte er es aufgegeben. Nach seiner Mittagspause versuchte er sein Glück erneut, doch als seine Skizzen immer wieder misslangen, kümmerte er sich noch etwas um Papierkram, der sich seit Wochen bei ihm sammelte und machte sich schließlich auf den Weg nach Hause. Seine Überstunden erlaubten es ihm, früher als sonst, Schluss zu machen. Auf dem Heimweg beschloss er, dass er noch einmal versuchen musste, mit Radha zu reden. Er musste unter allen Umständen wissen, was sie beschäftigte und so verzweifelt versuchte, vor ihm zu verbergen. Wie er sie allerdings davon überzeugen wollte, dass sie ihm alles erzählen konnte, wusste er noch nicht. Nachdem er die Wohnungstür aufgeschlossen und seine Schuhe ausgezogen hatte, wollte er in die Küche gehen, um sich etwas zu trinken zu holen, doch plötzlich fiel sein Blick ins Wohnzimmer, wo er Radha stehen sah, die sich gerade in einer innigen Umarmung mit einem Mann befand, den er nicht identifizieren konnte, da er mit dem Rücken zu ihm stand. Ungläubig und wie angewurzelt stand Sunder da und brachte kein Wort heraus. Kapitel 23: ------------ Als Radha sich langsam aus Vijays Umarmung löste und die Augen öffnete, setzte für einen Moment ihr Herzschlag aus. Nur wenige Meter von ihnen entfernt stand Sunder und starrte sie fassungslos an. Vor Schreck riss Radha die Augen auf und machte hastig einen Schritt zurück. Vijay wunderte sich über ihr so plötzliches und merkwürdiges Verhalten und drehte sich um. Als er Sunder erblickte, erschrak auch er, zeigte dies jedoch nicht. Als Sunder Vijays Gesicht sah, löste sich die Anspannung in seinem Körper und ein kleines Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Arre Yaar! Ihr habt mir vielleicht gerade einen Schrecken eingejagt... Ich dachte schon...” „... dass wir eine Affäre haben?”, unterbrach Vijay ihn ernst, was Sunders Miene wieder versteinern ließ. Plötzlich lachte Vijay auf. „Arre Yaar! Mach nicht so ein Gesicht! Das war nur ein Spaß!”, meinte er mit einem vergnügten Gesichtsausdruck und legte einen Arm um Sunders Schultern. „Wir haben uns nur verabschiedet, weil ich gerade gehen wollte.” Sunder lächelte und entgegnete: „Willst du nicht noch auf einen Tee bleiben?” Vijay warf einen flüchtigen Blick auf Radha und schüttelte dann den Kopf. „Ich muss los, Yaar, aber vielleicht ein andern Mal. Bis dann!”, verabschiedete er sich und verließ dann mit einem weitern flüchtigen Blick auf Radha die Wohnung. Mit hämmerndem Herzen und gesenktem Blick stand Radha da und wusste nicht, was sie tun sollte. „Ich mache mir einen Tee. Willst du auch einen?”, fragte Sunder schließlich, stutze allerdings als er Radha ansah. „Kya hua? Ist dir nicht gut?”, fragte er mit einem Anflug von Sorge in seiner Stimme, als er sah, wie blass sie war. Sie schüttelte allerdings nur mit dem Kopf. „Ji nahin. Main thik hoon. Setz dich ruhig hin. Ich mach dir deinen Tee.”, meinte sie und ging, ohne in anzusehen, an ihm vorbei in die Küche. Irritiert schaute Sunder ihr hinterher und setzte sich schließlich auf die Couch. Er atmete tief durch und schloss die Augen. Er wurde dieses merkwürdige Gefühl nicht los, dass etwas mit Radha und Vijay nicht stimmte. Er wollte nicht wahr haben, was er gerade dachte. Seine Frau und sein bester Freund...? Sein Magen verkrampfte sich bei diesem Gedanken. Wenn er sich allerdings alles noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen ließ, konnte er kaum einen anderen Schluss zulassen. Als Radha schließlich mit einem Tablett mit Tee und ein paar Süßigkeiten wiederkam, fragte Sunder wie beiläufig: „Was wollte Vijay eigentlich?” Radha, die ihm gerade, seinen Tee reichen wollte, ließ vor Überraschung das Glas fallen. Der Tee und tausende Scherben verteilten sich über den Fußboden. „Oh nein...”, meinte Radha leise und kniete sich hin, um hastig die Scherben aufzulesen. „Radha, sag mir endlich, was mit dir los ist!”, forderte Sunder und kniete sich neben sie. Als sie ihm nicht antwortete, griff er nach ihrer Hand, woraufhin sie sich allerdings an einer der Scherben schnitt. Leise fluchend nahm er ihren Finger in den Mund, um das herausquellende Blut zu stoppen. Währenddessen kramte er ein sauberes Taschentuch aus seiner Hosentasche und band es ihr anschließend um die Wunde. Dann nahm er ihre Hand zwischen seine und sah sie eindringlich an. Als sie jedoch wieder ihren Blick abwenden wollte, meinte er: „Was sollen diese Spielchen? Willst du mir für den Rest deines Lebens deine Probleme verschweigen? Sprich doch bitte endlich mit mir...!” Als er sah, dass ihr Tränen in die Augen stiegen, war er kurz davor nachzugeben, doch er riss sich zusammen und bohrte weiter nach. „Hat es etwas mit Vijay zu tun?”, fragte er und fügte hinzu, als er ihren ertappten Gesichtsausdruck sah: „Ist es, was ich befürchte...? Habt ihr beiden...?” „Nein!”, platzte Radha heraus. „Ich... Ich war in ihn verliebt, aber.... Das beruhte nie auf Gegenseitigkeit...” Geschockt starrte Sunder Radha an. „Kya.... Kya kaha?!”, presste er hervor, während Radha Tränen die Wangen herunter rannen. Während er sich schließlich aufrichtet und sich auf der Couch niederließ, blieb sie auf dem Boden zwischen all den Glasscherben sitzen. Sunder war nicht in der Lage in Worte zu fassen, was er im Moment fühlte. Schweigend saßen sie beieinander und starrten vor sich hin. „Wieso hast du mich geheiratet?!, fragte Sunder schließlich nach einer Weile. Radha schaute ihn mit tränenverschleierten Augen an und sagte dann leise und mit kehliger Stimme: „Meine Eltern haben mich gezwungen, damit ich Vijay vergesse... Seit meiner Kindheit war er derjenige, mit dem ich mein Leben verbringen wollte...” Sunder starrte auf die Glasscherben vor ihm auf dem Boden, während sie fortfuhr: „Ich wollte mich damit abfinden, dass ich ihn niemals wiedersehen und ich mein Leben mit dir verbringen würde, doch dann traf ich ihn plötzlich als deinen besten Freund wieder. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, da meine Gefühle für ihn noch immer da waren, doch dann beschloss ich, meine Pflicht zu erfüllen und dir eine gute Ehefrau zu sein, was mir auch nicht schwer gefallen wäre, denn mit der Zeit begann ich, auch für dich starke Zuneigung zu empfinden, doch dann begann Vijay...” „Wieso hast du mir nie etwas davon erzählt?!”, unterbrach Sunder sie, woraufhin sie seufzte und resigniert meinte: „Was hätte das denn geändert? Ich...” „Was das geändert hätte?!”, fuhr Sunder hoch. „Ich hätte mich bestimmt nicht in dich verliebt, wenn ich das gewusst hätte...!” Nach seinem letzten Satz schaute Radha ihn überrascht an, doch das ignorierte er. Stattdessen stand er genervt und mit einer fahrigen Bewegung auf. „Wenn ich gewusst hätte, dass all meine Bemühungen umsonst waren, wäre...” „Deine Bemühungen waren nicht umsonst.”, meinte Radha und stand ebenfalls auf. „Ja, ich habe geschwankt und wäre beinahe schwach geworden, doch...” „Doch was?! Ich dachte, du erwiderst meine Gefühle und wärst glücklich mit mir! Wir... Wir haben miteinander geschlafen! Radha, was hast du dir dabei gedacht?!”, fuhr er ihr ins Wort und drehte mit einer ruckartigen Bewegung seinen Kopf weg. „Bitte hör mir doch zu. Ich hatte nie vor, dir weh zu tun und habe es dir deswegen verschwiegen.”, meinte Radha und versuchte ihn zu beschwichtigen, doch stattdessen schenkte er ihr einen Blick, der eiskalte Schauer ihren Rücken hinunter jagte. „Du hast mich angelogen. Du hast mich in dem Glauben gelassen, dass du glücklich mit mir wärst und wir eine Zukunft hätten, während du still und heimlich von meinem besten Freund geträumt hast. Hättest du mir gleich zu Anfang die Wahrheit gesagt, hätte ich mich zurückgezogen und euch freie Bahn gelassen, aber jetzt... Was denkst du, wie es jetzt weitergehen soll?!” Radha spürte erneut, wie heiße Tränen über ihre Wangen liefen. „Sunder, bitte. Ich weiß, dass ich Fehler gemacht habe, aber ich habe dich nicht angelogen. Meine Gefühle für dich sind echt und ich...” „Man kann keine zwei Menschen gleichzeitig lieben.”, meinte er nur kühl und verließ das ohne ein weiteres Wort das Zimmer. Als Radha die Wohnungstür ins Schloss fallen hörte, sackte sie auf den Boden und schloss sie Augen. Die noch auf dem Boden liegenden Glasscherben bohrten sich in ihre Haut, doch sie spürte den Schmerz kaum. Sie konnte nur an eines denken: Mit ihrer naiven Dummheit hatte sie nun alles zerstört. Kapitel 24: ------------ Die ersten Sonnenstrahlen des nächsten Tages ließen Radha aus ihrem leichten Schlaf aufschrecken. Für einen Moment wusste sie nicht, ob sie die Ereignisse des letzten Abends nur geträumt hatte, doch als sie die Glasscherben vor sich auf dem Boden sah, wusste sie, dass der Streit mit Sunder Realität war. Sie schloss die Augen und spürte erneut Tränen in ihre Augen steigen. Als sie schließlich von der Couch, auf der sie geschlafen hatte, aufstand, räumte sie wie mechanisch zuerst die Glasscherben weg und wischte dann den Boden auf. Erst als sie damit fertig war, fielen ihr die vielen kleinen Wunden an ihren Händen und Beinen auf, die sie sich durch die Scherben am gestrigen Abend zugezogen hatte. Doch sie fühlte sich noch immer wie betäubt und spürte daher keine Schmerzen. Plötzlich allerdings bemerkte sie das Taschentuch um ihren Finger. Sie umschloss es mit ihrer anderen Hand und drückte es gegen ihre Brust. Dann löste sie es ab und ging ins Bad, um unter die Dusche zu steigen. Sie ließ das heiße Wasser über ihren Körper laufen, doch sie fühlte keine Entspannung. Sie fühlte sich leer und alles, was sie tat, geschah verstandesgesteuert und rein mechanisch. Nachdem sie sich schließlich abgetrocknet und angezogen hatte, holte sie einen Verbandskasten und versorgte ihre viele kleinen Wunden. Es brannte, sie zu reinigen, doch sie ignorierte es. Langsam drifteten ihre Gedanken zu ihren gestrigen Gespräch mit Vijay... „... ist mir eines klar geworden...” Nach einer Pause, während der Radha beinahe wahnsinnig wurde, meinte er schließlich: „Sunder und du, ihr gehört zusammen. Er liebt sich aufrichtig und auch wenn du es dir noch nicht eingestehen willst und dich hinter deiner angeblichen Liebe zu mir versteckst, bin ich sicher, dass du seine Gefühle auch erwiderst.” Als Radha nicht antwortete, fuhr er fort: „Und was mich angeht... Ich bin mir noch immer nicht sicher, was ich empfinde, aber wenn es Liebe wäre, hätte ich das sicher schon bemerkt...” Er seufzte, legte einen Arm um sie und drückte sie an sich. „Versprich mir, dass du gut zu Sunder bist. Du bist alles für ihn...” Nachdem sie eine Weile so gesessen hatten, stand Vijay schließlich auf und wollte gehen, doch Radha sprang plötzlich auf und fiel ihm noch einmal in die Arme. „Ich weiß weder, was ich denken noch was ich fühlen soll, aber bitte verschwinde nicht wieder aus meinem Leben.”, flehte sie flüsternd, woraufhin Vijay lächelte. „Das werde ich ganz bestimmt nicht tun, denn das würde nicht nur dir das Herz brechen. Wir werden zusammen und vor allem Freunde bleiben, aber du gehörst zu Sunder.” Radha schloss die Augen und drückte sich fester an ihn, aus Angst, ihn doch verlieren zu können, doch gleichzeitig realisierte sie, dass er Recht hatte. Ohne dass sie es wirklich bemerkt hatte, hatten sich ihre Gefühle für Vijay geändert. Sie liebte ihn noch immer, doch es war eine andere Art von Liebe geworden, während ihre Gefühle für Sunder immer stärker geworden waren. Radha konnte sich ein Leben ohne einen der beiden Männer nicht mehr vorstellen, doch nahmen sie beide unterschiedliche Rollen ein. Sunder war ihr Ehemann und Vijay ihr bester Freund. Als sie ihre Augen wieder öffnete, schaute sie direkt in Sunders Gesicht... Die Erinnerung an seinen Ausdruck jagte Radha einen Schauer über den Rücken. So schockiert hatte sie ihn noch nie gesehen. Und plötzlich stellte sie sich die Frage, ob sie ihn überhaupt je wieder sehen würde, denn Sunder war letzte Nacht offensichtlich nicht nach hause gekommen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und Panik erfasste sie. Wo war er? Wie ging es ihm? Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Er hatte so überstürzt und voller Wut die Wohnung verlassen, dass sie Angst hatte, dass ihm aus Unachtsamkeit etwas passiert sein könnte. Schließlich beschloss Radha, all seine Freunde anzurufen, doch keiner von ihnen konnte ihr Auskunft geben. Zuletzt rief sie Taani an und berichtete ihr alles, was geschehen war. „Und du hast auch schon seinen Vater angerufen?”, erkundigte sich Taani, nachdem Radha zu Ende erzählt hatte. „Ji... Aber da ist er auch nicht... Taani, was soll ich denn jetzt nur tun?” „Beruhige dich erst einmal.”, versuchte Taani auf ihre Schwester einzureden. „Warte noch etwas ab. Er wird ganz sicher bis heute Abend zu Hause sein...” Radha atmete einmal tief durch und erklärte sich dann einverstanden. Doch als sie schließlich aufgelegt hatte, klingelte es an der Wohnungstür. Voller Hoffnung öffnete sie sie, doch als sie ihren Besuch sah, erschrak sie. Die zwei Polizisten, die vor ihrer Tür standen, schauten Radha ernst an. „Namaste! Sind sie Mrs. Radha Behl?”, erkundigte sich einer der beiden. Radhas Körper verkrampfte sich, doch sie zwang sich zu einem schwachen Nicken. „Es tut mir leid, dass ich Ihnen das mitteilen muss, doch ihr Mann hatte letzte Nacht einen schweren Unfall.” In Radhas Kopf rauschte es und ihr wurde beinahe schwarz vor Augen während der Polizist weiter sprach: „Er wurde von einem Kleintransporter angefahren und schwebt im Moment noch in höchster Lebensgefahr...” Seine weitern Worte nahm Radha kaum noch wahr. Sie wollte nur noch eines: sofort zu Sunder! „Bitte, können Sie mir sagen, wo er jetzt ist? Können Sie mich zu ihm bringen?”, fiel sie ihm ins Wort. „Aber natürlich. Kommen Sie!” Der zehnmütige Weg ins Krankenhaus erschien ihr ewig. Als sie endlich angekommen waren, verabschiedete sie sich hastig von den Polizisten und rannte anschließend sofort zur Krankenhausauskunft, um Sunders Zimmernummer zu erfahren, doch die junge Frau dort meinte nach einem kurzen Blick in ihren Computer: „Im Moment befindet sich der Patient noch im Not-OP und ich kann Ihnen leider nicht sagen, wie lange er dort noch sein wird.” Radha wühlte sich wie vor den Kopf gestoßen, erkundigte sich allerdings noch darüber, wie sie zum OP gelangen konnte und hastete anschließend sofort los. Der OP wurde tatsächlich noch benutzt und so setzte Radha sich auf einen der davor stehenden Stühle und wartete. Alle möglichen Gedanken wirbelten in ihrem kopf durcheinander. Alles fühlte sich so irreal an, doch gleichzeitig war es bittere Realität. Sie fragte sich, wie der Unfall passiert war, wie Sunders Zustand im Moment war und ob sie ihn jemals lebend wieder sehen würde. Nach und nach wich ihr anfänglicher Schock einer tiefen Verzweiflung. Noch nie hatte sie sich so machtlos gefühlt wie in diesem Moment. Plötzlich spürte sie eine hand auf ihrer Schulter. Als sie aufsah, schaute sie in das Gesicht von Sunders Vater. Er schenkte ihr ein schwaches Lächeln und nahm sie, nachdem er sich neben sie gesetzt hatte, in den Arm. Radha erwiderte sie Umarmung dankbar und war unendlich froh darüber, in diesem Moment nicht mehr allein sein zu müssen. Die Minuten wurden zu Stunden. Das warten machte die beiden fast wahnsinnig, vor allem da sie so vollkommen machtlos waren. Als schließlich die OP-Tür geöffnet wurde und eine Schwester herauskam, stürzten sie sich sofort auf sie, doch anstatt einer Antwort erhielten sie nur ein Kopfschütteln und blieben ratlos zurück. Was hatte das zu bedeuten? Wollte sie nur keine Auskunft geben oder bestand keine Hoffnung mehr für Sunder? Radha lief nervös den Gang auf und ab bis schließlich erneut die Tür geöffnet wurde und ein Arzt herauskam. „Wir haben Mr. Behl soweit stabilisieren können, doch sein Zustand ist weiterhin sehr kritisch. Er hatte viele innere Blutungen und befindet sich zudem im Moment im Koma. Wann er aufwachen wird, können wir leider nicht sagen.” Radha war erleichtert, dass Sunder noch am Leben war, doch dass er im Koma lag, beängstigte sie. Der Arzt nannte ihnen noch die Nummer des Zimmers, in das Sunder verlegt werden sollte und entschuldigte sich dann. Als sie Sunders Zimmer betraten, erschraken sie. Sunder war an mehrere Maschinen angeschlossen, hatte einen eingegipsten Arm und einen Verband um den Kopf. Außerdem hatte er überall am Körper blaue Flecken und Schürfwunden. Augenblicklich schossen Tränen in Radhas Augen und sie hob eine Hand vor ihren Mund. Sunders Vater schloss sie erneut in seine Arme, um ihr Halt zu geben, doch auch er konnte seine Tränen kaum zurück halten. Er hätte nie damit gerechnet, jemals in einem solchen Zustand sehen zu müssen. Sein Anblick brach ihm beinahe das Herz. Gerade als Radha sich neben Sunders Bett gesetzt und seine Hand genommen hatte, kam eine Krankenschwester herein. „Ich muss Sie bitten zu gehen. Der Patient braucht jetzt sehr viel Ruhe. Sie können morgen wiederkommen.” Radha wollte gerade protestieren als Sunders Vater sie beschwichtigend am Arm nahm und sie aus dem Zimmer führte. Er fuhr sie nach Hause und meinte zu ihr, bevor er ging: „Ruh dich aus, Beti. Wir fahren morgen wieder zu Sunder. Es wird alles wieder gut....” Als Radha die Haustür geschlossen hatte, brach sie weinend zusammen. Kapitel 25: ------------ In den nächsten Tagen verbrachte Radha so viel Zeit bei Sunder, wie es die Besuchszeit des Krankenhauses zuließ. Sein Zustand blieb weiterhin stabil, doch das bedeutete auch, dass er sich nicht besserte. Jeden Tag hoffte Radha darauf, dass Sunder aufwachte, doch das schien, solange kein Wunder geschehen würde, ein Wunschtraum zu sein. Nichtsdestotrotz blieb sie an seiner Seite. Sie redete mit ihm und auch wenn er sie nicht hören konnte, so versuchte sie ihm alles zu erklären, das seit Anfang ihrer Ehe geschehen war. Sie sprach über alles, was ihr auf der Seele brannte, während sie seine Hand hielt oder seinen Kopf streichelte. Sie hätte alles dafür gegeben, dass er wieder aufwachte, doch in dieser Hinsicht hätte sie machtloser nicht sein können. Nichtsdestotrotz hoffte sie jedoch, dass er wenigstens ihre Anwesenheit spüren konnte. Wenn Radha sich nicht im Krankenhaus aufhielt, telefonierte sie meist mit Taani, ihren Eltern oder Sunders Vater. Auch Vijay hatte sie wegen Sunders Unfall Bescheid gesagt, woraufhin er sofort zu ihr gekommen war, um ihr beizustehen. Seine Anwesenheit beruhigte sie ungemein, vor allem, wenn er mit ihr gemeinsam ins Krankenhaus ging. Vijay machte sich Vorwürfe, dass er an dem Unfall eine Teilschuld hatte, da er doch der Grund für den Streit zwischen Radha und Sunder gewesen war, doch das redete Radha ihm sofort wieder aus. Die Ursache für den Unfall war die Unaufmerksamkeit des Transporterfahrers gewesen. Er hatte zugegeben, im Dunkeln nicht richtig auf die Straße geachtet zu haben und dabei auf den Fußgängerweg abgekommen zu sein, wo er Sunder erfasst hatte. Der Mann hatte sofort den Krankenwagen gerufen und sich bereits aufrichtig und mit einem Blumenstrauß bei Radha entschuldigt, auch wenn er wusste, dass er seine Tat nicht wieder ungeschehen machen konnte. Es tat ihr gut zu wissen, dass er es bereute, auch wenn es ihren Schmerz nicht lindern konnte. Nach zwei Wochen hatte sich Sunders Zustand noch immer nicht gebessert. Nachdem Vijay seinen besuch schon beendet hatte, saß Radha an Sunders Bett und streichelte ihm über den Kopf, während sie sein friedliches Gesicht beobachtete. Die blauen Flecken waren mittlerweile in ein Gelbgrün übergegangen und auch die Schürfwunden verheilten langsam. Während Radha ihn so betrachtete, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Eine erneute Angst, dass er nie wieder aufwachen würde, überkam sie, woraufhin sie ihren Kopf vorsichtig auf seine Brust legte, um seinen Herzschlägen zu lauschen. Sie wusste nicht, wie lange sie so verharrte, doch als sie sich wieder aufrichtete, waren ihre Tränen versiegt und ein Blick auf die Uhr verriet ihr, dass die Besuchszeit gleich vorbei war. Schweren Herzens nahm sie ihre Tasche und beugte sich noch einmal zu Sunder, um ihm einen sanften Kuss auf die Stirn zu geben. Als sie gerade gehen wollte, hatte sie plötzlich das Bedürfnis, sich noch einmal umzudrehen. Sie schenkte ihm noch einen liebevollen Blick und hauchte dann leise: „Ich liebe dich...” Als sie dann nach dem Türknauf griff, hörte sie hinter sich plötzlich ein durchgängiges Fiepen. Zitternd und in Tränen aufgelöst saß Radha mit Sunders Vater und Vijay vor dem OP und bangte um Sunders Leben. Wieso nur war sein Herz vorhin so plötzlich stehen geblieben? Auch die Ärzte, die nun seit beinahe einer Stunde versuchten, ihn wiederzubeleben, hatten ihr darauf keine Antwort geben können. Mittlerweile hatte Radha kaum noch ein Fünkchen Hoffnung, dass sie Sunder jemals lebend wiedersehen würde. Sie hasste den Gedanken, dass sie im Streit auseinander gegangen waren und sie nun nie wieder die Möglichkeit haben würde, sich ihm zu erklären und bei ihm zu entschuldigen. Als nach einer guten Stunde die Tür des OPs geöffnet wurde, hatte Radha sich schon fast damit abgefunden, dass Sunder nicht mehr aufwachen würde, doch als sie das Gesicht des Arztes sah, flammte Hoffnung in ihr auf. „Uns ist es gelungen, Mr. Behl wiederzubeleben.“, meinte er und lächelte. „Und außerdem... ist er aus seinem Koma aufgewacht.“ Radha traute ihren Ohren nicht. Ihr gesamter Körper zitterte und als plötzlich ihre Knie nachgaben, musste Vijay sie stützen. „Sie meinen... mein Sohn ist wieder bei Bewusstsein?“, erkundigte sich Sunders Vater mit Tränen in den Augen. Der Arzt nickte lächelnd. „Und er hat nach seiner Frau gefragt. Wenn Sie wollen, können Sie jetzt zu ihm, Mrs. Behl.“, meinte er an Radha gerichtet und verabschiedete sich dann von den dreien. Radha schaute unsicher zwischen ihrem Schwiegervater und Vijay hin und her bevor sie nach tiefem Einatmen Sunders Zimmer betrat. Freudentränen stiegen in ihre Augen als sie sah, dass er sie anschaute. Sie setzte sich auf einen Stuhl neben seinem Bett und schaute ihn gespannt an, denn ihr war klar, dass er noch wütend auf sie sein musste. Eine Zeit lang schwiegen beide bis Radha schließlich das Wort ergriff: „Es tut mir leid, dass ich...“ „Ich habe alles gehört.“, unterbrach er sie plötzlich mit brüchiger Stimme, woraufhin sie ihn fragend anschaute. „Alles, was du mir erzählt hast, habe ich gehört.“, wiederholte er und blickte ihr fest in die Augen. „Du warst wach? Aber ich dachte...“ „Ich habe alles um mich herum mitbekommen, aber ich konnte mich nicht bewegen...“, erklärte er und griff nach ihrer Hand. Radhas Puls beschleunigte sich und sie spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Sie wusste nicht, ob sie glücklich oder schockiert darüber sein sollte, dass Sunder alles mitbekommen hatte, was sie ihm gebeichtet hatte, doch als sie sah, dass ein schwaches Lächeln sein Gesicht zierte, machte sich Erleichterung in ihr breit. „Du hast mich wirklich verletzt, aber auf der anderen Seite kann ich dich auch verstehen. Ich weiß nicht, was ich an deiner Stelle getan hätte, also kann ich dich auch nicht verurteilen.“, meinte er und drückte ihre Hand ein wenig fester. „Und dass du die ganze Zeit hier im Krankenhaus bei mir warst, beweist mir, dass ich dir zumindest nicht völlig egal sein kann, hai na?!“, fügte er mit einem schiefen Grinsen hinzu. „Du... Du verzeihst mir also?“, fragte Radha zögerlich nach und bekam ein Nicken als Antwort. Sie schluchzte einmal heftig auf und fiel ihm dann um den Hals. „Ich liebe dich...“, flüsterte sie und schmiegte ihren Kopf an seine Brust. „... Ich weiß...“ Als Radha sich wieder von ihm löste, wischte er vorsichtig die Tränen von ihren Wangen. Kurz darauf klopfte es an der Zimmertür und Vijay und Sunders Vater traten herein. Ihnen beiden war die Erleichterung, Sunder im wachen Zustand zu sehen, deutlich anzusehen. Vijay schaute verhalten zu Radha, doch als sie unauffällig nickte, verstand er, dass die Probleme aus der Welt geschafft waren. „Arre Yaar! Du kannst uns doch nicht so einen riesigen Schrecken einjagen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für Sorgen wir uns um dich gemacht haben!“, meinte er daraufhin und setzte sich neben Sunder aufs Bett. Dieser grinste daraufhin nur. „Irgendwie muss man ja testen, wer die wahren Freunde sind. Außerdem...“ Er wurde von einer Krankenschwester unterbrochen, die ins Zimmer kam und alle bat zu gehen, da schon lange keine Besuchszeit mehr war und Sunder unbedingt Ruhe brauchte. Widerwillig verabschiedeten sie sich also und gingen schweren Herzens nach Hause. Kapitel 26: ------------ Drei Wochen später durfte Sunder wieder nach Hause, wo er von Radha, seinem Vater, Vijay, Taani, Radhas Eltern und ein paar weiteren Freunden herzlich empfangen wurde. Es wurde ausgelassen gefeiert, auch wenn man Sunder die Spuren des Unfalls noch ziemlich ansehen konnte. Im Laufe des Abends bat Vijay Sunder um ein Gespräch. Auch wenn er wusste, dass Radha ihm bereits alles erklärt hatte, so wollte er noch einmal selbst mit seinem besten Freund ins Reine kommen. „... weder Radha noch ich wollten dir je etwas Schlechtes und ich hoffe, du weißt das...“, beendete Vijay seine Ausführungen und schaute seinen Freund erwartungsvoll an. „Ja, das weiß ich. Und dass du noch einmal zu mir gekommen bist, bedeutet mir viel, Yaar.“, entgegnete Sunder und bedeutete Vijay mit einer Geste, dass er ihn umarmen sollte. „Und jetzt Schluss mit diesem leidigen Thema. Es hat uns schon genug Ärger gekostet. Ich will jetzt nur noch möglichst schnell gesund werden und mit meiner Frau eine Familie gründen.“, grinste Sunder, als sie sich aus ihrer Umarmung gelöst hatten. „Na, dann viel Glück, Yaar! Und wehe, eure Kinder sagen nicht `Onkel´ zu mir!“, drohte Vijay und lachte. Nachdem alle Gäste verabschiedet oder ins Bett gegangen waren und Radha soweit alles aufgeräumt hatte, ging sie erschöpft ins Schlafzimmer. In der festen Annahme, Sunder würde bereits schlafen, zog sie sich aus und wollte gerade ihr Schlafzeug anziehen, als sie eine Hand um ihre Hüfte spürte. Ihr Körper vibrierte unter dieser Berührung. Sie spürte sanfte Küsse auf ihrem Nacken und schloss die Augen. Lange Zeit hatte sie sich nach Sunders Berührungen gesehnt und nun lösten sie ein wohliges und unwiderstehliches Kribbeln in ihrem Bauch aus. Sunder drehte ihren Körper behutsam zu sich herum und küsste sie zärtlich. Er wollte im Moment nichts mehr als Radha zu zeigen, wie sehr er sie liebte und wie glücklich er war, dass sie bei ihm war. Er ließ seine Hände ihren nackten Rücken entlang gleiten und führte sie langsam zum Bett. Als er sich hinlegte und sie auf sich zog, zögerte sie. „Sollten wir nicht warten bis du wieder ganz gesund...?“, begann sie, doch Sunder fiel ihr ungeduldig ins Wort: „Bis dahin würde ich durchdrehen.“ Dann entledigte er sich seiner Boxershorts und platzierte Radha auf seinem Schoß. Während er in sie glitt, stöhnte er leise auf. Radha überraschte Sunders plötzlich so ungestüme Art, doch sie konnte nicht sagen, dass es ihr nicht gefiel und so begann sie, sich auf und ab zu bewegen. Dabei stützte sie sich auf seinem Brustkorb ab und schloss die Augen. Sunder konnte sich bei Radhas Anblick kaum noch beherrschen. Sie schien ihm in ihrer Unvollkommenheit so perfekt, dass er sie am liebsten für immer in diesem Augenblick festgehalten hätte. Als er es schließlich nicht mehr aushielt, packte er sie an den Hüften und presste sie in seinen Schoß. Auch Radha bäumte sich auf und seufzte lustvoll bevor sie in sich zusammensackte. Schwer atmend stieg sie von Sunder herunter und legte sich neben ihn, mit dem Kopf auf seiner Brust. Sunder legte seinen Arm um sie und gab ihr einen kleinen Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich.”, flüsterte er und zauberte ihr damit ein Lächeln auf die Lippen. Zwei Jahre später waren Radha und Sunder stolze Eltern einer einjährigen Tochter namens Reema. Radha hatte einen Halbtagsjob in der Bibliothek angenommen und fühlte sich sehr erfüllt. Ihre Ehe mit Sunder konnte besser nicht laufen und ihre Tochter wuchs prächtig heran. Auch Vijay war auf dem besten Weg sein Glück zu finden. Taani hatte sich mittlerweile zu einer wunderschönen jungen Frau entwickelt und das war auch ihm nicht entgangen. Sie studierte mittlerweile in Delhi, wohnte in der Nähe von Radha und Sunder und traf sich mehrmals in der Woche mit Vijay. Ob zwischen ihnen mehr war als Freundschaft war nicht auszumachen, doch man konnte nie wissen, was die Zukunft brachte... ˙·•● ENDE ●•·˙ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)