Ta Sho von Turbofreak (Wiedergeboren) ================================================================================ Kapitel 4: 2066?! ----------------- Hi, von mir hier! Ihr kriegt wieder mal ein bisschen was zu lesen. Hoffentlich gefällt's und ihr seid nicht zu verwirrt ^^ Auf Yuma wartete das tägliche Geschäft auf die vier Freunde. Erstaunlich ruhig war es während ihres Urlaubs gewesen, bis auf einige kleinere Übergriffe der Outrider hatte es keine nennenswerten Zwischenfälle gegeben. Manche Teammitglieder hätten sich während ihres Urlaubs allerdings einen dringenden Notfall im Oberkommando gewünscht, zumindest manchmal. Die Freunde hatten ja keine Idee davon gehabt, wie schwierig ein Besuch bei den Eltern werden konnte. Es war jedem eine Lehre. Colt und Saber hatten gelernt, ihre Ohren wirklich auf Durchzug zu stellen, wenn in fremden Familien gestritten wurde, April hatte eingesehen, dass ein Rennfahrer immer einer bleiben würde und der besagte Rennfahrer hatte sich schon nach dem ersten chaotischen Morgen geschworen, nie wieder einen Fuß nach Tokio zu setzen. Da verlor er im Urlaub schon lieber sein Gedächtnis als noch einmal mit seinen Freunden bei seiner Mutter zu Besuch zu sein. Es hatte eine Weile gedauert, bis sich auf Ramrod wieder alles normalisiert hatte. Fireball war noch Tage nach ihrer Rückkehr schlecht drauf gewesen, nicht einmal ausgiebige Besuche auf der Rennstrecke hatten daran etwas ändern können. Die Blondine hatte krampfhaft versucht, Plan in ihr Handeln zu bringen und endlich wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Seit dem Gespräch, das sie mit Fireballs Mutter am ersten Morgen geführt hatte, war nichts mehr, wie es vorher war. April bekam deren Worte einfach nicht aus ihrem Kopf, sie verfolgten sie sogar noch im Schlaf. Das Schlimmste daran waren allerdings nicht die Worte an sich, sondern wie schnell sie sich bewahrheitet hatten. April mied die ersten Tage ihren Piloten, sie musste zuerst damit klar kommen. Natürlich hatte Colt noch in Tokio mitbekommen, dass da irgendwas im Busch war und deswegen schlich er auch um seine Freunde herum, wie ein aufmerksamer Adler um seine potentielle Beute. Im Grunde wartete er nur noch auf eine richtige Gelegenheit den beiden eins auszuwischen und sie aufzuziehen. Saber hielt sich dieser Tage ebenfalls mit Aussagen eher bedeckt. Die Tatsache, dass er aus Teilen seiner Crew nicht schlau wurde, bereitete ihm doch erhebliches Kopfzerbrechen. Hätte er vor diesem Urlaub noch Stein auf Bein geschworen, er wüsste, wie seine Kameraden in bestimmten Situationen reagierten, würde er nun nicht mehr so vorlaut diese Behauptung aufstellen. Es galt die Lage neu einzuschätzen und zu beurteilen. Und das brauchte Zeit und vor allem Ruhe. Nach mehreren kleinen Erkundungs- und Begleitflügen war der Besatzung des Friedenswächters aufgefallen, dass den großen Cowboy einige kleine Wehwehchen plagten. Es waren wirklich nur Kleinigkeiten, doch im Ernstfall konnten daraus große Probleme heranwachsen. Während April die Programme einem Komplettcheck unterzog, schickte sie ihre Jungs durch Ramrod auf Fehlersuche. Jeder von ihnen bekam einen anderen Teil des Schiffes zugeteilt, den er untersuchen und kleinere Reparaturen sofort durchführen sollte. Wie das Leben so spielte, der Rennfahrer war in allen Lebenslagen ein Glücksgreifer, war er auch prompt im Hangar einem Mechanikproblem mit der Rampe auf die Schliche gekommen. Alles war besser, als Systemfehler oder undichte Hydraulikleitungen. Er schraubte und schmierte an der Rampe, bis endlich wieder alles reibungslos funktionierte. So gefiel ihm das, wie er dachte, als er sich die Hände in einem schmutzigen Lappen abwischte und das vollendete Werk begutachtete. Colt hatte es irgendwie geschafft, in der Küche zu versumpfen. Eher zu verstopfen, wie er missbilligend hatte feststellen müssen. Der dämliche Ausguss machte ihn noch schwach. Er hätte die letzten Wochen die Essensreste vielleicht doch lieber in den Müll werfen sollen und nicht durch den Ausguss jagen. Jetzt hatte er den Salat und bekam mit Sicherheit dafür eins auf die Nuss. Wo war der Rohrreiniger, wenn man ihn mal wirklich brauchte? Colt stieß sich den Hut aus der Stirn. War der nicht das letzte Mal im Bad gestanden? Hm, der heißen Spur musste er auf den Grund gehen. Der Schotte nahm sich die Außenhülle vor. Ein paar kleine Lackschäden hie und da, aber ansonsten schien der Friedenswächter fit zu sein. Als er mit dem Jetpack an der Glasfront vorbeiflog, klopfte er und winkte der Blondine mit einem charmanten Lächeln zu. Die freute sich über die kleine Ablenkung. Sie stand aus Colts Satteleinheit auf und ging auf die Glasfront zu. Mit kurzen Handzeichen fragte sie den Stand der Dinge ab, ehe sie sich ihrem piepsenden Computer wieder zuwenden musste. Saber schüttelte schmunzelnd den Kopf, bevor er nach oben wegflog. Mittlerweile schien wieder alles in geregelten Bahnen zu verlaufen. Pausen taten bekanntlich immer gut, und weil das so war, genehmigte sich Fireball eine. Als er durch die offene Küchentür schritt, erkannte er, dass er mit dieser glorreichen Idee nicht der einzige gewesen war. April stand vor der Kaffeemaschine und füllte gerade Wasser nach. Sofort meldete sich eine kleine Stimme in Fireballs Hinterkopf. Die Stimme gehörte zu seinem schlechten Gewissen, das ihn unaufhörlich daran erinnerte, dass er noch was grade biegen musste. Das hatte er die letzten Tage zur Seite geschoben, indem er ganz einfach so wenig wie möglich an Bord gewesen war. Langsam aber sicher sollte er doch ein paar Worte der Entschuldigung raus bringen. „Na, krieg ich auch einen, Süße?“, mit einem unsicheren Lächeln lehnte er sich neben April gegen die Anrichte und zwinkerte sie an. Die Tochter des Kommandanten schloss den Deckel und schaltete die Maschine ein, bevor sie zu Fireball herumfuhr. Sie konnte nicht umhin, schnippisch zu antworten. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich ebenfalls gegen die Anrichte: „Hast du dir denn einen verdient?“ Fireball rutschte ein Stückchen zu April auf und legte ihr den Arm um die Schulter. Schüchtern sah er in ihre blauen Augen und druckste herum: „Hör mal, Süße, ich…“ Doch weiter kam er nicht. April schnitt ihm das Wort ab und rückte empört von ihm ab. Sie klopfte ihm auf die Finger und wies anschließend auf die Tür: „Hey, du kleines Schweinchen!“, Kopfschüttelnd rückte April gleich noch ein Stück von ihm weg. Sie hatte schon mitbekommen, dass er mit ihr etwas besprechen wollte, doch erstens war ihr das nun doch zu schnell gegangen und zweitens stand der Rennfahrer mit Händen voller Schmieröl vor ihr. Sie schubste ihn aus der Küche: „Merk dir, was du sagen wolltest, Turbo. Sieh erst mal zu, dass du deine Flossen sauber kriegst. Bis dahin ist der Kaffee fertig.“ Das war eindeutig gewesen. Mit eingezogenem Kopf und hängen gelassenen Schultern verließ der Japaner die Küche. Er hielt es schwer aus, wenn April ihn keines Blickes würdigte oder ihn abwies. Das ganze Theater zog sich schon seit dem Besuch bei seiner Mutter und bisher hatte Fireball nicht herausgefunden, was er April getan hatte. Nach ihrem Shoppingtheater hatte der Rennfahrer den Faden komplett verloren. Nur eines wusste er mit Sicherheit. Er musste sich bei April entschuldigen. Es war nicht nett von ihm gewesen, sie anzufahren und sie auch noch für die Probleme mit seiner Mutter verantwortlich zu machen. Im Bad traf er auf Colt, der ihm seine schönste Rückenansicht präsentierte. Der Kuhhirte hatte sich hinunter gebeugt und dabei war ihm sein Hemd gefolgt. Es war aus dem Hosenbund gerutscht und gab ordentlich Fleisch frei. Ein bisschen neckisch stieß Fireball seinen Kollegen mit den Hüften vom Waschbecken weg, mit den Händen sollte er möglichst niemanden mit weißen Hemden berühren. Er grinste zu Colt hinab, als er den Wasserhahn aufdrehte und spottete: „Kumpel, tu mir bitte den Gefallen und steck dein Hemd wieder in die Hose. Deine behaarte Heckansicht verdirbt mir sonst noch den Appetit.“ Wie von der Tarantel gestochen fuhr der Cowboy empor und schob sich mit einem knallroten Kopf das Hemd wieder in die Hose. Er hasste es. Die kleine Spottdrossel da neben ihm konnte manchmal einfach nicht die Klappe halten. Das schrie nach Rache. Am besten sofort. Nach einem Blick auf die schmierigen Hände des Rennfahrers kam ihm auch schon eine Idee: „Hat April nicht gesagt, du sollst Ramrod reparieren und nicht an deinem Buggy rummurksen? Mensch, ich weiß ja nicht, wie clever das war, aber wenn du so weiter machst, schmeißt dich unser Superhirn garantiert noch von Bord. Arbeiten und nicht Spielen hat der eindeutige Auftrag gelautet.“ Fireball spritzte ihm Wasser von seinen sauberen Händen ins Gesicht. Klar wollte Colt ihn aufziehen. Und verdammt, er wusste wirklich, wie er es machen musste. Fireball verzog das Gesicht, jetzt durfte er sich bloß nicht verzetteln und ärgern lassen. Schief grinsend angelte er sich ein Handtuch und berichtigte den Kuhhirten: „Ich halte mich an eindeutige Anweisungen, du ganz klar schon mal nicht. Willst du das Bad putzen, oder was suchst du im Reinigungsmittelschrank?“ Colt wischte sich über das beträufelte Gesicht. Er würde dem kleinen Rennfahrer schon noch Manieren beibringen. Er hatte da auch schon eine Idee. Freundlich lächelnd winkte er Fireball mit dem Zeigefinger zu sich: „Komm mal her, Matchbox. Ich will dir mal was erklären.“ Fireball tat wie ihm geheißen. Konnte ja gut sein, dass Colt ihm mal Neuigkeiten erzählte, die ihn auch wirklich interessierten. Endlich war Fireball wieder besser aufgelegt, Wortgefechte mit Colt waren manchmal echt heilsam. Aber eigentlich wollte er schon längst wieder in der Küche sein und sich bei April entschuldigen. Kaum war der Rennfahrer in fassbarer Nähe, nahm Colt seinen Kumpel in den Schwitzkasten und schleifte ihn zur Dusche rüber. Egal, wie viel Gegenwehr Fireball auch aufbrachte, Colt hatte den Überraschungsmoment gnadenlos genutzt und jetzt war es zu spät für den Rennfahrer. Da musste er jetzt durch. Colt griff mit einer Hand nach der Handbrause und schaltete das Wasser ein. Schwungvoll drückte er Fireball in die Dusche und spritzte den kleinen Wirbelwind von oben bis unten nass. Colt amüsierte sich köstlich. Das war die richtige Art von Rache. Es machte auch noch höllischen Spaß. Er drückte Fireballs Kopf unter den Duschstrahl und lachte: „Das ist mal für das nasse Gesicht, du Wüstenrennmaus! Und nebenbei bemerkt: Ich wollte dir schon immer mal den Kopf waschen. So auf die gute sprichwörtliche Weise, auf die gute.“ Fireball hatte sich prompt an der Wassermenge verschluckt und hustete unter dem Strahl, der immer wieder für Nachschub sorgte. Irgendwie musste er Colt zu fassen kriegen. Was fiel dem Witzbold bloß ein? Fireball griff mit beiden Händen nach Colt und zog an ihm. Dabei fluchte er: „Colt! Herrgott, hör auf, du vermaledeites Stinktier.“ „Nana.“, Colt drückte Fireballs Kopf noch weiter unter den Wasserstrahl. Der Cowboy war mittlerweile nicht minder nass, aber das war es wert. Er zog Fireball auf und griff mit der zweiten Hand nach der Seife: „Willst du, dass ich dir den Mund mit Seife auswasche, Matchbox? So viele böse Wörter, das gehört sich nicht.“ „Du kannst von Glück reden, wenn ich dir jemals wieder den Hintern rette, Viehtreiber!“, Fireball strampelte. Er versuchte, sich zu befreien, aber Colt war ihm leider eine Nummer zu groß. Der Cowboy hatte einen sicheren Stand und hielt ihn felsenfest. Egal, welche Verrenkungen er vollführte, aus dem Schwitzkasten kam er nicht frei. Colt lachte indes munter auf und hielt dem Rennfahrer tatsächlich die Seife unter die Nase: „Deine letzte Chance, Turbofreak. Noch so’n Spruch und deine Zunge glänzt nachher. Versprochen.“ Saber lehnte sich an den Türstock, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete kopfschüttelnd, was sich vor seinen Augen abspielte. Er war sich nicht ganz sicher, was das alles zu bedeuten hatte. Sicher war lediglich, dass zumindest Colt einen Heidenspaß daran hatte. Beim Rennfahrer konnte man das schwer sagen, denn der fluchte zwischen seinen Hustenattacken, was sein Wortschatz hergab. Und der war in dem Fall gewaltig. Nun, Saber gestand sich ein, würde er seinen Kopf unter Wasser halten müssen aber nicht wollen, über seine Lippen kämen auch ein paar Schimpfworte. Er sah dem Treiben eine ganze Weile zu, bis er sich vom Türrahmen abstieß und ins Badezimmer, das mittlerweile halb unter Wasser stand, ging. Schmunzelnd wollte er wissen: „Was wird das denn, wenn’s fertig ist?“ Colt packte Fireball im Nacken und drückte ihn absichtlich noch weiter mit dem Kopf ins Wasser, damit die Gegenwehr nicht mehr allzu heftig ausfiel. Breit grinsend erklärte er seinem Boss: „Ich bin gerade dabei unserem kleinen Wüstenfuchs den Mund mit Seife auszuwaschen, der flucht mir zu viel in letzter Zeit.“ „Ach echt?“, Saber hob seine Augenbrauen und versuchte, seine Miene unbeteiligt und hart wie immer wirken zu lassen. War er also nicht der einzige gewesen, dem das aufgefallen war. Der Schotte blickte aufmerksam nach unten auf den knieenden Fireball, der von Colt immer noch am Nacken festgehalten wurde. Vielleicht sollte er dem Spaß ein Ende bereiten, bevor daraus blutiger Ernst wurde? „Verdammt und zugenäht, Colt! Ich bin kein räudiger Straßenkater, den du so im Genick packen kannst. Lass mich endlich los, du elender Sack!“ In dem Moment hatte Saber seine Meinung bezüglich der Hilfe wieder geändert. Er trat näher an die Szene heran und klopfte Colt auf die Schulter: „Ich halte und du spülst, Kumpel.“ Jetzt hatten sich die beiden älteren Männer auch noch gegen ihn verschworen! Fireball fand das unfair, alles andere wäre auch schwachsinnig gewesen. Als Colt den Griff um seinen Nacken lockerte, sah Fireball die Chance zu Flucht. Er zog den Kopf unter dem Wasserstrahl hervor und stemmte sich mit den Armen in der Duschtasse ab um nach hinten wegzukommen. Aber er war nicht flink genug gewesen. Saber packte den Rennfahrer an den Schultern und stemmte sich gegen die Fluchtrichtung. Colt griff währenddessen nach Fireballs Füßen und zog an den Stiefeln. Der Cowboy gluckste: „Hey, ich glaub, deine Stinkeballerinas sollten wir gleich mit waschen, das kann nicht schaden.“ Sofort schaltete sich Saber dazwischen. Er schüttelte energisch den Kopf: „Lass den Quatsch! Willst du tot umfallen? Fireball hat die Schuhe schon den ganzen Tag an, Kumpel.“ „Einleuchtendes Argument.“, Colt zuckte mit den Achseln. Die Schuhe ließ er dem Rennfahrer dann doch lieber an. Irgendwie war Sabers Argument vernünftig wie simpel und bei logischem Denken nachvollziehbar. Mit einem leichten Klaps auf die Fersen ließ Colt den Rennfahrer wieder los. Er nahm lachend die Seife in die Hand und hielt sie Fireball genau vor die Augen: „Sag schön ‚Ah!‘, mein Kleiner.“ Fireball zog den Kopf zurück und prustete: „Hör jetzt auf, du Armleuchter. Mir reicht’s!“ Der Schotte ließ in diesem Moment von Fireball ab und stand auf. Er verlautbarte trocken: „Lass mal, Kumpel. Ich hol das Desinfektionsmittel. Seife hilft da nicht mehr.“ Während Fireball die Augen entsetzt aufriss und inständig hoffte, dass Saber das nicht ernst meinte, begannen die anderen beiden lauthals zu lachen. Der Gesichtsausdruck des Rennfahrers war genial. Der Schotte drehte sich um und wollte ein paar Schritte zum Arzneimittelschrank machen. Es blieb beim Versuch. Auf dem rutschigen Boden rutschte der Highlander aus. Er konnte sich nicht mehr fangen und landete rücklings auf dem Boden. Colt wollte seinen Fall noch bremsen, doch er war zu weit weg gewesen. Jetzt hatte auch Fireball mal was zu lachen. Der Rennfahrer krabbelte endlich aus der Dusche und setzte sich auf. Warum war nie ein Fotoapparat in der Nähe, wenn der Boss mal am Boden lag? „Um Himmels Willen, wie seht ihr denn aus? Seid ihr in einen Platzregen gekommen?“, entsetzt starrte April auf die drei Männer, die gerade in die Küche getreten waren. Alle drei von oben bis unten patschnass. Die Jungs standen noch halb in der Tür. Alle setzten sie ihre unschuldigsten Blicke auf und Colt wollte unverbindlich wissen: „Sag mal, Prinzessin. Wo ist eigentlich unser Mopp hingekommen? Wir bräuchten den mal, sonst müssen wir den kleinen Mopp da hernehmen.“, dabei strubelte er mit einer Hand durch Fireballs nasse Haare. Der zog den Kopf gleich weg und begehrte auf: „Dir geb ich gleich Mopp!“ Saber schmunzelte breit und half ausnahmsweise zu Fireball. Er zwinkerte Colt an: „Lass mal gut sein, Colt. Für heute hat er genug gelitten.“ April stand vor ihren drei Männern und blickte von einem zum anderen. Dabei wurden ihre Augen immer größer und ihre Miene immer fragender. Sie verstand kein Wort. Wozu brauchten sie einen Mopp? Was hatten sie angestellt? Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Aus dem Bild wurde sie einfach nicht schlau. Deshalb fragte sie: „Wozu braucht ihr einen Mopp?“ Fireball wies mit einem unschuldig reumütigen Blick aus der Tür und erklärte: „Die beiden wollten mal wieder das Bad putzen, weißt du?“ Sofort berichtigte Colt seinen kleinen Hombre. Sie hatten schon lange nicht mehr so viel Spaß miteinander gehabt und die gute Laune war ihm nach wie vor nicht vergangen. Heiter klärte er April auf: „Die Sache ist die. Wir fanden, es war an der Zeit unserer Renngurke mal den Kopf zu waschen. Aber dank seiner Gegenwehr steht jetzt unser Badezimmer unter Wasser und wer den Dreck macht, muss ihn auch wegmachen. Deswegen braucht in erster Linie unser Matchbox den Wischmopp.“ Saber biss sich auf die Lippen, als er Aprils Gesichtsausdruck wahrnahm. Die Blondine fiel sprichwörtlich aus allen Wolken. Sie konnte wohl kaum glauben, was sie gerade zu hören bekommen hatte. Als dann auch noch Fireball konterte und sich zur Wehr setzte, fiel April alles zu Boden. Der Rennfahrer lachte nämlich: „Ich hab nicht darum gebeten, dass du mich unter die Dusche stellst, Viehtreiber. Ihr zwei“, er deutete jeweils auf Saber und Colt: „könnt den Dreck jetzt auch alleine aufräumen. Ich bin an der Überschwemmung im Bad nämlich nicht mitschuldig.“ April musste sich an der Anrichte festhalten. Die drei hatten was?! Colt, Saber und Fireball grinsten übers ganze Gesicht und amüsierten sich offensichtlich immer noch über den Blödsinn, den sie gerade fabriziert hatten. April war derart erstaunt, dass Saber bei dem Unsinn auch noch mitgewirkt haben sollte, dass sie nur noch wortlos dorthin zeigen konnte, wo sich Eimer und Mopp befanden. Colt und Saber griffen beide nach den Utensilien und verschwanden kichernd wieder. So lächerlich hatten sie sich lange schon nicht mehr aufgeführt. Aber wenigstens, und das rechneten sich die beiden selbst hoch an, stellten sie freiwillig den Status Quo wieder her. Saber zwinkerte Fireball noch einmal zu: „Das war dir hoffentlich eine Lehre, Fireball.“ „Ja, das nächste Mal geh ich einfach wieder, wenn ich einen von euch beiden im Bad treffe.“, schelmisch lachte der Rennfahrer auf, ehe er sich wieder zur verwunderten und perplexen April umdrehte. In dem Moment verschwand sein Lächeln wieder, denn ein Blick in ihre Augen und sein schlechtes Gewissen vermeldete so laut als möglich, dass Feuer am Dach war. Fireball strich sich mit beiden Händen durch die nassen Haare. Sie blieben scheitellos, aber strähnig an der Kopfhaut kleben. Er senkte leicht sein Haupt und ging auf April zu. Knapp vor ihr blieb er stehen und streckte seine Hände nach vor. Er drehte und wendete sie, ehe er sie von unten herauf ansah: „Sind sie sauber genug?“ Auch, wenn er sich die Hände nicht gewaschen hätte, mit diesem Blick hätte April ihm alles verziehen. Die Blondine fühlte, wie ihre Knie weich wurden, wenn er sie so ansah. Sie wurde schwach, streichfähig wie Butter, die zulange in der Sonne gestanden hatte. April spürte ihr Herz in ihrer Brust, wie es plötzlich schneller schlug. Es war längst schon zu spät für die Blondine, sie hatte sich bereits in den chaotischen, aber liebenswürdigen Rennfahrer verliebt. Mit einem kleinen Lächeln und roten Wangen griff sie nach seinen ausgestreckten Händen und hielt sie fest. Sie blickte direkt in seine braunen Augen: „Perfekt, Fire.“ „Oh, gut.“, nervös lachte Fireball. Jetzt oder nie. Entschuldigen war für den Heißsporn immer eine verdammt schwierige Angelegenheit gewesen und das warmherzige Lächeln von April machte es nicht gerade einfacher. Unsicher umschloss er eine ihrer Hände und nahm allen Mut zusammen: „Süße, du weißt, dass ich manchmal mit dem Kopf durch die Wand muss.“ April spürte seine warmen, aber feuchten Hände ganz deutlich. Es jagte ihr Schauer über den Rücken, ein unbeschreibliches Gefühl breitete sich in ihr aus. Sie mochte seine Berührungen, aber im Moment war es ihr irgendwie unangenehm. Colt und Saber konnten jeden Augenblick wieder durch die Tür geschossen kommen und so albern, wie die beiden an diesem Tag drauf waren, konnte das nur in einer fiesen Kommentarflut enden. Deshalb zog sie ihre Hand wieder zurück, lächelte aber verständnisvoll, ehe sie sich zur Anrichte umdrehte: „Ich weiß, Fire. Und solange dein Sturschädel das mitmacht und die Wand das überlebt, hab ich kein Problem damit.“ Der Rennfahrer war erstaunt, wie humorvoll April das nahm. Aber es machte ihn auch stutzig. Es konnte auch bedeuten, April hatte seine Entschuldigung nicht verstanden. Und das konnte ein durchaus wahrscheinlicher Fall sein. Ganz so klar hatte er sich immerhin nicht ausgedrückt, das war ihm selbst aufgefallen. Deshalb folgte er der Blondine und half ihr, den Tisch für die Kaffeepause zu decken. Während er die vier Gedecke mit den Kaffeelöffeln versah, atmete er noch einmal tief durch. Nein, er hatte definitiv nicht das Gefühl, dass seine Entschuldigung angekommen war. Deshalb startete er einen zweiten, aber eindeutigeren Versuch, den Besuch in Japan ein für alle Mal abzuhaken. Als er wieder neben April stand, nahm er allen Mut zusammen. Es war ihm wichtig, dass sie beide sich wieder aussöhnten, sie war schließlich seine beste Freundin und heimliche Verbündete im Kampf gegen die beiden älteren an Bord. Er betrachtete sie kurz von der Seite. Wie immer hielt ihr roter Haarreifen ihre blonde Mähne aus dem Gesicht fern, ihr Pony rahmte ihr Gesicht auf verspielte Art und Weise ein, versteckten hinter einem unschuldigen Antlitz den knallharten Star Sheriff, der April dennoch war. Auf ihrer niedlichen Stupsnase kräuselten sich immer die Falten, wenn sie sich wieder über Kommentare von Colt aufregte und ihre blauen Augen strahlten Lebensfreude aus. Ihre porzellanfärbige Haut verlieh April etwas sehr Zerbrechliches. Fireball strich ihr eine widerspenstige Strähne hinter die Ohren und murmelte aufrichtig: „Es tut mir leid, wie ich mich in Tokio verhalten habe, Süße. Ich hätte dich nicht an maulen dürfen, das war nicht fair von mir.“ Fireball hielt kurz inne und achtete auf ihre Reaktion. Sie wandte ihr Gesicht zu ihm um und sah ihn fragend an. Seine Hand glitt über ihre Schulter, als er den Kopf senkte und kaum hervorbrachte: „Naja, ich hab nicht damit gerechnet, dass du mir Fragen über Beziehungen und Frauen stellst. Ich dachte immer, du…“ „Hey, ich will Kuchen sehen und keinen Schmachtfetzen!“ Erschrocken fuhren die beiden jüngsten auseinander. Was dem Zwischenrufer nun auch noch laute Lacher entlockte. Colt setzte sich an den Tisch und johlte: „Mensch, bei euch zwei könnte man ja glauben, da läuft was!“ Hinter dem Kuhhirten war auch Saber eingetreten. Er klopfte Colt kopfschüttelnd auf die Schulter. Konnte der Kerl nie seinen Mund halten? Die beiden waren schon einige Momente in der Tür gestanden und hatten gelauscht. Und gerade dann, wenn Fireball mal eine Entschuldigung formulieren könnte, die man auch verstand, konnte Colt seinen Rand nicht mehr halten. Hoffentlich hatte zumindest April nun eingelenkt. Saber setzte sich neben Colt und warf ihm noch einen tadelnden Blick zu. Das einzige Mädchen in der Runde angelte nach der Kaffeekanne und ging damit zum Tisch. Sie knallte sie Colt vor die Nase, dass es nur so schepperte und giftete ihn an: „Der Schmachtfetzen spielt sich erst ab, wenn du deiner Robin gegenüber stehst!“ Colt kniff die Backen zusammen, um nicht wieder laut zu lachen. April war zu niedlich, wenn sie sich ertappt fühlte. Das gefiel dem Kuhhirten. Er tätschelte ihrer Navigatorin auf die Schulter und imitierte den kleinen Rennfahrer mit einem ärmlichen Gesichtsausdruck: „Süße, du weißt doch, wie es mit mir und Beziehungen steht. Du darfst nicht immer so gemein mit mir sein.“ April setzte sich an ihren Platz und kommentierte das nicht mehr weiter. Sie bedachte Colt nur noch mit einem tödlichen Blick. Empört zog sie ihre Nase nach oben und ärgerte sich still über solche Dreistigkeit. Auch der Rennfahrer fand endlich an den Tisch. Er setzte sich, goss Kaffee in seine Tasse und rührte das bräunliche Getränk um. Um die ganze Diskussion in eine Richtung zu bringen, die mit April und ihm nichts zu tun hatte, entschied sich Fireball, auf den Cowboy zu schießen. Er sah von seinem Kaffee auf und deutete mit dem Löffel auf den Scharfschützen: „Dass bei dir die ein oder andere Schraube locker ist, war mir von Anfang an klar. Aber nur, weil du beim Anblick deines Rauschgoldengels sogar deinen Namen vergisst, entschuldigt das deine Halluzinationen noch lange nicht.“ Saber grinste in sich hinein und senkte den Kopf, damit man das Schmunzeln auf seinen Lippen nicht sehen konnte. Der Konter von Fireball hatte gesessen. Möglichst ernst griff Saber nach seiner Kaffeetasse und hob sie zu seinen Lippen an. Das lächerliche Geplänkel konnte sich gut und gerne noch eine halbe Stunde hinziehen, aber zumindest verriet es, dass alles wieder im grünen Bereich war. Der Rennfahrer hatte seinen Miesepeter abgelegt, April war nicht mehr sauer auf ihn und Colt? Naja, der stichelte für drei, also war er gesund und munter. Der Notruf erreichte sie früh am Morgen. Doch das machte ihnen nicht sonderlich viel aus, wach waren sie schon gewesen. Nun befanden sie sich auf einem Routineflug. Die Star Sheriffs waren zur Hilfe gerufen worden, weil die Outrider um Jesse Blue wieder einmal Ärger machten und arglose Siedler angriffen. Somit waren auch die ruhigen Arbeitstage nach dem Urlaub wieder dahin. Colt zumindest begrüßte dies, die Konvoys zu begleiten, war stinklangweilig gewesen. Die vier flogen auf die Outriderschiffe zu, mit ordentlich viel guter Laune, wie immer. Saber und seine Besatzung waren es gewöhnt, in eine Schlacht zu ziehen und ihre Methode hatte sich bisher immer bewehrt. Sie hatten keinen Grund dazu, sich Sorgen zu machen. Bisher waren sie noch immer siegreich gewesen. Während Colt unentwegt auf die Schiffe schoss, wich Fireball mit geschickten Flugmanövern den Angriffen der Outrider aus. Saber heckte noch eine Taktik aus. Doch noch bevor er soweit war, waren sie von Outriderschiffen umzingelt worden. Direkt vor ihnen baute sich ein Kreuzer auf. Colt fuhr alle Mavericksysteme hoch, die er zur Verfügung hatte und schoss auf das Flaggschiff der Outrider. Egal, was sie hier gewollt hatten, sie sollten sich wieder in ihre Dimension verziehen, sie hatten hier nichts zu suchen. Colt schoss aus vollen Rohren, eine gewaltige Explosion nahm ihnen die Sicht. Reflexartig umklammerte der Rennfahrer die Schubregler fester, er musste Ramrod gerade halten, auch wenn es Schwielen an den Händen zu bedeuten hatte. Die Druckwelle erreichte sie auch so mit voller Wucht und schleuderte sie zurück. April stöhnte kurz auf, die Druckwelle der Explosion und das gleißende Licht hatten sie erschrocken. Als sich die Blondine wieder gefangen hatte, begann sie sofort damit, ihre und die Systeme ihrer Kollegen auf etwaige Schäden zu untersuchen. Aber alles, was sie finden konnte, waren blinkende Konsolen. Da war wohl ordentlich was kaputt gegangen. Vielleicht sah es bei Saber besser aus. Sie wandte sich an Saber: „Meine Systeme spielen verrückt. Deine auch?“ Colt nahm unterdessen den Finger vom Abzug. Die Gefahr war gebannt, also brauchte er nicht mehr aufmerksam bleiben, das hatte er nach einem kurzen Blick nach draußen erkannt. Es war kein einziges Schiff der Outrider mehr auszumachen, die hatten alle die Flucht ergriffen. Ruhig fuhr er seine Systeme wieder auf ein Minimum herunter. Saber nickte lediglich, auch bei ihm blinkte einiges an den Konsolen auf. Es war wohl besser, zu landen und den großen Cowboy dann zu warten, bevor sie im All großartige Spekulationen anstellten. Der Recke befahl: „Lasst uns auf dem Planeten landen.“ Allen war irgendwie schwindelig und sie waren benommen. Es war etwas Seltsames passiert, soviel stand allemal fest. Weshalb spielten die Gerätschaften verrückt und wo waren die anderen Schiffe abgeblieben? Der Schotte konnte kaum glauben, dass sie mit einem gut gezielten Schuss alle zehn Schiffe in die Phantomzone zurückbefördert hatten. Das war viel zu unwahrscheinlich. Jesse Blue musste etwas ausgeheckt haben. Fireball landete Ramrod auf dem Planeten, der am nächsten war. Yuma. Zumindest war es laut Computern der Planet Yuma, auf den sie zuhielten. Saber schüttelte ernst den Kopf: „Das ist nie und nimmer Yuma da unten.“, er entschied sich deswegen für die sichere Variante: „Fireball, lande Ramrod auf dieser großen Lichtung außerhalb der Stadt. Mir ist das nicht geheuer.“ „Aye, Capitano!“, mit einem müden Lächeln ließ Fireball den großen Vogel landen. Widerworte wären hier weder angebracht noch sonderlich erwünscht gewesen. Außerdem brummte Fireball der Kopf. So spaßig war die Explosion auch für die Star Sheriffs nicht gewesen. Als sie Ramrod sicher auf der Lichtung geparkt hatten, bestätigte April abermals Sabers Vermutung: „Es wird nicht besser, Saber. Der Computer vermeldet immer noch, dass wir uns auf Yuma befinden. Laut Sternenkarte sind wir zuhause. Aber das sieht nicht aus, wie zuhause.“ Diese Skepsis teilten die männlichen Mitglieder mit der Blondine. Sie flogen nun schon einige Jahre immer wieder den Planeten Yuma mit Ramrod an, kannten die markanten Punkte der Hauptstadt und waren an den Anblick vom All aus gewöhnt. Doch das hier konnte nicht Yuma sein, es sah nicht wie nach ihrer Heimat aus. Saber gab die Anweisung, sich vorerst in der angrenzenden Stadt umzusehen und sich zuerst etwas zu essen zu holen, bevor sie sich um die Computerproblematik kümmerten. Im Augenblick schien keine Gefahr von Outridern zu drohen, deshalb konnten sie sich vorher um das leibliche Wohl kümmern. Die vier kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus, als sie durch die Stadt schlenderten. Alles sah irgendwie fremd aus, total fremd, wenn sie ehrlich waren. April brachte es auf den Punkt, als sie einer Passantin nachsah, die für Aprils Geschmack aus dem letzten Jahrhundert war: „Die haben hier wohl keinen Modeberater. Alle laufen sie rum, wie vor zwanzig Jahren. Das hat meine Mum schon getragen.“ Colt stierte dem weiblichen Geschlecht auch hinterher, aber nicht, weil sie so unmodisch gekleidet waren, sondern weil sie hübsch waren. Solange Robin nicht dabei war, war auch schauen noch erlaubt. Einer jungen Dame pfiff er anerkennend hinterher. Sie hatte ein Figürchen, ihre langen Beine mündeten in einem Minirock, der kürzer nicht sein dürfte und sie trug eine Bluse mit weiten Ärmeln: „Da werde ich doch gern zum Hippie, werd’ ich da doch!“ Den Rennfahrer juckte Colts Gehabe überhaupt nicht. Es war nicht neu. Egal, welchen Planeten sie besuchten, egal ob Heimat oder fremde Stadt, Colt hatte immer ein offenes Auge für jeden Rockzipfel. Robin würde ihm irgendwann mal die Augen auskratzen, aber wenn die blonde Lehrerin mit ihnen unterwegs war, verkniff er sich alles. Fireball schmunzelte. Der Feigling da. Er würde auch neben seiner Freundin anderen Frauen hinterher sehen, vorausgesetzt er hätte dann eine. Fireball verkniff sich jeglichen Kommentar zu Colts Verhalten und nickte stattdessen April zu. Ihr Argument konnte er sehr gut verstehen. Alles hier wirkte, als wäre es vor zwanzig Jahren gewesen. Die Freunde waren so damit beschäftigt, dass ihnen nicht aufgefallen war, wie sie ohne Saber weiterspaziert waren. Der Schotte war an einem altmodischen Zeitungsstand stehen geblieben und hatte sich eine Tageszeitung gekauft. Nun schloss er grummelnd zu ihnen auf: „Wenn ich euch das nächste Mal bitte, zu warten, dann tut das bitte auch.“ Saber schüttelte den Kopf und schlug die Zeitung im Gehen auf. Er überflog die erste Seite und runzelte die Stirn. Das war seltsam. Er faltete sie wieder zusammen und kontrollierte das Datum, das auf jeder Seite am oberen rechten Rand geschrieben stand. Ungläubig entfuhr es ihm: „Das kann nicht sein!“ Colt lachte und entriss ihm die Zeitung, ohne auf Saber geachtet zu haben. Ihm war an der Zeitung was anderes aufgefallen: „Cool! Ein Marshall Bravestarr Comic. Die hab ich als Kind geliebt!“ Colt war aus der folgenden Unterhaltung definitiv draußen. Der Kuhhirte war in das Lesen des Comics vertieft und tauchte offensichtlich in eine andere Welt ab. Da hatte das Kind-Ich einmal mehr die Oberhand über den Cowboy gewonnen. Er bekam von allen dreien noch einen irritierten Blick geschenkt, ehe April zu ihrem Vorgesetzten aufsah: „Was ist los?“ Der Schotte ließ sich neben Colt auf den Randstein nieder. Er deutete auf die Zeitung und flüsterte: „Leute. Wir sind in Yuma.“ Fassungslos blinzelte April nun nach unten. Sie würde den Teufel tun und sich auf die schmutzige Straße setzen. Allerdings verstand sie den Säbelschwinger nicht. Wie konnte er aufgrund der Zeitung so sicher sein, dass sie hier in Yuma waren. Es sah nicht nach ihrer aller Heimat aus. Auch Fireball verzog fragend das Gesicht. Zu seltsam war das alles. Ein bisschen verunsichert sah er zwischen seinen Freund hin und her. Ihr momentanes Verhalten hätte nicht unterschiedlicher sein können. Während Colt quietsch vergnügt die Zeitung las und ein Grinsen zur Schau trug, wie man es sonst nur zu sehen bekam, wenn er einer hübschen Frau hinterher gaffte, guckte Saber aus der Wäsche, als hätte er gerade einen Geist gesehen und April schien gar nichts mehr zu verstehen. Er reihte sich da bei April ein, denn auch der junge Spund musste irgendwo zwischendurch den Anschluss verloren haben. Woher konnte Saber aufgrund des Fetzen Papiers fest und steif darauf schließen, dass sie hier doch in Yuma waren? Ihre Bordcomputer hatten alle was anderes vermeldet. Saber warf Colt einen kurzen Blick zu. Der Kuhhirte war in jeder Situation ein kleiner Kindskopf, das war unglaublich. Bemerkenswert und auch beneidenswert, wie Saber fand. Ihm selbst fehlte diese Gabe gänzlich. Er dachte immerzu an Konsequenzen, dachte darüber nach, was alles passieren konnte. Noch einmal linste er auf das Datum der Zeitung, das auch auf dem rechten oberen Rand des Comics geschrieben stand. Zweifels ohne eine merkwürdige und besorgniserregende Situation. Er konnte es sich nicht erklären, aber sie waren tatsächlich hier. Saber schluckte hart, ehe er zu den beiden stehen gebliebenen aufsah. April blinzelte fragend und Fireball runzelte skeptisch die Stirn. Fireball. Trocken erklärte der Anführer vor allem seinem Piloten: „Ich gratuliere, Fireball. Keine Ahnung, wie wir das geschafft haben, aber definitiv sind wir in einem Land vor deiner Zeit gelandet.“ „Bitte was?“, April entgleisten die Gesichtszüge und sie trat einen Schritt zurück. Beinahe hätte sie das Gleichgewicht verloren, so überrascht hatte sie diese Aussage. Keine Ahnung, was wirklich kaputt war, aber das von Saber konnte jetzt nur ein Scherz gewesen sein. Ein wenig unsicher lachte sie deshalb: „Das war ein Gag, oder?“ Kopfschüttelnd stand Saber auf und entriss dabei Colt die Zeitung. Er drückte den beiden das gelbliche Papier in die Hände und forderte sie ruhig auf, sich die Zeitung genauer anzusehen. Leise erklärte Saber dann: „Kein Scherz, Freunde. Wir sind wirklich in Yuma. Aber wir sind im April 2066 gelandet. Es wurde gerade ein neuer Sicherheitsrat für das Vereinte Neue Grenzland gewählt.“ Seit der Schotte die Zeitung gekauft hatte, bemühte er sich darum, mit seiner Bande nicht aufzufallen. Aber das war bei den drei Chaoten schwer möglich. Erstens waren sie viel zu auffällig angezogen und zweitens auch nicht gerade unauffällig leise. Einige Passanten hatten sie schon skeptisch beäugt und gemustert. Saber las aus den Reaktionen von Fireball und April, dass es Zeit war, sich wieder zu Ramrod aufzumachen. Doch da machte ihm der Cowboy einen Strich durch die Rechnung. Der war gleich aufgesprungen, nachdem Saber ihm die Zeitung wieder weggenommen hatte. Er stemmte die Arme in die Hüfte und sah den blonden Schotten stinksauer in die Augen, dabei stellte er sich auf die Zehenspitzen, um annähernd die selbe Größe vorzutäuschen: „Hey! Anstandsbolzen, ich war noch nicht fertig mit lesen!“ Saber ignorierte den Ausbruch seines Scharfschützen rigoros. Er ging einfach darüber hinweg und packte Colt an der Schulter. Mit ihm drehte er sich um, sie mussten wirklich schnell zu Ramrod zurück, wenn sie nicht auffallen wollten. Seinen anderen beiden Teammitglieder versicherte er: „Wir klären das zuhause.“ Keifend und fluchend folgte Colt. Aber er ließ es sich dabei nicht nehmen, sich lautstark darüber zu beschweren, dass er nicht zu Ende lesen hatten dürfen. Fireball und April folgten dafür schweigsam. Der Rennfahrer hatte einen kurzen Blick zu April geworfen. Sie befanden sich im Jahr 2066? Das Jahr, in dem die Outrider den Krieg angefangen hatten. Fireball kniff die Augen zusammen und schüttelte die nächsten Gedanken ab, so gut es ging. Die Blondine erwiderte den seltsamen Blick des Rennfahrers. Sie versuchte im Augenblick durchzurechnen, was das alles zu bedeuten hatte. Wie konnte man durch die Zeit reisen? Keinem Wissenschaftler war das bisher gelungen, warum denn plötzlich ihnen? Noch dazu, wo sie nichts anders gemacht hatten, als bei jeder anderen Schlacht auch. Sie hatten auf die Outrider geschossen. Mehr nicht. Oder war das des Rätsels Lösung? Hatten die Outrider einen Weg gefunden, durch die Zeit zu reisen? Die Fragen überschlugen sich und leichte Panik stieg in April auf. Wenn es wirklich die Outrider gewesen waren, dann saßen sie jetzt mächtig tief in der Tinte. Denn von den zehn Kreuzern war keine Spur mehr gewesen. Saßen sie nun für immer hier fest? Colt hatte sich bis Ramrod in einen Strudel geredet und immer mehr aufgeregt. An den Comic hatte er sich nicht mehr erinnern können, die Folge war ihm neu gewesen. Von dem Zeitproblem hatte er nichts mitbekommen. Er hatte einfach nicht zugehört, so wie schon des Öfteren. Die vier versammelten sich um Sabers Satteleinheit, der Schotte setzte sich hinein und startete abermals seine Systeme. Er versuchte eine Verbindung mit dem Internet oder dem Hypercom herzustellen. Zur Absicherung verschlüsselte er die Verbindung, damit ihnen niemand auf die Schliche kam. Auch auf der Newsseite eines Zeitungsherstellers fand er das selbe Datum, die selbe Jahreszahl. Es war Fakt. Saber trennte die Verbindung wieder. Er öffnete den Archivordner und begann darin zu suchen und zu blättern. Minuten vergingen, in denen niemand von ihnen sprach. Fireball brach schließlich das Schweigen, als er bemerkte, dass Sabers Recherche nichts Neues gebracht hatte: „Dann war’s wirklich kein Verdrucker auf der Zeitung. Oh, Mann.“ „Einen solchen Fehler könnte sich eine Zeitung wie die Yuma Daily Post auch nicht leisten.“, bestätigte Saber, der mit einem Ohr seinen Gefährten zuhörte. Es war im Augenblick wichtig, sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. April grübelte auch. Aber nicht über die Geschichtsdaten, sondern über den Umstand, wie sie hier gelandet waren. Unbewusst rückte sie ein Stück zu Fireball auf, seine Nähe strahlte immer Sicherheit aus und seit die Tokiogeschichte erfolgreich unter den Teppich des Schweigens gekehrt worden war, verstanden sie sich endlich wieder so wie davor. Sie murmelte: „Wie kann das nur möglich sein?“ Entzückt rief Saber aus: „Ah, ich hab’s!“ Drei äußerst fragende Gesichter blickten auf den Schotten hinab. Als Saber die Blicke auf sich ruhen spürte, erklärte er ungerührt: „Wir sind durch eine Anomalie hier gelandet.“ „Aha.“, frustriert ließ sich Fireball in seine Satteleinheit nieder. Mit der Info konnte er gar nichts anfangen. Er wollte diesbezüglich nur eines wissen: „Sag, dass du weißt, wie wir von hier wieder wegkommen.“ „Nein.“, fiel die ernüchternde Antwort von Saber aus. Da hatte er den Hoffnungsschimmer seiner Freunde rasend schnell wieder zerschlagen. Ob sie ihn dafür lynchen würden? Der Kuhhirte und Fireball sahen sich enttäuscht an, während sich April zu Saber hinunter beugte und den Bildschirm mit seinen Inhalten in Augenschein nahm. Sie verzog das Gesicht: „Das dürfte eine Weile dauern, bis wir da was haben.“ Saber nickte leicht: „Und ich befürchte, wir brauchen die Outrider, um wieder in unsere Zeit zu kommen. Also heißt es vorerst, dass wir uns an die Lage hier gewöhnen sollten und versuchen müssen, uns hier einzugewöhnen ohne aufzufallen.“ Der Schotte dachte wie immer zwei Schritte voraus. Sie saßen ohne Zweifel hier fest, bis sie eine Antwort auf die Frage gefunden hatten, welche Anomalie das genau war und was die Outrider ausgeheckt hatten. Der Highlander hoffte inständig, dass die zehn Kreuzer ebenfalls in dieser Zeit gelandet waren und sie lediglich in die Phantomzone katapultiert worden waren. Nachdem er von seinen Freunden wieder nur fragende, verzweifelte und skeptische Blicke zugeworfen bekam, erörterte er: „Okay. Wir werden eine Weile brauchen, bis wir uns von hier wieder verabschieden können. Solange sollten wir uns hier einbürgern. Ohne Job dürfte das allerdings schwer gehen, denn ich glaub nicht, dass unsere Kreditkarten in der Zeit Geld werfen.“ April strich sich ihren Pony aus der Stirn: „Und was schwebt dir da vor, edler Säbelschwinger?“ Die Blondine war sich gerade absolut nicht sicher, ob sie Saber folgen konnte. Sie sollten sich einen Job und eine Tarnung suchen. Aber wie? Schmunzelnd stand er aus seiner Satteleinheit auf und fragte April: „Wie war das eigentlich bei dir, als du mit der Akademie fertig warst, April?“ „Ich war erst mal ein ganzes Monat zum Nichtstun verurteilt. General Whithawk hat meine Überstellungsunterlagen nicht nach Yuma geschickt.“, sie erinnerte sich noch gut an den Reinfall. Aber da war sie kein Einzelfall gewesen. Ihrem Jahrgang war es ähnlich gegangen. Manche hatten sogar drei Monate darauf warten müssen. Und das bestätigte nun auch Saber: „Dito. Wir können uns also ohne schlechtes Gewissen im Oberkommando melden. Sie werden uns wieder nachhause schicken müssen, aber wir wären da gemeldet und sitzen somit direkt an der Quelle, falls sich die Outrider entschließen sollten, aufzutauchen.“ Saber schien damit nicht allzu viele Probleme zu haben. Irgendwie hatte Fireball das Gefühl, der Schotte hätte die Hälfte der Ausführungen verschluckt. Deswegen stützte er die Ellbogen auf seine Oberschenkel und lehnte sich nach vor: „Hab ich grad irgendwas verpasst? Ich glaub, ich bin nach ‚Dito‘ ausgestiegen, kann das sein?“ Colt gackerte, als er Fireball leicht gegen die Schulter boxte: „Schnell fahren und schnell denken sind zwei Paar Schuhe, wie man merkt.“ Saber rollte kurz die Augen, das zu kommentieren sparte er sich. Stattdessen erklärte er Fireball noch einmal ein bisschen ausführlicher: „Wir melden uns beim zuständigen Commander, dass wir frisch von der Akademie sind und zum Dienst antreten möchten. So können wir uns dort frei bewegen um an die nötigen Daten ranzukommen. Aber wir müssen nicht ständig dort sein. Wir können bei Ramrod bleiben und versuchen, einen Ausweg aus dieser misslichen Lage zu finden.“ Nicht wirklich überzeugt davon nickte Fireball. Saber war der Boss. Wenn er es sagte, wurde es so gemacht und fertig. April nickte ebenfalls und erklärte sich somit mit Sabers Plan einverstanden. Und Colt blieb gar nichts anderes mehr übrig, als es hinzunehmen. Die Freunde hatten sich in Yuma einquartiert und zugesehen, dass sie sich so unauffällig wie möglich verhielten. Das war wie immer leichter gesagt als getan. Natürlich hatte es die vier ins Oberkommando verschlagen, sie hatten einfach wissen wollen, wie es dort vor ihrer Zeit ausgesehen hatte. Außerdem mussten sie Aprils Vater und die anderen vor den möglichen Übergriffen warnen. Aber wie machte man das am Geschicktesten? Sie konnten schlecht hingehen und sagen, wer sie waren. Deshalb gaben sich die Freunde als neue Soldaten aus, die gerade erst die Ausbildung in der Akademie abgeschlossen hatten. In ihrer Zeit waren die frisch ausgebildeten Kadetten regelmäßig vor ihren Einberufungsbefehlen in der Zentrale in Yuma und April wie auch Saber wussten, dass das auch zwanzig Jahre zuvor schon so gewesen war. General Whitehawk brauchte seit jeher ewig mit dem Papierkram. Diesen Umstand machten sie sich zunutze und statteten deshalb dem Kavallerie Oberkommando in Yuma einen kleinen Besuch ab. Die Freunde trennten sich am Eingang und erkundeten jeder für sich das Gelände. Saber und April gingen zum kommandierenden Offizier und meldeten sich förmlich zum Dienst. Colt hatte es in die Kantine verschlagen. Vielleicht war das Essen vor zwanzig Jahren ja noch besser als es in ihrer Zeit der Fall war. Fireball wanderte auf dem Freigelände umher, bis der Hangar seine Aufmerksamkeit erweckte. Wie es der Teufel wollte, stand Fireball wenig später im Hangar und betrachtete die für ihn museumsreifen, für das Oberkommando dieser Zeit jedoch hochmodernen, Gleiter, die alle geparkt im Hangar standen. Neugierig schritt er durch die große Halle und sah sich die Jets genau an. Sie waren neu, kaum gebraucht, das sah man sofort an der Außenhülle. Auch Ramrod hatte einmal so geglänzt. Und zwar bei seinem ersten Ausflug. Fireball schmunzelte bei dem Gedanken daran und notierte sich im Geiste, dem großen Cowboy im nächsten Urlaub eine Lackverjüngungskur zu gönnen. Er hatte sie bitter nötig. „Was machen Sie hier?“, die scharfe, wie korrekte Stimme schnitt durch die Stille der Halle und hallte dort unzählige Male wider. Fireball fuhr erschrocken zusammen. Als er eingetreten war, hatte er niemanden in der Fliegergarage gesehen und nun wurde er von der Lautstärke der Stimme so überrascht, dass ihm beinahe das Herz stehen geblieben wäre. Im Normalfall hätte er losgepoltert und den Störenfried gefragt, ob er sich nicht leiser bemerkbar machen könnte, aber hier war er der Gast. Sein Kopf drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Gut möglich, dass er einem Captain in die Arme gelaufen war, hoffentlich gab das keinen Ärger. Tatsächlich sah sich der junge Pilot einem Captain gegenüber. Fireball gefror das Blut in den Adern. Er schluckte und trat unweigerlich noch einen Schritt vor dem Mann zurück, der ihm in einer Uniform gegenüber stand. Er stammelte durcheinander: „Ich… äh seh mich um.“ Der Captain blickte abschätzend auf den jungen Mann hinab. Er war nicht groß, verdammt jung und Anstand war ihm auch ein Fremdwort. Genervt schüttelte er den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Brachte die Akademie nichts Anständiges mehr hervor? Der Captain deutete abwertend auf sein Gegenüber: „Was ist mit Salutieren, junger Mann? Bringen sie euch Kadetten in der Ausbildung nichts mehr bei?“ Hastig holte Fireball nach, was er vor Schrecken vergessen hatte und was er ansonsten noch nie im Oberkommando getan hatte. Er salutierte. Seine Bewegung war unsauber und drückte die Unsicherheit aus, die dem Rennfahrer gerade die Kehle abschnürte. Weshalb hatte er das nur vergessen? Er entschuldigte sich flapsig: „Nein. Ich meine ja, Sir.“ „Schon besser.“, ganz überzeugt war der Captain jedoch nicht von dem jungen Spund vor ihm. Er wusste nicht, wo er dieses asiatische Antlitz einordnen sollte. Es kam ihm vertraut vor, allerdings konnte er mit Sicherheit behaupten, den laufenden Meter noch nie gesehen zu haben, er erinnerte sich an alle Gesichter. Wie alt mochte sein Gegenüber wohl sein? Brachte er es überhaupt auf das Mindestalter für den Dienst an der Waffe? Nein, er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieses halbe Kind für das Oberkommando arbeitete. Noch einmal musterte er ihn von oben bis unten: „Noch ein bisschen jung fürs Oberkommando. Wie bist du hier überhaupt reingekommen, wenn man fragen darf?“ Die Skepsis stand dem Captain ins Gesicht geschrieben. Und Fireball konnte es nachvollziehen. Wie argwöhnisch er sich manchmal verhielt, wenn jemand Fremder um Ramrod herumschlich. Ja, Skepsis musste in diesem Beruf angeboren sein. Wie viele Male hatte sich Fireball seinen Vater vorgestellt, hatte ihn kennen lernen wollen? Er war seiner Mutter bis zu einem gewissen Alter ständig damit in den Ohren gelegen. Alle Kinder hatten einen Vater, weshalb er nicht? Fireball war für seine Mutter immer nur das kleine Abbild ihres Mannes gewesen. Ungläubig blinzelte er zu dem Mann in Uniform hinüber, der sein Vater war. Er stand seinem Dad gegenüber und durfte doch nichts sagen! Völlig durch den Wind deutete Fireball ungefähr in die Richtung, wo es aufs Rollfeld hinaus ging und gab wahrheitsgemäß Auskunft: „Durchs Tor.“ Das Verhalten des jungen Mannes stellte Captain Hikari nicht zufrieden. Diese patzige Antwort gefiel ihm nicht sonderlich. Und dennoch. Etwas hatte der Japaner an sich, was das Interesse des Captains immer mehr weckte. Auch er deutete nach draußen auf das Rollfeld und stellte überzeugt klar: „Klar. Reingeflogen wirst du ja kaum sein.“, nie im Leben konnte der Knirps da vor ihm einen Jet fliegen. Hätten sie also geklärt, wie Fireball in den Hangar gekommen war, aber das Wieso interessierte den Captain ebenso: „Und was suchst du hier?“ Fireball schwitzte mittlerweile Blut und Wasser. Er hatte Sabers Worte im Hinterkopf, die da ganz klar den Befehl unterstrichen, nichts in der Vergangenheit zu ändern. De facto hieß das auch, dass er nicht die Wahrheit sagen konnte. Fireball ließ seinen Blick kurz durch die Halle schweifen, mit dem Captain waren auch etliche Piloten hier eingetrudelt, und stotterte dann: „Naja, ich… hab was gesucht.“ „Was du nicht sagst.“, der Captain hasste flapsige Antworten. Er konnte sie von seinen Piloten nicht ausstehen, von Freunden im Prinzip ebenso wenig und überhaupt nicht konnte er es leiden, wenn ihm jemand Fremder solche nichts sagenden Worte entgegen spuckte. Er hatte den jungen Mann mittlerweile drei Mal gefragt, was er im Hangar machte, bisher hatte er keine aufschlussreiche Antwort darauf erhalten und das machte den Captain noch wütender. Er packte den Eindringling an der Schulter und schob ihn in eine ruhige Ecke des Hangars. Es war nicht Shinjis Art jemanden vor versammelter Mannschaft zusammenzustauchen. Drohend zischte er Fireball zwischen zwei Jets schließlich an: „Ich warte immer noch auf eine akkurate Antwort. Deine letzte Chance, bevor ich dich zum Rapport schicke.“ Warum konnte ihn nicht einmal die Erde verschlucken, wenn er es bitter nötig hatte? Fireball traute sich kaum, seinem Vater ins Gesicht zu schauen. Alles kam ihm unwirklich und – wenn er ganz ehrlich war – unglaublich vor. Allerdings war die Tatsache, in der Vergangenheit festzusitzen, an sich schon schräg genug, jetzt auch noch vor seinem Vater zu stehen, der ihn mit Sicherheit zur Schnecke machen würde, wenn er nicht bald einen vernünftigen Satz bilden konnte, fiel da auch nicht mehr groß ins Gewicht. Aber es war das, was sich Fireball als Kind immer gewünscht hatte. Er hatte seinen Vater kennen lernen wollen, nichts anderes als das. Mit zitternden Knien stand er hier, vor Captain Shinji Hikari. Fireball saß ein so dicker Kloß im Hals, dass er kaum im Stande war, eine Antwort zu finden. Herrje, er war doch so mies im Lügen, wie sollte er seinem Vater da bloß in die Augen sehen und ihn anschwindeln? Es half nichts. Die Wahrheit war sowieso nicht drin, deshalb kniff der kleine Japaner die Augen zusammen und flunkerte: „Die Spinde… Ich bin neu hier und naja… so wie’s aussieht, bin ich hier wohl falsch.“ Captain Hikari stemmte die Arme in die Hüften und blickte skeptisch auf Fireball hinab: „Soso, deinen Spind also.“, ganz klar war das gelogen, das sah man dem jungen Hüpfer schon an der Nasenspitze an, aber vorerst ließ er es so stehen. Mal sehen, wer das Pech hatte, diesen Spund in sein Team bekommen zu haben. Shinji öffnete scheinbar freundlich die Arme und holte Informationen ein: „Nenn mir deinen Namen, deinen Dienstgrad und die Einheit, in der du stationiert bist und dann kann ich dir sagen, wie falsch du hier wirklich bist, Söhnchen.“ Spätestens jetzt wäre Fireball am liebsten tot umgefallen. Da war der Vater ja wie der Sohn! Colt hätte sich dabei sicherlich köstlich amüsiert. Der Captain traf unabsichtlich offenbar genauso zielsicher ins Schwarze, wie es Fireball für gewöhnlich tat. Ahnungslos sprach auch der junge Pilot Vermutungen aus, die sich bewahrheiteten. Wieder stand Fireball mit dem Rücken zur Wand, ohne Fluchtmöglichkeit. Wieso war er nur in den Hangar gegangen? Wäre er mit Colt mit, dann hätte er jetzt zumindest eine warme Mahlzeit und nicht einen heiß glühenden Kopf. Fireball hatte nicht damit gerechnet, seinen Vater zu treffen, trotzdem war er instinktiv im Hangar gelandet. Unbehaglich schluckte Ramrods Pilot und presste eine Antwort hervor: „Shin…“, er riss die Augen auf und riss das Ruder noch mal herum: „ichi Hi… Hikaro. Gefreiter. Ich bin bei der…“ Jetzt hatte das mit dem Namen doch irgendwie hingehauen und nun scheiterte es an der Einheit. Zu allem Unglück kannte der Rennfahrer nämlich nur eine Einheit von damals. Die, in der sein Vater geflogen war: „Flugstaffel der Air Strike Base 1.“ Ein Schmunzeln huschte über Captain Hikaris Lippen, als er verstehend nickte: „Ein Landsmann also.“, es kam selten bis gar nicht vor, dass sich ein waschechter Japaner nach Yuma verirrte. Das freundliche Schmunzeln hielt allerdings nur für die wenigen Worte an. Sofort verschwand es wieder und die argwöhnischen Blicke suchten Fireball nach Fehlern ab. Der Captain hatte keine Idee, wie so ein schmächtiger, aber ungehobelter Junge in die beste Einheit des Oberkommandos gerutscht war. Da musste General Whitehawk in den Akten irgendwas verdreht haben, anders konnte sich Shinji diese Gegebenheit nicht erklären. Ungläubig schüttelte er den Kopf. Im Moment konnte er an der Situation nicht viel ändern und musste es als gegeben hinnehmen. Deshalb drehte sich Captain Hikari leicht zum Eingang hin und deutete in eine Richtung: „Wie sie dich in die Kampfjeteinheit gelassen haben, ist mir zwar ein Rätsel, aber so falsch wie angenommen, bist du hier nicht. Die Spinde sind draußen gleich links.“ Mahnend blickte er Fireball wieder an: „Eins kannst du dir gleich hinter die Löffel schreiben, wenn du hier länger überleben willst. Hier weht ein anderer Wind, benimm dich angemessen, sonst dauert’s keine zehn Minuten, bis ich dich zum ersten Rapport schicke.“ Oh, der erste Eindruck war wohl ordentlich negativ behaftet, wie Fireball feststellte. Sein Vater konnte ihn nicht leiden. Sein erstes Zusammentreffen hatte sich der Rennfahrer anders vorgestellt. Wie er nun einmal mehr gelernt hatte, war das Leben kein Wunschkonzert. Fireball nickte und wandte sich zum Gehen. Der Anschiss hatte ihm fürs erste gereicht. Allerdings, und das war in der Vergangenheit wie in der Zukunft das selbe, sein loses Mundwerk konnte er nur schlecht im Zaum halten. Deswegen bekam der Captain noch zu hören: „Ja. Jeder wie er’s verdient, Sir.“ „Hikaro!“, die Stimme von Captain Hikari grollte durch den Hangar. Er war von dem aufmüpfigen Jungen empört. Noch einmal verwarnte er ihn: „Noch so’n Spruch und du kassierst ihn sofort.“ Instinktiv hatte Fireball bei dem Anpfiff die Schultern nach oben gezogen. Das laute Organ war sagenhaft. Fireball wunderte sich, wie seine Mutter so an Captain Hikari hatte hängen können, andererseits wurde ihm nun endlich klar, woher er das hitzköpfige hatte. Noch einmal fuhr er herum und versuchte sich, ein bisschen eingeschüchtert von den Blicken seines Vaters, zu erklären: „Sir. Ich meinte meine Einheit.“ Es kam von der Akademie wirklich nichts Anständiges mehr nach. Die Jugend von heute wurde immer schlimmer und um Antworten waren die nie verlegen. Wieder schüttelte Shinji ungläubig den Kopf. Eines wusste er, wenn Ai und er einmal das Glück haben sollten und das Schicksal ihnen ein Kind schenkte, so einen Rotzlöffel würde er nicht aufziehen. Sein Kind würde wissen, wie man sich zu benehmen hatte. Shinji wiegte leicht den Kopf, ihm schoss ein Gedanke durch den Kopf. Momentan war es ruhig im Oberkommando, der Feierabend war bereits eingeläutet worden. Konnte der kleine Störenfried wenigstens so gut fliegen, wie er Antworten parat hatte? Shinji wollte nicht auf die nächsten Aufklärungsflüge warten, er konnte den Spund auch gleich testen. Er schickte Fireball hinaus: „Sieh zu, dass du dich umziehst und dann stell mal unter Beweis, dass du hierher gehörst. Mit anderen Worten: Schwing dich in den Himmel. Ich will sehen, was du kannst, Kleiner.“ Fireball nickte kurz und verschwand um sich umzuziehen. Er konnte den Captain jetzt nicht einfach stehen lassen und nie wieder hier auftauchen. Seine Freunde und er würden die Hilfe des Oberkommandos bestimmt brauchen, wenn sie irgendwann wieder in ihre Zeit zurückkehren wollten. Ein wenig Bammel hatte Fireball schon vor der Feuertaufe seines Vaters. Er war noch nie in einem kleinen Jet gesessen. Aber er konnte Ramrod durch jedes Nadelöhr zwängen, dann würde er wohl mit einem solch kleinen Schiff alles können. Die Hoffnung starb bekanntlich zu letzt und Fireball übte sich in positiv denken. Captain Hikari erwartete seinen Neuzugang bei den Jets. Kühl und überzeugt davon, dass er das Fliegengewicht in nicht mal zwei Minuten vom Himmel holen konnte, drückte er Fireball einen Helm in die Hand und hielt ihn an: „Jetzt rein in die gute Stube und rauf in die Wolken.“ Fireball vertraute blind auf die Technik in seiner Zeit, vor allem in Aprils und sein Können, Ramrod fit zu halten, in der Zeit seines Vaters hielt er es dagegen eher mit der Mutter der Porzellankiste. Nämlich mit der Vorsicht. Zögernd nahm er seinem Vorgesetzten den Helm ab und schlich eine kleine Runde um den Jet. Zuerst wollte er sich mit dem Ding vor ihm vertraut machen, nicht, dass er es später bereute, ohne Besichtigung mit einem so antiquierten Jet geflogen zu sein. Als hätte er es geahnt! Kopfschüttelnd verneinte Fireball nach seiner Runde: „Nein, Sir. Mit dem Vogel haut das nicht hin. Der hat eine Macke.“ „Du hast auch gleich eine, wenn du deinen Hintern da nicht gleich reinschwingst!“, ungehalten deutete der Captain auf das Cockpit. War ihm der Jet zu wenig gepolstert oder gefiel dem verwöhnten Jungchen etwa die Tarnfarbe nicht?! Captain Hikari verzweifelte noch und das, wo der Neuzugang noch keine Stunde unter seinem Kommando stand. Das konnte ja heiter werden. „Nein, Sir.“, das hatte Fireball mit fester Stimme hervorgebracht. Im ersten Moment klang es wie Befehlsverweigerung, aber das hatte einen guten Grund. Er ging mit dem Captain zur rechten Tragfläche und deutete darauf: „Ich hänge an meinem Leben. Damit häng ich nachher in der Luft, als würd ich einen Güterzug fliegen wollen. Und vom Landen will ich gar nicht reden.“ Erstaunt beugte sich Captain Hikari zur Tragfläche hinunter und nahm den Makel in Augenschein. War da doch glatt ein Riss am Flügel! Er gab trocken zu: „Der sollte eigentlich in der Werkstatt stehen.“, im nächsten Augenblick bedachte er die Mechaniker mit nicht allzu freundlichen Worten: „Die glauben auch alle, wir sind von Haus aus lebensmüde…“ Shinji klopfte im Vorbeigehen auf die Schnauze des Jets und lotste den Anwärter zur nächsten Maschine. Dieses Mal unterzog er sie gleich einer genaueren Betrachtung. Als er keine Mängel feststellen konnte, öffnete er ein weiteres Mal die Arme und wies den jungen Piloten den Weg ins Cockpit: „Die ist hoffentlich genehm.“ Fireball zuckte mit den Schultern und stieg ein: „Zwangsläufig.“ Er kam nicht um das kleine Gefecht herum. Der Rennfahrer wusste zwar, dass er einer der besten Piloten im Neuen Grenzland war, aber die Anspannung ließ sich dennoch nicht vermeiden. Er musste sein Können unter Beweis stellen, und das auch noch unter den kritischen Augen seines Vaters. Fireball hatte viel aus Erzählungen von seinem Vater gehört, im ganzen Oberkommando war er als scharfer Hund bekannt. Er hatte niemanden etwas geschenkt, egal wie gut derjenige gewesen sein mochte. Das war vielleicht die schwierigste Prüfung in seinem Leben, wie es Fireball durch den Kopf schoss. Er wollte vor seinem Vater nicht versagen, das durfte er nicht. Vater und Sohn erhoben sich in die Lüfte und begannen ihren Einweihungsflug. Während Captain Hikari immer noch davon überzeugt war, den frechen Rotzlöffel sofort vom Himmel holen zu können und ihm eine Lektion zu erteilen, atmete Fireball immer wieder tief durch. Er war sich zwar sicher, mit dem Jet annähernd solche Kunststücke hinzubringen, wie es Mandarin in ihrer Zeit machte, aber mit seinem Vater im Nacken behagte ihm das ganz und gar nicht. Kaum hatten sie die Mindesthöhe, von der Fireball noch nie was gehört hatte, erreicht, bestätigte Captain Hikari über Funk, dass die Übung somit offiziell gestartet wurde. Sofort heftete sich der Captain an Fireballs Fersen, verkniff es sich aber, sofort auf ihn zu schießen. Ein bisschen Katz und Maus wollte er vorher schon noch mit ihm spielen, als Strafe für das unangebrachte Verhalten vorhin im Hangar. Immer noch ging er davon aus, Fireball mit dem ersten Schuss auch gleich zu erwischen. Der Ehrgeiz war dem jungen Hikari ebenso gewiss, wie dem alten. Seine schnelle Auffassungsgabe half ihm, sich sehr schnell an den Flugstil seines Vaters anzupassen und auf Schwachstellen auszuloten. Leider war da keine einzige zu finden. Dafür versuchte Shinji ihn in Fehler zu hetzen und zu treiben. Als der Captain den ersten Schuss abgab, drehte Fireball nach oben ab und setzte sich in einem Looping hinter ihn. Eine ganze Weile ging dieser Schlagabtausch zwischen den beiden Asiaten hin und her und er zog eine Menge Schaulustiger auf dem Boden an. Darunter auch die drei zukünftigen Star Sheriffs. Colt war aus der Kantine gelaufen gekommen, als er von einem Soldaten gehört hatte, dass Hikari gerade einem Frischling das Fürchten lehrte. Er traf dabei prompt auf April und Saber, die ihre Köpfe bereits in die Wolken gereckt hielten. Auch sie hatten gehört, dass Captain Hikari einem Neuen die Gepflogenheiten des Oberkommandos eintrichtern wollte. Als Saber seinen Scharfschützen neben sich bemerkte, senkte er den Blick auf ihn und erklärte unbeeindruckt: „Fireball.“ Das hatte sich Colt schon fast gedacht. Es wunderte ihn nicht weiter, ebenso wenig, wie April oder Saber. Die beiden hatten das ebenfalls ungerührt zur Kenntnis genommen. Die beiden Männer zuckten die Schultern und blickten wieder hinauf zu diesem ungewöhnlichen Treiben. Sie waren nicht die einzigen, die im Freien standen und bewundernd den Kopf reckten. Bestimmt das halbe Personal stand dort und zerriss sich den Mund. Anscheinend war das eine Art Aufnahmeprüfung für die neuen Piloten, die unter Captain Hikaris Kommando standen, und offensichtlich schien Fireball der erste zu sein, der ihm in der Luft die Stirn so lange bieten konnte. Captain Hikari hatte es im Verlauf einer halben Stunde nicht ein einziges Mal geschafft, Fireball zu treffen, aber ebenso wenig war es Ramrods Piloten gelungen. Die Besatzung des Towers beendete ihr ausgeglichenes Match schließlich, als sie die beiden aufforderten, dem Treiben ein Ende zu setzen und unverzüglich zu landen. Im Hangar, wo beide ihre Jets parkten, kam der Captain mit dem Helm unterm Arm auf Fireball zu und schmunzelte leicht: „Wow, du hättest mich beinahe so weit gehabt, dass ich mich anstrengen musste. Das war gar nicht mal so übel.“, entweder hatte sich der kleingeratene Pilot mit seinem Aussehen so jugendlich gehalten, oder aber er hatte für sein Alter und sein Können schon entsprechend Kampferfahrung. Deshalb fragte er leicht: „Wie viele Male warst du schon im Manöver?“ Fireball setzte den Helm ab und hielt ihn in beiden Händen, während er seinen Vater mit traurigen Augen musterte. Hier herrschte Frieden. Anders bei ihm zuhause. Überall im Neuen Grenzland herrschte Krieg, hielten die Outrider die Siedler davon ab, ein ruhiges Leben zu führen, trennten Familien und kannten keine Gnade. Von alle dem hatte Fireball schon oft und viel gesehen, sein Einsatz wurde nicht immer belohnt, denn manchmal kam er mit seinen Freunden zu spät. Fireball krallte die Finger in den Helm und presste hervor: „In zu vielen.“ Der Captain revidierte seinen ersten Eindruck von Fireball. Hatte er vor diesem Flug noch gedacht, der Junge war bloß ungehobelt und frech, so war er nun beeindruckt von ihm. Der laufende Meter war ein besonders guter Pilot, dieses Talent hatte er noch nie zuvor erlebt. Allerdings erkannte Shinji noch etwas anderes an Fireball. Die Worte und der Blick verrieten dem Captain, dass er niemanden mit einem klassischen Werdegang vor sich hatte. Deshalb nickte er verstehend: „Bist wohl durch die harte Schule des Lebens gegangen.“, er stand dem jungen Mann etwas zwiespältig gegenüber. Hikari mochte ihn, hatte aber gleichzeitig das Gefühl, dass mit dem Neuzugang etwas nicht stimmte. Er versuchte, ihm zumindest noch einmal einen Tipp in Sachen Hierarchie mitzugeben: „Die Manöver werden noch mehr. Vorausgesetzt, du wirst nicht schon beim nächsten Einsatz als Kanonenfutter vorgeschickt. Arbeite an deinem Ausdruck und vor allem an deinem Respekt, Shinichi, wenn du hier alt werden willst.“ „Tja“, Fireball ließ die Schultern hängen und senkte den Blick von Shinjis Gesicht auf seine Füße. Wieder hatte der Papa einen sauberen Treffer versenkt. Seine Stimme klang traurig: „ich fürchte, als Kanonenfutter werden wir alle noch enden.“ Aufmerksam beobachtete Shinji den Jungen vor sich. Was nur ließ den Rotzlöffel daran, was er gesagt hatte, nicht zweifeln? Der Captain merkte, dass er mit der harten Schule des Lebens nicht weit daneben gelegen haben konnte. Das machte ihn selbst etwas traurig, rief gleichzeitig aber tiefe Bewunderung in ihm hervor. Der Neue schien seinen Weg zu gehen, auch wenn es das Leben nicht allzu gut mit ihm gemeint haben dürfte. Anerkennend nickte er: „Ich kenne kaum ein Milchbubi in deinem Alter, das das macht und kann, was du tust.“ „Papa.“, leise und traurig war Fireball das über die Lippen gerutscht. Als er es bemerkte, verbesserte er sich erschrocken und mit einer wegwerfenden Handbewegung. Er entkräftete Captain Hikaris Worte somit: „Papperlapapp.“ Skeptisch zog Shinji eine Augenbraue nach oben und verschränkte die Arme vor der Brust. Er konnte hinter diesem Jungen keine klare Linie erkennen, Fireball war verworren und undurchschaubar. Und in all seiner Traurigkeit, die immer wieder in seinen Worten durchgeschienen war, immer noch kühl und unnahbar. Ohne Verhör und Androhung einer Folter würde man von ihm gar nichts Persönliches erfahren. Shinji fühlte sich in diesem Augenblick, als würde er in sein jüngeres Ich sehen. Deswegen schüttelte er ungläubig den Kopf und erklärte: „Bei dir hab ich ein ganz seltsames Gefühl, Kleiner.“ Fireballs Augen wanderten wieder zu seinem Gesprächspartner. Au weia, Misstrauen hatte er wohl noch nie so schnell gesät, wie gerade eben. Er setzte ein unschuldiges Gesicht auf: „Warum?“ „Ich weiß auch nicht.“, kam die ehrliche Antwort von Captain Hikari. Er zuckte mit den Achseln und stellte den Helm auf der Tragfläche des Jets ab. Noch einmal musterte er Fireball eingehend. Vielleicht irrte er sich ja doch? Aber wieder ließ sich das Gefühl nicht umstimmen, weshalb er es Fireball doch erklärte: „Du erinnerst mich irgendwie an…“, noch einmal blickte er ihm in die Augen. Als ob er in einen Spiegel schauen würde. Deshalb beendete Shinji den Satz, wie ursprünglich geplant: „mich.“ Fireballs Augenbraue zuckte leicht nach oben. Flog sein Schwindel etwa jetzt schon auf? Er versuchte, unbeeindruckt zu klingen, als er nachfragte: „In wie fern?“ Der Captain konnte es nicht beschreiben, weshalb er nun vorzog, ein anderes Thema auf den Tisch zu bringen. Er schmunzelte leicht und schüttelte amüsiert den Kopf: „Und schon wieder kein Sir. Ich befürchte stark, dass dir das hier noch eine Menge Ärger einbrocken wird. Aufmüpfig und stur, so kommst du mir vor.“, er fügte noch verständnisvoller hinzu: „Das war ich in deinem Alter auch.“ Damit war für Fireball der Fall erledigt. Er wandte sich etwas ab und machte einige Schritte an seinem Vater vorbei. Währenddessen murmelte er neckisch: „Dann hab ich ja noch Hoffnung, Sir.“ Shinji lachte hell auf. Mit dem Jungen konnte man auch Spaß haben: „Was? Dass es noch besser wird, oder dass du meinen Rang bekommst?“ Schmunzelnd drehte sich Fireball wieder zu seinem Vater um. Der Humor musste in der Familie liegen. Er zwinkerte schelmisch: „Sir. Beides.“ Captain Hikaris Lachen hallte durch den gesamten Hangar. Es war herzlich und ansteckend. Seine Augen blitzten schelmisch zu Fireball hinüber. Was hatte er sich da eingehandelt? Die Mischung gefiel ihm irgendwie, das versprach in absehbarer Zeit noch lustig mit dem Neuen zu werden, der hatte Humor und traute sich den Mund aufzumachen. Er lachte überdreht: „Ersteres? Vergiss es, Shinichi, das bleibt so. Und meinen Rang? Nur über meine Leiche, Jungchen.“ Auch Fireball musste breit grinsen. Da konnte er doch glatt noch einen drauf setzen. Unschuldig zuckte er mit den Schultern: „Ach, ich hab Zeit, Sir.“ „Du hast verdammtes Glück, dass ich dich mag, sonst hätt ich dich für den Spruch zum Rapport zu Major Eagle geschickt. So bekommst du von mir noch mal eins aufs Dach.“, Captain Hikari verpasste Fireball einen leichten, tadelnden Schlag auf den Hinterkopf. Er lachte immer noch, hoffte aber, dass die ernste Botschaft bei seinem neuen Piloten angekommen war: „Wenn nur Blödsinn rauskommt, ist besser, du hältst deinen vorlauten Mund, Shinichi. Das erspart dir viele Rapporte und Strafstunden.“ Lachend duckte sich Fireball etwas vor der Hand weg. Keck korrigierte er seine letzte Aussage: „Ich meinte natürlich, um mir Ihren Rang zu erarbeiten, Sir.“ Mit jeder Minute schloss Captain Hikari den Jungen mehr in sein Herz. Er mochte den frechen Zwerg auf eine Art und Weise. Shinji glaubte sogar, Fireball schon lange zu kennen. Auch er lachte noch einmal auf: „Dann wünsch ich dir viel Spaß. Solche Witzbolde wie dich zu befehligen, ist kein Zuckerschlecken.“ Und auch darauf hatte Fireball eine Antwort parat. Er zuckte mit den Schultern und erklärte undiplomatisch: „Sie haben sich den Job ausgesucht, Sir.“ „Du redest dich noch mal um Kopf und Kragen, Junge, Junge.“, kopfschüttelnd und immer noch erstaunt darüber, dass Respekt vor einem Vorgesetzten offenbar ein Fremdwort war, zog Shinji die Augenbrauen zusammen. Der kleine Wirbelwind würde ordentlich was im Oberkommando durcheinander bringen, so viel stand fest. Kurzerhand entschloss sich der befehlshabende Offizier, dem Neuling den Start im Oberkommando zu erleichtern. Nachdem er frisch von der Akademie kam und sicherlich noch keine Bekannten hier in Yuma hatte, würde er Shinichi an diesem Abend zu sich nachhause einladen. Ai freute sich bestimmt, wieder einmal einen Landsmann bekochen zu dürfen. Ohne Umschweife nannte er Fireball Ort und Uhrzeit, wo er den Hitzkopf auflesen würde und verabschiedete sich vorläufig aus dem Hangar. Wie zuvor von Captain Hikari beschlossen, wurde Fireball am Eingang des Oberkommandos abgeholt. Ramrods Pilot hatte seinen Freunden nicht gesagt, was er noch vor hatte, weil er sie in der Eile nicht hatte finden können. Das Gelände des Oberkommandos war auch hier riesig und unüberschaubar für einen einzelnen. Er trat mit gemischten Gefühlen hinter seinem Vater in die Wohnung. Aufmerksam sah er sich im Vorraum um. Überall duftete es bereits nach Ramen, dem Lieblingsgericht seiner Mutter. Auch Fireballs Vater war der Geruch sofort in die Nase gestiegen. Während er sich die Schuhe auszog, schwärmte er: „Ah… Ramen! Ich liebe es. Meine Frau macht das beste Ramen im Neuen Grenzland, Shinichi.“ Wenn man vom Teufel sprach. Fireballs Mutter kam eben aus der Küche, sie hatte die Tür gehört und wollte den Besuch empfangen. Sie hatte Shinjis Bekundungen noch gehört und streckte Fireball die Hand entgegen: „Das ist auch keine Kunst, das beste Ramen im Neuen Grenzland zu machen, wenn es sonst keine Japaner hier gibt.“, sie lächelte ihrem Gast freundlich entgegen: „Hallo. Kommen Sie doch endlich rein und fühlen Sie sich ganz wie zuhause.“ Unsicher griff Fireball zuerst nach der Hand seiner Mutter, entschied sich aber noch rechtzeitig dagegen, da hätte sie bloß gemerkt, wie nervös er war. Höflich und tief verbeugte er sich vor seiner Mutter und bedankte sich für die Einladung. Ai verneigte sich ebenfalls kurz und widmete sich dann ihrem Mann. Sie tadelte ihn leicht: „Und das nächste Mal, wenn du sagst, du kommst um Punkt, sei auch pünktlich, mein Schatz.“ Sie neckte ihn gerne, meinte es aber niemals ernst. Zärtlich gab sie ihrem Mann einen Kuss und verschwand dann wieder in der Küche, um das Essen fertig zu machen. Fireball hatte diese kleine Szene aufmerksam beobachtet. Es war ungewohnt, seine Mutter so zu erleben. Sie schien glücklich, gelöst und frei zu sein. Zuhause war sie immer nur streng gewesen. Und sie hatte so selten gelächelt. All das schien mit seinem Vater für immer gegangen zu sein. Der Rennfahrer erkannte seine Mutter beinahe nicht wieder. Völlig überfahren blickte er zwischen den Turteltauben hin und her. Es fühlte sich seltsam an, bei seinen Eltern im Vorraum zu stehen. Captain Hikari hatte seiner Frau noch einen leichten Klaps auf den Hintern gegeben, bevor sie wieder in der Küche verschwunden war. Und nun musterte er seinen Neuzugang. Weshalb war dessen Blick plötzlich nachdenklich und auch traurig geworden? Wie angewurzelt stand er im Vorraum, konnte seine Augen nicht loseisen. Was nur beschäftigte den jungen Spund so? Der Captain stupste seinen Gast an und grinste auffordernd: „Na? Noch nie eine liebende Ehefrau gesehen, Junge?“ Fireball schloss einen Moment die Augen und schüttelte den Kopf. Er murmelte: „Entschuldigung, Sir.“ Shinji erkannte, dass er einen riesigen Fettnapf erwischt haben musste. Schlagartig kam ihm in den Sinn, dass Fireball in keiner glücklichen Familie aufgewachsen war. Das tat ihm leid für den Jungen. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, bat er ihn ins Esszimmer und verwickelte ihn in ein Gespräch. Er wollte wissen, mit wem er es zu tun hatte, deswegen stellte der Captain allerhand Fragen. Als Fireball sich an seinen Platz gesetzt hatte, nahm auch Shinji Platz und faltete die Hände, die Ellbogen stützte er auf der Tischplatte auf. Noch einmal musterte er Fireball. Das Ergebnis blieb das selbe, wie wenige Stunden zuvor im Hangar. Shinji konnte es nicht erklären und wenn er es seiner Frau erzählen würde, sie würde ihn für verrückt erklären, doch der Pilot wurde das Gefühl nicht los, den jungen Mann irgendwoher zu kennen. Er sah ihm direkt in die Augen und fragte: „Du kommst aus Japan, oder?“ „Aus Tokio, Sir.“, die Stadt war groß, dort lebten Abermillionen Menschen und es war ausnahmsweise nicht gelogen. Fireball war in der japanischen Hauptstadt geboren worden, dort aufgewachsen und zur Schule gegangen. Er konnte seinem Vater deshalb ohne schlechtes Gewissen ins Gesicht dabei schauen. „Was für ein Zufall! Ich stamme ursprünglich auch aus Tokio.“, Shinji freute sich. Ihm gegenüber saß nicht nur ein Landsmann sondern quasi auch ein Nachbar. Sie hatten mehr gemeinsam, als er auf den ersten Blick gedacht hatte. Der Pilot knöpfte den obersten Knopf seines Hemdes auf und krempelte seine Ärmel um. Wenn Ai kochte, war es in der gesamten Wohnung warm. Er wollte wissen: „Wie kommst du zum Oberkommando? Ich meine, es verirren sich äußerst selten Japaner an derart entfernte Orte.“ Fireball schob die Augenbrauen einen Moment nach oben. Die Wahrheit wäre zwar in der Regel immer eine witzige, wie auch interessante Geschichte gewesen, aber angesichts dessen, dass es erst in zwanzig Jahren passieren würde, doch nicht so klug zu erwähnen. Der Rennfahrer schob die Hände zwischen seine Backen und die Sitzfläche und lugte auf den Tisch, als er kurz umriss: „Es war mehr Zufall als Plan, Captain. Ich hab meine Ausbildung in Japan gemacht und…“ Der Captain ließ ihn nicht ausreden. Ungeduldig und neugierig unterbrach er ihn: „Das Oberkommando hat Ausbildungsstätten in Japan? Davon wusste ich noch gar nichts. Da muss ich mit General Whitehawk mal drüber reden.“ Fireball sah seinen Vater verdattert an. Das hatte er doch mit keinem Wort erwähnt und außerdem gab es zwischen der Erde und dem Neuen Grenzland keine derartige Kooperation, auch nicht in seiner Zeit. Deswegen berichtigte er seine Worte dahingehend: „Nein, nein. Die Grundausbildung hab ich in Kobe gemacht, Sir. Beim japanischen Militär. Zum Oberkommando bin ich erst später gekommen.“ Dass er weder eine Ausbildung beim japanischen Militär noch im Oberkommando gemacht hatte, musste man ja nicht so direkt sagen. Fireball sah leicht lächelnd zu seinem Vater hinüber, der sich dessen Worte noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Oh, warum nur hatte er zugesagt, mit ihnen zu Abend zu essen? Wäre er vernünftig gewesen, hätte er die Einladung dankend ausgeschlagen und wäre mit seinen Freunden zu Ramrod zurückgegangen. Aber nein! Er war die Unvernunft in Person und musste unbedingt sehen, wie seine Eltern zusammen gelebt hatten. Es war die pure Neugierde gewesen, die Fireball hatte vergessen lassen, wie gefährlich sein Ausflug werden konnte. Captain Hikari nickte leicht. Der Grünschnabel hatte interessante Geschichten auf Lager. In Kobe war er also gewesen. Und nun im Oberkommando. Der laufende Meter musste früh angefangen haben, um diese Position zu erreichen. Oder aber er hatte sein Talent überall so überzeugend eingesetzt, wie an diesem Nachmittag. Captain Hikari war immer noch begeistert von den Manövern, die sein Gegner da am Himmel gezaubert hatte. Er hatte seine Maschine verdammt gut unter Kontrolle, das musste man Fireball neidlos anerkennen. Immer noch wollte Shinji mehr über seinen Neuzugang erfahren. Deshalb fragte er weiter: „Und gefällt’s dir hier in Yuma?“ Fireball zuckte mit den Schultern: „Ich hab noch nicht Weiß Gott was von der Stadt gesehen.“ Auch dieses Mal hatte er nicht gelogen. Yuma sah hier mit Sicherheit nicht so aus, wie in seiner Zeit. Gerade Städte veränderten sich im rasanten Tempo, die konnten nach einem Jahr schon ganz anders aussehen. In diesem Moment trat Ai mit der Reisschüssel ins Zimmer. Sie warf ihrem Gast einen fröhlichen Blick zu und blieb an dessen Augen hängen. Erstaunt blieb sie stehen. Diese braunen Augen. Die kannte sie. Ai blinzelte in das Gesicht ihres Mannes und überprüfte ihre Ahnung. Tatsache. Die selben Augen! Alle beide. Wie war das möglich? Ai schüttelte die Verwirrung ab, sie musste sich geirrt haben und stellte die Reisschüssel auf den Tisch. Sie schob sie zu ihrem Gast hinüber: „Bitte, bedien dich.“, ihren Mann bedachte sie danach mit einem kecken Lächeln: „Und du, mein Lieber, hör auf den armen Jungen zu verhören. Wir haben ihn zum Essen eingeladen und nicht zum Frage-Antwort-Spiel.“ Shinji schlang einen Arm um seine Frau und zog sie stürmisch zu sich heran. Ai lachte fröhlich auf und der Captain erklärte: „Meine bessere Hälfte muss mich manchmal bremsen.“ Ai drückte ihrem Mann einen Kuss auf den Scheitel und befreite sich aus seiner Umarmung, immerhin würde sich der Reis alleine schlecht essen lassen. Fireballs gemurmeltes „Arrigato.“ hörte sie nur noch halb. Fireball biss sich auf die Lippen und kniff die Augen zusammen. Es machte ihn unendlich traurig, seine Mutter in seiner Zeit niemals so zu erleben. Sie war ein ganz anderer Mensch, an der Seite seines Vaters. Klar, sie kochte immer noch gerne, aber sie war nicht so ausgelassen und fröhlich. Er hatte nur einen Blick gebraucht um zu wissen, wie sehr sich die beiden liebten. Ai und Shinji schenkten sich fortwährend Zärtlichkeiten, bei jeder Gelegenheit und egal, ob jemand dabei anwesend war oder nicht. Wieder fiel Shinji die Bedrückung auf. Langsam aber sicher bekam der Captain eine Idee davon, was in Fireballs Lebenslauf nicht so alltäglich gewesen war. Es konnte nur um die Familie gehen. Unschlüssig verzog er den Mund. Sollte er fragen? Einerseits war Shinji klar, dass es sich nicht gehörte, aber andererseits hatte er das Gefühl, dem Jungen würde es in der Seele wehtun. Er hätte Ai keine Minute mehr ohne schlechtes Gewissen in den Arm nehmen können, wenn ihr Gast jedes Mal aus irgendeinem Grund traurig dabei wurde. Er schielte in die Küche hinein und beugte sich zu Fireball über den Tisch: „Und jetzt mal Hand aufs Herz, Kleiner. Was stimmt mit dir nicht?“ „Was?“, unbeholfen schob Fireball seinen Stuhl ein Stück zurück. Kuhaugen wären noch klein im Vergleich zu seinen gerade eben gewesen. Die Überraschung stand Fireball ins Gesicht geschrieben, genauso wie der Schrecken. Dem quirligen Japaner würde es gleich die Sprache verschlagen, soviel stand fest. „Nana.“, Shinjis Hand fuhr zu Fireball hinüber und strich ihm beruhigend über die Schulter. Da hatte er ein extrem heißes Eisen angefasst, wie er schnell gemerkt hatte. Also das war der wunde Punkt seines neuen Piloten. Es war nicht seine Absicht gewesen, aber nun war es zu spät. Captain Hikari versicherte: „Keine Angst, Junge. Ich wollte dich nicht erschrecken.“ Der ältere Japaner schenkte Fireball einen entschuldigenden Blick und nickte leicht. Bei gewissen Themen war der junge Japaner schreckhaft. Es schien ihm unangenehm zu sein, ihm aber dennoch in der Seele weh zu tun. Deshalb rückte Shinji seinen Stuhl zurück und zog seine Hand zurück. Jetzt wollte er erst recht wissen, was ihn bedrückte. Shinji stand langsam auf und legte seine Gedanken offen: „Weißt du, mir ist aufgefallen, dass du jedes Mal seltsam ruhig wirst, wenn meine Frau hier ist. Ich hoffe doch, dass es nichts mit ihr zu tun hat.“ Hastig schüttelte Fireball den Kopf: „Nein. Ganz sicher nicht. Ihre Frau ist sehr nett, Captain.“ Shinji nickte. Davon war er auch nicht ausgegangen. Viel mehr hatte es etwas mit der Art zu tun, wie er und Ai sich gegenseitig behandelten. Dumm war der Captain schließlich nicht. Dieses Mal hakte er direkter nach, Ai würde sicherlich gleich mit dem Essen im Zimmer stehen und bis dahin wollte er wissen, weshalb sein Gast so ungewohnt auf vertraute Umgangsformen reagierte: „Der Umgang bei dir zuhause war wohl anders als bei uns. Sei mir nicht böse, Shinichi, aber du wirkst, als hättest du so etwas nie kennen gelernt.“ ‚Wie denn auch? Du warst ja nicht bei Ai und mir!‘, Fireball biss sich auf die Lippen und wandte die Augen von seinem Vater ab. Zum ersten Mal überhaupt war er sauer auf seinen Vater. Er hatte nie gewusst, welches Loch er in Ais Leben gerissen hatte. Fireball hatte seine Mutter nie anders gekannt, sie war immer eine selbständige, unabhängige Frau gewesen, die ihren unruhigen Sohn alleine erzogen hatte. Sie hatte keinem Mann außer seinem Vater jemals Zärtlichkeiten geschenkt, hatte keinen Mann außer Captain Hikari haben wollen. Dafür aber hatte sie in Fireball die Wiedergeburt ihres Mannes gesehen. Fireball murmelte bedrückt, während er seine Hände in den Schoß legte und die Augen darauf senkte: „Ich…“ „Um Himmels Willen, was machst du denn mit dem armen Jungen, Shinji?“, Ai stand mit der Pfanne im Esszimmer und funkelte ihren Mann an. Sie stellte das Essen ab und schob ihren Mann auf seinen Stuhl zurück. Danach setzte sie sich ebenfalls und tadelte ihren Mann: „Du kannst ihn doch nicht so etwas fragen. Hast du kein Feingefühl?“ Fireball lugte vorsichtig auf und bedankte sich mit einem Nicken bei seiner Mutter. Sie hatte ihn gerettet. Vorerst. Das Familienoberhaupt verteilte das Essen auf den Tellern und sprach ein kurzes schintoistisches Gebet. Ai und auch Fireball beteten leise mit, bedanken sich bei den Göttern für das gute Mahl und begannen dann mit dem Abendessen. Shinji hatte nach dem Tadel seiner Frau eingesehen, dass er seinem Gast damit zu nahe getreten war. Seine Neugierde war dennoch ungebrochen. Es gab da etwas, tief in Fireball vergraben, was dessen Familie betraf und was der Grund dafür war, weshalb der neue Pilot so seltsam reagierte und dauernd schreckhaft war. Der Captain dachte daran, dass dessen Vater vielleicht gerne mal ausgeholt hatte. Es würde erklären, weshalb Fireball schnell zusammenfuhr und weshalb er so früh aus dem elterlichen Nest in weit entfernte Gefilde aufgebrochen war. Während er sich eine Portion Reis hinein schaufelte, blickte er zu Fireball hinüber. Dann zu seiner Frau. Sie nickte ihm bestätigend zu, ermahnte ihn dabei aber noch einmal still, sich nicht einzumischen. Nach dem Essen standen sowohl Shinji als auch Ai auf. Der Pilot räumte den Tisch ab. Er nahm Fireballs Teller und sah ihn fragend an: „Na, Junge. Was hältst du von einem Schluck Wein?“ Fireball hätte sich lieber eine Flasche Sake hinuntergekippt als Wein, um seine Nerven zu beruhigen. Der Tag war ein ständiger Drahtseilakt, mit jedem Wort konnte er sich verraten. Bisher hatte es gut geklappt, aber die meisten Unglücke passierten auf der Zielgeraden. Und da befand sich Fireball gerade. Er lehnte dankend ab: „Nein, danke, Sir. Ich muss noch fahren.“ Shinji nickte anerkennend und verschwand mit dem gebrauchten Geschirr in der Küche. Er hatte alles auf ein Tablett geschichtet und sparte sich so ein zweites Mal. Ai hingegen zündete ein paar Kerzen sowie Räucherstäbchen an dem kleinen Hausaltar an. Sie nahm aus der Vitrine zwei bauchige Weingläser heraus, für die lebensfrohe Frau war klar, mit welchem Wein ihr Mann wieder zurück kommen würde. Sie setzte sich mit einem Lächeln zurück an den Tisch und bestätigte die Blicke ihres Mannes mit Worten: „Sehr vernünftig, junger Mann.“ „Naja, ich häng an meinem Führerschein, Ai.“, jetzt, wo sein Vater nicht am Tisch saß, kam es Fireball beinahe so vor, wie ein Abendessen in seiner Zeit. Das Ritual hatte seine Mutter beibehalten, all die Jahre. Sie zündete immer noch jeden Tag nach dem Abendessen Kerzen an und trank einen Schluck Wein. Die zierliche Japanerin sah Fireball erstaunt an. Woher kannte er ihren Namen? Sie war sich ziemlich sicher, dass ihr Mann ihn den ganzen Abend noch nicht genannt hatte. Das war seltsam, so wie vieles an dem jungen Mann. Als Fireball bemerkte, wie verwirrt ihn seine Mutter ansah, bemerkte auch er, was er angestellt hatte. Sofort verzog er das Gesicht und sah auf die Tischdecke hinab. Er brauchte eine Überleitung, schnell. Wie wäre es mit einer Erklärung: „Eigentlich ist es weniger ein Führerschein als eine Sondergenehmigung, Misses Hikari.“ Elegant aus der Situation gerettet. Er war von sich selbst erstaunt. Selten hatte er das bisher so gut hinbekommen, wie gerade eben. April hätte sich bestimmt gefreut, wenn ihm das öfter gelingen würde, dann hätte es ihr viele verlegene Momente erspart. Auch das Gesicht seiner Mutter hellte sich wieder auf. Shinji kam mit einer Flasche Rotwein wieder zurück. Er schenkte sich und seiner Frau ein Glas ein, blickte dabei aber noch einmal fragend zu Fireball: „Ganz sicher keinen Burgunder, Kleiner?“ Wieder hob Fireball abwehrend die Hände und verneinte: „Ich vertrag Alkohol so schlecht, Captain Hikari und wie schon gesagt, ich häng an meinem Lappen.“ Ai schüttelte den Kopf und kam nicht umhin, ihren Mann wieder zu necken. Als der sich gesetzt hatte, verkündete sie: „Nötige ihn doch nicht ständig, Shinji. Sei froh, dass die Jungend heutzutage so vernünftig ist, nicht so wie du manchmal.“ Jetzt hätte Fireball fast zu lachen angefangen. Er hatte immer nur von seiner Mutter zu hören bekommen, dass er so verdammt unvernünftig war. Das waren ja paradoxe Worte, wenn man die Zukunft kannte. Es dauerte jedoch nicht lange, bis ihm die Worte wieder im Hals stecken blieben, denn Shinji konterte lachend: „Nur weil er nichts trinkt, wenn er mit dem Auto fährt, heißt das noch lange nicht, dass er vernünftig ist, Süße. Shinichi fliegt beinahe so gut wie ich, er braucht nicht mehr viel Übung, bis er ein ebenbürtiger Gegner ist.“ Hatte seine Mutter mit ihren Worten Recht gehabt? Fireball erkannte Dinge an seinem Vater, die er auch hatte, ganz ohne dass ihm seine Mutter jemals davon erzählt hatte. Moment mal. Wenn sein Vater seine Frau ‚Süße‘ nannte, hatte das bei April auch etwas zu bedeuten? Er sprach die blonde Navigatorin als einzige Frau mit einem solchen Kosenamen an, hatte sich aber niemals Gedanken darüber gemacht, weshalb. Ai schüttelte amüsiert den Kopf: „Dann bring ihm den nötigen Blödsinn bitte nicht mehr bei. Seine Freundin wär dir sicherlich dankbar dafür.“ Die kleine Japanerin grinste. Hatte sich Shinji dazu entschlossen, die Patenschaft für den neuen Piloten im Oberkommando zu übernehmen? Eine Geste, vor der er sich immer gewehrt hatte. Aber den Besuch schien er sofort in sein Herz geschlossen zu haben. Ai sah noch einmal aufmerksam zu Fireball hinüber. Sie konnte ihren Mann verstehen. „Hab keine.“, Fireball schmunzelte leicht. Das war doch typisch seine Mutter. Zuerst an die armen, daheimgebliebenen Frauen denken und dann an die Männer an der Front. Aber sie wusste, wovon sie sprach, denn schließlich war sie selbst eine von jenen Frauen. Sie würde das Schicksal vieler Witwen in absehbarer Zukunft teilen. Sein Lächeln verschwand abrupt wieder. Im Anbetracht der eigenen Familiengeschichte schwor sich Fireball in diesem Moment, keine Frau zurückzulassen und schon gar keine schwangere. Shinji fing den Blick seines Gegenübers auf. Hatte doch glatt seine Frau dieses Mal ein Fettnäpfchen erwischt. Er lachte darüber still in sich hinein, begann aber gleichzeitig darüber zu grübeln, was alles im Verborgenen schlummerte. Der Pilot bekam immer mehr das Gefühl, dass sich unter der rotzfrechen Fassade viel Kummer und Leid aufgestaut hatte. Lächelnd stupste er seine Frau an und meinte an Fireball gerichtet: „Ist auch besser so. Glaub mir, die hängt dir sonst dauernd damit in den Ohren, dass du nicht zuhause bist.“ Auch das waren nicht die richtigen Worte gewesen. Betreten senkte Fireball den Blick. Hätte sein Vater einmal auf seine Frau gehört, würde der heute noch mit ihnen zu Abend essen und er hätte sich vielleicht anders entwickelt. Fireball seufzte unterdrückt. Ai stieß währenddessen Shinji wieder an und brüskierte sich: „Na, hör mal!“, sie tadelte ihn lachend: „Du bist der erste, der jammert, wenn er länger als zwei Tage auswärts auf Manöver ist.“ Das war mal Fakt. Ai amüsierte sich dabei köstlich. Sie hatte schon gemerkt, dass ihr Mann den ein oder anderen bedrückten Moment heraufbeschworen hatte. Nun versuchte sie, dem jungen Piloten wieder ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, und am besten ging das ihrer Meinung nach, wenn der Captain mal ein paar aufs Dach bekam. Seine Eltern verloren sich in einer bedeutungslosen kleinen Streiterei. Es war klar, dass das nicht weiter ernst zu nehmen war, dennoch fühlte sich Fireball nun fehl am Platz. Er schob den Stuhl vom Tisch zurück und stand auf. Er linste noch einmal zu seinen Gastgebern hinüber. Ein Déjà-vu, schon wieder. Fireball sah, wie sich Ai und Shinji lachend in den Haaren lagen. Das war schon fast kindlicher Frohsinn, den seine Eltern da an den Tag legten. Das war beinahe eine solche sinnlose Diskussion, wie er sie mit April manchmal führte. Verlegen verbeugte sich Fireball und verabschiedete sich: „Es ist schon spät, ich sollte besser gehen. Vielen Dank für die Einladung.“ Fireball war schon in der Tür zum Vorraum, als Captain Hikari ebenfalls aufstand: „Hey, warte mal, Kleiner.“ Wieder schreckte Fireball zusammen. An diese Stimme würde er sich niemals gewöhnen können. Jedes Mal wieder war die Stimme bestimmt und herrisch. Und grade eben hatte sie so geklungen, als hätte er herausgefunden, was los war. Angespannt blieb er vor seinen Schuhen stehen und wartete auf das Unausweichliche. Shinji beobachtete skeptisch, wie sich Fireball spannte. Etwas war mit dem jungen Japaner nicht in Ordnung. Er schien fast schon Angst vor ihm zu haben. Hatte Shinji bei dem ersten Aufeinandertreffen zu sehr auf den Putz gehauen? Er verstand das alles nicht recht. Aber er hatte das Gefühl, auf den neuen Piloten in Zukunft ein Auge haben zu müssen. Er war zwar in der Arbeit ein Ass, aber außer Dienst schien er sich nicht sonderlich wohl zu fühlen. Der Pilot trat zu Fireball in den Vorraum. Er pfiff auf die Tadel seiner Frau und sagte offen, was ihm im Kopf herum schwirrte: „Du tust es ja schon wieder!“, er lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme: „Ich wollte dir nur eine Frage stellen und dich reißt’s, als hätte ich einen Warnschuss abgegeben.“ Fireball schlüpfte ohne sich zu bücken in seine Schuhe. Er seufzte bedrückt. Wüsste sein Vater, was los war, es wäre kein Warnschuss mehr. Schon wieder brauchte er eine Ausrede. Der Rennfahrer blickte kurz in den Spiegel neben der Tür und dann zu seinem Vater. Nur das Alter unterschied sie voneinander. Fireball log leise: „Also schön. Wissen Sie, ich…“, Fireball fuhr sich mit der rechten Hand durch die störrischen Haare: „fühle mich in einer fremden Umgebung nicht immer auf Anhieb wohl. Ist alles nicht immer ganz so einfach.“ Wow, das war nicht mal gelogen! Fireball hielt gespannt inne und fragte sich, ob sein Vater gleich einen Lachanfall bekam. Doch Shinji nickte verstehend. Er legte Fireball noch einmal die Hand auf die Schulter und gestand ihm zu: „Ging mir auch so, Shinichi. Aber du hast deine Freunde hier… Und auch Ai und mich.“ „Familie sozusagen.“, Fireball nickte und sah zu Boden. Er verneigte sich noch einmal und verschwand dann endgültig. Damit ließ er einen irritierten Shinji im Vorraum stehen. Dieser starrte auf die geschlossene Tür. Ai trat neben ihn und strich ihm über die Wange. Sie schmiegte sich an ihren Mann und sprach seine Gedanken aus: „Er ist ein guter Junge, Schatz.“, sie schloss ihre Arme um ihn: „Ich würde mir ein solches Kind wünschen.“ Shinji nickte nur leicht. Ja, ein Kind wie ihn konnte er sich vorstellen. Aber er glaubte, Fireballs Eltern wüssten dieses Geschenk nicht zu schätzen. Sie schienen ihn nicht gut behandelt zu haben. Shinji nahm Ai in den Arm und ging mit ihr ins Wohnzimmer zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)